Blick zurück nach vorn

Letzte Woche habe ich die beiden letzten Artikel für eine Zeitschrift abgegeben, die ich einige Jahre als verantwortliche Redakteurin betreut habe, heute dann die gestalteten Seiten korrigiert. Jetzt ist dieses Kapitel abgeschlossen. Ich habe vier Jahrzehnte lang mit Schreiben meinen Lebensunterhalt verdient. Jetzt nehme ich keine Schreibaufträge mehr an, sondern schreibe „nur noch“, was mir gefällt. Blogbeiträge wie diesen zum Beispiel.

Ist es Zufall oder ein Zeichen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, aufzuhören? Vor genau 40 Jahren, im August 1983, habe ich ein Praktikum im Verlag Heinen, einem kleinen Verlag an der Mosel, begonnen. Das war zwar unbezahlt, aber ich war trotzdem überglücklich. Denn ich wollte auf keinen Fall Lehrerin werden – und Jobs in Verlagen damals waren rar und heiß begehrt. Ohne Praktika oder Kontakte hatte frau keine Chance, den Einstieg ins Verlagswesen oder bei einer Zeitung zu schaffen.

Auch mir hat damals ein Bekannter geholfen: Wir hatten ein paar Jahre zusammen in einer Leichtathletikgruppe trainiert und uns dann während meines Studiums aus den Augen verloren. Bei einem Weinfest trafen wir uns wieder und kamen ins Gespräch: Er erzählte mir, dass er Geschäftsführer eines Verlags sei, ich ihm, dass ich eine Stelle in einem Verlag suchte. So hat alles angefangen.

Ich bin dann wieder zurück in meinen Heimatort gezogen, denn aus dem Praktikum wurde nach drei Monaten ein bezahltes Volontariat. Gelernt habe ich in dem Verlag viel, vor allem „by doing“. Ich war von Anfang an für eine Buchreihe zuständig und habe nicht nur Texte lektoriert, sondern auch viele selbst geschrieben und für die Bücher fotografiert. Drei Jahre lang habe ich an der Mosel gearbeitet und gelebt – wahrscheinlich in dieser Reihenfolge wie so oft, vielleicht allzuoft, in meinem Leben. Dann bin ich der Liebe wegen in den Norden gezogen und habe beruflich neu angefangen.

Meine Erfahrung im Verlag hat mir nach dem Umzug Türen geöffnet. Die vier Bücher, an denen ich als Autorin und Fotografin mitgearbeitet hatte, haben bei Bewerbungen beeindruckt. Trotzdem war die Chance, eine feste Stelle zu finden, als Mutter eines kleinen Kinden gleich null: Krippenplätze gab es damals in meinem neuen Wohnort noch nicht, den ersten Kindergartenplatz bekam meine Tochter mit dreieinhalb Jahren in der Nachmittagsgruppe: Betreuungszeit von 14 bis 17 Uhr. Aber wenn ich wirklich einmal erst um 17 Uhr kam, um Nele abzuholen, erntete ich böse Blicke. Ich hatte als einzige Mutter in meinem Bekanntenkreis meinen Beruf nicht aufgegeben und galt als Rabenmutter, weil ich lieber arbeitete, statt mich um mein Kind zu kümmern. Und ich überließ seine Betreuung „Fremden“, wenn ich Termine hatte oder am Schreibtisch saß – gelegentlich meinen Eltern oder meiner Nachbarin, deren Tochter mit meiner befreundet war, meist aber meinem Mann, also Neles Vater.

Natürlich hatte ich ein schlechtes Gewissen. Dass es eigentlich ein Kompliment, eine Rabenmutter zu sein, wurde mir erst später bewusst. Raben sind nämlich nicht nur sehr intelligent, sondern auch ausgesprochen gute Eltern: Sie kümmern sich sehr lange und intensiv um ihren Nachwuchs; bis zu vier Jahre bleiben die kleinen Raben im Nest und lernen von ihren Eltern in dieser Zeit auch komplexe Dinge (https://www.ardalpha.de/wissen/natur/tiere/intelligenz-kraehen-raben-rabenvoegel-voegel-100.html). Außerdem betreuen Rabenväter und -mütter die Kleinen oft gemeinsam, sind also ein Vorbild in Sachen partnerschaftliche Arbeitsteilung und in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Solche Vorbilder braucht es in der Menschenwelt noch immer, auch wenn sich bei der Kinderbetreuung und in der Einstellung zur Erwerbstätigkeit von Müttern in Deutschland vieles geändert hat. Seit zehn Jahren haben Kinder ab dem ersten Geburtstag das Recht auf einen Betreuungsplatz, aber nicht alle bekommen einen. Nach einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (https://www.bib.bund.de/Publikation/2022/pdf/15-Jahre-Elterngeld-Erfolge-aber-noch-Handlungsbedarf.pdf?__blob=publicationFile&v=2) arbeiten inzwischen mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Mütter mit Kindern unter drei Jahren. Viele Väter nehmen Elternzeit, die meisten der Studie zufolge allerdings nur zwei Monate – und fast immer zusammen mit ihren Partnerinnen. Dass Väter ein ganzes Jahr aus dem Beruf aussteigen und sich hauptberuflich um Haushalt und Kinder kümmern, ist immer noch die Ausnahme. Der Fortschritt ist halt (manchmal) eine Schnecke. Und womöglich dauert es noch einmal vierzig Jahre, bis sich Väter und Mütter die Familien- und Erwerbsarbeit wirklich partnerschaftlich teilen.

Aber vielleicht gelingt der Wandel ja auch schneller. Denn die Arbeitsbedingungen haben sich in vielen Berufen – auch in meinem – rasant geändert. Zwar schrieben wir unsere Texte schon in den 1980-Jahren am Computer, doch sie wurden im Vor-Internet-Zeitalter noch auf Disketten gespeichert und in die Lithoanstalt gebracht oder geschickt. Die dort gefertigten Schwarz-Weiß-Filme montierte mein Kollege, gelernter Schriftsetzer, von Hand mit den Vierfarb-Lithos der Fotos zu (druck)fertigen Seiten. Bei nachträglichen Korrekturen mussten neue Filme gezogen und in die Seiten einmontiert werden – ein ziemlich arbeits- und kostenaufwendiger Prozess. Fotos nachträglich auszutauschen, war für uns völlig tabu. Ein Vierfarb-Litho von einem etwa 10 x 15 cm großen Foto kostete damals rund 400 DM – viel Geld für einen kleinen Verlag mit einem begrenzten Budget.

Längst gebe ich meine Texte selbst in das Layoutprogramm ein und korrigiere die gestalteten Seiten – von meinem Computer zu Hause oder wo immer ich gerade bin. Und auch Fotos können heute ohne großen Aufwand getauscht, vergrößert oder verschoben werden. In manchen Verlagen gestalten die RedakteurInnen die Seiten, Zeitschriften oder ganze Bücher selbst und übernehmen „nebenbei“ viele organisatorische und administrative Aufgaben. Zum Schreiben und zum Redigieren bleibt ihnen oft nur noch wenig Zeit, zu wenig, wie manche bedauern. Und vielleicht übernehmen das Texten in Zukunft künstliche Intelligenzen.

Ich bin gespannt, wo die Reise hingeht, aber ich bin froh, dass ich es ab jetzt von außen beobachten kann. Ich habe die Entscheidung gegen die Schule, für den Journalismus nie bereut. Ich wäre keine gute Lehrerin geworden, aber ich war eine recht gute Journalistin – und ich war es gerne. Recherchieren und schreiben haben mir immer Spaß gemacht – es war für mich mehr als ein Job und ich werde es weiter tun. Aber vier Jahrzehnte „Lohnschreiberei“ sind genug – ich freue mich, dass ich künftig schreiben kann, was und für wen es mir gefällt. Zum Beispiel für die LeserInnen meines Blogs.

Noch ein Neues …

Gestern ist mein neues Notizbuch gekommen. „Noch eins“, sagen wahrscheinlich manche, die meine Vorliebe – oder soll ich sagen Schwäche – für gutes Papier und schöne Schreibhefte kennen. Und sie haben natürlich irgendwie recht. Denn in meinen Regalen stehen zahlreiche Kladden und Spiralhefte, leere, vollgeschriebene, vor allem aber viele angefangene. Aber obwohl ich schon manches ausprobiert habe, bin immer noch auf der Suche nach dem idealen Notizbuch. Das neue (Ring)Buch soll mir helfen, Ordnung in mein Notiz-Chaos zu bringen – und die leeren Seiten in den angefangenen Büchern zu nutzen.

Stapelweise angefangene Notizbücher

Die lose Zettelwirtschaft habe ich ebenso wie Notizen auf Karteikarten schon lange aufgegeben. Wenn ich aber meine Einfälle zu verschiedenen Projekten in einem Heft notiere, verliere ich schnell den Überblick. Denn ich schaffe es nur selten – oder besser gesagt nie – meine handschriftlichen Notizen regelmäßig zu bearbeiten oder zumindest im entsprechenden Ordner auf meinem Computer abzuspeichern. So manche gute Idee gerät dadurch in Vergessenheit – bis ich sie irgendwann, manchmal erst nach Abschluss des Projekts, per Zufall wiederentdecke. Nach anderen Formulierungen oder Notizen suche ich stunden- oder tagelang – manchmal vergebens.

Mit einem größeren Projekt beginne ich meist ein neues Notizbuch. Ist das Projekt dann im besten Fall beendet oder ich breche es unvollendet ab, bleiben in der Kladde oder im Spiralheft meist einige oder sogar viele Seiten leer. Sie werde ich künftig heraustrennen, lochen und in meinem neuen Notizbuch nach Projekten geordnet abheften. So bekommen zum Beispiel die noch unbeschriebenen Seiten aus dem wunderschönen Spiralheft, das ich mir vor Jahren im Dali-Museum in Figueres gekauft haben, ein neues Leben. Und das Cover werde ich mir, sobald das Spiralheft leer ist, an die Wand hängen. Denn „The Galatea of the Spheres“ ist eines meiner Lieblingsbilder von Salvador Dalí. Es zeigt Dalís Frau und Muse Gala, aus zahlreichen Kugeln zusammengesetzt.

Auch den Inhalt meines neuen Notizbuchs kann ich nach Belieben zusammenstellen, Blätter können in dem Ringbuch nach Bedarf ergänzt, verschoben und entfernt werden. Das Buch besteht laut Hersteller aus „veganem Leder“, nämlich aus SnapPap (http://www.vabelli.de/traveler-journals/). Das ist ein waschbares Papier in Lederoptik, das aus Zellulose und Latex hergestellt wird. Es enthält kein PVC, BPA oder Pentachlorphenol, soll nicht gesundheits- oder umweltschädlich, dafür aber reiß-, abriebfest und unempfindlich sein. Gepflegt werden muss mein neues, handgemachtes Notizbuch nach Herstellerangaben „eigentlich nicht“. Flecken können „vorsichtig mit einem feuchten Tuch“ entfernt werden“. Auch waschen und bügeln könnte ich es „theoretisch“ – allerdings nicht in der Waschmaschine, doch das habe ich ohnehin nicht vor.

Das Ringbuch muss allerdings einiges aushalten. Denn weil mir, wie vielen schreibenden Menschen, die besten Ideen oder Formulierungen eben nicht einfallen, wenn ich am Schreibtisch sitze, sondern irgendwann beim Einkaufen, beim Wandern oder im Cafe, in der Badewanne oder im Bett, habe ich mein Notizheft eigentlich immer dabei. Und unterwegs ist es in meinen Taschen manchem Stoß ausgesetzt und wird nicht immer pfleglich behandelt.

Veganes Leder rechts neu – und echtes Leder – mit Patina

Tagebuch, Kalender und Bulletjournal verkraften – geschützt durch einen  Lederumschlag – die Dauerbeanspruchung, der sie ausgesetzt sind, gut. Das Leder wird mit Zeit und Patina eigentlich immer schöner. Auch der Ordner aus SnaPap soll „durch die Benutzung eine lederähnliche Struktur“ bekommen, schreibt die Herstellerin. Ich bin gespannt.

Vom Loslassen

Die Pflanzen machen’s vor: Wenn der Winter kommt, lassen die meisten Bäume und Sträucher einfach ihre Blätter und Früchte fallen. Vielen Menschen – auch mir – fällt das Loslassen dagegen schwer. Und nicht immer finden wir den richtigen Zeitpunkt.

So hatte ich mir eigentlich fest vorgenommen, weniger zu arbeiten. Doch dann konnte ich nicht widerstehen und habe einen neuen Korrekturauftrag angenommen. Nicht nur – aber auch – weil der meine Rente aufbessert, deren Höhe ich noch nicht kenne. Die Zeitschrift, die ich ab jetzt wieder korrigieren werde, enthält oft interessante Artikel: Über KünstlerInnen aus der Region, in der ich lebe, beispielsweise oder auch Ausstellungs- und Veranstaltungstipps. Weil ich als Rentnerin mehr unternehmen möchte als bisher, kann ich so das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Und weil ich die Texte online lesen und korrigieren kann, lässt sich der neue Auftrag auch – hoffentlich – gut mit meinen Reiseplänen vereinbaren: Ich möchte, bevor ich „richtig“ alt bin, noch manches von der Welt oder zumindest von Europa und Deutschland sehen. Meinen Computer und mein Smartphone habe ich ohnehin immer dabei, Internetverbindungen gibt es inzwischen an den meisten Orten, und wenn das Netz irgendwo nicht ausreicht, fahren wir mit dem Wohnmobil einfach ein Stück weiter.

Das war noch Zukunftsmusik, als ich vor mehr als 20 Jahren die ersten Korrekturaufträge angenommen habe. Zum Arbeiten musste ich in den Verlag fahren, wir haben die Fehler auf Papierausdrucken markiert. Die Setzer haben dann die Korrekturen ausgeführt. Sie hatten in ihrer Ausbildung noch gelernt, Texte oder auch ganze Bücher aus einzelnen Buchstaben – oder wie es in der Urzeit des Buchdrucks hieß: aus beweglichen Lettern – zusammenzusetzen, waren aber längst auf den Computer „umgestiegen“. Nur sie durften mit dem noch relativ jungen Layoutprogramm arbeiten, das für alle anderen noch tabu war.

Zum Korrigieren bin ich damals eher zufällig gekommen. Ich hatte eine alte Dame kennengelernt, die als Rentnerin begonnen hatte, als Korrektorin zu arbeiten. Sie hatte erst als Rentnerin damit angefangen und ans Aufhören dachte sie, inzwischen fast 80 Jahre alt, noch nicht. Die Arbeit mache ihr Spaß, sagte sie, halte sie geistig fit. Weil sie aber etwas kürzertreten wollte, habe ich sie zuerst gelegentlich unterstützt, dann allmählich ihre Korrekturaufträge und später viele andere übernommen.

Denn eines haben Korrigieren und Reisen gemeinsam: Sie erweitern den Horizont. Man liest und erfährt viel Neues. Als Journalistin habe ich in vielen verschiedenen Branchen gearbeitet und Artikel über ganz verschiedene Themen geschrieben. Aber ich hatte außer in meiner kurzen Zeit als Lokaljournalistin veerschiedene Spezialgebiete, über die ich geschrieben habe. Beim Korrigieren diverser Fachzeitschriften habe ich Einblicke in Bereiche bekommen, die mir sonst sicher verschlossen geblieben wären. So habe beispielsweise manches über erneuerbare Energien erfahren – obwohl ich längst nicht alles verstanden habe, was ich gelesen und korrigiert habe.  

Anderes vergesse ich zugegebenerweise schnell, weil es mich nicht wirklich interessiert. Zum Beispiel welcher Promi in der niedersächsischen Landeshauptstadt welches Fest wann und mit wem besucht oder wie man Mastitis bei Schweinen erfolgreich bekämpft. Immerhin weiß ich jetzt, dass Mastitis bei Nutztieren wie Schweine und Kühen eine weit verbreitete Krankheit ist – und was ich darüber lese trägt mit dazu bei, dass ich meinen Lebensmittelkonsum überdenke und verändere.

Wahrscheinlich halte ich es mit den Korrekturaufträgen und der Arbeit wie die alte Dame : Ich mache weiter, solange es mir Spaß macht. Den richtigen Zeitpunkt zum Loslassen gibt es wahrscheinlich ohnehin nicht – und wenn, ist er sicher nicht für alle Menschen gleich: Mein Vater hat mit 60 Jahren aufgehört zu arbeiten und er hat seine Arbeit keine Sekunde vermisst. Meine Mutter hat noch mit 90 die Bücher für den Betrieb geführt, in dem sie mehr als 30 Jahre als Buchhalterin angestellt war – und sie hat es bis zum Schluss gern getan.

Selbst die Bäume haben offenbar ihren eigenen Rhythmus, wie das Foto der beiden Birken zeigt: Obwohl sie ganz dicht nebeneinander stehen, trägt die eine noch ihr leuchtend gelbes Blätterkleid, die andere hat längst alle Blätter abgeworfen.

So schließt sich der Kreis

Letzte Woche bin ich mit BildungSpezial fertig geworden; es war wohl die letzte Ausgabe der Zeitschrift, die ich als verantwortliche Redakteurin betreut habe. Als am Freitagmorgen schließlich der Fehler beseitigt war, der sich unerklärlicherweise nach der letzten Korrektur auf einer Seite eingeschlichen hatte, fiel mir irgendwie ein Stein vom Herzen – und ich bin sicher, dass die Entscheidung aufzuhören richtig ist.

Der Druck, rechtzeitig fertig zu werden und eine gute Zeitschrift zu produzieren, war bei dieser Ausgabe sicher nicht größer als in den vergangenen Jahren – im Gegenteil: Der Hersteller, der die Seiten gestaltet, die Anzeigen platziert und die Fotos bearbeitet hat, hat wirklich ausgezeichnet gearbeitet: Es musste im Nachhinein nur sehr wenig korrigiert und geändert werden. Aber ich habe gemerkt, dass ich mit Stress offenbar nicht mehr so gut umgehen kann wie früher.

Als ich Anfang des Monats erfuhr, wer die Gestaltung meiner letzten Zeitschrift übernimmt, habe ich mich gefreut. Mit dem Hersteller, der kurzfristig für eine erkrankte Kollegin einsprang, hatte ich schon vor fast anderthalb Jahrzehnten bei meiner ersten Bildungszeitschrift zusammengearbeitet.

Bis dahin hatte ich viel für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte geschrieben und verschiedene Zeitschriften im Bereich Bauen und Wohnen und Camping betreut. Als bei einem „meiner“ Verlage die für die Bildungszeitschrift verantwortliche Redakteurin ausfiel, sprang ich kurzfristig ein – und blieb danach im Bildungsbereich. 

Den Verlag, für den der Hersteller und ich damals arbeiteten, gibt es schon lange nicht mehr; die Zeitschrift wurde an einen anderen Verlag verkauft und schließlich eingestellt. Dass ich jetzt noch einmal in einem anderen Verlag bei einer anderen Zeitschrift mit dem Kollegen von damals zusammenarbeiten durfte, war für mich ein Zeichen: So schließt sich der Kreis.

Künftig werde ich wohl nur noch einzelne Artikel für Zeitschriften schreiben – vorwiegend über Themen, die mir gefallen und die ich mir selbst aussuche. Den zeitaufwendigen und manchmal nervigen Herstellungsprozess von der Seitenverteilung bis zur Druckfreigabe überlasse ich ab jetzt anderen.

Die Füße und die Seele baumeln lassen.

Traumberuf mit Tücken

Gestern habe ich meinen Rentenantrag gestellt. Eigentlich stand das schon seit einigen Wochen auf meiner To-do-Liste, denn ab 1. Oktober habe ich laut Rentenauskunft Anspruch auf Regelaltersrente. 38 Jahren Jahre und zehn Monate habe ich dann versicherungspflichtig gearbeitet, anders als die meisten meiner Bekannten habe ich keine „Familienpause“ gemacht.

Ich habe bis kurz vor der Geburt meiner Tochter gearbeitet und habe schon ein paar Wochen danach wieder einen Auftrag angenommen. Die Rente, die ich mir in fast vier Jahrzehnten erarbeitet habe, hätte meine Mutter wohl treffend mit dem Satz beschrieben: „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“. Aber so ist es eben, wenn frau das Talent zur Selbstvermarktung und das Selbstvertrauen, angemessene Honorare einzufordern, völlig fehlt – und wenn sie zudem in einer Branche arbeitet, in der Freiberufler:innen meist schlecht bezahlt werden.

Laut Künstlersozialkasse (KSK), in der ich glücklicherweise seit 36 Jahren versichert bin, betrug das durchschnittliche Einkommen der weiblichen Versicherten im Bereich Wort – also von Journalistinnen, Lektorinnen, Korrektorinnen, Übersetzerinnen und Autorinnen – 18.731 Euro. Im Jahr wohlgemerkt, nicht im Monat.

Ich weiß: Für so wenig Geld würden viele nicht aufstehen, geschweige denn arbeiten. Aber unter den freiberuflichen Künstlerinnen und Publizistinnen sind wir „Wortkünstlerinnen“ oder Worthandwerkerinnen die Krösusse: Bildende Künstlerinnen bringen es durchschnittlich gerade mal auf 14.145 Euro, darstellende – also Schauspielerinnen und Tänzerinnen – auf 13.168 Euro Jahreseinkommen. Schlusslicht sind die Musikerinnen, die laut KSK im Jahr durchschnittlich 11.329 Euro verdienen (https://www.kuenstlersozialkasse.de/service/ksk-in-zahlen.html). Die Zahlen stammen aus der Zeit vor Corona – seither hat sich die finanzielle Lage der meisten Freien im Kunst- und Kulturbereich und bei den Medien eher verschlechtert.

Wer wenig verdient bekommt im Alter bekanntlich auch wenig Rente. Zudem wird das Rentenniveau in den kommenden Jahren weiter sinken. Viele meiner jüngeren Kolleginnen werden also im Alter mit weniger Geld auskommen müssen als ich. Also kein Grund zum Jammern.

Wie hoch meine Rente sein wird, erfahre ich wohl in den nächsten Wochen. Aber eins weiß ich schon jetzt: Je ne regret rien, um Edith Piaf zu zitieren, oder zumindest presque rien, also fast nichts. Denn mein Beruf hat mir Spaß gemacht, meistens jedenfalls. Als Studentin habe ich davon geträumt, eine Stelle in einem Verlag zu finden; als es mir gelungen ist, war ich überglücklich. Und auch nach all den Jahren ist es mein Traumberuf: Ich recherchiere und schreibe immer noch gerne und werde damit nicht aufhören, wenn ich demnächst Rentnerin bin. Ich werde weiter schreiben: Artikel, Blogbeiträge, Essays, vielleicht auch wieder ein Buch. Dafür habe ich hoffentlich endlich Zeit und Muße, wenn ich demnächst Rentnerin bin. Die Aufgaben, die mir im Job eher Stress als Freude bereitet haben, mögen dann gerne andere übernehmen.

Schreiben mit der Hand 2.0

Natürlich habe ich einen Computer. Genau gesagt sogar mehrere, wenn man all die abgelegten mitzählt, die ich aufbewahre und gelegentlich noch nutze. Viele Texte – zum Beispiel Artikel, Blogbeiträge oder Essays – schreibe ich direkt  am Computer. Aber ich schreibe immer noch gerne und viel mit der Hand: in mein Tagebuch und in mein Fünf-Jahres-Buch natürlich, aber auch Mitschriften von Workshops, Pressekonferenzen oder Interviews. Zum einen aus alter Gewohnheit. Zum anderen aber auch, weil Studien belegen, dass beim Schreiben mit der Hand mehr Hirnareale aktiviert werden als beim Tippen – angeblich zwölf – und dass Mitgeschriebenes besser im Gedächtnis bleibt als Mitgetipptes. Auch unterwegs – im Zug, im Café oder draußen im Freien – notiere ich meine Gedanken gerne auf Papier.

Der Nachteil: Manches Handgeschriebene musste ich bislang abtippen, wenn ich es in Artikeln, Blogbeiträgen oder anderen Texten verwenden wollte. Doch die Zeiten sind vorbei. Denn bei der Recherche für einen Artikel, der gerade in der neuen Ausgabe der Zeitschrift Bildung Spezial erschienen ist, habe ich zufällig eine Lösung bzw. das richtige Gerät für mich entdeckt (https://www.friedrich-verlag.de/digitale-schule/digital-unterrichten/das-beste-aus-zwei-welten/). Genauer gesagt: Mein Interviewpartner Dr. Markus Weber, Experte für künstliche Intelligenz beim Stifttablet-Hersteller Wacom, hat mir das Bamboo Slate Smartpad empfohlen.* Vielen Dank dafür.

Für mich ist das Notepad ein echter Geheimtipp: Ich habe in mehreren Technikkaufhäusern vergeblich danach gesucht, um es vor dem Kauf selbst auszuprobieren. Die Verkäufer, die ich um Rat fragte, hatten noch nie davon gehört. Sie fanden es erst im Internet, als ich ihnen Namen und Hersteller nannte: Ich sei die erste, die nach „so etwas“ fragen würde, meinten sie. Sie rieten mir, ein normales Tablet zu kaufen – auch darauf könne ich ja mit einem digitalen Stift Notizen machen. Es gebe sogar Tablets mit papierähnlichen, weniger rutschigen Oberflächen. Doch die sind für mich, bekennender Papierfreak, keine wirkliche Alternative.

Bei meinem Bamboo Slate schreibe ich auf richtigem Papier – mit einem speziellen Stift, der beim Kauf mitgeliefert wird. Spezielles Papier wird dagegen nicht gebraucht. Ich habe den mitgelieferten Block inzwischen durch einen anderen ersetzt – weil ich lieber auf Blanko-Papier schreibe als auf gepunktetem, aber auch, um zu testen, ob die Übertragung wirklich mit beliebigem Pappier klappt.

Es funktioniert, auch wenn ich nicht wirklich verstehe wie. Mithilfe der kostenlosen App Inkspace wird das, was ich schreibe, auf mein Notebook übertragen und dann in eine Doc-Datei oder in ein anderes Dateiformat exportiert. Einziger winziger Wermutstropfen: Die Übertragung auf mein Smartphone klappt nicht so, wie sie sollte. Doch weil ich diesen (Um)Weg nicht brauche und die Texte auf meinem Notebook speichere und verarbeite, stört es mich nicht wirklich.

Dafür kann die App meine Schrift erstaunlich gut, ja sogar sehr gut, entziffern, was nach Aussagen meines Mannes an ein Wunder grenzt. Nur selten scheitert sie an einzelnen Worten und macht beispielsweise aus meinem Fünf- ein Fuß-Jahresbuch. Das liegt aber auch daran, dass Buchstaben wie u, m, n und h bei mir ganz ähnlich aussehen. Die Nacharbeit hält sich in Grenzen; dass ich mir angewöhne, etwas leserlicher zu schreiben, ist ein positiver Nebeneffekt. Und vielleicht erkennt die App dank künstlicher Intelligenz ja irgendwann sogar, dass ich i-, j-, ä-, ü- und ö-Striche fast immer auslasse und ergänzt sie automatisch.

Die Übertragung zwischen Notepad und Notebook erfolgt per Bluetooth. Bis ich die Geräte verbinde – manchmal erst Tage später –, werden die Texte zwischengespeichert. Ich muss also mein Notebook nicht immer dabeihaben, wenn ich schreiben möchte. Auch das weiß ich zu schätzen, denn das Smartpad ist wesentlich leichter als mein Notebook: Es sieht nicht nur aus wie ein Klemmbrett, sondern wiegt auch kaum mehr: mit Schreibblock gerade mal 670 Gramm. Auch das erleichtert – im wahrsten Sinne des Wortes – manches.

*enthält unbezahlte Werbung

**Übertrag Text A. Auf dem Weg zum Schreibtreff . Der Anfang des Blogs skizziert auf meinem neuen Block . : Natürlich habe ich einen Computer . Genau gesagt habe ich sogar mehrere .

Übertrag Text B: 27 . 3 . Test auf anderem Papier . Ich habe ein­fach einen anderen Block in das Gerät gesteckt . Diesmal blanko , weil ich am liebsten darauf schreibe . Bin auf das Ergebnis gespannt .

Wacom Bamboo Slate Smartpad A4, Notepad (mit Digitalisierungs-Funktion inkl. Eingabestift mit Kugelschreiber-Mine, geeignet für Android & Apple)

Ecriture Automatique, E-Mails und Erinnerungen

Ich liebe diese Stunde am Morgen, bevor der Tag erwacht. Es ist meine Stunde, die Stunde, die mir allein gehört. Wenn ich meine Yogaübungen und gleichzeitig die erste Tasse Kaffee gemacht habe, zünde ich eine Kerze an, schreibe meine Morgenseiten und anschließend meine private Texte, zum Beispiel Blogbeiträge. Manchmal geht beides fließend ineinander über. Aber das ist ja der Sinn der Morgenseiten oder ihres Vorläufers, der Écriture automatique. Die Surrealisten um André Breton und Philippe Soupault haben diese Methode des Schreibens in den 1920er-Jahren bekannt gemacht. Beim Automatischen Schreiben werden „Bilder, Gefühle und Ausdrücke (möglichst) unzensiert und ohne Eingreifen des kritischen Ichs wiedergegeben“ (https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89criture_automatique).  Mein kritisches Ich beim Schreiben außen vor zu lassen, gelingt mir leider nicht immer, aber manchmal fließen die Gedanken und bin überrascht, wohin sie mich treiben.

Meine Brotarbeit muss und kann am frühen Morgen meist noch ein bisschen warten. Das ist im Vergleich zu früher ein Luxus, den ich wirklich genieße. Das frühe Aufstehen habe ich mir nämlich angewöhnt, als meine Tochter ganz klein war und ich für die Lokalredaktion der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gearbeitet habe. Meine Artikel habe ich damals zwar schon auf dem Computer geschrieben, aber noch ausgedruckt; die Zeitungsfotos waren schwarzweiß und noch analog. Die Filme hat mein Mann abends entwickelt, wenn ich von den Terminen nach Hause kam – vielen Dank nochmal dafür.

Damit sie am nächsten Tag in der Zeitung abgedruckt werden konnten, musste ich Artikel und Fotos bis sieben Uhr morgens beim stellvertretenden Leiter der Bezirksredaktion abgeben. Der wohnte im Ort und nahm sie freundlicherweise mit ins Verlagshaus nach Hannover. Wurde ich nicht rechtzeitig fertig, musste ich sie selbst nach Hannover fahren. Heute ist das alles viel einfacher. Fotos sind längst digital, ich verschicke sie ebenso wie meine Artikel per E-Mail oder gebe sie direkt ins Redaktionssystem der Verlage ein, für die ich arbeite. Von jedem Ort, zu jeder Zeit.

E-Mails gab es übrigens Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre schon: Sie wurden vor mehr als 50 Jahren – lange vor dem Internet – erfunden, und zwar vom amerikanischen Informatiker Ray Tomlinson. Der führte das @-Zeichen ein und verschickte im November 1971 die erste E-Mail, ohne das Potenzial seiner Erfindung zu erkennen. „Sag das niemandem! Das ist nicht das, woran wir arbeiten sollen“, soll er seinem Kollegen geschrieben haben (https://praxistipps.chip.de/seit-wann-gibt-es-e-mails-enstehungsgeschichte-im-ueberblick_100733).

Und so dauerte es noch einige Zeit, bis sich diese Form der Kommunikation durchsetzte. In Deutschland kam die erste E-Mail am 3. August 1984 an. Empfänger war Michael Rotert von der Universität Karlsruhe. Abgeschickt hatte sie Laura Breeden von der amerikanischen Universität Cambridge schon am 2. August. Doch weil sich Rotert nur alle zwei bis drei Stunden bei der Post einwählte und die Mails quasi „von Hand abholte“, dauerte die Zustellung so lange (https://www.faz.net/aktuell/technik-motor/digital/vor-25-jahren-als-die-e-mail-nach-deutschland-kam-1826773.html).

Heute nutzen laut Statista rund 85 Prozent der Deutschen das Internet, um E-Mails zu versenden und zu empfangen, in Dänemark sind es sogar 94 Prozent der Bevölkerung (https://de.statista.com/themen/2249/e-mail-nutzung/#topicHeader__wrapper). 2018 wurden in Deutschland 848 Milliarden E-Mails versendet – außerdem geschätzt 150 Millionen Spam-Mails täglich. Und noch ein paar Zahlen: Weltweit werden in diesem Jahr wahrscheinlich 333,2 Milliarden E-Mails täglich verschickt und empfangen; 2025 sollen es dann bereits 376,4 E-Mails an jedem Tag sein. Laut einer Bitkom-Studie erhalten Erwerbstätige in Deutschland durchschnittlich 26 berufliche E-Mails pro Tag – mir hätte es vor 30 Jahren schon gereicht, ein oder zwei verschicken zu können. So ändern sich die Zeiten (https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/E-Mail-wird-50-Jahre-alt).

Der Redakteur, der jahrelang meine Artikel mit nach Hannover genommen hat, ist vor zwei Monaten gestorben, vor einem Monat wurde er beerdigt. Ich habe seine Beisetzung leider verpasst und widme ihm diesen Blogbeitrag – zur Erinnerung.

Von inneren KritikerInnen, einem kleinen Käfer und einem kritischen Hund

Ich habe meinem inneren Kritiker, pardon, meiner inneren Kritikerin, einen Namen gegeben, wie Julia Cameron es in ihrem Buch „Es ist nie zu spät, neu anzufangen“ empfiehlt. Welchen, verrate ich nicht, denn ich will niemanden beleidigen.

Dass ich nur (noch) wenige mit diesem Namen kenne, liegt vielleicht daran, dass der Name inzwischen ein bisschen aus der Mode ist. Vielleicht meide ich Menschen, die so heißen, aber auch, weil ich mit ihren Namensvetterinnen bislang keine guten Erfahrungen gemacht habe – oder genauer gesagt: überwiegend negative. Wirklich liebenswürdig und sympathisch fand ich in all den Jahren nur eine Frau, und sie ist leider schon vor einigen Jahren gestorben.

Meine innere Kritikerin ist dagegen sehr lebendig – und sehr präsent. Sie sitzt mir immer im Nacken oder – schlimmer noch – sie sitzt in meinem Kopf. Sie kennt meine Schwächen sehr genau, oder glaubt sie zu kennen. Meine Stärken ignoriert sie geflissentlich, und recht machen kann ich es ihr ohnehin nie, so sehr ich mich auch bemühe: Sie weiß und kann immer alles besser – und allzu gerne macht sie das, was ich plane, möchte und tue, lächerlich.

Jetzt ist es an der Zeit, meine innere Kritikerin zu überlisten, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen – und der Name, den ich ihr gegeben habe, hilft mir dabei: Wenn ich mit ihr spreche, ziehe ich den ersten Vokal ihres Namens in die Länge und denke dann an den Käfer aus Daniela Wakoniggs Buch „Was heißt Iiih“. Der kleine Kerl heißt so, weil jemand „iiih“ zu ihm sagte, als er gerade geschlüpft war. Dann muss ich lachen oder zumindest lächeln – und schon verliert meine innere Kritikerin etwas von ihrem Schrecken und von ihrer Macht.

Vielleicht sollte ich auch Julia Camerons Rat folgen und meine innerer Kritikerin zeichnen: als winzigen Käfer beispielsweise, der eigentlich mehr Angst vor mir haben müsste als ich vor ihm, oder als Frosch, der sich wie in Äsops Fabel aufbläht, bis er platzt. Als besserwisserischen, eitlen Raben oder als meckernde, unnachgiebige Ziege. Doch erstens fehlt mir das Zeichentalent, und zweitens erscheint dann immer sofort Regina Kehns kritischer Hund vor meinen Augen. Ich folge seinen Abenteuern auf Instagram (reginakehn), und weil ich nicht sein einziger Fan bin, hat er jetzt sogar eine eigene Rubrik auf der Website der Illustratorin (https://www.reginakehn.de/arbeiten/der-kritische-hund/). Es lohnt sich wirklich, ihn zu besuchen.

Anders als Regina Kehns kritischer Hund ist meine innere Kritikerin überhaupt nicht liebenswert – sie ist, genau gesagt, ein richtiges Ekel, das mir das Leben und Arbeiten schwer macht, seit ich denken kann. Doch ich bin nicht nachtragend, und weil sie nach so vielen Jahren eine Pause nötig und verdient hat, spendiere ich ihr, bevor ich Rentnerin werde, einen Aufenthalt auf der Insel Criticos.

Von der Insel weit draußen im Meer habe ich bei einem Aufenthalt im writersstudio in Wien erfahren. Zutritt haben wie in elitären englischen Clubs nur Mitglieder, also nur innere Kritikerinnen und ihre Kollegen, die inneren Zensoren. Bilder von dort gibt es nicht, aber ich stelle mir vor, wie die Damen und Herren den ganzen Tag zusammensitzen und sich gegenseitig dabei überbieten, an allem herummäkeln: am zu dünnen oder zu starken Kaffee, am Essen, an angeblich nicht funktionierenden Heizungen, an zu viel oder zu wenig Sonne, am Wind, der mal zu lau oder zu heftig weht – und natürlich an denen, die sie auf die Insel geschickt haben.

Vielleicht fühlt sich meine innere Kritikerin ja unter Ihresgleichen wohl. Vielleicht gefällt es ihr auf Criticos so gut, dass bleiben und sich dort zur Ruhe setzen möchte. Schließlich ist sie ja nur ein paar Jahre jünger als ich. Zur Sicherheit habe ich nur ein One-way-Ticket und einen unbefristeten Aufenthalt gebucht. Ich brauche sie hier wirklich nicht mehr. Die paar Monate bis zur Rente überstehe ich auch ohne ihre Hilfe. Und wenn ich Sehnsucht nach mehr oder wenige konstruktiven Vorschlägen habe, besuche ich Regina Kehns kritischen Hund. Oder ich zeichne mir eine eigene Kritikerin. Eine weise Eule vielleicht.

Rezept fürs neue Jahr*

Nun ist sie vorbei, die erste Arbeitswoche im neuen Jahr, das für mich das letzte Arbeitsjahr sein wird. Denn im Oktober gehe ich in Rente: Ich höre dann zwar nicht ganz auf zu arbeiten, denn mein Beruf macht mir immer noch Spaß. Aber ich werde sicher weniger arbeiten als in der Vergangenheit.

Der Übergang zum neuen Dasein als Rentnerin gestaltet sich fließend. Denn wie viele Selbstständige im Medienbereich habe ich seit Beginn der Corona-Pandemie Aufträge verloren. So wurden beispielsweise viele Korrekturaufträge, die an Freie wie mich vergeben waren, vor nun fast zwei Jahren storniert; die meisten wohl auf Dauer. Zeitschriften leben ja bekanntlich von Anzeigen – und wenn es weniger Anzeigenaufträge gibt, wird eben da gespart, wo es am einfachsten scheint. Wem fällt es schon auf, wenn „dass“ nur mit einem s geschrieben wird, wo eigentlich zwei hingehören – und umgekehrt? Oder dass der ehemalige Oberbürgermeister von Hannover nicht Stephan, sondern Stefan heißt?

Dass ich Aufträge verloren habe, belastet mich nicht (mehr): Den meisten weine ich keine Träne nach. Und einen Auftrag hätte ich eigentlich schon lange kündigen wollen oder sollen, weil er mir mehr Frust als Lust bereitete. Ich habe natürlich gut reden. Finanziell bin ich durch die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige und natürlich auch durch die Pension meines Mannes abgesichert. Und um meine berufliche Zukunft muss ich mir – anders als viele jüngere Kolleginnen und Kollegen – keine Sorgen mehr machen: Ich gleite auf die Rente hin, kann mich allmählich an den arbeitsfreien Zustand gewöhnen. Das tue ich – und ich tue es gerne. Es gefällt mir, dass ich Aufträge loslassen kann, die keinen Spaß machen, sondern nur belasten. Und dass ich nicht mehr jeden Auftrag annehmen muss, auch wenn er noch so ungelegen kommt, aus Angst, ich könnte mir durch eine Absage einen Folgeauftrag vermasseln. Das Los vieler Freier.

Natürlich schaue ich nicht sorgenfrei in die Zukunft oder auch nur in das vor uns liegende Jahr. Im Gegenteil: Ich bin ausgesprochen gut im Sorgen machen, wie ein winziger Auszug aus meiner ungeschriebenen Sorgenliste zeigt. Reicht meine Rente? Wie geht es mit Corona weiter? Werden die Impfgegner noch radikaler, noch gefährlicher – hierzulande und anderswo? Ja, die Leerdenker-Bewegung macht mir zunehmend Angst: Hier verbünden sich scheinbar ganz normale Bürgerinnen und Bürger mit Geistern, die sie vielleicht nicht mehr los werden. Haben sie aus der Geschichte wirklich nichts gelernt. Fackelaufzüge, Todesdrohungen und Todeslisten erinnern an Deutschlands dunkelste Zeiten, die wir doch für immer hinter uns geglaubt hatten.

Mascha Kaléko, meine Lieblingslyrikerin, hat diese Zeit erlebt und erlitten: Die Nazis haben ihre Karriere zerstört; weil sie Jüdin war, wurden ihre Bücher als „schädliche und unerwünschte Schriften“ verboten. 1938 floh sie mit Mann und Kind in die USA, aber der berufliche Neustart war dort für eine Dichterin und einen Musikwissenschaftler nicht leicht. Mascha Kaléko hielt die Familie mit Werbetexten über Wasser und veröffentlichte Texte in der deutschsprachigen jüdischen Exilzeitung Aufbau. Im amerikanischen Exil schrieb sie, sicher in prekären Verhältnissen lebend, unter anderem auch „Rezept“, eines mein Lieblingsgedicht. Es beginnt mit den Zeilen

„ Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
wird wohl alles noch reichen“

Ich finde, das ist ein guter Rat. Ich möchte ihn mir zu Herzen nehmen, für das noch neue Jahr und für meine Zukunft.

Wer das Gedicht nachlesen will, findet es in dem von Gisela Zoch-Westphal und Eva-Maria Prokop herausgegeben Buch: „Sei klug und halte dich an Wunder“. Es ist und enthält neben dem Gedicht noch viele andere lesenswerte Gedanken Mascha Kalékos über das Leben. Eine Leseprobe aus dem bei dtv erschienenen Buch mit dem Gedicht gibt es im Internet unter https://www.dtv.de/_files_media/title_pdf/leseprobe-14256.pdf

*Dieser Beitrag enthält unbezahlte Werbung

Mascha Kaléko: Sei klug und halte dich an Wunder, Gedanken über das Leben. Hrsg. von Gisela Zoch-Westphal und Eva-Maria Prokop, ‎ dtv Verlagsgesellschaft, 2013, 10 Euro

Wünsche zur Wintersonnenwende

Heute ist der kürzeste Tag des Jahres – und die längste Nacht. Die Sonne ist heute nördlich von Hannover laut www.timeanddate.de um 8:29 Uhr auf und nach 7 Stunden und 39 Minuten um 16:08 Uhr wieder untergegangen. Der Tag war damit genau vier Sekunden kürzer als der gestrige.

Der Tag der Wintersonnenwende ist ein Wendepunkt: Genau um 16.58 Uhr hat sich die Nordhalbkugel wieder stärker der Sonne zugewendet. Der Winter beginnt zwar heute erst, aber ab heute kehrt die Sonne zurück; die Tage werden wieder länger, die wenn auch zunächst nur sekundenweise. Morgen dauert es vom Sonnenauf- bis zum Sonnenuntergang zwar gerade mal zwei Sekunden länger als heute. Aber für mich, die ich die Dunkelheit im Winter fast mehr fürchte als die Kälte und das schlechte Wetter, ist das ein gutes Zeichen. Der Anfang ist gemacht, es geht wieder aufwärts. Der 31. Dezember ist dann bereits 62 Sekunden länger als der Vortag – und mehr als fünf Minuten länger als der 21. Immerhin.

Mit der Wintersonnenwende beginnt nicht nur der Winter, sie ist auch der Auftakt zu den Raunächten. Die zwölf heiligen Nächte zwischen Weihnachten und dem Drei-Königstag sind seit alters her eine besondere Zeit, in der die Menschen auf das vergangene Jahr zurückschauen und Pläne für das kommende schmieden. Und auch diejenigen, die von alten Ritualen und (Aber)glauben wenig halten, können oder wollen sich dem kaum entziehen. Denn Jahresrückblicke, seröse und satirische, politische und sportliche, sind derzeit auf allen Sendern zu sehen.

Mir, bekennender Raunachtfan, gefallen zwei Rituale in der Mitwinter- oder Julnacht besonders: Alles, was man – oder frau – mit dem zu Ende gehenden Jahr los- oder hinter sich lassen will, wird auf einen Zettel geschrieben: Ängste, Sorgen, belastende Eigenschaften oder Projekte, die sich überlebt haben. Mir fällt da für mich ohne lange nachzudenken, einiges ein. Corona steht, so viel kann ich verraten, weil oben auf der Liste, die dann verbrannt und damit höheren Mächten übergeben wird. Die Liste schreibe ich, das Verbrennen verschiebe ich auf später, weil ich gerade kein feuerfestes Gefäß zur Hand habe. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Die Asche werde ich im Garten vergraben, dann wächst aus dem Ballast, den ich abwerfe, etwas Neues, Positives.

Schöner, weil positiver, finde ich das 13-Wünsche-Ritual: Sobald ich diesen Blogbeitrag und meine Loslass-Liste geschrieben habe, zünde ich eine Kerze an, höre Musik und denke darüber nach, was ich mir für das kommende Jahr wünsche, welche Ziele ich (endlich) angehen und erreichen will. Die 13 wichtigsten schreibe ich auf kleine Zettel, die so gefaltet werden, dass ich den Inhalt nicht erkennen kann, und bewahre sie bis zu den Raunächten in meiner goldenen Wünschebox auf. Die ist zugegebenerweise nicht aus echtem Gold, sondern nur aus Papier, aber ein bisschen Glanz kann ja nicht schaden.

Goldene Wünschebox

In jeder Raunacht wird dann ein Zettel gezogen und – so will es das Ritual – verbrannt, ohne nachzuschauen, was darauf steht. Alle Raunächte stehen für einen Monat im kommenden Jahr: die erste für den Januar, die zweite für den Februar und so weiter. Der Wunsch der ersten Rauhnacht soll sich dementsprechend im ersten Monat des neuen Jahres erfüllen und so weiter. Dies wird dem Universum, höheren Mächten überlassen. Nur um den 13. Zettel bzw. um den den Wunsch, der am Ende der Raunächte übrigbleibt, muss frau sich dann selbst kümmern. Das ist dann die Aufgabe für das ganze Jahr.

Rituale sind gut und schön, aber Geduld und abzuwarten, bis sich etwas tut, zählen nicht zu meinen Stärke. Und so überlege ich, ob ich das Wünsche-Ritual abwandeln darf, will und soll. Vielleicht öffne ich die Zettel und erfahre so, welcher Wunsch oder welches Ziel in welchem Monat an der Reihe ist. Schließlich macht es Sinn, wenn das Universum, dem ich meine Wünsche anvertraue, und ich zur gleichen Zeit am gleichen Ziel arbeiten. Vielleicht freut es sich über ein bisschen Unterstützung und darüber, dass frau ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. Fortuna fortis adiuvat, das Glück ist mit den Tüchtigen, wussten schon die alten Römer. Aber man weiß ja nie, und mit höheren Mächten kenne ich mich nicht so gut aus. Vielleicht sind sie ja auch ärgerlich, wenn ich ihnen ins Handwerk pfusche.

Ich werde darüber nachdenken. Und bis in drei Tagen die Raunächte beginnen, habe ich ja noch ein bisschen Zeit.