So schließt sich der Kreis

Letzte Woche bin ich mit BildungSpezial fertig geworden; es war wohl die letzte Ausgabe der Zeitschrift, die ich als verantwortliche Redakteurin betreut habe. Als am Freitagmorgen schließlich der Fehler beseitigt war, der sich unerklärlicherweise nach der letzten Korrektur auf einer Seite eingeschlichen hatte, fiel mir irgendwie ein Stein vom Herzen – und ich bin sicher, dass die Entscheidung aufzuhören richtig ist.

Der Druck, rechtzeitig fertig zu werden und eine gute Zeitschrift zu produzieren, war bei dieser Ausgabe sicher nicht größer als in den vergangenen Jahren – im Gegenteil: Der Hersteller, der die Seiten gestaltet, die Anzeigen platziert und die Fotos bearbeitet hat, hat wirklich ausgezeichnet gearbeitet: Es musste im Nachhinein nur sehr wenig korrigiert und geändert werden. Aber ich habe gemerkt, dass ich mit Stress offenbar nicht mehr so gut umgehen kann wie früher.

Als ich Anfang des Monats erfuhr, wer die Gestaltung meiner letzten Zeitschrift übernimmt, habe ich mich gefreut. Mit dem Hersteller, der kurzfristig für eine erkrankte Kollegin einsprang, hatte ich schon vor fast anderthalb Jahrzehnten bei meiner ersten Bildungszeitschrift zusammengearbeitet.

Bis dahin hatte ich viel für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte geschrieben und verschiedene Zeitschriften im Bereich Bauen und Wohnen und Camping betreut. Als bei einem „meiner“ Verlage die für die Bildungszeitschrift verantwortliche Redakteurin ausfiel, sprang ich kurzfristig ein – und blieb danach im Bildungsbereich. 

Den Verlag, für den der Hersteller und ich damals arbeiteten, gibt es schon lange nicht mehr; die Zeitschrift wurde an einen anderen Verlag verkauft und schließlich eingestellt. Dass ich jetzt noch einmal in einem anderen Verlag bei einer anderen Zeitschrift mit dem Kollegen von damals zusammenarbeiten durfte, war für mich ein Zeichen: So schließt sich der Kreis.

Künftig werde ich wohl nur noch einzelne Artikel für Zeitschriften schreiben – vorwiegend über Themen, die mir gefallen und die ich mir selbst aussuche. Den zeitaufwendigen und manchmal nervigen Herstellungsprozess von der Seitenverteilung bis zur Druckfreigabe überlasse ich ab jetzt anderen.

Die Füße und die Seele baumeln lassen.

Zwölf Wochen – zwölf Ausflüge

Als der Schweizer Schriftsteller und Kabarettist Franz Hohler 60 Jahre alt wurde, nahm er sich vor, ein Jahr lang keine Auftritte und Lesungen, dafür aber jede Woche eine Wanderung zu machen. Denn beim Gehen fühlt er sich „gut und frei“, wie er in seinem Buch „52 Wanderungen“ schreibt. Außerdem wollte er in diesem Jahr auch „für das Alter üben“.

Nun liegt mein eigener 60. Geburtstag schon ziemlich lange zurück; im Oktober gehe ich in Rente. Viel Zeit zu üben bleibt also nicht mehr. Zudem habe ich in den nächsten drei Monaten wenig Freizeit, weil ich auch in diesem Sommer wieder – noch einmal – eine Zeitschrift betreue. Das bedeutet viel recherchieren, viel schreiben, viel Arbeit.

Trotzdem reizt mich die Idee – und die Gelegenheit ist günstig. Mit dem 9-Euro-Ticket kann ich in den nächsten drei Monaten kreuz und quer durchs Land reisen – und das will ich nutzen. Ich habe mir deshalb vorgenommen, in den nächsten drei Monaten jede Woche zumindest einen Ausflug zu machen – zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit Öffis oder mit dem Wohnmobil. Und natürlich will ich im Blog – hoffentlich jede Woche – darüber schreiben.

Das erste Ziel am Pfingstsonntag: Celle. Nach Celle fahre ich eher selten. Dabei liegt das Städtchen mit dem Zug nur eine Station und zehn Minuten entfernt – und ist mit mehr als 400 alten, meist gut restaurierten Fachwerk-, Barock und Jugendstilhäusern wirklich hübsch. Die Aller fließt mitten durch die Stadt, das barocke Schloss ist vom Schloßgraben umgeben, die Altstadt vom Stadtgraben und der Französische Garten, ein Park am Rande der Altstadt, wird vom Magnusgraben begrenzt.

Gestern lockte mich zudem die Allerart, ein Kunsthandwerker- und Antiquitätenmarkt rund ums Schloss, außerdem wollte ich mir den barocken Rosengarten im Französischen Garten ansehen. Beides war, ich gebe es zu, eher enttäuschend. Das Allervergnügen war eher ein Flohmarkt mit Eintritt, der Rosengarten eher ein Gärtchen, in dem es nicht allzu viele Rosen gab. Dafür ein Denkmal für Ernst Schulze, einen in Celle geborenen und aufgewachsenen Dichter der Romantik. Ich gebe zu, ich kannte nicht einmal seinen Namen und habe noch nie etwas von ihm gelesen – Letzteres wird wohl auch so bleiben. Weder „Caecilie“, ein romantisches Gedicht in zwanzig Gesängen und zwei Bänden, noch die „Reise durch das Weserthal“ werden es je auf meine Must-read-Liste schaffen.

Romantikdichter im Rosengarten

Gelohnt hat sich der Ausflug trotzdem – schon wegen der Lindenallee im Französischen Garten und den dunkel lila blühenden Rhododendronbüschen. Und die alte Weide, die in den kreisrunden Teich im Französischen Garten hineinwächst, ist ebenfalls sehenswert.

Sehr gut gefallen hat mir auch das Kunstprojekt „zuKUNSTperspektiven“: Noch bis zum 2. Juli zeigen SchülerInnen aus Celle und Umgebung an vier verschiedenen Orten ihre Kunstwerke – und was sie bewegt, welche Träume, Vorstellungen, Wünsche und Ängste sie haben. Grund genug, wiederzukommen und mir auch die Bilder in den anderen Ausstellungsorten anzusehen. Mehr Infos über das in Zusammenarbeit mit Lehrkräften verschiedener Schulen entstandene Projekt des Vereins KulturTrif(f)t e.V. unter https://kulturtrifft.de/zukunst-perspektiven/.

Auf ein Neues

Wir haben lange nachgedacht, ob wir es tun sollen. Ob es die richtige Entscheidung ist und der richtige Zeitpunkt. Ausgerechnet jetzt. Corona ist noch lange nicht vorbei, die politische Situation ist seit Russland Krieg gegen die Ukraine führt unsicherer denn je, die Spritpreise sind auch deshalb so hoch wie noch nie. Und weil die Klimakrise längst eine Klimakatastrophe ist, müsste man eigentlich ganz aufs Autofahren verzichten. Oder zumindest ein Elektroauto kaufen.

Aber dann haben wir es doch wieder getan. Vier Jahre, nachdem wir unser altes Wohnmobil verkauft haben, haben wir ein neues gekauft. Mit Dieselmotor, weil Wohnmobile mit E-Motor für uns noch zu teuer sind, zu geringe Reichweiten haben – und überdies gaaanz lange Lieferzeiten.

Die sind bei Wohnmobilen zurzeit überhaupt sehr lang: Wer ein neues Wohnmobil bestellt, muss fast ein Jahr Geduld haben. Als wir im Internet das Modell gefunden haben, das wir haben wollten, haben wir schnell zugeschlagen. Denn wer 70 Jahre alt ist wie mein Mann oder auf die 70 zugeht wie ich, hat nicht mehr endlos Zeit.

Je älter ich werde, desto größer wird meine Sehnsucht nach Wasser. Da ich mir wahrscheinlich nie ein Haus am Meer leisten kann, möchte ich zumindest ab und zu ein paar Tage am Meer verbringen, den Sonnenauf- oder -untergang an einem See erleben oder auch in den Alpen. Natürlich könnten wir einfach losfahren oder losfliegen, uns irgendwo ein Hotelzimmer oder eine Ferienwohnung mieten. Doch wir haben es nur selten getan – oder um ehrlich zu sein: Spontan verreist ohne vorher ein Zimmer oder eine Wohnung zu buchen sind wir eigentlich nie.

Wegen Corona waren wir in den letzten Jahren ohnehin sehr wenig unterwegs. Doch das soll sich ändern. Ab Herbst bin ich Rentnerin, und bevor ich zu alt, zu krank oder auch zu bequem zum Reisen bin, möchte ich noch etwas von der Welt sehen. Vor allem von Europa und von Deutschland.

Fliegen ist, das habe ich bei meinem letzten Flug wieder einmal festgestellt, nicht mein Ding. Nicht nur der Flug selbst, sondern das ganze Drumherum stresst mich. Ich bin meist viel zu früh am Flughafen, vertrödele dort einen Großteil der Zeit, die ich durchs Fliegen eigentlich einsparen könnte. Und wenn ich an der Sicherheitskontrolle meinen Rucksack mit diversen technischen Geräten aus- und wieder eingepackt habe, ist ein Teil der Erholung schon wieder perdu. Außerdem finde ich es schade, dass ich so viele Landschaften überfliege, ohne etwas von ihnen zu sehen.

Für mich ist oft der Weg das Ziel. Bei unseren früheren Wohnmobilreisen haben wir auf dem Weg zu unserem Reiseziel viele wunderschöne Orte entdeckt, an denen wir dann gerne geblieben sind. Auf dem kleinen Campingplatz in der Normandie zum Beispiel, wo ich jeden Morgen mit Blick auf den Atlantik aufgewacht bin, oder in Verona, wo wir zwei Opern in der antiken Arena miterleben durften.

Auf dem Weg zum Meer

Die meisten Orte, die noch auf meiner To-visit-Liste stehen, können wir mit dem Wohnmobil erreichen. Ich möchte zum Beispiel in den nächsten Jahren nach Südnorwegen, in die Bretagne oder nach Portugal. Wieder einmal an die Mosel und ins Elsass und endlich einmal an den Bodensee und in die Alpen. Und neben längeren Fahrten stehen vor allem auch kürzere Ausflüge in die nähere und etwas weitere Umgebung auf meiner Wunschliste: mal ein paar Tage an die Ost- oder an die Nordsee, an die Müritz, an den Dümmer oder nach Worpswede. Einfach mal raus, eine kleine Auszeit zwischendurch.

Natürlich hat sich vor dem Kauf mein Umweltgewissen gemeldet: Denn bei der Herstellung und beim Fahren produzieren Wohnmobile leider mehr umweltschädliche Emissionen als „normale“ Autos. Doch weil wir uns für ein ganz kleines Wohnmobil entschieden haben, ist der Unterschied nicht so groß: Unser Wohnmobil verbraucht weniger Sprit als die meisten Sportwagen oder SUVs –  und wir beim Aufenthalt auf dem Camping- oder Stellplatz weit weniger Energie und Wasser als Urlauber im Hotel oder in einer Ferienwohnung. Und umweltfreundlicher als Flug- und Schiffsreisen sind Fahrten mit dem Wohnmobil allemal.

Nachtrag zum Muttertag

In den Herrenhäuser Gärten sind die drei Schauhäuser wieder geöffnet, die wegen Corona lange geschlossen waren. Vor fast vier Jahren haben wir, meine Tochter, mein Mann und ich,  mit meiner Mutter das Orchideenhaus besucht. Sie hat Orchideen geliebt, aber sie kannte nur die, die auf Fensterbänken in engen Töpfen ihr meiner Meinung nach ziemlich trostloses Dasein fristen.

Ich hatte mir oft vorgenommen, meiner Mutter das Orchideenhaus im Berggarten in Hannover zu zeigen. Doch immer, wenn sie uns besuchte, kam irgendetwas dazwischen, war irgendetwas anderes wichtiger. An ihrem 94. Geburtstag haben wir es endlich geschafft.

In dem gläsernen Schauhaus kann man die Orchideen zwar nicht in „freier Wildbahn“ erleben, aber man bekommt doch eine Ahnung, wie die Pflanzen in ihrer natürlichen Umgebung wachsen. Die Orchideensammlung im Berggarten gilt als eine der bedeutendsten Sammlungen in Europa. 3.000 verschiedene Arten sowie 1.000 Sorten und Hybriden sollen im Berggarten zu Hause sein – auch solche, die an ihrem eigentlichen Standort ausgestorben sind (https://www.hannover.de/Herrenhausen/Herrenhäuser-Gärten/Berggarten/Orchideen).

Meine Mutter war von der Blütenpracht beeindruckt und sie hat den Ausflug, der ihr letzter sein sollte, sehr genossen. Die Fotos, die mein Mann und meine Tochter gemacht haben, hat sie sich in den nächsten Wochen und Monaten oft und gerne angesehen.

Jetzt hat meine meine Tochter mir zum Muttertag ein kleines Album mit Fotos von gemeinsamen Wanderungen geschenkt. „Do more of what makes you happy“, steht auf dem Cover. Ich habe mir vorgenommen, ihren Rat zu beherzigen – und zwar jetzt, und nicht erst, wenn ich über 90 bin.

Von inneren KritikerInnen, einem kleinen Käfer und einem kritischen Hund

Ich habe meinem inneren Kritiker, pardon, meiner inneren Kritikerin, einen Namen gegeben, wie Julia Cameron es in ihrem Buch „Es ist nie zu spät, neu anzufangen“ empfiehlt. Welchen, verrate ich nicht, denn ich will niemanden beleidigen.

Dass ich nur (noch) wenige mit diesem Namen kenne, liegt vielleicht daran, dass der Name inzwischen ein bisschen aus der Mode ist. Vielleicht meide ich Menschen, die so heißen, aber auch, weil ich mit ihren Namensvetterinnen bislang keine guten Erfahrungen gemacht habe – oder genauer gesagt: überwiegend negative. Wirklich liebenswürdig und sympathisch fand ich in all den Jahren nur eine Frau, und sie ist leider schon vor einigen Jahren gestorben.

Meine innere Kritikerin ist dagegen sehr lebendig – und sehr präsent. Sie sitzt mir immer im Nacken oder – schlimmer noch – sie sitzt in meinem Kopf. Sie kennt meine Schwächen sehr genau, oder glaubt sie zu kennen. Meine Stärken ignoriert sie geflissentlich, und recht machen kann ich es ihr ohnehin nie, so sehr ich mich auch bemühe: Sie weiß und kann immer alles besser – und allzu gerne macht sie das, was ich plane, möchte und tue, lächerlich.

Jetzt ist es an der Zeit, meine innere Kritikerin zu überlisten, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen – und der Name, den ich ihr gegeben habe, hilft mir dabei: Wenn ich mit ihr spreche, ziehe ich den ersten Vokal ihres Namens in die Länge und denke dann an den Käfer aus Daniela Wakoniggs Buch „Was heißt Iiih“. Der kleine Kerl heißt so, weil jemand „iiih“ zu ihm sagte, als er gerade geschlüpft war. Dann muss ich lachen oder zumindest lächeln – und schon verliert meine innere Kritikerin etwas von ihrem Schrecken und von ihrer Macht.

Vielleicht sollte ich auch Julia Camerons Rat folgen und meine innerer Kritikerin zeichnen: als winzigen Käfer beispielsweise, der eigentlich mehr Angst vor mir haben müsste als ich vor ihm, oder als Frosch, der sich wie in Äsops Fabel aufbläht, bis er platzt. Als besserwisserischen, eitlen Raben oder als meckernde, unnachgiebige Ziege. Doch erstens fehlt mir das Zeichentalent, und zweitens erscheint dann immer sofort Regina Kehns kritischer Hund vor meinen Augen. Ich folge seinen Abenteuern auf Instagram (reginakehn), und weil ich nicht sein einziger Fan bin, hat er jetzt sogar eine eigene Rubrik auf der Website der Illustratorin (https://www.reginakehn.de/arbeiten/der-kritische-hund/). Es lohnt sich wirklich, ihn zu besuchen.

Anders als Regina Kehns kritischer Hund ist meine innere Kritikerin überhaupt nicht liebenswert – sie ist, genau gesagt, ein richtiges Ekel, das mir das Leben und Arbeiten schwer macht, seit ich denken kann. Doch ich bin nicht nachtragend, und weil sie nach so vielen Jahren eine Pause nötig und verdient hat, spendiere ich ihr, bevor ich Rentnerin werde, einen Aufenthalt auf der Insel Criticos.

Von der Insel weit draußen im Meer habe ich bei einem Aufenthalt im writersstudio in Wien erfahren. Zutritt haben wie in elitären englischen Clubs nur Mitglieder, also nur innere Kritikerinnen und ihre Kollegen, die inneren Zensoren. Bilder von dort gibt es nicht, aber ich stelle mir vor, wie die Damen und Herren den ganzen Tag zusammensitzen und sich gegenseitig dabei überbieten, an allem herummäkeln: am zu dünnen oder zu starken Kaffee, am Essen, an angeblich nicht funktionierenden Heizungen, an zu viel oder zu wenig Sonne, am Wind, der mal zu lau oder zu heftig weht – und natürlich an denen, die sie auf die Insel geschickt haben.

Vielleicht fühlt sich meine innere Kritikerin ja unter Ihresgleichen wohl. Vielleicht gefällt es ihr auf Criticos so gut, dass bleiben und sich dort zur Ruhe setzen möchte. Schließlich ist sie ja nur ein paar Jahre jünger als ich. Zur Sicherheit habe ich nur ein One-way-Ticket und einen unbefristeten Aufenthalt gebucht. Ich brauche sie hier wirklich nicht mehr. Die paar Monate bis zur Rente überstehe ich auch ohne ihre Hilfe. Und wenn ich Sehnsucht nach mehr oder wenige konstruktiven Vorschlägen habe, besuche ich Regina Kehns kritischen Hund. Oder ich zeichne mir eine eigene Kritikerin. Eine weise Eule vielleicht.

Rezept fürs neue Jahr*

Nun ist sie vorbei, die erste Arbeitswoche im neuen Jahr, das für mich das letzte Arbeitsjahr sein wird. Denn im Oktober gehe ich in Rente: Ich höre dann zwar nicht ganz auf zu arbeiten, denn mein Beruf macht mir immer noch Spaß. Aber ich werde sicher weniger arbeiten als in der Vergangenheit.

Der Übergang zum neuen Dasein als Rentnerin gestaltet sich fließend. Denn wie viele Selbstständige im Medienbereich habe ich seit Beginn der Corona-Pandemie Aufträge verloren. So wurden beispielsweise viele Korrekturaufträge, die an Freie wie mich vergeben waren, vor nun fast zwei Jahren storniert; die meisten wohl auf Dauer. Zeitschriften leben ja bekanntlich von Anzeigen – und wenn es weniger Anzeigenaufträge gibt, wird eben da gespart, wo es am einfachsten scheint. Wem fällt es schon auf, wenn „dass“ nur mit einem s geschrieben wird, wo eigentlich zwei hingehören – und umgekehrt? Oder dass der ehemalige Oberbürgermeister von Hannover nicht Stephan, sondern Stefan heißt?

Dass ich Aufträge verloren habe, belastet mich nicht (mehr): Den meisten weine ich keine Träne nach. Und einen Auftrag hätte ich eigentlich schon lange kündigen wollen oder sollen, weil er mir mehr Frust als Lust bereitete. Ich habe natürlich gut reden. Finanziell bin ich durch die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige und natürlich auch durch die Pension meines Mannes abgesichert. Und um meine berufliche Zukunft muss ich mir – anders als viele jüngere Kolleginnen und Kollegen – keine Sorgen mehr machen: Ich gleite auf die Rente hin, kann mich allmählich an den arbeitsfreien Zustand gewöhnen. Das tue ich – und ich tue es gerne. Es gefällt mir, dass ich Aufträge loslassen kann, die keinen Spaß machen, sondern nur belasten. Und dass ich nicht mehr jeden Auftrag annehmen muss, auch wenn er noch so ungelegen kommt, aus Angst, ich könnte mir durch eine Absage einen Folgeauftrag vermasseln. Das Los vieler Freier.

Natürlich schaue ich nicht sorgenfrei in die Zukunft oder auch nur in das vor uns liegende Jahr. Im Gegenteil: Ich bin ausgesprochen gut im Sorgen machen, wie ein winziger Auszug aus meiner ungeschriebenen Sorgenliste zeigt. Reicht meine Rente? Wie geht es mit Corona weiter? Werden die Impfgegner noch radikaler, noch gefährlicher – hierzulande und anderswo? Ja, die Leerdenker-Bewegung macht mir zunehmend Angst: Hier verbünden sich scheinbar ganz normale Bürgerinnen und Bürger mit Geistern, die sie vielleicht nicht mehr los werden. Haben sie aus der Geschichte wirklich nichts gelernt. Fackelaufzüge, Todesdrohungen und Todeslisten erinnern an Deutschlands dunkelste Zeiten, die wir doch für immer hinter uns geglaubt hatten.

Mascha Kaléko, meine Lieblingslyrikerin, hat diese Zeit erlebt und erlitten: Die Nazis haben ihre Karriere zerstört; weil sie Jüdin war, wurden ihre Bücher als „schädliche und unerwünschte Schriften“ verboten. 1938 floh sie mit Mann und Kind in die USA, aber der berufliche Neustart war dort für eine Dichterin und einen Musikwissenschaftler nicht leicht. Mascha Kaléko hielt die Familie mit Werbetexten über Wasser und veröffentlichte Texte in der deutschsprachigen jüdischen Exilzeitung Aufbau. Im amerikanischen Exil schrieb sie, sicher in prekären Verhältnissen lebend, unter anderem auch „Rezept“, eines mein Lieblingsgedicht. Es beginnt mit den Zeilen

„ Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
wird wohl alles noch reichen“

Ich finde, das ist ein guter Rat. Ich möchte ihn mir zu Herzen nehmen, für das noch neue Jahr und für meine Zukunft.

Wer das Gedicht nachlesen will, findet es in dem von Gisela Zoch-Westphal und Eva-Maria Prokop herausgegeben Buch: „Sei klug und halte dich an Wunder“. Es ist und enthält neben dem Gedicht noch viele andere lesenswerte Gedanken Mascha Kalékos über das Leben. Eine Leseprobe aus dem bei dtv erschienenen Buch mit dem Gedicht gibt es im Internet unter https://www.dtv.de/_files_media/title_pdf/leseprobe-14256.pdf

*Dieser Beitrag enthält unbezahlte Werbung

Mascha Kaléko: Sei klug und halte dich an Wunder, Gedanken über das Leben. Hrsg. von Gisela Zoch-Westphal und Eva-Maria Prokop, ‎ dtv Verlagsgesellschaft, 2013, 10 Euro

Nicht weitermachen wie bisher

Willkommen zurück, begrüßt mich mein Computer jedes Mal, wenn ich eine Datei öffne. Und er schlägt mir vor: „Machen Sie genau dort weiter, wo sie aufgehört haben“ – wahlweise vor neun Minuten, vor drei Stunden, vor zwei Tagen, vor einem Monat oder vor einem halben Jahr. Denn mein Computer hat, wie es so Computerart ist, ein ausgezeichnetes Gedächtnis: Er merkt sich genau, viel besser als ich, was ich wann geschrieben oder verändert habe.

Ja, sage oder denke ich meist und lasse mich mit einem Mausclick an die entsprechende Stelle in der Datei leiten. Doch immer öfter frage ich mich bei der Gelegenheit, ob ich das auch im richtigen Leben will: Genau dort weitermachen, wo ich aufgehört habe, also im Prinzip weitermachen wie bisher. Und ich merke: Eigentlich will ich das nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich mein Leben ändern müsste – oder zumindest sollte.

Vielleicht liegt es daran, dass ich vor Kurzem 65 Jahre alt geworden bin, vielleicht daran, dass in diesem Jahr kurz nacheinander eine Freundin und ein Freund gestorben sind. Und natürlich führt uns – oder zumindest mir – Corona ständig vor Augen, wie schnell und radikal sich das Leben ändern und wie schnell es zu Ende sein kann.

Ich gebe es zu: Obwohl ich auf die Impfung – irgendwann im Januar ist es auch bei mir die dritte -, die Vorsichtsmaßnahmen, die ich einhalte, und natürlich auch auf meine ziemlich  robuste Gesundheit vertraue, macht SARS-CoV-19 mir zunehmend Angst. Und immer öfter denke ich an eine Meldung, die ich irgendwann vor Jahren im Radio gehört und die ich nie vergessen habe. Irgendwo im Osten Europas, in Armenien, in der Ukraine, in Aserbeidschan oder in irgendeinem anderen Staat, der früher zur Sowjetunion gehörte, wird auf Grabsteinen neben Namen, Geburts- und Todesjahr auch die Lebenszeit notiert. Gelebt  X Jahre, stehe dann dort in Stein gemeißelt, und (fast) immer sei die „Lebenszeit“ deutlich niedriger als das Alter.

Das wäre bei mir sicher auch so: Ich habe in den vergangenen Jahren oft zu viel gearbeitet und zu wenig gelebt. Zum einen, weil mir meine Arbeit Spaß macht, zum anderen aber auch, um finanziell unabhängig zu sein. Und dabei habe ich mich nicht immer genug um meine Gesundheit und um die wirklich wichtigen Dinge gekümmert.

Vielleicht muss ich dem Coronavirus ja sogar ein bisschen dankbar sein, weil es die Reißleine gezogen hat, bevor es mein Körper tun wollte. Ich habe coronabedingt wie viele Kolleginnen und Kollegen einige Aufträge verloren. Das ist natürlich bedauerlich, aber es tut mir gut, beruflich kürzer zu treten. Nicht nur, aber auch weil ich nicht mehr so belastbar bin wie früher. Es fällt mir schwerer, ohne Pause durchzuarbeiten, wie ich es jahrelang getan habe: den ganzen Tag, die ganze Woche, den ganzen Monat. Ich brauche mehr Pausen, und die gönne ich mir jetzt öfter.

Ich will, ja, ich kann nicht dort weitermachen, wo ich aufgehört habe – vor Corona. Ich habe mir vorgenommen, künftig zu arbeiten, um zu leben, und nicht länger zu leben, um zu arbeiten. Einen Plan, wie es weitergeht, bis ich im nächsten Jahr in Rente gehe und danach, habe ich noch nicht. Aber Corona hat mir ohnehin klar gemacht, wie wenig planbar unser Leben ist. Vielleicht befolge ich einfach Rainer Maria Rilkes Rat. „Lassen Sie sich das Leben geschehen. Glauben Sie mir: das Leben hat recht, auf alle Fälle“, schreibt er in seinem Buch „Du mußt dein Leben ändern.“ Ich habe das Buch irgendwann wohl wegen des Titels gekauft, und jetzt – wohl aus dem gleichen Grund – in meinem Regal wiederentdeckt. Und noch ein anderes Buch habe ich dort gefunden: „Es ist nie zu spät, neu anzufangen“ von Julia Cameron. Na denn.

Gute Absicht statt gute Tat

Vorgestern war Weltblutspendetag: „Wat et nit all jit“, würden die Kölner oder die Leute aus der Eifel sagen. Der Tag soll daran erinnern, wie wichtig es ist, Blut zu spenden, weil andere – und vielleicht morgen schon man selbst – Blutspenden brauchen.

Auf der Website www.blutspende-nordost.de lese ich, dass täglich in Deutschland 15.000 Blutspenden benötigt werden. Zurzeit sind die Blutvorräte hierzulande sehr gering: Das Blutspendebarometer auf der Website zeigt bei fast allen Blutgruppen, auch bei meiner, einen beunruhigend geringen Blutbestand. Der besorgt blickende Blutstropfen will sagen: Spende Blut, am besten sofort. https://www.blutspende-nordost.de/wissen-und-blut/blutspendebarometer.php

Das wollte ich letzte Woche tun: Ich bin abends zur Blutspendeaktion ins evangelische Gemeidehaus gegangen. Natürlich hatte ich mich vorher erkundigt: Spenden darf man oder frau auch mit über 60 Jahren – wenn er oder sie keinE ErstspenderIn ist.

Das bin ich nicht, ich habe mit 18 oder 19 zum ersten Mal Blut gespendet und es während meines Studiums und danach regelmäßig – zwei Mal im Jahr – getan. Denn Blut und Organe kann man auch spenden, wenn man kein oder nicht viel Geld hat. Ich habe den Blutverlust ausgezeichnet vertragen – und hätte auch weiter Blut gespendet, wenn, ja wenn nach meinem Umzug beim ersten Blutspendeversuch in meinem neuen Wohnort nicht jemand nach meinem Gewicht gefragt hätte. „46 Kilo“, habe ich wohl wahrheitsgemäß gesagt – und damit war meine Karriere als Blutspenderin vorbei. Unter 50 Kilo dürfe man oder frau kein Blut spenden, erfuhr ich. Dass ich kerngesund war, die vergangenen 20 Blutspenden sehr gut vertragen und einen Hb-Wert hatte, von dem selbst viele Männer nur träumen, war der verantwortlichen Ärztin egal. Und meiner Aussage, dass ich vielleicht auch 51 Kilo wiegen würde, schenkte sie keinen Glauben: Sie schickte mich nach Hause.

Das Gewichtsproblem ist nun leider gelöst: Ich wiege inzwischen über 50 Kilo. Deshalb bin ich guten Mutes zum Blutspenden gegangen. Doch mein Blut wollte man auch diesmal nicht: Ich sei mit 63 leider zu alt, erfuhr ich. Obwohl ich vor Jahren Blut gespendet hatte, galt ich als Erstspenderin – denn meine alten Spenden waren im Computer nicht erfasst. Wie auch: Damals gab es noch keine Computer.

Dass ich pumperlgesund bin und sehr gute Blutwerte habe, zählt immer noch nicht. Grenzwert ist Grenzwert – diesmal lag ich drüber. Und so bin ich wieder unverrichteter Dinge nach Hause gegangen – mit meinem Blut, aber ohne neuen Spenderausweis. Leider konnte ich nicht helfen, den besorgniserregend geringen Blutbestand aufzustocken. Und so bleibt nur die gute Absicht statt der guten Tat.

Vom Schaukeln

Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Zurzeit denke ich oft an dieses Sprichwort ist – und daran, wie vieles ich aufgeschoben habe. Im festen Glauben, es bei nächster Gelegenheit, irgendwann, im nächsten oder übernächsten Jahr, nachzuholen.

So wollte ich schon lange mal nach Amsterdam fahren, vorzugsweise im Frühling, wenn die Tulpen blühen. Auf die Insel Mainau. Oder zur Kirschbaumblüte ins alte Land. All das steht schon lange auf meiner To-visit-Liste, aber bis jetzt habe ich es nicht geschafft: Mal war die Arbeit wichtiger, mal etwas anderes. Jetzt hätte ich Zeit, weil natürlich auch bei mir, wie bei vielen Freelancern, Aufträge weggebrochen sind. Aber jetzt darf man nicht verreisen, soll zu Hause bleiben. Selbst Ziele, die quasi direkt vor unserer Haustür liegen, sind in Coronazeiten plötzlich unerreichbar – die Herrenhäuser Gärten zum Beispiel oder der Spielplatz an der übernächsten Straßenecke.

Ja, ich gebe es zu: Obwohl ich dem Spielplatz-Alter längst entwachsen bin, gehe ich manchmal auf den Spielplatz, der gerade mal hundert Meter von unserem Haus entfernt liegt. Spielen dürfen dort zwar eigentlich nur Kindern unter 12 oder 14 Jahren. Aber weil ich kleiner und leichter bin als mancheR Zwölfjährige und die Spielgeräte wirklich massiv, leiden sie gewiss nicht, wenn ich sie gelegentlich benutze.

Genau genommen spiele ich auch gar nicht – ich schaukle nur, und zwar sehr gerne. Ich mag das Gefühl, zu fliegen oder zumindest zu schweben. Meist fröne ich meiner Schaulkelleidenschaft abends oder frühmorgens – nicht nur, weil ich dann keinem Kind den Schaukelplatz wegnehme, sondern auch, weil mich dann niemand sieht. Schließlich bin ich keine 3 Jahre alt und auch keine 6, sondern 63.

Deshalb habe ich auch gezögert, als kürzlich bei einem Discounter eine Nestschaukel angeboten wurde. Und während ich noch überlegte, hatte mein Mann – weit entscheidungsfreudiger als ich – sie bereits gekauft. Zum Glück, denn obwohl er schon früh am Morgen im Laden war, waren die Schaukeln schon fast ausverkauft.

Jetzt hängt die Schaukel am Apfelbaum in unserem Garten. Und ich genieße es, zu schaukeln und dabei die Seele baumeln zu lassen, wann immer ich mag – auch wenn ich eigentlich schon zu alt dafür bin. Aber wer entscheidet eigentlich, wann wer was tun soll oder darf – und was angemessen ist?

Menschen bedauern am Ende ihres Lebens am meisten, dass sie zu angepasst, zu sehr nach den Erwartungen und Vorstellungen der anderen gelebt haben, weiß die Australierin Bronnie Ware* aus Gesprächen mit Sterbenden. Und sie wünschen, dass sie weniger gearbeitet hätten – und sich erlaubt hätten, glücklicher zu sein.  

Vielleicht ist jetzt eine gute Zeit, damit anzufangen. Denn was du heute kannst besorgen …

*Bronnie Ware: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden. Arkana Verlag (Werbung, unbezahlt)

Umzüge

Meine Tochter ist umgezogen. Aus einer Groß- in eine Kleinstadt. Freiwillig. Weil sie, wenn sie aus dem Fenster schaut, lieber Bäume sieht als Hochhäuser und lieber Vogelgezwitscher hört als Autos. Natürlich habe ich ihr beim Umzug geholfen: Ich habe Kisten gepackt und geschleppt. Zwei Etagen runter und dann eine hoch in die neue Wohnung. Dabei habe ich festgestellt, dass sich drei Jahrzehnte Altersunterschied zu den anderen Umzugshelfern eben doch bemerkbar machen. Die positive Erkenntnis: Für mein Alter bin ich noch ganz gut in Form.

Als meine Oma und ihre Schwester, meine Großtante Käthi, Ende der 50er Jahre in das Haus meiner Eltern einzogen, waren sie etwa so alt wie ich heute. Aber sie erschienen mir als Kind uralt. Sie kleideten sich dunkel und verließen ihre Wohnungen eigentlich nur einmal in der Woche, um in die Kirche zu gehen. Meine Mutter war, so scheint es mir, mit 90 noch agiler und fitter als ihre Mutter und ihre Tante mit 60.

Bei ihrem Umzug beschränkten sich die beiden alten Damen im Wesentlichen darauf zu sagen, wo was hingehört; die Arbeit erledigten andere – vor allem meine Eltern – für sie. Einige Möbelstücke, die jetzt in der Wohnung meiner Tochter stehen, sind übrigens schon vor sechs Jahrzehnten in das Haus meiner Eltern eingezogen: eine Kommode beispielsweise und ein Schrank aus Kirschholz, beide sicher hundert Jahre alt. Ich habe sie geerbt – und an meine Tochter weitervererbt.

Alter Schrank in neuer Wohnung

So lange halten heute nur wenige Dinge. Der Akku meines Netbook ist schon nach vier Jahren und häufigem Aufladen altersschwach – und die Festplatte zu klein. Außerdem hat ein großer Softwareanbieter, dessen Name ich nicht nenne, den Support für das Betriebssystem eingestellt. Allen, die sich mit Computern genauso wenig auskennen wie ich, sei es erklärt: Es ist, als ob der Vermieter in einem alten Haus nichts mehr repariert und alle Schlösser ausbaut, sodass jede/r das Haus betreten kann.

Damit das mit meinem Computer nicht passiert, habe ich mir einen neuen gekauft. Nicht ganz freiwillig also, sondern eher zwangsweise. Und so stand am Abend nach dem (realen) Umzug bei mir ein virtueller an – und meine Tochter revanchierte sich umgehend für meine Hilfe. Sie installierte Programme und richtete den neuen Computer so ein, dass ich damit arbeiten kann.

Und obwohl mich und meine Oma Welten trennen, war ich plötzlich in der gleichen Rolle wie sie vor gut 60 Jahren: Ich saß auf der Couch und schaute meiner Tochter bei der Arbeit zu, wie weiland meine Oma meiner Mutter, ihrer Tochter.