Vom geheimen Leben der Orchidee

Heute vor genau drei Jahren habe ich zum ersten Mal über sie geschrieben – über die erste und einzige Orchidee, die ich besitze. Sie ist auch die einzige Pflanze, von der ich genau weiß, wann ich sie bekommen – oder soll ich besser sagen übernommen – habe.

Als ich mich am 1. August 2019, am Tag nach ihrem Tod, von meiner Mutter verabschiedete, mochte ich die Orchidee, die ich ihr ein halbes Jahr zuvor geschenkt hatte, nicht in Hamburg zurücklassen. Ich habe sie in die Seitentasche meines Rucksacks gepackt und mit nach Burgwedel genommen, wo ich sie gekauft hatte. Coming home.

Ich weiß nichts über das geheime Leben der Pflanzen. Vielleicht trauern sie ja auch wie Tiere, wenn ihre Besitzer:innen sterben. Die Orchidee sah jedenfalls so traurig aus, dass mich eine Frau im Zug fragte: „Ob die Blume die Fahrt wohl überlebt?“. Sie hat – und sie erholte sich schnell: Schon nach wenigen Stunden öffnete sich die erste Blüte –  für mich war es damals ein Zeichen, dass es meiner Mutter gut ging, wo immer sie auch sein mochte. https://timetoflyblog.com/neues-orchideenleben.

Seitdem steht die Orchidee auf der Fensterbank neben meinem Schreibtisch, neben dem kleinen Bärchen, das meine Tochter meinem Vater irgendwann geschenkt hat und das meine Mutter nach seinem Tod adoptierte. Viel Pflege braucht oder bekommt die Orchidee nicht: Ich gieße sie regelmäßig, aber das genügt oder gefällt ihr sogar. Denn sie blüht zweimal im Jahr, jedes Mal ein bisschen üppiger, wie mir scheint. Diesmal hatte sie 15 Blüten, mehr denn je, und sie breitet sich immer weiter aus. Vielleicht liegt es daran, dass ich sie wachsen lasse, wie sie will. Oder daran, dass ich ihr im Mai einen neuen Topf und frische Erde spendiert habe.

Weil ich keine Orchideenerde hatte, habe ich normale Blumenerde mit etwas Spezialerde für Zitruspflanzen vermischt. Diese Mischung ist der Orchidee scheinbar bekommen. Man sagt, dass Hunde ihren Besitzer:innen oft ähneln. Und irgendwie ist diese Orchidee wie meine Mutter: zäh und anspruchslos