Monatsrückblick November 2023

Rechnet sich das 49-Euro-Ticket für dich, fragte mich eine Bekannte vor ein paar Tagen. Auf jeden Fall, antworte ich spontan, obwohl ich es noch nicht nachgerechnet habe. Als ich für diesen Monatsrückblick meine Fahrten im November aufgelistet habe, bestätigt sich der erste Eindruck: Ich war auch im November viel unterwegs. Ich habe meine Tochter im Harz besucht und die Enkelkinder in Hamburg. Ich bin mit dem Ticket nach Travemünde und zurück gefahren und von dort zweimal nach Lübeck – und retour. Einmal, um die Gedenkhäuser der berühmten Lübecker zu besichtigen – von Thomas und Heinrich Mann, Willy Brandt und Günter Grass –, ein zweites Mal, um über den Weihnachtsmarkt zu gehen, der am 27. November eröffnet wurde.

Zwei berühmte Lübecker, Günter Grass und Willy Brandt. Das Foto habe ich im Günter-Grass-Haus abfotografiert.

Selbst die Fähre über die Trave auf den Priwall konnte ich mit dem Ticket kostenlos nutzen, Dass man nicht nur Geld, sondern auch Zeit und Nerven spart, weil man sich nicht durch den Tarifdschungel diverser Verkehrsverbünde kämpfen und vor Ticketschaltern anstehen muss, ist ein weiterer Vorteil.

In Hannover bin ich dank des Tickets auch häufiger als früher: Gleich am ersten Sonntag im November habe ich den monatlichen Schreibtreff im Ihmezentrum mit einem Rundgang durch die Ateliers in der List kombiniert.

Die Gruppe Lister Künstler gibt es seit mehr als 20 Jahren – schon in der Gründungsphase entstand wohl die die Idee, die Ateliers zu öffnen, Kunstinteressierten Einblicke in die praktische Arbeit zu geben und ihnen die eigenen Werke – nicht nur die fertigen, sondern auch Skizzen und Entwürfe, zu zeigen. Ich habe den Atelierrundgang durch die List, der immer am ersten Novembersonntag stattfindet, erst in diesem Jahr zufällig entdeckt – und ich war sicher nicht zum letzten Mal dabei. 

Meinem Ziel, zeichnen zu lernen und mehr Farbe in mein Leben zu bringen, bin ich im November ein Stück näher gekommen: Ich lerne seit Anfang des Monats zeichnen bei Heidrun Schlieker, einer Malerin, deren Bilder und vor allem Skizzenbücher ich seit Langem bewundere. Außerdem habe ich an Brigitte Helblings Workshop „Essays schreiben“ im AutorInnenzentrum Hannover teilgenommen. Mich fasziniert diese Form, für die es keine festen Vorgaben gibt, schon lange. Es ist, so Michael Hamburger in seinem Essay über den Essay, ein Spiel, „das seine eigenen Regeln schafft“ (http://culturmag.de/litmag/michael-hamburger-essay-ueber-den-essay/100328).

„Essayist:innen schauen auf die Welt um sich herum – und auf sich selbst – und machen sich dann daran, das Entdeckte, Erlebte, Gesehene in Worte zu fassen“, schreibt Brigitte in  ihrer Ankündigung des Workshops. Das gefällt mir, und vielleicht sind Essays ja genau die Form, die mir besonders liegt. Ich werde es versuchen – was ausgesprochen gut zum Essay passt. Schließlich kommt der Name vom Französischen essayer = versuchen.

Geschrieben habe ich natürlich auch, wenn auch (viel) weniger, als ich es mir vorgenommen habe. Denn der November ist ja der Nanowrimo, der „National novel writing month“. Besonders ehrgeizige und fleißige AutorInnen schreiben in diesem Monat 50.000 Wörter, also einen kurzen Roman. Das ist für mich völlig utopisch. Ich habe aus dem Nanowrimo wie schon im letzten Jahr, angeregt von den Instagrammerinnen Kathinka Engel und Kyra Groh, meinen privaten „Schreib so viel du kannst November“, gemacht, einen „nanowrimo light und stressfrei“ (https://timetoflyblog.com/schreibsovieldukan).

Und so bin ich in Travemünde statt zu schreiben oft am Meer entlangspaziert oder durch die Stadt gebummelt, ohne festes Ziel und fast ohne schlechtes Gewissen. Vielleicht brauche ich nach mehr als 40 Jahren Lohnschreiberei einfach eine Auszeit vom Schreiben, nicht zum Schreiben. Und außerdem kommen mir beim Gehen oft gute Geh-danken.

Schreiben mit Blick aufs Meer in Travemünde

Wer schreiben will, sollte viel lesen, darin sind sich fast alle SchreibratgeberInnen einig. Das habe ich im vergangenen Monat getan. Ich habe unter anderem mit Alba de Céspedes eine Autorin entdeckt, von der ich noch nie etwas von gehört hatte, und mit Max Frisch einen meiner früheren Lieblingsautoren wiederentdeckt. Und weil ich in Lübeck, der Heimatstadt von Thomas Mann war, habe ich auch Tonio Kröger, die frühe Novelle von Thomas Mann, wieder gelesen. Wirklich begeistert war ich zugegebenerweise nicht – und ich überlege, ob ich wirklich noch einen weiteren Versuch starten soll, den Zauberberg zu lesen. Mit dem fast 1000 Seiten dicken Roman, der als einer der großen Romane der klassischen Moderne gilt, habe ich mich bislang schwer getan. Und vielleicht gehört er wie Ulysses von James Joyce zu den Werken der Weltliteratur, die ich nie zu Ende lesen werde.  

Fasse dich kurz

Die Fastenzeit hat gefühlt gerade erst begonnen, der Februar – und damit der „NaHaiWriMo“ – ist am Dienstag zu Ende gegangen. Dass der kürzeste Monat des Jahres der „National Haiku Writing Month“ ist, wusste ich bis vor Kurzem nicht, ja, ich wusste nicht einmal, dass es ein Haiku-schreib-Monat gibt. Das habe ich erst gelesen, als ich heute vor einem Monat mein elektronisches Postfach aufgeräumt und bei der Gelegenheit einen Blogbeitrag von Christine Kämmer genauer gelesen habe (https://christinekaemmer.com/haiku-schreiben/).

Der war pünktlich Anfang Februar in meinem Posteingang gelandet, aber beim flüchtigen Hinschauen habe ich geglaubt, dass es in der Mail um den „NaNoWriMo“ geht. Weil der ja erst wieder im November stattfindet, habe ich den Beitrag erst einmal weggeklickt – und meinen Irrtum dann erst ein paar Tage später bemerkt.

„NaHaiWriMo“ und „NaNoWriMo“ – beide Kürzel ähneln sich wirklich. Dabei können Schreibziele kaum unterschiedlicher sein. Beim „NaNoWriMo“ im November sollen oder wollen die TeilnehmerInnen in 30 Tagen einen ganzen kurzen Roman von 50.000 Wörtern verfassen – das sind pro Tag durchschnittlich 1.666,666 Wörten. Im „NaHaiWriMo“ ist es Ziel, jeden Tag ein Haiku zu schreiben.

Mit dem „NaNoWriMo“ habe ich so meine Probleme: Mir gefällt die Idee, sich ein besonderes Schreibziel zu setzen. Aber 1.667 Wörter pro Tag zu schreiben, ist für mich als Langsamschreiberin völlig illusorisch. Denn ich tue immer das, was man während des „NaNoWriMo“ nicht tun soll: Ich überdenke und korrigiere Texte, während ich schreibe. Beim Vielschreiben soll der innere Kritiker außen vor bleiben. Doch das funktioniert bei mir nie – meine Zensorin sitzt immer neben meiner Tastatur oder – schlimmer noch – in meinem Kopf. Außerdem bezweifle ich, dass es Sinn macht, möglichst viel schreiben zu wollen. Denn wo es nur oder vor allem um Quantität geht, bleibt bekanntlich oft die Qualität auf der Strecke. Nicht nur, aber auch beim Schreiben. Deshalb mache ich bei der Schreibaktion im November zwar mit, setze mir aber eigene Ziele: Ich schreibe, so viel ich kann (https://timetoflyblog.com/schreibsovieldukano).

Die Aufgabe, im „NaHaiWriMo“ ein Haiku täglich zu schreiben, kam mir dagegen gerade recht. Denn ich interessiere mir schon lange für die traditionellen japanischen Gedichte. Haikus reimen sich nicht und bestehen – zumindest in westlichen Ländern – (fast) immer aus drei Zeilen: Die erste soll fünf, die zweite sieben und die dritte wieder fünf Zeilen lang sein.

Aber das ist, wie ich gelernt habe, eine Kann- und keine Muss-Empfehlung. „Der Haiku als ,Dreizeiler‘ ist eine reine Erfindung des Westens“, wird in dem Beitrag auf haiku-heute.de Arata Takeda, ein aus Japan stammender Literatur- und Kulturwissenschaftler zitiert. Ursprünglich soll der Haiku ein Einzeiler gewesen sein – oder ein Einspalter, da im Japanischen in Spalten geschrieben wird (https://www.haiku-heute.de/das-haiku/merkmale-des-haiku/).

Und auch bei der Silbenzahl sind Ausnahmen erlaubt, schon weil die Moren, das sind die Lauteinheiten, in die japanische Wörter unterteilt sind, nicht den deutschen Silben entsprechen. Japanische Moren haben laut Volker Friebel „im Durchschnitt weniger Inhalt als eine deutsche Silbe: 17 japanische Lauteinheiten entsprechen dem Inhalt von etwa 10 deutschen Silben.“

Bei den Themen sind moderne Haikus freier als ihre traditionellen Vorbilder, bei denen es immer um Jahreszeiten und Natur geht. Ein wesentliches Merkmal der Gedichte war und ist jedoch die Kürze; die Kunst im Haiku besteht laut Volker Friebel darin, einen Text zu schreiben, der „sich ohne Qualitätsverlust nicht weiter kürzen lässt“. Wenn es gelingt, sagen 17 Silben eben manchmal mehr als 50.000 Wörter.

Sich kurz zu fassen, ist eine Kunst, ebenso wie das Verfassen von Haikus. Aber der NaHaiWriMo war für mich ein Anlass, beides zu üben – und mit dem Schreiben von Kurzgedichten anzufangen. Täglich ist mindestens eins entstanden, meist Haikus, gelegentlich auch Elfchen. Das sind – all denen, die sich mit Schreiben im Allgemeinen und Lyrik im Besonderen nicht so gut auskennen, sei’s gesagt – kurze Gedichte, die aus elf Worten bestehen, aufgeteilt auf fünf Zeilen.

Haiku – japanische Vorbilder und eigene Übungsseiten

Weil mein persönlicher NaHaiWriMo erst am 5. Februar begonnen hat, endet er auch erst heute, am 5. März. Ich werde aber weiter Kurzgedichte schreiben. Denn es hat mir viel Spaß gemacht. Und mir gefällt die Idee, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, alles Unnötige wegzulassen – beim Schreiben und im Leben.

SchreibSoVielDuKaNo

Nein, ich habe meine Fähigkeit, ganze Wörter oder Sätze zu bilden, nicht verloren. Und ich werde künftig auch nicht nur in unverständlichen Kürzeln sprechen oder schreiben. Aber kurz nachdem ich gestern meinem Blogbeitrag über den Nanowrimo veröffentlicht habe (https://timetoflyblog.com/nanowrimo), habe ich auf Instagram den #SchreibSoVielDuKaNo entdeckt. Zwei Instagrammerinnen, Kathinka Engel und Kyra Groh, haben im letzten Jahr den „Schreib so viel du kannst November“, ganz kurz KaNo, ins Leben gerufen – quasi einen nanowrimo light und stressfrei: „Für Leute wie uns, die den Gemeinschaftsaspekt des Nano mögen, aber den Druck nicht können, weil sie Schwächlinge sind. Oder sensibel. Oder einfach keine Lust drauf haben“, wie eine der Initiatorinnen am 26. Oktoberauf Facebook schrieb (https://www.facebook.com/kathinkaengel1/).

Wörter werden beim Kano, anders als beim Nanowrimo, nicht gezählt – oder, um noch einmal Kathinka Engel zu zitieren, es geht nicht um den „Word-Count“. „Es geht um Spaß und darum, mit sich und dem Schreiben zufrieden zu sein.“

Das gefällt mir und deshalb mache ich mit, obwohl mir die Instagram-, Facebook- und Web-Welt im Allgemeinen und die Sprache der Nutzerinnen, pardon Userinnen, im Besonderen ziemlich fremd sind – und wohl auch bleiben. Auch wenn ich als Social-Media-Oma nur ahne, was Badges oder Shareables sind, und es vielleicht auch nie erfahren werde, weil ich nicht weiß, was swipen bedeutet, folge ich #SchreibSoVielDuKaNo auf Instagram – und aktiviere bei der Gelegenheit auch meinen Instagram-Account wieder, der seit Monaten still vor sich hinschlummert. Und meinen zweiten Blogbeitrag habe ich ganz nebenbei auch verfasst. Manches geht eben doch schneller, als frau denkt.