Auf nach Herrenhausen

Endlich war ich wieder in den Herrenhäuser Gärten. Meine Jahreskarte war schon im Oktober abgelaufen und meist kaufe ich mir dann direkt eine neue. Denn ich mag die Gärten, vor allem den Bergarten und den frei zugänglichen Georgengarten, eigentlich zu jeder Jahreszeit. Aber im gefühlten Dauerregen von November bis Februar erschien mir ein Gartenspaziergang dann doch wenig verlockend. Im Großen Garten, der von Grachten umgeben ist, war sogar zeitweise Land unter. Einige Beete und Gewächshäuser standen Tagelang unter Wasser. Wie die Pflanzen das verkraftet haben, wird sich wohl erst in den nächsten Wochen zeigen.

Der Berggarten war von den Überschwemmungen nicht betroffen. Denn er liegt zwar, anders als sein Name vermuten lässt, zwar nicht auf einem Berg, aber doch etwas höher als sein großer Bruder. Der frühere herzogliche Küchengarten wurde laut Wikipedia auf dem Hang einer Eiszeit-Sanddüne angelegt (https://de.wikipedia.org/wiki/Berggarten). Gemüse wird hier schon lange nicht mehr angebaut, dafür wachsen im Berggarten heute rund 12.000 Pflanzenarten – zu jeder Jahreszeit andere.

Jetzt sind die Frühblüher an der Reihe – Scilla, Krokusse, Lenzrosen, Märzbecher, Primeln Narzissen und viele andere, deren Namen ich nicht kenne. Den Staudengrund durchzieht wieder das künstliche Bächlein und die Süntelbuche, mein Lieblingsbaum, zeigt sich – noch ohne Blätter – in ihrer ganzen Schönheit. Was aussieht, wie ein kleiner Wald, ist ein einziger Baum – im Sommer verdecken die Blätter die knorrigen Stämme, Äste und Zweige, die über oder unter der Erde miteinander verbunden sind.

Als die Süntelbuche (Fagus sylvatica ‚Tortuosa‘) im Berggarten um 1880 gepflanzt wurde, waren ihre freilebenden Verwandten schon weitgehend ausgerottet. Denn ihre kurzen, verdrehten, oft miteinander verwachsenen Äste und Stämme eignen sich weder gut als Bau- noch als Brennholz. Und wegen seines teilweisen bizarren Aussehens war das „Deuwelholts“ vielen Menschen unheimlich. Grund genug, den letzten Süntelbuchenwald in den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts abzuholzen.

Die Süntelbuche im Berggarten hat mit 145 Jahren ihre durchschnittliche Lebenserwartung schon erreicht. Die liegt nämlich „bei 120 bis 160 Jahren. Der waagerechte, statisch ungünstige Wuchs scheint das Auseinanderbrechen alter morscher Bäume zu beschleunigen, so dass 300 Jahre nicht erreicht werden“, heißt es bei Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Süntel-Buche). Im Berggarten stützt ein starker Zaun die alte Dame – und so ist zu hoffen, dass sie ein ähnliches Alter erreicht wie ihre Verwandten bei Raden im Auetal oder im Schlosspark von Haus Weitmar in Bochum. Beide sind über 250 Jahre alt, die Süntelbuche in Herrenhausen wird mich also hoffentlich lange überleben.

Übrigens: In Bad Nenndorf am Deister kann man Süntelbuchen fast in „freier Wildbahn“ bewundern. Fotos von der Süntelbuchenallee gibt es unter https://timetoflyblog.com/eine-allee-der-besonderen-art und unter https://foerodens.wordpress.com/2024/01/14/alt-und-knorrig-die-suntelbuchenallee/

Wenn Männer Frauen die Welt erklären

Vor ein paar Tagen habe ich auf spiegel.de zufällig den Artikel „Mansplaining auf TikTok“ gelesen. Als die Profigolferin und Golflehrerin Georgia Ball einen Abschlag filmt, um ihren mehr als 150.000 Followern auf TikTok zu zeigen, wie frau es richtig macht, wird sie von einem Mann unterbrochen. Er erklärt ihr, was sie ändern und besser machen sollte. Er wisse, wovon er spreche, schließlich spiele er seit 20 Jahren Golf (https://www.spiegel.de/netzwelt/apps/profi-golferin-georgina-ball-mit-mansplaining-hit-auf-tiktok-vielen-dank-fuer-ihren-ratschlag-a-0a5c7115-5e0a-41bc-b4df-679d3c9fe4c7?utm_source=pocket-newtab-de-de). Stoppen lässt er sich bei seinen Belehrungen nicht: Was zählen schon Ausbildung, Erfolge oder auch Titel einer Frau gegen die geballte männliche Erfahrung.

Was Mansplaining ist, erklärt der Autor (tmk – Torsten Kleinz) in seinem Artikel: „Dabei setzen insbesondere ältere Männer voraus, dass ihr Gegenüber inkompetent oder unerfahren ist, drängen ihre Ratschläge auf und reagieren dabei nicht auf zarte Hinweise.“ Rebecca Solnit erwähnt er dagegen nicht. Die bekannte amerikanische Schriftstellerin und Essayistin hat das Wort, das sich aus den Worten Man (Mann) und explaining (erklären) zusammensetzt, zwar nicht erfunden. Aber sie hat in ihrem Essay „Men Explain Things to Me“ – „Wenn Männer mir die Welt erklären“* – das Phänomen, das viele Frauen kennen, beschrieben und weltweit zum Gesprächsthema gemacht.

Rebecca Solnit erlebte vor mehr als 20 Jahren, an einem Sommertag im Jahr 2003, Ähnliches wie Georgia Ball. Der Gastgeber einer Party fragte sie, damals schon eine renommierte Autorin, worüber sie schreibe. Als Rebecca Solnit ihr kurz zuvor veröffentlichtes Buch über den Foto-Pionier Eadweard Muybridge nannte, empfahl er ihr ein „ausgesprochen wichtiges Buch“, das sie unbedingt lesen müsse. Hinweise, dass seine Gesprächspartnerin eben jenes Buch geschrieben hatte, überhörte „Mr. Wichtig“ geflissentlich.

Rebecca Solnit schildert die Episode in ihrem Essay, den sie erst ein paar Jahre später, dann aber in nur wenigen Stunden schrieb. „Dieser Essay wollte niedergeschrieben werden“, schreibt sie im Postskkriptum zum Essay: „Kein anderer Text, den ich je geschrieben habe, hat solche Verbreitung gefunden. Er hatte eine Saite angeschlagen. Einen Nerv getroffen.“

Men Explain Things to Me“ wurde zunächst nur online auf der unabhängigen Website TomDispatch veröffentlicht. Auf der Website Guernica bekam er dann „im Lauf der Jahre Millionen Klicks, weil die Erfahrungen und Situationen, die ich beschrieb, so brutal alltäglich waren, aber kaum Beachtung fanden“, so Rebecca Solnit in ihrem Buch Unziemliches Verhalten. Das Wort „Mansplaining“ wurde laut Wikipedia in Australien zum Wort des Jahres 2014 gekürt. „In der Begründung der Jury hieß es, Mansplaining sei ein ‚dringend erforderliches, klug geprägtes Kunstwort, das auf eingängige Weise die Idee der herablassenden Erklärweise einfinge, die manche Männer nur allzu häufig Frauen gegenüber an den Tag legen‘.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Mansplaining)

Selbst wenn sie wissen, dass ihr weibliches Gegenüber Expertin auf einem Gebiet ist, meinen manche Männer, dass die Frau auf (männliche) Hilfe angewiesen ist. Sie sei als Referentin zu einer Veranstaltung eingeladen worden, erzählte mir eine Informatikprofessorin. Weil bis zum Beginn ihres Vortrags noch Zeit war, schaltete sie ihren Computer auf Stand-by. Als der Bildschirm schwarz wurde, sprang ein Mann aus dem Publikum auf, lief zum Pult und wollte sich an ihrem Computer zu schaffen machen – um der Computerexpertin bei ihrem vermeintlichen Computerproblem zu helfen. Das habe sie natürlich verhindert, erklärte die Professorin. „Ungefragt den Computer einer Informatikerin anfassen geht gar nicht!“

Merke: Selbst Doktor- und Professorinnentitel schützen Frauen nicht vor Männern, die ihnen die Welt und ihr Fachgebiet erklären wollen.

*Dieser Artikel enthält unbezahlte Werbung

Der Essay „Wenn Männer mir die Welt erklären“ wurde erstmals 2014 auf Deutsch im gleichnamigen Buch veröffentlicht. Es enthält außerdem sechs weitere Essays von Rebecca Solnit.

Rebecca Solnit: Wenn Männer mir die Welt erklären. Essays. Aus dem amerikanischen Englisch von Kathrin Razum und Bettina Münch. Mit Bildern von Ana Teresa Fernandez. Btb Verlag, München 2017, 12 Euro.

Der von Georgia Ball veröffentlichte Vidoclip wurde laut Spiegel.de bis zur Veröffentlichung des Artikels am 25. Februar elf Millionen Mal auf TikTok angesehen, auf Instagram erreichte Ball zwölf Millionen Nutzerinnen und Nutzer – inzwischen dürften es viel mehr sein. Wer will, kann sich den Film in der Ard-Mediathek ansehen unter https://www.ardmediathek.de/video/morgenmagazin/profispielerin-georgia-ball-ueber-ungewollte-tipps/das-erste/Y3JpZDovL3Nwb3J0c2NoYXUuZGUvc3BvcnRzY2hhdS1mZm1wZWctdmlkZW8tNDM0MjI0Nzc

Monatsrückblick Februar 2024

Lag’s daran, dass der Monat kürzer war? Hatte ich einfach anderes zu tun? Zum Beispiel im Garten, der so langsam aus dem Winterschlaf erwacht. Oder brauchte ich auch einfach mal eine Pause? Warum auch immer: Ich war im Februar weniger unterwegs als im Januar, aber ich habe doch einiges erlebt.

Im Museum: Pablo Picasso I Max Beckmann MENSCH – MYTHOS – WELT

Picasso meets Beckmann, seit Mitte Februar zumindest im Sprengel Museum. Persönlich begegnet sind sich die beiden Schlüsselfiguren der modernen Malerei nie, obwohl sich Max Beckmann zeitweise in Paris aufhielt, wo Pablo Picasso damals lebte. Aber sie kannten die Bilder des anderen. „Tatsächlich fühlte Beckmann sich von Picassos beispiellosem Erfolg in der internationalen Kunstwelt lebenslang herausgefordert und angespornt. Nur zu gern hätte er seine Bilder neben denen seines heimlichen Rivalen ausgestellt gesehen. Von Picasso wiederum ist überliefert, dass er Beckmanns Werk schätzte. Nach dem Besuch von dessen erster Ausstellung in Paris 1931 soll er über ihn gesagt haben: „Il est très fort.‘“, heißt es auf der Website des Sprengelmuseums (https://www.sprengel-museum.de/museum/aktuelles/picasso-beckmann).

In der gemeinsamen Ausstellung des Von der Heydt-Museum Wuppertal und des Sprengel Museums Hannover wird Beckmanns Wunsch wahr. Dort hängen die Bilder der beiden Maler – insgesamt rund 200 – quasi Wand an Wand.

Der Andrang war zwei Tage nach der Ausstellungseröffnung ziemlich groß. Mich hat die Ausstellung allerdings nicht wirklich begeistert: Ich war nie ein großer Beckmann-Fan, und auch von den ausgestellten Picassos haben mir nur wenige wirklich gut gefallen. Aber ich werde sicher noch einmal hingehen. Vielleicht ist es wie bei Paula Modersohn-Becker ja auch Begeisterung auf den zweiten Blick. Die Paula Modersohn Ausstellung im Landesmuseum Hannover wurde übrigens bis zum 20. Oktober verlängert.

Am Würmsee

Wirklich schön fand ich es am Würmsee. Der Teich bei Kleinburgwedel führt zurzeit so viel Wasser führt wie schon lange nicht mehr – das lässt hoffen, dass er in diesem Sommer vielleicht nicht austrocknet. Jetzt sind die beiden Holzstege, auf denen ich bei warmem Wetter gerne sitze, überflutet, die Badenden haben sich auf das Geländer geflüchtet, um keine nassen Füße zu bekommen. Steg und Boot auf der anderen Seeseite sind ganz versunken. Wie es den roten Torffressern geht, weiß ich nicht. Denn der Weg auf der Nordseite des Sees ist nur mit Gummistiefeln passierbar. Wer wie ich mit normalen Schuhen unterwegs ist, kann den See nicht umrunden, sondern muss auf etwa der Hälfte der Strecke umkehren. Die Torffresser stehen wahrscheinlich bis zu den Knien im Wasser. Aber das macht ihnen wahrscheinlich wenig aus. Sie sind als Torffresser ja morastigen Untergrund gewöhnt.

Bis zu meiner Lieblingsbank auf der Südseite des Sees reicht das Wasser noch nicht; so kann ich neben dem Reiher, dem Fuchs, dem Hasen, dem Eisvogel und der Kröte Platz nehmen und über die Frage nachdenken, die auf der Bank steht: Was brauchst du für dein Leben?

Kurzer Monat, kurze Gedichte

Genau weiß ich das immer noch immer nicht, aber sicher brauche ich viel weniger Zeug, als ich im Lauf der Jahre angesammelt habe. Meinen Vorsatz, mich jeden Tag von einem Gegenstand zu trennen, habe ich auch im Februar durchgehalten – ebenso wie den, jeden Tag ein Haiku zu schreiben. Denn schließlich ist der Februar der „National Haiku writing Month“.

Nun haben meine Haikus mit den traditionellen japanischen Gedichten sicher wenig gemein. Denn die Kurzgedichte aus dem fernen Osten haben laut Wikipedia einen Bezug zur Natur und bilden mit ganz wenigen Worten ein einmaliges Ereignis sowie die damit verbundenen Gefühle ab. Die einzige Vorgaben, an die ich mich beim Schreiben meiner Haikus für den Hausgebrauch (fast) immer halte, sind Zeilen- und Silbenzahl. Die erste Zeile hat fünf, die zweite sieben und die dritte wieder fünf Silben.

Doch ausgerechnet diese Regel ist inzwischen überholt. Weil die japanischen Lauteinheiten, die Moren, anders als die deutschen Silben „alle gleich lang sind und weniger Information tragen, dürfen es durchaus auch mehr oder weniger Silben sein (https://de.wikipedia.org/wiki/Haiku).

Lyrik und andere Lesungen

Mit Lyrik kenne ich mich nicht besonders gut aus. Weil ich das ändern will und mich Gedichte immer mehr faszinieren, habe ich das von Sabine Göttel moderierte Werkstattgespräch Lyrik im Literaturhaus Hannover besucht. Das Konzept gefällt mir: Zwei LyrikerInnen – an diesem Abend Eva Taylor und Alexander Rudolfi – tauschen sich über Kernfragen ihrer Arbeit aus, geben Einblicke in ihre poetischen Positionen und ihre unterschiedlichen Schreibweisen. Von Eva Taylor würde ich gerne mehr lesen, mit den Gedichten von Alexander Rudolfi kann ich dagegen wenig anfangen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich ihn akustisch nur schwer verstehen konnte. Schade eigentlich.

Vielleicht sollte sich Alexander Rudolfi ein Beispiel an Ewald Arenz nehmen, dessen Lesung ich ein paar Tage vorher besucht hatte. Ewald Arenz ist ein echter Leseprofi – kein Wunder, als Lehrer ist er ja gewohnt, sein Publikum zu unterhalten und bei Laune zu halten. Und die Besucherinnen und Besucher im Amtshof in Burgwedel waren sicher interessierter, als es seine SchülerInnen oft sind.

Neue Technik, neue Möglichkeiten

Apropos Zeug: Eigentlich versuche ich ja, meinen Konsum und meinen Besitz zu reduzieren. Trotdem konnte ich nicht widerstehen und habe mir – nach langem Überlegen – ein iPad gekauft. Ich habe lange überlegt. Denn das iPad ist deutlich leichter als mein Notebook – ein großer Vorteil, wenn ich unterwegs bin. Außerdem kann ich darauf mit der Hand schreiben – das Programm wandelt das von Hand Geschriebene automatisch in getippten Text um, den ich dann in Word abspeichern und an meinem Notebook weiterverarbeiten kann. Auch dass ich in schon vorhandene Dateien hineinschreiben und überarbeiten kann, finde ich toll. Das ist noch besser als das Smartpad, das ich mir vor einiger Zeit mal gekauft und über das ich auch schon mal einen Blogbeitrag geschrieben habe (https://timetoflyblog.com/schreiben-mit-der-hand-2-0). Und last, but not least hoffe ich, dass ich nicht nur meine gekauften E-Books auf dem Gerät lesen kann, sondern dass darauf auch die Onleihe funktioniert. Auf dem Portal Onleihe Niedersachsen haben sich mehr als 150 Büchereien zusammengeschlossen. In der Online-Bibliothek kann frau rund um die Uhr digitale Medien wie E-Books und E-Papers kostenlos ausleihen und nutzen (https://www.onleihe.de/nbib24/frontend/welcome,51-0-0-100-0-0-1-0-0-0-0.html). Auf meinem Kindle funktioniert die Onleihe leider nicht – und einen zweiten E-Book-Reader wollte ich nicht anschaffen und mitschleppen. Ob das Ausleihen auf dem iPad klappt, habe ich noch nicht ausprobiert. Aber ich werde sicher im nächsten Monatsrückblick darüber berichten.

Winter ade

Pünktlich zum Beginn des meteorologischen Frühlings zeigt sich das Wetter nach gefühlt drei Monaten Dauerregen von seiner freundlichen, wirklich frühlingshaften Seite. Die Sonne scheint und mittags ist es sogar manchmal so warm, dass ich ohne Jacke im Garten arbeiten kann.

Nach ein paar Arbeitseinsätzen sieht unser Garten wieder einigermaßen aufgeräumt aus. Mein Mann hat die Bäume geschnitten, ich habe die vertrockneten Stengel und das Laub vom letzten Jahr aus den Beeten entfernt, ebenso die Efeuranken, die sich partout nicht an unsere Absprache halten: An den Zäunen dürfen sie sich nach Herzenslust ausbreiten, die Beete sind efeufreie Zone.

Auch die Heckenrose neben dem Teich musste weichen: Wir haben sie abgeschnitten und die Wurzeln ausgegraben. Denn sie ist uns in den vergangenen Jahren nicht nur über den Kopf, sondern auch immer wieder über den Zaun gewachsen. Wir haben die Triebe zwar regelmäßig gestutzt haben, trotzdem ragten sie mit ihren spitzen Dornen über den Teich und – noch schlimmer – über den Rad-/Fußweg, der an unserem Grundstück vorbeiführt. Geblüht hat die Pflanze nur wenig – und die wenigen Blüten dufteten leider überhaupt nicht.

Im Moment wirkt der Platz neben dem Leuchtturm noch etwas kahl, aber die Stellenbeschreibung für Nachfolgerin am Teichrand ist schon fertig: Sie soll üppig blühen, duften, vogel- und bienenfreundlich sein und möglichst nicht höher als zwei Meter werden. Die Farbe ist nicht soooo wichtig, allerdings werden bei gleicher Qualifikation pink bis lila blühende Pflanzen bevorzugt.

Derzeit dominieren in unserem Garten lila Blüten: Krokusse, Scilla und Hyazinthen fühlen sich in unserem Garten wohl und vermehren sich selbst. Auch die Primel am Teich hat den Winter gut überstanden, nur die Veilchen zieren sich noch, aber sie wollen, um mit Eduard Mörike zu sprechen, wohl „balde kommen“. Für gelbe Farbtupfer sorgen Winterlinge, Krokusse, Narzissen und natürlich die Forsythien.

Wie ein blaues Band liegt das Blaukissen vor unserem Wintergarten. Wenn die ersten Blüten im Februar aufblühen, weiß ich, dass es Frühling wird. Im letzten Jahr hat Fine, die Katze unserer Nachbarn, gerne auf den blauen Blüten gelegen und sich gesonnt. Im Herbst ist Fine gestorben. Ich werde sie vermissen, auch wenn sie mich manchmal erschreckt hat, wenn sie plötzlich neben mir auftauchte.

Der Lesezwerg sitzt dagegen seit Jahren an der gleichen Stelle – im Sommer wie im Winter, immer in das gleiche Buch vertieft. Er zeigt seine Gefühle nicht, aber ich bin sicher, dass auch er sich auf den Frühling freut und die ersten Sonnenstrahlen auf seinem inzwischen fast nackten Körper genießt.

Wer Eduard Mörikes Gedicht „Er ist’s“ nachlesen will, findet es im Internet unter https://www.gedichte7.de/er-ists.html

Schwierige Beziehungen

„Welche Pflanze kostet euch am meisten Nerven und trotzdem könnt ihr nicht ohne sie?“ Diese Frage wurde vor einigen Tagen auf dem Instagram-Account #mein_schöner_Garten gestellt. Ich beteilige mich nur selten an solchen Umfragen, aber diesmal antwortete ich spontan: „Rittersporn“. Denn mein Verhältnis zu dieser Staude lässt sich kurz beschreiben: Ich liebe sie, aber diese Zuneigung beruht leider nicht auf Gegenseitigkeit.

Seit Jahren versuche ich, den Delphinium, so der offizielle Name des Rittersporns, in unserem Garten anzusiedeln – mal in dem Beet vor dem Wintergarten, meist aber in dem runden Rosenbeet. Denn angeblich ist Rittersporn ja ein idealer Begleiter für Rosen. Und sonnig, wie von Fachleuten empfohlen, sind beide Beete.

Trotzdem gibt der Delphinium in der Regel nur ein kurzes Gastspiel in unserem Garten. Spätestens am Ende des Sommer verschwindet er auf Nimmerwiedersehn. Nur einmal überlebte er den Winter und blühte im nächsten Jahr erneut. Doch mein Gärtnerinnenglück war nur von kurzer Dauer. Nach dem zweiten Saison ereilte auch diesen Rittersporn das Schicksal seiner Vorgänger. Er verblühte und ward nie wieder gesehen.

Leider ist der Rittersporn nicht die einzige Pflanze, die mich weniger mag als sie. Noch weniger Glück habe ich mit Sonnenblumen. In den Gärten der Nachbarn wachsen sie zuhauf, vermehren sich selbst und werden mannshoch, bei uns widersetzen sie sich leider allen Ansiedlungsversuchen. Obwohl ich schon unzählige Sonnenblumensamen ausgesät habe, ist unser Garten quasi eine sonnenblumenfreie Zone. Auch meine Hoffnung, dass sich aus den Kernen, die ich von Herbst bis Frühjahr für die Vögel ausstreue – mit oder ohne Umweg über den Vogelmagen – die eine oder andere Blüte entwickelt, wurde bislang enttäuscht. Wenn ich schon blühende Sonnenblumen mit Wurzeln kaufe und einpflanze, überleben sie oft nicht einmal die erste Nacht im Freien. Ich habe die Schnecken im Verdacht, aber überführen konnte ich sie bislang noch nicht.

Dass man die Hoffnung nie aufgeben soll, zeigen die Winterlinge (Eranthis hyemalis). Angeblich sind sie total pflegeleicht und im Garten einer Freundin bildeten sie in der Tat alle Jahre wieder von Februar bis April einen dichten gelben Teppich. In unseren Beeten zeigte sich dagegen keine einzige gelbe Blüte, so sehr ich mich auch um sie bemühte. Vor drei Jahren habe ich dann ein paar Zwiebeln aus Bärbels Garten aus- und in meinem Garten eingegraben. Leider vergeblich. Das habe ich sehr bedauert, nicht nur, weil ich Winterlinge mag, sondern vor allem, weil meine Freundin kurz nachdem sie mir die Zwiebeln geschenkt hat gestorben ist.

Weil ich ein blühendes Andenken an sie wollte, habe ich auch in diesem Jahr – wie in den beiden vorangegangenen – wieder Winterlinge gekauft und gepflanzt. „Es ist eure letzte Chance“, habe ich beim Einpflanzen gedroht.

Ob es Zufall ist oder ob die Drohung gewirkt hat, weiß ich nicht: Inzwischen haben sich an auch an zwei Stellen im Garten Winterlinge hervorgewagt. Ob sie aus Bärbels Garten stammen, weiß ich nicht und es ist mir auch egal: Hauptsache sie sind da.

Feng Shui

Glaubt ihr an Feng Shui? Diese aus China stammende daoistische Harmonielehre, die durch die Gestaltung der Wohn und Lebensräume eine Harmonie zwischen Menschen und ihrer Umgebung erreichen will (https://de.wikipedia.org/wiki/Feng_Shui)? Ich bin zwar für fernöstliches Gedankengut durchaus empfänglich: Ich mache täglich Yoga, und es bekommt mir gut. Und Akupunktur wirkt bei mir Wunder, wenn ich Rückenschmerzen habe. Aber von Feng Shui habe ich üerhaupt keine Ahnung. Vor ein paar Tagen bin ich eher zufällig auf einige Ratschläge gestoßen, wie man sein Arbeitszimmer einrichten soll, damit das Chi, die kreative Energie, frei fließen kann – oder was man besser vermeiden sollte.

So sollte man auf keinen Fall mit dem Rücken zur Tür sitzen. Weil man dann nie weiß, wer sich nähert oder hereinkommt, stört diese Position angeblich die Konzentration und macht unruhig. Außerdem ist es nach Feng Shui nicht ratsam, den Tisch genau vor dem Fenster zu positionieren. Der Blick nach draußen lenkt nämlich unnötig von der Arbeit ab. Ich habe also bei der Einrichtung meines Schreib-/Arbeitszimmers eigentlich alles falsch gemacht.

Nun ist die Gefahr, dass irgendjemand plötzlich in Zimmer kommt, nicht besonders groß. Denn erstens wohnen mein Mann und ich ja alleine im Haus, und zweitens verraten die knarrenden Treppenstufen zuverlässig, wenn jemand sich nähert.  Und auch die Ablenkung durch den Blick durchs Fenster hält sich in Grenzen: Durch das Fenster auf der Giebelseite sehe ich nur die Krone des Kirschbaums in unserem Garten und die obere Etage der Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo sich zumindest tagsüber, wenn ich am Schreibtisch sitze, nie etwas tut. Und das schräge Dachfenster über dem Zeichentisch gibt nur den Blick auf den derzeit meist grauen Himmel frei. Aber tatsächliche Verhältnisse und uralte Instinkte sind eben zwei völlig verschiedene Dinge.

Nun sind die Gestaltungsmöglichkeiten in meinem Zimmer begrenzt. Die hohen Bücherregale haben eben nur an den geraden Wänden Platz. Am Grundriss und and der Position von Fenstern und Tür läßt sich nichts ändern. Und ich möchte auf keinen der beiden Arbeitstische verzichten. Sie haben zwar weder abgerundete Ecken noch eine geschwungene Form, was für Menschen, die kreativ arbeiten, am günstigsten sein soll. Aber sie sind groß und aus hellem Holz – und sie gefallen mir immer noch ausfesprochen gut. Und so habe ich die Tische nur anders platziert: Sie stehen jetzt jeweils im 90-Grad-Winkel zum Fenster, angeblich die optimale Position. Wenn ich an ihnen sitze, habe ich jetzt die Tür im Blick. Den schwarzen Monitor, den ich eigentlich nur für meine Korrekturaufträge benötige, habe ich bei der Umräumaktion auf einen Extratisch verbannt, an dem ich künftig korrigieren werde. Dort stört er optisch weniger – und ich muss ihn nicht jedes Mal von einem Tisch auf den anderen und wieder zurückhieven.

Außerdem habe ich meinen Schreib- und Maltisch getauscht. So habe ich jetzt beim Schreiben und Recherchieren den Raum und die Tür im Blick, beim Zeichnen schaue ich allerdings auf eine Wand. Das sprichwörtliche „Brett vorm Kopf“ ist zwar laut Feng Shui für die Kreativität nicht sonderlich günstig. Aber immerhin verschwindet die Wand teilweise hinter dem Bücherregal – und Bücher machen mich ja bekanntlich glücklich. Und die Bilder von Paula Modersohn, Annette Walz, Edvard Munch und Jack Davis dazwischen inspirieren mich hoffentlich, mehr zu zeichnen.

Ob die Umräumaktion was nützt, wird sich zeigen, aber schaden tut’s gewiss auch nicht, alte bewährte Regeln und Hinweise zu befolgen. Und mir gefällt das Zimmer, wie es jetzt ist. Und das ist eigentlich die Hauptsache.

Monatsrückblick Januar 2024

Natürlich bin ich mit guten Vorsätzen ins neue Jahr gestartet, obwohl ich sie nicht so genannt habe. Denn viele gute Vorsätze überleben bekanntlich den Januar nicht, bei mir sterben manche sogar schon in der ersten oder zweiten Woche des Jahres. Deshalb habe ich meine Ziele diesmal in einer drei Monats-Liste aufgeschrieben – und einiges in der Tat schon im ersten Monat umgesetzt.

So habe ich meinen Vorsatz, jeden Tag einen (nicht mehr gebrauchten) Gegenstand zu wegzuwerfen oder wegzugeben, zumindest im Durchschnitt eingehalten. Ich habe die Sachen allerdings micht täglich, sondern kompakt bei zwei kleineren Ausmistaktionen aussortiert. Und ich habe auch nicht an jedem Tag eine Zeichnung oder Skizze gemacht, aber immerhin an fast jedem, und an manchen sogar zwei. Das gleicht sich fast aus. Daran, jeden Tag mit einer Mischung aus aus Indoor-Walking, Gymnastik, Yoga und Journalschreiben ausklingen zu lassen, habe ich mich inzwischen gewöhnt – und die Abendroutine bekommt mir gut.

Gegangen bin ich laut meinem Fitnesstracker im Januar durchschnittlich 12.120 Schritte – und damit täglich 2000 mehr, als ich mir eigentlich vorgenommen hatte. Daran hatten auch die beiden Wanderungen im Harz ihren Anteil. Bei der ersten bin ich mit meiner Tochter von Bad Harzburg zur Marienteichbaude gewandert, bei der zweiten durch das Okertal zum Romkehaller Wasserfall. Ich staune jedes Mal, was ein paar Kilometer und ein paar Höhenmeter ausmachen. Als wir in Bad Harzburg loswanderten, lag dort kein Schnee, aber schon nach einem Kilometer stapften wir durch eine Winterlandschaft. Der Romkehaller Wasserfall war fast vollständig vereist – und trotzdem hat ein ganz mutiger Kletterer versucht, ihn zu erklimmen. Geschafft hat er es allerdings nicht, solange wir zugesehen haben. Irgendwann gab er auf und seilte sich vom vereisten Fels ab.

Überhaupt war ich im Januar viel unterwegs – mein 49-Euro-Ticket hat sich wieder einmal mehr als bezahlt gemacht. Anfang des Monats habe ich meinen Mann zum Flughafen nach Hamburg gebracht und mir auf dem Rückweg einen kleinen Abstecher an die Binnenalster gegönnt. Es war ein wunderschön sonniger Tag und ich habe den Blick aufs Wasser wirklich genossen. Sonne und Blicke aufs Wasser satt gab es auch am nächsten Tag bei einem kurzen Ausflug zum Altwarmbüchener See in der Nachbargemeinde.

Eine Woche später bin ich dann nach Berlin gefahren – um mir die Munch Ausstellung im Museum Barberini in Potsdam anzusehen, vor allem aber auch, um zwei Schulfreundinnen wiederzusehen, die in Berlin wohnen. Zu der einen ist der Kontakt nie abgerissen, wir haben uns in den vergangenen Jahren gelegentlich getroffen – entweder in Berlin oder in unserem Heimatort, in dem schon unsere Mütter gemeinsam zur Schule gegangen sind. Die andere, die ich schon aus dem Kindergarten kenne, habe ich nur zweimal gesehen, seit wir vor fast einem halben Jahrhundert an verschiedenen Schulen Abitur gemacht haben. Und obwohl unsere Leben sehr unterschiedlich verlaufen sind, sind wir irgendwie vertraut miteinander¸ es gibt eine gemeinsame Ebene: Wenn wir uns treffen ist es, als hätten wir uns vor ein paar Tagen oder Wochen zuletzt gesehen.

Bei der einen Freundin habe ich übernachtet, mit der anderen habe ich die Munch Ausstellung in Potsdam und das Anne Frank Zentrum in Berlin besucht. Das stand schon lange auf meine To- visit-Liste, jetzt hat es endlich mal geklappt.

Die Dauerausstellung „Alles über Anne“ gewährt nicht nur Einblicke in Anne Franks Leben, sondern schlägt auch eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart. Sie richtet sich vor allem an Kinder unnd Jugendliche, die sich durch Annes Schicksal oft besonders angesprochen fühlen. Denn schließlich war sie in ihrem Alter, als sie mit ihrer Familie untertauchen, sich in einem Hinterhaus verstecken musste, schließlich doch entdeckt, in Konzentrationslager verschleppt und ermordet wurde. „Über die Beschäftigung mit dem Tagebuch und Annes Biografie bekommen die Schülerinnen und Schüler einen persönlichen Zugang zur Geschichte des Nationalsozialismus, des Antisemitismus und des Holocaust. Wir wollen sie aber auch anregen, sich mit Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung und Flucht in der Gegenwart auseinanderzusetzen“, sagte mir Veronika Nahm, die Leiterin des Anne Frank Zentrums, vor einiger Zeit mal in einem Interview (https://www.friedrich-verlag.de/bildung-plus/schulleben/auf-den-spuren-anne-franks/).

Die Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und Faschismus ist nötiger denn je. Denn der Hass auf nimmt nicht nur in Deutschland seit dem Überfall der Hamas Terroristen auf Israel zu – bei den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen wird die rechtsextreme AfD möglicherweise stärkste Fraktion. Doch seit das Recherchenetzwerk Correctiv aufgedeckt hat, wie rassistisch Mitglieder der AfD sind und welche Deportationspläne sie für Deutschland schmieden, gehen Hundertausende Menschen auf die Straße und zeigen, dass sie gegen Faschisten, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus und für die Demokratie in unserem Land sind. Auch ich habe im Januar an vier Demos teilgenommen – und an einigen Mahnwachen der Omas gegen rechts vor der Neuen Synagoge in Hannover.

Nach Hannover fahre ich ziemlich häufig, seit ich nicht mehr berufstätig bin. Im Januar habe mir unter anderem zweimal die Paula Modersohn Ausstellung im Landesmuseum angesehen und natürlich war ich dabei, als meine Tochter im Unternehmerinnenzentrum durch ihre erste Fotoausstellung führte*.

Mit einer Schreibgruppe habe ich mich im Schauspielhaus Hannover getroffen. Das wird mittwochs bis freitags von 14 – 18 Uhr zum Open Haus und öffnet das Foyer für alle, die „Ruhe genießen, Musik hören, für die Uni lernen, coworken, vernetzen, Freund:innen treffen, Yoga mit der Gruppe machen, entspannt ein Buch lesen oder eine Sitzung halten“ – oder natürlich auch allein oder gemeinsam schreiben möchten (https://staatstheater-hannover.de/de_DE/open-haus). Eine wirklich gute Idee – und ein schöner Begegnungsort und Treffpunkt in der Innenstadt von Hannover.

Der monatliche Schreibtreff am ersten Sonntag des Monats ist für mich ein fester Termin. Allerdings haben wir im Januar ausnahmsweise am zweiten Sonntag gemeinsam geschrieben – und auch nicht im AutorInnenzentrum, sondern in den Praxisräumen einer Schreibfreundin. Denn das AutorInnenzentrum musste – oder soll ich schreiben – konnte aus dem Ihmezentrum ausziehen. Für alle, die das Ihmezentrum nicht kennen: Der Hochhauskomplex ist nicht nur meiner Meinung nach das scheußlichste Gebäude in Hannover.

Um Geld zu sparen, haben die Mitglieder des AutorInnenzentrums ihr neues Domizil in der Deisterstraße teilweise selbst renoviert. Auch ich habe an zwei Tagen geholfen, habe Löcher zu- und Wände abgespachtelt, grundiert und gestrichen. Zu Hause konnte ich ebenfalls – notgedrungen – unter Beweis stellen, dass ich handwerklich doch kein ganz hoffnungsloser Fall bin. Weil mein Mann in Nordschweden Polarlichter jagte, musste ich den defekten Abfluss unter der Spüle selbst reparieren. Es hat nicht im ersten Anlauf geklappt, aber inzwischen ist er dicht. Geht doch.

* Die Ausstellung mit Landschafts-, Tier und Naturfotos kann noch bis zum 19. April montags bis freitags von 10 bis 15 Uhr im Unternehmerinnenzentrum in der Hohen Straße in Hannover-Linden besichtigt werden. Mehr Informationen unter https://foerodens.wordpress.com/2023/11/01/meine-erste-fotoausstellung/

Wir sind viele

Am 9. November vergangenen Jahres stand ich mit drei Dutzend älteren Frauen und ganz wenigen meist noch älteren Männern vor dem Holocaust Mahnmal auf dem Opernplatz in Hannover. Die Omas gegen rechts hatten am 85. Jahrestag der Pogromnacht von 1938 zu einer Mahnwache aufgerufen. Wir wollten nicht nur an die Holocaust-Opfer, sondern auch an die Opfer des Massakers der Hamas in Israel einen Monat zuvor erinnern. Und wir wollten ein Zeichen setzen – gegen den wachsenden Antisemitismus in Deutschland und in vielen anderen Ländern.

In dem Mahnmal sind 1.935 Namen von Jüdinnen und Juden eingemeißelt, die in Hannover lebten, bis sie von den Nazis deportiert wurden. Viele wurden ermordet – wie sechs Millionen Jüdinnen und Juden aus ganz Europa.

Knapp drei Monate später, am internationalen Holocaust Gedenktag, kamen rund 2.000 Menschen zum Mahnmal, um an die Opfer des deutschen Nationalsozialismus zu erinnern und gegen Antisemitismus zu demonstrieren. Junge und Alte, Frauen und Männer.

Das ist nötiger denn je. Denn der Hass auf Jüdinnen und Juden lebte auch nach dem Sieg über Nazideutschland weiter – und nimmt nicht nur in Deutschland zu: Zwischen 2015 und 2021 stieg die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland kontinuierlich: von1.366 im Jahr 2015 auf mehr als 3.000 Delikte im Jahr 2021 (https://www.deutschlandfunk.de/antisemitismus-102.html#Statistik). In Frankreich registrierten das Innenministerium und der Schutzdienst der jüdischen Gemeinschaft (SPCJ) laut Tagesschau 2022 436 antisemitische Vorfälle, 2023 waren es 1.676 antisemitische Vorfälle (https://www.tagesschau.de/ausland/europa/antisemitismus-frankreich-110.html). Vor allem nach dem Massaker der Terrorgruppe Hamas in Israel explodierten die Zahlen.

Das Massaker der Terrorgruppe Hamas am 7. Oktober wirkte, so Yonathan Arfi, Präsident des Rats jüdischer Institutionen in Frankreich (Crif), „wie ein Katalysator des Hasses“ und aktivierte einen „latenten Antisemitismus“. Die Hemmschwellen, Jüdinnen und Juden zu beleidigen oder anzugreifen, sind seither gesunken.

In Deutschland gab es seit dem 7. Oktober nach Aussagen des Beauftragte der Bundesregierung für den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, in Deutschland 2.249 antisemitisch motivierte Straftaten, so viele wie im gesamten Jahr 2023. „Ein erheblicher Teil“ wurde nicht direkt nach dem 7. Oktober begangen, „sondern Wochen und Monate später“ (https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/antisemitismus-straftaten-102.html).

Jüdinnen und Juden fühlen sich seit dem größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust auch in Deutschland nicht mehr sicher: Sie sprechen in der Öffentlichkeit nicht mehr Hebräisch, Männer trauen sich nicht mehr, ihre Kippa zu tragen, Kinder gehen nicht mehr in die Kita. Simon von der jüdischen Jugendorganisation Netzer Germany berichtete auf dem Opernplatz, dass PolizistInnen die Mitglieder einer Jugendgruppe bei der Anreise vom Bahnhof zur Unterkunft begleiteten und anschließend das Haus rund um die Uhr beschützten. „Wenn Kinder und Jugendliche sich in einer Ferienfreizeit sicherer fühlen als zu Hause, ist etwas falsch“, sagte er – und er hat recht.

Für mich war die Kundgebung vor dem Holocaust Mahnmal die zweite an diesem Samstag. Mittags hatte ich gemeinsam mit meiner Tochter in Goslar an der Kundgebung „Demokratie verteidigen – AfD stoppen!“ teilgenommen, zu der das Goslarer Bündnis gegen Rechtsextremismus aufgerufen hatte. 4.000 Menschen kamen auf den Marktplatz, viel mehr, als ich erwartet hatte (https://www.facebook.com/100064652773517/posts/pfbid0qaUn3Mt7mw7kDY9cC543ufS5XnFprN8SmS7V366JwUdL9NUeEz3qrjGjVFhDX2Myl/?app=fbl). Für einige TeilnehmerInnen war es die erste Demonstration ihres Lebens.  

Eigentlich wollte ich von Goslar – ziemlich durchgefroren – direkt nach Hause fahren. Doch als ich beim Umsteigen in Hannover die Pro-Palästina-Demo auf dem Bahnhofsvorplatz sah, beschloss ich, zur Kundgebung des Bündnisses gegen Antisemitismus und Antizionismus am Holocaust Denkmal zu gehen. Denn Judenhasse darf in Deutschland nie wieder toleriert werden; jede Stimme dagegen zählt.

Es waren immerhin 2.000 Menschen, die auf dem Opernplatz ihre Solidarität zeigten und ein Zeichen gegen Antisemitismus setzten, weit mehr als am 9. November. Denn die Veröffentlichungen des Recherchezentrum Correctiv über die Deportationspläne, die bei einem Treffen von Rechtsextremisten, AfD und CDU-Mitgliedern am 25. November in Potsdam geschmiedet wurden, haben die bislang schweigende Mehrheit aufgeweckt.

Seither gehen überall in Deutschland Menschen auf die Straße – in Frankfurt/Oder im Osten ebenso wie in Trier ganz im Westen der Republik. Allein in Düsseldorf waren es an diesem Wochenende 100.000, die zeigten, dass sie für die Demokratie, gegen rechte Hetze, Rassismus und auch gegen Antisemitismus sind. Und dass die AfD keine Alternative für Deutschland ist. Denn wir sind viele, wir sind das Volk.

Munchs Lebenslandschaften

Von Edvard Munch kannte ich eigentlich nur sein berühmtes Bild „Der Schrei“. Bis ich im Internet auf die Ausstellungen gestoßen bin, die im Museum Barberini in Potsdam und in der Berliner Galerie zu sehen sind bzw. waren. Denn die Ausstellung „Zauber des Nordens“ in Berlin schloss am 22. Januar ihre Tore; die „Lebenslandschaften“ in Potsdam sind noch bis zum 1. April zu sehen. Dann wandert die Ausstellung weiter, ins MUNCH nach Oslo, aus dem einige der gezeigten Bilder ausgeliehen wurden. 

Im Museum Barberini werden insgesamt 116 Gemälde, Holzschnitte, Lithographien und Zeichnungen des norwegischen Künstlers gezeigt, berühmte ebenso wie weitgehend unbekannte. Es ist laut Museum die erste Ausstellung zu Edvard Munchs Landschaftsdarstellungen. Denn „obwohl Edvard Munch fast die Hälfte seiner Arbeiten Naturmotiven widmete, wird er bislang nicht als Landschaftsmaler wahrgenommen“, heißt es in einer Pressemitteilung. Die Ausstellung will die Bedeutung seiner Naturdarstellungen erforschen, gängige Vorstellungen hinterfragen und neue Sichtweisen auf sein Werk anstoßen.

Meine Reise nach Potsdam hat sich gelohnt. Viele der ausgestellten Bilder haben mir gefallen der gelbe Baumstamm beispielsweise, der Dunkle Tannenwald oder das Frühlingspflügen. Und auch die Mädchen auf der Brücke und die Munchs Bilder von den Sommernächten am Strand haben mich fasziniert.

Andere, zum Beispiel „Stoffwechsel – Leben und Tod,“ haben sich mir erst auf den zweiten Blick und dank des Audioguides erschlossen, der mich durch die Ausstellung begleitete. Und manchen Gemälden wie den Badenden kann ich gar nichts abgewinnen. Kaum zu glauben, dass die kraftstrotzenden Männer vom gleichen Künstler gemalt wurden wie der Schrei.

Ausstellungsansicht Museum Barberini, Foto: David von Becker

Der Schrei ist und bleibt mein Lieblingsbild. Wie es entstanden ist, beschreibt Edvard Munch selbst in seinem Violetten Tagebuch unter dem Datum 22.1.1892  (zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Schrei):

„Ich ging den Weg entlang mit zwei Freunden – die Sonne ging unter – der Himmel wurde plötzlich blutig rot – Ich fühlte einen Hauch von Wehmut – Ich stand, lehnte mich an den Zaun Todmüde – Ich sah hinüber […] die flammenden Wolken wie Blut und Schwert – den blauschwarzen Fjord und die Stadt – Meine Freunde gingen weiter – ich stand da zitternd vor Angst – und ich fühlte etwas wie einen großen, unendlichen Schrei durch die Natur.“

Das Bild gibt es in verschiedenen Versionen, eine erste Skizze des Motivs findet sich laut Wikipedia bereits 1889/90 in einem  Skizzenbuch, die Version mit Öl, Tempera und Pastell beendete Munch Ende 1893. In der Ausstellung ist eine Lithografie aus dem Jahr 1895 zu sehen.

Der Schrei

Mit dem Schrei wurde laut Oskar Kokoschka der Expressionismus geboren, ich sehe mir nach der Munch-Ausstellung noch die Sammlung Hasso Plattner an: Über 100 impressionistische und postimpressionistische Gemälde sind in der Dauerausstellung zu sehen, unter anderem von Claude Monet, Auguste Renoir, Alfred Sisley, Paul Signac und Gustave Caibotte. Nirgendwo außerhalb von Paris werden nach Angaben des Museums mehr Gemälde von Claude Monet an einem Ort gezeigt als in Potsdam. Eines meiner Lieblingsbilder von Monet, der Seerosenteich, ist derzeit leider verliehen, und ich musste mit einem anderen Seerosenbild des malers vorlieb nehmen. Doch so habe ich einen guten Grund, wieder nach Potsdam zu fahren, wenn das Gemälde wieder zurück im Museum Barberini ist.

Sammlung Hasso Plattner, Museum Barberini, Potsdam
© David von Becker

Das Museum Barberini und die beiden Ausstellungen sind eine Reise wert. Wer will, kann auf der Website des Museums online durch die Ausstellungen wandern und per Audioguide Informationen über verschiedene Gemälde abrufen.

https://www.museum-barberini.de

Ach Paula oder „Ich werde noch was“

Paula Modersohn-Becker gehört nicht zu meinen LieblingsmalerInnen, oder soll ich sagen, gehörte. Denn natürlich habe ich mir die Ausstellung ihrer Bilder im Landesmuseum in Hannover angesehen. Schließlich zählt Paula-Modersohn Becker zu den bedeutendsten Künstlerinnen der Zeit um 1900 – sie war eine der ersten ExpressionistInnen in Deutschland, wenn nicht die erste überhaupt. Und mich beeindruckt die Zielstrebigkeit, ja Besessenheit, mit der sie ihren Weg ging, an sich und ihr Talent glaubte – zu einer Zeit, in der Kunst vorwiegend Männersache war.

Frauen durften um die Jahrhundertwende noch nicht an Kunstakademien studieren. Wie viele andere Malerinnen, despektierlich Malweiber genannt, nahm auch Paula Becker privaten Malunterricht und besuchte nach ihrer Lehrerinnenausbildung die Zeichen- und Malschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen. An der „Damenakademie“ hatte vor Paula Becker auch Käthe Kollwitz ihre Ausbildung begonnen und später unterrichtet.

Worpswede besuchte die junge Malerin erstmals im Sommer 1897 mit ihren Eltern , ein Jahr später zog sie zunächst vorübergehend, später dauerhaft in die Künstlerkolonie. Sie nahm Zeichenunterricht bei Fritz Mackensen, lernte ihre Freundin Clare Rilke-Westhoff und auch den elf Jahre älteren  Maler Otto Modersohn kennen, den sie 1901 heiratete. Modersohn erkannte ihr Talent, schätzte den Austausch mit ihr und unterstützte sie auch finanziell.

„Wundervoll ist dies wechselseitige Geben und Nehmen; ich fühle, wie ich lerne an ihr und mit ihr. Unser Verhältnis ist zu schön, schöner als ich je gedacht, ich bin wahrhaft glücklich, sie ist eine echte Künstlerin, wie es wenige gibt in der Welt, sie hat etwas ganz Seltenes. […] Keiner kennt sie, keiner schätzt sie – das wird anders werden“, schrieb er am 15. Juni 1902 in sein Tagebuch.

Anders wurde das leider erst nach ihrem Tod im November 1907. Zu ihren Lebzeiten konnte Paula Modersohn-Becker gerade mal eine Handvoll Bilder verkaufen, für die meisten ihrer Worpsweder Malerkollegen war sie nur die Frau von Otto Modersohn. Doch davon ließ sie sich ebenso wenig dauerhaft entmutigen wie von den teilweise vernichtenden Kritiken. Mutig setzte sie sich über viele Konventionen hinweg – künstlerisch und gesellschaftlich.

„Sie haßt das Conventionelle und fällt nun in den Fehler alles lieber eckig, häßlich, bizarr, hölzern zu machen. Die Farbe ist famos, aber die Form? Der Ausdruck! Hände wie Löffel, Nasen wie Kolben, Münder wie Wunden, Ausdruck wie Cretins. Sie ladet sich zuviel auf.“, notierte Otto Modersohn im September 1903 in seinem Tagebuch und fügt hinzu „Rath kann man ihr schwer ertheilen, wie meistens“(zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Paula_Modersohn-Becker).

„Daß ich mich verheirate, soll kein Grund sein, daß ich nichts werde“ schrieb Paula im November 1900 an ihre Mutter, die ihre künstlerische Ausbildung förderte und ihre Tochter bestärkte, die Kunst nicht aufzugeben. Auch nach der Heirat malte Paula weiter, sie behielt ihr eigenes Atelier, reiste und lebte mehrere Monate allein in Paris. Inder französischen Hauptstadtentdeckte sie unter anderem die Werke von Paul Cézanne und Paul Gauguin, besuchte Kurse an privaten Akademien, unter anderem Anatomie- und Aktkurse in der École des Beaux-Arts – und malte als erste Künstlerin Selbstakte, unter anderem das »Selbstbildnis mit rotem Blütenkranz.

„Ich werde noch etwas. Wie groß oder wie klein, dies kann ich selbst nicht sagen, aber es wird etwas in sich Geschlossenes“, schrieb Paula im Januar 1906 aus Paris an ihre Mutter. Sie sollte recht behalten: Als sie mit 31 Jahren im November 1907 kurz nach der Geburt ihrer Tochter starb, hinterließ sie rund 800 Gemälde und 2.500 Zeichnungen.

„Es ist nicht auszudenken, was noch alles entstanden wäre, wenn sie noch länger gelebt hätte. Sie träumte in den letzten Monaten viel von Italien, das sie nie gesehen, von Akten im Freien, von großfigurigen Bildern. Man kann nur ahnen, was sie der Welt noch geschenkt hätte“, schrieb Otto Modersohn (Ein Buch der Freundschaft, 1932, zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Paula_Modersohn-Becker).

Nach Paulas Tod organisierten er und Heinrich Vogeler mehrere Ausstellungen, durch die einige Sammler auf sie aufmerksam wurden und ihre Bilder kauften. Unter anderen auch der hannoversche Keksfabrikant, Mäzen und Kunstsammler Hermann Bahlsen. Er schenkte dem Landesmuseum 1910 zwei Bilder von Paula Modersohn-Becker: Das „Stillleben mit Schellfisch“ (das ich persönlich überhaupt nicht mag) und seine ursprüngliche Rück- oder Vorderseite „Rotes Haus mit Birke“. Sie bildeten den Grundstein der Sammlung, die derzeit 39 Gemälde von Paula Modersohn-Becker umfasst und damit laut Landesmuseum die „weltweit größte Sammlung außerhalb Bremens“ ist.

„Die Hannoveraner Modersohn-Becker-Sammlung besticht durch internationale bekannte Hauptwerke wie das »Selbstbildnis mit Hand am Kinn«, aber auch durch eine beeindruckende Themenvielfalt. Sie umfasst Werke aus dem gesamten Schaffensprozess der Künstlerin: Von Landschaftsbildern über Stillleben und Darstellungen von Frauen und Kindern ist alles vertreten“, heißt es in der Pressemitteilung des Museums zu Ausstellung.

Mir hat die Ausstellung gefallen. So gut, dass ich sicher noch mal hingehen werde, bevor sie Ende Februar schließt. Denn manches Bild erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Und Paula Modersohns Weg als Künstlerin verdient die Aufmerksamkeit allemal. Oder um Falko Mohrs, den Niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kultur, zu zitieren: „Paula Modersohn-Becker war eine mutige Künstlerin, die sich gegen gesellschaftliche Konventionen stellte und als Frau an der Spitze der Entwicklung der Moderne in Deutschland stand. … Mit ihrer ungeheuren Schaffenskraft und inneren Stärke kann Paula Modersohn-Becker uns allen als Vorbild dienen.“ Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Die Ausstellung im Landesmuseum ist noch bis zum 25. Februar zu sehen.