Im Nebel

Fast zwei Monate sind seit der Wanderwoche in der Sächsischen Schweiz vergangen, gewandert bin ich seitdem nicht mehr. Im norddeutschen Flachland beschränke ich mich derzeit auf Spaziergänge. Doch weil wir ohnehin in den Harz mussten, habe ich das Angenehme mit dem Nützlichen – sprich einer Halbtageswanderung – verbunden.

Anders als an den Tagen zuvor versteckte sich die Sonne hinter dichtem Nebel, doch auch der hat seinen Reiz. Es war, als sei die Welt in Watte gehüllt und die Farben aus ihr verschwunden. Unsere Jacken und mein blau-grüner Rucksack waren die einzigen Farbtupfer im herbstlich-nebeligen Braun-Grau.

Wanderin im Nebelwald. Foto: Foe Rodens

Und es war still, sehr still. „Im Nebel ruhet noch die Welt,/Noch träumen Wald und Wiesen“, dichtete Eduard Mörike 1838. Der Wald wirkte geheimnisvoll, fast mystisch: Wären zwischen den Nebelschwaden Elfen, Hexen oder andere Fabelwesen aufgetaucht oder wären die Bäume wie die Ents, die Baumwächter, und die Huorns, die Baumgeister, in Tolkiens Herr der Ringe zum Leben erwacht, hätte ich mich nicht gewundert.

Und auch Hermann Hesses Gedicht „Im Nebel“, kam mir in den Sinn, von dem ich nur noch die erste Zeile kannte: „Seltsam, im Nebel zu wandern“. Doch dank world wide web war es kein Problem, mitten im Wald das Gedicht auf dem Smartphone abzurufen und meiner Begleiterin vorzulesen. Wir hatten unterwegs nur wenige Menschen getroffen, doch passend zur letzten Strophe tauchte, just als ich mit dem Vorlesen fertig war, aus dem Nebel ein einsamer Wanderer auf. Ob er das Gedicht gehört hatte, weiß ich nicht, ebenso wenig, ob er einsam war – er schaute auf jeden Fall ein bisschen irritiert.

Die Sonne haben wir übrigens auch noch gesehen: Zwar hat sich der Nebelschleier – anders am von Mörike beschriebenen Septembermorgen – nicht ganz gelichtet. Schließlich ist es ja auch schon Ende November. Aber die Sonne blinzelte mittags gelegentlich hervor und gab zum Beispiel den Blick auf die Rabenklippen frei. Die vielen abgestorbenen Fichten im Tal blieben indes unseren Blicken weitgehend verborgen, gnädig eingehüllt vom Nebel.

Es hat also auf jeden Fall seinen Reiz, im Nebel zu wandern.

Wer das Gedicht von Hermann Hesse nachlesen will, findet es unter

https://www.lyrikline.org/de/gedichte/im-nebel-5490

Eduard Mörikes Gedicht „Septembermorgen“ ist abrufbar unter

http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/moerike_gedichte_1838?p=52

Garten im November

Bevor der unerwartete Frühling im November endgültig vorbei ist und der Monat sich in den letzten Tagen doch noch so zeigt, wie wir es von ihm erwarten – windig bis stürmisch, kalt und regnerisch, novembrig halt –, habe ich den Garten noch einmal fotografiert, wie jeden Monat seit Anfang des Jahres, aus (fast) den gleichen Blickwinken.

Aus dem Teich ist auch das letzte kleine Fröschlein ausgezogen;  zumindest ward es nicht mehr gesehen. Ich hoffe, dass  es seinen Verwandten in größere und vor allem tiefere Teiche gefolgt ist, wo es auch bei einer längeren Frostperiode sicher ist. Vielleicht versteckt es sich aber auch zwischen den Seerosenblättern im kleinen Teich. Die wachsen inzwischen weit über den Teichrand hinaus und bieten nur scheinbar Schutz. Denn im Winter kann der Teich bis auf den Grund frieren. Vielleicht brauchen wir doch einen großen Teich in unserem Garten – für die Frösche, die Seerosen und um meine wachsende Seesucht zu stillen.

Auch die Vogelschutzhecke am Zaun zum Nachbargarten wächst künftig hoffentlich besser. Sie bekommt mehr Licht und Luft, weil der Nachbar nicht nur die Tanne, die alles in den Schatten stellte, gefällt, sondern auch den Holzzaun zwischen unseren Gärten abgerissen hat. Uns eröffnen sich dadurch neue Ein- und Ausblicke  nicht unbedingt erfreuliche, weil der Garten leider gerade zugepflastert wird.

Den Specht an der Eberesche berührt das ebenso wenig …

… wie den Lesezwerg in seinem Bett aus Aubretien. Sie schauen einfach nicht hin.

Das Blaukissen präsentiert sich zurzeit  grün mit laubbraunen Sprenkeln, die Aubretien selbst haben – anders als im Juli und August – wieder grüne Blättchen. Vielleicht haben sie sich von den frühlingshaften Temperaturen täuschen lassen. Doch bis sie sich wieder ganz in Blau präsentieren, vergehen wohl noch einige Monate.

Im runden Rosenbeet blühen immer noch einige rote Rosen, die Christrosen eine Etage tiefer sind schneeweiß – und ihrer Zeit einen Monat voraus. Denn Weihnachten ist ja erst in einem Monat.

Ungewöhnlich spät dran ist in diesem Jahr der Ananassalbei mit seinen roten Blüten. Er wächst, bewacht von der Kräüterhexe, im Kräuerbeet neben der Terrasse . Dort ist wieder viel Platz, seit die Zimmerpflanzen ihre Sommerfrische beendet haben. Nur noch einige ganz harte, unempfindliche Pflanzen sind im Garten, doch auch sie werden noch in diesem Monat ins Haus oder in den Wintergarten zurückkehren. Die Gartensaison ist fast zu Ende.

 

Würmsee im November

Die Meteorologen prophezeien schlechtes Wetter. Und bevor der Novemberfrühling – der gefühlte Frühling im Herbst – endet, fahre ich mit dem Rad zum Würmsee, um meine Chronistenpflicht zu erfüllen und den See, der eigentlich keiner mehr ist, aus immer den gleichen Blickwinkeln zu fotografieren.

Ein wenig Wasser mehr ist da als bei meinem letzten Besuch vor gut zwei Wochen, so scheint es. Oder wirkt alles nur viel freundlicher, weil heute die Sonne scheint? Denn auch dieser Sonntag macht seinem Namen alle Ehre; die herbstlich gelben Blätter leuchten im Sonnenlicht. So macht November Spaß.

Auch die Badende genießt das ungewöhnlich schöne Wetter. Ich leiste ihr ein bisschen Gesellschaft: Ich mache es mir auf einer der beiden Holzliegen bequem – allerdings nicht im Badeanzug, sondern im Anorak – und lege eine Schreibpause ein. Wie oft kann man das schon Mitte November? Auf einen Kaffee muss ich verzichten; die Gaststätte am Seeufer ist geschlossen – nicht nur, weil die Saison vorbei ist, sondern vielleicht für immer.

Den Torffressern geht das frische Grün allmählich aus – das Gras um sie herum ist herbstlich braun und die Bäume sind fast kahl. Aber sie haben keine Angst vor dem bevorstehenden Winter. Denn sie haben ihre Schaufeln, mit denen sie nach Nahrung graben können, immer dabei. Torf werden sie aber nicht mehr finden. Der Torf ist längst abgebaut und auch die Moore gibt es nicht mehr. Die Landwirte haben das Land ringsum entwässert – und damit ungewollt auch den Würmsee.

Das Boot – im Sommer mein Lieblingsplatz – lädt nicht mehr zum Verweilen ein: zu trostlos der Anblick auf den fast wasserlosen See. Grün- und Matschfläche statt Wasserfläche.

Die fünf von der Bank stört es nicht. Vielleicht nutzen sie die Gelegenheit, abends, wenn alle Besucher verschwunden sind, auf dem kürzesten Weg, quer durch den See, zum gegenüberliegenden Ufer zu gehen und dort ihre Freunde, die Torffresser, zu besuchen.

Die Blechmenagerie

Nachdem ich die vertrockneten Stengel und Blüten der Stauden abgeschnitten habe, kommt  auch meine Blechmenagerie wieder zum Vorschein. Die Figuren sind im Laufe der Jahre in unseren Garten eingewandert  und haben sich auf den verschiedenen Beeten verteilt.

Die Eidechse war die Erste, die bei uns Einzug hielt. Doch sie hat sich, scheu wie sie ist, so gut im Beet versteckt, dass ich lange nach ihr suchen musste und  erst ganz zum Schluss gefunden habe.  Ich habe sie vor Jahren im Catalunya, einem kleinen Laden in meinem Heimatort, gekauft und sie mit nach Norddeutschland genommen. Und obwohl sie schon so lange bei uns wohnt, habe ich manchmal das Gefühl, dass sie immer noch die warmen Schiefersteine vermisst, auf denen sich die echten Echsen so gerne sonnen. Ich werde ihr einen mitbringen, wenn ich das nächste mal mit dem Auto an die Mosel fahre.

Gut versteckt

Elch und Huhn stammen aus dem Nachbarort. Dort öffnet alljährlich am Tag der offenen Pforte eine Frau ihren Garten, die Tiere aus Metall produziert und ihren Garten damit dekoriert. Ich schaffe es eigentlich nie, ihren Garten zu verlassen, ohne etwas zu kaufen.  Das Huhn habe ich im vergangenen Jahr entdeckt. Es stand abseits von der Schar – oder heißt es Gruppe oder Herde – und schaute sehnsüchtig nach seinen Artgenossen. Doch die drehten ihm demonstrativ die Hinterteile zu, so, als wollten sie ihm zeigen: Du gehörst nicht zu uns.

Weil das Huhn mir leid tat, habe ich es mitgenommen, in der Hoffnung, dass es sich nicht mehr so ausgegrenzt fühlt, wenn es seine Artgenossen nicht mehr sieht. Es hat, so scheint es, funktioniert. Jetzt führt es in unserem Garten ein zufriedenes Leben. Dass es allein ist, macht ihm offenbar nichts aus. Trotzdem wollte ich ihm in diesem Jahr eine Freundin besorgen, doch das hat covid verhindert: die Aktion Offene Pforte fand in diesem Jahr nicht statt, doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Der Igel wäre neulich fast erschlagen worden, als der Nistkasten sich von der Eberesche löste und herunterfiel. Dem Igel ist glücklicherweise nichts passiert, aber wirklich wohl fühlte er sich dort nicht mehr. Deshalb habe ich ihn weiter ins Beet gesetzt  und ihm eine neue Aufgabe gegeben. Jetzt steht er vor dem Laubhaufen und zeigt seinen lebenden Artgenossen den Weg in ihr potenzielles Winterquartier.

Die drei Vögel sind von der Ostsee zu uns „geflogen“; ich habe sie in einem kleinen Laden in Wustrow, meinem Lieblingsort auf dem Darß, entdeckt. Dass seit geraumer Zeit eine Katze ganz in ihrer Nähe im Beet vor dem Wintergarten wohnt, stört sie nicht – sie fühlen sich zwischen den dornigen Zweigen der Heckenrose sicher. Außerdem verhindert der Teich unter ihnen allzu waghalsige Sprünge und unerwünschte Annäherungen. Denn Katzen sind ja bekanntlich wasserscheu. Selbst Fine, die Nachbarkatze, nähert sich dem Teich nur vorsichtig.

Aber ich glaube, dass sie nachts manchmal ihre Artgenossin aus Metall besucht oder sie sogar auf ihre Streifzüge mitnimmt. Denn manchmal, wenn ich morgens aus dem Wintergarten schaue, schaut unsere Blechkatze in eine andere Richtung als am Abend vorher.

Auch die Kräuterhexe bewegt sich manchmal wie von Geisterhand – oder ist es doch der Wind, der Wind, das himmlische Kind? So hat sie das Kräuterbeet besser im Blick . Zurzeit sieht sie ganz zufrieden aus. Denn der Ananassalbei, der sich lange geziert hat, blüht jetzt doch noch – und sorgt mitten im November für knallrote Farbtupfer in ihrem Kräuterreich. Vielleicht ist sie auch froh, dass der Skorpion aus ihrer Nachbarschaft verschwunden ist. Sie mochte ihn nicht wirklich, vielleicht hatte sie auch ein wenig Angst vor ihm, obwohl sie das nie zugegeben hat.

Der Skorpion durfte von der Terrasse ins Haus umziehen, weil es ihm draußen zu kalt war. Jetzt sitzt er auf meiner Fensterbank und vertreibt hoffentlich seine Verwandten, die Weberknechte, die sich manchmal in mein Arbeitszimmer verirren.

 

Scorpions

Es ist an der Zeit, die Lanze für ein Sternzeichen zu brechen, das auf der Liste der unbeliebten Sternzeichen ganz oben steht: für Skorpione. Glaubt man einer Statistik – was man ja bekanntlich nur tun soll, wenn man sie selbst gefälscht hat –, begehen Menschen, die in diesem Sternzeichen geboren sind, fast die meisten Verbrechen. Nur Krebse haben angeblich noch mehr kriminelle Energie. Und auch in Sagen und Mythen werden Skorpione meist als gefährliche, todbringende Wesen dargestellt. Zu Unrecht, wie ich meine.

Die Liste der negativen Eigenschaften, die Skorpionen zugeschrieben werden, ist lang: Skorpione gelten beispielsweise als eifersüchtig, kompromisslos, misstrauisch, nachtragend, pessimistisch, rachsüchtig, skrupellos, undurchschaubar und verbissen. Dass sie analysierend, ausdauernd, belastbar, engagiert, grübelnd, intelligent, kreativ, leidenschaftlich, selbstkritisch, zäh, zielstrebig und zuverlässig sein sollen, spricht eigentlich für sie. Doch wer vieles hinterfragt und Dingen auf den Grund geht, wie es für Skorpione charakteristisch sein soll, sammelt in der Zeit der Fake News und der alternativen Fakten, der Trumps, Johnsons und Erdogans, der Covidioten und der angeblichen Querdenker wenig Sympathiepunkte.

Und dann ist da natürlich der Stachel, der vielen Angst macht. Dabei könnte ein Blick ins Tierreich helfen. Denn Skorpione setzen ihren Stachel meist zur Verteidigung ein, seltener um Beute zu machen. Der Stich der meisten Skorpione ist für Menschen ungefährlich – die Symptome sind oft eher vergleichbar mit einem Bienenstich. Nur das Gift weniger Arten kann auch für Menschen tödlich sein – wenn sie nicht behandelt werden. Kein Grund zur Panik also – auch wenn ich zugeben muss, dass ich kein Fan der Spinnentiere bin.

Skorpion-Menschen mag ich dagegen meist, wohl auch, weil ich selbst einer bin. Meine beste Freundin ist Skorpion, der beste „Chef“, mit dem ich je zusammengearbeitet habe, und die kompetenteste und freundlichste Kassiererin hier im Ort ebenfalls. Ich kenne keinen Skorpion persönlich, der mir wirklich unsympathisch ist. Im Gegenteil: Wenn ich Leute nett finde, stellt sich im Nachhinein nicht selten heraus, dass sie Ende Oktober oder im November geboren sind – der ähnliche Geburtstermin verbindet, allen Unterschieden zum Trotz.  

Als ich nach dem Studium wieder eine Zeitlang an der Mosel lebte, habe ich zwei Skorpionfeste gefeiert. Die Eingeladenen hatten nur zwei Dinge gemeinsam: Sie waren Skorpione und sie kannten mich. Der Älteste war fast 60, die Jüngste gerade mal 11. Vor dem ersten Fest waren die Gäste skeptisch – vor allem, weil die meisten sich nicht oder nur flüchtig kannten und nicht wussten, was sie erwartete.

Trotzdem kamen alle, die ich eingeladen hatte – und alle verstanden und unterhielten sich prächtig. Der einzige Mann in der Runde, der Mann einer Freundin, verriet mir später, dass er eigentlich nur gekommen sei, weil er nicht unhöflich sein wollte, und dass er fest vorhatte, schnell wieder zu verschwinden. Doch dann blieb er wie alle anderen bis weit nach Mitternacht. Und alle kamen im nächsten Jahr wieder, weil das erste Fest ihnen gut gefallen hatte. Dann bin ich umgezogen und die Skorpionfeste hörten auf.

Schade, meinte eine Teilnehmerin, die ich zufällig fast 30 Jahre später beim Spazierengehen an der Mosel wiedertraf. Sie denke noch oft an die beiden Feste, sagte sie. Sie habe sich selten so gut unterhalten. Und einige Skorpione, die ich später kennenlernte, bedauerten, dass sie nicht dabei waren.

Vielleicht lasse ich die alte Tradition wieder aufleben. Nach Corona. Und im Jahr eins nach Donald Trump.

Übrigens: Trumps Nachfolger Joe Biden ist Skorpion.

Und Happy Birthday Sabine. Herzliche Grüße von Skorpionin zu Skorpionin

Ende in Sicht

„An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“ An diesen Satz aus Erich Kästners Buch „Das Fliegende Klassenzimmer“ denke ich seit Tagen, wenn ich, wie auch jetzt, gebannt die Wahl-Nachrichten aus den USA verfolge. Dort hat Joe Biden jetzt zwar die erforderlichen 273 Wahlmännerstimmen, ist President elect. Aber natürlich will der noch amtierende Präsident, der schlechteste Verliere ever, dagegen klagen. Er hofft, mithilfe der Gerichte an der Macht zu bleiben. Ein Präsident, der meint, dass er über dem Gesetz steht, und der infrage stellt, was den Kern einer Demokratie ausmacht: dass bei einer Wahl alle Stimmen zählen, die abgegeben wurden, egal für wen.

Aber was ist das für eine Demokratie, in der  

  • mehr als fünf Millionen Menschen – überwiegend Schwarze – nicht wählen dürfen, weil sie Straftaten begangen haben – nicht immer schwere -, auch wenn sie ihre Strafe längst verbüßt haben,
  • Wahlmänner und -frauen bei der letzten Wahl einen Präsidenten kürten, der fast drei Millionen Stimmen weniger hatte als die Gegenkandidatin Hilary Clinton,
  • der Präsident vor der Wahl ankündigte, dass er das Wahlergebnis nur akzeptiert, wenn er gewinnt, und seine Anhänger mehr oder weniger unverhohlen auffordert, bei einer Wahlniederlage zu den Waffen zu greifen.

Von seinen Parteifreunden hat kaum einer versucht, Donald Trump Einhalt zu gebieten, kaum einer ist seinen Lügen, seinen Hasstiraden entgegengetreten. Anlässe hätte es in den vergangenen vier Jahren genug gegeben. So hat Donald Trump laut tagesschau.de in seiner Amtszeit mehr als 22.000 irreführende oder falsche Behauptungen verbreitet. Nach der Wahl haben mehrere US-Sender die Übertragung der Pressekonferenz des Präsidenten abgebrochen mit der Begründung, dass er nur Unwahrheiten verbreite. Kein US-Präsident, an den ich mich erinnern kann, hat das Land so gespalten, so viel Öl ins Feuer geschüttet.

Trotzdem haben seine Parteifreunde geschwiegen. Die eigene Karriere war den meisten wichtiger als die Werte, auf die die Amerikaner angeblich so stolz sind. Erst jetzt, wo der Stern des Präsidenten offenbar sinkt, wenden sich einige Republikaner gegen ihn – jetzt, wo es der Karriere wahrscheinlich nicht mehr schadet.

„An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“ Als Erich Kästner das schrieb, hatte er nicht nur die Gymnasiasten im Sinn, die sich mit den Realschülern balgten. In dem Jahr, in dem das Fliegende Klassenzimmer veröffentlicht wurde, wurden Kästners Bücher verbrannt – am 10. Mai 1933 „ … in Berlin auf dem großen Platz neben der Staatsoper von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster-feierlichem Pomp … Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen“, beschrieb Kästner die Bücherverbrennung.

Zehn Jahre später rief Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast zum totalen Krieg auf. Wohin das führte, wissen wir. Trotzdem wählte Donald Trump jr., Sohn des Noch-Präsidenten der Vereinigten Staaten, in der vorletzten Nacht die gleichen Worte: „Das Beste für Amerikas Zukunft wäre es, wenn @realDonaldTrump über diese Wahl in den totalen Krieg zieht, um all den Betrug, das Schummeln (…) offenzulegen, das seit viel zu langem anhält“, twitterte er  (https://www.tagesschau.de/newsticker/uswahl2020-liveblog-105.html#Trump-Sohn-ruft-Vater-zu-totalem-Krieg-um-Wahlausgang-auf). Ich weiß nicht, was mir mehr Angst macht: dass Trump jr. weiß, was er sagt, oder dass er es nicht weiß. Es ist jedenfalls höchste Zeit, den Unfug zu beenden!

What is what

Ja, ich weiß es: Profigärtner empfehlen, vertrockneten Stauden über Winter stehen zu lassen. Zum einen, weil sie im Frühling die nachwachsenden Pflanzen schützen, zum anderen, weil sie Vögeln als Nahrungsquelle und Nützlingen als Winterquartier dienen. Ich habe die vertrockneten Topinamburstengel trotzdem entfernt. Nicht nur aus optischen Gründen, sondern mehr, um den Christrosen und den Herbst-Krokussen Platz und Luft zu verschaffen.

Früher kannte ich nur Krokusse, die im Frühjahr blühen. Deshalb habe ich sicherheitshalbe Flora Incognita, die Pflanzenerkennungsapp auf meinem Smartphone, nach dem Namen der lila Pflänzchen befragt. Die App forderte mich zuerst auf, die Blätter zu fotografieren,doch die konnte ich nicht finden. Nach einem Blick auf die Blüte meinte Flora Incognita, es handele sich um echten Safran.

Nun ist Safran ja bekanntlich eines der teuersten Gewürze – bis zu 30.000 Euro sollen pro Kilo bezahlt werden. Ich überlegte schon, wofür ich die unerwarteten Zusatzeinnahmen verwenden wollte. Ein neuer Nistkasten sollte es auf jeden Fall sein, denn der alte, sehr baufällige, hatte den letzten Sturm nicht überlebt und beim Herabstürzen auch einige der kostbaren Safran-Krokusse erschlagen.

Doch die weitere Recherche holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück: Um ein Kilogramm herzustellen, braucht man 150.000 bis 200.000 Blüten. In unserem Garten blühen maximal 100. Außerdem ist die Ernte sehr mühsam, denn nur die Griffel werden getrocknet und als Gewürz verwendet.

Bei genauerem Hinsehen kamen mir überdies Zweifel, ob bei uns wirklich Safran-Krokusse blühen. Jede Safran-Blüte hat nämlich laut Wikipedia nur einen Griffel, der sich in drei Narben verzweigt. Meine Pflänzchen hatten mehr und so fragte ich meine App ein zweites Mal um Rat: Herbstzeitlose, antwortete sie nach langem Überlegen, war sich ihrer Sache aber nicht sicher.

Erfreulicherweise irrte sie  erneut, denn Herbstzeitlosen sind  sehr giftig – nicht nur für Menschen, sondern auch für viele Tiere, zum Beispiel für Katzen und Vögel. Doch ich muss mich weder um unsere Nachbarkatze, die unseren Garten als ihr Revier betrachtet, noch um die vielen Vögel, die bei uns leben, sorgen. Denn die lila Blümchen entpuppten sich glücklicherweise als harmlose Herbstkrokusse. Die Staubblätter verraten es: Krokusse haben nämlich deren drei, Herbstzeitlose sechs. Wieder etwas gelernt!

Noch nebeneinander - der neue und der alte Nistkasten

PS: Einen neuen Nistkasten haben wir den Vögeln dann doch spendiert, und zwar einen weit gereisten. Mein Mann hat ihn aus Norwegen mitgebracht;  jetzt vermittelt er an unserer Gartenhütte ein bisschen Skandinavien-Feeling.

November

Ich sitze am Schreibtisch und schaue nach draußen: strahlend blauer Himmel, gar nicht novemberlich. Und mir kommt ein Gedicht von Friedrich Hebbel in den Sinn: „Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah …“. Das stimmt nicht ganz, aber zumindest im November sind solche Tage nicht selbstverständlich.

Herbstbild ist (leider) eines der wenigen Gedichte, die ich (fast) auswendig kenne. Und vielleicht ist es mir deshalb im Gedächtnis geblieben, weil wir es in der Schule zusammen mit dem Sommerbild von Hebbel gelernt und interpretiert haben. Diejenigen, die meinen Blog regelmäßig lesen, rollen jetzt wahrscheinlich genervt die Augen, und ich gebe es zu: Ja, ich habe den Anfang schon ein paar Mal zitiert, Sommerbild ist das Gedicht mit der letzten Rose des Sommers, ebenfalls von Hebbel geschrieben (Danke an dieser Stelle an meinen ehemaligen Deutschlehrer H. E., bei dem ich einige Gedichte kennengelernt habe, die immer noch zu meinen Lieblingsgedichten zählen).

Doch zurück: Wir erleben zur Zeit wirklich schöne Herbsttage, wenn auch nicht ganz so windstill, wie Hebbel es beschrieben hat. Früchte, die vom Baum fallen können, gibt es nicht mehr allzu viele. Selbst die Blätter sind schon arg dezimiert. November halt.

Schön ist es trotzdem, heute wie auch gestern. Den Tag gestern habe ich als Geschenk empfunden: Ich war in Hannover, in der Landesbibliothek, die trotz des partiellen Lockdowns geöffnet ist. Anschließend habe ich am Maschsee gesessen – für Anfang November wirklich außergewöhnlich. Und wenn die Meteorolügen recht haben, soll das Wetter auch noch ein paar Tage so bleiben. Es ist, als habe irgendwer Rainer Maria Rilkes Gedicht Herbsttag, gelesen und würde nicht den Früchten, die Heine gemeint hat, sondern uns Menschen ein paar schöne Tage spendieren.

„gib ihnen noch zwei südlichere Tage“.

Vielleicht ist das schöne Wetter ein kleiner Trost für das Trauerspiel auf der anderen Seite des Atlantiks. Ich verfolge es im Liveblog im Internet, und je länger es dauert, desto pessimistischer werde ich – mehr noch, es macht mir Angst.

Dazu passt ein Gedicht „Der November von Erich Kästner, das ich heute Morgen gefunden habe:

„Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor …
Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben.
Die Wälder weinten. Und die Farben starben.“ …

Ich fürchte, dass nicht nur die Farben sterben, wenn in den USA das passiert, was ZDF-Chefredakteur Peter Frey in seinem Kommentar mit einem einen Staatsstreich von oben vergleicht (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/us-wahlen-trump-biden-kommentar-frey-100.html).

Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie der, dessen Name ich nicht nennen möchte, agiert, wenn er noch vier weitere Jahre regiert. Der Albtraum wird – anders als der November – nicht in 30 Tagen zu Ende sein, sondern uns noch lange begleiten. Und der politische Nebel wird sich nicht so schnell lichten wie der auf dem Bild aus Sankt Andreasberg.

Nebel bei Sankt Andreasberg

Hier die Links zu den Gedichten Herbstbild von Friedrich Hebbel

http://www.gedichtsuche.de/gedicht/items/Herbstbild%20-%20Hebbel,%20Friedrich.html

Herbsttag von Rainer Maria Rilke

http://rainer-maria-rilke.de/06b012herbsttag.html

und Der November von Erich Kästner

https://erich-kaestner-kinderdorf.de/Gedichte/november.htm

Würmsee im Oktober

Der erste Eindruck trügt. Vom Parkplatz sieht der Würmsee schon fast wieder wie ein See aus. Der Bagger ist verschwunden. Doch mehr als eine große Pfütze ist der See nicht – trotz der Vertiefung und obwohl es in den letzten Tagen teilweise heftig geregnet hat. Die Aussicht passt zu diesem Herbsttag: eher grau und trübe.

Die Badende könnte immerhin ihre Füße benetzen, doch sehr einladend sieht das Wasser nicht aus. Sie wird nicht vom Steg heruntersteigen, da bin ich mir sicher.

Die Pfähle des Stegs und das Boot auf der anderen Seeseite ragen weit aus dem trockenen Boden. Es ist, als habe man den Stöpsel gezogen, wie in einer Badewanne. Und das hat man ja auch. Die Moore ringsum sind trocken, zu wenig Grundwasser, kein Wasser im See.

Auch der begehbaren Pegel endet längst nicht mehr im Wasser, sondern auf dem ausgetrockneten Seegrund.

Ich fühle mich an Naturfilme aus Afrika erinnert, wo sich Tier um austrocknende Wasserlöcher scharen: Fast rechne ich damit, dass ein paar Gnus herantraben. Hier sind es nur die roten Torffresser, die Letzten ihrer Art, und ein einsamer Reiher, die ihren Hunger stillen. Zumindest der Reiher findet in den Wasserresten offenbar noch genügend Nahrung.

Vielleicht wartet er, bis sich der Reiher auf der Bank entschließt, mit ihm zu gehen pardon, zu fliegen. Doch der hat das Fliegen, so scheint es, schon lange verlernt. Oder er will seine Freunde nicht im Stich lassen, den Fuchs, den Hasen, den Eisvogel und die Kröte. Sie sitzen wie immer auf ihrer Bank und schauen dorthin, wo mal Wasser war. Doch trotz des eher traurigen Ausblicks wirken sie zufrieden. Vielleicht vertrauen sie darauf, dass es irgendwann wieder besser wird. Und vielleicht kennen sie schon die Antwort auf die Frage, die auf ihrer Bank geschrieben steht. Was brauche ich für mein Leben?

Garten im Oktober

Oktober (na ja, noch fast), jetzt bringt vor allem das Laub  noch ein bisschen Farbe in unseren Garten. Die Blätter des Blutweiderichs am Teich sind fast so rot wie die Hagebutten und die Streifen des Leuchtturms Roter Sand. Auch die lila Herbstastern halten sich noch prächtig, trotz des Regens der letzten Tagen, nicht nur am Teich …

… sondern auch im Rosenbeet.

 

Verblüht sind dagegen die Topinambur unter der Eberesche – sie sind so hoch gewachsen, dass sie den Specht fast am Bauch kitzeln. Er lässt es sich gefallen.

Im Kräuterbeet neben der Terrasse halten noch zwei  Ringelblumen – eine gelbe und eine orange – zwischen Minze und Zitronenmelisse die Stellung. Die Hochbeete sind abgeerntet, Feldsalat und Spinat haben sehr gut geschmeckt. Der Feldsalat hat immerhin als Beilage für zwei Mahlzeiten gereicht. Die gut gefüllte Schüssel mit Spinat ist dagegen im Topf zu einem winzigen Klecks zusammengeschmolzen, und wir hätten gehungert , hätten wir die Mahlzeit nicht mit Spinat aus der Tiefkühltruhe verlängert. Ich werde mein Glück versuchen und noch einmal Spinat und Feldsalat aussäen. Ich weiß, dass es eigentlich zu spät ist, aber es soll ja in den nächsten Tagen warm bleiben.

Trotzdem müssen die Zimmerpflanzen  aus der Sommerfrische zurück in ihr Winterquartier, den Wintergarten. Warum soll es ihnen besser gehen als uns? Wir dürfen ja auch nicht verreisen. Und geteiltes Leid ist ja bekanntlich halbes Leid.

Mein Lesezwerg wird draußen überwintern, wie in jedem Jahr. Er will seinen Platz nicht verlassen, obwohl er inzwischen bis auf die rote Mütze  nackt ist. Er sei ein Gartenzwerg, kein Wintergartenzwerg, sagt er in den stummen Dialogen, die ich mit ihm führe. Aber vielleicht spendiere ich ihm ein purpurrotes Mäntlein oder einen Umhang, damit er nicht so friert.