Bücher statt Buchmesse

Eigentlich wollte ich am vergangenen Freitag zur Leipziger Buchmesse fahren. Doch dann kam ich am Donnerstag erst spät nach Hause und bin amFreitagmorgen zu spät aufgewacht, um den Zug zu bekommen, mit dem ich eigentlich nach Leipzig fahren wollte. Gottesurteil, hätte man das früher wohl genannt, und all denen, die sich mit der (Rechts)Geschichte nicht so gut auskennen, hilft Wikipedia weiter: „Ein Gottesurteil, Gottesgericht (lateinisch ordalium) oder Ordal, ist eine vermeintlich durch ein übernatürliches Zeichen herbeigeführte Entscheidung, die im Altertum und Mittelalter auch zur Wahrheitsfindung in einem Rechtsstreit eingesetzt wurde. Dabei liegt die Vorstellung zugrunde, nur ein Gott oder (säkular) eine Schicksalsmacht könne als höchste Instanz in einem existenziellen Entscheidungsprozess ein untrügliches Urteil fällen.“

Ob Gott, Schicksalsmacht, Zufall oder nur mein eigener Körper: Es war im Nachhinein eine gute Entscheidung. Denn ich hätte selbst ohne Verspätungen und Zugausfälle sechs Stunden gebraucht, um von Burgwedel nach Leipzig und wieder zurück zu kommen – viel Zeit und Stress für maximal acht Stunden Buchmesse. Außerdem sind die Zeiten, in denen die Buchmesse in Leipzig gemütlicher und familiärer war als die Buchmesse in Frankfurt, wohl endgültig vorbei. An den vier Buchmesse-Tagen kamen in diesem Jahr fast 300.000 BesucherInnen – in Frankfurt waren es im vergangenen Jahr an fünf Messetagen „nur“ 230.000. Das ist schön für die Verlage und die Veranstalter, aber nicht so optimal für alle, die in Ruhe Bücher anschauen oder anlesen möchten.

Schon an den beiden ersten Messetagen kamen fast 100.000 BesucherInnen zur Leipziger Buchmesse, an den Eingängen bildeten sich vor allem direkt morgens teilweise lange Schlangen. Und drinnen standen die Lesehungrigen teilweise über eine Stunde an, um bestimmte AutorInnen zu sehen oder um an bestimmten Ständen zu schmökern. Gut, Verlage, die bei den Young Adults beliebte Bücher veröffentlichen, oder bestimmte Bestseller-Autoren standen ohnehin nicht auf meiner Muss-ich-mir-unbedingt-Ansehen-Liste. Aber Menschenmassen sind nicht mein Ding.

Was ich nach den Berichten im Fernsehen vermutet hatte, hat mir eine Schreibfreundin bestätigt: „ja, die Buchmesse war voll und aus meiner Sicht hast du nichts verpasst“, schrieb sie.  Sie habe zwar einige kleine Verlage kennengelernt, die sie noch nicht kannte – aber dazu habe ich vielleicht dann im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse die Gelegenheit. Dann möchte ich einer Freundin, die einen kleinen Verlag hat, helfen – und an den beiden Fachbesucher-Tagen ist auf der Buchmesse in Frankfurt erfahrungsgemäß weniger los als an den Publikums-Tagen, .

Bis zum Oktober werde ich mich lesend über den ausgefallenen Messebesuch hinwegtrösten. Denn ich habe beschlossen, für das Geld, das ich für Fahrkarten und Eintritt gespart habe – immerhin trotz Bahncard 50 rund 150 Euro –, Bücher zu kaufen.

Das erste werde ich mir gleich bestellen: Die aktuelle Ausgabe der Wortschau, in der Katia Tangian Hauptautorin ist und für die sie auch viele Bilder geliefert hat. Ich habe Katia beim Frauenschreibtreff kennengelernt und bin gespannt auf ihre Datscha-Storys, die, laut Verlag, die Geschichten einer Kindheit in der früheren UdSSR erzählen und in einem . Schriftstellerdorf spielen … „unter Treibhausbedingungen“.

Kein Zug war pünktlich*

In diesem Jahr wollte der Winter erst nicht kommen, jetzt will er nicht mehr weichen. Gestern Nacht bin ich unter funkelnden Sternen eingeschlafen – herzliche Grüße an Stephen Hawkins -, als ich heute Morgen, am offiziellen Frühlingsbeginn, aufwachte, war das Dachfenster zugeschneit. Am Wochenende haben uns die Schneemassen – immerhin 8 cm Neuschnee und etwa 5 Grad Minus – eine abenteuerliche Fahrt zur Buchmesse nach Leipzig beschert.

Gut 70 Minuten stand unser Zug am Samstag  in Köthen, denn im Hauptbahnhof von Leipzig ging nichts mehr. Weil die Weichen eingefroren waren, kamen und fuhren gar keine Züge mehr. Einige Mitfahrerinnen, die die Buchmesse nicht in erster Linie wegen der Bücher, sondern als CosplayerInnen besuchten, funktionierten das Abteil kurzerhand in einen Schminksalon um und verwandelten sich in Loki und andere fabelhafte Wesen.

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Verwandlung im Zug – auf dem Weg nach Leipzig und zu Loki.

Vielleicht hätte ich gewarnt sein sollen, denn immerhin reiste ich mit Loki, der, wie ich nachgelesen habe, im Film Thor ein Nachfahre der Eisriesen ist. Auf der Buchmesse kamen wir dann trotzdem an, drei Stunden später als geplant zwar und nach einer Fahrt in einer total überfüllten Straßenbahn.

Ob der junge Mann, der mit uns von Hannover bis Halle im gleichen Abteil  gesessen hat, es bis zur Buchmesse schaffte oder ob er resigniert umkehrte, werde ich wohl nie erfahren. Denn in Halle trennten sich unsere Wege. Wir stiegen, wie alle Besucher/innen der Buchmesse, zunächst dort aus, weil die Schaffnerinnen es uns empfohlen hatten. Doch weil kein Schienenersatzverkehr in Sicht war, wählten meine Begleiterin – inzwischen halb Loki, halb Mensch – und ich dann den Weg über Leipzig Hauptbahnhof. Eine gute Wahl.

Für den jungen Mann hat sich die Fahrt nach Leipzig sicher nicht gelohnt, denn er hatte schon für den Nachmittag um 16 Uhr seine Rückfahrt nach Hannover fest gebucht. Die Zeit reichte, wenn überhaupt, gerade für eine Stippvisite bei der Buchmesse. Doch wahrscheinlich fuhren am Samstagabend die Züge ohnehin noch nicht – und vielleicht irrt er immer noch durch Leipzig.

Selbst am Sonntagnachmittag, als wir nach anderthalb Messetagen nach Hause wollten, wurden mehrere Züge zwischen Leipzig und Hannover storniert. Vom Hauptbahnhof wurden die Messebesucher mit Bussen gen Westen chauffiert, Loki entdeckte, dem Internet sei Dank, eine Verbindung vom Messebahnhof über Bitterfeld nach Hannover. Hier bewahrheitete sich die alte Weisheit, dass wenn etwas schiefgeht, es meist gründlich schiefgeht: Auch dieser Zug war nicht pünktlich. Wir wurden aus irgendeinem Grund über Hildesheim umgeleitet: Immerhin erreichten meine Begleiterin und ich nach einem Sprint noch unsere Anschlüsse und kamen wie geplant zu Hause an. Danke Loki.

Schön war es in Leipzig trotzdem. Ich mag die Buchmesse, auch wenn ich mir vorgenommen habe, im nächsten Jahr schon am Donnerstag oder Freitag zu fahren, bevor der große Ansturm vor allem der CosplayerInnen einsetzt. Sie verleihen der Buchmesse zwar ein besonderes Flair – es ist wirklich faszinierend zu sehen, wie Gestalten aus Büchern und Filmen lebendig werden. Doch manchmal gibt es zwischen Göttern, Elben und Jedis kaum ein Durchkommen und die Bücher geraten für mich ein bisschen zu sehr in den Hintergrund.

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In voller Montur – Loki in Leipzig.

Eine tolle Unterkunft haben wir in Leipzig auch entdeckt. Die werde ich vielleicht im Sommer, wenn der letzte Schnee bestimmt geschmolzen ist, nutzen, um die Stadt endlich einmal kennen zu lernen.

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Mut zur Farbe – Zimmer in Leipzig.

Denn außer Bahnhof und dem Messegelände habe ich von Leipzig noch nichts gesehen. Ich setze die Stadt auf meine To-visit-Liste. Time to fly.

 

*frei nach Heinrich Bölls: Der Zug war pünktlich