Nicht alles online

Gestern habe ich an einer Pressekonferenz teilgenommen, bei der eine forsa-Studie zur aktuellen Situation an Schulen und zu den größten Problemen der Schulleitungen vorgestellt wurde. Die Pressekonferenz fand im Rahmen des Deutschen Schulleitungskongresses (DSLK) in Düsseldorf statt, aber ich musste dafür nicht extra an den Rhein fahren: Ich habe wie viele meiner KollegInnen in meinem Arbeitszimmer gesessen, konnte zuhören, zuschauen und natürlich auch Fragen stellen.

Ich gehöre sicher nicht zu denen, die Corona und die Folgen für die Gesellschaft und für einzelne klein- oder schönreden. Im Gegenteil: Die Belastungen sind enorm, vor allem für bestimmte Gruppen: für Kinder und Jugendliche beispielsweise, für die ganz Alten, für Eltern mit kleinen Kindern, für ÄrztInnen und Pflegepersonal oder für KünstlerInnen. Aber ein Positives hat die Pandemie sicher gebracht: Sie hat die Digitalisierung beschleunigt, und zwar in vielen Bereichen. Die Frage ist nur, warum dies nicht auch ohne Pandemie möglich war.

Vieles, was bis vor anderthalb Jahren undenkbar war, ist inzwischen selbstverständlich. Videokonferenzen zum Beispiel. Und so habe ich trotz oder gerade wegen Corona im vergangenen Jahr an so vielen interessanten Veranstaltungen teilgenommen wie selten zuvor: Denn der Aufwand, für eine zweistündige Pressekonferenz oder eine andere Veranstaltung von Burgwedel nach Bonn, Berlin, München oder auch nur nach Göttingen zu fahren, war mir in der Vergangenheit oft zu groß – zeitlich und auch finanziell.

Auch an dem Essaykurs an der Volkshochschule Hamburg hätte ich sicher nicht teilgenommen, wenn ich sechs Mal abends nach Hamburg hätte fahren müssen. Die vorgesehene Präsenzveranstaltung zum Kursabschluss war kein Anmeldehindernis – im Gegenteil: Dass auch sie coronabedingt nur online stattfinden konnte, fand ich sehr schade. Denn ich hätte die anderen Kursteilnehmerinnen und die Kursleiterin Brigitte Helbling sehr gerne mal persönlich kennengelernt. Doch aufgeschoben ist ja bekanntlich nicht aufgehoben: Weil der Kurs uns allen so gut gefallen hat, treffen wir uns regelmäßig – digital. Monatliche analoge Treffen sind kaum möglich. Denn nur drei der sechs Kursteilnehmerinnen leben in Hamburg, die drei anderen sind über die halbe Republik verstreut.

Nicht immer können digitale Veranstaltungen analoge ersetzen: Persönliche Treffen sind oft schöner; Musik und Kunst – ob darstellend oder bildend – sind natürlich live besondere Erlebnisse. So möchte ich das Livekonzert der Elphcellisten in der Elbphilharmonie nicht missen und wir haben dafür gern die lange Anfahrt in Kauf genommen. Doch ich genieße es immer wieder, je nach Lust und Laune – auch während ich diese Zeilen schreibe – in die gestreamte Aufführung und in andere Konzerte hineinzuhören https://www.ndr.de/kultur/sendungen/ndr_elbphilharmonieorchester/NDR-ElphCellisten-in-Concert,sendung1194568.html. Das ruft die Erinnerungen an das tolle Konzert und an das imposante Konzerthaus wach – und macht Lust auf mehr.

Den Atelierspaziergang in Hannover habe ich in diesem Jahr leider verpasst: Im November hatten 31 Künstlerinnen und Künstler unter dem Motto „I‘m walking – Spazierengehen“ ihre Werkstätten geöffnet, doch ich hatte leider an beiden Sonntagen keine Zeit. Dank des virtuellen Atelierspaziergangs (www.hannover.de/atelierspaziergang)konnte ich ihre Arbeitsstätten und ihre Arbeiten trotzdem kennenlernen.

Live habe ich dann die Gemeinschaftsausstellung der Künstlerinnen und Künstler im Schloss Landestrost in Neustadt besucht und – zum Thema passend – einen Spaziergang durch die kleine Stadt am Rübenberge unternommen. In der Ausstellung war ich dann übrigens die einzige Besucherin. Beim virtuellen Spaziergang war die Resonanz glücklicherweise größer. So haben auch einige Freundinnen, die weit weg wohnen, meine Einladung gerne angenommen und fanden die Einblicke in die hannoversche Kunstszene sehr inspirierend.

Nicht weitermachen wie bisher

Willkommen zurück, begrüßt mich mein Computer jedes Mal, wenn ich eine Datei öffne. Und er schlägt mir vor: „Machen Sie genau dort weiter, wo sie aufgehört haben“ – wahlweise vor neun Minuten, vor drei Stunden, vor zwei Tagen, vor einem Monat oder vor einem halben Jahr. Denn mein Computer hat, wie es so Computerart ist, ein ausgezeichnetes Gedächtnis: Er merkt sich genau, viel besser als ich, was ich wann geschrieben oder verändert habe.

Ja, sage oder denke ich meist und lasse mich mit einem Mausclick an die entsprechende Stelle in der Datei leiten. Doch immer öfter frage ich mich bei der Gelegenheit, ob ich das auch im richtigen Leben will: Genau dort weitermachen, wo ich aufgehört habe, also im Prinzip weitermachen wie bisher. Und ich merke: Eigentlich will ich das nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich mein Leben ändern müsste – oder zumindest sollte.

Vielleicht liegt es daran, dass ich vor Kurzem 65 Jahre alt geworden bin, vielleicht daran, dass in diesem Jahr kurz nacheinander eine Freundin und ein Freund gestorben sind. Und natürlich führt uns – oder zumindest mir – Corona ständig vor Augen, wie schnell und radikal sich das Leben ändern und wie schnell es zu Ende sein kann.

Ich gebe es zu: Obwohl ich auf die Impfung – irgendwann im Januar ist es auch bei mir die dritte -, die Vorsichtsmaßnahmen, die ich einhalte, und natürlich auch auf meine ziemlich  robuste Gesundheit vertraue, macht SARS-CoV-19 mir zunehmend Angst. Und immer öfter denke ich an eine Meldung, die ich irgendwann vor Jahren im Radio gehört und die ich nie vergessen habe. Irgendwo im Osten Europas, in Armenien, in der Ukraine, in Aserbeidschan oder in irgendeinem anderen Staat, der früher zur Sowjetunion gehörte, wird auf Grabsteinen neben Namen, Geburts- und Todesjahr auch die Lebenszeit notiert. Gelebt  X Jahre, stehe dann dort in Stein gemeißelt, und (fast) immer sei die „Lebenszeit“ deutlich niedriger als das Alter.

Das wäre bei mir sicher auch so: Ich habe in den vergangenen Jahren oft zu viel gearbeitet und zu wenig gelebt. Zum einen, weil mir meine Arbeit Spaß macht, zum anderen aber auch, um finanziell unabhängig zu sein. Und dabei habe ich mich nicht immer genug um meine Gesundheit und um die wirklich wichtigen Dinge gekümmert.

Vielleicht muss ich dem Coronavirus ja sogar ein bisschen dankbar sein, weil es die Reißleine gezogen hat, bevor es mein Körper tun wollte. Ich habe coronabedingt wie viele Kolleginnen und Kollegen einige Aufträge verloren. Das ist natürlich bedauerlich, aber es tut mir gut, beruflich kürzer zu treten. Nicht nur, aber auch weil ich nicht mehr so belastbar bin wie früher. Es fällt mir schwerer, ohne Pause durchzuarbeiten, wie ich es jahrelang getan habe: den ganzen Tag, die ganze Woche, den ganzen Monat. Ich brauche mehr Pausen, und die gönne ich mir jetzt öfter.

Ich will, ja, ich kann nicht dort weitermachen, wo ich aufgehört habe – vor Corona. Ich habe mir vorgenommen, künftig zu arbeiten, um zu leben, und nicht länger zu leben, um zu arbeiten. Einen Plan, wie es weitergeht, bis ich im nächsten Jahr in Rente gehe und danach, habe ich noch nicht. Aber Corona hat mir ohnehin klar gemacht, wie wenig planbar unser Leben ist. Vielleicht befolge ich einfach Rainer Maria Rilkes Rat. „Lassen Sie sich das Leben geschehen. Glauben Sie mir: das Leben hat recht, auf alle Fälle“, schreibt er in seinem Buch „Du mußt dein Leben ändern.“ Ich habe das Buch irgendwann wohl wegen des Titels gekauft, und jetzt – wohl aus dem gleichen Grund – in meinem Regal wiederentdeckt. Und noch ein anderes Buch habe ich dort gefunden: „Es ist nie zu spät, neu anzufangen“ von Julia Cameron. Na denn.

Let’s go

Shoppen gehört nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen – Bücher und Schreibutensilien ausgenommen. Schuhe kaufe ich sehr ungern – erst recht, seit ich medizinische Einlagen trage. Denn bevor ich probieren kann, ob ein Schuh passt,  muss ich die Einlagen mühsam aus meinen Schuhen herausprokeln, sie in die neuen Schuhe hineinzwängen, was auch nicht so einfach ist – und das bei jedem Paar, das ich anprobieren möchte, aufs Neue.

Einige Schuhe scheitern schon an diesem ersten Stresstest, weil sie für die zu meinen breiten Füßen passenden Einlagen einfach zu schmal geschnitten sind. Ein bisschen fühle ich mich dabei an Aschenputtel erinnert – vielleicht kommt irgendwann ja eine Taube angeflattert und gurrt dann frei nach den Brüdern Grimm „rucke digu, rucke digu, der Schuh ist zu klein, der rechte Schuh ist nicht dabei“.

Aschenputtels Schuhe waren wohl maßgeschneidert, und weil ich mir maßgefertigte Schuhe nicht leisten kann und will, bleibt mir nur das lästige Anprobieren. Jedes Mal stehe ich trotz der Vorauswahl durch die Einlagen vor der schwierigen Entscheidung, ob Schuhe, die bei der Anprobe recht bequem scheinen, das auch noch sind, wenn ich sie stundenlang oder beim Training getragen habe.

Bei Laufschuhen war fast immer auf die Schuhe einer bestimmten Marke Verlass; außerdem hatte ich nach vielen Laufjahren und vielen durchgelaufenen Laufschuhen viel Erfahrung. Die fehlt mir bei Walkingschuhen noch, zum einen, weil ich noch nicht so lange vom Laufen aufs Gehen umgestiegen bin, zum anderen, weil ich bis jetzt meine Laufschuhe aufgetragen habe.

Die Walkingschuhe, die ich vor mehr als einem Jahr gekauft haben, haben sich trotz Beratung und langer Anprobe als Fehlkauf erwiesen. Immerhin leisten sie jetzt meiner Tochter gelegentlich gute Dienste. Doch danach hatte ich lange keine Lust mehr auf einen weiteren Versuch. In dem Sportgeschäft, in dem ich kürzlich den zweiten Versuch startete, gab es lediglich einen Walkingschuh für Frauen, leider nicht in meiner Größe.

Ich war also beim dritten Versuch nicht sonderlich optimistisch – und wurde dann wider Erwarten eines Besseren belehrt. Es war der schnellste Schuhkauf meines Lebens, er dauerte, nachdem ich das Regal mit den Walkingschuhen für Damen endlich gefunden hatte, gerade mal zehn Minuten. Fünf Paare standen nebeneinander und ich griff zuerst nach dem Paar, das mir farblich – Grau mit Türkis – am besten gefiel. Dass der Schuh am preisgünstigsten war – ein Auslaufmodell – und überdies von dem Hersteller, dessen Laufschuhe ich jahrzehntelang getragen habe, spielte natürlich auch eine Rolle.

Farblich abgestimmt – mit der Wanderhose, mit Rucksack und Jacke (nicht im Bild). Foto: Foe Rodens

Um es kurz zu machen. Es war ein Glücksgriff: Die Einlagen ließen sich problemlos austauschen, die Schuhe passten wie angegossen – ich spürte kaum, dass ich sie an den Füßen hatte. Nix drückte, nix scheuerte. Ich kaufte den Schuh, ohne ein weiteres Paar anzuprobieren. Und weil ich auch an der Kasse nicht warten musste, erreichte ich sogar noch meinen Zug.

Der positive Eindruck bestätigte sich auch beim Gehen an den folgenden Tagen. Jetzt überlege ich, ob ich mir nicht einen kleinen Vorrat anlege. Vielleicht bestelle ich mir zumindest ein zweites Paar, bevor es den Schuh nicht mehr gibt. Denn trotz des positiven Erlebnisses gehört Schuhe kaufen sicher auch künftig nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.