Auch im vergangenen Jahr habe ich wieder die meisten Bücher notiert, die ich (ganz) gelesen habe*. 60 Bücher stehen auf meiner Gelesen-Liste, ebenso viele wie 2023. Und auch 2024 waren es wieder mehr Bücher von Frauen (46) als von Männern (14). Das liegt einzig und allein daran, dass mich Bücher von Frauen in der Regel mehr ansprechen als die ihrer männlichen Kollegen..
Ich bin, ich habe es schon mal geschrieben, eine unstrukturierte Leserin (https://timetoflyblog.com/die-unstrukturierte-leserin). Ich lese, was mir mehr oder weniger zufällig in die Finger oder vor besser vor die Augen kommt. Den Empfehlungen von lesefreudigen Bekannten und der Neuerscheinungsliste der örtlichen Bücherei vertraue ich mehr als Bestsellerlisten oder den Buchbesprechungen in Zeitungen und Zeitschriften. In den Feuilletons werden Bücher von Frauen ja bekanntlich immer noch seltener rezensiert und empfohlen. Und sie werden, ebenso wie Bücher über Frauen, immer noch gerne als „Frauenliteratur“ abgetan. Die wird „von nahezu allen männlichen Lesern gemieden … und von nicht wenigen weiblichen“, schreibt Sigrid Nunez in ihrem Roman „Was dir fehlt“, den ich gerade lese (Nunez, Sigrid. (2021). Was fehlt dir: Roman [Kindle Android version], Seite 39). Das Buch erscheint daher erst im nächsten Jahr auf meiner Liste der gelesenen Bücher. Die amerikanische Schriftstellerin habe ich – ebenso wie ihre Kollegin Lydia Davis – erst im vergangenen Jahr entdeckt, wie so oft eher zufällig.
Wie subtil Schriftstellerinnen und ihre Texte immer noch abwertet und benachteiligt werden, habe ich am Beispiel von Lydia Davis im Mai in einem Seminar erlebt. Die meisten Seminarteilnehmerinnen kannten die amerikanische Schriftstellerin und Übersetzerin nicht. Der Seminarleiter stellte sie mit den Worten vor, dass sie in den USA sehr bekannt und die Exfrau von Paul Auster sei – so als sei ihre lange zurückliegende Ehe mit dem damals noch nicht bekannten Schriftsteller Lydia Davis einzige literarische Leistung. Dass sie als Meisterin der kurzen Erzählungen gilt und unter anderem mit dem Man Booker international Prize ausgezeichnet wurde, erwähnte der Seminarleiter nicht. Und ich frage mich, ob er Paul Auster auch als Ehemann von Siri Hustvedt vorgestellt hätte.
Die meisten Beispieltexte, die in diesem Seminar besprochen wurden, stammten übrigens von männlichen Autoren; das Kürzen übten wir dagegen an Texten von Frauen. Die können, lernt frau daraus, immer noch verbessert werden, selbst wenn sie von renommierten Schriftstellerinnen wie Elke Erb geschrieben wurden.
Eine kleine, zugegebenerweise etwas boshafte Bemerkung am Rande: Lydia Davis Buch habe ich zu Ende gelesen, das des Seminarleiters nicht. Weil ich gerne weiß, mit wem ich es zu tun habe, hatte ich es mir vor dem Seminar bestellt – zum Glück gebraucht, für 99 Cent plus Porto. Denn nach etwa einem Drittel habe ich es zur Seite gelegt. Mein Leben ist zu kurz, um Bücher zu lesen, die mir nicht gefallen.
Ausnahmen bestätigen die Regel: Durch „Wir sehen uns im August“ von Gabriel Garcia Márquez habe ich mich bis zum Ende gequält. Garcia Márquez hatte den unvollendet gebliebenen Roman in den Jahren vor seinem Tod geschrieben. Er war damals schon an Demenz erkrankt, aber sein literarisches Urteilsvermögen funktionierte trotz seiner Erkrankung offenbar noch: Er ordnete nämlich an, dass das Buch nicht veröffentlicht werden sollte. Seine Söhne und die Verlage setzten sich über seinen Wunsch hinweg – und taten dem Nobelpreisträger damit wohl keinen Gefallen. „Ein kleines Kunstwerk, das sowohl García-Márquez-Fans als auch neue Leserinnen und Leser begeistern wird“, wie es auf der Website von Kiepenheuer und Witsch heißt, ist das Buch (nicht nur) meiner Meinung nach nicht (https://www.kiwi-verlag.de/buch/gabriel-garcia-marquez-wir-sehen-uns-im-august-9783462006421). Im Gegenteil.
Auch Wolfgang Herrndorfs Buch „Arbeit und Struktur“ wurde nach dem Tod des Autors veröffentlicht, aber auf seinen ausdrücklichen Wunsch. In ihm sind die Blogbeiträge zusammengefasst – „kritisch durchgesehen und lektoriert“ (S. 443), die Herrndorf seit Februar 2010 geschrieben hatte. Nachdem der Schriftsteller, damals erst 44 Jahre alt, „erfahren hatte, dass er nicht mehr lange leben würde, beschloss er, die ihm bleibende Zeit mit Arbeit zu füllen“.
Für Herrndorf war dies der richtige Weg – nicht nur, weil es ihm am besten ging, wenn er arbeitete (Blogeintrag vom 19.4.2010), sondern auch, weil er so produktiv war wie nie zuvor. Er vollendete in den drei Jahren bis zu seinem Tod die Romane „Tschick“ und „Sand“ – und schrieb zahlreiche Blogbeiträge. Die waren zunächst als „reines Mitteilungsmedium für seine Freunde gedacht“, ab September veröffentlichte er die Beiträge dann als Blog unter dem Titel „Arbeit und Struktur“.
Ich habe mir das Buch vor kurz nach seinem Erscheinen gekauft und es jetzt wieder gelesen. Es hat mich berührt – und auch inspiriert, mehr Ordnung und Struktur in mein Leben zu bringen. Ich bin zwar, anders als Wolfgang Herrndorf, kerngesund, aber mit fast 70 denkt frau doch gelegentlich darüber nach, wie viel Zeit noch bleibt – und wie sie sie nutzen möchte.
Auch andere Bücher habe ich nicht zum ersten Mal gelesen. Einige wie Max Frischs Entwürfe zu einem dritten Tagebuch“ oder Hanns-Josef Ortheils „Notieren dicht am Leben“ habe ich erst nach Jahren wieder aus meinem Bücherregal hervorgeholt. Andere, zum Beispiel die Lucy-Barton-Romane von Elizabeth Strout oder Katharina Francks Kurzessays („Darf ich Ihnen das Sie anbieten“), wollte ich schon nach kurzer Zeit wieder lesen. Denn wie gesagt: Ich bin eine unstrukturierte Leserin: Ich lese, worauf ich Lust habe. Und das wird auch in diesem Jahr so bleiben.
Liste der 2024 gelesenen Bücher,
ungeordnet und wahrscheinlich unvollständig
- Max Frisch: Entwürfe zu einem dritten Tagebuch
- Ute Mank: Elternhaus
- Daniel Schreiber: Zeit der Verluste
- Alexa Henning von Lange: Zwischen den sommern
- Elke Heidenreich: Frau Dr. Moormann und ich
- Anne Weiss: Der beste Ort zu leben
- Doris Knecht: eine vollständige Liste der Dinge, die ich vergessen habe
- Lily Brett: Alt sind nur die anderen
- Sigrid Nunez: Erinnerungen an Susan Sonntag
- Monika Hürlimann: Die Lügen meiner Mutter
- Christiane Hastrich, Barbara Lueg: Statt einsam gemeinsam: Wie wir im Alter leben wollen
- Anna Jouleit: Das letzte Bild
- Marlene Faro: Die Vogelkundlerin
- Julia Cameron: Weg des Künstlers
- Paul Auster: Baumgartner
- Alex Capus: Das kleine Haus am Sonnenhang
- Elke Heidenreich: Neulich im Himmel
- Angelika Klüssendorf: April
- Ewald Arenz: Reisegeschichten Eine Urlaubsliebe
- Ewald Arenz: Meine kleine Welt
- Susanne Mathiessen: Lass noch mal los
- Lydia Davis: Reise über die stille Seite
- Elizabeth Strout: Am Meer
- Elizabeth Strout: die Unmöglichkeit der Nähe
- Elizabeth Strout: Oh William
- Elizabeth Strout: Lucy Barton Alles ist möglich
- Selene Mariani: Miniaturen in Blau
- Claire Keegan: Das dritte Licht
- Judith Wolfsberger: Schafft euch Schreibräume
- Isabel Allende: der Wind kennt meinen Namen
- Monika Maron: Das Haus
- Elke Heidenreich; Altern
- Katharina Franck Darf ich ihnen das Sie anbieten
- Frauen, Baltrum Verlag
- Donna Leon: Geheime Quellen
- Caroline Wahl: 22 Bahnen
- Thich Nhat Hanh: Der Tag, auf den du gewartet hast, ist heute.
- Kerri Andrews: Frauen, die wandern, sind nie allein
- Zoe Jenny: Das Verschwinden des Mondes
- Caroline Wahl: Windstärke
- Annette Hagemann: Katalog der Kiefermäuler
- Gabriel Garcia Marquez: Wir sehen uns im August
- Benedict Wells: Die Wahrheit über das Lügen
- Benedict Wells: Die Geschichten in uns: Vom Schreiben und vom Leben
- Lukas Brandt: Schweden im Wohnmobil
- Petra Juling: Schweden
- Judith Hermann: Wir hätten uns alles gesagt
- Siri Hustvedt: Mütter Väter und Täter
- Astrid Lindgren: Die Menschheit hat den Verstand verloren
- Silvia Bovenschen: Älter Werden
- Donna Leon: Feuerprobe
- Francoise Heritier: Das ist das Leben
- Hanns-Josef Ortheil: Notieren dicht am Leben
- Hanns-Josef Ortheil: Lesehunger
- Michiko Aoyama: Donnerstag im Café unter den Kirschbäumen
- Marie-Louise Monrad Möller: Schlaf
- Judith Hermann Abendrot
- Anna Enquist: Das springende Mädchen
- Marlene Fleißig: Bestimmt schön im Sommer
- Wolfgang Herrndorf: Arbeit und Struktur
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