Monatsrückblog Oktober 2024

Das Zeitempfinden ist abhängig vom Alter, habe ich am Sonntag in Terra X erfahren: Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit. Das liege daran, dass in jungen Jahren mehr Neues passiere, an das man sich erinnere. Deshalb erscheine eine Zeitspanne im Rückblick kürzer, so Marc Wittmann, Leiter einer Studie über Zeitwahrnehmung und -bewusstsein und Autor des Buches „Gefühlte Zeit“. Bei den über 60-Jährigen tickten die Uhren dann allerdings wieder anders, das Zeitempfinden ändere sich wieder. Denn schließlich haben viele Menschen als RentnerInnen wieder Zeit, Neues auszuprobieren und Dinge zu unternehmen, die dann in Erinnerung bleiben (https://www.7jahrelaenger.de/7jl/magazin/wie-das-alter-unser-zeitgefuehl-beeinflusst-62822) – und im Monatsrückblog auftauchen.

Reisen

Dass ich jetzt mehr Zeit zum Reisen habe, ist einer der großen Vorzüge des RentnerInnenlebens – und dank meines D-Tickets sind die Fahrten mit dem öffentlichen Personennahverkehr günstig und recht problemlos. So war ich im Oktober dreimal im Harz: einmal zum Wandern In Ilfeld, einmal zu einer Aus- und Umräumaktion in Bad Harzburg und einmal zu einem Fotoshooting mit Gil-Galad im Wald bei Wolfshagen. Der letzte Hohe König der Elben war eigens für den Fototermin aus Tolkiens Mittelerde nach Niedersachsen gereist. Die SpaziergängerInnen, die uns begegneten, freuten sich allesamt über den unerwarteten Gast.

In Hamburg habe ich meine Enkelkinder besucht und schließlich am vorletzten Oktobertag meinen Mann in Travemünde am Skandinavienkai abgeholt, also dort, wo unsere Nordtour vor fast zwei Monaten begann. Während ich Ende September wieder zurück nach Deutschland geflogen bin, um den zwar nicht immer, aber doch oft Goldenen Oktober zu genießen, blieb mein Mann nördlich des Polarkreises, immer auf der Jagd nach Nordlichtern (https://sternefueralle.wordpress.com/polarlichter/).

Für mich war die Fahrt nach Travemünde eine gute Gelegenheit, ein paar Stunden am Meer zu verbrinfen – und ein gemeinsamer Abschluss unserer Schwedenreise.

Kunst

Im September war ich noch in Jokkmokk, dem samischen Zentrum in Nordschweden, im Oktober gab es ein Wiedersehen mit der samischen Geschichte und Kultur im Sprengelmuseum in Hannover. Joar Nango, Künstler und Architekt aus Tromsö mit samischen Wurzeln, greift für seine Installationen traditionelle Kulturtechniken der Sámi auf – und aktualisiert sie. So verarbeitete er für die Ausstellungsstücke neben traditionellen Werkstoffen wie Holz, Fischhäuten, Rentierfellen und Birkenrinden zum Beispiel auch Kupfer- und Blechplatten von einem Schrottplatz aus der Region Hannover. Aus ihnen entstand ein Gumpi, eine transportable Hütte, die samische Hirten nutzen, um sich vor Wind und Wetter zu schützen, wenn sie ihren Rentierherden folgen. Auch Filme und Fotos geben noch bis Anfang nächsten Jahres im Sprengelmuseum einen Einblick in die samische Kulltur. Als Hocker vor den Bildschirmen dienen übrigens unter anderem ausrangierte Raupen von Schneemobilen.

Thomas Rentmeisters Installation d23 war für mich eine kleine Reise in meine Vergangenheit. Denn der Umzug seiner Mutter in ein Pflegeheim und die Auflösung seines Elternhauses in der Dorfstraße 23 (d23) in Klein-Reken war für den Bildhauer und Professor für Skulptur in Braunschweig ein Anlass, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Und so landeten Möbel, Hausrat und vielen persönliche Dingen nicht auf dem Sperrmüll, sondern als umfangreiche Rauminstallation im Sprengelmuseum. Manches habe ich beim Gang durch die Räume wiedererkannt – ganz ähnliche Dinge haben auch in meinem Elternhaus gestanden. Dass Thomas Rentmeister sie in einem Kunstwerk weiterverwertet hat, gefällt mir. Und ich musste daran denken, wie froh ich war, dass die Käufer meines Elternhauses einen Großteil der Möbel und des Hausrats übernommen und mir so erspart haben, das, was meine Eltern im Laufe ihres Lebens angeschafft haben, auf den Müll zu werfen.

Mein Ausflug ins Sprengelmuseum endete übrigens am Eingang der Dauerausstellung Elementareile. Meine Tasche sei zu groß, befand die für diese Räume zuständige Museums-Mitarbeiterin. Mein Einwand, dass ich am Eingang gefragt und eine andere Auskunft erhalten hatte, beeindruckte sie ebenso wenig wie die Feststellung, dass mindestens drei KollegInnen mich ohne Einwände, aber mit Tasche hatten passieren lassen. Ich drehte also um – und beschloss, den Museumsbesuch an einem anderen Tag fortzusetzen. Dank Museumskarte kann ich das ja jederzeit, außer montags. Montags sind die Museen in Hannover nämlich geschlossen.

Beim Nachmessen zu Hause zeigte sich: Meine Tasche ist wirklich einen halben Zentimeter zu lang, nämlich 30,5 statt der im Sprengelmuseum erlaubten 30 Zentimeter. Dass sie drei Zentimeter schmaler ist als erlaubt, (nämlich nur 22 statt 25 Zentimeter), gleicht offenbar diese Überschreitung nicht aus. Vorschrift ist eben Vorschrift.

Musik

Selbst hätte ich mir die Karte für das Konzert im Amtshof in Burgwedel sicher nicht gekauft, denn ich bin kein Fan von Violinmusik. Aber eine Bekannte hatte sie mir geschenkt, weil sie selbst an dem Abend verreist war. Und ich fand das Thema spannend: Night on Earth – eine musikalische Welt und Zeitreise durch die Nacht mit Ulf Schneider (Violine) und Jan Philip Schulze (Klavier).

Der Konzertabend verlief dann recht ungewöhnlich. Nach dem zweiten Stück stellte der Pianist fest, dass sich beim Transport am Schimmelflügel ein Pedal verklemmt hatte. Ich – musikalische Analphabetin – hatte das nicht gehört, für echte MusikenthusiastInnen ist das aber offenbar ein No-Go. Und so wurde das Konzert unterbrochen, nach einem langen Telefonat mit einem Klavierstimmer zeigte Jan Philipp Schulze, dass er nicht nur Klavier spielen, sondern sein Instrument auch reparieren kann: Er baute zuerst den Deckel, dann die Klaviatur aus – und nach der provisorischen Reparatur wieder ein. Nach einer halben Stunde ging das Konzert dann weiter.

Mehr als die Musik ist mir die Reparatur in Erinnerung geblieben – und ein Stück des amerikanischen Komponisten George Crumb. Ich hatte bislang noch nie etwas von ihm gehört, aber laut Kammermusikführer.de ist er „der ‚grand old man‘ der Neuen Musik in den USA“ https://www.kammermusikfuehrer.de/werke/4206). Ich habe mir die von ihm komponierte Sonata für Solo Cello bei Youtube angehört. Sie hat mir gefallen, auch wenn sie ganz anders klingt als die Cellostücke, die ich sonst höre. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass ich für die Zeitschrift Nobilis gerade einen Artikel über Hannoversche Gesellschaft für Neue Musik e.V. (hgnm) korrigiert habe (https://issuu.com/schluetersche/docs/nob_11-2024_epaper). Und man ist ja bekanntlich nie zu alt, Neues auszuprobieren.  

Sport

Gut, ganz neu ist der Sport für mich nicht. Ich habe früher schon mal Tischtennis – oder vielleicht war es eher Pingpong – gespielt: während meines Volontariats an der Mosel (lang, lang ist’s her) ganz kurze Zeit im Verein, später dann gelegentlich und ohne jede Chance mit meiner Tochter, jetzt ab und zu mit den Enkelkindern. Kurz bevor oder nachdem ich sechzig geworden bin, hatte ich ein paarmal mit der Gruppe in der Seniorenbegegnungsstätte trainiert. Doch dann wurde meine Mutter pflegebedürftig, dann kam Corona … – kurzum, es kam immer etwas dazwischen. Jetzt habe ich wieder angefangen – ich spiele nicht gut, aber es macht mir Spaß und ich habe mir fest vorgenommen, diesmal dran zu bleiben. Und Übung macht ja bekanntlich die Meisterin.

Wenn Männer Frauen die Welt erklären

Vor ein paar Tagen habe ich auf spiegel.de zufällig den Artikel „Mansplaining auf TikTok“ gelesen. Als die Profigolferin und Golflehrerin Georgia Ball einen Abschlag filmt, um ihren mehr als 150.000 Followern auf TikTok zu zeigen, wie frau es richtig macht, wird sie von einem Mann unterbrochen. Er erklärt ihr, was sie ändern und besser machen sollte. Er wisse, wovon er spreche, schließlich spiele er seit 20 Jahren Golf (https://www.spiegel.de/netzwelt/apps/profi-golferin-georgina-ball-mit-mansplaining-hit-auf-tiktok-vielen-dank-fuer-ihren-ratschlag-a-0a5c7115-5e0a-41bc-b4df-679d3c9fe4c7?utm_source=pocket-newtab-de-de). Stoppen lässt er sich bei seinen Belehrungen nicht: Was zählen schon Ausbildung, Erfolge oder auch Titel einer Frau gegen die geballte männliche Erfahrung.

Was Mansplaining ist, erklärt der Autor (tmk – Torsten Kleinz) in seinem Artikel: „Dabei setzen insbesondere ältere Männer voraus, dass ihr Gegenüber inkompetent oder unerfahren ist, drängen ihre Ratschläge auf und reagieren dabei nicht auf zarte Hinweise.“ Rebecca Solnit erwähnt er dagegen nicht. Die bekannte amerikanische Schriftstellerin und Essayistin hat das Wort, das sich aus den Worten Man (Mann) und explaining (erklären) zusammensetzt, zwar nicht erfunden. Aber sie hat in ihrem Essay „Men Explain Things to Me“ – „Wenn Männer mir die Welt erklären“* – das Phänomen, das viele Frauen kennen, beschrieben und weltweit zum Gesprächsthema gemacht.

Rebecca Solnit erlebte vor mehr als 20 Jahren, an einem Sommertag im Jahr 2003, Ähnliches wie Georgia Ball. Der Gastgeber einer Party fragte sie, damals schon eine renommierte Autorin, worüber sie schreibe. Als Rebecca Solnit ihr kurz zuvor veröffentlichtes Buch über den Foto-Pionier Eadweard Muybridge nannte, empfahl er ihr ein „ausgesprochen wichtiges Buch“, das sie unbedingt lesen müsse. Hinweise, dass seine Gesprächspartnerin eben jenes Buch geschrieben hatte, überhörte „Mr. Wichtig“ geflissentlich.

Rebecca Solnit schildert die Episode in ihrem Essay, den sie erst ein paar Jahre später, dann aber in nur wenigen Stunden schrieb. „Dieser Essay wollte niedergeschrieben werden“, schreibt sie im Postskkriptum zum Essay: „Kein anderer Text, den ich je geschrieben habe, hat solche Verbreitung gefunden. Er hatte eine Saite angeschlagen. Einen Nerv getroffen.“

Men Explain Things to Me“ wurde zunächst nur online auf der unabhängigen Website TomDispatch veröffentlicht. Auf der Website Guernica bekam er dann „im Lauf der Jahre Millionen Klicks, weil die Erfahrungen und Situationen, die ich beschrieb, so brutal alltäglich waren, aber kaum Beachtung fanden“, so Rebecca Solnit in ihrem Buch Unziemliches Verhalten. Das Wort „Mansplaining“ wurde laut Wikipedia in Australien zum Wort des Jahres 2014 gekürt. „In der Begründung der Jury hieß es, Mansplaining sei ein ‚dringend erforderliches, klug geprägtes Kunstwort, das auf eingängige Weise die Idee der herablassenden Erklärweise einfinge, die manche Männer nur allzu häufig Frauen gegenüber an den Tag legen‘.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Mansplaining)

Selbst wenn sie wissen, dass ihr weibliches Gegenüber Expertin auf einem Gebiet ist, meinen manche Männer, dass die Frau auf (männliche) Hilfe angewiesen ist. Sie sei als Referentin zu einer Veranstaltung eingeladen worden, erzählte mir eine Informatikprofessorin. Weil bis zum Beginn ihres Vortrags noch Zeit war, schaltete sie ihren Computer auf Stand-by. Als der Bildschirm schwarz wurde, sprang ein Mann aus dem Publikum auf, lief zum Pult und wollte sich an ihrem Computer zu schaffen machen – um der Computerexpertin bei ihrem vermeintlichen Computerproblem zu helfen. Das habe sie natürlich verhindert, erklärte die Professorin. „Ungefragt den Computer einer Informatikerin anfassen geht gar nicht!“

Merke: Selbst Doktor- und Professorinnentitel schützen Frauen nicht vor Männern, die ihnen die Welt und ihr Fachgebiet erklären wollen.

*Dieser Artikel enthält unbezahlte Werbung

Der Essay „Wenn Männer mir die Welt erklären“ wurde erstmals 2014 auf Deutsch im gleichnamigen Buch veröffentlicht. Es enthält außerdem sechs weitere Essays von Rebecca Solnit.

Rebecca Solnit: Wenn Männer mir die Welt erklären. Essays. Aus dem amerikanischen Englisch von Kathrin Razum und Bettina Münch. Mit Bildern von Ana Teresa Fernandez. Btb Verlag, München 2017, 12 Euro.

Der von Georgia Ball veröffentlichte Vidoclip wurde laut Spiegel.de bis zur Veröffentlichung des Artikels am 25. Februar elf Millionen Mal auf TikTok angesehen, auf Instagram erreichte Ball zwölf Millionen Nutzerinnen und Nutzer – inzwischen dürften es viel mehr sein. Wer will, kann sich den Film in der Ard-Mediathek ansehen unter https://www.ardmediathek.de/video/morgenmagazin/profispielerin-georgia-ball-ueber-ungewollte-tipps/das-erste/Y3JpZDovL3Nwb3J0c2NoYXUuZGUvc3BvcnRzY2hhdS1mZm1wZWctdmlkZW8tNDM0MjI0Nzc

Let’s go

Shoppen gehört nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen – Bücher und Schreibutensilien ausgenommen. Schuhe kaufe ich sehr ungern – erst recht, seit ich medizinische Einlagen trage. Denn bevor ich probieren kann, ob ein Schuh passt,  muss ich die Einlagen mühsam aus meinen Schuhen herausprokeln, sie in die neuen Schuhe hineinzwängen, was auch nicht so einfach ist – und das bei jedem Paar, das ich anprobieren möchte, aufs Neue.

Einige Schuhe scheitern schon an diesem ersten Stresstest, weil sie für die zu meinen breiten Füßen passenden Einlagen einfach zu schmal geschnitten sind. Ein bisschen fühle ich mich dabei an Aschenputtel erinnert – vielleicht kommt irgendwann ja eine Taube angeflattert und gurrt dann frei nach den Brüdern Grimm „rucke digu, rucke digu, der Schuh ist zu klein, der rechte Schuh ist nicht dabei“.

Aschenputtels Schuhe waren wohl maßgeschneidert, und weil ich mir maßgefertigte Schuhe nicht leisten kann und will, bleibt mir nur das lästige Anprobieren. Jedes Mal stehe ich trotz der Vorauswahl durch die Einlagen vor der schwierigen Entscheidung, ob Schuhe, die bei der Anprobe recht bequem scheinen, das auch noch sind, wenn ich sie stundenlang oder beim Training getragen habe.

Bei Laufschuhen war fast immer auf die Schuhe einer bestimmten Marke Verlass; außerdem hatte ich nach vielen Laufjahren und vielen durchgelaufenen Laufschuhen viel Erfahrung. Die fehlt mir bei Walkingschuhen noch, zum einen, weil ich noch nicht so lange vom Laufen aufs Gehen umgestiegen bin, zum anderen, weil ich bis jetzt meine Laufschuhe aufgetragen habe.

Die Walkingschuhe, die ich vor mehr als einem Jahr gekauft haben, haben sich trotz Beratung und langer Anprobe als Fehlkauf erwiesen. Immerhin leisten sie jetzt meiner Tochter gelegentlich gute Dienste. Doch danach hatte ich lange keine Lust mehr auf einen weiteren Versuch. In dem Sportgeschäft, in dem ich kürzlich den zweiten Versuch startete, gab es lediglich einen Walkingschuh für Frauen, leider nicht in meiner Größe.

Ich war also beim dritten Versuch nicht sonderlich optimistisch – und wurde dann wider Erwarten eines Besseren belehrt. Es war der schnellste Schuhkauf meines Lebens, er dauerte, nachdem ich das Regal mit den Walkingschuhen für Damen endlich gefunden hatte, gerade mal zehn Minuten. Fünf Paare standen nebeneinander und ich griff zuerst nach dem Paar, das mir farblich – Grau mit Türkis – am besten gefiel. Dass der Schuh am preisgünstigsten war – ein Auslaufmodell – und überdies von dem Hersteller, dessen Laufschuhe ich jahrzehntelang getragen habe, spielte natürlich auch eine Rolle.

Farblich abgestimmt – mit der Wanderhose, mit Rucksack und Jacke (nicht im Bild). Foto: Foe Rodens

Um es kurz zu machen. Es war ein Glücksgriff: Die Einlagen ließen sich problemlos austauschen, die Schuhe passten wie angegossen – ich spürte kaum, dass ich sie an den Füßen hatte. Nix drückte, nix scheuerte. Ich kaufte den Schuh, ohne ein weiteres Paar anzuprobieren. Und weil ich auch an der Kasse nicht warten musste, erreichte ich sogar noch meinen Zug.

Der positive Eindruck bestätigte sich auch beim Gehen an den folgenden Tagen. Jetzt überlege ich, ob ich mir nicht einen kleinen Vorrat anlege. Vielleicht bestelle ich mir zumindest ein zweites Paar, bevor es den Schuh nicht mehr gibt. Denn trotz des positiven Erlebnisses gehört Schuhe kaufen sicher auch künftig nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.

Am Abend wird der Faule fleißig …

… heißt es, und zumindest auf mich trifft das Sprichwort – leider – zu. Wenn ich beispielsweise Artikel schreiben muss, fange ich meist erst an, wenn der Abgabetermin bedrohlich näher rückt. Zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass ich meine Termine immer einhalte und dass ich mich schon vorher mit dem Thema beschäftige. Ich recherchiere, sammle Informationen – mitunter so viel, dass es für eine halbe Dissertation reicht. Nur mit dem Schreiben lege ich meist erst auf den letzten Drücker los.

Mit dem Schwimmen ist es ähnlich: Erst in dieser Woche, in der Nachsaison, bevor das Schwimmbad heute für dieses Jahr schließt, konnte ich mich aufraffen, regelmäßig hinzugehen.

Nun ist schwimmen, wie alle wissen, die mich kennen, meinen Blog lesen oder beides, definitiv nicht mein Sport. Bevor Triathlon erfunden wurde, galten schwimmen und laufen als unvereinbar: Gute LäuferInnen können nicht schwimmen – und umgekehrt, hieß es. Ich bin der lebende Beweis dafür, dass diese These stimmt. Ich war mal eine ganz gute Läuferin, schwimmen gehört indes zu den Sportarten, die ich nie richtig lernen werde. Brustschwimmen ist die einzige Stilart, mit der ich mich mühelos längere Zeit über Wasser halten und auch einigermaßen schnell fortbewegen konnte. Seit ich das wegen meines Knies nicht mehr darf, ist mein Verhältnis zum Schwimmen noch schwieriger geworden.

Daran hat auch der Schwimmkurs bei Kathrin im vergangenen Jahr nichts geändert. Ich schaffe es gerade mal, 50 Meter zu kraulen, dann klammere ich mich an den Beckenrand, sammle Kräfte, bevor ich die nächsten 50 Meter angehe, pardon, anschwimme. Auf diese Weise schaffe ich an guten Tagen 800 oder 900 Meter, meist ist aber schon nach 400 oder 500 Meter Schluss. Die 1000-Meter-Schallmauer habe ich in diesem Sommer nicht durchbrochen. Und vom entspannten Dahingleiten  im Wasser bin ich ebenso Seemeilenweit entfernt wie von meinem guten Vorsatz zu Beginn der Saison, mindestens zweimal in der Woche ins Schwimmbad zu gehen.

Am guten Willen mangelte es zu Saisonbeginn nicht. Auch in diesem Jahr habe ich wieder eine Saisonkarte gekauft, in der Hoffnung, dass meine angeborene Sparsamkeit und der Wunsch, den Preis abzuschwimmen, mich motivieren. Doch ich habe die Karte – leider – viel zu selten genutzt. Trotz des tollen Sommers oder genauer gesagt: wegen. Denn wer die einzige Stunde, in der das Schwimmbad einigermaßen leer war – zwischen den militanten Frühschwimmern am frühen Morgen und dem Einfall der Schulklassen gegen 8:15 Uhr – verpasst hatte, hatte kaum noch eine Chance, einigermaßen ungestört seine Bahnen zu ziehen. Am Morgen kann ich aber am besten arbeiten, und allzu oft habe ich mich fürs Arbeiten entschieden.

Außerdem war das Schwimmbad irgendwann im Spätsommer wegen eines technischen Defekts zwei oder drei Wochen geschlossen. Dass es wieder offen ist, habe ich dann eher zufällig von einer Schwimmbadbekanntschaft erfahren. Immerhin habe ich jetzt die Verlängerung der Badesaison bis zum 7 Oktober eifrig genutzt – und auf diese Weise meine dürftige Saisonbilanz ein wenig aufpoliert. Seit Dienstag bin ich jeden Morgen zum Schwimmen gefahren, meist dick verpackt, weil es morgens meist doch schon empfindlich kühl war. Die Winterjacke habe ich meist erst am Beckenrand ausgezogen. Und ja, es stimmte, nach der kalten Dusche war das Wasser fast angenehm warm. Und ich werde es fast ein bisschen vermissen, das kalte Wasser und das Schwimmen am Morgen.

Schwimmen – jein bitte

Vorab: Ich liebe Wasser. Von außen. Aber Wasser ist nicht mein Element. Ich vertraue darauf, dass Gott wusste, was er tat, als er uns Menschen erschaffen hat. Wenn er gewollt hätte, dass ich schwimme, hätte er mir Kiemen gegeben oder zumindest Schwimmhäute oder Flossen.

Natürlich weiß ich, dass es Menschen gibt, die scheinbar mühelos durchs Wasser gleiten. Ich bewundere sie, aber ich gehöre leider nicht dazu. Schwimmen gehört zu den Sportarten, die ich nie beherrschen werde. Ich schwimme eher unorthodox: Es gibt Menschen die behaupten, es sehe aus wie eine Mischung aus Kaulquappe und Schaufelbagger, wenn ich kraule. Brustschwimmen klappt einigermaßen, ist aber derzeit wegen meiner Knieprobleme nicht so angesagt.

Weil ich nicht laufen kann und schwimmen angeblich gut für die Gesundheit sein soll, bin ich in diesem Sommer, der ja kein wirklicher Sommer war, trotzdem manchmal morgens zum Schwimmbad gefahren, wenn keine schwerwiegenden Gründe dagegen sprachen:  zu viel Arbeit beispielsweise, zu kalt, Wasser zu nass oder keine Lust. Inzwischen habe ich auch die fast perfekte Zeit gefunden: irgendwann kurz nach sieben, wenn die Hardcore-Frühschwimmer schon weg und die Schüler aus dem nahegelegenen Schulzentrum noch nicht da sind.

Oles Kampf mit dem Wasser oder die Erfindung des Aquajoggings

Dann schwimme ich meine Bahnen oder genauer gesagt: Ich kämpfe mit dem Wasser. Dabei denke ich oft an einen Jungen – nennen wir ihn Ole –, den ich vor über 20 Jahren kennenlernte, als meine eigene Tochter noch klein war und irgendwelche Schwimmabzeichen machte. Ole war jünger als die anderen Kinder im Seepferdchen-Kurs, aber er machte mit, vielleicht weil er mit seinem großen Bruder schwimmen lernen wollte – oder weil seine Mutter  wollte, dass er früh schwimmen lernte.

Mit  klassischem Schwimmen hatte Oles Schwimmstil wenig zu tun. Er strampelte heftig mit Armen und Beinen und hielt sich irgendwie über Wasser. Aber nie habe ich vorher und nachher jemanden gesehen, der sich so heftig im Wasser bewegte, ohne vorwärts zu kommen. Für die fürs Seepferdchen vorgeschriebenen 25 Meter brauchte er gefühlte Stunden. Aber aufgegeben hat er nicht. Nicht nur bei mir hinterließ Ole einen bleibenden Eindruck. Auch meine Nachbarin erinnert sich genau an ihn – vor allem daran, dass er den Kopf krampfhaft in den Nacken legte, damit sein Gesicht nicht unter Wasser kam. Der Wasserlage war das natürlich eher abträglich. Seine Beine hingen nach unten, er lief mehr, als er schwamm. Wahrscheinlich haben wir die Erfindung des Aquajoggings erlebt, ohne es zu wissen.

Ole ist längst erwachsen und – weil sich ja bekanntlich früh übt, wer ein Meister werden will – wahrscheinlich ein ausgezeichneter Schwimmer. Ich leider nicht. Mein Kampf mit dem Wasser endet meist mit einem für mich schmeichelhaften unentschieden. Unentschieden, weil ich bislang noch nicht ertrunken bin und weil ich je nach Lust und Laune ja 600 bis 1000 m schaffe (für mehr als 1000 m reicht meine Lust nie). Schmeichelhaft, weil ich weiß, dass das Wasser eigentlich stärker ist: Es könnte mich verschlingen, wenn es nur wollte. Will es aber nicht. Aber ganz sicher bin ich nie.

Wie gesagt: Schwimmen ist nicht mein Sport. Dennoch werde ich es vermissen, wenn das  Schwimmbad in ein paar Tagen schließt. Das liegt vielleicht an meinem Ururururahn Tiktaalik. Wenn nämlich Darwin recht hat, stammen wir alle von den Fischen ab. Vor x-Millionen Jahren verließ der  „lange Frischwasserfisch“ das Wasser und ging an Land. Verdenken kann ich es ihm nicht. Nur seine Kiemen hätte er vielleicht für mich mitnehmen sollen.

Lieber Dritte/r?

Nein, ich habe mir den Wecker nicht gestellt. Da ich aber ohnehin wach war, habe ich mir heute Morgen ab 5 Uhr das Finale der Frauen im Beachvolleyball angesehen. Ich habe keine Ahnung von Volleyball und bin kein Volleyballfan, aber die Spiele von Laura Ludwig und Kira Walkenhorst bei den Olympischen Spielen von Rio haben mich wirklich begeistert. Sie haben sich so souverän und beeindruckend ins Finale gespielt – und verdient gewonnen. Wie sie es schaffen, in dem großen Sandkasten die Bälle anzunehmen und dann noch kontrolliert über das hohe Netz im gegnerischen Feld zu platzieren, ist mir ein Rätsel. Weder vom heftigen Wind noch von den Buhrufen des brasilianischen Publikums haben sie sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Chapeau.

Die Siegerehrung hat wieder einmal bewiesen, dass die Dritten meist zufriedener mit ihrem Platz und ihrer Medaille sind als die Silbermedaillengewinner/innen. Die Amerikanerin Misty May-Treanor und Kerri Walsh freuten sich richtig über ihren dritten Platz, obwohl sie schon dreimal – in Athen, Peking und London – Olympiasiegerinnen waren und es diesmal „nur“ Bronze war. Aber sie hatten das  kleinen Finale und damit die Medaille  gewonnen, für die Brasilianerinnen endete das Turnier mit einer Niederlage. Und natürlich hatten die Amerikanerinnen mehr Zeit, sich an ihre Platzierung zu gewöhnen, als Barbara und Agatha, die ja noch anderthalb Stunden vorher auf den Olympiasieg gehofft hatten. Eine der beiden Brasilianerinnen – Agatha glaube ich – weinte noch bei der Siegerehrung. Nicht vor Freude über die Silbermedaille, sondern weil sie das Filiale verloren und Gold verpasst hatte. Es ist eben doch alles relativ.