Zinnober und andere Atelierbesuche

Nicht einmal ein Jahr ist es her, seit ich meine Zimmer umgeräumt habe (https://timetoflyblog.com/zimmerwechsel). Kurz nachdem ich in Rente gegangen bin, habe ich das zweite Arbeitszimmer, das ich nicht mehr benötigte, zum „Kunstraum“ umfunktioniert. Zwar hatte ich seither ausreichend Platz für meine Malutensilien , doch genutzt habe ich das Zimmer leider kaum. Und so habe ich eine weitere Umräumaktion gestartet.

Schuld war eigentlich Zinnober, der Kunstspaziergang durch Hannover am ersten Septemberwochenende. Rund 250 KünstlerInnen öffneten in diesem Jahr ihre Ateliers – alle an einem Wochenende zu besuchen, ist unmöglich, auch wenn sich an Zinnober, anders als beim Atelierspaziergang im Mai, meist Ateliergemeinschaften beteiligen. Oft funktionieren die KünstlerInnen nicht mehr genutzte Büro- oder Gewerbegebäude um, um dort gemeinsam unter einem Dach oder auf einem Gelände zu arbeiten.

So ist in der Schulenburger Landstraße 150/152 in Hainholz vor einigen Jahren ein Kunstzentrum entstanden, in dem am Zinnober-Wochenende mehr als 30 KünstlerInnen Einblicke in ihre Ateliers und in ihre Arbeit gewährten.

In der Nordstadt gründeten vier bildende KünstlerInnen bereits Ende der 80er-Jahre in einer ehemaligen Textilreißfabrik die Ateliergemeinschaft Block 16 , der sich inzwischen vier Kollegen angeschlossen haben.

In die alte EISFABRIK in der Südstadt, in der früher Bier gebraut und Eis zum Kühlen von Lebensmitteln produziert wurden, zogen sogar schon Mitte der 1970er -Jahre die ersten KünstlerInnen ein – und verwandelten die Industriebrache, die zu zerfallen drohte, in ein Zentrum der Künste, für Theater, Tanz, Musik, bildende Kunst und Fotografie.

In die Südstadt habe ich es im September leider nicht geschafft, die Fotos der Ateliers von Katrin Tavernini und Meike Zopf sind schon beim Atelierspaziergang im Mai entstanden.

Beeindruckt haben mich beim Atelierspaziergang auch die Ateliers und die Arbeiten von Anne Nissen, Michaela Hamann und Claudia Schmidt.

Dass wir während unseres Englandurlaubs ausgerechnet am Tag der „Open Studios“ in Saint Ives in Cornwall waren, war ein glücklicher Zufall. Ein Highlight waren die Sketchbooks von Sally MacCabe, die ich ebenso zufällig im White’s Old Workshops entdeckte.

Ich liebe bekanntlich Skizzenbücher – und ich möchte meine eigenen gestalten. „Mein neues Skizzenbuch soll mehr Farbe in mein Leben und meine Aufzeichnungen bringen. Ich will in meinem kreativen Tagebuch Zeichnungen und Skizzen, Fotos und Bilder, Texte – eigene und fremde – kombinieren“, habe ich in einem Blogbeitrag im März geschrieben (https://timetoflyblog.com/eine-art-journal). Doch ich schaffe es bislang leider nur selten, diesen Vorsatz umzusetzen.

Damit das künftig besser gelingt, habe ich mein Schreib- und mein Malzimmer zusammengelegt und in den größten Raum im Dachgeschoss verlegt. Mein Bett musste den beiden Tischen Platz machen. Es steht jetzt im kleinsten Zimmer des Hauses, aber der hausinterne Umzug hat sich schon deshalb gelohnt, weil ich jetzt vom Bett aus gleich aus zwei Fenstern den Himmel sehen kann.

Ob ich im neuen Schreib-Mal-Zimmer wirklich öfter zu Stift und Pinsel greife, muss sich erst noch zeigen. Ich werde darüber berichten.

Kunst entdecken

Manchmal weiß ich im Nachhinein nicht, warum ich etwas erst so spät entdeckt habe. So habe ich beispielsweise schon einige Jahre in Burgwedel gelebt, bevor ich zum ersten Mal in den Herrenhäuser Gärten war. Seit meinem ersten Besuch gehört der Berggarten zu meinen absoluten Lieblingsorten in Hannover. Mit dem Großen Garten fremdle ich immer noch ein bisschen – wie mit der Stadt Hannover.

Vielleicht habe ich den Atelierspaziergang in Hannover  deshalb erst jetzt entdeckt, obwohl es ihn schon lange gibt: Künstlerinnen und Künstler öffnen ihre Ateliers für Kunstinteressierten und solche, die es werden wollen. Terra incognita hieß das Motto in diesem Jahr – ich habe die Gelegenheit zu einer Entdeckungsreise in die mir völlig unbekannte hannoversche Kunstszene genutzt. Noch mehr als die Bilder, ich gestehe es, interessieren mich die Ateliers, in denen die Malerinnen und Bildhauer arbeiten – die Orte, an denen Kunst entsteht.

KIB Atelier P1020460
Atelier im Quellengrund, Limmer

Manchmal ist es nur ein kleiner Schritt abseits der bekannten Pfade. An den ersten beiden Ateliers auf meiner Liste bin ich oft vorbeigegangen, denn meine Tochter hat ganz in der Nähe gewohnt. Sie liegen versteckt in einem grünen Hinterhof an der Durchgangsstraße von Limmer. Und auch die Ateliers von Bernhard Kock und Anne Nissen liegen nur ein paar Meter von zwei Haltestellen entfernt, an denen ich häufig aussteige.

Unterschiedlicher können Räume kaum sein. Die Galerie von Bernhard Kock war früher eine Schusterwerkstatt. Unten hat der Schuster gearbeitet, eine steile Treppe führt in die kleinen Zimmer im Obergeschoss, in denen früher die ganze Familie gelebt hat. Ich muss an meinen Opa denken, der auch Schuster war. Ich habe ihn nie kennengelernt, weil er lange vor meiner Geburt gestorben ist. Meine Mutter hat als Kind auch mit vielen Geschwistern  in einer winzigen Wohnung hinter der Werkstatt gelebt. An dieses Haus erinnert sie sich, wenn sie heute von ihrem Haus spricht.

KIB Tusche P1020479
Anne Nissen, Tuschebilder

Das Atelier von Anne Nissen war früher mal eine Fabrikhalle: ein riesiger Raum mit hohen Wänden. Anne Nissens Tuschezeichnungen gehören zu den Lieblingskunstwerken auf meiner dreitägigen Entdeckungstour. Im Stefanstift in Kirchrode dienen die ehemalige Bäckerei und die alte Wäscherei heute als Ateliers. Ein schlichter Zettel am Eingang gewährt einen Einblick in die Lebensgeschichte eines Malers, dessen Bilder hier zu sehen sind. Sabah al Rikabi und seine Frau, die Dichterin Freyal Fareed, haben Kirchenasyl auf dem Stiftsgelände – sie dürfen es nicht verlassen.

KIB Kirchnasyl P1020491
Bilder im Asyl von Sabah al Rikabi

Bei Kunst in Bewegung (KIB) in Burgwedel bin ich seit Jahren mit von der Partie: Hier stellen meist Hobbykünstlerinnen und -künstler ihre Werke aus. Die meisten inzwischen in öffentlichen Gebäuden, nur wenige öffnen ihre Häuser und oder ihren Garten. Der Garten von Mitorganisatorin Elke Seitz liegt ganz versteckt mitten im Ort. Die kleine grüne Oase steht jedes Jahr ganz oben auf meiner To-visit-Liste – und jedes Mal fühle ich mich ein bisschen wie Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln.

KIB Spiegelbild P1020532
Eva in den Spiegeln im Garten von Elke Seitz

Sam Mabeu, ein junger Bildhauer aus Simbabwe, stellte seine Skulpturen im Sankt Petry Park aus. Sie gefallen mir gut – auch in unserem Garten würden sie sich gut machen.

KIB P1020544
Skulptur von Sam Mabeu

Das  absolute Highlight sind für mich aber die Skizzenbücher von Heidrun Schlieker, in denen sie Landschaften, Szenen oder auch Menschen festhält, bevor daraus später „richtige“ Bilder entstehen. Mein erster Gedanke: Das möchte ich auch können – und der zweite: „Will haben!!!!!!!“ Doch leider sind die Bücher unverkäuflich.

KIB P1020555
Aus dem Skizzenbuch von Heidrun Schlieker (auch Beitragsbild oben)