Schreibort mit Meerblick

Ich gebe zu, ich habe meinen Mann beneidet. Während ich, noch zur arbeitenden Bevölkerung gehörend, nach einer Woche La Palma wieder zurück ins dezembergraue Deutschland geflogen bin, ist er umgezogen: aus unserem wunderschönen, ganz einsam gelegenen Ferienhaus nach Athos. Nein, nicht in die Mönchsrepublik in Griechenland, wo Frauen – also auch mir – der Zutritt ohnehin verwehrt wäre, sondern in ein gleichnamiges Astrocamp. Das liegt wie das griechische Kloster an einem Berg, wenn auch nicht auf einem heiligen, sondern am Roque de los Muchachos.

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Nicht nur für Männer: Hütte nicht am Berg, sondern im Camp Athos (alle Fotos: Utz Schmidtko)

In 900 Meter Höhe auf dem Weg zum Roque-de-los-Muchachos-Observatorium hat ein Astro-Fan aus Deutschland auf dem Gelände einer ehemaligen Finca das Centro Astronomico La Palma geschaffen. Er vermietet Hütten an Amateurastronomen – mit ausgezeichneten Sichtbedingungen und wenn gewünscht mit dem nötigen technischen Equipment, um nachts die Sterne und tagsüber die Sonne zu beobachten. Das tun meist Männer, deshalb passt der Name Athos prima.

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Ausgezeichnete Sichtbedingungen: Meer- und Himmelsblick.

Nicht nur der Blick ist wunderschön:  Wie fast überall auf La Palma kann man auch hier das Meer sehen. Das Ambiente hat mich ebenfalls begeistert. Die Hütten liegen in einer Art botanischem Garten mit vielen für uns Mitteleuropäer exotischen, auf La Palma aber heimischen Pflanzen. Es gibt einen kleinen Teich mit einem Wasserfall und die Orangerie hat ein ganz besonderes Flair. Hier kochen und essen die Gäste oder treffen sich, um zu fachsimpeln oder miteinander zu klönen.

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Die Orangerie von außen …

Und wieder mal kommen mir die Buchmenschen aus Ray Bradburys Roman Fahrenheit 451 in den Sinn: Sie sind aus der totalitären Gesellschaft, in der Bücher verboten sind und verbrannt werden, geflohen und leben gemeinsam, versteckt im Wald. Hier auf Athos wäre ein idealer Ort für sie. Vielleicht auch für mich. Denn manchmal möchte ich aus meinem Alltag fliehen – und: Ja, ich bin ein bisschen neidisch: Ich wünsche mir auch so ein Camp – mit einer Hütte zum Schreiben und der Möglichkeit, andere Schreibende zu treffen, mich mit ihnen austauschen oder auch mal gemeinsam zu schreiben. Eine Community of writers eben.

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… und von innen.

Die Amateur-Astronomen haben solche Orte, die Übersetzer auch – das Europäische Übersetzer-Kollegium in Straelen. In dem internationalen Arbeitszentrum finden literarische Übersetzer ideale Bedingungen für ihre Arbeit. 30 Appartements, Arbeitsräume und eine 125.000-bändige Spezialbibliothek, davon 25.000 Lexika in über 275 Sprachen und Dialekten. In der DDR gab es Häuser, in denen Schriftsteller arbeiten konnten, doch die sind, wie manches andere, der Wende zum Opfer gefallen. Uns Schreiberlingen, Journalisten wie Autoren, fehlt ein solcher Ort.

Eine Hütte mit Blick aufs Meer und die Orangerie als Treffpunkt – hier gibt es alles, was frau für eine Schreib(aus)zeit braucht. Vielleicht, träume ich, könnte man die bei Amateur-Astronomen unbeliebten Vollmond-Zeiten für ein Schreibcamp nutzen.

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Kurze Schreibsession vor dem Astro-Camp.

Der tiefe Blick in den Himmel hat so manchen Schreibenden beflügelt, zum Beispiel Joseph von Eichendorff zu einem meiner Lieblingsgedichte. Es heißt Mondnacht. Ich mag den Anfang, aber vor allem die letzte Strophe.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

https://de.wikipedia.org/wiki/Mondnacht_(Eichendorff)

Zeit zu fliegen, Zeit zu schreiben – time to fly, time to write

Gigantische Aussichten und neue Einsichten

Eigentlich hasse ich falsche Angaben im Internet – nicht nur, aber auch oder gerade, wenn es um die Urlaubsreise geht.  Wenn man ein Haus oder eine Wohnung bucht, die noch ein Geheimtipp ist, die noch nicht von vielen anderen Nutzern bewertet wurde, muss man sich auf das, was auf der Website steht, verlassen. Schwindeln oder schön schreiben geht also im Prinzip gar nicht. Aber manchmal ist es doch gut, wenn man vorher nicht die ganze Wahrheit kennt. Hätten wir gewusst, wo unser Ferienhaus auf La Palma liegt, hätten wir es wahrscheinlich nicht gebucht – und wir hätten sicher was verpasst.

400 m sollte das Haus von der nächsten Einkaufsmöglichkeit entfernt sein und ebenso weit vom Meer. Prima, dachten wir. Umso mulmiger war das Gefühl, als wir hinter der Frau, von der wir den Schlüssel bekommen sollten, zu unserem Feriendomizil fuhren. Zuerst ging’s raus aus dem Ort, dann runter von der asphaltierten Straße. Was auf den ersten Metern wie eine Querfeldeinparcours aussah, entpuppte sich dann im weiteren Verlauf als veritabler Feldweg, der mich ein wenig an die Gravelroads erinnerte, die wir zwei Jahre zuvor in Neuseeland kennen, aber nicht wirklich lieben lernten.

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Blick aufs Meer

 

Die Anfahrt war also – vorsichtig ausgedrückt – gewöhnungsbedürftig, wenn in dem Auto vor uns nicht eine junge Frau mit ihrem kleinen Sohn und ihrer Mutter gesessen hätte, sondern zwei finster dreinblickende Männer, wir wären sicher umgekehrt und hätten uns eine andere Bleibe gesucht. So fuhren wir brav hinterher – und wurden belohnt. Das Haus war nämlich wirklich so, wie es auf den Fotos zu sehen war. Hoch überm Meer, der Ausblick so grandios, dass wir uns daran gar nicht satt sehen konnten. Zum Haus gehörte ein Pool, ganz für uns allein, und ein Grillhaus mit Glastüren, dass ich sofort zum Schreibzimmer umfunktionierte. Wenn es morgens oder abends auf der Terrasse zu kühl oder einfach nur zu windig wurde, habe ich die Glastüren weit geöffnet und mich dort hingesetzt.

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Mein Schreibzimmer, im richtigen Leben eine Grillhütte

Beeindruckend war nicht nur die Aussicht, sondern auch die Stille. Nur ein paar Vögel waren manchmal zu hören, morgens krähten zwei Hähne irgendwo weit weg. Und dann war es wieder still. Und sobald die Sonne untergegangen, war es bemerkenswert dunkel. Keine unerwünschten Lichter, die den Blick auf den Sternenhimmel beeinträchtigen. Ideal für Amateurastronomen und für Leute wie mich, die einfach gerne Sterne sehen, wenn sie nachts nicht schlafen können.

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Sonnenuntergang in Puntagorda

Im Haus war alles, was man braucht – und außerdem manches, was den Aufenthalt in einem fremden Haus angenehmer macht: Es gab Kaffee,  Filtertüten, Spülmittel und eine Grundausstattung an Gewürzen, dazu eine Flasche Wein, einen riesigen Obstkorb und einen Korb mit Süßigkeiten. So konnten wir uns stärken, bevor wir uns auf den Weg zurück nach Puntagorda und zum Supermarkt machten. Etwa 4 Kilometer zeigte unser Tacho bis zur Ortsmitte – 4000 statt 400 Meter. Manchmal macht eine null doch einen Unterschied.

Die angegebene Entfernung zum Meer stimmte übrigens etwa – Luftlinie. Dass nicht die tatsächliche Distanz gemeint sein konnte, hätten wir wissen können, schließlich lag unser Haus gut 550 m über dem Meer.

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Solarcity Puerto Puntagorda.

Bis ans Meer, genauer gesagt bis nach Puerto Puntagorda, brauchten wir am nächsten Tag zu Fuß etwa anderthalb  Stunden – one way. Die letzten 50 von 450 Stufen, die uns zum Schluss noch vom Meer trennten, haben wir uns dann geschenkt. Denn obwohl es nicht besonders stürmisch, sondern nur etwas windig war, spritzte das Wasser bis zu uns hoch. Auch ohne Schilder, die in drei Sprachen vor plötzlich auftretenden hohen Wellen warnte, wären wir nicht weitergegangen. Aber Schwimmen ist ja ohnehin nicht mein Sport – schon gar nicht im Winter, auch wenn der sich auf La Palma mit über 20 Grad eher von seiner sommerlichen Seite zeigte.

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Zum Einkaufen mal anders

Gelohnt hat sich die Wanderung trotzdem – und auch die anderen in den nächsten Tagen ebenfalls. Und wir werden ganz gewiss wiederkommen, auch wenn der Weg zum nächsten Supermarkt und zum Ort etwas weiter ist als angegeben. Denn so schön, da waren wir uns einig, haben wir noch nie gewohnt. Manchmal ist es eben doch gut, nicht die ganze Wahrheit zu kennen.

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Spiegelbild

Kunst kennen lernen

Mit Kunst ist es wie mit Pflanzen: Ich sehe sie gerne, habe aber leider wenig Ahnung davon. Ich bin bekennender Kunstbanause. In der Hoffnung, dass sich das ändert, habe ich mir jetzt eine Musehumscard geschenkt. Ein Jahr lang kann ich neun Museen in Hannover besuchen, so oft ich will. Und ich habe mir fest vorgenommen, in dieser Zeit alle anzusehen – vielleicht mit Ausnahme des Museums für die Geschichte der Elektrizität, das mich nicht wirklich interessiert.

Nun könnte ich freitags ganz umsonst in die meisten Museen gehen. Denn freitags ist in vielen hannoverschen Museen Tag der offenen Tür. Aber erstens habe ich keine Lust, mich mit vielen anderen Besucherinnen und Besuchern vor Bildern und anderen Kunstwerken zu drängen und zweitens gehöre ich noch zur arbeitenden Bevölkerung. Ich arbeite freitags oft. Und außerdem finde ich, dass 60 Euro für ein Jahr Kunst ein fairer Preis und gut investiert sind.

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Kunst als  Spiegel

Den Anfang habe ich gemacht: Zwei Museen habe ich schon besucht, das Wilhelm Busch Museum und das Sprengelmuseum. Im Wilhelm Busch-Museum war eine Ausstellung der Kinderbuchillustratorin Rotraut Susanne Berner zu sehen, im Sprengelmuseum Sonderaustellungen von Anne Collier und  Florentina Pakosta. Von Rotraut Berner hat mir eine Bildergeschichte besonders gut gefallen, der ich seither nachspüre, weil sie nicht im Katalog war. Von Anne Collier mag ich besonders den Augenblick, im Eingangsbereich des Sprengelmuseums hat mich eine Installation beeindruckt, die ein Stück Himmel und Natur einfängt. Den Namen des Künstlers oder der Künstlerin habe ich mir, wie die von vielen Pflanzen, leider nicht gemerkt.

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Augenblick

In der ständigen Ausstellung habe ich ein Bild von Paul Klee entdeckt, das mir bisher noch nicht aufgefallen war. Und wie immer habe ich den Blick auf den Maschsee genossen – geschützt hinter Glas. Ich finde, ein viel versprechender  Auftakt für eine Entdeckungsreise in Sachen Kunst.

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Muse(h)um mit Maschsee

Das vorwitzige Fenster

Gestern habe ich meine Mutter im Altenheim besucht: Das ist nichts Besonderes, denn das tue ich seit ihrem Umzug im Januar meist dreimal in der Woche.

„Wie schön, dass endlich mal jemand kommt“, sagte sie, so als habe sie schon lange niemanden von uns gesehen. Dass meine jüngere Schwester und ihre Tochter sie am Tag zuvor besucht haben, hat meine Mutter längst vergessen. Und leider hat meine Schwester vergessen, den Besuch in den Kalender einzutragen, der meiner Mutter hilft, sich zu erinnern, weil ihr Gedächtnis sie immer häufiger im Stich lässt. Meine Mutter schaut mich zweifelnd an, als ich sie an den Besuch erinnere. „Wirklich?“, fragt sie. Überzeugt ist sie nicht – und zufrieden auch nicht. Ich versuche, sie auf andere Gedanken zu bringen.

„Schau was ich dir mitgebracht habe“ sage ich und packe den Adventskranz aus, den mein Mann für sie gekauft hat. Er ist aus Plastik, sieht aber, das muss ich, bekennende Hasserin künstlichen Tannenschmucks, täuschend echt aus. Dass er überhaupt nicht duftet, merkt meine Mutter nicht: Sie hat wie viele alte Menschen ihren Geruchssinn verloren. Und auch den guten Geschmack, wie es scheint. Denn die vielen bunten LEDs, von denen meine Tochter sicher behaupten würde, dass sie Augenkrebs verursachen, gefallen ihr gut – und machen sie fröhlich.

„Wie schön“, sagt sie. „Sag deinem Mann herzlichen Dank. Und grüß ihn schön, wenn du ihn siehst.“ An seinen Namen erinnert sie sich oft nicht mehr, obwohl sie ihn seit mehr als 30 Jahren kennt und er sie öfter besucht.

„Welchen Monat haben wir eigentlich“, will meine Mutter wissen. „November“, sage ich. Und am nächsten Sonntag ist der erste Advent. Deshalb habe ich dir ja auch den Adventskranz mitgebracht.“

„Schön“, wiederholt sier und berührt die Zweige vorsichtig. Sie pieksen nicht und die bunten Lichter bleiben, LED sei Dank, auch dann kalt, wenn sie stundenlang brennen. Der Adventskranz ist kinder- und altensicher. Trotzdem frage ich später im Büro des Altenheims nach, ob ich ihn stehen lassen kann.

„Wo bin ich hier eigentlich“, will sie dann wissen. „Und wie bin ich hierher gekommen?“

Diese Frage stellt meine Mutter immer wieder und ich beantworte sie ihr sicher zum zehntausendsten Mal. Dass sie in einem Altenheim in der Nähe von Hannover ist und dass sie seit Anfang des Jahres hier lebt, weil sie alleine nicht mehr in dem Haus an der Mosel leben konnte – mehrere Hundert Kilometer von ihren Kindern entfernt. „Hier bist du versorgt und wir können dich oft besuchen“, sage ich.

Ich zeige ihr im Kalender, wie viele Besuche seit Anfang des Monats darin vermerkt sind: Drei von meinen Schwestern, die in Berlin bzw. Hamburg leben, etwa zehn von mir. Denn ich wohne im Nachbarort und brauche mit dem Bus nur etwa eine halbe Stunde. „Ich bekomme ja wirklich viel Besuch“, sagt sie und schaut sich um. „Und  es ist ja auch schön hier. Ich habe alles, was ich brauche: meine Möbel, den Fernseher und ein vorwitziges Fenster.“

Der Ausdruck gefällt mir und ihr hat das Fenster von Anfang an gefallen: Es reicht bis zum Boden. Die Gardinen sind – anders als in ihrer alten Wohnung – meist zurückgezogen, geben den Blick nach draußen frei. „Von hier aus kann ich alles sehen, was draußen passiert. Die Autos, die Leute, die vorbeigehen. Das ist schön“, sagt sie und schaut hinaus. Gerade geht eine junge Frau mit ihrem Kind vorbei, meine Mutter sieht ihr nach.

In den ersten Monaten ist sie noch selbst zum Supermarkt gegangen oder zu dem Café an der Hauptstraße. Jetzt schafft sie es nicht mehr und sie begnügt sich mit dem Blick aus dem Fenster. Er genügt ihr. Sie genießt ihn. Denn er verbindet sie mit dem Leben, an dem sie selbst nicht mehr teilhaben kann, aus dem sie sich immer mehr zurückzieht.

Und mir fällt ein, was die Leiterin eines kleinen Altenheims erzählte, die ich vor Jahren interviewt habe. Besonders begehrt seien die Zimmer zur Straße. Ein Zimmer mit Blick zum Garten wollten die wenigsten alten Menschen. Dass die Straßenzimmer lauter waren, störte sie nicht, im Gegenteil: Sie sagen: „Ruhe habe ich bald genug.“ Das sollten sich all diejenigen merken, die Altenheime auf Bauernhöfen, am Stadtrand, auf der grünen Wiese planen, bauen und betreiben – jwd, weit ab von allem.

Alles was Recht ist

Es gibt einen Satz, dem bislang alle, die ihn von mir gehört haben, zugestimmt haben. Ich schreibe ihn hier nicht, weil die Berufsgruppe, um die es geht, qua Beruf sehr klagefreudig ist. Zu meinem schon länger geplanten Blogpost passt das Ergebnis eines OECD-Berichts, das vor ein paar Tagen in meinem digitalen Postfach landete: Die Menschen hierzulande sollten, meint die OECD, stärker und früher in die Gesetzgebung eingebunden werden. Das könnte die Akzeptanz und die Qualität von Gesetzen erhöhen.

Wie wahr. Denn egal, ob man eine Biogasanlage betreiben (was im Alltag natürlich eher selten vorkommt), Fördermittel für einen Verein oder ein Projekt beantragen oder nur eine Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht plant: Der Gesetzesdschungel, in den man gerät, scheint fast undurchdringlich. Und man fühlt sich ein bisschen wie Josef K. in Kafkas Prozess, auch wenn man natürlich nicht verhaftet wird, sondern nur fürchtet, sich hoffnungslos zu verirren.

Viele Gesetze und die damit verbundenen Regelungen und Vorschriften, sind so formuliert, dass sie selbst für Menschen, die Texte gut erfassen und auch mit mindestens durchschnittlicher Intelligenz gesegnet sind, kaum zu durchschauen sind. Wer zu seinem Recht und/oder zu seinem Geld kommen will, braucht oft die Hilfe eines Juristen.

ABM für Juristen

Das ist kein Zufall, sondern hat möglicherweise Methode. Die Gesetzgebung ist, so scheint es, ein gigantisches Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristen, gegenwärtige und zukünftige. Oder – weniger nett formuliert – ein Selbstbedienungsladen.

Das ist aus Juristensicht durchaus nötig. Laut statista gab es am 1. Januar 2018 rund 164.700 zugelassene Rechtsanwälte in Deutschland – das ist einer pro 485 Einwohner.  1960 waren es erst 18.347 Anwälte. Nicht enthalten in dieser Zahl sind die unzähligen Juristinnen und Juristen, die als Richterinnen und Staatsanwälte, in Verwaltungen, in großen Firmen, als Lobbyisten oder als Politikerinnen arbeiten.

Zum Vergleich: 2017 gab es in Deutschland laut statista 385.100 berufstätige Ärzte. Also etwa einen pro 200 Einwohner. Das klingt nach viel mehr. Berücksichtigt man aber, wie oft Ottilie Normalverbraucherin zum Arzt geht und wie oft zum Anwalt, relativiert sich der erste Eindruck. Ich selbst war, obwohl ich ziemlich gesund bin, in diesem Jahr bei fünf verschiedenen (Zahn-)Ärztinnen und Ärzten. Die Dienste eines Rechtsanwalts habe ich dagegen erst einmal in meinem ganzen Leben beansprucht (aber das ist eine andere Geschichte). Es soll sogar Menschen geben, die ihr Leben lang ohne anwaltlichen Rat auskommen!

Gesetze: Von Juristen für Juristen

Die Juristen-Lobby tut alles, damit sich das ändert. Da ist es natürlich hilfreich, dass laut Berliner Zeitung die Juristen im Bundestag, wo Gesetze erlassen werden, mit mehr als 20 Prozent aller Abgeordneten deutlich überrepräsentiert sind. 152 der 709 Bundestagsabgeordneten haben Jura studiert. Und weil eine Krähe der anderen bekanntlich kein Auge aushackt und Menschen aus gleichen (Berufs)gruppen sich  oft einander verbunden fühlen, sind die Gesetze, die die Volksvertreterinnen und Volksvertreter verabschieden, selten zum Schaden des Berufsstands.

Bei so viel politischem Rückhalt verwundert es nicht, dass Jura immer noch zu den beliebtesten Studiengängen  gehört, obwohl es – im Gegensatz zu Ärztinnen, Lehrern, Naturwissenschaftlerinnen, Ingenieuren, Krankenschwestern oder Kindergärtnern keinen Juristenmangel, sondern eher eine -schwemme gibt. Laut Absolventa ist Jura nach Medizin der Studiengang mit den besten Verdienstaussichten. Außerdem braucht man fürs Jurastudium weder ein besonders gutes Abi – wie beispielsweise für Medizin oder Psychologie  – noch besondere mathematische, naturwissenschaftliche, sprachliche oder pädagogische Begabungen. Soziale Einstellungen, Glaube oder eine bestimmte Überzeugung sind ebenfalls nicht erforderlich, sondern möglicherweise für die Karriere eher hinderlich. Das gleiche gilt für Gerechtigkeitssinn: Denn vor Gericht, lautet eine alte Juristenweisheit, bekommt man kein Recht, sondern ein Urteil. Und das ist leider allzuoft nicht gerecht.

Gesunder (Menschen)Verstand statt juristische Spitzfindigkeit

Womit wir wieder am Anfang wären und bei der OECD-Empfehlung: Es könnte die Akzeptanz und die Qualität von Gesetzen erhöhen, wenn Menschen mit weniger juristischer Spitzfindigkeit, aber gesundem Menschenverstand stärker und früher in die Gesetzgebung eingebunden würden. Dann würden künftig vielleicht nicht mehr alle dem eingangs nicht zitierten Satz zustimmen.

Den OECD-Bericht sowie weitere Informationen finden Sie auch auf unserer Website unter: http://www.oecd.org/berlin/publikationen/ausblick-regulierungspolitik-2018.htm

BPS: Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Alle guten, ehrlichen, rechtschaffenen und gerechtigkeitsschaffenden Juristinnen und Juristen sind natürlich nicht gemeint.

 

Herbst im Garten

Das nenne ich Timing. Vor ein paar Tagen haben wir die letzte Pflanze – eine Strelitzie – umgetopft und von der Sommerfrische auf der Terrasse in den Wintergarten zurückgeholt, in der Nacht gab es den ersten Bodenfrost – am Morgen war der Rasen mit einer dünnen Reifschicht bedeckt. Die anderen Pflanzen und der schwere Gartentisch waren schon ein paar Tage vorher in ihr Winterquartier im Wintergarten umgezogen. Denn die Platte mit Mosaiksteinen verträgt leider – genau wie Vogeltränke mit den Fröschen – keine Minustemperaturen. Für  uns bleibt zwischen all den Pflanzen kaum mehr Platz, aber im Wintergarten ist es in den nächsten Monaten meist ohnehin zu kalt. Wenn allerdings in den Mittagsstunden die Sonne hineinscheint, kann man es dort sogar im Dezember und Januar aushalten.

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Die Sonne hat in den letzten Monaten wirklich ihr Bestes gegeben. Der Sommer und der folgende Indian Summer waren nicht nur schöner und wärmer als die meisten, die ich erlebt habe, sondern auch länger. Daran, dass ich, bekennende Frostbeule, Mitte November im Sweatshirt im Garten gearbeitet habe, kann ich mich nicht erinnern.

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Rosen im Herbst

Sicher lag es auch am guten Wetter, dass wir mit der Gartenarbeit weiter gekommen sind als in den letzten Jahren. Mein Mann hat die Sträucher geschnitten, ich die Blumen und Stauden und den Teich von den Blättern befreit. Apfel- und Kirschbaum haben wir einen Schnitt vom Profi gegönnt – sie haben es sich redlich verdient. Denn sie haben in diesem Jahr getragen wie noch nie: Unser Apfelvorrat reicht gewiss noch bis ins neue Jahr, ebenso unsere eingekochte Kirschmarmelade. Die Brombeeren, die am Zaun zum Nachbargrundstück wuchern, waren zum ersten Mal wirklich süß und reif, Trauben haben wir schon im August geerntet. Und die letzte reife Erdbeere habe ich vor ein paar Tagen entdeckt, als ich in meinem Rosen-Erdbeeren-Beet einen Platz für die neue Christrose suchte.

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Die  letzte Erdbeere des Sommers

Dabei habe ich, versteckt unter verwelkten Erdbeerblättern, verblühten Rosen und Stockrosen zwei Christrosen entdeckt, die ich im letzten Jahr gepflanzt habe. Das Beet macht also seinem Namen alle Ehre – auch wenn ich für die neue Christrose einen anderen Platz gefunden habe. Sie blüht jetzt unter meinem Lieblingsbaum, der hoch gewachsenen Eberesche. Sie ist winterhart, der Frost macht ihr nichts aus. Und vielleicht schafft es die eine oder andere Blüte auch bis zu Weihnachten, dem Fest, das der Blume ihren Namen gab.

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Die roten Blüten des Ananassalbeis haben die erste Frostnacht leider nicht überlebt und auch die Pflanze selbst lässt die Blätter schon jetzt bedenklich hängen. Ich werde im nächsten Frühjahr eine neue pflanzen, weil ich ihren Duft und ihre Blüten mag. Ihr Bruder, der echte Salbei, sieht nach dem Temperatursturz zwar ebenfalls nicht sonderlich glücklich aus, hat aber bessere Chancen. Er ist an die Temperaturen hierzulande besser gewöhnt und hat schon manchen Winter in unserem Garten überstanden. Und auch Lavendel und Rosmarin machen moderate Minusgrade nichts aus. Über ihren Duft freue ich mich auch in den nächsten Monaten, wenn ich im Vorbeigehen ein Blatt oder einen Stengel abpflücke, einstecke und so ein Stück Garten immer in meiner Tasche trage.

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Ananassalbei vor dem Frost

Und während ich diesen Beitrag online stelle, fängt es draußen an zu schneien. Der Indian Summer ist endgültig vorbei.

 

Fortsetzung (er)folgt

Ich habe sie geliebt, die Fünf-Freunde-Bücher von Enid Blyton, auch wenn sie – im Nachhinein betrachtet – erzkonservativ und vielleicht sogar schlimmeres waren. Für all die, die die Bücher nicht kennen, weil sie zu jung sind oder einen anderen Lesegeschmack hatten: Im Mittelpunkt stehen zwei Mädchen, zwei Jungen und ein Hund, der fünfte der fünf Freunde. Die Kinder leben im Internat, die Cousinen Georgina und Anne in einem, Annes Brüder Dick und Julian in einem anderen. Weil die Eltern in den Ferien immer wichtigeres zu tun haben, als ihre Kinder zu bespaßen – mal stirbt die Tante, mal findet ein Kongress statt –, sind die fünf meist sich selbst überlassen. Und sie geraten von einem Abenteuer ins andere: Sie finden und befreien entführte Kinder, kommen Schmugglern oder Diebesbanden auf die Spur.

Ich mochte vor allem Georginia, die „schwierigste“ unter den fünf Freunden, ein Mädchen, das eigentlich lieber ein Junge gewesen wäre und sich George nannte. Wie gerne hätte ich mit ihr getauscht, wie gerne hätte ich statt zwei Schwestern eine Cousine, Cousins und einen Hund gehabt, die zu mir gehalten, mit mir durch dick und dünn gegangen wären. Da hätte ich sogar Julian, den ältesten der fünf, einen Besserwisser und Moralapostel, und die stets tugendhafte Anne gerne in Kauf genommen. Denn nobody und nothing ist ja bekanntlich perfect.

Willkommen in der Gegenwart

Kein Wunder also, dass ich ein Buch kaufen musste, als 50 Jahre nach Enid Blytons Tod die Fortsetzung der Fünf-Freunde-Reihe in der kleinen Buchhandlung in Hannover vor mir lag. Die fünf Freunde sind erwachsen geworden, sie leben nicht mehr im Internat, sondern teilen sich eine Wohnung in London. Wovon sie leben, erfährt man nicht. Sie müssen weder zur Arbeit noch zur Uni, haben aber trotzdem alles, was das Herz begehrt. Aber so ist das mit der englischen Oberschicht.

Zwei Bücher sind bislang auf Deutsch im Riva Verlag erschienen, in einem essen die fünf Freunde glutenfrei, im anderen werden sie Helikoptereltern. Ich habe mich für die Helikoptereltern entschieden. Weil sie einen diebischen entfernten Verwandten samt Partnerin hinter Gittern bringen, müssen sich die fünf als nächste Verwandte um das Baby des Paars kümmern: Als Eltern wider Willen geht es ihnen so wie vielen Eltern beim ersten Kind: Sie sind überfordert und haben zunächst ständig Angst, dass sie etwas falsch machen, wohl auch, weil die kleine Lilly ein Schreikind ist. Aber wie früher scheuen die fünf kein Abenteuer und stellen sich der Herausforderung. Sie gehen mit Lilly zum Babyschwimmen und in die Vätergruppe und überlegen, ob ein Sprach-, Karate- und Achtsamkeitskurs das Beste fürs Baby ist. Und damit Lilly später auf eine gute Schule gehen kann, suchen sie eine Wohnung in einem anderen Bezirk. Doch dann kommt alles anders …

Die Fortsetzungen schreibt übrigens der Brite Bruno Vincent – anders als früher werde ich die Bücher sicher nicht alle lesen. Aber ein weiteres Buch der Reihe habe ich mir auf Englisch bestellt, weil es gerade so aktuell ist: „Five Escape Brexit Island“.  Theresa May braucht, so scheint es, mindestens fünf Freunde, die ihr beistehen.

 

Gedichte und Gedanken

„Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum …“

Die ersten beiden Zeilen des Gedichts spukten bei meinem Spaziergang durch die Herrenhäuser Gärten ständig in meinem Kopf. Wer es geschrieben hat (Christian Friedrich Hebbel) habe zugegebenerweise im Internet recherchiert, als ich wieder zu Hause war, genauso wie den Titel (Herbstbild) und den Rest des Gedichts: Denn ab der dritten Zeile hatte mein Gedächtnis Lücken. Immerhin stimmte der Anfang und passte gut zu diesem Tag, der zwar frostig begonnen, aber sonnig warm weitergegangen ist. Ein Novembertag eben, wie er schöner nicht sein konnte

Herrenhausen war an diesem sonnigen Herbsttag eine gute Wahl – vor allem der Berggarten fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Bei jedem Besuch sieht der Garten anders aus – und ich bedaure wirklich, dass ich kein Gedächtnis für Pflanzen habe.

Daran, dass wir im Unterricht parallel zu dem eher fröhlichen Herbstgedicht auch Hebbels melancholisches Gedicht „Sommerbild“ behandelten, erinnere ich mich dagegen noch auch nach mehr als einem halben Jahrhundert noch. Es ist auch heute noch eines meiner Lieblingsgedichte. Ein Foto zu diesem Gedicht – „des Sommers letzte Rose“ – habe ich vor einem Monat im Garten meines Elternhauses aufgenommen: „Sie war, als ob sie bluten könne, rot“.

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Die letzte Rose in Neumagen …

Zum Abschied von meinem Elternhaus passend handelt auch „Sommerbild“ – für ein Sommergedicht eher ungewöhnlich, von Verfall und Abschied. Die Rose in Neumagen erwies sich allerdings als widerstandsfähiger als Hebbels Rose. Sie hat die Prozedur unbeschadet überstanden und blüht vielleicht heute noch.

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… und die wohl wirklich letzte Rose des Sommers heute in unserem Garten.

Meinem Deutschlehrer verdanke ich übrigens noch ein weiteres Lieblingsgedicht – es ist, passend zum gestrigen 9. November – die Todesfuge von Paul Celan. Denn am 9 November (1989) fiel nicht nur die Mauer und es wurde nicht nur die erste deutsche Republik ausgerufen (1918) – ja, wir können auch Demokratie und Revolution. Am 9. November brannten Synagogen, Wohnungen und Läden von Juden. Es starben Menschen und die Menschlichkeit. Die systematische Verfolgung der Juden begann. Der Tod wurde, wie es in Celans Gedicht heißt, ein Meister aus Deutschland.

Dass es Anfang der siebziger Jahre nicht selbstverständlich war, im Unterricht solche Gedichte zu lesen oder Filme wie „Bei Nacht und Nebel“, einen Dokumentarfilm über die NS-Vernichtungslager und den Holocaust zu sehen, habe ich erst später gemerkt (Danke H. E.). Bei Bekannten, die wie ich damals zur Schule gegangen sind, kam die Zeit des Nationalismus in der Schule gar nicht oder kaum vor. Die Novemberpogrome 1938 wurden lange verharmlosend als Reichskristallnacht bezeichnet. Vieles wurde damals totgeschwiegen, unter den Teppich der Geschichte gekehrt.

Und heute melden sie sich wieder lautstark zu Wort, die Verharmloser, die Verniedlicher, die alten und die neuen Nazis. Die „mit den Schlangen“ spielen und wollen, dass der Tod wieder „ein Meister aus Deutschland“ wird. Antisemitismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit werden wieder gesellschaftsfähig. Viele haben, so scheint es, aus der Geschichte nichts gelernt. Ob da Gedichte helfen?

Zum Nachlesen

http://www.literaturwelt.com/werke/hebbel/herbstbild.html

http://www.literaturknoten.de/literatur/h/hebbel/poem/ichsahdes.html

https://www.lyrikline.org/de/gedichte/todesfuge-66

Abschied vom Elternhaus

Nach Neumagen. Zum vierten und wahrscheinlich letzten Mal in diesem Jahr. Und wohl zum letzten Mal in mein Elternhaus. Denn das Haus ist verkauft, meine Schwester hat den Kaufvertrag im vergangenen Monat unterzeichnet.

Seit meinem letzten Besuch hat sich eigentlich wenig getan. Einige Möbel, manche Bilder und die Kleider meiner Mutter haben wir beim Umzug im Januar mitgenommen. Ein paar Sachen haben meine Schwestern bei ihrem letzten  Besuch eingepackt. Aber die meisten Möbel stehen noch. Und trotzdem hat sich seit meinem letzten Besuch im Juli etwas verändert: Das Haus hat für mich seine Seele verloren.

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Die Mosel zeigt sich beim Abschied von ihrer herbstlich schönsten Seite – im Nebel versunken am Morgen …

Ich bin froh, dass meine Tochter mich begleitet. Sie hat in Trier studiert und ihre Großeltern während des Studiums oft besucht. Sie hängt am Haus – und hat hier noch manche Studienunterlagen zwischengelagert. Jetzt sortiert sie eifrig aus, wirft weg, was sie nicht mehr braucht, füllt nicht nur die eigene, sondern auch die Papiertonne von Freunden, die in der Nachbarschaft wohnen.

Weil die Käufer das Haus mitsamt Möbeln und Inventar übernehmen, müssen wir es nicht leerräumen: Das erspart uns nicht nur viel Zeit und Geld, sondern auch das Gefühl, das Leben meiner Eltern zu entsorgen. Das wäre mir sicher schwer gefallen. So freue ich mich, dass die Möbel weiter genutzt werden – der Abschied fiel mir leichter als befürchtet.

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… und am Abend, an fast der gleichen Stelle auf Zummet bei Trittenheim.

Es gab schöne Momente – gemeinsame Fototouren mit meiner Tochter zum Beispiel und gute Gespräche mit Freunden und Nachbarn – und berührende. So entdeckte meine Tochter ein Kästchen aus Holz, verziert mit Herzen. „Schmuckkästchen für N“, hatte mein Vater auf einen Zettel geschrieben, der mit einem Kettchen mit Herzanhänger im Kästchen lag. Er hatte ihr das Kästchen nie gegeben, vielleicht hat er es, als die Demenz ihn einfing, vergessen. Sie nimmt es natürlich mit – ein später Gruß von ihrem vor acht Jahren gestorbenen Opa – , ebenso wie einen Stempel mit den Initialen ihres Urgroßvaters und einen Schuhlöffel mit der Aufschrift: Michel Rodens, Schuhhandlung. Mein Großvater war Schuhmachermeister. Vielleicht hat meine Tochter von ihm ihr Talent für Lederarbeiten geerbt.

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Ungewohnter Anblick und herrlicher Ausblick: Ziegen auf Zimmet über Piesport

Die meisten Dinge, die ich einpacke, haben eher Erinnerungs- als materiellen Wert: eine alte Pfanne aus Gusseisen beispielsweise, eine Muskatreibe aus Blech inklusive Muskatnuss, ein Teeei , ein Rührlöffel, dessen Laffe im Laufe der Jahre halb abgewetzt ist, zwei Weingläser mit angeschlagenen Rändern, einen alten Bademantel und die Armbanduhr meiner Mutter, die schon seit Jahren nicht mehr funktioniert.

Vom Rosenthal-Kaffeegeschirr gibt es nur noch drei Tassen, ich nehme die drei vollständigen Gedecke mit, ebenso wie eine Sammeltasse, die ich zur ersten Kommunion Mitte der sechziger Jahre bekommen habe. Damals fand ich die Tasse scheußlich, heute gefällt mir das Muster. Benutzen werde ich die Tasse allerding wohl nie, weil gerade mal ein Schluck Kaffee hineinpasst. Das Silberbesteck hat meine älteste Schwester unter uns dreien aufgeteilt – zwei Messer und Gabeln für jeden. Aber an Kuchengabeln mangelt es mir jetzt  gewiss bis zum Lebensende nicht mehr.

Am Ende passt alles in unseren Kleinwagen. Den Esszimmerschrank und ein dazu passendes Regal – Erbstücke meiner Großtante – lasse ich von einer Spedition nach Hannover bringen. Da bei uns kein Platz ist, gewährt  meine Tochter ihm in ihrer Küche Asyl.

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Der alte Schrank aus dem Esszimmer meiner Eltern bekommt bald eine neue Heimat.

Zurück bleiben viele Bücher, noch mehr Erinnerungen und einige Menschen, mit denen ich in Verbindung bleiben werde. Auch wenn ich nicht mehr so oft wie bisher an die Mosel fahren werde.

Reformationstag, Allerheiligen und Halloween

Nein, ich bin kein Halloweenfan, aber das Haus am Rand von Isernhagen beeindruckt mich jedes Jahr aufs Neue. Jedes Jahr sieht es ein bisschen anders aus. Heute habe ich zum ersten Mal dort geklingelt und gefragt, ob ich Bilder in meinem Blog posten darf. Ich darf, sagte die Frau, die mir öffnete, verkleidet, weil hier offenbar Halloween gefeiert wird.

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Die Gelegenheit ist seit diesem Jahr günstig, weil der 31.10. seit vergangenem Jahr in Niedersachsen gesetzlicher Feiertag ist. Nicht wegen der Geister, sondern wegen Martin Luther: Am 31.10.1517 soll er seine Thesen an die Schlosskirche von Wittenberg genagelt und so die Reformation eingeleitet haben. Belegt ist das Datum nicht. Aber die Wahl – der Abend vor Allerheiligen, der All Saints oder All Hallows‘ Eve – macht Sinn. Schließlich war der Heiligenkult der (guten) alten römischen Kirche dem Reformator ein Dorn im Auge – und auch, dass man durch den Ablasshandel die Seelen der Verstorbenen aus der Hölle oder dem Fegefeuer freikaufen konnte.

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All die, die beklagen, dass der christliche Reformationstag durch ein heidnisches Feier okkupiert wird und seine Bedeutung verliert, seien daran erinnert: Samhain, den Vorläufer von Halloween, gab‘s schon in vorchristlicher Zeit. Für die Kelten begann in dieser Nacht der Winter – und die Herrschaft des Todesfürsten. In dieser Nacht öffnete sich die Tür zur Parallelwelt, die Toten konnten hindurch und in die Körper der Lebenden schlüpfen. Um sich zu tarnen und um die bösen Geister abzuschrecken, verkleideten sich die Menschen in dieser Nacht. Außerdem opferten sie soul cakes, um die herumspukenden Geister zu besänftigen. Trick or treat, heißt das bei kleinen Halloweenfans, die allerdings Süßigkeiten bevorzugen.

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Jedi meets Halloween

Die Kirchenoberen übernahmen das keltische Fest, „christianisierten“ und integrierten es als Allerheiligen in ihren Festkalender – wie sie es auch mit anderen heidnischen Feiertagen taten. Weihnachten und Ostern sind die wohl bekanntesten Beispiele.  Kein Grund also, über die Heidnisierung von Reformationstag und Allerheiligen zu jammern. Jetzt erobern die Geister ihr Fest zurück.

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