Monatsrückblick August 2023

Der Monat begann mit einer Reise in die Vergangenheit: Zum ersten Mal seit dem Jahrgedächtnis für meine Mutter vor drei Jahren war ich wieder an der Mosel. Es war, ich gebe es zu, ein merkwürdiges Gefühl, zum ersten Mal als Touristin in dem Ort zu sein, in dem ich geboren bin, mehr als 20 Jahre lang gelebt und in dem ich bis zum Umzug meiner Mutter ins Altenheim viel Zeit verbracht habe.

Mein Elternhaus haben die neuen Besitzer durch ein riesiges Vordach aus Holz auf der Moselseite „verschandelt“ – die dahinterliegenden Räume sind dadurch sicher wesentlich dunkler als früher. Und der Garten neben dem Haus musste Auto-Stellpätzen weichen. Es berührt mich eigentlich wenig, nur dass ich den Strauch mit den duftenden Pfingstrosen im Vorgarten nicht ausgegraben und in meinen eigenen Garten gepflanzt habe, als wir das Haus verkauften, bedaure ich noch immer. Jetzt ist er verschwunden.

Wir haben auf dem Stellplatz am Hafen übernachtet und ich habe es genossen, vom Wohnmobil aus die Mosel zu sehen. Wir haben Freundinnen und natürlich das Grab meiner Eltern besucht. Ich habe mir von meiner früheren Friseurin die Haare schneiden lassen – so kurz wie noch nie, meinte sie. Das Treffen mit meinem früheren Trainer und Lehrer hat leider nicht geklappt, und die alte Dame, der ich gelegentlich schreibe – und sie mir –, hat mich nicht mehr erkannt. Sie wird in diesem Jahr 100 und wir haben uns seit drei Jahren nicht mehr gesehen.

Obwohl ich an der Mosel geboren und dort aufgewachsen bin, bin ich erst jetzt, mit fast 67, zum ersten Mal dort gepaddelt. Ich habe den Calmont zum ersten Mal erwandert und zwei Wochen später war ich zum ersten Mal auf einer Landesgartenschau.

Eine ganz andere Premiere erlebte meine jüngste Enkelin am letzten Tag des Monats: Sie hatte in Hamburg ihren ersten Vorschultag. Am letzten Tag in ihrer Kita bekam sie zur Erinnerung von den ErzieherInnen einen Ordner mit Fotos aus den letzten drei Jahren. Als wir die Bilder anschauten, musste ich an meine Mutter denken. Wenn ich sie in den letzten Wochen vor ihrem Tod aufmuntern wollte, zeigte ich ihr Bilder oder kleine Videos ihrer Urenkelin. Dann strahlten ihre Augen, sie lächelte und manchmal brachte Ayda sie sogar zum Lachen. Meine Enkelin war noch kein Jahr alt, als meine Mutter starb, jetzt wird sie schon fünf. So schnell geht es.

Zwischen den Reisen in den Süden und den Norden stand im August viel Kunst auf dem Programm: Über die beiden Ausstellungen in Burgwedel – Parkomanie und Kunst in Bewegung – habe ich ja schon geschrieben. Mit einer Schreibfreundin war ich beim Tag der offenen Tür in der Villa Seligmann, einem Haus für jüdische Musik in Hannover. Mit einer anderen habe ich mir die Volker-Kriegel-Ausstellung „Ja was denn“ im Wilhelm Busch Museum angesehen. Ich kannte Volker Kriegel nur als (Jazz-)Musiker, dass er auch ein guter und bekannter Zeichner und Autor war, wusste ich gar nicht. Besonders gut haben mir seine tagebuchartigen Skizzenbücher gefallen – auch ich will schon lange ein Visual Diary, also eine Art bebildertes „Tagebuch“ oder Journal, führen und mehr Farbe in mein Leben bringen. Es ist Zeit, endlich zeichnen zu lernen und es zu üben.

Deshalb hatte ich mich auch für Ramona Weydes „August Art Journal“ angemeldet. Alle zwei Tage habe ich von ihr Aufgaben, Ideen und Impulse für mein Skizzenbuch bekommen. Die Anregungen haben mir gut gefallen, doch leider habe ich es nur sehr selten geschafft, sie umzusetzen, mein Art Journal in meinen Alltag zu integrieren. Aber ich gebe die Hoffnung und das Art Journaling nicht auf. Und angeblich ist ja der September ja so eine Art Januar des Herbstes – und eine gute Zeit für einen Neustart. Na denn.

Italienische Reise, Teil I

Wir sind wieder da. Zurück aus Italien, genau drei Wochen, nachdem wir – später als eigentlich geplant – losgefahren sind. Und auch die Tourplanung hat sich unterwegs geändert. Ich habe Venedig von der Liste der Etappenziele gestrichen. Nicht nur, weil wir nach drei Wochen wieder zu Hause sein mussten. Sondern auch, weil mir in Florenz klar wurde, dass ich die Stadt nur richtig genießen kann, wenn ich dort übernachte und sie besichtigen kann, bevor morgens Tausende Touristen von außen hineinströmen und nachdem sie abends wieder verschwinden. Aber das ist ja der Vorteil vom Reisen mit dem Wohnmobil: Man muss, zumindest wenn man wie wir nicht in der Hauptsaison verreist, nichts lange im voraus buchen. Man kann an einem Ort länger bleiben oder eben auch früher wieder abreisen. Oder eben (vorerst) gar nicht hinfahren.

Fast 3.200 Kilometer sind wir in drei Wochen gefahren, die meisten – jeweils rund 500 Kilometer – an den insgesamt vier An- und Abreisetagen nach Italien und wieder zurück nach Deutschland. Die meisten Etappen unserer Rundreise durch die Toskana waren vergleichsweise kurz: Neben Florenz standen Lucca, Pisa, Siena, Arezzo und Pieve Santo Stefano auf meinem Programm. Am Anfang und zwischendurch gab‘s auch ein paar „Erholungstage“ am Wasser: Auf der Hinfahrt waren wir drei Tage am Gardasee, zwischendrin drei Tage am Meer, in Vada, einem kleinen Ort bei Livorno an der Maremma-Küste. 

Beim Reisen mit dem Wohnmobil entdeckt frau manche Orte, die sie sonst nie kennenlernen würde. Greding zum Beispiel, das mein Mann eigentlich nur wegen des Stellplatzes direkt an der Autobahn ausgesucht hatte. Wie hübsch der Ort ist, habe ich erst auf der Rückfahrt entdeckt. Laut Wikipedia gibt es in der mittelfränkischen Stadt 154 Baudenkmäler (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Baudenkmäler_in_Greding#Stadtbefestigung), zum Beispiel die noch fast vollständig erhaltene ehemalige Stadtmauer mit zahlreichen kleinen Wehrtürmen. Oder den Marktplatz mit dem Rathaus und vielen anderen gut restaurierten Gebäuden aus dem 17. bis 19. Jahrhundert.

Auch in Vada sind wir wegen des Campingplatzes gelandet. Der liegt nämlich – anders als viele andere Campingplätze in der Gegend – direkt am Meer. Und für unser Wohnmobil gab es einen Platz in der ersten Reihe, nur durch eine Düne vom Strand getrennt. Der Strand mit dem sehr hellen Sand gilt als einer der schönsten in der Toskana und soll aussehen wie die Strände in der Karibik – was ich nicht bestätigen kann, weil ich noch nie in der Karibik war.

Dass die Abwässer einer Sodafabrik, die früher wohl auch Schwermetalle wie Quecksilber und Arsen enthalten haben, den Sand ausgebleicht haben sollen, wusste ich nicht. (https://www.reisereporter.de/reiseziele/europa/italien/toskana/italien-weisser-traumstrand-in-vada-industrieabfall-ist-schuld-Z5CEJ2PA7WJLZ33264IV4FEOT4.html). Angeblich soll der abgelassene Schlamm jetzt unbedenklich sein. Doch im Nachhinein bin ich froh, dass ich nicht im Meer gebadet habe, sondern nur durch das Wasser gewatet bin. Meine Füße werden es wohl verkraften. Die vielen Kiter und Windsurfer, die stundenlang übers Wasser jagten und auch manches Mal hineinfielen, scheinen sich über die Wasserqualität keine Gedanken zu machen – oder sie sind genauso ahnungslos, wie ich es war, bevor ich diesen Blogbeitrag geschrieben habe.

Gefährlich bleich – der weiße Strand bei Vada?

Im Gardasee sollen die „nach strengen Richtlinien der EU untersuchten Wasserproben … auch in diesem Jahr eine hervorragende Qualität“ aufweisen (https://www.gardasee.de/news/wasserqualitaet). Aber obwohl es südlich der Alpen schon frühlingshaft warm war, habe ich mich – zugegebenerweise – auch hier mit dem Blick aufs Wasser begnügt: bei Spaziergängen am Seeufer zwischen Bardolino und Garda, bei meiner ersten Fahrt mit einem Riesenrad oder auch beim Yoga auf dem Steg.

In den nächsten Tagen folgen weitere Beiträge und Fotos von unserer italienischen Reise.

Kleine Auszeit zwischendurch

Wir waren gerade mal 25 Stunden weg, und obwohl ich zwischendurch sogar ein bisschen gearbeitet habe, hat es sich angefühlt wie ein richtiger, wenn auch kurzer Urlaub. Dabei mussten wir gar nicht weit fahren – knapp 30 Kilometer one way. Das Gute liegt eben manchmal doch ganz nah.

In diesem Fall konkret auf einem kleinen Campingplatz bei Winsen an der Aller. Gerade mal 40 Minuten waren wir unterwegs, das Einpacken hat länger gedauert als die Fahrt selbst. Um halb zwölf ging’s los; kurz nach 12 stand unser Wohnmobil direkt am Fluss. Wenig später waren wir mit Paula Blue auf dem Wasser. Richtig elegant sieht es noch nicht aus, wenn wir paddeln, und richtig schnell sind wir auch noch nicht. Aber wesentlich besser als bei meinen ersten Paddelversuchen auf dem Mittellandkanal ist es allemal. Und mehr Spaß macht es auch.

Bei unserer zweiten Bootstour am nächsten Morgen hatten wir dann einen blauen Passagier an Bord: eine Libelle. Ob sie Paula Blue wohl für einen übergroßen Artgenossen gehalten hat oder ob ihr die Farbe so gut gefallen hat, weiß ich nicht. Bevor ich sie fragen konnte, ist sie davongeflogen.

Die Aller ist bei Winsen breiter als die Hamme, wo wir vor ein paar Wochen unser Boot eingeweiht haben. Und die Strömung ist wesentlich stärker. Wie stark, merkte ich erst richtig, als ich abends in der Aller geschwommen bin. Stromabwärts war ich schneller als je zuvor, gegen den Strom brauchte ich mindestens fünfmal so lange. Am nächsten Morgen bin ich dann, klüger geworden, nur noch in eine Richtung geschwommen: Ich bin bei der Badestelle mit dem kleinen Sandstrand ins Wasser gegangen und beim Steg gut 150 Meter allerabwärts wieder herausgeklettert.

Dort habe ich am Nachmittag und am Abend vorher lange gesessen, gelesen, geschrieben,  aufs Wasser geschaut und nicht nur die Füße, sondern auch die Seele baumeln lassen. Und entschieden, dass ich das jetzt öfter tun werde – vielleicht schon bald an der Weser …

Camping, Kajak und Kunst

Letzte Woche hatte ich einen Termin in Bremen, und was liegt näher, als das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden – sprich: mit einem Abstecher nach Worpswede. Das liegt quasi vor der Bremer Haustür – und steht schon lange auf meiner To-visit-Liste. Außerdem liegt der kleine Campingplatz direkt an einem kleinen Fluss. Eine gute Gelegenheit, unser neues Boot – ein aufblasbares Kajak – auzuprobieren.

„Do more of what makes you happy“ – über das Muttertagsgeschenk meiner Tochter habe ich ja schon geschrieben. Und ich habe mir fest vorgenommen, diesen klugen Rat zu beherzigen. Kajakfahren steht schon lange auf meiner Wunschliste – und es muss wirklich ein Herzenswunsch sein, denn meine ersten Kajak-Erfahrungen waren eher abschreckend. Vor ein paar Jahren hatte ich mich in einem Anfängerkurs angemeldet. Denn es ist ja angeblich nie zu spät, mit etwas Neuem zu beginnen. Doch leider war ich die einzige Anfängerin im Kurs und der Trainer hatte – aus seiner Sicht verständlicherweise – mehr Spaß daran, mit den erfahreneren Teilnehmerinnen und Teilnehmern loszupaddeln, als mir die Grundlagen des Sports beizubringen. Pflichtschuldigst erklärte er mir, was ich falsch machte und was ich anderes machen sollte, bevor er dann mit dem Rest der Gruppeauf und davonpaddelte und mich meinem Schicksal überließ. Ich fuhr in meinem sehr schnittigen und wendigen Sportkajak schlingernd und drehend fort – oder besser gesagt, das Boot fuhr mit mir. Wenn ich die gelangweilt auf mich wartende Gruppe endlich erreichte, paddelte sie weiter oder zurück – und ich hechelte hinterher. Eine ziemlich frustrierende, wenn auch lehrreiche Erfahrung.

Am allerschlimmsten war aber, wenn mir dann auf dem nicht soooo breiten Mittellandkanal Flussfrachtschiffe oder Motorboote entgegenkamen oder mich überholten. Bei besonders breiten Schiffen geriet in Panik und versuchte, mein Kajak möglichst nach ans Ufer zu steuern – was mir irgendwie gelang. Nach zwei Tagen hatte ich eine Sehnenscheidenentzündung im linken Arm – und vorübergehend keine Lust mehr auf weitere Wasserabenteuer. Aber als wir das neue Wohnmobil kauften, wollte ich einen neuen Versuch starten und mir einen Kinderwunsch erfüllen: Als Kind hatte ich die Gisel-und-Ursel-Bücher von Martha Haller gelesen, Geschichten von Zwillingen, die begeisterte Kanutinnen waren.  Ich hätte auch gerne ein Boot gehabt, aber dafür hatten meine Eltern kein Geld und auch kein Verständnis. Das Boot, das wir uns fast 60 Jahre später kauften, ist allerdings kein Faltboot, wie einst das der Zwillinge, sondern ein aufblasbares Kajak.

Die Hamme war ein idealer Übungsort: Das Flüsschen ist gerade mal 50 km lang und beim Campinplatz Hammehafen gerade mal 20 Meter breit. Wir hatten den Fluss, der bei Worpswede fast ohne Strömung in Richtung Wümme fließt, fast für uns. Außer uns waren nur ein paar Torfschiffe, die heute keinen Torf, sondern Touristen transportieren, ein paar Kajaks und ein paar Schwimmer unterwegs. Und im Doppelsitzer war es, sicher auch dank der beiden Finnen im Bootsboden, kein Problem, die Richtung zu halten. Es hat viel Spaß gemacht, zu paddeln, und wir werden unser Boot jetzt sicher öfter mitnehmen.

Einen Namen hat das Boot inzwischen übrigens auch – mein Mann hat darauf bestanden. Es heißt Paula blue: Paula in Erinnerung an Paula Modersohn-Becker, die Malerin, die zeitweise in Worpswede gelebt hat und dort auch gestorben ist, und blue, weil es eben strahlend blau ist.

In Worpswede war ich natürlich auch – ich bin durch den Ort gebummelt, der mit den alten Häusern, Museen und Galerien ein besonderes Flair hat. Ein Hingucker mitten im Ort ist die von Heinrich Vogeler entworfene Vogeler-Villa. Heinrich Vogeler war einer der Gründer der Künstlerkolonie Worpswede. Die von ihm entworfene Vogeler Villa ist heute eine Seniorenresidenz, sein Wohn- und Atelierhaus, der Barkenhoff, ist ein Museum, in dem die Werke des Malers, Grafikers, Designers und Architekten Heinrich Vogeler gezeigt werden. Anfang der 1900er Jahre Treffpunkt der Künstlerinnen und Künstler. Zur sogenannten Barkenhoff-Familie gehörten neben Vogeler und seiner Frau Martha noch zwei weitere Künstlerpaare: Rainer Maria Rilke und seine Frau, die Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff sowie Paula Modersohn-Becker und ihr Mann Otto Modersohn https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Vogeler.

Was die Malerinnen und Maler ins Teufelsmoor gezogen, verstehe ich inzwischen gut: Das Licht ist wirklich ganz besonders. Mit sind ein paar Fotos gelungen, die fast aussehen wie gemalt.

Die passende Lektüre hatte ich natürlich auch dabei: den Roman von Gunna Wendt über das Leben von Clara Rilk-Westhoff und Paula Modersohn-Becker und – auf meinem E-Book-Reader Rilkes Monographie über die Worpsweder Maler Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck, Hans am Ende, Heinrich Vogeler.

Apropos Bücher: Auf dem Campingplatz am Hammer Hafen fuhren nicht nur sehr viele Gäste Kanu – mit eigenen oder dort geliehenen. Auch gelesen wurde dort sehr viel. Ich habe dort zumindest mehr lesende Menschen und Bücher gesehen als auf den anderen beiden Plätzen. Dafür waren die Wohnmobile deutlich kleiner. Unser Wagen war nicht mehr der winzigste auf dem Platz. Ob es da einen Zusammenhang gibt?

Auf ein Neues

Wir haben lange nachgedacht, ob wir es tun sollen. Ob es die richtige Entscheidung ist und der richtige Zeitpunkt. Ausgerechnet jetzt. Corona ist noch lange nicht vorbei, die politische Situation ist seit Russland Krieg gegen die Ukraine führt unsicherer denn je, die Spritpreise sind auch deshalb so hoch wie noch nie. Und weil die Klimakrise längst eine Klimakatastrophe ist, müsste man eigentlich ganz aufs Autofahren verzichten. Oder zumindest ein Elektroauto kaufen.

Aber dann haben wir es doch wieder getan. Vier Jahre, nachdem wir unser altes Wohnmobil verkauft haben, haben wir ein neues gekauft. Mit Dieselmotor, weil Wohnmobile mit E-Motor für uns noch zu teuer sind, zu geringe Reichweiten haben – und überdies gaaanz lange Lieferzeiten.

Die sind bei Wohnmobilen zurzeit überhaupt sehr lang: Wer ein neues Wohnmobil bestellt, muss fast ein Jahr Geduld haben. Als wir im Internet das Modell gefunden haben, das wir haben wollten, haben wir schnell zugeschlagen. Denn wer 70 Jahre alt ist wie mein Mann oder auf die 70 zugeht wie ich, hat nicht mehr endlos Zeit.

Je älter ich werde, desto größer wird meine Sehnsucht nach Wasser. Da ich mir wahrscheinlich nie ein Haus am Meer leisten kann, möchte ich zumindest ab und zu ein paar Tage am Meer verbringen, den Sonnenauf- oder -untergang an einem See erleben oder auch in den Alpen. Natürlich könnten wir einfach losfahren oder losfliegen, uns irgendwo ein Hotelzimmer oder eine Ferienwohnung mieten. Doch wir haben es nur selten getan – oder um ehrlich zu sein: Spontan verreist ohne vorher ein Zimmer oder eine Wohnung zu buchen sind wir eigentlich nie.

Wegen Corona waren wir in den letzten Jahren ohnehin sehr wenig unterwegs. Doch das soll sich ändern. Ab Herbst bin ich Rentnerin, und bevor ich zu alt, zu krank oder auch zu bequem zum Reisen bin, möchte ich noch etwas von der Welt sehen. Vor allem von Europa und von Deutschland.

Fliegen ist, das habe ich bei meinem letzten Flug wieder einmal festgestellt, nicht mein Ding. Nicht nur der Flug selbst, sondern das ganze Drumherum stresst mich. Ich bin meist viel zu früh am Flughafen, vertrödele dort einen Großteil der Zeit, die ich durchs Fliegen eigentlich einsparen könnte. Und wenn ich an der Sicherheitskontrolle meinen Rucksack mit diversen technischen Geräten aus- und wieder eingepackt habe, ist ein Teil der Erholung schon wieder perdu. Außerdem finde ich es schade, dass ich so viele Landschaften überfliege, ohne etwas von ihnen zu sehen.

Für mich ist oft der Weg das Ziel. Bei unseren früheren Wohnmobilreisen haben wir auf dem Weg zu unserem Reiseziel viele wunderschöne Orte entdeckt, an denen wir dann gerne geblieben sind. Auf dem kleinen Campingplatz in der Normandie zum Beispiel, wo ich jeden Morgen mit Blick auf den Atlantik aufgewacht bin, oder in Verona, wo wir zwei Opern in der antiken Arena miterleben durften.

Auf dem Weg zum Meer

Die meisten Orte, die noch auf meiner To-visit-Liste stehen, können wir mit dem Wohnmobil erreichen. Ich möchte zum Beispiel in den nächsten Jahren nach Südnorwegen, in die Bretagne oder nach Portugal. Wieder einmal an die Mosel und ins Elsass und endlich einmal an den Bodensee und in die Alpen. Und neben längeren Fahrten stehen vor allem auch kürzere Ausflüge in die nähere und etwas weitere Umgebung auf meiner Wunschliste: mal ein paar Tage an die Ost- oder an die Nordsee, an die Müritz, an den Dümmer oder nach Worpswede. Einfach mal raus, eine kleine Auszeit zwischendurch.

Natürlich hat sich vor dem Kauf mein Umweltgewissen gemeldet: Denn bei der Herstellung und beim Fahren produzieren Wohnmobile leider mehr umweltschädliche Emissionen als „normale“ Autos. Doch weil wir uns für ein ganz kleines Wohnmobil entschieden haben, ist der Unterschied nicht so groß: Unser Wohnmobil verbraucht weniger Sprit als die meisten Sportwagen oder SUVs –  und wir beim Aufenthalt auf dem Camping- oder Stellplatz weit weniger Energie und Wasser als Urlauber im Hotel oder in einer Ferienwohnung. Und umweltfreundlicher als Flug- und Schiffsreisen sind Fahrten mit dem Wohnmobil allemal.

Time to say goodbye

Alles hat seine Zeit. Diejenigen, die meinen Blog abonniert haben, müssen jetzt nicht in Panik verfallen und mir Bitte-tu-es-nicht-Mails schreiben, weil sie befürchten, künftig nichts mehr von mir zu lesen: Ich blogge weiter, auch wenn ich gerade eine längere Pause gemacht habe. Aber wir verkaufen unser Wohnmobil. Anderthalb Jahrzehnte hat es uns durch Europa geführt, zumindest durch einen Teil. Wir waren in Spanien und Italien, in Frankreich, der Schweiz (nur kurz und eigentlich nur einmal auf der Durchreise und ein zweites Mal, weil ich 100 Kilometer gelaufen bin), in Finnland, Schweden und Norwegen und natürlich an vielen Orten in Deutschland.

Das Wohnmobil hat uns treue Dienste geleistet: Wir habe Orte entdeckt, die wir nicht kennengelernt hätten, wenn wir Hotels oder Ferienwohnungen gebucht hätten. Und wir, vor allem ich, verdanken ihm so manche kleine Auszeit zwischendurch. Die werde ich vielleicht am meisten vermissen – einfach mal losfahren, für einen Tag oder zwei, ans Meer, nach Weimar, Dresden, nach Cuxhaven (ich vor allem des Meers, Utz eher des Fischtellers wegen) oder in den Harz. Ohne lange Planung und ohne sich Gedanken machen zu müssen, ob irgendwo noch ein Zimmer frei ist.

Ein paar Plätze sind uns besonders in Erinnerung geblieben: zum Beispiel der in Merville-Franceville in der Normandie. Wir standen direkt am Strand, mit unverstellbarem Blick aufs Meer. Jeden Morgen bin ich am Wasser entlang in den nächsten Ort gegangen, habe Croissants und ein Baguette gekauft, das immer schon angeknabbert war, wenn ich schließlich wieder im Wohnmobil war. Sehr schön waren auch der Campingplatz in Skittenelv, nördlich von Tromsö, direkt am Fjord, und natürlich der kleine Stellplatz auf Hillesoy, ebenfalls bei Tromsö.

Wohnmobil Tromsö
In Skittenelv – campen am Fjord

Mein liebster Stadtcampingplatz war der vor den Toren von Granada. Die Parzellen waren so klein, dass wir mit unserem winzigen Wohnmobil gerade auf die größeren gepasst haben – und auf dem Nachbargrundstück aussteigen mussten. Auf keinem anderen Campingplatz haben wir Menschen aus so vielen Ländern getroffen. Die Atmosphäre war wirklich ganz besonders – und die Ausstattung auch: Die Spülbecken waren uralt, aus Stein und mit Mosaik verziert, ebenso wie die Mauern am kleinen Schwimmbecken. Wenn ich dort geschwommen bin, habe ich mich wie eine nasridische Prinzessin gefühlt.

In der Alhambra waren wir natürlich auch. Fast fünf Stunden haben wir für eine Eintrittskarte angestanden, weil das Online-Buchungssystem nicht funktionierte. Es war sehr heiß, wie es sich für Südspanien gehört, aber das Warten hat sich gelohnt. Zum einem der Alhambra wegen, zum anderen weil wir uns wirklich gut mit den anderen Wartenden unterhalten haben, in einem bunten Mix aus Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch.

Es waren schöne Touren, aber jetzt ist es vorbei. Alles hat eben seine Zeit …  time to say goodbye

Raum ist in der kleinsten Hütte …

… oder im kleinsten Wohnmobil. Unseres ist mit knapp 7 Quadratmetern ziemlich klein – kleiner als die Küchen in der Wohnung unserer Tochter bzw. in unserem Haus. Und trotzdem haben wir zu dritt fast zwei Wochen lang einen schönen Urlaub darin verbracht. Nicht etwa im sonnigen Süden, wo man ohnehin die meiste Zeit draußen verbringt, sondern in Skandinavien, zwischen Helsinki und Tromsö, wo die Tage und vor allem die Nächte im September schon recht frisch sind.

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Klein, aber vielseitig – und mit wunderschöner Aussicht.

Geteilt haben wir drei Erwachsene  den recht begrenzten Platz außerdem mit dem technischen und fotografischen Equipment, das drei computer- und fotoaffine Menschen so brauchen. Denn Nordlichter zu sehen und zu fotografieren war für zwei von drei Reisenden ein Ziel unserer Reise, wenn nicht gar das Hauptziel. Deshalb hatten wir neben diversen Kameras auch zwei große Stative mit an Bord. Und natürlich die Kleidung, die nötig ist, um ganze oder halbe Nächte fast regungslos draußen an der Kamera zu verbringen. Diese Kleidung ist entsprechend voluminös – unsere Tochter fühlte sich eingehüllt in den dick gefütterten Fishermann-Anzug ihres Vaters wie ein Teletubby oder das in Reifen gekleidete Männchen aus der Michelin-Werbung. Doch das modisch eher unvorteilhafte Outfit nahm sie gerne in Kauf, weil sie damit nachts ohne zu frieren das Polarlicht-Blitzgewitter am Himmel fotografieren und bewundern konnte.

Multifunktionell: Vom Ess- zum Schlafzimmer

Wenn er nicht gerade getragen wird, fand dieser Anzug indes, ebenso wie der Polaranzug meines Mannes, in den Mini-Schränken eines Mini-Wohnmobils keinen Platz, sondern musste irgendwo sonst verstaut werden: tagsüber meist auf dem Doppelbett, in dem mein Mann und ich nachts schliefen, nach den nächtlichen Fotosessions irgendwo vorne  auf oder vor dem Beifahrersitz. Der Fahrersitz war tagsüber einer von drei Sitzplätzen – wahlweise am Ess-, Schreib oder Wohnzimmertisch. Nachts verwandelte sich, zusammen mit (Schreib-, Ess-, Küchen- oder Wohnzimmer-) Tisch und Sitzbank in das Bett unserer Tochter, also quasi ins Kinderzimmer.  Das teilte sie wiederum nach nächtlichen Fotosessions mit ihrem Fotoequipment, weil  die Ablage hinten derweil als Elternschlafzimmer diente. Aber das nahm sie für tolle Impressionen und beeindruckende Bilder gerne in Kauf.

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Multifunktionell: mal „Kinderzimmer“ …

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… mal Esszimmer. (Foto: Utz Schmidtko)

Die abendlichen und morgendlichen Umräumaktionen waren zweifellos eine logistische Herausforderung: Nele beherrschte nach ein paar Tagen den Umbau vom Tisch in Bett und umgekehrt wie im Schlaf. Wir arbeiteten beim Umräumen Hand in Hand, reichten alles von vorne nach hinten  – und umgekehrt  – weiter. Das, was in der Logistik als chaotische Lagerhaltung bezeichnet wird, hat sich bei uns bewährt. Und wir brauchten nicht mal einen Computer, um den Überblick zu behalten.

Verloren haben wir nichts, dafür aber die Erkenntnis gewonnen, dass wir auch, zumindest mal für eine kurze Zeit, mit weniger Platz auskommen, als wir im Alltag genießen. Manchmal ist weniger genug. Und manchmal genügt eben doch eine kleine Hütte …

Fehmarn – Besser spät als nie

Manchmal frage ich, warum ich manches erst so spät für mich entdeckt habe. Die Herrenhäuser Gärten beispielsweise, die ich zum ersten Mal besucht habe, als ich schon ein paar Jahre bei Hannover lebte. Seitdem habe ich eine Dauerkarte und gehe oft hin, wenn ich in Hannover bin. Oder Fehmarn. Dabei ist die Ostsee-Insel angeblich die sonnenreichste Insel Deutschlands. Campingplätze gibt es zwar nicht gerade wie Sand am Meer, aber doch sehr viele. Und auch die Entfernung ist einigermaßen akzeptabel. Ohne Stau braucht man von zu Hause aus nur etwa drei Stunden.

Trotzdem haben wir Fehmarn bislang im wahrsten Sinne des Wortes immer links liegen gelassen. Wenn wir ans Meer wollten, sind wir meist vor Lübeck gen Osten abgebogen, um auf den Darß zu fahren. Vielleicht lag‘s daran, dass unser erster und bis dato einziger Fehmarn-Aufenthalt nicht wirklich gelungen war: Der Campingplatz hatte uns trotz fünf Sternen nicht wirklich gefallen. Das gemietete Mobilheim war dunkel, ohne Blick aufs Meer, das Wetter durchwachsen. Und zu allem Überfluss quälte unsere Tochter eine schmerzhafte Augenentzündung, sodass wir fast nach Hause gefahren wären. Kurz: Der Urlaub damals stand offenbar unter keinem guten Stern, vielleicht waren wir einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.

Der erste Eindruck ist ja bekanntlich oft entscheidend. Und so dauerte es rund 20 Jahre, bis wir einen zweiten Versuch wagten: zu einer anderen Zeit, diesmal im Frühjahr, an einem anderen Ort, auf dem Campingplatz Flügger Strand. Bekannte, die den Platz seit Jahren kennen, hatten ihn uns empfohlen.

Aus dem Auto
Das Meer immer im Blick

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Im Vorgarten

Zu Recht: So eine schöne Aussicht hatten wir auf noch keinem Camping- oder Stellplatz in Deutschland. Wir standen in der ersten Reihe, direkt in den Dünen. Rund um die Uhr konnte ich vom Wohnmobil aus das Meer sehen. Auch das Wetter spielte drei Tage lang mit: Es war so, wie die Meteorolügen es vorhergesagt hatten: Die Sonne schien den ganzen Tag, ehe sie abends wie ein roter Feuerball im Meer versank, bestaunt von uns und anderen Campinggästen, die sich dazu am Strand einfanden. Es war faszinierend zu sehen, wie dieses Schauspiel (fast) alle in seinen Bann zog.

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Beeindruckendes Schauspiel: Sonnenuntergang auf Fehmarn (Foto: Utz Schmidtko)

Tagsüber war der Strand oft fast menschenleer, bei unseren Strandspaziergängen trafen wir nur wenige. Nur ein paar Angler standen immer am Strand oder gelegentlich auch bis zur Brust im Wasser. Bemerkenswert war die Ruhe. Obwohl rund um uns alle Stellplätze belegt waren und manche Dauercamper das lange Wochenende nutzten, um ihre Wohnwagen für die bevorstehende Campingsaison fit zu machen, war es still, sehr still. Meist hörte man nur das Branden der Wellen an den Strand und das Brausen des Winds, der uns kräftig um die Ohren blies.

Keine Frage, der Platz ist ideal für eine kleine (digitale) Auszeit zwischendurch. Die mobilen Daten funktionierten auf meinem Smartphone nicht, WLAN gibt es zwar auf dem Campingplatz, aber wir wollten keins. Drei Tage ohne Internet, ohne E-Mails und Computer. Aufs Meer sehen statt fernsehen. Lesen (fast 700 Seiten, „Meine geniale Freundin“ von Elena Ferrante und „Fluch des Schlangenmenschen“ von Foe Rodens, beide Bücher haben mir sehr gut gefallen), schreiben (wieder mal per Hand), fotografieren und malen. Ich bin wieder mal gelaufen (fast schmerzfrei), 162 Stufen hoch auf den Flügger Leuchtturm gestiegen, habe Tai Chi am Strand geübt und die Seele baumeln lassen. Nur gebadet habe ich nicht, obwohl ich das eigentlich wollte. Denn das Wasser war zwar glasklar und verlockend, aber so kalt, dass mir schon meine Füße fast abgefroren sind, als ich ein bisschen durchs Wasser watete.

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Flügger Leuchtturm von unten …

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… und Blick von oben auf die Fehmarnsundbrücke

Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Ich werde es nachholen, wenn wir das nächste Mal nach Fehmarn fahren. Das wird sicher nicht wieder 20 Jahre dauern. Denn Fehmarn hat das Zeug, meine deutsche Lieblingsinsel zu werden.

PS: Für alle, die es genauer wissen wollen: Die Sanitäranlagen sind modern, sehr gepflegt und sehr sauber, das Essen im Restaurant Dünenhaus bei Annette war prima (wir konnten auf der Terrasse essen), der Service sehr freundlich: Dass wir am Abreisetag bis abends bleiben wollten, um den Stau um Hamburg zu umgehen, war kein Problem. So macht Camping Spaß.