Am vergangenen Wochenende, dem ersten Frühlingswochenende in diesem Jahr, habe ich endlich mal wieder im Garten gearbeitet. Es war höchste Zeit. Giersch und Efeu haben meine mehrmonatige wetter- und winterbedingte Gartenabstinenz ausgenutzt, um sich überall breitzumachen.
Natürlich weiß ich, dass Giersch inzwischen in Nobelrestaurants gerne als Salat serviert und dass Efeu schon seit der Antike als Heilmittel eingesetzt wird. Doch leider konnte ich noch kein Restaurant als Abnehmer gewinnen – die haben wahrscheinlich alle selbst genug Giersch im Garten. Und weil ich nur selten krank bin, brauche ich Efeu höchstens in homöopathischen Dosen.
Deshalb gelten für Giersch und Efeu in unserem Garten eigentlich klare Regeln: Sie dürfen an allen Zäunen hochranken und auch den schmalen Streifen hinter der Gartenhütte besetzen. Beete, Rasen und die Hauswand sind dagegen für sie tabu. Wenn ich sie dort erwische, erteile ich Platzverweise – sprich, ich reiße sie aus.
Nun bin ich ehrlich gesagt nicht ganz sicher, ob sie die Regel wirklich verstanden haben. Aber obwohl ich ausdrücklich begrüße, dass der DFB in der vergangenen Woche die Gelb-Rot-Sperre gegen den Freiburger Bundesligaspieler Niels Petersen aufgehoben hat, weil er die erste gelbe Karte nicht gesehen hatte, bleibe ich hart und setze das Platzverbot um.
Das mag inkonsequent sein, aber Konsequenz ist ohnehin nicht meine Stärke. Andere Gartenbesitzer, die erfahrener und erfolgreicher sind als ich, sind im Kampf gegen Efeu und/oder Giersch im Übrigen viel rigoroser. Ein Gärtner-Paar hat den Efeu ganz aus seinem Garten verbannt und eine Bekannte greift gelegentlich zur chemischen Keule, um den Giersch loszuwerden. Das tue ich nicht, ich kämpfe ehrlich, Frau gegen Giersch und Efeu, nur mit meinen Händen, Schippe und Spaten gegen das Wurzelwerk. Allein gegen die Übermacht.
Der Efeu nimmt übrigens den von mir angebotenen Rückzugsort Zaun dankend an, der Giersch erweist sich dagegen als sehr erdverbunden und traut sich offenbar nicht in höhere Gefilde. Um ihm den neuen Lebensraum schmackhaft zu machen, habe ich ihm sogar eine Zeile aus dem Gedicht von Jan Wagner vorgelesen, in der es heißt dass der Giersch „bis hoch zum giebel kriecht“. Mehr Lyrik sollte es dann allerdings nicht sein, denn schließlich will ich den Giersch nicht auf dumme Gedanken bringen. Denn er ist, um mit Jan Wagner zu sprechen, „nicht zu unterschätzen, der Giersch“.
Alle, die meinen, dass ich übertreibe, können Jan Wagners Gedicht nachlesen unter
… diese Frage stelle ich mir ständig, wenn ich durch den Garten gehe. Deshalb war es auch keine Frage, dass ich dieses Buch kaufen musste, als ich es zufällig im Buchladen entdeckte. Eigentlich wollte ich ja nur ein bestelltes Buch abholen, aber …
Das Buch hilft, erwünschte und unerwünschte Gartenpflanzen zu erkennen, verspricht der Untertitel. Wirklich unerwünscht ist allerdings für die Autorin Bärbel Oftring eigentlich kaum eine Pflanze: Nur etwa 10 von über 100 Pflanzen sind mit dem Symbol: „Alarm, Pflanze unbedingt ausreißen“ gekennzeichnet. Ganz schlecht (giftig und unbedingt ausreißen) kommen sogar nur drei Pflanzen weg: Flohknöterich, Beifuß Traubenkraut und Riesenbärenklau. Alle anderen verdienen eine zweite Chance als Heilpflanze, essbare oder ökologisch wertvolle Pflanze.
Dass viele Pflanzen einen doppelten, drei- oder gar vierfachen Nutzen haben, war lange Zeit in Vergessenheit geraten. So manches, was man in meiner Kindheit gemeinhin als Unkräuter bezeichnete, wird heute in Gourmetrestaurants serviert. (Hinweis an alle Spitzenköche und Apotheker in Deutschland: Acker-Schachtelhalm, Giersch, Franzosenkraut, aufrechter Sauerklee, Vogelmiere und Rainkohl aus ökologischem Anbau, günstig und in großen Mengen abzugeben).
Im Prinzip ist Bärbel Oftrings Buch für Horrorgärtnerinnen wie mich optimal: Es zeigt nämlich, wie sich Pflanzen im Laufe ihres Lebens verändern. Denn die ersten Blätter sehen oft ganz anders aus als die erwachsenen Pflanzen. Vieles, was ich gepflanzt habe, überlebt das zweite Jahr nicht, weil ich es nicht wiedererkenne. So gab es jahrelang leider keinen Fingerhut in unserem Garten. Des Rätsels Lösung: Ich habe alle Fingerhüte ausgerupft, bevor sie blühen konnten, weil ich sie mit Nachtkerzen verwechselt habe, die ich nicht mag.
Im Buch sind die meisten Pflanzen frisch ausgetrieben als Keimling, nach zwei Wochen als Jungpflanze und blühend nach sechs Wochen zu sehen. So kann man unerwünschte Pflanzen früh erkennen und ausreißen, bevor sie sich überall breit machen. Oder man könnte, wenn ja wenn … Wenn man nicht wie ich offenbar zwei linke Augen hat.
Im tatsächlichen Gartenleben klappt das Erkennen leider nicht wie geplant. So sehr ich mich bemühe und so oft ich mit dem Buch durch den Garten gehe: Ich kann viele Pflanzen einfach nicht unterscheiden. Was ich für Franzosenkraut gehalten habe, entpuppt sich mit Blüte eher als Rainkohl. von dem ich bisher nicht einmal den Namen kannte. Im Prinzip ist es egal, denn beide sind – zumindest in Massen – in meinem Garten unerwünscht, auch wenn sie essbar und ökologisch wertvoll sind. Und ob das, was ich im Frühling für Sonnenblumenkinder gehalten haben, auch wirklich Sonnenblumen sind, bezweifele ich inzwischen. Denn noch zeigt sich keine einzige Blüte.
Mein Garten hat sich, so scheint es, ohnehin eher auf die lästigen Pflanzen spezialisiert: Die im Buch gezeigten Top 10 der „Lästlinge“ sind allesamt in meinem Garten vertreten, von den zehn schönsten selbst aussäenden Pflanzen leider nur die Hälfte. Zwei davon haben sich im Übrigen nicht selbst, sondern ich ausgesät.
Für alle, die auch wissen möchten, was was wird:
Bärbel Oftring; Wird das was – oder kann das weg? Erwünschte und unerwünschte Gartenpflanzen erkennen. Franck Kiosmos Verlag, Stuttgart 2017, 16,99 Euro
Manchmal fällt der Apfel doch weit vom Stamm. Und manche Talente und Eigenschaften überspringen eine oder gar zwei Generationen, ehe sie bei den Kindern oder Enkeln wieder zum Vorschein kommen. Ich bin trotz meines Faibles für schöne Gärten leider eine Horrorgärtnerin. Als Gott – oder wer auch immer – die grünen Daumen verteilte, habe ich wohl schlicht gepennt oder war gerade in einem (Garten)Buch versunken. Nachträglich lässt sich das, wie wir aus Schillers Gedicht von der Teilung der Welt wissen, nicht mehr korrigieren. Wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben oder der Garten. (Für alle, die sich an das Gedicht nicht mehr genau erinnern: „Was tun?“ spricht Zeus, „die Welt ist weggegeben“, zum Nachlesen http://www.ub.uni-heidelberg.de/wir/geschichte/schiller.html).
Ich bin also, wenn es um Pflanzen geht ziemlich talentfrei. Ich weiß nicht, wie viele Rittersporn ich in den vergangenen Jahren gepflanzt habe – überlebt hat nur ein einziger. Sonnenblumen werden weggefressen, sobald ich sie gesetzt habe. Und selbst die Maiglöckchen verschwinden auf unerklärliche Weise. Erst in diesem Frühjahr habe ich wieder rund ein Dutzend aus dem Garten meiner Mutter in unseren umgesiedelt – mit wenig Erfolg. Und auch die Veilchen aus dem Harz blühen im warmen Klima im niedersächsischen Flachland nicht auf, sondern sind wie vom Erdboden verschluckt.
Richtig gut gedeihen in meinem Garten vor allem Pflanzen, die man früher gemeinhin Unkräuter nannte: Giersch zum Beispiel, Brennnesseln, Sauerampfer oder Gänseblümchen. Außerdem einige ganz Robuste, die sich offenbar von nichts abschrecken lassen wie Beinwell, Topinambur oder auch Zwergastern. Die sind zwar allesamt hübsch anzusehen, aber leider so einnehmend, dass sie sich anschicken, die letzten Winkel meines Gartens zu erobern. Sogar dem Giersch machen sie an manchen Stellen das Leben schwer.
Bei größeren Pflanzaktionen leihe mir manchmal den grünen Daumen meiner Tochter aus. Sie hat nämlich das Talent ihrer Oma väterlicherseits geerbt, die früher als Floristin arbeitete. In ihrer alten Wohnung unterm Dach wuchs die Petersilie meterhoch. Und das Orangenbäumchen bog sich unter der Last der Früchte, während unsere wesentlich größeren Zitruspflanzen zwar blühen (und dabei herrlich duften), aber seit einigen Jahren kaum mehr Früchte tragen.
Bei der Vogelschutzhecke hat der Ausleih-Trick funktioniert: Die Heckenrosen, die wir vor drei Jahren gemeinsam gepflanzt haben, sind inzwischen recht hoch und wachsen in die Breite; Apfelbeeren, rote Heckenberberitzen, Kornelkirschen und Weißdorn, die ich ein paar Wochen später alleine gesetzt habe, brauchen wohl noch eine Zeit, bis sie wie geplant Vögeln katzenfreie Nistmöglichkeiten und Nahrung bieten.
Seit ein paar Monaten hat meine Tochter einen eigenen Balkon, den sie in einen Mini-Nutzgarten verwandelt. Kartoffeln, Gurken, Paprika und Tomaten pflanzt sie dort, diverse Kräuter und ein ganzes Obstsortiment: Heidelbeeren, Himbeeren, Erdbeeren, Stachelbeeren, Melonen und sogar einen kleinen Apfelbaum. Der fühlt sich offenbar in seinem Pflanzsack pudelwohl – und ich bin fast sicher, dass er mehr Früchte tragen wird als der große Apfelbaum in unserem Garten. Der hat im vergangenen Jahr seine wenigen Früchte auf unserem Rasen verteilt, ehe sie reif waren. Auf dem Balkon meiner Tochter gestaltet sich die Ernte wahrscheinlich recht einfach, auch wenn sie üppig ausfällt. Denn bei dem Mini-Baum fällt der Apfel sicher nicht weit vom Stamm.
Vorgestern, Ostersamstag, der erste richtige Frühlingstag. Wir eröffnen die Gartensaison. Wo geht das besser als in den Herrenhäuser Gärten, die angeblich zu den schönsten Parkanlagen Deutschlands gehören. Das kann ich nicht beurteilen, weil ich zu wenige Parkanlagen kenne. Aber die Herrenhäuser Gärten sind wirklich toll. Ich mag vor allem den Berggarten, mit dem Großen Garten kann ich wenig anfangen, zu akkurat, wie mit dem Lineal gezogen, die Pflanzen, von den Menschen zurechtgestutzt und zurechtgebogen. Einmal saßen etwa zehn Gärtner nebeneinander in einem Bett, schnitten winzige Pflanzen – wenn ich mich recht erinnere, war es Buchs – in Form. Dass ich keine Kamera dabei hatte, bedaure ich noch heute.
Im Berggarten dürfen die Pflanzen zwar nicht wachsen, wie sie wollen, aber man hat das Gefühl, dass sie es dürfen. Und der Garten sieht jedes Mal, wenn ich dort bin, anders aus.
Das Tropenhaus ist zurzeit gesperrt, schade, kein Besuch bei den Wasserschildkröten. Wenn ich Zeit habe, sitze ich gerne unter riesigen Pflanzen an den beiden Becken und bilde mir ein, irgendwo in den Tropen zu sein. Warm genug ist es selbst im Winter, und hier, in Hannover, muss ich keine Angst vor Schlangen, Spinnen und anderen Tieren haben. Kurzbesuch im Orchideenhaus: Ich mag Orchideen nicht besonders und würde mir keine auf die Fensterbank stellen. Aber hier, wo sie üppig wuchern, faszinieren sie mich doch. Vor allem gefällt mir der Duft – jedes Mal anders, jedes Mal aufs Neue schön. oder vielleicht besser – betörend?
Draußen blüht noch nicht wirklich viel, es war bis jetzt vor allem nachts einfach zu kalt. Tulpen, Osterglocken, Narzissen, Schneeglöcken und natürlich Scilia, vor allem auf der Wiese am Mausoleum. Der Moorweiher ist noch ziemlich karg und ruhig, in ein paar Wochen sitzen hier hunderte Frösche dicht an dicht und quaken um die Wette.
Im Staudengrund, einem meiner Lieblingsplätze, fließt zwar schon Wasser, aber auch hier trauen sich noch keine Pflanzen heraus. In ein paar Wochen wird der künstliche Bach fast unter dem Grün verschwunden sein. Und ich werde wieder Fotos machen, um sie zu Hause, in unserem Garten, diversen Pflanzen zu zeigen, die ihr Eigenleben führen und nicht wollen, wie ich will: Seht ihr, so solltet ihr eigentlich aussehen. Genutzt hat es bislang noch nicht, aber man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben.
Zum Schluss zur Grotte im Großen Garten: Die wurde zwar schon 1676 erbaut, doch nachdem die Muscheln, Kristalle. Glas und Mineralien, die sie ursprünglich schmückten, entfernt worden waren, diente die Grotte nur noch als Lagerraum. Erst zur Expo 2000 wurde sie restauriert – und dann nach den Plänen von Niki Saint Phalle neu gestaltet.
Die Nanas am Leineufer mag ich nicht besonders, aber die Grotte – vor allem die blaue – zählt zu meinen Lieblingsplätzen in Hannover. Immer wieder ist das Licht anders, immer wieder schimmert das Blau anders, und immer wieder entdecke ich etwas Neues.
Danach keine Lust mehr auf Kino, Colonia Dignidad muss auf einen weniger schönen Tag warten. Im eigenen Garten wird der Unterschied zwischen wild wachsen (bei uns) und aussehen, als ob es wild wächst, deutlich. In meinen Beeten wächst vor allem Gras (nein, nicht nur aber auch), entlang des Zauns vermehrt sich der Giersch unter dem kleingehäckselten Baumschnitt ganz vorzüglich: Die grünen Blättchen zeigen sich tückischerweise erst, wenn sie schon recht kräftig sind und sich vernetzt haben. Bliebe er am Rand des Gartens unter den Büschen, ließe ich ihn gewähren: Aber der Giersch ist ein Eroberer und macht sich wieder im ganzen Garten breit. Ihm macht der Winter offenbar nichts aus, anders als Minze, Salbei, Lavendel, Zitronenmelisse, Rosmarin und alle meine Kräuter, die nach dem Winter nicht mehr sehr ansehnlich. Und auch das Blaukissen tut sich in diesem Jahr schwer – mein Zwerg sitzt, unbeeindruckt lesend, in einer noch recht kahlen Umgebung.
Ich habe zum Lesen keine Zeit. Just do it: Ich fange an, fühle mich ein bisschen wie Sysiphos, nur dass ich keinen Stein rolle, sondern gefühlte Stunden Gras und (Un)kraut rupfe und zupfe. Manches erkenne ich inzwischen (vor allem Giersch), aber oft frage ich mich auch, ob ich nicht das, was ich gerade herausreiße, im letzten Jahr gepflanzt habe. Beim Sauerampfer weiß ich es genau. Den habe ich letztes Jahr gesetzt – jetzt wuchert er im ganzen Beet, sodass für die anderen Kräuter zu wenig Platz bleibt. Ich grabe ihn aus, strafversetze ihn unter die Sträucher am Zaun. Dort kann er Giersch und Efeu Konkurrenz machen und mit ihnen um die Wette wuchern. Es wird, hoffe ich, ein spannendes Rennen und vielleicht landen sie demnächst gemeinsam bei uns auf dem Tisch.
Im letzten Sommer hat mich eine Freundin zum Wildkräutermenü mit sechs oder sieben Gängen eingeladen: Vieles, was dort serviert und von ihr teuer bezahlt wurde, gedeiht in unserem Garten vorzüglich: neben Giersch und Sauerampfer auch Gänseblümchen, Löwenzahn, Brennnesseln und Waldmeister. Vielleicht sollte ich künftig statt zu bloggen oder Korrektur zu lesen Kräuter-Spezialitäten auf dem Wochenmarkt verkaufen. Oder versuchen, die Gourmet-Restaurants in Niedersachsen zu beliefern. Möglicherweise ergeben sich hier ganz neue Perspektiven.