Schafft euch Schreibräume

Mai 2017. Ich brauche eine Auszeit, mehrere Schreibprojekte liegen in der Schublade, sprich: in einem Ordner auf meinem Computer. Ich kann mich nicht entscheiden, keines geht voran. Ich bin reif für die Insel, für eine Schreibinsel. Auf nach Wien, in Judith Wolfsbergers Writers Studio (Wien ist eine Reise wert).

Writers Studio ohne Schreibende DSC_0894
Schreibpause: Writers studio ohne Schreibende

„Schafft euch Schreibräume“, heißt das Buch, an dem Judith während des Schreibtreffs, Neudeutsch:  Schreibretreat, arbeitete. Es ist im Sommer erschienen und natürlich möchte ich es lesen – der Verlag schickt mir ein Rezensionsexemplar.

Judith Wolfsberger nimmt mich mit auf ihre Reisen auf den Spuren Virginia Woolfs – nicht nur nach England, sondern auch in die USA. Dort ist Virginia Woolf zwar nie gewesen, aber gerade dort haben ihre Ideen Spuren hinterlassen.

Auch ich habe natürlich schon vor Jahren bzw. vor Jahrzehnten „A Room of ones own“ gelesen. Schließlich war – und ist – es eine Art Kultbuch der Frauenbewegung. Aber anders als Simone Beauvoir, deren Bücher ich verschlungen habe, konnte  mich  Virginia Woolf nie wirklich begeistern. Jetzt lese ich, ermutigt und angeregt durch viele englischsprachige Zitate im Buch, ihre Bücher im Original – und entdecke sie, nein, eigentlich nicht neu, sondern zum ersten Mal wirklich.

Was Virginia Woolf und Judith Wolfsberger schreiben, spricht mich an. In Judith Wolfsbergers Buch, einer Mischung aus Memoir, Travel-Essays und Sachbuch, geht es vor allem ums Schreiben – und um den Mut, eigene Visionen zu leben.

Kann frau vom Schreiben leben und wie? Was brauchen Frauen, um selbstbestimmt zu schreiben? Wie können sie, wie kann ich, Beruf, Schreiben und Familie verbinden? Diese Fragen beschäftigen auch mich immer wieder. Zu lesen, dass auch andere schreibende Frauen an sich zweifeln und das Gefühl haben, nicht gut genug, nicht wichtig genug zu sein, um sich öffentlich zu äußern, bringt den inneren Kritiker zwar nicht zum Schweigen, ist aber trost- und hilfreich.

“A woman must have money and a room of her own if she is to write fiction“, lautet der wohl meist zitierte Satz aus Virginia Woolfs bekanntem Essay. Keine Frage, ein Rückzugsort, zu Virginias Zeiten für viele Frauen noch eine Ausnahme, ist auch heute noch immens wichtig. Doch ein eigenes Zimmer ist eben nicht genug. Um ihr Schreibpotenzial zu entfalten, brauchen vor allem viele Frauen offenbar eine „Community of writers“, Kontakte zu anderen Schreibenden, die sie unterstützen, mit denen sie gemeinsam schreiben. Denn Schreibzeiten, die man – oder frau – allein für sich einplant, werden, so nicht nur die Erfahrung  Judith Wolfsbergers, schnell mal durch andere wichtigere Termine verdrängt. Das ist bei Schreibverabredungen anders – sie werden meist eingehalten.

Virginia Woolf hatte eine Community of Writers, die Blomsbury Group, eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, die sich gegenseitig unterstützten. Und auch mit Vita Sackville-West tauschte sie sich regelmäßig aus. Die beiden erfolgreichen Schriftstellerinnen feuerten sich gegenseitig an.

Raum zum Schreiben draußen DSC_0883
Vita Sackville-West und Virginia Woolf waren Gartenfans. Schreiben unterm Flieder hätte ihnen gewiss gefallen.

Judith Wolfsberger hat in Wien mit dem Writers Studio nicht nur einen Schreibort zumWohlfühlen geschaffen, sondern auch für sich und andere Schreibende fixe Schreibtreffs. Gemeinsam zu schreiben spornt an, das habe ich selbst erfahren: Die beiden Schreibtage im Writers Studio im vergangenen Jahr haben mein Befana-Buch vorangebracht. Doch Wien ist weit entfernt – und in Hannover fehlt ein solcher Schreibraum. Aber der Gedanke, einen Schreib(t)raum in der Nähe zu haben, lässt mich nicht mehr los, seit ich das Buch gelesen habe. Schafft euch Schreibräume  – eine Aufforderung.

Bis es so weit ist, treffe ich mich mit meiner schreibenden Tochter in einem virtuellen Schreibraum: Wir verabreden uns zum Schreiben, aber weil wir nicht im gleichen Ort leben, schreibt jede in ihrer eigenen Wohnung. Bei unserer Schreibverabredung gestern ist dieser Blogbeitrag entstanden.

Mit meiner Schreibpartnerin möchte ich im nächsten Jahr auch auf dem Southwest Coast Path in Cornwall wandern, am Meer entlang, auf den Spuren Virginia Woolfs. Und noch eins hat dieses Buch bewirkt: Ich werde künftig mehr Bücher im (englischen) Original lesen. Viele gute Vorsätze für ein einziges Buch.

Judith Wolfsberger: Schafft euch Schreibräume! Weibliches Schreiben auf den Spuren Virginia Woolfs. Ein Memoir. Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar, 2018, ISBN: 978-3-205-20635-4, 29 Euro.

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