Auf dem Besinnungsweg

Auf dem Burgberg bei Bad Harzburg war ich schon oft – er ist sozusagen unser Hausberg. Meine Tochter und ich wandern oft hinauf, wenn die Zeit bei meinen Besuchen nicht für eine längere Wanderung reicht oder das Wetter nicht mitspielt. Den Besinnungsweg habe ich aber erst vor ein paar Tagen entdeckt, obwohl er – eigentlich unübersehbar – an der Bergstation der Baumschwebebahn beginnt und endet.

Vor fast 1000 Jahren ging es hier wenig besinnlich zu. Wo Burgberg und Sachsenberg sich treffen, sollen angeblich im Jahr 1073 die Untertanen den deutschen König und späteren Kaiser Heinrich IV. und dessen Gefolge in der Harzburg belagert haben. Grund, wütend zu sein, hatten die Menschen allemal, mussten sie doch von 1065  bis 1068 die Burg in Fronarbeit, also ohne Bezahlung, bauen. An den Aufstand der Sachsen erinnert jetzt eine der insgesamt acht Stationen auf dem 1,6 Kilometer langen Rundweg.

Der führt um und auf die Kuppe des 538 Meter hohen Sachsenbergs und ist genau so, wie ich mir Wanderwege wünsche: schmal und verschlungen. Meist führt der Pfad durch den Wald, aber es gibt viele schöne Ausblicke: auf Bad Harzburg beispielsweise oder auf den Brocken. An vielen Stellen stehen Bänke und laden dazu ein, Pausen zu machen und über die Welt oder sich selbst nachzudenken.

Ich frühstücke auf einer Bank am Sachsenstein. Die Aufschrift „Sonne – Erde – Wind – Wasser“ erinnert an den Sachsengott Krodo, laut Sachsenspiegel ein Gott  der Fruchtbarkeit und des Lebens. Krodos Zeit endete mit der Christianisierung im achten Jahrhundert. Jetzt schaut mir der von Ralf Woick geschaffene Krodo-Kopf beim Frühstück zu.

Sein grimmiger Blick stört mich nicht, und während ich in der Sonne sitze, kommt mir das vielleicht bekannteste Zitat aus Goethes Faust in den Sinn: „Verweile doch! du bist so schön!“ Zum Glück habe ich, anders als Faust, keine Wette mit Mephisto abgeschlossen und kann ich den Augenblick genießen.

Das tue ich zu selten, meist fordert mich meine innere Stimme eher auf, mich zu beeilen statt zu verweilen. Dazu passt die Geschichte vom weisen Mann, die ich ein paar Meter weiter an der nächsten Station lese. Gefragt, wie er es schaffe, immer bei der Sache zu sein und ganz ruhig zu bleiben, verrät er sein Geheimnis. „Ganz einfach: Wenn ich sitze, sitze ich, wenn ich stehe, stehe ich und wenn ich gehe, gehe ich.“ Mir geht es indes wie vielen Menschen. Wenn ich sitze, bin ich schon im Begriff, aufzustehen, wenn ich stehe, denke ich schon daran, loszugehen, wenn ich gehe, denke ich schon ans Ziel – und wenn ich angekommen bin, suche ich schon ein neues Ziel, eine neue Aufgabe. Das soll anders werden.

Am nächsten Platz, dem Himmelsloch, wäre ich gerne länger geblieben. Auf der hölzernen Liege liegend, schaue ich in den blauen Himmel, der sich zwischen den hohen Bäumen zeigt.  Doch leider währt der Himmelsblick nicht lange. Das Holz war frühmorgens noch feucht vom Tau. Aber ich werde sicher bald wiederkommen und dann gewiss länger bleiben.

Kleiner Satz mit großen Folgen

Happy Birthday Grundgesetz. Heute vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949, trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Es hat Vorrang vor allen anderen deutschen Gesetzen, die mit dem Grundgesetz übereinstimmen müssen.

Was als Provisorium bis zur Wiedervereinigung gedacht war und deshalb nicht Verfassung genannt wurde, hat sich ein dreiviertel Jahrhundert lang bewährt. Das Jubiläum ist für mich ein Anlass, an Elisabeth Selbert zu erinnern*. Vor allem ihr ist es zu verdanken, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ins Grundgesetz aufgenommen wurde – und das Leben nicht nur der Frauen veränderte.

Denn was heute zumindest de iure selbstverständlich ist, war vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs heftig umstritten. Dem Parlamentarischen Rat, der als verfassungsgebende Versammlung seit Herbst 1948 das Grundgesetz erarbeitete, gehörten neben Elisabeth Selbert noch drei weitere Frauen (Frieda Nadig, Helene Weber und Helene Wessel) und 61 Männer an. Die meisten hatten mit der Gleichberechtigung der Frauen wenig im Sinn und wollten nur den Gleichheitspassus aus der Weimarer Verfassung übernehmen. Die hatte den Frauen die gleichen staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten zugebilligt wie den Männern. „Alle Deutschen sind grundsätzlich vor dem Gesetz gleich“ hieß es in § 109 der Verfassung vom 11. August 1919. Doch das genügte Elisabeth Selbert nicht. Für sie war selbstverständlich, „daß man heute weiter gehen muß als in Weimar … Die Frau soll nicht nur in staatsbürgerlichen Dingen gleichstehen, sondern muß auf allen Rechtsgebieten dem Manne gleichgestellt werden.“ (zitiert nach https://www.fernuni-hagen.de/rechtundgender/downloads/Art._3.pdf).

Die von Elisabeth Selbert  vorgeschlagene Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt, ging ihren KollegInnen zu weit. Selbst Frieda Nadig, die zweite sozialdemokratische Delegierte im Parlamentarischen Rat, war zunächst entsetzt. Sie befürchtete ein Rechtschaos, wenn alle Gesetze, die mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz nicht übereinstimmten, geändert werden müssten. Doch Elisabeth Selbert gelang es, Frieda Nadig und die übrigen Mitglieder ihrer Partei im Parlamentarischen Rat zu überzeugen.

Größer war der Widerstand in den konservativen Parteien. Sowohl im Grundsatzausschuss als auch in der ersten Lesung im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates wurde der Antrag der SPD Ende 1948 abgelehnt.

Doch Elisabeth Selbert kapitulierte nicht. Sie mobilisierte die Frauen im ganzen Land und erreichte, dass Frauenverbände, Frauenring, Gewerkschaften, Betriebsgruppen, aber auch einzelne Frauen gegen die Nichtaufnahme des umfassenden Gleichberechtigungsgrundsatzes ins Grundgesetz protestierten. Und obwohl laut einer Meinungsumfrage die neue Verfassung fast der Hälfte der Frauen völlig gleichgültig war und sich nur jede Zehnte dafür sehr interessierte, gingen waschkörbeweise Protestschreiben beim Parlamentarischen Rat ein.

So viel außerparlamentarische Opposition beeindruckte auch die Väter der Verfassung – wohl nicht zuletzt auch wegen der im August 1949 anstehenden ersten Bundestagswahlen. In der Sitzung des Hauptausschusses Anfang Januar 1949 wurde der SPD-Antrag mit Elisabeth Selberts Formulierung angenommen. Sie selbst bezeichnete das als „Sternstunde ihres Lebens“.

Die Juristin schlug auch eine Übergangsregelung vor, die in Artikel 117 des Grundgesetzes festgeschrieben wurde. Danach mussten alle Gesetze, die dem Gleichheitsprinzip widersprachen, bis zum 31. März 1953 geändert werden. Betroffen waren vor allem zahlreiche Bestimmungen des Ehe-und Familienrechts.

Wie wichtig der Zusatzartikel war, zeigte sich einige Jahre später. Die überwiegend männlichen Politiker hatten es mit den Gesetzesänderungen nicht eilig. Weil die Reform des Ehe- und Familienrechts bis zum Stichtag nicht erfolgt war, erklärte das Bundesverfassungsgericht Ende 1953 Frauen und Männer auch in Ehe und Familie für gleichberechtigt – und setzte die Gesetze, die dem Gleichberechtigungsgrundsatz nicht entsprachen, außer Kraft. Das Gleichberechtigungsgesetz beendete erst fünf Jahre später das Gesetzesvakuum. Seither durften Männer beispielsweise das Arbeitsverhältnis ihrer Frauen nicht mehr gegen deren Willen kündigen. Aber bis 1977 durften Frauen in Westdeutschland nur berufstätig sein, wenn dies „mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar” war. Wesentlich fortschrittlicher waren die Gesetze in der DDR.

Die von Elisabeth Selbert vorgeschlagene und erkämpfte Formulierung wurde durch die Verfassungsreform des Jahres 1994 ergänzt. Seither heißt es in Absatz 2 des 3. Artikels auch „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Dies ist 75 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes leider immer noch nötig. Und die Remigrations- und andere Pläne rechter PolitikerInnen zeigen, dass es derzeit wichtiger ist als je, die für alle Menschen in Deutschland geltenden Grundrechte zu verteidigen.

Geändert werden kann das Grundgesetz übrigens nur, wenn zwei Drittel des Bundestags und zwei Drittel des Bundesrats zustimmen. Zwei Artikel können überhaupt nicht geändert werden, und zwar Artikel 1, der die Menschenwürde garantiert, und Artikel 20, der Staatsprinzipien wie Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat beschreibt (https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/10-fakten-grundgesetz-2264872)

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*Dieser Beitrag ist quasi ein Reblog eines Artikels, den ich im März/April 1999 geschrieben habe. Gebloggt habe ich damals noch nicht, aber der Artikel wurde über meinen Pressedienst Frauentexte verbreitet und veröffentlicht. Ein paar Dinge habe ich ergänzt, anderes ist heute noch so richtig und aktuell wie vor 25 Jahren

Rosen, Pfingstrosen und Orchideen

Ich habe seit Jahren eine Dauerkarte für die Herrenhäuser Gärten und ich nutze sie viel. Manchmal gehe ich einfach nur kurz in den Berggarten, wenn ich eigentlich aus einem anderen Grund in Hannover bin. Und immer wieder entdecke ich bei meinen Besuchen unbekannte Pflanzen. So zum Beispiel den Tulpenbaum im Staudengrund. An ihm bin ich wohl unzählige Mal achtlos vorbeigegangen, obwohl er wegen seiner Größe und der ungewöhnlichen Blüten kaum zu übersehen ist.

Am vergangenen Freitag führte mein erster Weg ins Orchideenschauhaus. Das hatten wir vor sechs Jahren, am 94. Geburtstag meiner Mutter, gemeinsam mit ihr besucht. In diesem Jahr wäre sie 100 Jahre alt geworden.

Meine Mutter hat Orchideen geliebt – und war von der Blütenpracht begeistert. Kein Wunder: Die Orchideensammlung im Berggarten gilt als eine der bedeutendsten Europas. Im Orchideenhaus werden ständig zwischen 500 und 800 Orchideen gezeigt, und zwar zwischen anderen tropischen Sträuchern und Bäumen, also quasi in ihrer „natürlichen“ Umgebung.

Auch die Pfingstrosen hätten meiner Mutter sicher gefallen. Im Präriegarten und im Staudengrund blühen zurzeit ganz verschieden Arten in den unterschiedlichsten Farben – von Weiß über Gelb, Rosa, Rot und Pink bis fast Schwarz. Als meine Mutter noch an der Mosel lebte, wuchs in ihrem Vorgarten ein riesiger Pfingstrosenstrauch, dessen Blüten herrlich dufteten. Noch heute bedaure ich, dass ich ihn nicht ausgegraben und in unserem Garten eingepflanzt habe, als wir das Haus verkauften. Meine eigenen Pfingstrosen duften wie so viele Neuzüchtungen leider nicht – und so muss ich mich damit begnügen, beim Gang durch die Herrenhäuser Gärten meine Nase in fremde Blüten zu stecken.

Pfingstrosen sind, auch das habe ich beim Schreiben der Blogbeiträge gelernt, trotz ihres Namens botanisch keine Rosen, sondern bilden eine eigene Pflanzenfamilie – die Pfingstrosengewächse (Paeoniaceae). Richtige Rosen (Rosa) wachsen im Niederdeutschen Rosengarten. Er ist Teil des Großen Gartens und laut Website „die Nachbildung eines der bereits im 16. Jahrhundert hoch geschätzten ‚Liebesgärten‘“ (https://www.hannover.de/Herrenhausen/Herrenhäuser-Gärten/Großer-Garten/Der-Niederdeutsche-Rosengarten). Insgesamt etwa 650 Rosen sollen in den quadratischen und runden Beeten wachsen, darunter auch die Herrenhäuser Sorten „Kurfürstin Sophie“ und „King George“.

An den wunderschönen privaten Rosengarten von Silke Rex, die im Juni wieder ihre Gartenpforte öffnet, reicht der Rosengarten in Herrenhausen meiner Meinung nach zwar nicht heran. In einem der vier Pavillons sitzend, habe ich mich aber trotzdem ein bisschen wie Dornröschen gefühlt.

Viel Zeit zu träumen oder gar zu schlafen hatte ich indes nicht. Denn eigentlich war ich ja aus einem anderen Grund in Hannover: Ich wollte zur Synagoge der Liberalen Jüdischen Gemeinde. Dort halten die Omas gegen rechts jeden Freitag während des Schabbat-Gottesdienstes eine Solidaritätswache.

Rhapsodie in Gelb und Blau

Wer sich unseren beiden Miniteichen nähert, sieht zuerst Gelb. Die Schwertlilien haben die Sumpfdotterblumen abgelöst und blühen prächtig. Die lila Blüten erkennt man erst auf den zweiten Blick. Zwischen den gelben Lilien zeigt sich eine einzelne Dreimasterblume – aber ich bin sicher: Wo eine ist, werden bald andere folgen. Denn Dreimasterblumen haben leider ein sehr einnehmendes Wesen. Weil sie andere Pflanzen rücksichtslos überwuchern, rücke ich ihnen regelmäßig mit Spaten und Hacke zu Leibe.

Darüber, dass die Akeleien sich überall im Garten ausbreiten, freue ich mich dagegen sehr – ebenso darüber, dass zum ersten Mal seit Jahren wieder lila Schwertlilien in unserem Garten wachsen. Woher sie kommen, weiß ich nicht, vielleicht trauen sie sich in diesem Jahr hervor, weil ich die übermächtige Heckenrose am Teichrand ausgegraben und auch den wuchernden Beinwell etwas zurechtgestutzt habe.

Die blaue Anemone im Beet am Wintergarten blüht in diesem Jahr ebenfalls zum ersten Mal. Von ihren Schwestern ist noch nicht zu sehen. Aber ich habe die Zwiebeln ja auch erst spät – vor etwa einem Monat – in die Erde gesetzt. Vielleicht kommt ihre Zeit noch: Manche Anemonen blühen bis in den Herbst hinein.

Dann ist meine Lieblingsrose, Rhapsody in blue, sicher längst verblüht. Sie blüht, anders als ihr Name sagt, lila und sie duftet herrlich. Leider verwelken die Blüten rasch. Aber vielleicht kann ich ja die Blütezeit verlängern, wenn ich die verblühten Blütenstände abschneide. Das schadet der Pflanze angeblich nicht, im Gegenteil: Laut hausgarten.net bleiben Rosen „nur durch gezielte und periodische Rückschnitte … vital und blühfreudig“ (https://www.hausgarten.net/verbluehte-rosen/). Anderen Websites zufolge gilt das nicht für alle Rosenarten, aber zumindest für Beetrosen wie meine Rhapsody in blue.

Sehr ausdauernd blüht, ganz ohne mein Zutun und meine Unterstützung, das Blaukissen: Die erste Blüte zeigte sich schon im Februar – und noch sind keine Ermüdungserscheinungen zu erkennen. Der Lesezwerg ist fast ganz in den blauen Blüten versunken – und natürlich immer noch in seinem Buch.

Was er liest, verrät er mir leider nicht. Ich habe gestern wieder einmal Selene Marianes „Miniaturen in Blau“ aus dem Bücherregal geholt – passend zur Rhapsodie in Blau vor dem Wintergartenfenster.

Monatsrückblick April 2024

Anfang April haben wir die Wohnmobilsaison mit einer Fahrt nach Fehmarn eröffnet. Weil die  Osterferien vorbei waren, war auf dem Campingplatz nur wenig los. Und so standen wir in der ersten Reihe – direkt auf der Düne, das Meer immer im Blick. Das Wetter spielte zum Glück auch mit: Wenn die Sonne nicht schien, war zwar noch recht kühl, aber längere Zeit geregnet hat es nur in der ersten Nacht und am letzten Morgen, als wir ohnehin schon unsere Sachen packten und nach Hause fahren wollten.

Es waren ganz entspannte Tage: Der nächste Ort ist drei oder vier Kilometer von Belt Camping entfernt und wir hatten unsere Räder nicht mit. Ich bin viel spazieren gegangen – immer am Meer entlang -, habe viel gelesen, ein bisschen geschrieben und einfach nur die Seele baumeln lassen. Wir haben, anders als die meisten anderen Wohnmobilisten, keinen Fernseher an Bord, und ich habe auch weniger Zeit am Computer verbracht als zu Hause. Dafür habe ich stundenlang aufs Meer geschaut und zweimal morgens die Sonne überm Meer auf- und abends wieder untergehen sehen – eine tolle Alternative.

Eine Woche später bin ich wieder gen Norden gefahren, diesmal aber mit dem Zug und nicht ans Meer, sondern an den Nord-Ostsee-Kanal. Im Nordkolleg in Rendsburg hatte ich die Schreibwerkstatt Literarisches Essay mit Brigitte Helbling gebucht.

Bücher mit Essays – meist von Frauen – füllen ein ganzes Brett in meinem Bücherregal. Die literarische Form fasziniert mich schon lange und ich versuche, mich ihr lesend, schreibend und durch Brigittes Workshops anzunähern. Aber immer, wenn ich glaube, dass es mir gelingt, entgleitet sie mir, wie ein Fisch, der sich nicht einfangen lässt.

Der Essay, beschrieb Susan Sonntag, ist „kein Artikel (ist), keine Kolumne, keine Buchkritik, keine Memoire, keine Abhandlung, keine Tirade, keine langwierige Anekdote, kein Monolog, kein Reisebericht, keine Aphorismensammlung, keine Trauerrede, keine Reportage. Ein Essay kann all das sein, und oft mehreres zugleich.“ Das gefällt mir: Es passt zu meiner Art zu schreiben und irgendwie auch zu mir: in keine Kategorie passend, zwischen allen Stühlen sitzend – oder stehend.

Auch das Seminar und die Tage im Nordkolleg haben mir sehr gut gefallen : Neben dem theoretischen Input blieb viel Zeit zum Schreiben und zu anregenden Gesprächen. Morgens bin ich noch vor dem Frühstück spazieren gegangen: am Nordostseekanal, an der Eider und durch das kleine Wäldchen, das Kanal und Kolleg trennt. Und dann gab es auch noch den Garten den Nordkollegs mit den blühenden Apfelbäumen, über den ich ja schon einen eigenen Blogbeitrag geschrieben hatte.

Der Apfelbaum in unserem Garten ist schon verblüht. Vor den Toren Hamburgs, im Alten Land, blühten die Bäume auch am letzten Aprilwochenende noch. Eigentlich wollten wir im Restaurant Zur Post mit Blick aufs Wasser zu Mittag essen. Aber die Einfahrt zum Parkplatz war für unser Wohnmobil zu eng. Lecker gegessen haben wir trotzdem – in einem anderen Fischrestaurant. Und nach einem Spaziergang an der Elbe haben wir dann auch noch in einem Obsthof Kaffee getrunken und natürlich Äpfel gekauft.

Am Samstag und Sonntag war dann Hamburg Marathon angesagt: Am Samstag startete der Enkelsohn beim Zehntel-Marathon, am nächsten Tag lief dann sein Vater über die volle Distanz. An der Strecke wurden natürlich Erinnerungen wach: Der Hamburg Marathon war 1991 unser erster Marathon überhaupt, und die Stimmung an der Strecke war bei keinem der Marathons, die ich gelaufen bin, besser. Von wegen steife Hanseaten. Beim Marathon ist davon nix zu spüren. Am besten hat mir bei meinen beiden Läufen durch Hamburg die Stelle gefallen, wo die BewohnerInnen eines Altenheims an der Straße saßen und uns LäuferInnen mit auf Töpfe schlagend und mitTopfdeckeln anfeuerten.

Mit der guten Stimmung war es dann am Sonntag von einer Sekunde auf die andere vorbei, als nur wenige Meter von uns entfernt ein Läufer kollabierte. Dort, wo die ZuschauerInnen fröhlich getanzt und die LäuferInnen lautstark angefeuert hatten, war es plötzlich ganz still. Einige ZuschauerInnen leisteten sofort erste Hilfe, versuchten, den Läufer mit Herzdruckmassage wiederzubeleben. Bis Sanitäter und Rettungswagen mit Geräten kamen, dauerte es unendlich lange. Wie lange, kann ich nicht sagen, die Zeit dehnt sich, scheint in solchen Momenten stillzustehen. Aber mehr als drei Minuten, wie im Hamburger Abendblatt stand, waren es gewiss. Ob der junge Mann hätte gerettet werden können, wenn die RetterInnen schneller gewesen wäre, ist fraglich. Wenn der Körper bei Kilometer 41 völlig übersäuert ist, ist es offenbar schwer, jemanden ins Leben zurückzuholen. Auch an diesem Nachmittag ist es nicht gelungen. Der Läufer starb später im Krankenhaus. Er war erst Mitte 20. Carpe diem

PS: Diesen Blogbeitrag habe ich Im Wesentlich während der Blognacht geschrieben, die Anna Koschinski einmal im Monat organisiert (https://annakoschinski.de/blognacht/). Gemeinsam mit anderen zu schreiben, hat mich inspiriert. Es war meine erste Blognacht, aber es wird wohl nicht die letzte gewesen sein. Danke Anna.