Jedes Jahr Ende September kommt mir ein Schreibprojekt in den Sinn, das Maxim Gorki vor 90 Jahren initiiert hat. Er rief im Jahr 1935 seine SchriftstellerkollegInnen in aller Welt auf, einen ganz gewöhnlichen Tag in ihrem Leben möglichst genau zu beschreiben und auf diese Weise einen „Jedertag“ zu porträtieren.
Remember: 27. September
Das Leben der meisten Menschen besteht aus eher banalen „Alltagen“, in der Literatur kommen ereignislose Tage dagegen kaum vor. „Die Literatur liebt es, das Leben zu dramatisieren. Sie strafft und konzentriert die Ereignisse, sie inszeniert sie, sie spitzt sie zu, sie verdichtet sie im doppelten Sinne des Wortes. In der Literatur ist das Leben überlebensgroß. Noch aus der Ereignislosigkeit möchte sie ein Ereignis machen – doch zum Wesen des Jedertags gehört, kein Ereignis zu sein“, schrieb der Autor und Literaturkritiker Uwe Wittstock am 27. September 2009 in einem Artikel in der Welt.
Den 27. September wählte Gorki wohl eher zufällig aus. Das Projekt „Ein Tag der Welt“ soll zwar auf positive Resonanz gestoßen sein, es wurde aber nach Gorkis Tod im Jahr 1936 nicht weitergeführt. Erst 25 Jahre später wiederholte die Zeitschrift Istwestja den Aufruf, von dem ich sicher nie etwas erfahren hätte, wenn, ja wenn Christa Wolf, damals noch eine junge, unbekannte Autorin, nicht von der Idee begeistert gewesen wäre: Sie beschrieb den 27. September 1960 – und alle folgenden 27. September bis zum Jahr 2011. Die letzten Aufzeichnungen brach sie ab, weil sie keine Kraft mehr hatte.
Die gesammelten Texte sind im Suhrkamp Verlag erschienen, der erste Band im Jahr 2003 unter dem Titel „Ein Tag im Jahr, 1960–2000“. Die Tagesberichte der Jahre 2001 bis 2011 – „Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert“ – veröffentlichte Gerhard Wolf nach dem Tod seiner Frau. Christa Wolf beschreibt darin ihren Alltag als berufstätige Mutter und zeitgeschichtliche Ereignisse. Sie gibt Einblicke in ihr Leben als Schriftstellerin – und in die Gesellschaft.
Mich fasziniert das Projekt, seit ich die beiden Bücher gelesen habe, und ich überlege immer wieder, wie diese Tradition fortgeführt werden kann. Die Altusrieder Autorin Angelika Jesse von Borstel tut dies seit 2012. Sie ruft schreibende Frauen ihrer Region dazu auf, ihren 27. September zu protokollieren. Anfang Dezember – um den Todestag Christa Wolfs – treffen sich die Schreiberinnen dann im Frauenzentrum in Kempten zu einer Literarischen Gesprächsrunde, lesen ihre Tages-Notizen vor und tauschen ihre Gedanken aus.
Vielleicht motiviert ja auch dieser Blogbeitrag Schreibende in anderen Regionen diesem Beispiel zu folgen.
PS:
Natürlich darf in meinem Blogbeitrag über den 27. September das Gedicht von Thomas Brasch nicht unerwähnt bleiben. Das Gedicht, das Braschs bekanntesten Gedichtband „Der schöne 27. September“ den Namen gab, ist vermutlich eine Antwort auf ein Tagesprotokoll von Christa Wolf. Die schrieb wiederum das Nachwort zu dem 2004 im Suhrkamp Verlag veröffentlichten Gedichtband.
Laut Uwe Wittstock kannten und respektierten sich beide, obwohl es zwischen ihnen nicht viele (literarische) Gemeinsamkeiten gab. „Der eine war ein Rebell, die andere eine Zweifelnde“, schrieb Wittstock in der Welt. Und: „Als Christa Wolf 1987 gebeten wurde, als alleinige Jurorin den Kleistpreis an einen Schriftsteller ihrer Wahl zu vergeben, sprach sie ihn Thomas Brasch zu“, der damals schon die DDR verlassen hatte und in der Bundesrepublik lebte.
Ich mag Kunst, aber mindestens ebenso sehr wie die Kunstwerke selbst faszinieren mich die Orte, an denen sie entstehen. Wann immer KünstlerInnen ihre Arbeitsräume für BesucherInnen öffnen, nutze ich die Gelegenheit, einen Blick hinter die Kulissen, sprich, in ihre Ateliers zu werfen, um mich von der besonderen Atmosphäre inspirieren zu lassen. Manchmal klappt’s: So habe ich nach meinem letzten Zinnober-Rundgang vor zwei Jahren mein Arbeitszimmer umgeräumt und einen Platz fürs Malen geschaffen.
In diesem Jahr beteiligten sich am Zinnober-Wochenende insgesamt 67 Kunstorte, darunter viele Ateliergemeinschaften. Und so konnte ich an „nur“ 13 Orten über 40 Ateliers und Werke von mehr als 50 KünstlerInnen bewundern, obwohl ich durch meinen Fuß immer noch gehandicapt bin.
Willkommen bei den Ateliergemeinschaften in der Schulenburger Landstraße 150/152
Über meine schönste Neuentdeckung am Zinnoberwochenende habe ich schon einen Blogbeitrag veröffentlicht. In anderen Ateliers war ich schon mehrmals zu Gast – und sie faszinieren mich immer wieder aufs Neue.
Erste Adresse war für mich auch in diesem Jahr wieder die Schulenburger Landstraße 150/152. In dem Gewerbegebiet am Rand von Hannover ist ein kleines Kunstzentrum mit sechs Ateliergemeinschaften entstanden. Mehr als 30 KünstlerInnen arbeiten hier; außerdem zeigten mehrere GastkünstlerInnen ihre Werke. Künftig sollen es noch mehr sein. Denn eine 700 Quadratmeter große Halle auf dem Gelände, in der früher Strümpfe produziert wurden, wird zum Atelier- und Kulturzentrum POMP (AT) umfunktioniert.
Die Arbeits- und Projekträume können je nach Bedarf unterschiedlich aufgeteilt werden und werden 20 KünstlerInnen Platz bieten. Neben den Ateliers ist unter anderem ein 150 Quadratmeter großer Ausstellungs- und Veranstaltungsraum mit offenem Foyer geplant . Meta Copy, die Zentrale für Künstlerpublikationen Hannover, soll hier ebenfalls ihr neues Domizil finden. Das ist noch Zukunftsmusik, doch vielleicht können bei Zinnober 2026 hier schon weitere Ateliers besichtigt werden.
Ein bisschen beneide ich die bildenden Künstlerinnen. Denn sie sparen nicht nur Kosten, wenn sie sich Miete und Nebenkosten für die Arbeitsräume teilen. Durch das Arbeiten unter einem Dach entsteht eine kreative Atmosphäre, die inspiriert und motiviert. Außerdem eröffnet der Austausch mit anderen KünstlerInnen oft neue Perspektiven und kann den Einstieg in neue Techniken erleichtern. So etwas wünsche ich mir auch für uns Schreibende! Ein Anfang ist im AutorInnennzentrum in der Deisterstraße gemacht. Dort finden Workshops und Fortbildungen statt, wir können andere Schreibende treffen, uns mit ihnen austauschen und gemeinsam schreiben. Aber Räume, in die sich einzelne zum Schreiben zurückziehen können, fehlen (noch).
Blick in die Ateliers von Monika Neveling …… Wolfgang Steidele …… und Marion Pusch
In Ateliergemeinschaften arbeiten oft ganz unterschiedliche Künstlerinnen Tür an Tür; die Kunstwerke sind so verschieden, wie die KünstlerInnen selbst. So verarbeitet Katharina Becklas Pappmaché, Marion Pusch die Köpfe von Lindenbäumen aus den Herrenhäuser Gärten. Und im Studio Akkord im Haus nebenan werden T-shirts und andere Stoffe mit verschiedenen manuellen Drucktechniken, zum Beispiel mit Siebdruck, bedruckt.
Unterschiedliche Materialien, unterschiedliche Technieken, unterschiedliche Stile, hier Werke von Katharina Becklas …… Marion Pusch …und aus dem Studio Akkord
Auch das Atelier Block 16 stand nicht zum ersten Mal auf meiner To-visit-Liste. Sieben KünstlerInnen teilen sich die hohen, lichtdurchfluteten Räume im Edwin Oppler Weg. Auch hier wäre ich gerne geblieben und hätte geschrieben. Aber vielleicht können wir ja irgendwann mal den Frauenschreibtreff in dieses oder ein anderes Atelier verlegen. Die besondere Atmosphäre würde sicher unser Kreativität und unser Schreiben beflügeln – und vielleicht den Austausch zwischen bildenden und SchreibkünstlerInnen fördern.
Kunst im Treppenhaus im Atelier Block 16Viele Pflanzen und viel Licht prägen die AtelierräumeEin Highlight: die Ausstellung von Angelika Wolf und Gastkünstlerin Iris Albrecht im Untergeschoss
Am Sonntagmorgen habe ich Astrid Engels Blogbeitrag über ihre Schreib-Challenge im August gelesen – und spontan entschieden, mitzumachen, obwohl die ersten beiden Tage des Monats schon vorbei waren. Aber besser spät als nie.
Mir geht es nämlich ähnlich wie Astrid Engel. Seit ich nicht mehr beruflich schreibe, fehlt mir die (tägliche) Übung, die ja bekanntlich – beim Schreiben wie bei vielen anderen Dingen – die Meisterin macht. Obwohl ich als Rentnerin genug Zeit zum Schreiben hätte und ich mir immer wieder vornehme, es zu tun, kann ich mich oft nicht dazu aufraffen. Und so dümpeln all meine Schreibprojekte mehr oder weniger vor sich hin. Selbst das Ziel, einen Blogbeitrag pro Woche zu schreiben, erreiche ich nicht jede Woche – auch in der gerade vergangenen nicht.
Jeden Tag ein Text
Vielleicht komme ich auch deshalb mit keinem meiner Schreibprojekte voran, weil ich mich nicht so recht entscheiden kann, an welchem ich (zuerst oder überwiegend) arbeiten möchte: Soll ich Essays schreiben, weiter an dem Roman, den ich schon vor einigen Jahren angefangen und immer noch nicht beendet habe, oder soll ich endlich ein Buch mit verschiedenen Blogbeiträgen und Shortshortstorys herausgeben.
Bei Astrid Engels Challenge geht es darum, jeden Tag einen Text zu schreiben, ganz egal welchen. Ohne Druck, ohne festen Plan. Vielleicht wird auf diese Weise Schreiben wieder zur täglichen Gewohnheit.
Neue Gewohnheiten brauchen Zeit
Nun reichen 30 oder 31 Tage meist nicht aus, neue Gewohnheiten zu etablieren. Das dauert laut AOK im Durchschnitt 66 Tage; nach einer Studie der Universität Princeton kann es sogar „im Durchschnitt bis zu sechs Monate dauern …, um eine neue Routine zu etablieren“, schreibt die Welt. Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle, unter anderem die Persönlichkeit, das Umfeld und die Gewohnheit, die etabliert werden soll. Aber wenn ich durchhalte ist Anfang August ein Anfang gemacht .
Ziel muss erreichbar sein
Wichtig ist, dass das gesetzte Ziel konkret und erreichbar ist – sind die Anforderugen zu hoch, ist die Gefahr, nicht durchzuhalten, besonders groß. Ich nehme mir also vor, im August täglich mindestens eine halbe Stunde an meinen Schreibprojekten zu arbeiten. Ich will möglichst oft gemeinsam mit anderen schreiben – z. B bei der Schreibzeit am Morgen mit Sabine E. Rasch oder bei den Schreibdates am Mittwochabend mit Denise Fritsch. Denn das gemeinsame Schreiben inspiriert und motoviert mich.
Arbeitsjournal
Außerdem werde ich wieder ein Arbeitsjournal führen: In ihm will ich nicht nur Ideen zu den einzelnen Schreibprojekten notieren, sondern auch, was und wann ich geschrieben habe. Vielleicht erkenne ich auf diese Weise ein Muster, das mir hilft, eine Schreibroutine zu etablieren, die mir das tägliche Schreiben erleichtert.
„Don’t break the chain“
Und noch eine Anregung habe ich aus Astrid Engels Blogbeitrag übernommen. Jeder Tag, an dem ich geschrieben oder etwas in mein Arbeitsjournal eingetragen habe, bekommt einen roten Punkt in meinem Kalender. „Nach ein paar Tagen willst du die Kette nicht mehr reißen lassen“, schreibt sie in ihrem Blogbeitrag. Ich hoffe, dass „Don’t break the chain“ auch bei mir funktioniert.
Ich habe als freie Journalistin und Autorin jahrzehntelang im Homeoffice gearbeitet – schon, als es dieses Wort noch gar nicht gab. Geschrieben habe ich (fast) immer allein. Wie gut es tut, (manchmal) gemeinsam mit anderen zu schreiben, habe ich erst vor einigen Jahren bei einem Schreibwochenende in Wien entdeckt. Ich habe die Idee dann nach Hannover exportiert und dort einen (Frauen)Schreibtreff initiiert. Seit mehr als fünf Jahren treffen wir uns am ersten Sonntag im Monat, um einen Nachmittag lang gemeinsam – jede an ihren eigenen Texten – zu schreiben.
Inzwischen nutze ich neben dem Schreibtreff auch andere Möglichkeiten zum Cowriting: So logge ich mich, wann immer ich Zeit habe, dienstags bis freitags bei der von der Textmanufaktur angebotenen Schreibzeit am Morgen ein oder am späten Mittwochnachmittag beim Schreibdate von Denise Fritsch. Manchmal verabrede ich mich mit meiner Schreibpartnerin zum gemeinsamen Schreiben – mal treffen wir uns online, mal ganz analog irgendwo in Hannover. Und dann gibt es ja auch noch das Cowriting mittwochs im AutorInnenzentrum.
Gemeinsam Schreiben im AutorInnenzentrum in Hannover
Mein eigenes Schreibzimmer möchte ich auf gar keinen Fall missen. Und nach wie vor schreibe ich meist allein. Aber es gibt (für mich) eben auch gute Gründe, mich (regelmäßig) mit anderen zum Schreiben zu verabreden. Hier die fünf wichtigsten.
1. Schreibverabredungen schaffen Verbindlichkeit
Zeit zu schreiben hätte ich als Rentnerin eigentlich genug. Aber seit Schreiben für mich „nur noch“ Hobby ist, ich keine Abgabetermine mehr einhalten und mit Schreiben kein Geld mehr verdienen muss, nehme ich mir diese Zeit zu selten. Der Wunsch und der gute Willen sind da, aber dann gibt es im Alltag allzuoft Dinge, die zuerst erledigt werden wollen. Mal wartet die Wäsche, das Badezimmer muss mal wieder geputzt, eine Mail geschrieben oder das Unkraut im Garten gejätet werden.
Wenn ich mich mit anderen zum Schreiben verabrede, halte ich diese Verabredung in der Regel ein und sage sie nur ab, wenn es einen wirklich triftigen Grund gibt. Ich nehme mir dann also nicht nur vor, zu schreiben, sondern ich tue es auch – und komme dann mit meinen Texten oder Projekten auch meist voran.
2. Keine Ablenkung durch Alltagsdinge
Scheinbar wichtige Dinge (siehe oben) verhindern nicht nur, dass ich anfange zu schreiben, ich lasse mich von ihnen auch allzugerne unterbrechen. Wenn ich mich mit anderen irgendwo an einem anderen Ort zum Schreiben treffe, bleiben viele alltäglichen Ablenkungen zu Hause. Aber auch bei Online-Schreibtreffs am heimischen Computer hält mich die Anwesenheit der Mitschreiberinnen im virtuellen Raum davon ab, andere Dinge zu tun. Meist lasse ich meine Kamera während der Schreibzeit an, damit alle sehen können, dass ich brav an meinem Platz bleibe und schreibe. Und manchmal klicke ich selbst auf die Videobilder der MitschreiberInnen. Denn es motiviert mich, wenn ich ihnen einen Moment beim Schreiben oder Nachdenken zusehen kann.
3. Gemeinsames Schreiben inspiriert
Die besondere Atmosphäre, die beim gemeinsamen Schreiben entsteht, hat Judith Wolfsberger in ihrem Buch „Schafft euch Schreibräume“* sehr gut beschrieben. „In diesem gemeinsamen Schreibraum wird frau getragen von der kreativen Energie der Gruppe, dem Klappern der Tastaturen und Teetassen, dem Blättern, Kritzeln, Atmen, dem Kaffeegeruch. Die anderen schreibenden Körper, aktiven Köpfe, kreativen Seelen im Raum schaffen eine Anwesenheit, Gemeinsamkeit, die über so manche Ausflucht oder Selbstzweifel hinwegträgt. Dadurch stellt sich die innere Klarheit ein: jetzt bin ich hier in diesem Schreibraum, also schreibe ich“, schreibt sie auf Seite 209.
Die inspirierende Atmosphäre entsteht, so meine Erfahrung, auch im digitalen Raum – ohne die von Judith Wolfsberger beschriebenen Gerüche und Geräusche. Denn die Mikros sind während der Schreibzeit ausgeschaltet, damit alle wirklich ungestört schreiben können. Allein das Wissen, dass auch andere zur gleichen Zeit konzentriert schreiben, motiviert mich, erhöht meine Kreativität. Und meine innere Kritikerin traut sich meist gar nicht hervor, wenn sie die Anwesenheit und die geballte Kraft der vielen Schreibenden spürt.
4. Feste Abläufe sind hilfreich
SchreibexpertInnen sind sich einig: Feste Schreibzeiten und Schreibrituale helfen, in den Schreibmodus oder gar -flow zu kommen. Mir ist es bis jetzt noch nicht gelungen, in meinem Alltag eine eigene Schreibroutine und feste Schreibzeiten zu etablieren. Beim gemeinsamen Schreiben – ob digital oder analog – gibt es beides: feste Zeiten und bestimmte Abläufe, zum Beispiel eine kurze Mediation, Schreibimpulse oder ein Austausch über die Schreibziele am Anfang, eine ebenso kurze Reflexion am Schluss. Mir hilft’s.
5. Es macht Spaß, gemeinsam mit anderen zu schreiben
Ob singen, laufen, wandern oder malen: Vieles unternehmen wir gemeinsam mit anderen. Nur beim Schreiben bleiben wir meist allein – vielleicht weil viele beim Schreiben Ruhe brauchen. Oder weil das Bild vom Schriftsteller, der allein an seinem Schreibtisch sitzt, in den Köpfen vieler Schreibender spukt.
Dass Frauen ein eigenes Zimmer brauchen, um erfolgreich schreiben zu können, hat Virginia Woolf in ihrem berühmten Essay vor fast 100 Jahren geschrieben. Aber Schreiben war für sie auch eine gemeinschaftliche Sache. „Sie war Teil der von ihr und ihrer Schwester Vanessa Bell initiierten Bloomsbury Group. Ihr Leben lang genoss sie intensiven Austausch mit ihrer community, das gegenseitiges Feedback und tausende lange Briefe, die sich gegenseitig schrieben“, schreibt Judith Wolfsberger auf ihrer Website Virginias Vision.
PS 1: Es sind übrigens meist Frauen, die gemeinsam mit anderen schreiben möchten. Der Frauenschreibtreff im AutorInnenzentrum hat einmal als offener Schreibtreff begonnen – und wurde irgendwann zum Frauenschreibtreff, weil schreibende Männer kein Interesse am gemeinsamen Schreiben hatten. Und auch bei den Online-Schreibtreffen sind die meisten TeilnehmerInnen weiblich.
PS 2: Dieser Blogbeitrag ist zum größten Teil in der Schreibzeit am Morgen mit Sabine E. Rasch und während des Schreibdates mit Denise Fritsch entstanden.
PS 3: Mit diesem Blogbeitrag habe ich Judith Peters Blog-Empfehlung für die Kalenderwoche 29/2025 aufgegriffen. Sie schlägt vor, darüber zu schreiben, warum ich irgendetwas – z. B. Bloggen, Radfahren, Schwimmen oder Gärtnern – besonders liebe
Allerdings widerstrebt es mir, das Wort „lieben“ in diesem Zusammenhang zu verwenden. Denn hier halte ich es mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann, der auf die Frage, ob er den Staat denn nicht liebe, geantwortet haben soll: „Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!“ (Zitiert von Hermann Schreiber in DER SPIEGEL, 13. Januar 1969 ). Ich finde, Gustav Heinemann hatte recht.
Judith Wolfsberger: Schafft euch Schreibräume! Weibliches Schreiben auf den Spuren Virginia Woolfs. Ein Memoir. Gebundene Ausgabe, Brill Österreich Ges.m.b.H.; 1. Edition (5. März 2018), 29 Euro
Die erste Hälfte des Jahres ist vorbei, die zweite hat vor ein paar Tagen, am 2. Juli, begonnen. Zeit also für eine Art Halbzeitbilanz.
Same procedure as last year?! Auch in diesem Jahr waren meine guten Vorsätze fast die gleichen wie in den vergangenen Jahren. Und auch diesmal habe ich vieles, was ich mir vorgenommen habe, nicht durchgehalten. Aber vielleicht habe ich in diesem Jahr eine bessere Ausrede. Denn Anfang Mai hat mich mein Ausrutscher beim Wandern in Norwegen aus meinem alltäglichen Leben herauskatapultiert.
Ich habe mir bei dem Sturz zum Glück zwar nur das Fußgelenk gebrochen. Aber zumindest meine sportlichen Ziele sind dadurch in weite Ferne gerückt. Dabei war ich durchaus auf einem guten Weg: Ich bin bis Anfang Mai im Schnitt mehr als die angestrebten 10.000 Schritte täglich gegangen, die Yogaübungen am Morgen waren fester Bestandteil meines Morgenritual. Und ich hatte mir fest vorgenommen, mir nach meiner Rückkehr aus Norwegen eine Saisonkarte fürs Freibad kaufen. Doch dann durfte ich bis zum 1. Juli den Fuß gar nicht belasten. Und auch jetzt meine Mobilität noch stark eingeschränkt. Wenn ich auftrete, ohne die Belastung durch das Abstützen auf Krücken zu reduzieren, tut noch jeder Schritt (sehr) weh. Wahrscheinlich müssen sich Muskeln, Sehnen und Co erst daran gewöhnen, dass sie den begrenzten Platz in meinem Fuß jetzt mit mehreren Schrauben und anderen Metallteilen teilen müssen.
Auch ans Wandern und Reisen war seit dem Sturz nicht zu denken, ja selbst nach Hannover schaffe ich es mit Öffis derzeit noch nicht. Mein Deutschlandticket konnte ich ebenso wenig nutzen wie meine Museumscard und meine Dauerkarte für die Herrenhäuser Gärten. Den Besuch im Rosarium in Uetersen musste ich aufs nächste Jahr verschieben – und vielleicht findet ja auch das Nature Writing Festival in Hamburg 2026 wieder statt.
Immerhin kann ich jetzt wieder problemlos ins Wohnmobil ein- und aussteigen – vielleicht können wir ja schon in den nächsten Wochen wieder einmal losziehen und zunächst einmal Orte ansteuern, wo ich Freundinnnen treffen oder einfach nur aufs Wasser schauen und meine Seesucht stillen kann.
Weil andere Aktivitäten nicht infrage kamen, hätte ich in den zurückliegenden zwei Monaten ja eigentlich viel Zeit zum Schreiben und Zeichnen gehabt. Aber ich habe völlig unterschätzt, wie eng bei mir Kreativität und Bewegung zusammenhängen: Früher sind viele meiner Artikel und Texte beim Laufen entstanden, seit ich wegen meiner Knie nicht mehr laufen kann, kommen mir beim Gehen viele gute Geh-danken.
Neu ist die Erkenntnis, dass Bewegung das Denken fördert, nicht: Schon der griechische Philosoph und Naturforscher Aristoteles unterrichtete im 4. Jahrhundert vor Christus seine Schüler im Gehen. Auch in späteren Jahrhunderten war und ist Gehen für viele Schriftsteller und Philosophen Teil ihres (Arbeits)Alltags oder gar sogar ein Schlüsselelement ihrer Kreativität. So behauptete der dänische Philosoph und Schriftsteller Søren Kierkegaard, er habe sich „seine besten Gedanken ergangen“. Und sein Kollege Friedrich Nietzsche traute angeblich „nur einem Gedanken …, der mindestens zehn Kilometer gewandert“ ist. Vielleicht stellen sich also auch bei mir Schreibideen und Schreiblust wieder ein, wenn ich mich jetzt wieder mehr bewegen darf. Und noch liegen Jahresziele wie (durchschnittlich) ein Blogbeitrag die Woche nicht in unerreichbarer Ferne.
Auch auf das gemeinsame Schreiben beim Frauenschreibtreff im AutorInnenzentrum musste ich seit Anfang Mai verzichten – dafür nehme ich seit meiner Rückkehr aus Norwegen regelmäßig an der Schreibzeit am Morgen teil, die die Text-Manufaktur ihren Mitgliedern dienstags bis freitags von 8 bis 9 Uhr anbietet. Diese Online-Schreibtreffen will ich auf jeden Fall beibehalten. Vielleicht schaffe ich es ja dann, die beiden Schreibprojekte zu Ende zu bringen, die ganz oben auf der Liste meiner Jahresziele stehen.
Apropos Ziele. Im Oktober 2023 hatte ich – von Kerstin Salvador inspiriert – begonnen, Drei-Monats-Bucket-Listen zu führen. Wer nämlich für kürzere Zeiträume plant, verliert das Ziel nicht so schnell aus den Augen – und verschiebt Dinge im besten Fall nicht auf den nächsten oder übernächsten Monat oder auf den Sankt Nimmerleinstag. Meine ersten Erfahrungen mit den Quartalslisten waren gut – und ich will es in der zweiten Jahreshälfte auf jeden Fall noch einmal versuchen.
Nach unseren liebsten Blogartikeln fragte Birgit Lorz in ihrer Blogparade – und nach den Gründen, warum du/oder Sie sie lesen sollten. Eigentlich wollte ich nur fünf Beiträge auswählen – doch beim Lesen haben sich dann noch ein paar andere aufgedrängt. Am Ende waren es dann zehn. Aber ich denke, das ist in Ordnungfür einen Blog, in dem ich seit zehn Jahren mehr oder weniger regelmäßig über das schreibe, was mich bewegt: über Bücher, Reisen, übers Schreiben und natürlich auch über mein Leben und über (gesellschafts)politische Ereignisse.
Ich liebe Bücher und ich lese viel. Aber kaum ein Buch hat mein Lesen, mein Schreiben und damit auch mein Leben so beeinflusst wie das Tagebuch der Anne Frank. Kurz nachdem ich es vor mehr als einem halben Jahrhundert zum ersten Mal gelesen hatte, fing ich an, selbst (Tagebuch) zu schreiben – und habe nie wieder damit aufgehört. Die Ausgabe, die ich mir Anfang der 70er-Jahre gekauft habe, steht noch heute in meinem Bücherregal – neben mehreren neueren Ausgaben und einem Graphic Diary. Und sie ist mir noch die liebste, auch wenn die Blätter inzwischen vergilbt und teilweise brüchig sind. Den Blogbeitrag habe ich am 12. Juni 2021 am Tag des Tagebuchs veröffentlicht, an Annes 92. Geburtstag.
Ich bin nicht nur eine notorische Tagebuchschreiberin, sondern ich lese auch gerne Tagebücher, die andere geschrieben haben. Seit ich Barbara Bronnens Buch „Die Stadt der Tagebücher. Vom Festhalten des Lebens durch das Schreiben“ gelesen habe, stand Pieve Santo Stefano auf meiner To-visit-Liste. Dort hat der italienische Journalist Saverio Tutino Anfang der 80er-Jahre das nationale Tagebucharchiv (Archivio Diaristico Nazionale) initiiert, in dem inzwischen mehrere tausend Tagebücher und andere zeitgeschichtliche Dokumente aufbewahrt werden. Im Frühjahr 2023 war ich endlich in der kleinen Stadt am Rande der Toskana, die im Zweiten Weltkrieg von deutschen Soldaten fast völlig zerstört wurde.
Bei meinem Besuch im Tagebuchmuseum, dem piccolo museo del diario, in Pieve Santo Stefano habe ich von Orlando Orlandi Postis Schicksal erfahren. Der 17-Jährige wurde Anfang Februar 1944 von der SS verhaftet, als er seine Freunde vor einer geplanten Razzia der deutschen Besatzer warnen wollte. Während seiner fast zwei monatigen Gefangenschaft gelang es ihm, Briefe an seine Mutter zu schreiben und aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Am 24. März 1944 wurden er und 334 andere Menschen in den Fosse Ardeatine von deutschen Soldaten ermordet. Das Buch mit Orlando Orlandi Postis Briefen und Tagebuchnotizen aus dem Gefängnis gibt es nur auf Italienisch – und meine Italienischkenntnisse reichen leider nicht aus, es zu lesen. Aber in meinem Blogbeitrag wollte ich an ihn und an das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen erinnern, von dem die meisten Menschen in Deutschland wenig oder gar nichts wissen.
Ruth Maier wurde nur 22 Jahre alt. Mit 18 floh sie vor den Nazis aus Wien ins scheinbar sichere Norwegen. Dort wurde sie am Morgen des 26. November 1942 bei einer Razzia in ihrem Wohnheim verhaftet, mit 531 jüdischen Frauen, Männern und Kindern nach Auschwitz deportiert und ermordet. Zehn Jahre lang schrieb Ruth Maier Tagebuch – über die Judenverfolgung und die Reichspogromnacht in ihrer Heimat Österreich ebenso wie über ihr Leben als Emigrantin in Norwegen. Ihre Tagebücher erinnern daran, wie wichtig es ist, Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, Schutz zu gewähren.
Am 9. November 2023, am 85. Jahrestag der Pogromnacht von 1938, stand ich mit knapp drei Dutzend meist älteren Frauen und Männern vor dem Holocaust Mahnmal auf dem Opernplatz in Hannover. Wir wollten ein Zeichen setzen – gegen den wachsenden Antisemitismus im Land und an die Opfer von Rassenhass und Antisemitismus erinnern – nicht nur in Nazi-Deutschland.
Auch in meinem Heimatort wurden in der Pogromnacht die Synagoge und die Wohnungen von Jüdinnen und Juden verwüstet. Auch meine drei Onkel, damals 19, 17 und 13 Jahre alt, machten mit. Zumindest der jüngste hatte eigentlich keine Chance, kein Nazi zu werden. Er war erst sieben, als Hitler an die Macht kam und die Indoktrination in der Schule, in Hitlerjugend und sicher auch in der Familie begann. Mit 18 starb er in der Normandie, kurz nach der Landung der Alliierten.
Heute sind in Deutschland Judenwitze, abfällige Bemerkungen, körperliche Angriffe oder Attentate auf jüdische Menschen und Einrichtungen leider wieder Alltag – und die Mehrheit schweigt, wie damals. Doch es ist Zeit, aufzustehen. Nie wieder ist jetzt.
An Elisabeth Selbert habe ich mit dem Blogbeitrag vom 23. Mai 2024, am 75- Jubiläum des Grundgesetzes, erinnert. Die Sozialdemokratin war eine von nur vier Müttern des Grundgesetzes. Vor allem ihr ist es zu verdanken, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ins Grundgesetz aufgenommen wurde – und das Leben nicht nur der Frauen veränderte.
Mit der Gleichberechtigung der Frauen hatten die meisten (männlichen) Mitglieder des Parlamentarischen Rats, der als verfassungsgebende Versammlung seit Herbst 1948 das Grundgesetz erarbeitete, wenig im Sinn. Elisabeth Selbert kämpfte dafür, dass Frauen nicht in staatsbürgerlichen Dingen, sondern auf allen Rechtsgebieten den Männern gleichgestellt wurden. Weil auf ihre Initiative eine Übergangsregelung im Grundgesetz festgeschrieben worden war, setzte das Bundesverfassungsgericht Ende 1953 die Gesetze außer Kraft, die dem Gleichberechtigungsgrundsatz nicht entsprachen. Erst am 1. Juli 1958 beendete das „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“ viele rechtliche Benachteiligungen von Frauen. Danke Elisabeth Selbert.
Im Februar 2016 habe ich über den Film „Suffragette – Taten statt Worte“ geschrieben und darüber, wie es auch in Deutschland noch in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhundert um die Rechte der Frauen bestellt war. Bis 1958 durften Frauen nämlich ohne Zustimmung ihres Mannes nicht erwerbstätig sein. Der Mann entschied in allen Eheangelegenheiten; er bestimmte über die Kinder, das Geld und sogar über das Vermögen, das die Frau mit in die Ehe gebracht hatte. In einer Zeit, in der Tradewives Trend sind und junge Frauen wieder von der traditionellen Rollenverteilung träumen, ist es höchste Zeit, daran zu erinnern, wie rechtlos Frauen in den 50er Jahren waren.
(Fast) alle Frauen haben es schon erlebt. Sie tun etwas – und werden ungefragt von einem Mann belehrt, wie es anders und natürlich besser geht. „Mansplaining“ heißt das Phänomen, das sich aus den Worten Man (Mann) und explaining (erklären) zusammensetzt. Die amerikanische Schriftstellerin Rebecca Solnit hat das Wort zwar nicht erfunden, aber das Phänomen in ihrem Essay „Men Explain Things to Me“ – „Wenn Männer mir die Welt erklären“ eindrucksvoll beschrieben. Der Essay verbreitete sich rasant – und wurde erstmals 2014 auf Deutsch im gleichnamigen Buch veröffentlicht, das sechs weitere Essays von Rebecca Solnit enhält.
Virginia Woolfs Aussage, dass Frauen ein eigenes Zimmer und ein eigenes Einkommen brauchen, um erfolgreich schreiben zu können, kennt wahrscheinlich jede schreibende Frau. Und auch ich möchte mein eigenes Zimmer natürlich nicht missen. Aber Alleinsein beim Schreiben tut vor allem Frauen offenbar nicht immer gut – ein Zimmer allein ist nicht genug. Wie inspirierend und motivierend es ist, gemeinsam mit anderen (Frauen) zu schreiben und sich auszutauschen, habe ich zum ersten Mal bei zwei Schreibtagen in Wien erlebt – und die Schreibtreff-Idee nach Hannover exportiert.
Seit 2020 schreiben interessierte Frauen einmal im Monat gemeinsam – jede an ihren eigenen Texten, ohne vorgegebenes Thema, ohne Anleitung. Anders als zu Hause lassen wir uns in dieser Schreibzeit nicht von Alltagsdingen ablenken, wir nehmen uns Zeit – für uns und unsere Schreiben. Und das ist für unsere Texte erfahrungsgemäß sehr ergiebig.
Dieser Beitrag passt nicht so recht zu den anderen, die ich ausgewählt habe. Aber ich mag ihn, so, wie ich die Orchidee mag, die vor fast sechs Jahren auf meiner Fensterbank ein neues Zuhause gefunden hat. Wie es dazu kam, verrate ich in diesem ziemlich privaten Blogpost, den einige LeserInnen berührend fanden, andere kitschig und sentimental. Aber manchmal darf es eben auch sentimental sein.
Der 12. Juni ist der Tag des Tagebuchs. Denn am 12. Juni 1942, an ihrem 13. Geburtstag, schrieb Anne Frank zum ersten Mal in das Tagebuch, das sie weltberühmt machen sollte. Anne Franks Tagebuch begleitet mich seit mehr als 50 Jahren. Von den Tagebüchern Ruth Maiers habe ich im Mai bei meinem Besuch im Holocaust Zentrum in Oslo zum ersten Mal gehört – und sie jetzt gelesen.
Ruth Maier, im November 1920 in Wien geboren, begann bereits mit zwölf Jahren, im Mai 1933, Tagebuch zu schreiben. Die letzten Einträge – mehrere literarische Versuche – verfasste sie am 12. November 1942, zwei Tage nach ihrem 22. Geburtstag. Ob sie danach ein neues Tagebuch begonnen hat, ist unbekannt. Denn Ruth Maier wurde bei einer Razzia am Morgen des 26. November in ihrem Wohnheim in Oslo verhaftet und anschließend mit 531 jüdischen Frauen, Männern und Kindern nach Auschwitz deportiert. Die meisten wurden als „nicht arbeitsfähig“ eingestuft und direkt nach ihrer Ankunft ermordet. Von den 186 arbeitsfähigen Männern überlebten nur neun das Vernichtungslager.
Fast zehn Jahre führte Ruth Maier Tagebuch. Acht Hefte aus den Jahren 1933 bis 1942 sind überliefert, andere sind verloren gegangen. Die norwegischen Tagebücher wurden – ebenso wie Briefe und Zeichnungen – von Ruths Freundin Gunvor Hofmo aufbewahrt. Deren Versuch, in den 50er-Jahren einen Verlag zu finden, der die Tagebücher veröffentlichte, scheiterte.
Die Originale der Tagebücher befinden sich im Holocaus-Zentrum in Oslo
Erst nach Gunvor Hofmos Tod entdeckte der norwegische Schriftsteller Jan Erik Vold die Aufzeichnungen im Nachlass seiner Kollegin. Er setzte sich mit Ruth Maiers in England lebender Schwester in Verbindung und veröffentlichte Tagebücher und Briefe im Jahr 2007. Die deutsche Ausgabe erschien 2008 unter dem Titel „Das Leben könnte gut sein. Tagebücher 1933 bis 1942“ in der Deutschen Verlagsanstalt*. Zurzeit ist das Buch jedoch leider vergriffen.
Die deutsche Ausgabe der Tagebücher ist leider zurzeit nur antiquarisch erhältlich.
Wirklich gut war Ruth Maiers Leben eigentlich nur bis zur Annexion Österreichs durch Nazi-Deutschland: Sie ging zur Schule und verreiste in den Ferien häufig. Sie interessierte sich für Politik, las schon als Teenager, der damals noch Backfisch hieß, viel, ging gerne ins Theater und träumte davon, Schauspielerin oder Schriftstellerin zu werden. Einige ihrer frühen literarischen Versuche sind in den Tagebüchern überliefert.
Ab Frühjahr 1938 änderte sich das Leben der Jüdinnen und Juden in Österreich radikal: Ruth und ihre jüngere Schwester Judith mussten die Schule wechseln und ein jüdisches Gymnasium besuchen. Weil sie nicht arisch war, wurde der Familie die Wohnung gekündigt. „Die Juden wurden von ihrer bis dahin wenn auch nicht gleichberechtigten, so doch menschenmöglichen Stellung zu Unmenschen, Schweinen etc. degradiert“ schrieb Ruth am 27. September (S.130). Und am 10. Oktober heißt es: „Sie prügeln die Juden und wollen sie an Laternen aufhängen. … Weil ich Jüdin bin, wollen sie mich morden.“ (139f) Ihr 18. Geburtstag am 10. November 1938 „war der schrecklichste Tag, den ich je erlebt habe. Jetzt weiß ich, was Progrome sind, weiß, was Menschen tun können. Menschen, die Ebenbilder Gottes.“ (147)
Im Dezember floh Ruths Schwester Judith mit einem der ersten Kindertransporte nach England; ihrer Mutter und Großmutter gelang 1939 die Flucht auf die Insel. Ruth entschied sich gegen England für Norwegen – auch weil sie dort das Abitur machen wollte. Ein Bekannter ihres verstorbenen Vaters nahm sie auf und bürgte für sie. In seiner Familie lebte Ruth bis kurz vor ihrer Deportation.
Leicht war das Leben der jungen Emigrantin in Norwegen nicht: Auf sich allein gestellt, fühlte sie sich oft einsam und sehnte sich nach ihrer Familie in England. Mit ihrer norwegischen Gastfamilie gab es im Laufe der Zeit immer größere Spannungen. Und auch „die Atmosphäre in der Schule ist … milde ausgedrückt … scheußlich“ (259). So schrieb ein Mitschüler auf seinen Tisch, an dem Ruth im Lateinunterricht saß: „Juden hier unerwünscht.“ (276). Doch insgesamt begegnete ihr Judenhass in Norwegen „bis jetzt in minimalem Maßstab“ (248).
Auch nach dem bestandenen Abitur blieb Ruths Zukunft ungewiss. Sie durfte offiziell nicht arbeiten und hatte Geldsorgen. Und nachdem die deutsche Wehrmacht Norwegen besetzt hatte, war eine Ausreise nach England nicht mehr möglich. Auch der zuvor sehr intensive Briefwechsel mit ihrer Schwester brach ab.
Ein Lichtblick war die Freundschaft mit der späteren Lyrikerin Gunvor Hofmo, die sie 1940 Freiwiligen Arbeitsdienst kennenlernte. Die beiden jungen Frauen fühlten sich seelenverwandt, auch wenn ihre Beziehung nicht immer einfach war. „Ohne Gunvor würde ich das Leben gar nicht aushalten. Mir ist so, als binde sie mich ans Dasein. Wenn ich sie mir fortdenke, ist alles grau, und ich bekomme Angst“, so der Tagbebucheintrag vom 9. März 1941.
Gemeinsam mussten Ruth und Gunvor im Juni 1941 das Lager des Freiwilligen Arbeitsdienstes verlassen: „Es wurde uns vorgehalten, dass wir aufrührerisch seien, ja, auf meine ‚Rassenangehörigkeit‘ wurde angespielt, auf Gunvors politische Anschauung, auf unsere Diskussionen etc.“ 439.
Zurück in Oslo, verdiente Ruth ihr Geld auch als Aktmodell – unter anderem für den berühmten Bildhauer Gustav Vigeland. „Daneben nähre ich einen kleinen unschuldigen Traum: Malerin werden“, schrieb sie am 14. März 1942. Obwohl sie Zeichenunterricht an der Kunst- und Handwerksschule nahm, sollte ihr Traum sollte nicht in Erfüllung gehen.
Denn am 26. November Ruth in ihrem Wohnheim verhaftet. Als eine ihrer Mitbewohnerinnen versprach, die goldene Armbanduhr für sie aufzubewahren, antwortete sie nach Auskunft einer Augenzeugin: „Ich werde nie zurückkommen.“ (525)
Seit 2010 erinnert laut Wikipedia ein Stolperstein vor der ehemaligen Pension für junge Frauen und Mädchen an Ruth Maier, auch ein Platz in Oslo wurde nach ihr benannt. Ihre Tagebücher dienten als Vorlagen für ein Theaterstück, eine Oper und ein Musical. Und das Ruth Maier Archiv mit den Tagebüchern, Briefen, Aquarellen, Zeichnungen und anderen Dokumenten ist seit 2014 Weltdokumentenerbes der UNESCO. Wenn ich das nächste mal in Oslo bin, werde ich mir die Originale im Zentrum für Holocaust- und Minderheitenstudien (HL-senteret) ansehen. Außerdem werde ich noch einmal in den Vigelandpark gehen und doch nach der Plastik „überrascht Ausschau halten, für die Ruth Maier Modell gestanden hat
*Dieser Beitrag enthält unbezahlte Weerbung. Die Seitenzahlen beziehen sich auf die von Jan Erik Vold herausgegebene 1. Ausgabe der Tagebücher, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008
Zugegeben, es ist ziemlich spät, um in die #BlogWochen2025 einzusteigen. Warum wir eigentlich (immer noch) bloggen und was uns antreibt hatten Robert , Dirkund Benediktschon Anfang Maigefragt. Weil ich mir diese Fragen selbst immer wieder stelle und in der letzten Zeit häufiger überlege, ob ich weiterbloggen oder meinen Blog einstampfen soll, hatte ich mir fest vorgenommen, mitzumachen.
Aber der Mai ist irgendwie ganz anders verlaufen, als ich es mir vorgestellt habe (https://timetoflyblog.com/manchmal-kommt-es-anders). Aber vielleicht sind Urlaub, ein komplizierte Fraktur des Sprunggelenks, eine Operation und ein Krankenhausaufenthalt in Norwegen ja gute Entschuldigungen für die Verspätung.
Tagebuch schreibe ich schon seit fast einem halben Jahrhundert. Da ein Blog oder Weblog laut Wikipedia eine „Wortkreuzung aus englisch Web und Log für „Logbuch“ oder „Tagebuch“ ist, lag es nahe, dass ich irgendwann mit dem Bloggen anfangen würde. Time to fly gibt es seit März 2014. Zeitweise hatte ich sogar einen zweiten Blog, nämlich den Gartenblog Chaosgärtnerinnen.
Seit Mai 2015 blogge ich mehr oder weniger regelmäßig. Damals habe ich noch als Journalistin gearbeitet und gehofft, mir mit dem Blog ein zweites berufliches Standbein aufbauen oder durch die Beiträge neue Kunden gewinnen zu können. Ich habe damit geliebäugelt auch für Reise- oder Gartenzeitschriften zu arbeiten und wollte so Hobby und Beruf teilweise miteinander verbinden. Das hat leider nicht funktioniert: Meine Blogbeiträge haben mir keinen einzigen Auftrag eingebracht und auch durch Anzeigen oder Kooperationen habe ich keinen Cent verdient. Im Gegenteil: Der Blog kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld, weil ich manches, zum Beispiel das Zusammenführen beider Blogs oder auch den Umzug zu einem anderen Hoster, einer Webmasterin überlasse. Blogtechnik gehört – ebenso wie Akquise von Kunden – leider nicht zu meinen Stärken.
Inzwischen bin ich Rentnerin und veröffentliche meine Texte nur noch auf dem Blog: Denn auch nach vierzig Jahren Lohnschreiberei macht mir das Schreiben immer noch viel Spaß. Ich schreibe täglich, meist für mich selbst. Aber vielleicht brauche ich das Veröffentlichen auch für mein Ego.
Als Journalistin konnte ich immer wieder über Themen schreiben, die mir wichtig waren: Über Gleichberechtigung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beispielsweise oder über Projekte gegen Antisemitismus und Rassismus. . Jetzt tue ich das gelegentlich in meinen Blog-Beiträgen.
Denn in Zeiten wie diesen genügt es nicht, gegen neue Nazis, gegen Antisemitismus und gegen Rassismus zu sein. Man muss es auch laut sagen oder schreiben – und zeigen, beispielsweise bei Demos und Aktionen der Omas gegen rechts.
Es gibt noch einen Grund, warum ich immer noch blogge. Ich lebe seit fast vierzig Jahren in Norddeutschland, aber viele Freundinnen und gute Bekannte wohnen nicht in der Nähe. Wir sehen uns nur selten, aber sie erfahren auch durch meinen Blog regelmäßig, was ich tue, was ich erlebe und was mich bewegt. Nach meinem Ausrutscher in Norwegen haben sich einige, die ich nicht persönlich informiert hatte, gemeldet. Sie haben sich erkundigt, wie es mir geht und mir gute Besserung gewünscht (herzlichen Dank dafür :-)). Mein Blog hilft mir also auch, alte Kontakte nicht abreißen zu lassen. Und vielleicht knüpfe ich dadurch sogar auch neue.
Kerstin Salvadors Aufruf zur Blogparade hat mich sofort angesprochen. Denn Schreiben begleitet mich eigentlich mein ganzes Erwachsenenleben lang. Angefangen habe ich mit dem Schreiben – genauer gesagt mit dem Tagebuchschreiben – während der Schulzeit, nachdem ich Anne Franks Tagebuch gelesen hatte. Und obwohl ich Germanistik und Geschichte mit Ziel Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien studierte, wollte ich auf keinen Fall Lehrerin werden, sondern beruflich irgendwas mit Schreiben, Büchern oder wie man heute sagenwürde mit Medien machen.
Wenn man mir während oder auch direkt nach dem Studium gesagt hätte, dass ich mein Leben lang mit Schreiben Geld verdienen würde, wäre ich wahrscheinlich überglücklich gewesen. Denn die Aussichten, einen Job bei einer Zeitung oder einem Verlag zu finden, waren damals nicht allzu gut. Vielleicht hatte ich auch einfach nicht genug Selbstvertrauen und Mut – und zu wenig praktische Erfahrung.
Mosel und andere Weinbaugebiete
Zunächst führte mich das Schreiben eher zufällig zurück an die Mosel, in den Ort, in dem ich geboren und aufgewachsen war. Ein Leichtathletikfreund arbeitete dort für einen kleinen Verlag – er vermittelte mir ein dreimonatiges Praktikum, an das sich ein Volontariat anschloss. „Learning bei doing“ war angesagt. Ich war, vielleicht auch, weil ich studiert hatte und gerne schrieb, von Anfang an verantwortlich für das Gesamtwerk Deutscher Wein, eine Bildband-Reihe, die im Verlag herausgegeben wurde. Ich korrigierte und lektorierte nicht nur die Beiträge der anderen Autoren, sondern schrieb viele Texte selbst. Wir recherchierten vor Ort – so führte mich mein Schreiben zunächst in mehrere deutsche Weinbaugebiete – an die Nahe, nach Franken und nach Württemberg.
Die Schreibreise beginnt an der Mosel
Nicht des Schreibens, sondern der Liebe wegen, zog ich drei Jahre später nach Norddeutschland. Erfahrung im Verlagswesen hatte ich zwar inzwischen; ich war Mitautorin von vier Büchern und hatte in diesen Büchern auch viele Fotos veröffentlicht. Aber mit kleinem Kind und ohne ausreichende Kinderbetreuung wollte mich niemand fest einstellen. Dass ich als freie Journalistin für Zeitungen, Zeitschriften, Verlage, Verbände und Behörden arbeitete, war zunächst also eher eine Notlösung – doch irgendwann merkte ich, dass diese Art zu arbeiten gut zu mir passte. Ich habe vierzig Jahre lang unzählige Artikel geschrieben, mich dabei mit ganz verschiedenen Themen beschäftigt und mir ein gesundes Halbwissen in vielen Bereichen angeeignet.
Als Autorin im Fernsehen
Für zwei Sachbücher, die im Rowohlt Taschenbuch Verlag veröffentlicht wurden, habe ich Frauen bzw. Paare in ganz Deutschland – von Hamburg bis München – besucht und interviewt. Daran, dass mein Schreiben mich zweimal ins Fernsehen gebracht hat, habe ich mich erst beim Schreiben dieses Blogbeitrags wieder erinnert. Einmal fuhr ich für einen Auftritt in Jürgen Flieges Talkshow nach München; für den zweiten Beitrag kam ein Fernsehteam aus NRW zu uns nach Burgwedel. Doch das Fernsehen ist nicht meine Welt. Ich stehe nicht gerne vor der Kamera.
Die Interviews für die Zeitschriftenartikel führte ich meist telefonisch; Recherchereisen waren, weil sie von meinen Auftraggebern leider nicht bezahlt wurden, eher selten. Manches Projekt, über das ich geschrieben habe, habe ich live nicht gesehen. So war ich immer noch nicht im Anne Frank Haus in Amsterdam. Aber es steht weit oben auf meiner To-visit-Liste.
Schreiben und reisen im Wohnmobil
Weil ich für mehrere Campingzeitschriften arbeitete, haben wir uns irgendwann ein Wohnmobil angeschafft: So konnte ich schreiben und reisen, Beruf und Freizeit miteinander verbinden. Ich habe zum Beispiel Artikel über Inselhopping an der Ostsee geschrieben, über Camping zwischen Weinbergen an der Mosel, an oberitalienischen Seen oder an der Costa Brava.
Weil uns diese Art des Reisens gefallen hat, haben wir uns wieder ein Wohnmobil gekauft, als ich Rentnerin geworden bin. Obwohl ich mein Geld nicht mehr mit Schreiben verdiene, schreibe ich immer noch täglich. Zum Tagebuch sind längst die Morgenseiten gekommen, die mir helfen, gut in den Tag zu starten. Und natürlich gibt es diverse Notiz- und Projektbücher, in die ich Dinge aufschreibe, die mir wichtig sind oder scheinen (und die ich dann leider nicht immer wiederfinde).
Seit zehn Jahren blogge ich regelmäßig: Ich versuche, einen Blogbeitrag pro Woche zu veröffentlichen, was mir leider nicht immer gelingt. Ich schreibe über alles, was mich bewegt, auch übers Schreiben und über meine Reisen, zum Beispiel nach England, Schweden, Italien oder durch Deutschland. Der zweite Blogbeitrag vom Mai 2015 erzählt von einer Wanderung mit meiner Tochter in den Cinque Terre in Italien. Während ich diesen Beitrag schreibe, bin ich wieder mit meiner Tochter unterwegs, diesmal im Norden Europas, in Norwegen. Warum wir diesmal viel weniger gewandert sind als geplant, können alle, die es interessiert, in meinem vorigen Blogbeitrag nachlesen .
Genau genommen hat mein Schreiben mich natürlich nicht an diese Orte geführt, aber es hat mich auch dort begleitet, wie es mich eben immer begleitet. Und manchmal wähle ich Orte aus, weil sie mit Schreiben zu tun haben. So bin ich nicht nur, aber auch, wegen Judith Wolfsbergers Buch „Schafft euch Schreibräume“ nach Cornwall gefahren. Auf unserer Reise in die Toskana wollte ich unbedingt Pieve Santo Stefano, die Stadt der Tagebücher, besuchen. Und im vergangenen Herbst bin ich in Schweden zuerst in Ystad Kurt Wallander und auf dem Marktplatz in Vimmerby dann Astrid Lindgren begegnet.
Meeting mit Astrid Lindgren in Vimmerby …… und Schreiben auf den Kreidefelsen in England
Schreibauszeiten und …
Seit einigen Jahren gönne ich mir gelegentlich mehrtägige Schreibauszeiten. Denn es inspiriert mich, gemeinsam mit anderen (Frauen) zu schreiben; meist komme ich während der Schreibtage mit meinen Schreibvorhaben gut voran und bin motoviert, auch zu Hause weiter zu schreiben. Dass es mir dann im Alltag oft nicht gelingt, die guten Vorsätze umzusetzen, ist eine andere Sache.
Zu meinem ersten Schreibworkshop bin ich 2010 nach Amrum gefahren. Wir haben damals angeblich in dem Haus gewohnt und geschrieben, in dem Else Urys Nesthäkchen die Genesungskur verbracht hat. Weitere Workshops folgten im Nordkolleg in Rendsburg, in Wien, in Hamburg und im vergangenen Jahr auf Sylt.
Besonders nachhaltig war die Fahrt nach Wien. Im Writers’s studio habe ich den Schreibtreff kennengelernt, die Idee nach Hannover exportiert – und mithilfe von Annette Hagemann umgesetzt. Seit 2020 treffen sich einige interessierte Frauen am ersten Sonntagmittag im Monat, um gemeinsam zu schreiben. Parallel zum Frauenschreibtreff ist das AutorInnenzentrum Hannover entstanden. Seit es in der Deisterstraße feste Räume hat, bin ich dort regelmäßig zum (gemeinsamen) Schreiben, aber auch um an Workshops, AGs oder Textwerkstätten teilzunehmen.
Schreiben im Autorinnenzentrum in Hannover …… und im Garten des WritersStudios in Wien
… Schreibfreundinnen
Last but not least habe ich durch das (gemeinsame) Schreiben viele interessante Frauen kennengelernt. Danke an Annette, Brigitte, Cali, Elisabeth, Florence, Lore, Marlene, Sonja und all die anderen, die ich hier jetzt namentlich nicht nenne.
Eigentlich wollte ich am vergangenen Freitag zur Leipziger Buchmesse fahren. Doch dann kam ich am Donnerstag erst spät nach Hause und bin amFreitagmorgen zu spät aufgewacht, um den Zug zu bekommen, mit dem ich eigentlich nach Leipzig fahren wollte. Gottesurteil, hätte man das früher wohl genannt, und all denen, die sich mit der (Rechts)Geschichte nicht so gut auskennen, hilft Wikipedia weiter: „Ein Gottesurteil, Gottesgericht (lateinisch ordalium) oder Ordal, ist eine vermeintlich durch ein übernatürliches Zeichen herbeigeführte Entscheidung, die im Altertum und Mittelalter auch zur Wahrheitsfindung in einem Rechtsstreit eingesetzt wurde. Dabei liegt die Vorstellung zugrunde, nur ein Gott oder (säkular) eine Schicksalsmacht könne als höchste Instanz in einem existenziellen Entscheidungsprozess ein untrügliches Urteil fällen.“
Ob Gott, Schicksalsmacht, Zufall oder nur mein eigener Körper: Es war im Nachhinein eine gute Entscheidung. Denn ich hätte selbst ohne Verspätungen und Zugausfälle sechs Stunden gebraucht, um von Burgwedel nach Leipzig und wieder zurück zu kommen – viel Zeit und Stress für maximal acht Stunden Buchmesse. Außerdem sind die Zeiten, in denen die Buchmesse in Leipzig gemütlicher und familiärer war als die Buchmesse in Frankfurt, wohl endgültig vorbei. An den vier Buchmesse-Tagen kamen in diesem Jahr fast 300.000 BesucherInnen – in Frankfurt waren es im vergangenen Jahr an fünf Messetagen „nur“ 230.000. Das ist schön für die Verlage und die Veranstalter, aber nicht so optimal für alle, die in Ruhe Bücher anschauen oder anlesen möchten.
Schon an den beiden ersten Messetagen kamen fast 100.000 BesucherInnen zur Leipziger Buchmesse, an den Eingängen bildeten sich vor allem direkt morgens teilweise lange Schlangen. Und drinnen standen die Lesehungrigen teilweise über eine Stunde an, um bestimmte AutorInnen zu sehen oder um an bestimmten Ständen zu schmökern. Gut, Verlage, die bei den Young Adults beliebte Bücher veröffentlichen, oder bestimmte Bestseller-Autoren standen ohnehin nicht auf meiner Muss-ich-mir-unbedingt-Ansehen-Liste. Aber Menschenmassen sind nicht mein Ding.
Was ich nach den Berichten im Fernsehen vermutet hatte, hat mir eine Schreibfreundin bestätigt: „ja, die Buchmesse war voll und aus meiner Sicht hast du nichts verpasst“, schrieb sie. Sie habe zwar einige kleine Verlage kennengelernt, die sie noch nicht kannte – aber dazu habe ich vielleicht dann im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse die Gelegenheit. Dann möchte ich einer Freundin, die einen kleinen Verlag hat, helfen – und an den beiden Fachbesucher-Tagen ist auf der Buchmesse in Frankfurt erfahrungsgemäß weniger los als an den Publikums-Tagen, .
Bis zum Oktober werde ich mich lesend über den ausgefallenen Messebesuch hinwegtrösten. Denn ich habe beschlossen, für das Geld, das ich für Fahrkarten und Eintritt gespart habe – immerhin trotz Bahncard 50 rund 150 Euro –, Bücher zu kaufen.
Das erste werde ich mir gleich bestellen: Die aktuelle Ausgabe der Wortschau, in der Katia Tangian Hauptautorin ist und für die sie auch viele Bilder geliefert hat. Ich habe Katia beim Frauenschreibtreff kennengelernt und bin gespannt auf ihre Datscha-Storys, die, laut Verlag, die Geschichten einer Kindheit in der früheren UdSSR erzählen und in einem . Schriftstellerdorf spielen … „unter Treibhausbedingungen“.