Besser spät als nie

Wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben. Auch wenn der kürzlich verstorbene Michail Gorbatschow diesen Satz angeblich so nie gesagt hat, stimmt er.

Eigentlich wollte ich schon im Juni in den Stadtpark von Hannover fahren, um mir den Rosengarten anzusehen. Anfang der Woche habe ich es endlich geschafft – doch die meisten Rosen sind inzwischen verblüht. Und die wenigen noch blühenden Rosen lassen mich ahnen, was ich versäumt habe.

150 verschiedene Rosensorten soll es im Stadtpark geben – alte Sorten ebenso wie neue Züchtungen. Und anders als im Großen Garten der Herrenhäuser Gärten führen die Wege direkt an den Rosenbeeten vorbei. Frau kann also die verschiedenen Sorten nicht nur ganz aus der Nähe betrachten, sondern auch ihre Nase überall hineinstecken – und so ihre Lieblingsrose finden. Schilder und ein Rosenstammbaum verraten, wie die Rosen heißen und wo welche Rose zu finden ist.

Gottfried Benn hätte sicher an dem Rosengarten seine Freude gehabt. Denn der Dichter war ein großer Rosenfan; Rosen kommen in seinen Gedichten so oft vor, dass seine Frau Ilse ihm angeblich verbot,noch in einem Gedicht das Wort Rosen zu verwenden – schade, es ist ein so schönes Wort“, berichtete er seinem Freund, den Bremer Kaufmann F. W. Oelze (Briefe an F. W. Oelze 3,46, zitiert nach Eberhard Schmidt: „Der maßlose Rosenbedichter Gottfried Benn. Eine kleine florale Beckmesserei“ https://www.eberhard-schmidt.de). Gehalten hat sich Benn an das Verbot allerdings nicht.

Den Stadtpark von Hannover hat Gottfried Benn häufig besucht, als er in Hannover lebte. „Fast jeden Abend“, schrieb er am 17. Juli 1935 an F.W, Oelze, sei er in der an den Stadtpark grenzenden Stadthalle, seiner „neuesten Schwärmerei. Links Wein, r. Bier Terrasse, in der Mitte eine Kapelle, wenig Menschen, vor einem ein bisher völlig unveränderliches Gemälde: ein Bassin mit 2 Schwänen, eingefasst von Alleen u. Blumenbeeten, in die Ferne sich verlierend, weiträumige Perspective, jeden Abend atme ich auf, wenn ich mich niederlasse“ ( zitiert nach „Stadtpark Hannover“, S. 9, Downloads/Stadtpark-Hannover.pdf).

Den Rosengarten gab es allerdings in den 1930er-Jahren noch nicht, und vielleicht ist deshalb das wohl bekannteste Gedicht der sogenannten Stadthallen-Elegien, die Benn auf der Rückseite von Speisekarten der Stadthalle Hannover schrieb, den Astern gewidmet (https://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Benn). Rosen kommen immerhin in einem anderen Gedicht dieses Zyklus, im „Tag, der den Sommer endet“, vor.

Der Rosengarten im Stadtpark wurde erst angelegt, als im Jahr 1951 dort die erste Bundesgartenschau stattfand. 130 neue Rosensorten wurden gepflanzt. Damals entstand auch der Wassergarten mit mehreren miteinander verbundenen Becken. Sie blieben, wie auch Sandsteinwege und -mauern, Rosen-Café, Rosengarten mit Pergola und Strohdachpavillon, seit Anfang der 50er-Jahre weitgehend unverändert und sind heute Gartendenkmal – eines, das zum Bleiben einlädt.

Der japanische Teegarten wurde dagegen erst 1996 angelegt – von den Grünflächenämtern der Partnerstädte Hiroshima und Hannover. Auch das Teehaus ist ein Geschenk der Stadt Hiroshima. Es darf, anders als der Teegarten, nur von den Gästen der Teezeremonien betreten werden, die hier abgehalten werden.

Der Teeweg: Trittsteine geben die Schrittlänge vor

Vielleicht melde ich, bekennende Kaffeetrinkerin, mich irgendwann einmal für eine Teezeremonie an, um innere und äußere Reinheit und Erleuchtung zu erfahren. Oder ich beschreite beim nächsten Stadtpark-Besuch zumindest den „Teeweg“, auf dem die Besucher Ruhe finden sollen. Auf jeden Fall werde ich wiederkommen – die Rosenblüte im nächsten Jahr werde ich sicher nicht verpassen.

Übrigens: Wer die beiden Gedichte von Gottfried Benn lesen möchte, findet sie unter

https://www.deutschelyrik.de/astern.html

https://www.deutschelyrik.de/tag-der-den-sommer-endet-1935.html

Blausterne und andere blauen Blüten

Nicht nur die sprichwörtlichen Kirschen, auch die Blumen blühen in Nachbars Garten offenbar schöner als in eigenen. Das gilt bei mir zumindest für Scillas. Im Frühling verwandeln die Blausterne die Nachbarwiese in einen Blütenteppich, während sie sich in unserem Garten rar machen.

 

Die Scillas in Nachbars Garten …

Weil ich Scillas mag und sie angeblich fast überall gedeihen, habe ich, selbst ist die Frau, ein paar Pflanzen ausgegraben – natürlich nicht, ohne den Grundstücksbesitzer um Erlaubnis zu fragen. Den besten Pflanztermin von August bis in den Herbst hinein habe ich zwar verpasst, aber angeblich ist es auch im Frühling nicht zu spät. –

… und nach dem Umzug im eigenen.

6 bis 8 cm tief soll man die Zwiebeln in den Boden stecken. Das habe ich getan, doch wirklich wohl scheinen sich die Scillas in der neuen Umgebung nicht zu fühlen. Vielleicht vermissen sie ihre Artgenossen und fühlen sich einsam. Oder ich bin ihnen zu nahe gekommen und sie haben durch das Ausgraben einen Schock erlitten. Denn nach einer neuen Studie an der La Trobe University in Melbourne mögen es Pflanzen es, anders als oft angenommen wird, gar nicht, wenn man sie berührt. Es stresst sie so sehr, dass sie deutlich – um bis zu 30 Prozent – langsamer wachsen.

Frei nach Johann Wolfgang von Goethe: Ein Veilchenin dem Garten stand …

Ich werde sie also in den nächsten Tagen und Wochen Abstand und nur ganz heimlich nach ihnen sehen, ebenso wie nach den anderen Neulingen in unserem Garten. Das Veilchen und die Anemone scheinen den Umzug besser verkraftet haben. Aber sie sind, anders als die Scillas, nicht in freier Wildbahn – sprich einem unbebauten Grundstück – groß geworden, sondern in Gartencentern. Sie sind also an Menschen gewöhnt, haben sich den Zweibeinern und ihrem mitunter seltsamen Verhalten angepasst. Auch zu ihren neuen Nachbarn Blaukissen und Traubenhyazinthen passt die Anemone gut – Rhapsodie in Blue

 

Rhapsodie in Blau: Anemonen, Blaukissen und Traubenhyazinthen

Google sei dank habe ich auch die Gedichtzeile gefunden, die mir im Kopf herumspukt, seit ich die Anemone auf dem Markt gesehen, gekauft und gepflanzt habe. Es ist von Gottfried Benn und passt zu diesem eher kalten, trüben Frühlingsbeginn.

ANEMONE

Erschütterer −: Anemone,
die Erde ist kalt, ist nichts,
da murmelt deine Krone
ein Wort des Glaubens, des Lichts.

Alle, die es interessiert, finden das Gedicht z. B.  unter

Gottfried Benn / Thomas Florschuetz: Blumen