Auf ein Neues

Wir haben lange nachgedacht, ob wir es tun sollen. Ob es die richtige Entscheidung ist und der richtige Zeitpunkt. Ausgerechnet jetzt. Corona ist noch lange nicht vorbei, die politische Situation ist seit Russland Krieg gegen die Ukraine führt unsicherer denn je, die Spritpreise sind auch deshalb so hoch wie noch nie. Und weil die Klimakrise längst eine Klimakatastrophe ist, müsste man eigentlich ganz aufs Autofahren verzichten. Oder zumindest ein Elektroauto kaufen.

Aber dann haben wir es doch wieder getan. Vier Jahre, nachdem wir unser altes Wohnmobil verkauft haben, haben wir ein neues gekauft. Mit Dieselmotor, weil Wohnmobile mit E-Motor für uns noch zu teuer sind, zu geringe Reichweiten haben – und überdies gaaanz lange Lieferzeiten.

Die sind bei Wohnmobilen zurzeit überhaupt sehr lang: Wer ein neues Wohnmobil bestellt, muss fast ein Jahr Geduld haben. Als wir im Internet das Modell gefunden haben, das wir haben wollten, haben wir schnell zugeschlagen. Denn wer 70 Jahre alt ist wie mein Mann oder auf die 70 zugeht wie ich, hat nicht mehr endlos Zeit.

Je älter ich werde, desto größer wird meine Sehnsucht nach Wasser. Da ich mir wahrscheinlich nie ein Haus am Meer leisten kann, möchte ich zumindest ab und zu ein paar Tage am Meer verbringen, den Sonnenauf- oder -untergang an einem See erleben oder auch in den Alpen. Natürlich könnten wir einfach losfahren oder losfliegen, uns irgendwo ein Hotelzimmer oder eine Ferienwohnung mieten. Doch wir haben es nur selten getan – oder um ehrlich zu sein: Spontan verreist ohne vorher ein Zimmer oder eine Wohnung zu buchen sind wir eigentlich nie.

Wegen Corona waren wir in den letzten Jahren ohnehin sehr wenig unterwegs. Doch das soll sich ändern. Ab Herbst bin ich Rentnerin, und bevor ich zu alt, zu krank oder auch zu bequem zum Reisen bin, möchte ich noch etwas von der Welt sehen. Vor allem von Europa und von Deutschland.

Fliegen ist, das habe ich bei meinem letzten Flug wieder einmal festgestellt, nicht mein Ding. Nicht nur der Flug selbst, sondern das ganze Drumherum stresst mich. Ich bin meist viel zu früh am Flughafen, vertrödele dort einen Großteil der Zeit, die ich durchs Fliegen eigentlich einsparen könnte. Und wenn ich an der Sicherheitskontrolle meinen Rucksack mit diversen technischen Geräten aus- und wieder eingepackt habe, ist ein Teil der Erholung schon wieder perdu. Außerdem finde ich es schade, dass ich so viele Landschaften überfliege, ohne etwas von ihnen zu sehen.

Für mich ist oft der Weg das Ziel. Bei unseren früheren Wohnmobilreisen haben wir auf dem Weg zu unserem Reiseziel viele wunderschöne Orte entdeckt, an denen wir dann gerne geblieben sind. Auf dem kleinen Campingplatz in der Normandie zum Beispiel, wo ich jeden Morgen mit Blick auf den Atlantik aufgewacht bin, oder in Verona, wo wir zwei Opern in der antiken Arena miterleben durften.

Auf dem Weg zum Meer

Die meisten Orte, die noch auf meiner To-visit-Liste stehen, können wir mit dem Wohnmobil erreichen. Ich möchte zum Beispiel in den nächsten Jahren nach Südnorwegen, in die Bretagne oder nach Portugal. Wieder einmal an die Mosel und ins Elsass und endlich einmal an den Bodensee und in die Alpen. Und neben längeren Fahrten stehen vor allem auch kürzere Ausflüge in die nähere und etwas weitere Umgebung auf meiner Wunschliste: mal ein paar Tage an die Ost- oder an die Nordsee, an die Müritz, an den Dümmer oder nach Worpswede. Einfach mal raus, eine kleine Auszeit zwischendurch.

Natürlich hat sich vor dem Kauf mein Umweltgewissen gemeldet: Denn bei der Herstellung und beim Fahren produzieren Wohnmobile leider mehr umweltschädliche Emissionen als „normale“ Autos. Doch weil wir uns für ein ganz kleines Wohnmobil entschieden haben, ist der Unterschied nicht so groß: Unser Wohnmobil verbraucht weniger Sprit als die meisten Sportwagen oder SUVs –  und wir beim Aufenthalt auf dem Camping- oder Stellplatz weit weniger Energie und Wasser als Urlauber im Hotel oder in einer Ferienwohnung. Und umweltfreundlicher als Flug- und Schiffsreisen sind Fahrten mit dem Wohnmobil allemal.

Nachtrag zum Muttertag

In den Herrenhäuser Gärten sind die drei Schauhäuser wieder geöffnet, die wegen Corona lange geschlossen waren. Vor fast vier Jahren haben wir, meine Tochter, mein Mann und ich,  mit meiner Mutter das Orchideenhaus besucht. Sie hat Orchideen geliebt, aber sie kannte nur die, die auf Fensterbänken in engen Töpfen ihr meiner Meinung nach ziemlich trostloses Dasein fristen.

Ich hatte mir oft vorgenommen, meiner Mutter das Orchideenhaus im Berggarten in Hannover zu zeigen. Doch immer, wenn sie uns besuchte, kam irgendetwas dazwischen, war irgendetwas anderes wichtiger. An ihrem 94. Geburtstag haben wir es endlich geschafft.

In dem gläsernen Schauhaus kann man die Orchideen zwar nicht in „freier Wildbahn“ erleben, aber man bekommt doch eine Ahnung, wie die Pflanzen in ihrer natürlichen Umgebung wachsen. Die Orchideensammlung im Berggarten gilt als eine der bedeutendsten Sammlungen in Europa. 3.000 verschiedene Arten sowie 1.000 Sorten und Hybriden sollen im Berggarten zu Hause sein – auch solche, die an ihrem eigentlichen Standort ausgestorben sind (https://www.hannover.de/Herrenhausen/Herrenhäuser-Gärten/Berggarten/Orchideen).

Meine Mutter war von der Blütenpracht beeindruckt und sie hat den Ausflug, der ihr letzter sein sollte, sehr genossen. Die Fotos, die mein Mann und meine Tochter gemacht haben, hat sie sich in den nächsten Wochen und Monaten oft und gerne angesehen.

Jetzt hat meine meine Tochter mir zum Muttertag ein kleines Album mit Fotos von gemeinsamen Wanderungen geschenkt. „Do more of what makes you happy“, steht auf dem Cover. Ich habe mir vorgenommen, ihren Rat zu beherzigen – und zwar jetzt, und nicht erst, wenn ich über 90 bin.

Arme Hasen

Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Die kleine Hasenfamilie hatte sich heute Morgen in unserem Wintergarten niedergelassen. Vielleicht, weil es unter dem schützenden Glas wärmer war als draußen im Garten im grünen Gras.

Gestern wäre das kein Problem gewesen. Doch leider haben die Hasen nicht bedacht, dass am heutigen Ostersonntag die sechswöchige Fastenzeit endet.

Seit Aschermittwoch habe ich auf Schokolade und andere Süßigkeiten verzichtet. Aber als ich dann die Hasen sah, war es mit meiner Beherrschung vorbei. Ich konnte – trotz Brut- und Setzzeit und des derzeit geltenden Jagdverbots – der lila Versuchung nicht widerstehen und bin zur Hasenmörderin geworden.

Die kleinen Hasen sind davongelaufen und haben sich versteckt. Aber ich fürchte, dass sie ohne ihre Mutter nicht lange überleben werden. Vermutlich werde ich sie schon bald aufspüren. Denn meine Gier nach Schokolade ist nach der wochenlangen Abstinenz noch nicht gestillt. Und mein Schokohunger ist leider der Hasen Tod.

Ich wünsche euch trotzdem schöne Ostern

Dann geh doch nach drüben

Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Satz je sagen würde: „Dann geh doch nach drüben.“ Als ich jung war, haben (fast) alle diesen Satz gehört, die politisch links standen oder auch nur linkere Ansichten hatten als ihr Gegenüber. Das war, als Birne Kohl noch Ministerpräsident in meinem Heimatland Rheinland-Pfalz war, wahrlich keine Kunst.

Den Jüngeren, die den leicht abgewandelten Satz nur aus der Werbung kennen, sei es gesagt: Mit „drüben“ war nicht der Discounter auf der gegenüberliegenden Straßenseite gemeint, sondern die Staaten östlich des sogenannten Eisernen Vorhangs. Der Grenze, die Deutschland, Europa und die Welt damals in zwei Blöcke teilte:  in die Staaten des Ostblocks unter Führung des großen Bruders UdSSR und in die Nato-Staaten und ihre Freunde und Verbündeten im Westen.

Die DDR und die UdSSR, wohin uns die Konservativen schicken wollten, gibt es nicht mehr; Russland ist für linke, kritische Geister gewiss kein Traumland. Die Hoffnung, dass demokratischer Wandel durch Handel und Dialog möglich sei, wurde durch den russischen Überfall auf die Ukraine jäh zerstört. Selbst viele PolitikerInnen der Linken, die lange viel Verständnis für Putin und seine Politik hatten, distanzieren sich inzwischen von der russischen Politik und verurteilen den verbrecherischen, völkerrechtswidrigen  Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie den  massiven Demokratieabbau in Russland.  

Putins neue Freunde und Unterstützer kommen vorwiegend aus dem extrem rechten Lager. „Ob Marine Le Pen, Matteo Salvini, die AfD oder Viktor Orban: Wladimir Putin hat sich in Europa ein ganzes Netzwerk an rechten Cheerleadern aufgebaut. Sie alle eint, dass sie die EU torpedieren und europäische Zusammenarbeit ablehnen“, sagte Daniel Freund, Europaabgeordneter der Grünen,  im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), nachzulesen in der heutigen Ausgabe der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Sie verbreiten überall in Europa „den Hass und die Falschnachrichten aus dem Kreml in ihren Netzwerken“ (https://epaper.haz.de/webreader-v3/index.html#/939264/6).

Außerhalb der EU zählen unter anderen der syrische Diktator Assad, der brasilianische Präsident Bolsonaro oder Donald Trump zu Putins Kumpanen. Was passiert wäre, wenn die russische Armee in seiner Amtszeit die Ukraine überfallen hätte, mag ich mir gar nicht ausmalen. Trump hätte, anders als die amerikanische Regierung unter Joe Biden, die Ukraine gewiss nicht gegen seinen Freund Wladimir unterstützt. 

Putins rechte Freunde und alle Leerdenker sind der Grund, warum ich jetzt den alten Satz wieder ausgrabe und sage: „Dann geht doch nach drüben.“ Geht zu eurem Freund Wladimir und bleibt dort. Wir vermissen euch nicht.

Schreiben mit der Hand 2.0

Natürlich habe ich einen Computer. Genau gesagt sogar mehrere, wenn man all die abgelegten mitzählt, die ich aufbewahre und gelegentlich noch nutze. Viele Texte – zum Beispiel Artikel, Blogbeiträge oder Essays – schreibe ich direkt  am Computer. Aber ich schreibe immer noch gerne und viel mit der Hand: in mein Tagebuch und in mein Fünf-Jahres-Buch natürlich, aber auch Mitschriften von Workshops, Pressekonferenzen oder Interviews. Zum einen aus alter Gewohnheit. Zum anderen aber auch, weil Studien belegen, dass beim Schreiben mit der Hand mehr Hirnareale aktiviert werden als beim Tippen – angeblich zwölf – und dass Mitgeschriebenes besser im Gedächtnis bleibt als Mitgetipptes. Auch unterwegs – im Zug, im Café oder draußen im Freien – notiere ich meine Gedanken gerne auf Papier.

Der Nachteil: Manches Handgeschriebene musste ich bislang abtippen, wenn ich es in Artikeln, Blogbeiträgen oder anderen Texten verwenden wollte. Doch die Zeiten sind vorbei. Denn bei der Recherche für einen Artikel, der gerade in der neuen Ausgabe der Zeitschrift Bildung Spezial erschienen ist, habe ich zufällig eine Lösung bzw. das richtige Gerät für mich entdeckt (https://www.friedrich-verlag.de/digitale-schule/digital-unterrichten/das-beste-aus-zwei-welten/). Genauer gesagt: Mein Interviewpartner Dr. Markus Weber, Experte für künstliche Intelligenz beim Stifttablet-Hersteller Wacom, hat mir das Bamboo Slate Smartpad empfohlen.* Vielen Dank dafür.

Für mich ist das Notepad ein echter Geheimtipp: Ich habe in mehreren Technikkaufhäusern vergeblich danach gesucht, um es vor dem Kauf selbst auszuprobieren. Die Verkäufer, die ich um Rat fragte, hatten noch nie davon gehört. Sie fanden es erst im Internet, als ich ihnen Namen und Hersteller nannte: Ich sei die erste, die nach „so etwas“ fragen würde, meinten sie. Sie rieten mir, ein normales Tablet zu kaufen – auch darauf könne ich ja mit einem digitalen Stift Notizen machen. Es gebe sogar Tablets mit papierähnlichen, weniger rutschigen Oberflächen. Doch die sind für mich, bekennender Papierfreak, keine wirkliche Alternative.

Bei meinem Bamboo Slate schreibe ich auf richtigem Papier – mit einem speziellen Stift, der beim Kauf mitgeliefert wird. Spezielles Papier wird dagegen nicht gebraucht. Ich habe den mitgelieferten Block inzwischen durch einen anderen ersetzt – weil ich lieber auf Blanko-Papier schreibe als auf gepunktetem, aber auch, um zu testen, ob die Übertragung wirklich mit beliebigem Pappier klappt.

Es funktioniert, auch wenn ich nicht wirklich verstehe wie. Mithilfe der kostenlosen App Inkspace wird das, was ich schreibe, auf mein Notebook übertragen und dann in eine Doc-Datei oder in ein anderes Dateiformat exportiert. Einziger winziger Wermutstropfen: Die Übertragung auf mein Smartphone klappt nicht so, wie sie sollte. Doch weil ich diesen (Um)Weg nicht brauche und die Texte auf meinem Notebook speichere und verarbeite, stört es mich nicht wirklich.

Dafür kann die App meine Schrift erstaunlich gut, ja sogar sehr gut, entziffern, was nach Aussagen meines Mannes an ein Wunder grenzt. Nur selten scheitert sie an einzelnen Worten und macht beispielsweise aus meinem Fünf- ein Fuß-Jahresbuch. Das liegt aber auch daran, dass Buchstaben wie u, m, n und h bei mir ganz ähnlich aussehen. Die Nacharbeit hält sich in Grenzen; dass ich mir angewöhne, etwas leserlicher zu schreiben, ist ein positiver Nebeneffekt. Und vielleicht erkennt die App dank künstlicher Intelligenz ja irgendwann sogar, dass ich i-, j-, ä-, ü- und ö-Striche fast immer auslasse und ergänzt sie automatisch.

Die Übertragung zwischen Notepad und Notebook erfolgt per Bluetooth. Bis ich die Geräte verbinde – manchmal erst Tage später –, werden die Texte zwischengespeichert. Ich muss also mein Notebook nicht immer dabeihaben, wenn ich schreiben möchte. Auch das weiß ich zu schätzen, denn das Smartpad ist wesentlich leichter als mein Notebook: Es sieht nicht nur aus wie ein Klemmbrett, sondern wiegt auch kaum mehr: mit Schreibblock gerade mal 670 Gramm. Auch das erleichtert – im wahrsten Sinne des Wortes – manches.

*enthält unbezahlte Werbung

**Übertrag Text A. Auf dem Weg zum Schreibtreff . Der Anfang des Blogs skizziert auf meinem neuen Block . : Natürlich habe ich einen Computer . Genau gesagt habe ich sogar mehrere .

Übertrag Text B: 27 . 3 . Test auf anderem Papier . Ich habe ein­fach einen anderen Block in das Gerät gesteckt . Diesmal blanko , weil ich am liebsten darauf schreibe . Bin auf das Ergebnis gespannt .

Wacom Bamboo Slate Smartpad A4, Notepad (mit Digitalisierungs-Funktion inkl. Eingabestift mit Kugelschreiber-Mine, geeignet für Android & Apple)

Üben

Halbzeit. Drei Wochen der sechswöchigen Fastenzeit sind vorbei. Und wie schon in einigen Jahren zuvor beteilige ich mich auch in diesem Jahr an der evangelischen Fastenaktion. Denn das Motto gefällt mir: „Üben! Sieben Wochen ohne Stillstand“. Ich will die Fastenzeit nutzen, um neben der Morgen- auch eine Abendroutine zu etablieren.

Sechs Wochen reichen nach manchen Studien aus, um alte Gewohnheiten zu ändern oder neue in den Alltag zu integrieren. Nach der Kaizen-Philosophie dauert es dagegen 66 Tage. Allerdings muss man dann nur täglich eine Minute aufwenden (https://timetoflyblog.com/die-macht-der-gewohnheit). Ich brauche für mein Abendritual deutlich länger.  

(Fast) jeden Tag beginne ich auf die gleiche Weise: Während ich eine Tasse Kaffee aufbrühe, mache ich einige Yogaübungen, danach schreibe ich meine Morgenseiten und höre dabei Musik (https://timetoflyblog.com/same-procedure-every-day). Ähnlich entspannt wie in den Tag hinein möchte ich auch hinausgleiten. Ohne Kaffee zwar, dafür aber mit Lesen.

Ich lese vor dem Einschlafen im Bett, seit ich denken beziehungsweise lesen kann. Neben meinem Bett stapeln sich Bücher. Überwiegend Romane, Biografien, Bildbände und Sachbücher. Seit Aschermittwoch sind auch zwei (oder manchmal drei) Gedichtbände dabei. Denn ich habe mir – nicht zum ersten Mal – vorgenommen, jeden Abend ein Gedicht zu lesen.

Statt die Sonne am Morgen (für die Yogafans unter meinen LeserInnen: Surya Namaskar) grüße ich abends jetzt den Mond (Chandra Namaskar), statt Morgenseiten schreibe ich abends in mein Fünf-Jahres-Buch und in mein Tagebuch.

Mein Tagebuch soll, wie mein gesamtes Leben, bunter werden: Das habe ich mir schon lange vorgenommen, und damit wenigstens in mein Tagebuch Farbe einzieht, steht auf meinem Fastenzeit-Übungsplan eine Zeichnung täglich – oder, wie es auf Neudeutsch heißt „one sketch a day“.  Zwar zählt Zeichnen nicht zu meinen besonderen Talenten, aber es macht mir immer mehr Spaß – und Übung macht ja bekanntlich den Meister oder die Meisterin.

Womit ich wieder beim Motto der evangelischen Fastenaktion wäre: „Üben! Sieben Wochen ohne Stillstand“. Die ersten drei Wochen sind geschafft. Und bis Ostern halte ich auch noch durch.

Alle Tage

Bei der Suche nach einem „fliegenden“ Gedicht (https://timetoflyblog.com/noch-ein-Versuch-fliegende-Gedichte) bin ich Anfang letzter Woche auf ein Gedicht von Ingeborg Bachmann gestoßen, das ich wohl in der achten oder neunten Klasse gelernt  habe: „Alle Tage“ ist ein Antikriegsgedicht; trotzdem – oder gerade deshalb – passt es meiner Meinung nach gut in diese Zeit. Es wurde Anfang der 50er-Jahre erstmals veröffentlicht und beginnt mit den Worten

„Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden.“

Als Ingeborg Bachmann das Gedicht schrieb, standen sich die Westmächte unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika und der sogenannte Ostblock unter Führung der Sowjetunion feindlich gegenüber. Viereinhalb Jahrzehnte dauerten die Feindseligkeiten und das Wettrüsten; nach dem Ende des kalten Krieges war ich wie viele meiner Generation überzeugt, dass es nie wieder Krieg mehr in Europa geben würde. Wir wurden durch den russischen Überfall auf die Ukraine eines Schlechteren belehrt.

Meine Überzeugung, dass man Frieden ohne Waffen schaffen kann, erweist sich als Illusion, seit Putin die Ukraine überfallen hat. Er tritt das Völkerrecht mit Füßen, lässt seine Armee Tod, Angst und Schrecken verbreiten. Ich bewundere den Mut der UkrainerInnen, die zu den Waffen greifen, um ihre Heimat und ihre Freiheit gegen die übermächtigen russischen Aggressoren zu verteidigen. Aufgeben ist für sie – auch zu unserem Glück – keine Option.

Aber die Lage in ihrem Land ist katastrophal. Wohn- und Krankenhäuser, Kindergärten und AKWs werden angegriffen. Städte wie Mariupol, Lwiw, Kiew werden belagert, zerbombt und zerstört. Lebensmittel, Medikamente, Energie sind knapp. Immer mehr Menschen sterben oder werden verletzt. „Der Schwache ist“, um Ingeborg Bachmann zu zitieren, „in die Feuerzonen gerückt“. Und die kommenden Tage werden in der Ukraine „wahrscheinlich noch größere Not bringen“, befürchtet Nato-Generalsekretär Stoltenberg (https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-sonntag-105.html). Eigentlich bleibt nur die Hoffnung, dass die UkrainerInnen weiter Stand halten – und dass auch in Russland selbst der Widerstand gegen diesen sinnlosen, gegen das Völkerrecht verstoßenden Krieg wächst: unter der Bevölkerung, aber auch im Militär, bei den einfachen Soldaten und ihren Befehlshabern.

Der Krieg wird nicht nur mit Waffen geführt, sondern auch mit Worten. Dass Putin die Presse- und Meinungsfreiheit in Russland noch mehr einschränkt als bisher, zeigt, wie sehr er die Macht der Worte und die Wahrheit fürchtet. Wer den Krieg gegen die Ukraine Krieg nennt, riskiert in Russland 15 Jahre Haft.

Vielleicht sollte man der plumpen Propaganda der russischen Machthaber die wohl subtilste Form der Sprache entgegenstellen: die Lyrik. Die hat, glaubt man dem Slawisten und Kulturwissenschaftler Rolf Dieter Kluge, in Russland einen hohen Stellenwert.

 „Rußland lebt mit dem Gedicht. Es gibt wohl kaum ein anderes Land, in dem der Dichter populär ist wie ein Filmstar oder Volkstribun, wo sich Tausende versammeln, um Verse zu hören, wo einfache Menschen in gehobener Stimmung nicht nur Lieder singen, sondern Gedichte deklamieren, wo ein durchschnittlich Gebildeter Hunderte und mehr Verse auswendig weiß“, schrieb Kluge vor einigen Jahren in einem Vorwort zu einer Anthologie russischer Lyrik. „In Moskaus Fußgängerzone, auf dem Arbat, bilden sich um gänzlich unbekannte Poeten und Laiendichter, die dort ihre Gedichte rezitieren, engagiert teilnehmende und diskutierende Zuhörergruppen.“ http://www.planetlyrik.de/russische-lyrik-im-20-jahrhundert/2019/01/

Man sollte vielleicht Ingeborg Bachmanns Gedicht ins Russische übersetzen und im Land verteilen: an Menschen, die Literatur lieben, an die Mütter und Väter, deren Söhne in den Krieg geschickt werden, und an die Soldaten selbst, die oft gar nicht wissen, wo und gegen wen sie kämpfen.

Die Auszeichnung, heißt es in der letzten Strophe , verdienen sie

„für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.“

Sie retten damit nicht nur ihr eigenes Leben.

Das ganze Gedicht ist nachzulesen unter

https://www.lyrikline.org/de/gedichte/alle-tage-265

Sprachlos

Ja, es hat mir die Sprache verschlagen. Und ich habe lange überlegt, ob ich weiterschreiben kann wie bisher. Als wäre nicht das geschehen, was die meisten für unmöglich gehalten haben: Dass es wieder Krieg gibt in Europa, direkt vor unserer Haustür. Und dass die Gefahr eines Welt- oder Atomkriegs größer ist denn je – oder zumindest seit der Kubakrise vor 60 Jahren. Aber 1962  war  Kuba unendlich weit weg und  ich war mit fünf Jahren noch zu klein, um die Gefahr zu realisieren.

20 Jahre später, Anfang der 80er-Jahre, habe ich gegen den Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung der Pershing-II-Raketen in Deutschland demonstriert. Als die Sowjetunion unter Michail Gorbatschow dem Westen seit Mitte der 80er Jahre die atomare Abrüstung anbot, der sogenannte Eiserne Vorhang sich öffnete und die Blöcke sich auflösten, schien die Kriegsgefahr in Europa endgültig gebannt. Und obwohl sein Nachfolger Wladimir Putin die Krim annektierte, rechte Milizen in der Ostukraine unterstützte und immer mehr Truppen an der ukrainischen Grenze aufmarschieren ließ, habe ich mit dem Überfall auf die Ukraine nicht gerechnet. Ich habe mich getäuscht. Dass ich nicht die einzige bin, macht es nicht besser.

„Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht“, sagte Annalena Baerbock am Morgen nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine. Seither kommen täglich neue Schreckensmeldungen. Und trotzdem lebe ich, leben wir, fast weiter wie bisher, während die Menschen in der Ukraine um ihr Land und ihre Freiheit kämpfen – und dafür sterben. Wir schauen zu – mit mulmigem Gefühl, weil Putin unberechenbar scheint und vor nichts zurückschreckt. Und viele auch mit schlechtem Gewissen. Weil wir so lange weggeschaut haben. Und weil jetzt auch unsere Freiheit, um einen Satz des früheren Verteidigungsministers Peter Struck abzuwandeln, in der Ukraine verteidigt wird. Wir können wenig tun, außer spenden, unsere Solidarität erklären, die Sanktionen befürworten, die Heizung herunterdrehen und die UkrainerInnen, die geflohen sind, unterstützen.

Farbe bekennen

Ich bewundere die Menschen in der Ukraine für ihren Mut – Prominente wie den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj beispielsweise oder die Klitschko-Brüder, aber auch und vielleicht noch mehr die vielen Namenlosen. Die Geschichte von Anna Strishkowa, die ich heute Morgen in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gelesen habe, hat mich besonders berührt. Die alte Dame lebt in Kiew, in der Nähe des Präsidentenpalasts. Als kleines Kind kam sie ins Konzentrationslager Auschwitz, befreit wurde sie von der Roten Armee, dem Vorläufer eben dieser Armee, die jetzt ihr Land in Schutt und Asche legt. Lenin würde sich sicher im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass die russischen Soldaten in diesem Krieg oft nicht einmal wissen, wo sie sind, gegen wen sie kämpfen und wofür sie sterben müssen.

Anna Strishkowa will die Ukraine nicht verlassen, obwohl ein Freund ihr eine Wohnung in Deutschland besorgt und den Umzug organisiert hat. „Wenn ich Hitler überlebt habe, warum sollte ich dann nicht auch Putin widerstehen? Ich bleibe“, sagt sie. So viel Mut verschlägt mir die Sprache.

Wer den Artikel von Thoralf Cleven in der HAZ vom 9. März nachlesen möchte, findet ihn unter

https://epaper.haz.de/webreader-v3/index.html#/935754/6

Märchenhaftes Celle

Ich mag Gärten und ich mag Licht. Das richtige Licht verleiht auch eher langweiligen Gärten einen besonderen Reiz. Illuminiert, mit effektvoll angestrahlten Hecken, Skulpturen, Teiche, Brunnen und Fontänen, gefällt mir sogar der Große Garten in Herrenhausen, der mich bei Tageslicht nicht begeistert (https://chaosgaertnerinnen.de/ein-sonntag-drei-gaerten). Und so war ich natürlich einverstanden, als mein Mann vorschlug, zur Illumination des Französischen Gartens nach Celle zu fahren.

Seit dem 19. Februar erhellen die Winter-Lichter zwischen 18 und 22 Uhr den Park am Rande der Celler Altstadt und verwandeln ihn in einen wahrhaft märchenhaften Ort.

Ich habe dort alte Bekannte wie Hänsel, Gretel und die Hexe, das tapfere Schneiderlein, Max und Moritz, die Bremer Stadtmusikanten, den Froschkönig und den gestiefelten Kater getroffen, aber auch Figuren aus der Fabelwelt wie Einhörner, Drachen, Elfen und Kentauren.

Die ursprünglich geplante Veranstaltung mit unterschiedlichen Illuminationen und künstlerischen Darbietungen um das Celler Schloss musste coronabedingt ausfallen, doch Spaziergänge durch den illuminierten Park sind noch bis zum 26. Februar möglich. Der Eintritt ist frei, ein Besuch lohnt sich.

Ecriture Automatique, E-Mails und Erinnerungen

Ich liebe diese Stunde am Morgen, bevor der Tag erwacht. Es ist meine Stunde, die Stunde, die mir allein gehört. Wenn ich meine Yogaübungen und gleichzeitig die erste Tasse Kaffee gemacht habe, zünde ich eine Kerze an, schreibe meine Morgenseiten und anschließend meine private Texte, zum Beispiel Blogbeiträge. Manchmal geht beides fließend ineinander über. Aber das ist ja der Sinn der Morgenseiten oder ihres Vorläufers, der Écriture automatique. Die Surrealisten um André Breton und Philippe Soupault haben diese Methode des Schreibens in den 1920er-Jahren bekannt gemacht. Beim Automatischen Schreiben werden „Bilder, Gefühle und Ausdrücke (möglichst) unzensiert und ohne Eingreifen des kritischen Ichs wiedergegeben“ (https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89criture_automatique).  Mein kritisches Ich beim Schreiben außen vor zu lassen, gelingt mir leider nicht immer, aber manchmal fließen die Gedanken und bin überrascht, wohin sie mich treiben.

Meine Brotarbeit muss und kann am frühen Morgen meist noch ein bisschen warten. Das ist im Vergleich zu früher ein Luxus, den ich wirklich genieße. Das frühe Aufstehen habe ich mir nämlich angewöhnt, als meine Tochter ganz klein war und ich für die Lokalredaktion der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gearbeitet habe. Meine Artikel habe ich damals zwar schon auf dem Computer geschrieben, aber noch ausgedruckt; die Zeitungsfotos waren schwarzweiß und noch analog. Die Filme hat mein Mann abends entwickelt, wenn ich von den Terminen nach Hause kam – vielen Dank nochmal dafür.

Damit sie am nächsten Tag in der Zeitung abgedruckt werden konnten, musste ich Artikel und Fotos bis sieben Uhr morgens beim stellvertretenden Leiter der Bezirksredaktion abgeben. Der wohnte im Ort und nahm sie freundlicherweise mit ins Verlagshaus nach Hannover. Wurde ich nicht rechtzeitig fertig, musste ich sie selbst nach Hannover fahren. Heute ist das alles viel einfacher. Fotos sind längst digital, ich verschicke sie ebenso wie meine Artikel per E-Mail oder gebe sie direkt ins Redaktionssystem der Verlage ein, für die ich arbeite. Von jedem Ort, zu jeder Zeit.

E-Mails gab es übrigens Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre schon: Sie wurden vor mehr als 50 Jahren – lange vor dem Internet – erfunden, und zwar vom amerikanischen Informatiker Ray Tomlinson. Der führte das @-Zeichen ein und verschickte im November 1971 die erste E-Mail, ohne das Potenzial seiner Erfindung zu erkennen. „Sag das niemandem! Das ist nicht das, woran wir arbeiten sollen“, soll er seinem Kollegen geschrieben haben (https://praxistipps.chip.de/seit-wann-gibt-es-e-mails-enstehungsgeschichte-im-ueberblick_100733).

Und so dauerte es noch einige Zeit, bis sich diese Form der Kommunikation durchsetzte. In Deutschland kam die erste E-Mail am 3. August 1984 an. Empfänger war Michael Rotert von der Universität Karlsruhe. Abgeschickt hatte sie Laura Breeden von der amerikanischen Universität Cambridge schon am 2. August. Doch weil sich Rotert nur alle zwei bis drei Stunden bei der Post einwählte und die Mails quasi „von Hand abholte“, dauerte die Zustellung so lange (https://www.faz.net/aktuell/technik-motor/digital/vor-25-jahren-als-die-e-mail-nach-deutschland-kam-1826773.html).

Heute nutzen laut Statista rund 85 Prozent der Deutschen das Internet, um E-Mails zu versenden und zu empfangen, in Dänemark sind es sogar 94 Prozent der Bevölkerung (https://de.statista.com/themen/2249/e-mail-nutzung/#topicHeader__wrapper). 2018 wurden in Deutschland 848 Milliarden E-Mails versendet – außerdem geschätzt 150 Millionen Spam-Mails täglich. Und noch ein paar Zahlen: Weltweit werden in diesem Jahr wahrscheinlich 333,2 Milliarden E-Mails täglich verschickt und empfangen; 2025 sollen es dann bereits 376,4 E-Mails an jedem Tag sein. Laut einer Bitkom-Studie erhalten Erwerbstätige in Deutschland durchschnittlich 26 berufliche E-Mails pro Tag – mir hätte es vor 30 Jahren schon gereicht, ein oder zwei verschicken zu können. So ändern sich die Zeiten (https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/E-Mail-wird-50-Jahre-alt).

Der Redakteur, der jahrelang meine Artikel mit nach Hannover genommen hat, ist vor zwei Monaten gestorben, vor einem Monat wurde er beerdigt. Ich habe seine Beisetzung leider verpasst und widme ihm diesen Blogbeitrag – zur Erinnerung.