Eine Allee der besonderen Art

Die Süntelbuche im Berggarten ist mein Lieblingsbaum in den Herrenhäuser Gärten. Mit einer Krone von rund 750 Quadratmetern ist sie wohl eine der größten ihrer Art – und eine der wenigen. Denn der letzte Süntelbuchenwald im Süntel, einem Höhenzug südlich des Deisters, der den Bäumen ihren Namen gab, wurde schon Mitte des 19. Jahrhunderts abgeholzt. Wo früher der größte Süntelbuchenwald Europas wuchs, stehen heute nur noch einige alte Einzelexemplare oder kleine Baumgruppen.

Zu sehen ist die Süntelbuche im Berggarten mit zahlreichen Ästen und Stämmen
Die Süntelbuche im Berggarten – mit ihren durch Absenkungen entstandenen Nachkommen

Ganz in der Nähe, im Kurpark von Bad Nenndorf, hat der Gartenbaumeister Carl Thon schon Anfang des 20. Jahrhunderts eine ganze Süntelbuchenallee angelegt. Sie stand schon lange auf meiner To-visit-Liste. Denn seit ich die Süntelbuche im Berrggarten zum ersten Mal bewusst gesehen habe, fasziniert mich diese seltene Art der Rotbuchen, die sich deutlich von ihren bekannten und weit verbreiteten Verwandten unterscheidet.  

Anders als „normale“ Rotbuchen wachsen Süntelbuchen nicht in die Höhe, sondern in die Breite und werden selten höher als 15 Meter. Die oft sehr kurzen, miteinander verwachsenen Äste und Stämme eignen sich nicht als Bauholz. Und auch als Brennholzist das Holz kaum zu nutzen. Denn die verdrehten Äste lassen sich sich nur schwer spalten und schlecht stapeln. Außerdem galten Süntelbuchen, auch Hexen- oder Teufelsholz genannt, als verwunschen oder vom Teufel verdorben. Wer holt sich so etwas gern ins Haus.

Dass die Bäume mit dem skurillen Aussehen vielen Menschen unheimlich waren, kann ich noch besser nachvollziehen, seit ich durch die Süntelbuchenallee in Bad Nenndorf gegangen bin. Bei Tageslicht und mit dem (botanischen) Wissen von heute sind die Bäume wirklich beeindruckend. Müsste ich allein im Dunkeln oder bei Nebel durch einen ganzen Süntelbuchenwald gehen, würde ich sicher auch in vielen Stämmen furchteinflössende Fabelwesen, grimmige Gesichter oder böse Geister sehen. Kein Wunder also, dass unsere Vorfahren die wirtschaltlich unnützen Bäume abholzten und die Wälder in nützliches Weideland umwandelten.

Die Süntelbuchenallee in Bad Nenndorf ist laut Schaumburger Land Tourismusmarketing e.V. „weltweit die einzige Formation dieser Art von alten Süntelbuchen (fagus sylvatica suentelensis)“ (https://www.schaumburgerland-tourismus.de/de/p/team-schaumburger-land/36767297/). Rund hundert Bäume sind inzwischen mehr als 100 Jahre alt – und haben damit ihre durchschnittliche Lebenserwartung schon fast erreicht. Die liegt laut Wikipedia bei nur 120 bis 160 Jahren. Dass sie meist waagerecht und damit statisch ungünstig wachsen, „scheint das Auseinanderbrechen alter morscher Bäume zu beschleunigen“, heißt es in dem Wiki-Beitrag zu Süntelbuchen (https://de.wikipedia.org/wiki/Süntel-Buche). Älter als 200 Jahre werden nur wenige.

Um die einzigartige Allee zu erhalten, wurden in den vergangenen Jahren 30 Süntelbuchen nachgepflanzt. 40 weitere sind durch Absenkerbildung und Wurzelbrut entstanden. Äste, die auf dem Boden aufliegen, bilden Wurzeln, so dass eine neue, aber genetisch identische Pflanze entsteht. Trotzdem gleicht keine der anderen. Und die Süntelbuchenallee in Bad Nenndorf hat mit einer klassischen Allee, bei der auf beiden Seiten eines (geraden) Wegs ziemlich gleich aussehende Bäume gleichen Alters in den gleichen Abständen stehen, gar nichts gemein. Ein Besuch lohnt, sicher auch an einem nebligen Herbsttag.

Netzkarte

Ich habe lange darauf gewartet. Als die in Hannover und Umgebung für den öffentlichen Personennahverkehr zuständige „Überlandwerke und Straßenbahnen Hannover AG“, kurz ÜSTRA, vor zwei Jahren ankündigte, dass die Monatskarte 63plus – rund 40 Euro preiswerter als die normale Monatskarte – durch die Seniorennetzkarte ersetzt wird, habe ich mich sehr gefreut. Denn die Seniorennetzkarte für den Großraum Hannover gilt schon ab 60 und kostet nur 30 Euro im Monat. Im Abo ist die Karte sogar noch günstiger. Im Vergleich zur normalen Monatskarte, die für alle drei Zonen 115 Euro kostet, ist sie also ein echtes Schnäppchen.

Um so enttäuschter war ich, als ich erfuhr, dass ich vorläufig leer ausging. Denn nutzen können die Seniorennetzkarte nur Rentnerinnen und Rentner – und das sind bei den Menschen zwischen 60 und 66 Jahren vor allem die, die eine gute Rente bekommen und sich die Abschläge, mit denen ein früheren Renteneintritt erkauft wird, leisten können. Alle, die mit über 60 noch arbeiten wollten oder mussten, die arbeitslos waren, wenig verdienten oder als Selbstständige durch Corona Aufträge verloren hatten, mussten weiter teure Karten kaufen. Darüber, dass sie durch die hohen Ticketpreise die Freiheit und Mobilität ihrer besser verdienenden AltersgenossInnen mitfinanzierten, habe ich mich wirklich geärgert.  

Ich halte diese Regelung immer noch für – vorsichtig formuliert – sehr unsozial. Aber als Rentnerin habe ich jetzt auch Anspruch auf die preiswerte Monatskarte – und ich nutze sie gerne und viel. In der ersten Woche war ich viermal allein unterwegs – zweimal habe ich andere mitgenommen. Das ist nämlich am Wochenende von morgens bis abends und an Wochentagen ab 19 Uhr möglich.

Wahrscheinlich werde ich das lang ersehnte RentnerInnen-Privileg aber nur bis zum Ende des Jahres nutzen. Wenn im Januar das 49 Euro-Ticket eingeführt wird, steige ich sicherlich um. Die Möglichkeit, über die Grenzen des Großraumverbands Hannover (GVH) hinaus Busse und Bahnen zu nutzen, ist mir sicher 19 Euro wert.

Einige Ziele, die ich häufiger ansteure, erreiche ich ohnehin nur oder besser mit Nahverkehrszügen. Die Fahrt in den Harz ist mit IC oder ICE nicht nur teurer, sondern auch länger und umständlicher, weil man mindestens einmal mehr umsteigen muss. Nach Hamburg, wo die Enkelkinder wohnen, kommt man mit dem ICE sicher schneller. Aber der Zeitvorteil ist eher gering – und wird dadurch oft aufgefressen, dass die ICEs nach Hamburg sehr oft verspätet sind. Der Metronom, der Nahverkehrszug, der Göttingen und Hamburg verbindet, hält nicht nur jede Stunde bei uns im Ort, während seine schnelleren Brüder ohne Halt vorbeidonnern. Und er ist – meist – pünktlicher als sie.


Richtungsstreit

Ich wandere gerne, aber mit der Orientierung ist es so eine Sache: Kartenlesen zählt nicht zu meinen besonderen Stärken. Das liegt sicher auch daran, dass ich Probleme habe, rechts und links zu unterscheiden. Manchmal sage ich rechts, wenn ich links meine – und umgekehrt. Sicher bin ich, nebenbei bemerkt, nur, wenn ich den Daumen meiner rechten Hand sehe. Der ist aber manchmal verdeckt, wenn ich eine große Karte in der Hand halte.

Auch das optimale Kartenformat muss meiner Meinung nach noch erfunden werden. Einmal entfaltet, gelingt es mir nur selten, eine Karte wieder richtig zusammenzufalten. Viel genutzte Karten wie meine Harzwanderkarte lösen sich an den Faltstellen auf – natürlich mit Vorliebe dort, wo ich gerade etwas nachschauen möchte. Regen und der zugegebenerweise nicht immer pflegliche Transport in der Hosen- oder Seitentasche des Rucksacks beeinflussen die Les- und Nutzbarkeit von Wanderkarten zusätzlich.

Da liegt es natürlich nahe, auf Wanderapps zu vertrauen. Die sprechen mit mir und selbst wenn ich das Smartphone nicht in der Hand, sondern in der Tasche trage, sagt sie mir, wo ich hingehen muss, um mein Ziel zu erreichen: rechts, links, geradeaus. Oft sogar mit genauen Entfernungsangaben. In 300 Metern links abbiegen oder in fünf Metern geradeaus gehen. Entscheide ich mich aus Versehen für das andere rechts oder links, sagt mir die App, dass ich den rechten Weg verlassen habe und gefälligst umkehren soll. Dass ich für ein paar Euro in vielen Ländern Karten und fertige Routenvorschläge auf meinem Smartphone abrufen kann, ist ein weiterer Vorzug.

Eigentlich wäre die App also die ideale Begleiterin, doch wirklich beste Freundinnen werden wir wohl doch nie. Zum einen missfällt mir der leicht genervte Ton, in dem sie mich daran erinnert, dass ich mal wieder falsch abgebogen bin. Vor allem aber habe ich das Gefühl, dass ich mich nicht hundertprozentigauf sie verlassen kann. Manchmal lässt sie mich nämlich eine Zeit lang in die falsche Richtung gehen, ehe sie mich warnt: „Du hast die ursprüngliche Route verlassen. Wirf einen Blick in die Karte und kehre um.“ Und manchmal führt sie mich auf Wege, die gar keine (mehr) sind. Bei meiner letzten Harzwanderung zum Beispiel.

Eigentlich wollte ich, vom Elfenstein kommend, dem Wegweiser folgen und links in Richtung Bad Harzburg wandern. Doch weil die App quengelte, kehrte ich um und ging auf dem von ihr vorgeschlagenen oberen Herrenweg weiter. Ein Fehler, wie ich leider zu spät merkte. Nach etwa zwei Kilometern wurde der Weg schlechter, nach einem weiteren Kilometer war er durch frauhohe Gräser, Büsche und umgestürzte Bäume fast unpassierbar. Bei schlechterem Wetter wäre ich sicher umgekehrt, da es aber windstill war und die App versprach, dass ich nach 600 Metern auf einen anderen Weg einbiegen könnte, schlug ich mich durch das Gestrüpp – und erreichte etwas später als geplant und ein bisschen zerkratzt mein Ziel, das Café Winuwuk.

An anderen Tagen zeigt die App ausgewiesene, ausgeschilderte, auf der Karte verzeichnete und sehr gut begehbare Wege nicht an – und weigert sich auch beharrlich, meine Vorschläge anzunehmen. Auf Diskussionen lässt sie sich dann nicht ein – und ich auch nicht: Ich schalte sie dann ab und verlasse mich wie in Vor-App-Zeiten auf Wegweiser und Karte. Letztere nehme ich nämlich nach Möglichkeit mit – auch wenn Kartenlesen nicht zu meinen Stärken gehört.

Auf nach Lüneburg

Wenn ich ein Telenovela-Fan wäre, wäre es mir wohl nicht passiert. Dann hätte ich Lüneburg sicher schon vor Jahren entdeckt. Denn Rote Rosen, nach Sturm der Liebe die am häufigsten ausgestrahlte deutsche Telenovela, spielt in Lüneburg. Seit November 2006 sendete das Erste – immer montags bis freitags – mehr als 3.600 Folgen. Doch ich habe keine einzige gesehen – und auch Lüneburg kannte ich bislang nicht.

Dabei bin ich oft durch Lüneburg gefahren. Denn die Stadt liegt auf der Bahnstrecke von Hannover und Hamburg. Mit dem Metronom, trotz vieler Halts die schnellste und vor allem zuverlässigste Bahnverbindung zwischen Burgwedel und Hamburg, dauert die Fahrt gerade mal anderthalb Stunden – mit einem 20-minütigen Aufenthalt in Uelzen. Den nutze ich gerne, um mir den Hundertwasserbahnhof anzusehen.

Auch beim Halt in Lüneburg habe ich gelegentlich darüber nachgedacht, auszusteigen, die Stadt zu besichtigen und ein oder zwei Stunden später weiterzufahren. Doch dann habe ich es immer wieder verschoben. Auf ein anderes Mal, wenn das Wetter besser oder der Zug nicht zu voll ist, wenn ich kein Gepäck dabei oder mehr Zeit habe. Jetzt war es endlich so weit. Als ich zwei Projekte – ein großes und ein kleines – abgeschlossen hatte, habe ich mir einen freien Tag und einen Besuch in Lüneburg gegönnt. Und bedauert, dass ich das nicht schon viel früher getan habe.

Denn Lüneburg ist wirklich eine Reise wert – nicht nur für Rote-Rosen-Fans. In den Stintmarkt am alten Hafen mit den historischen Giebel- und Fachwerkhäusern, dem Kran und dem Alten Kaufhaus habe ich mich sofort verliebt. Seinen Namen verdankt der Markt dem Stint, einem kleinen Fisch, der angeblich nach Gurken riechen soll. Er galt als Spezialität, wurde früher in Lüneburg und Umgebung massenweise aus der Ilmenau gefischt und im Alten Kaufhaus an den Mann oder an die Frau gebracht – ebenso wie Hering aus der Ostsee, Stoffe, Glas oder Gewürze. Diese und andere Kostbarkeiten brachten die Kaufleute mit, wenn sie das Salz, das wichtigste Lüneburger Handelsgut, über die Ilmenau abtransportierten und in anderen Orten teuer verkauften. Denn das Mineral, das heute nur wenige Cent kostet, war im Mittelalter und in der frühen Neuzeit eine Kostbarkeit – das „weiße Gold“ hat die Stadt und viele ihrer BewohnerInnen reich gemacht.

Davon zeugen noch heute prächtige öffentliche Gebäude wie Rathaus, Glockenhaus, Wasserturm, Handwerkerhaus und drei Stadtkirchen, aber auch viele repräsentative und schön restaurierte Bürgerhäuser aus ganz unterschiedlichen Epochen. Rund 1.400 Baudenkmäler soll es in der Stadt geben – sie verleihen der Altstadt mit den engen Gassen, gemütlichen, vielen kleinen Läden und Restaurants besonderes Flair. Hier könnte ich leben.

Zumindest werde ich bald wieder nach Lüneburg fahren. Dann möchte ich nicht nur durch die Stadt bummeln, sondern auch das Museum im Stadtzentrum und das etwas außerhalb gelegene Kloster Lüne besuchen. Denn im Museum des ehemaligen Benediktinerinnenklosters, das in diesem Jahr 850-jähriges Jubiläum feiert, ist im Jubiläumsjahr ein besonderer Schatz zu sehen: ein Briefbuch aus der frühen Neuzeit. Zwischen 1460 und 1555 kopierten die Nonnen ihre gesamte Korrespondenz – insgesamt fast 1.800 private und geschäftliche Briefe – ein Glücksfall für HistorikerInnen. Und bevor das Buch wieder im Archiv verschwindet, möchte ich zumindest einen Blick darauf und hinein werfen.

Kleine Auszeit zwischendurch

Wir waren gerade mal 25 Stunden weg, und obwohl ich zwischendurch sogar ein bisschen gearbeitet habe, hat es sich angefühlt wie ein richtiger, wenn auch kurzer Urlaub. Dabei mussten wir gar nicht weit fahren – knapp 30 Kilometer one way. Das Gute liegt eben manchmal doch ganz nah.

In diesem Fall konkret auf einem kleinen Campingplatz bei Winsen an der Aller. Gerade mal 40 Minuten waren wir unterwegs, das Einpacken hat länger gedauert als die Fahrt selbst. Um halb zwölf ging’s los; kurz nach 12 stand unser Wohnmobil direkt am Fluss. Wenig später waren wir mit Paula Blue auf dem Wasser. Richtig elegant sieht es noch nicht aus, wenn wir paddeln, und richtig schnell sind wir auch noch nicht. Aber wesentlich besser als bei meinen ersten Paddelversuchen auf dem Mittellandkanal ist es allemal. Und mehr Spaß macht es auch.

Bei unserer zweiten Bootstour am nächsten Morgen hatten wir dann einen blauen Passagier an Bord: eine Libelle. Ob sie Paula Blue wohl für einen übergroßen Artgenossen gehalten hat oder ob ihr die Farbe so gut gefallen hat, weiß ich nicht. Bevor ich sie fragen konnte, ist sie davongeflogen.

Die Aller ist bei Winsen breiter als die Hamme, wo wir vor ein paar Wochen unser Boot eingeweiht haben. Und die Strömung ist wesentlich stärker. Wie stark, merkte ich erst richtig, als ich abends in der Aller geschwommen bin. Stromabwärts war ich schneller als je zuvor, gegen den Strom brauchte ich mindestens fünfmal so lange. Am nächsten Morgen bin ich dann, klüger geworden, nur noch in eine Richtung geschwommen: Ich bin bei der Badestelle mit dem kleinen Sandstrand ins Wasser gegangen und beim Steg gut 150 Meter allerabwärts wieder herausgeklettert.

Dort habe ich am Nachmittag und am Abend vorher lange gesessen, gelesen, geschrieben,  aufs Wasser geschaut und nicht nur die Füße, sondern auch die Seele baumeln lassen. Und entschieden, dass ich das jetzt öfter tun werde – vielleicht schon bald an der Weser …

Nach Ilsenburg

Zweite Woche – zweiter Ausflug:

Eigentlich wollte ich ja vorletzte Woche, als ich zum Katzensitten im Harz war, nach Altenau fahren. Der Kräutergarten steht schon lange auf meiner To-visit-Liste. Nach dem Besuch des Kräutergartens wollte ich dann zur Wolfswarte und von dort nach Torfhaus wandern, und von dort mit dem Bus zurück nach Bad Harzburg. So weit der Plan. Doch den hatte ich ohne die örtlichen Nahverkehrsverbindungen gemacht. Zwar liegen Altenau und Bad Harzburg nur knapp 11 Kilometer voneinander entfernt, doch man kommt nur alle paar Stunden mit einem Umstieg und in weniger als einer Stunde von einem Ort zum anderen. Meist muss man zweimal umsteigen und zwei Stunden Fahrtzeit einkalkulieren. Die schnelle Verbindung konnte ich an diesem Tag nicht erreichen, weil ich noch ein wichtiges Telefonat führen musste, für lange Busfahrten und knappe Umstiege an nicht sonderlich attraktiven Orten fehlte mir die Lust. Also bin ich nach Ilsenburg gewandert.

Zugegeben, ich war schon ein paar Mal in Ilsenburg, ganz fremd war der Ort also nicht für mich. Aber ich bin bislang dort immer nur gelaufen – zweimal Richtung Brocken und wieder zurück – oder gewandert: Vom außerhalb des Ortes gelegenen Wanderparkplatz durch das wunderschöne Tal der ebenso schönen Ilse, die es ja schon Heinrich Heine angetan hatte. Zeit, mir den Ort anzusehen, hatte ich da eigentlich nie – oder ich habe sie mir zumindest nicht genommen.

Die Wanderung von Bad Harzburg nach Ilsenburg führte auf dem Kammweg über den Butterberg durch einen Kalkbuchenwald mit teilweise alten, meist ziemlich gesund aussehenden Laubbäumen. Vom Borkenkäfer zerfressene Baumgerippe, die zumindest auf der westlichen Seite die Gegend um den Brocken herum dominieren, habe ich nur ganz wenige gesehen. Und der Weg war zumindest teilweise so, wie ich Wanderwege mag – eng und verschlungen.

Irgendwann habe ich die Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt überquert – und den Grenzweg, der den Harz von Nord nach Süd quert. Dort, wo einst der eiserne Vorhang nicht nur die Bundesrepublik und die DDR trennte, sondern die Welt in zwei feindliche Lager zerschnitt, kann man heute wandern. Was für ein Glück es war, dass die Wende 1989 friedlich verlief und alle beteiligten Mächte die Veränderungen anerkannten, wird beim Blick auf den Krieg in der Ukraine deutlich.

In Ilsenburg hatte ich dann doch wieder zu wenig Zeit, um mir den Ort in aller Ruhe anzusehen. Weil der Bus, der mich in einer halben Stunde ohne umzusteigen nach Bad Harzburg schon eine Dreiviertelstunde später fuhr, blieb es bei einem kurzen Rundgang durch den Ortskern.

Aber ich werde wiederkommen, um das schon um das Jahr 1000 gegründete Kloster und das Schloss zu besichtigen, das fast 850 Jahre später an der West- und der Nordseite des Klosters errichtet wurde. Heute ist die romanische Klosteranlage ein Kunst- und Kulturzentrum, in dem regelmäßig Konzerte, Lesungen und Ausstellungen stattfinden – ein Grund, den nächsten Besuch in Ilsenburg besser zu planen. Und den Kräuterpark in Altenau werde ich in diesem Jahr auch noch besuchen. Das habe ich mir fest vorgenommen.

Zwölf Wochen – zwölf Ausflüge

Als der Schweizer Schriftsteller und Kabarettist Franz Hohler 60 Jahre alt wurde, nahm er sich vor, ein Jahr lang keine Auftritte und Lesungen, dafür aber jede Woche eine Wanderung zu machen. Denn beim Gehen fühlt er sich „gut und frei“, wie er in seinem Buch „52 Wanderungen“ schreibt. Außerdem wollte er in diesem Jahr auch „für das Alter üben“.

Nun liegt mein eigener 60. Geburtstag schon ziemlich lange zurück; im Oktober gehe ich in Rente. Viel Zeit zu üben bleibt also nicht mehr. Zudem habe ich in den nächsten drei Monaten wenig Freizeit, weil ich auch in diesem Sommer wieder – noch einmal – eine Zeitschrift betreue. Das bedeutet viel recherchieren, viel schreiben, viel Arbeit.

Trotzdem reizt mich die Idee – und die Gelegenheit ist günstig. Mit dem 9-Euro-Ticket kann ich in den nächsten drei Monaten kreuz und quer durchs Land reisen – und das will ich nutzen. Ich habe mir deshalb vorgenommen, in den nächsten drei Monaten jede Woche zumindest einen Ausflug zu machen – zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit Öffis oder mit dem Wohnmobil. Und natürlich will ich im Blog – hoffentlich jede Woche – darüber schreiben.

Das erste Ziel am Pfingstsonntag: Celle. Nach Celle fahre ich eher selten. Dabei liegt das Städtchen mit dem Zug nur eine Station und zehn Minuten entfernt – und ist mit mehr als 400 alten, meist gut restaurierten Fachwerk-, Barock und Jugendstilhäusern wirklich hübsch. Die Aller fließt mitten durch die Stadt, das barocke Schloss ist vom Schloßgraben umgeben, die Altstadt vom Stadtgraben und der Französische Garten, ein Park am Rande der Altstadt, wird vom Magnusgraben begrenzt.

Gestern lockte mich zudem die Allerart, ein Kunsthandwerker- und Antiquitätenmarkt rund ums Schloss, außerdem wollte ich mir den barocken Rosengarten im Französischen Garten ansehen. Beides war, ich gebe es zu, eher enttäuschend. Das Allervergnügen war eher ein Flohmarkt mit Eintritt, der Rosengarten eher ein Gärtchen, in dem es nicht allzu viele Rosen gab. Dafür ein Denkmal für Ernst Schulze, einen in Celle geborenen und aufgewachsenen Dichter der Romantik. Ich gebe zu, ich kannte nicht einmal seinen Namen und habe noch nie etwas von ihm gelesen – Letzteres wird wohl auch so bleiben. Weder „Caecilie“, ein romantisches Gedicht in zwanzig Gesängen und zwei Bänden, noch die „Reise durch das Weserthal“ werden es je auf meine Must-read-Liste schaffen.

Romantikdichter im Rosengarten

Gelohnt hat sich der Ausflug trotzdem – schon wegen der Lindenallee im Französischen Garten und den dunkel lila blühenden Rhododendronbüschen. Und die alte Weide, die in den kreisrunden Teich im Französischen Garten hineinwächst, ist ebenfalls sehenswert.

Sehr gut gefallen hat mir auch das Kunstprojekt „zuKUNSTperspektiven“: Noch bis zum 2. Juli zeigen SchülerInnen aus Celle und Umgebung an vier verschiedenen Orten ihre Kunstwerke – und was sie bewegt, welche Träume, Vorstellungen, Wünsche und Ängste sie haben. Grund genug, wiederzukommen und mir auch die Bilder in den anderen Ausstellungsorten anzusehen. Mehr Infos über das in Zusammenarbeit mit Lehrkräften verschiedener Schulen entstandene Projekt des Vereins KulturTrif(f)t e.V. unter https://kulturtrifft.de/zukunst-perspektiven/.

Camping, Kajak und Kunst

Letzte Woche hatte ich einen Termin in Bremen, und was liegt näher, als das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden – sprich: mit einem Abstecher nach Worpswede. Das liegt quasi vor der Bremer Haustür – und steht schon lange auf meiner To-visit-Liste. Außerdem liegt der kleine Campingplatz direkt an einem kleinen Fluss. Eine gute Gelegenheit, unser neues Boot – ein aufblasbares Kajak – auzuprobieren.

„Do more of what makes you happy“ – über das Muttertagsgeschenk meiner Tochter habe ich ja schon geschrieben. Und ich habe mir fest vorgenommen, diesen klugen Rat zu beherzigen. Kajakfahren steht schon lange auf meiner Wunschliste – und es muss wirklich ein Herzenswunsch sein, denn meine ersten Kajak-Erfahrungen waren eher abschreckend. Vor ein paar Jahren hatte ich mich in einem Anfängerkurs angemeldet. Denn es ist ja angeblich nie zu spät, mit etwas Neuem zu beginnen. Doch leider war ich die einzige Anfängerin im Kurs und der Trainer hatte – aus seiner Sicht verständlicherweise – mehr Spaß daran, mit den erfahreneren Teilnehmerinnen und Teilnehmern loszupaddeln, als mir die Grundlagen des Sports beizubringen. Pflichtschuldigst erklärte er mir, was ich falsch machte und was ich anderes machen sollte, bevor er dann mit dem Rest der Gruppeauf und davonpaddelte und mich meinem Schicksal überließ. Ich fuhr in meinem sehr schnittigen und wendigen Sportkajak schlingernd und drehend fort – oder besser gesagt, das Boot fuhr mit mir. Wenn ich die gelangweilt auf mich wartende Gruppe endlich erreichte, paddelte sie weiter oder zurück – und ich hechelte hinterher. Eine ziemlich frustrierende, wenn auch lehrreiche Erfahrung.

Am allerschlimmsten war aber, wenn mir dann auf dem nicht soooo breiten Mittellandkanal Flussfrachtschiffe oder Motorboote entgegenkamen oder mich überholten. Bei besonders breiten Schiffen geriet in Panik und versuchte, mein Kajak möglichst nach ans Ufer zu steuern – was mir irgendwie gelang. Nach zwei Tagen hatte ich eine Sehnenscheidenentzündung im linken Arm – und vorübergehend keine Lust mehr auf weitere Wasserabenteuer. Aber als wir das neue Wohnmobil kauften, wollte ich einen neuen Versuch starten und mir einen Kinderwunsch erfüllen: Als Kind hatte ich die Gisel-und-Ursel-Bücher von Martha Haller gelesen, Geschichten von Zwillingen, die begeisterte Kanutinnen waren.  Ich hätte auch gerne ein Boot gehabt, aber dafür hatten meine Eltern kein Geld und auch kein Verständnis. Das Boot, das wir uns fast 60 Jahre später kauften, ist allerdings kein Faltboot, wie einst das der Zwillinge, sondern ein aufblasbares Kajak.

Die Hamme war ein idealer Übungsort: Das Flüsschen ist gerade mal 50 km lang und beim Campinplatz Hammehafen gerade mal 20 Meter breit. Wir hatten den Fluss, der bei Worpswede fast ohne Strömung in Richtung Wümme fließt, fast für uns. Außer uns waren nur ein paar Torfschiffe, die heute keinen Torf, sondern Touristen transportieren, ein paar Kajaks und ein paar Schwimmer unterwegs. Und im Doppelsitzer war es, sicher auch dank der beiden Finnen im Bootsboden, kein Problem, die Richtung zu halten. Es hat viel Spaß gemacht, zu paddeln, und wir werden unser Boot jetzt sicher öfter mitnehmen.

Einen Namen hat das Boot inzwischen übrigens auch – mein Mann hat darauf bestanden. Es heißt Paula blue: Paula in Erinnerung an Paula Modersohn-Becker, die Malerin, die zeitweise in Worpswede gelebt hat und dort auch gestorben ist, und blue, weil es eben strahlend blau ist.

In Worpswede war ich natürlich auch – ich bin durch den Ort gebummelt, der mit den alten Häusern, Museen und Galerien ein besonderes Flair hat. Ein Hingucker mitten im Ort ist die von Heinrich Vogeler entworfene Vogeler-Villa. Heinrich Vogeler war einer der Gründer der Künstlerkolonie Worpswede. Die von ihm entworfene Vogeler Villa ist heute eine Seniorenresidenz, sein Wohn- und Atelierhaus, der Barkenhoff, ist ein Museum, in dem die Werke des Malers, Grafikers, Designers und Architekten Heinrich Vogeler gezeigt werden. Anfang der 1900er Jahre Treffpunkt der Künstlerinnen und Künstler. Zur sogenannten Barkenhoff-Familie gehörten neben Vogeler und seiner Frau Martha noch zwei weitere Künstlerpaare: Rainer Maria Rilke und seine Frau, die Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff sowie Paula Modersohn-Becker und ihr Mann Otto Modersohn https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Vogeler.

Was die Malerinnen und Maler ins Teufelsmoor gezogen, verstehe ich inzwischen gut: Das Licht ist wirklich ganz besonders. Mit sind ein paar Fotos gelungen, die fast aussehen wie gemalt.

Die passende Lektüre hatte ich natürlich auch dabei: den Roman von Gunna Wendt über das Leben von Clara Rilk-Westhoff und Paula Modersohn-Becker und – auf meinem E-Book-Reader Rilkes Monographie über die Worpsweder Maler Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck, Hans am Ende, Heinrich Vogeler.

Apropos Bücher: Auf dem Campingplatz am Hammer Hafen fuhren nicht nur sehr viele Gäste Kanu – mit eigenen oder dort geliehenen. Auch gelesen wurde dort sehr viel. Ich habe dort zumindest mehr lesende Menschen und Bücher gesehen als auf den anderen beiden Plätzen. Dafür waren die Wohnmobile deutlich kleiner. Unser Wagen war nicht mehr der winzigste auf dem Platz. Ob es da einen Zusammenhang gibt?

Jungfernfahrt

Ist es das, was ich will? Das habe ich mich gefragt, als wir bei unserer ersten Fahrt mit dem Wohnmobil auf dem Stellplatz in Cuxhaven Döse ankamen. Hier waren wir mit dem alten Wohnmobil oft – von Hannover bis nach Cuxhaven ist es nicht weit und die Nordsee liegt nur ein paar Meter entfernt direkt hinterm Deich. Obwohl es mitten in der Woche war und die Ferien in Niedersachsen vorbei, waren wir nicht die einzigen, die ein paar Tage am Meer verbringen wollten: Der Platz war mit rund 50 Wohnmobilen fast voll besetzt. Keine Frage: Wohnmobilurlaub liegt im Trend. Einsame Stellplätze in schöner Umgebung sind  zumindest wohl in Deutschland eine absolute Ausnahme.

Auf dem Messeplatz in Döse standen die Wohnmobile dicht an dicht: Jedes Grundstück auf Zeit ist vielleicht gerade mal 20 Quadratmeter groß. Kleiner als unser Wohnzimmer zu Hause. Und trotzdem ist es erstaunlich ruhig. Alle nehmen Rücksicht. Keine Laubbläser, keine Rasenmäher, keine laute Musik. Man nimmt Rücksicht, es gibt keinen Streit zwischen den Nachbarn auf Zeit. Vielleicht sieht man im Urlaubsmodus einfach manches entspannter. Und wenn man sich nicht spontan mag und über den nicht vorhandenen Zaun ins Gespräch kommt, geht man sich aus dem Weg. Anders als mit den richtigen Nachbarn zu Haue müssen auf dem Camping- oder Stellplatz keine grundsätzlichen Fragen geklärt, keine Claims abgesteckt werden. Notfalls zieht man einfach weiter, in die nächste Reihe oder an den nächsten Ort.

Unser Wohnmobil ist das kleinste auf dem Stellplatz; neben seinen großen Nachbarn wirkt es winzig. Aber wir haben uns bewusst für den kleinsten Kastenwagen entschieden – und nehmen dafür weniger Platz und natürlich auch ein bisschen weniger Komfort in Kauf. Zum einen, weil Verbrauch, Emissionen und diverse Gebühren, zum Beispiel auf Fähren, niedriger sind als bei größeren Wohnmobilen. Zum anderen ist das Wohnmobil unser einziges Auto: Wir steigen im Alltag ganz aufs Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel um – der Umwelt, aber auch unserem Geldbeutel zuliebe. Das Wohnmobil werden wir nur gelegentlich nutzen, zum Beispiel für Großeinkäufe. Und dann ist es einfacher, mit einem „nur“ 5,50 Meter langen Gefährt einen Parkplatz zu finden.

Außerdem ist unser Grundstück zu klein für ein ganz großes Wohnmobil. Schon unser Tiny-Womo passt gerade so durch das Hoftor, das Einparken unter dem Carport ist Millimeterarbeit – die Fahrertür lässt dort nicht mehr öffnen. Ein längerer Wagen mit komfortableren Längsbetten im Heck hätte nicht nur den Unterstand für unsere Fahrräder, sondern auch den Zugang zu unserem Komposthaufen vollends blockiert.

Unser Mini-Wohnmobil bringt es nicht einmal auf 10 Quadratmeter Wohnfläche – weniger als mein kleines Arbeitszimmer zu Hause. Doch das Zusammenleben auf engstem Raum funktioniert erstaunlich gut. Ich mag das reduzierte Leben in unserem Schlaf-Wohn-Arbeits-Klo, es ist eine Art Minimalismus auf Zeit.

Ich bin, ich gestehe es, eine notorische Sammlerin: Es fällt mir schwer, mich von Dingen zu trennen, die ich eigentlich nicht (mehr) brauche. Im Wohnmobil komme ich notgedrungen mit viel weniger aus. Außerdem lebe ich gesünder. Ich verbringe weniger Zeit am Computer und sehe, weil wir keinen Fernseher an Bord haben, überhaupt nicht fern. Ich lese mehr als zu Hause und ich bewege mich sehr viel mehr. Ich gehe viel spazieren, meist am Meer entlang oder bei Ebbe durchs Watt.

Am Wasser kann ich mich einfach nicht sattsehen. Und auch nicht an den Sonnenauf- und -untergängen. Ich sehe die Sonne abends im Westen untergehen – über Neuwerk, der Insel, die man bei Ebbe auch zu Fuß erreichen. Ein paar Stunden später sehe ich sie im Osten, über der Elbmündung und der Kugelbake wieder aufgehen.

Es sind fast magische Momente, die sich in meine Seele einbrennen, von denen ich lange zehre. Und wenn ich mich auch manchmal frage, ob ich wirklich dicht an dicht mit anderen Wohnmobilen auf einem Parkplatz oder auf einem recht engen Campingplatz stehen möchte, dann lautet in diesen Augenblicken die klare Antwort ja.

Auf ein Neues

Wir haben lange nachgedacht, ob wir es tun sollen. Ob es die richtige Entscheidung ist und der richtige Zeitpunkt. Ausgerechnet jetzt. Corona ist noch lange nicht vorbei, die politische Situation ist seit Russland Krieg gegen die Ukraine führt unsicherer denn je, die Spritpreise sind auch deshalb so hoch wie noch nie. Und weil die Klimakrise längst eine Klimakatastrophe ist, müsste man eigentlich ganz aufs Autofahren verzichten. Oder zumindest ein Elektroauto kaufen.

Aber dann haben wir es doch wieder getan. Vier Jahre, nachdem wir unser altes Wohnmobil verkauft haben, haben wir ein neues gekauft. Mit Dieselmotor, weil Wohnmobile mit E-Motor für uns noch zu teuer sind, zu geringe Reichweiten haben – und überdies gaaanz lange Lieferzeiten.

Die sind bei Wohnmobilen zurzeit überhaupt sehr lang: Wer ein neues Wohnmobil bestellt, muss fast ein Jahr Geduld haben. Als wir im Internet das Modell gefunden haben, das wir haben wollten, haben wir schnell zugeschlagen. Denn wer 70 Jahre alt ist wie mein Mann oder auf die 70 zugeht wie ich, hat nicht mehr endlos Zeit.

Je älter ich werde, desto größer wird meine Sehnsucht nach Wasser. Da ich mir wahrscheinlich nie ein Haus am Meer leisten kann, möchte ich zumindest ab und zu ein paar Tage am Meer verbringen, den Sonnenauf- oder -untergang an einem See erleben oder auch in den Alpen. Natürlich könnten wir einfach losfahren oder losfliegen, uns irgendwo ein Hotelzimmer oder eine Ferienwohnung mieten. Doch wir haben es nur selten getan – oder um ehrlich zu sein: Spontan verreist ohne vorher ein Zimmer oder eine Wohnung zu buchen sind wir eigentlich nie.

Wegen Corona waren wir in den letzten Jahren ohnehin sehr wenig unterwegs. Doch das soll sich ändern. Ab Herbst bin ich Rentnerin, und bevor ich zu alt, zu krank oder auch zu bequem zum Reisen bin, möchte ich noch etwas von der Welt sehen. Vor allem von Europa und von Deutschland.

Fliegen ist, das habe ich bei meinem letzten Flug wieder einmal festgestellt, nicht mein Ding. Nicht nur der Flug selbst, sondern das ganze Drumherum stresst mich. Ich bin meist viel zu früh am Flughafen, vertrödele dort einen Großteil der Zeit, die ich durchs Fliegen eigentlich einsparen könnte. Und wenn ich an der Sicherheitskontrolle meinen Rucksack mit diversen technischen Geräten aus- und wieder eingepackt habe, ist ein Teil der Erholung schon wieder perdu. Außerdem finde ich es schade, dass ich so viele Landschaften überfliege, ohne etwas von ihnen zu sehen.

Für mich ist oft der Weg das Ziel. Bei unseren früheren Wohnmobilreisen haben wir auf dem Weg zu unserem Reiseziel viele wunderschöne Orte entdeckt, an denen wir dann gerne geblieben sind. Auf dem kleinen Campingplatz in der Normandie zum Beispiel, wo ich jeden Morgen mit Blick auf den Atlantik aufgewacht bin, oder in Verona, wo wir zwei Opern in der antiken Arena miterleben durften.

Auf dem Weg zum Meer

Die meisten Orte, die noch auf meiner To-visit-Liste stehen, können wir mit dem Wohnmobil erreichen. Ich möchte zum Beispiel in den nächsten Jahren nach Südnorwegen, in die Bretagne oder nach Portugal. Wieder einmal an die Mosel und ins Elsass und endlich einmal an den Bodensee und in die Alpen. Und neben längeren Fahrten stehen vor allem auch kürzere Ausflüge in die nähere und etwas weitere Umgebung auf meiner Wunschliste: mal ein paar Tage an die Ost- oder an die Nordsee, an die Müritz, an den Dümmer oder nach Worpswede. Einfach mal raus, eine kleine Auszeit zwischendurch.

Natürlich hat sich vor dem Kauf mein Umweltgewissen gemeldet: Denn bei der Herstellung und beim Fahren produzieren Wohnmobile leider mehr umweltschädliche Emissionen als „normale“ Autos. Doch weil wir uns für ein ganz kleines Wohnmobil entschieden haben, ist der Unterschied nicht so groß: Unser Wohnmobil verbraucht weniger Sprit als die meisten Sportwagen oder SUVs –  und wir beim Aufenthalt auf dem Camping- oder Stellplatz weit weniger Energie und Wasser als Urlauber im Hotel oder in einer Ferienwohnung. Und umweltfreundlicher als Flug- und Schiffsreisen sind Fahrten mit dem Wohnmobil allemal.