Ostsee statt Normandie

Eigentlich wollten wir in diesem Frühsommer ja zwei Wochen in die Normandie fahren. Aber weil ich Ende Juni noch einen wichtigen Termin hatte und die Sommerferien in Frankreich in diesem Jahr schon am 4. Juli begonnen haben, haben wir die Reise aufs nächste Jahr verschoben und stattdessen mehrere kurze Fahrten geplant.

Zum Beispiel an die Müritz, die auf der Liste meiner Reiseziele schon lange weit oben steht. Doch dann schreckten uns die Stechmücken, die sich in diesem regenreichen Jahr an Seen besonders stark vermehrt haben. Aus dem gleichen Grund kam auch der Bodensee, Alternativreiseziel Nummer zwei, nicht infrage. Und so entschieden wir uns kurzfristig für die schleswig-holsteinische Ostseeküste. Bis zur Lübecker Bucht dauert die Fahrt ohne Staus nicht einmal drei Stunden. Außerdem hatten die Schulferien in Schleswig-Holstein und in Hamburg Mitte Juli noch nicht begonnen.

Auf dem Campingplatz Walkyrien zwischen Grömitz und Neustadt sind wir eher zufällig gelandet. Doch es war ein glücklicher Zufall. Bis zu dem kleinen Naturstrand sind es von den Stellplätzen aus gerade mal 300 Meter – und rund 60 Treppenstufen. Weil der Campingplatz auf der Steilküste liegt, konnten wir vom Wohnmobil aus immer das Meer sehen. Besonderes Highlight für mich: eine Sauna, ebenfalls mit Blick auf die Ostsee, selbst aus den Saunakabinen. Bei Außentemperaturen um die 25 Grad hatte außer uns offenbar niemand Lust auf noch mehr Wärme. Und so hatten mein Mann und ich die Sauna an zwei Nachmittagen ganz für uns allein. Was will frau mehr?

Ein bisschen Kunst vielleicht. Von der Malerin Sonja Knoop hatte ich noch nie etwas gehört. Doch weil mir einige Bilder auf ihrer Website gefielen und sie ihr Atelier für Besucherinnen öffnen wollte, fuhren wir nach Neustadt. Leider war das Atelier geschlossen, und so bummelten wir durch den Hafen und die Altstadt, ehe wir wieder Richtung Grömitz fuhren. Damit, dass es auf der Strecke so viele Steigungen gibt, hatten wir nicht gerechnet. Aber während ich die Hügel hinaufstrampelte, erinnerte ich mich dunkel daran, dass daran wohl die Eiszeit schuld ist: Damals, vor rund 10.000 Jahren, lagen weite Teile des Landes zwischen Nord- und Ostsee unter einer dicken Eisschicht. Als das Eis schmolz, blieben riesige Gesteinshaufen zurück. Grund- und Endmoränen, die uns jetzt ins Schwitzen brachten.

Hügelig ist auch die Strecke nach Cismar. Dort werden zurzeit in dem ehemaligen Benediktinerkloster Bilder von Armin Müller-Stahl ausgestellt. Ich mag den Schauspieler, der auch Musiker, Autor und Maler ist. Und auch der Titel der Ausstellung gefällt mir: „Es genügt ein Mensch zu sein“  (https://kloster-cismar.sh/de/armin-mueller-stahl–es-genuegt-ein-mensch-zu-sein-). Außerdem sollen sich rund um das Kloster viele Kunst- und Kulturschaffende angesiedelt haben. Sie „machen Cismar zu einem ganz besonderen magischen Ort machen“, las ich in der Broschüre „Kunst und Kultur. Kloster Cismar und Umgebung 2024“.  Grund genug, nach Cismar zu fahren,

Das Kloster, eines der bedeutendsten Bauwerke lübischer Frühgotik, ist wirklich imposant.  Mönche leben in der Abtei allerding schon lange nicht mehr, „Um 1560 wurde das Kloster aufgegeben und später in ein landesherrliches Schloss umgewandelt“, weiß Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Cismar). Heute nutzt das Landesmuseum Schleswig-Holstein das Gebäude im Sommer für Kunstausstellungen.

Noch bis Mitte August sind in der ehemaligen Amtmann-Wohnung und im Kuppelsaal des ehemaligen Benediktinerklosters rund 80 Bilder von Armin Müller-Stahl zu sehen. Die Bilder gefallen mir, nur schade, dass fast nur Porträts von Männern ausgestellt sind. Und ich frage mich, ob es daran liegt, dass der Maler so wenige Frauen porträtiert hat, oder doch eher an der Auswahl. 

Der Kunstraum Remise im Quergebäude des Klosters ist leider geschlossen. Dort bieten KünstlerInnen verschiedene Kurse und Projekte an. „Das Programm umfasst Malerei und Zeichnen, künstlerisches Gestalten mit unterschiedlichen Materialien und Techniken, Maskenbau und Maskenspiel, Schreibwerkstätten und ‚Alte Schriftkunst‘ sowie das kreative Erkunden der Klosteranlage.“ (http://www.remise.cismar.de/). Im Weißen Haus, dem ehemaligen Amtsschreiberhaus direkt neben dem Kloster, lebt und arbeitet heute die Lyrikerin Doris Runge; der Verein Literatur im Weißen Haus Cismar organisiert dort Lesungen und andere literarische Veranstaltungen. Leider nicht, als ich im Kloster bin. Und so radelte ich nach einem Kaffee im Garten des Klostercafés wieder zurück zum Campingplatz – diesmal über Grömitz.

Der Küstenradweg führt zwischen Grömitz und Bliesdorf Strand über die Steilküste und bietet wunderschöne Ausblicke auf die Ostsee. Leider ist er teilweise schlecht ausgeschildert und endet am Campingplatz Kagelsbusch. Den Weg vor dem Campingplatz dürfen eigentlich nur Campinggäste betreten. „Aber niemand hält sich dran“, erklärte mir ein Radfahrer, der sein Rad an der Sperre vorbeischob. Ich folgte seinem Beispiel. Denn dass ein Einzelner vielen einen Weg einfach versperrt, geht meiner Meinung nach gar nicht. Eigentum verpflichtet! Aber das nächste Mal werde ich wohl nach Grömitz wandern – und den „verbotenen Weg“ am Strand umgehen.

Unser erster Besuch in Walkyrien wird sicher nicht der letzte sein. denn an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste gibt es noch viel zu entdecken. Der Campingplatz auf der Steilküste ist dafür sicher eine gute Ausgangsbasis.

Auf dem Hexenstieg

Irgendwie ist es verhext mit dem Hexenstieg. Die rund 100 Kilometer lange Wanderung durch den Harz von Osterode bis nach Thale – oder umgekehrt – steht schon lange auf meiner To-walk-Liste. Zum einen natürlich wegen des Namens, zum anderen ist der Hexenstieg laut Harzinfo ein „ausgezeichneter Qualitätsweg Wanderbares Deutschland und gehört zu den Top Trails of Germany“ also zu den besten Wanderwegen Deutschlands. (https://www.harzinfo.de/erlebnisse/wandern/harzer-hexen-stieg). „Auf dem Harzer-Hexen-Stieg präsentiert sich der Harz seinen Gästen von einer ganz besonderen märchenhaften und mystischen Seite. Hier werden Wanderungen zu einem echten Erlebnis“, heißt es auf der Website. Ich war also gespannt.

Verschiedene Teilstrecken des Hexenstiegs bin ich schon gewandert: von Altenau nach Torfhaus beispielsweise, die Brockenumgehung nach Sankt Andreasberg, auf dem Goetheweg auf den Brocken und hinunter nach Schierke oder durchs Bodetal. Doch in diesem Jahr möchte ich den Harz einmal von West nach Ost durchqueren. Weil der Fernwanderweg ja quasi vor der Haustür liegt, buche ich keine Übernachtungen, sondern fahre morgens mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Start der jeweiligen Etappe und abends vom Endpunkt wieder nach Hause – oder zu meiner Tochter nach Bad Harzburg. So bin ich flexibler und kann je nach Tagesform und Wetter entscheiden, wie weit ich wann wandere.

Eigentlich sollte es schon im März losgehen. Doch dann wurde ich krank, an wandern war wochenlang nicht zu denken. Beim zweiten Versuch im Mai verhinderten zwei ungeplante Veranstaltungen meinen Einstieg in den Hexenstieg.

Am ersten Freitag im Juli war es dann endlich so weit: Ich startete früh morgens in Burgwedel und kam pünktlich zweieinhalb Stunden später in Osterode am Harz an. Eine Karte hatte ich nicht dabei, die lag – ebenso wie meine hohen Wanderschuhe – in der Wohnung meiner Tochter, weil wir meist dort gemeinsam loswandern. Aber zum Glück ist der Weg vom Bahnhof in Osterode bis zum Campingplatz Prahljust in Clausthal Zellerfeld ist nicht sonderlich anspruchsvoll und gut ausgeschildert. Neben Wegweisern weisen überall Markierungen mit der kleinen Hexe den rechten Weg. Und so verlief ich mich auch ohne Karte auf der ersten Etappe kein einziges Mal.

Nein, an der Auszeichnung der Strecke ist nichts auszusetzen. Weniger gut gefiel mir der Weg selbst. Hexen sind – oder waren – meist naturverbundene Wesen. Und so habe ich auf dem Hexenstieg  zumindest teilweise naturbelassene, schmale Pfade erwartet oder zumindest erhofft. Doch auf der ersten Etappe bis nach Clausthal-Zellerfeld überwiegen Wirtschaftswege – breite, meist geschotterte Wege, eher gemacht und gedacht für Traktoren und andere (Forst)Fahrzeuge als für WandererInnnen.

Das liegt möglicherweise auch daran, dass manche Wege wegen umgestürzter Bäume gesperrt sind. Der Borkenkäfer und der Klimawandel leisten im Harz derzeit ganze Arbeit. Wo früher dichter Wald war, stehen heute oft nur noch einzelne Baumgerippe. Aber irgendwann in hoffentlich nicht allzuferner Zukunft werden wir, da bin ich sicher, dem Borkenkäfer dankbar sein. Denn dort, wo vor ein paar Jahren noch Fichtenmonokulturen standen, wächst jetzt ein Mischwald heran, der hoffentlich resistenter gegen Käfer, Wind, Wetter und Klimawandel ist.

Besonders begeistert hat mich die erste Etappe des Hexenstiegs ehrlich gesagt nicht.  „Teuflisch schön und höllisch spannend“, wie auf Harzinfo angepriesen, war sie gewiss nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.  Ich weiß, dass es im und am Harz viele schöne Wege gibt. Den Rundwanderweg Spur der Steine bei Wolfshagen beispielsweise. Er ist nur ein paar Kilometer lang und führt, meist auf schmalen, verschlungenen Pfaden, um einen inzwischen renaturierten ehemaligen Diabas-Steinbruch herum. Dort wurden zwischen 1885 bis 1986 rund 25 Millionen Tonnen Gestein abgebaut (https://www.harzlife.de/tip/steinbruch-wolfshagen.html). Das Innere des Geländes mit einem markanten, fast 50 Meter hohen Felsen darf nicht betreten werden. Weil sein Gestein des Felsens als nicht abbauwürdig galt, blieb der Brutfelsen von den Abraumbaggern verschont. Heute nisten in den Höhlen viele Vögel. Und auch das Gelände um ihn herum mit flachen Teichen, künstlichen Inseln und Böschungen ist inzwischen ein Refugium für einheimische Tiere und Pflanzen. Allein wegen der beiden Ausblicke auf das Biotop hat sich die Wanderung gelohnt.

Die zweite Etappe des Hexenstiegs von Clausthal-Zellerfeld nach Altenau wollte ich übrigens am vergangenen Donnerstag wandern. Doch dann streikte mein ohnehin lädiertes Knie. Es schmerzte bei jedem Schritt und eine eiförmige Verdickung in der Kniekehle, laut Dr. Google eine sogenannte Bakerzyste, signalisierte mir, dass es besser wäre, das Knie ein bisschen zu schonen. Es ist offenbar wirklich verhext mit dem Hexenstieg. Aber aufgeschoben ist ja bekanntlich nicht aufgehoben.

Mehr Fotos und Infos über den verlassenen Steinbruch bei Wolfshagen unter

Vom Baum ins Glas

Unser Garten ist mehr oder weniger ein Ziergarten mit Rasen, Blumen, Stauden, Sträuchern und zwei kleinen Teichen. Ein paar Nutzpflanzen haben wir natürlich auch: So gedeihen beispielsweise Minze, Melisse, Salbei, Thymian oder Lavendel bei uns ausgesprochen gut. Aber ich nutze die Kräuter zugegebenerweise nur selten. Ich mag sie vor allem wegen ihres Dufts. Wenn ich im Garten bin, pflücke ich oft einen Zweig, einige Blüten oder Blätter, zerreibe sie zwischen den Fingern, stecke sie in meine Tasche oder zwischen die Seiten des Buchs, das ich gerade lese. Wahrscheinlich überleben die Kräuter auch nur wegen ihres Dufts. Denn ich bin bekennende Florasthenikerin: Pflanzen (wieder) zu erkennen, fällt mir schwer. Und manches, was ich in einem Jahr gepflanzt oder gesät habe, reiße ich im nächsten Frühjahr wieder aus, weil ich die Pflanze nicht wiedererkenne, sondern irrtümlich für Unkraut halte.

Tomaten, Salat und Gemüse wachsen bei uns in zwei Hochbeeten – in meinem in diesem Jahr allerdings eher spärlich. Die Tomaten tragen zwar ein paar Früchte; vom Rucola ist dagegen im Hochbeet gar nichts zu sehen. Dafür sprießt er wie schon in den vergangenen Jahren zwischen den Steinen der Terrasse. Fast täglich pflücke ich eine Hand voll – das genügt.

Die Erdbeeren, Johannisbeeren, Heidelbeeren und Himbeeren wandern jeden Morgen frisch vom Strauch in die Müslischalen. Von den Stachelbeeren konnte mein Mann in diesem Jahr sogar zwei Gläser Marmelade kochen. Die Süßkirschen überlassen wir dagegen meist den Vögeln: Mir verdirbt schon der Gedanke an die Maden der Kirschbaumfliege, die ich in den meisten Früchten entdecke. Doch zum Glück mögen Kirschbaumfliegen keine Sauerkirschen, und so können wir die zu Marmelade verarbeiten. Die schmeckt, anders als gekaufte Kirschmarmelade, nicht nach Marzipan, sondern ist wirklich sehr lecker.

In den vergangenen Jahren hat mein Mann die Kirschen geerntet. Doch diesmal bin ich auf den Baum gestiegen – und habe mich auf der Leiter stehend daran erinnert, wie gerne ich früher geklettert bin.

Vom Baum …

Als Kind war der Zwetschgenbaum im Garten meiner Eltern im Sommer mein Rückzugsort. Dort war ich zumindest zeitweise vor meiner kleinen Schwester sicher, mit der ich ein Zimmer teilen musste. Noch lieber wäre ich auf den Apfelbaum geklettert, doch selbst der unterste Ast war für mich unerreichbar hoch. Ein Seil als Kletterhilfe anzubringen, erlaubten meine Eltern nicht. Zu gefährlich, behaupteten sie. Dabei kletterte ich im Sportunterricht am Tau problemlos bis an die Decke der Turnhalle.

Das würde mirnatürlich heute nicht mehr gelingen,ja, ich würde es nicht einmal versuchen. Aber auf der Leiter wagte ich mich fast bis in den Gipfel des Kirschbaums. Was Gretchen lernt, verlernt Grete so schnell eben nicht.

Demnächst werde ich auf den Apfelbaum steigen, der in unserem Garten steht. Denn wie sagte Astrid Lindgren, als sie vor einem halben Jahrhundert mit ihrer Freundin Elsa Olenius um die Wette auf einen Baum kletterte: „Es gibt kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern.“ Und wer will der Erfinderin von Pipi Langstrumpf, Lotta und der Brüder Löwenherz schon widersprechen.

Astrid Lindgren war übrigens damals so alt wie ich heute, nämlich 67, ihre Freundin war sogar schon 80 Jahre alt (https://www.draesner.de/astrid-lindgren-klettert-auf-einen-baum/). Ob ich mit 80 noch so fit bin, weiß ich nicht. Aber ich habe hoffentlich noch ein paar Kletterjahre vor mir.

PS: Aus den Sauerkirschen, die ich geerntet habe, haben mein Mann und ich mehr als zwei Dutzend Gläser Marmelade gekocht. Das reicht bis zum nächsten Jahr. Dann werde ich hoffentlich wieder auf den Baum steigen und Kirschen ernten.

PS 2: Über die Früchte, die jetzt noch im Baum hängen, freuen sich die Vögel, auch wenn sie bei den Sauerkirschen auf die Fleischeinlage verzichten müssen.

Aller guten Dinge sind drei

Zugegeben, mit Eschede habe ich bislang nur Negatives verbunden. Da war natürlich das Zug-Unglück am 3. Juni 1998: Als der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ wegen eines defekten Reifens entgleiste, starben 101 Menschen, 105 wurden verletzt, viele von ihnen schwer (https://de.wikipedia.org/wiki/Eisenbahnunfall_von_Eschede). Und da sind natürlich die Rechtsextremen, die sich seit Jahrzehnten regelmäßig auf einem ehemaligen Bauernhof bei Eschede treffen.

Ich fahre immer durch den Ort, wenn ich mit dem Zug gen Norden fahre; ausgestiegen bin ich allerdings bislang erst einmal: im vergangenen Herbst, um an einer Demonstration gegen jenen Nazi-Treffpunkt teilzunehmen. Es war ein ziemlich beängstigendes Gefühl, an dem Hof vorbeizugehen, wo vermummte Männer uns filmten. Dass einige TeilnehmerInnen an der Demonstration ihre Gesichter ebenfalls versteckten, um nicht erkannt zu werden, konnte ich gut verstehen. Und ich war froh, dass so viele PolizistInnen uns begleiteten, wohl mehr, um uns als den Hof zu schützen.„Wohnen“, dachte ich damals, „möchte ich Eschede nicht.“

Dass ich Eschede seit Sonntag auch mit Schönem verbinde, ist eher Zufall. Weil die an diesem Wochenende offenen Gärten in der Region Hannover mit Öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer zu erreichen waren, suchte ich am Samstagabend nach besser erreichbaren Alternativen – und fand vier Gartenpforten in Eschede, die von Nabu-Mitgliedern geöffnet wurden.

Nicht einmal 20 Minuten dauerte die Zugfahrt von Burgwedel in den Heideort – und allein wegen des ersten Gartens hat sie sich gelohnt. „Hier könnte ich bleiben“, war mein erster Gedanke, als ich durch die offene Pforte trat. Der 3.000 m² große Garten von Helga und Guido Schuller ist wirklich ein Traum – mitvielen, zum Teil alten Bäumen und Sträuchern, ganz unterschiedlichen Stauden-, Obst- und Gemüsebeeten. Es gibt eine Sammlung von alten Fuchsienhochstämmen, ein Gewächshaus mit einer Kakteensammlung, zahlreiche Nistkästen und natürlich verwilderte Ecken mit Totholzhaufen.

Besonders gut gefallen haben mir die Teiche: Der neuere mit großer Flachwasserzone liegt – sonnenbeschienen – im vorderen Bereich des Gartens, ein zweiter versteckt sich im hinteren Bereich unter Bäumen. In die kleine, von Rosen umramkte Hütte am Rand des Teichs wäre ich gerne eingezogen. Aber auch das Gewächshaus direkt neben dem Seerosenteich lud zum Schreiben und zum Bleiben ein. Und weil die GartenbesitzerInnen bei der Auswahl der Pflanzen viel Wert auf die Insektenfreundlichkeit legen, fühlen sich im Garten nicht nur menschliche BesucherInnen wohl.

Nach dem furiosen Auftakt waren meine Erwartungen natürlich hoch, und die anderen beiden Gärten enttäuschten sie nicht. Als „Kompromiss zwischen einem gestalteten, kulturell geprägten Garten und einer Wildnis“ versteht Christine Lange-Krüger ihren Garten. „Eingriffe erfolgen nur, um die Pflanzenvielfalt zu erhalten und Gräser im Zaum zu halten.“ Wildstauden, vogelfreundliche Gehölze, ein kleiner Teich und eine kleine Obstwiese bieten viel Nahrung und Raum für Insekten und Vögel. Mein Lieblingsplatz war die mit echtem und wildem Wein bewachsene Pergola. Oder vielleicht doch die hinterm Rosenbogen versteckte Bank?

Dass der Garten von Johanna Schuller noch im Umbruch ist, sieht man ihm nicht an. „Auf einer ehemaligen Wiese mit verschiedenen heimischen oder auch exotischen Büschen am Rand, entsteht nach und nach eine bunte Mischung aus Nutz- und Naturgarten“, beschreibt sie ihn in der Broschüre, die im  Internet unter www.offene-Pforte-celle.de heruntergeladen werden kann. Mit gefiel der Garten mit Gemüse- und Staudenbeeten, Kräuterinseln, Gewächshaus, Wildblumenwiese und wilden Ecken schon jetzt. Selbst ein Teich fehlt nicht.

Den Weg zum vierten Garten, der seine Pforte geöffnet hat, sparte ich mir – nicht, weil mich der artenreiche (Wild)Staudengarten mit Streuobstwiese nicht interessierte. Aber er liegt in Habighorst, etwa zwei Kilometer von Eschede entfernt. Zu Fuß hätte ich für Hin-, Rückweg und Gartenbesichtigung mindestens eine Stunde gebraucht – und die dunklen Wolken am Himmel verhießen nichts Gutes. Einen Schirm habe ich nicht dabei und die Regenjacke in meinem Rucksack hätte einem Platzregen, wie ich ihn am Vortag erlebt hatte, kaum standgehalten.

Und weil aller guten Dinge ja bekanntlich drei sind, .ging ich zurück zum Bahnhof und fuhr nach Hause. Aber ich werde sicher wieder einmal in den kleinen Heideort kommen, den ich künftig nicht nur mit Zugunglücken und Rechtsradikalen verbinde, sondern auch mit wunderschönen Gärten.

Auf dem Besinnungsweg

Auf dem Burgberg bei Bad Harzburg war ich schon oft – er ist sozusagen unser Hausberg. Meine Tochter und ich wandern oft hinauf, wenn die Zeit bei meinen Besuchen nicht für eine längere Wanderung reicht oder das Wetter nicht mitspielt. Den Besinnungsweg habe ich aber erst vor ein paar Tagen entdeckt, obwohl er – eigentlich unübersehbar – an der Bergstation der Baumschwebebahn beginnt und endet.

Vor fast 1000 Jahren ging es hier wenig besinnlich zu. Wo Burgberg und Sachsenberg sich treffen, sollen angeblich im Jahr 1073 die Untertanen den deutschen König und späteren Kaiser Heinrich IV. und dessen Gefolge in der Harzburg belagert haben. Grund, wütend zu sein, hatten die Menschen allemal, mussten sie doch von 1065  bis 1068 die Burg in Fronarbeit, also ohne Bezahlung, bauen. An den Aufstand der Sachsen erinnert jetzt eine der insgesamt acht Stationen auf dem 1,6 Kilometer langen Rundweg.

Der führt um und auf die Kuppe des 538 Meter hohen Sachsenbergs und ist genau so, wie ich mir Wanderwege wünsche: schmal und verschlungen. Meist führt der Pfad durch den Wald, aber es gibt viele schöne Ausblicke: auf Bad Harzburg beispielsweise oder auf den Brocken. An vielen Stellen stehen Bänke und laden dazu ein, Pausen zu machen und über die Welt oder sich selbst nachzudenken.

Ich frühstücke auf einer Bank am Sachsenstein. Die Aufschrift „Sonne – Erde – Wind – Wasser“ erinnert an den Sachsengott Krodo, laut Sachsenspiegel ein Gott  der Fruchtbarkeit und des Lebens. Krodos Zeit endete mit der Christianisierung im achten Jahrhundert. Jetzt schaut mir der von Ralf Woick geschaffene Krodo-Kopf beim Frühstück zu.

Sein grimmiger Blick stört mich nicht, und während ich in der Sonne sitze, kommt mir das vielleicht bekannteste Zitat aus Goethes Faust in den Sinn: „Verweile doch! du bist so schön!“ Zum Glück habe ich, anders als Faust, keine Wette mit Mephisto abgeschlossen und kann ich den Augenblick genießen.

Das tue ich zu selten, meist fordert mich meine innere Stimme eher auf, mich zu beeilen statt zu verweilen. Dazu passt die Geschichte vom weisen Mann, die ich ein paar Meter weiter an der nächsten Station lese. Gefragt, wie er es schaffe, immer bei der Sache zu sein und ganz ruhig zu bleiben, verrät er sein Geheimnis. „Ganz einfach: Wenn ich sitze, sitze ich, wenn ich stehe, stehe ich und wenn ich gehe, gehe ich.“ Mir geht es indes wie vielen Menschen. Wenn ich sitze, bin ich schon im Begriff, aufzustehen, wenn ich stehe, denke ich schon daran, loszugehen, wenn ich gehe, denke ich schon ans Ziel – und wenn ich angekommen bin, suche ich schon ein neues Ziel, eine neue Aufgabe. Das soll anders werden.

Am nächsten Platz, dem Himmelsloch, wäre ich gerne länger geblieben. Auf der hölzernen Liege liegend, schaue ich in den blauen Himmel, der sich zwischen den hohen Bäumen zeigt.  Doch leider währt der Himmelsblick nicht lange. Das Holz war frühmorgens noch feucht vom Tau. Aber ich werde sicher bald wiederkommen und dann gewiss länger bleiben.

Rosen, Pfingstrosen und Orchideen

Ich habe seit Jahren eine Dauerkarte für die Herrenhäuser Gärten und ich nutze sie viel. Manchmal gehe ich einfach nur kurz in den Berggarten, wenn ich eigentlich aus einem anderen Grund in Hannover bin. Und immer wieder entdecke ich bei meinen Besuchen unbekannte Pflanzen. So zum Beispiel den Tulpenbaum im Staudengrund. An ihm bin ich wohl unzählige Mal achtlos vorbeigegangen, obwohl er wegen seiner Größe und der ungewöhnlichen Blüten kaum zu übersehen ist.

Am vergangenen Freitag führte mein erster Weg ins Orchideenschauhaus. Das hatten wir vor sechs Jahren, am 94. Geburtstag meiner Mutter, gemeinsam mit ihr besucht. In diesem Jahr wäre sie 100 Jahre alt geworden.

Meine Mutter hat Orchideen geliebt – und war von der Blütenpracht begeistert. Kein Wunder: Die Orchideensammlung im Berggarten gilt als eine der bedeutendsten Europas. Im Orchideenhaus werden ständig zwischen 500 und 800 Orchideen gezeigt, und zwar zwischen anderen tropischen Sträuchern und Bäumen, also quasi in ihrer „natürlichen“ Umgebung.

Auch die Pfingstrosen hätten meiner Mutter sicher gefallen. Im Präriegarten und im Staudengrund blühen zurzeit ganz verschieden Arten in den unterschiedlichsten Farben – von Weiß über Gelb, Rosa, Rot und Pink bis fast Schwarz. Als meine Mutter noch an der Mosel lebte, wuchs in ihrem Vorgarten ein riesiger Pfingstrosenstrauch, dessen Blüten herrlich dufteten. Noch heute bedaure ich, dass ich ihn nicht ausgegraben und in unserem Garten eingepflanzt habe, als wir das Haus verkauften. Meine eigenen Pfingstrosen duften wie so viele Neuzüchtungen leider nicht – und so muss ich mich damit begnügen, beim Gang durch die Herrenhäuser Gärten meine Nase in fremde Blüten zu stecken.

Pfingstrosen sind, auch das habe ich beim Schreiben der Blogbeiträge gelernt, trotz ihres Namens botanisch keine Rosen, sondern bilden eine eigene Pflanzenfamilie – die Pfingstrosengewächse (Paeoniaceae). Richtige Rosen (Rosa) wachsen im Niederdeutschen Rosengarten. Er ist Teil des Großen Gartens und laut Website „die Nachbildung eines der bereits im 16. Jahrhundert hoch geschätzten ‚Liebesgärten‘“ (https://www.hannover.de/Herrenhausen/Herrenhäuser-Gärten/Großer-Garten/Der-Niederdeutsche-Rosengarten). Insgesamt etwa 650 Rosen sollen in den quadratischen und runden Beeten wachsen, darunter auch die Herrenhäuser Sorten „Kurfürstin Sophie“ und „King George“.

An den wunderschönen privaten Rosengarten von Silke Rex, die im Juni wieder ihre Gartenpforte öffnet, reicht der Rosengarten in Herrenhausen meiner Meinung nach zwar nicht heran. In einem der vier Pavillons sitzend, habe ich mich aber trotzdem ein bisschen wie Dornröschen gefühlt.

Viel Zeit zu träumen oder gar zu schlafen hatte ich indes nicht. Denn eigentlich war ich ja aus einem anderen Grund in Hannover: Ich wollte zur Synagoge der Liberalen Jüdischen Gemeinde. Dort halten die Omas gegen rechts jeden Freitag während des Schabbat-Gottesdienstes eine Solidaritätswache.

Rhapsodie in Gelb und Blau

Wer sich unseren beiden Miniteichen nähert, sieht zuerst Gelb. Die Schwertlilien haben die Sumpfdotterblumen abgelöst und blühen prächtig. Die lila Blüten erkennt man erst auf den zweiten Blick. Zwischen den gelben Lilien zeigt sich eine einzelne Dreimasterblume – aber ich bin sicher: Wo eine ist, werden bald andere folgen. Denn Dreimasterblumen haben leider ein sehr einnehmendes Wesen. Weil sie andere Pflanzen rücksichtslos überwuchern, rücke ich ihnen regelmäßig mit Spaten und Hacke zu Leibe.

Darüber, dass die Akeleien sich überall im Garten ausbreiten, freue ich mich dagegen sehr – ebenso darüber, dass zum ersten Mal seit Jahren wieder lila Schwertlilien in unserem Garten wachsen. Woher sie kommen, weiß ich nicht, vielleicht trauen sie sich in diesem Jahr hervor, weil ich die übermächtige Heckenrose am Teichrand ausgegraben und auch den wuchernden Beinwell etwas zurechtgestutzt habe.

Die blaue Anemone im Beet am Wintergarten blüht in diesem Jahr ebenfalls zum ersten Mal. Von ihren Schwestern ist noch nicht zu sehen. Aber ich habe die Zwiebeln ja auch erst spät – vor etwa einem Monat – in die Erde gesetzt. Vielleicht kommt ihre Zeit noch: Manche Anemonen blühen bis in den Herbst hinein.

Dann ist meine Lieblingsrose, Rhapsody in blue, sicher längst verblüht. Sie blüht, anders als ihr Name sagt, lila und sie duftet herrlich. Leider verwelken die Blüten rasch. Aber vielleicht kann ich ja die Blütezeit verlängern, wenn ich die verblühten Blütenstände abschneide. Das schadet der Pflanze angeblich nicht, im Gegenteil: Laut hausgarten.net bleiben Rosen „nur durch gezielte und periodische Rückschnitte … vital und blühfreudig“ (https://www.hausgarten.net/verbluehte-rosen/). Anderen Websites zufolge gilt das nicht für alle Rosenarten, aber zumindest für Beetrosen wie meine Rhapsody in blue.

Sehr ausdauernd blüht, ganz ohne mein Zutun und meine Unterstützung, das Blaukissen: Die erste Blüte zeigte sich schon im Februar – und noch sind keine Ermüdungserscheinungen zu erkennen. Der Lesezwerg ist fast ganz in den blauen Blüten versunken – und natürlich immer noch in seinem Buch.

Was er liest, verrät er mir leider nicht. Ich habe gestern wieder einmal Selene Marianes „Miniaturen in Blau“ aus dem Bücherregal geholt – passend zur Rhapsodie in Blau vor dem Wintergartenfenster.

Apfelparadies am Nord-Ostsee-Kanal

Ich mag schöne Gärten, und so naturbelassene wie den Garten des Nordkollegs in Rendsburg allemal. Knapp ein Hektar ist der zwischen den Seminar- und Gästehäusern der Akademie für kulturelle Bildung gelegene Garten groß – und allein schon seinetwegen lohnt sich ein Aufenthalt in der Bildungsstätte.

Schon bei meinem ersten Seminar im Januar vergangenen Jahres machte mich der Garten neugierig – aber Winter ist für einen Gartenbesuch eben nicht die beste Zeit. Da ist der April allemal besser, vor allem wenn die Temperaturen in der ersten Aprilhälfte eher einem vorgezogenen Mai ähnelten. An diesem Wochenende spielten die Temperaturen leider nicht ganz mit – der April macht ja bekanntlich, was er will. Und so konnte ich, anerkannte Frostbeule, immer nur kurz in der Sonne sitzen. Aber wenn ich vor, nach und zwischen den einzelnen Sitzungen und Schreibsessions auf verschlungenen Pfaden spazierte, habe ich mich ein bisschen wie Dornröschen im verzauberten Garten gefühlt.

Nicht ohne Grund: Über 200 Rosenarten soll es laut Website im Garten geben (https://www.nordkolleg.de/nordkolleg/der-garten/). Bis sie blühen, dauert es noch eine ganze Weile; und auch Wildblumenwiese, Trompeten- oder der Tulpenbaum lassen noch auf sich warten. Die Apfelbäume stehen dagegen derzeit in voller Blüte. Mehr als 120 Mutterpflanzen alter Obstsorten – 120 an der Zahl, kein Spalierobst – werden im Garten des Nordkollegs erhalten. Die alten Sorten sind nicht nur schmackhafter als viele neue Züchtungen; sie liefern vor allem die Edelreiser, die man zum Veredeln oder zur Nachzucht von Apfelbäumen braucht.

Eine Besonderheit, und zumindest einzigartig in Deutschland, ist der 100-Sorten-Apfelbaum – ein Baum, an dem tatsächlich mehr als hundert verschiedene Apfelsorten wachsen. Seit Jahren werden auf einen Boskoop-Apfelbaum Triebe anderer Sorte gepfropft. Wachsen sie am angeschnittenen Ast an, trägt der alte Baum im nächsten Jahr (auch) Äpfel der aufgepfropften Sorte. Wegen der Sortenvielfalt trägt der Baum übrigens sehr lange – vom Sommer bis in den Herbst hinein – Früchte. Ihren Teil tragen dazu auch die im Nordkolleg-Garten lebenden Bienenvölker bei, die die Blüten – nicht nur der Apfelbäume – bestäuben.

Auch die begehbare Kräuterspirale, auf der zurzeit vor allem der Waldmeister blüht, hat mir gut gefallen. Und im Natur-Klang-Garten kann man hören, wie Wasser springt, Steine rauschen oder wie ein Hörrohr die „Musik der Natur“ verstärkt.

Apropos Musik: Die spielt im Programm des Nordkollegs neben Literatur & Medien, Sprachen & Kommunikation sowie Kultur eine besondere Rolle: Hier proben Chöre und Orchester, finden unter anderem Jazz-, Musical- oder Songwriter-Workshops statt. Mich hat diesmal ein Essayworkshop mit Brigitte Helbling nach Rendsburg geführt. Die literarische Form fasziniert mich schon lange – und ich konnte mich ihr in dem viertägigen Workshop wieder ein Stück mehr annähern.

Mein zweiter Besuch im Nordkolleg war bestimmt nicht mein letzter. Ich komme gewiss wieder – vielleicht zu einem Konzert, zum Apfelblütefest im Mai oder zum Apfelerntefest im Herbst, bei dem Äpfel verschiedener Sorten probiert werden können. Oder im Sommer, wenn die im Garten des Nordkollegs viele verschiedene Rosensorten blühen.

Garten im April

Endlich Frühling, überall im Garten grünt und blüht es. Die beiden Kirschbäume beispielsweise. Über die Früchte der Süßkirsche werden sich später vor allem die Vögel freuen, ebenso über die ebenfalls weiß blühenden Schlehen hinten am Teich. Bis der Flieder aufblüht, dauert es ebenfalls nicht mehr lange, und auch der Apfelbaum ist bald so weit. Mausohr heißt das Stadium kurz vor Beginn der Blüte im Blütenradar des Alten Lands.

Am Teich fühlen die Sumpfdotterblumen, gelbe Farbkleckse im weiß-lila Blütenmeer, und Beinwell wohl. Wie das Buschwindröschen in unseren Garten gekommen ist – oder ist es ein Studentenrösli? -, weiß ich nicht, und auch den hängenden Lauch habe ich sicher nicht gepflanzt. Aber ich freue mich, dass sie da sind.

Im Beet, über das bis zum vergangenen Jahr der mächtige Buchsbaumstier herrschte, wird zum Blumenbeet. Jetzt blühen hier Tulpen, Wildtulpen und ganz neu Rem‘s Favorite. Später kommt dann die Zeit der Anemonen und der Rosen, die ich hierhin (um)gepflanzt habe. Gleich daneben wächst das Blaukissen in diesem Jahr so hoch, dass der Lesezwerg fast zwischen den Blüten verschwindet.

Da wollen auch die Pflanzen im Haus nicht zurückstehen. Hinter dem schützenden Glas des Wintergartens zeigt die Strelitzie, dass sie zurecht Paradiesvogelblume genannt wird. Wie Vögelköpfe schauen die bunten Blüten aus dem dichten Grün hervor. Der Osterkaktus  ist in diesem Jahr etwas spät dran. Aber erstens war Ostern in diesem Jahr außergewöhnlich früh. Und zweitens ist er auch schon ein alter Herr. Wir haben ihn und seinen rosa blühenden Bruder von meiner Schwiegermutter geerbt, die schon seit über 30 Jahren tot ist.

Von meiner Mutter, die vor fast fünf Jahren gestorben ist, habe ich eine Orchidee übernommen. Ich hatte sie ihr kurz vor ihrem Tod geschenkt – jetzt steht sie in meinem Arbeitszimmer. Sie blüht meist lange, vielleicht bis zum 100. Geburtstag meiner Mutter im Mai.

Auf nach Herrenhausen

Endlich war ich wieder in den Herrenhäuser Gärten. Meine Jahreskarte war schon im Oktober abgelaufen und meist kaufe ich mir dann direkt eine neue. Denn ich mag die Gärten, vor allem den Bergarten und den frei zugänglichen Georgengarten, eigentlich zu jeder Jahreszeit. Aber im gefühlten Dauerregen von November bis Februar erschien mir ein Gartenspaziergang dann doch wenig verlockend. Im Großen Garten, der von Grachten umgeben ist, war sogar zeitweise Land unter. Einige Beete und Gewächshäuser standen tagelang unter Wasser. Wie die Pflanzen das verkraftet haben, wird sich wohl erst in den nächsten Wochen zeigen.

Der Berggarten war von den Überschwemmungen nicht betroffen. Denn er liegt zwar, anders als sein Name vermuten lässt, nicht auf einem Berg, aber doch etwas höher als sein großer Bruder. Der frühere herzogliche Küchengarten wurde laut Wikipedia auf dem Hang einer Eiszeit-Sanddüne angelegt (https://de.wikipedia.org/wiki/Berggarten). Gemüse wird hier schon lange nicht mehr angebaut, dafür wachsen im Berggarten heute rund 12.000 Pflanzenarten – zu jeder Jahreszeit andere.

Jetzt sind die Frühblüher an der Reihe – Scilla, Krokusse, Lenzrosen, Märzbecher, Primeln Narzissen und viele andere, deren Namen ich nicht kenne. Den Staudengrund durchzieht wieder das künstliche Bächlein und die Süntelbuche, mein Lieblingsbaum, zeigt sich – noch ohne Blätter – ihre ganze Schönheit. Was aussieht wie ein kleiner Wald ist tatsächlich nur ein einziger Baum – im Sommer verdecken die Blätter die knorrigen Stämme, Äste und Zweige, die über oder unter der Erde miteinander verbunden sind.

Als die Süntelbuche (Fagus sylvatica ‚Tortuosa‘) im Berggarten um 1880 gepflanzt wurde, waren ihre freilebenden Verwandten schon weitgehend ausgerottet. Denn ihre kurzen, verdrehten, oft miteinander verwachsenen Äste und Stämme eignen sich weder als Bau- noch als Brennholz. Und wegen seines teilweisen bizarren Aussehens war das „Deuwelholts“ vielen Menschen unheimlich. Grund genug, den letzten Süntelbuchenwald in den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts abzuholzen.

Die Süntelbuche im Berggarten hat mit 145 Jahren ihre durchschnittliche Lebenserwartung schon erreicht. Die liegt nämlich „bei 120 bis 160 Jahren. Der waagerechte, statisch ungünstige Wuchs scheint das Auseinanderbrechen alter morscher Bäume zu beschleunigen, so dass 300 Jahre nicht erreicht werden“, heißt es bei Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Süntel-Buche). Im Berggarten stützt ein starker Zaun die alte Dame – und so ist zu hoffen, dass sie ein ähnlich hohes Alter erreicht wie ihre Verwandten bei Raden im Auetal oder im Schlosspark von Haus Weitmar in Bochum. Beide Süntelbuchen sind über 250 Jahre alt, mein Lieblingsbaum in den Herrenhäuser Gärten wird mich also hoffentlich lange überleben.

Übrigens: In Bad Nenndorf am Deister kann man Süntelbuchen fast in „freier Wildbahn“ bewundern. Fotos von der Süntelbuchenallee am Rande des Kurparks gibt es unter https://timetoflyblog.com/eine-allee-der-besonderen-art und unter https://foerodens.wordpress.com/2024/01/14/alt-und-knorrig-die-suntelbuchenallee/