Die unstrukturierte Leserin

Ich lese gern – und recht viel. Wenn die Statistiken nicht lügen, deutlich mehr als der Durchschnitts-Deutsche, wie immer er oder sie aussehen mag. Nach einer Umfrage des Stern aus dem Jahr 2015 lesen nämlich nur 27 Prozent mehr als zehn Bücher jährlich, 14 Prozent lesen gar keine Bücher. 39 Prozent der Befragten lesen bis zu fünf Bücher, (https://www.presseportal.de/pm/6329/2969695) – so viele liegen meist neben meinem Bett, weil ich parallel mehrere Bücher lese (und weil ich die gelesenen Bücher nicht immer sofort wegräume. Aber das ist ein anderes Thema).

Welche Bücher ich – vollständig – gelesen habe, notiere ich unter anderem in meinem Büchertagebuch. Das habe ich vor Jahren in der Livraria Bertrand in Lissabon gekauft, die angeblich die älteste Buchhandlung der Welt sein soll. 58 Bücher stehen bis jetzt in diesem Jahr auf meiner Gelesen-Liste. Und weil ich zwar Listen liebe, sie aber leider nicht sehr akribisch führe, sind es wahrscheinlich sogar ein paar mehr. Mein selbst gestecktes Jahresziel – ein Buch pro Woche – habe ich in diesem Jahr schon erreicht.

Belesen, wie manche jetzt vielleicht mutmaßen, bin ich aber nicht. Denn Duden online und Googles Deutsche Wörterbuch definieren „belesen“ als „durch vieles Lesen reich an [literarischen] Kenntnissen“. Ich habe, wenn überhaupt, nur ein gesundes Halbwissen. Und obwohl ich in meinem früheren Leben Germanistik studiert habe, kenne ich nicht einmal die Klassiker der Weltliteratur.

So bin ich bei „Ulysses“ von James Joyce ebenso wie bei Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ nie über die ersten 50 Seiten hinausgekommen. Die Bibel und Homers Ilias – ebenfalls Must-Reads für wirklich belesene Menschen – habe ich nur auszugsweise gelesen. Und die Lektüre von Buddenbrooks und Goethes Wahlverwandtschaften liegt so lange zurück, dass es schon fast verjährt ist.

Im Studium habe ich mich noch brav durch diverse Literaturlisten gelesen, seit ich der Uni den Rücken gekehrt habe und auch dem Schuldienst erfolgreich aus dem Weg gegangen bin, bin ich eine unstrukturierte Leserin. Ich lese just for fun.

Ich lese, was mir mehr oder weniger zufällig in die Finger fällt oder vor besser vor die Augen kommt. Bestsellerlisten interessieren mich bei der Auswahl meiner Lektüre eigentlich gar nicht, die Empfehlungen verschiedener Kulturseiten und -sendungen nur bedingt. Viele Bücher finde ich auf der Neuerscheinungsliste der örtlichen Bücherei und warte dann geduldig, bis ich an der Reihe bin: Helga Schuberts „Vom Aufstehen“ zum Beispiel oder „Die Unsterblichen“ von Axel Schumann. Manchmal frage ich das Bücherei-Team, ob ein Buch, das ich gerne lesen würde, nicht auch für andere LeserInnen interessant wäre. Und manchmal überzeugen meine Buchwünsche die Mitarbeiterinnen und sie kaufen das Buch für die Bücherei (vielen Dank für beides). Beispielsweise Gabriele von Arnims „Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“. Das Buch, in dem Sie über das Zusammenleben mit ihrem pflegebedürftigen Mann schreibt, hat mich sehr berührt, vielleicht auch, weil ich es zu einer Zeit gelesen habe, als eine Freundin und ein Freund schwer krank waren.

Wenn ich in eine Buchhandlung gehe, komme ich meist mit einem neuen Buch heraus. Aber ich entdecke auch oft Bücher wieder, die seit Jahren in meinem Bücherschrank stehen. Manchmal springen mich die Titel an. Oder besser gesagt sie schreien: „Lies mich“ – weil sie gerade (wieder) zu meinem Leben passen. Zum Beispiel Rainer Maria Rilkes „Du musst dein Leben ändern“, „Auszeit“ von Anja Meulenbelt oder „Ein sanfter Tod“ von Simone de Beauvoir.

Manchmal führt mich ein Buch auf einen Pfad, dem ich dann lesend folge: Nachdem ich Antonio Iturbos „Bibliothekarin von Auschwitz“ gelesen habe, habe ich mir Dita Kraus Memoiren „Ein aufgeschobenes Leben: Kindheit im Konzentrationslager – Neuanfang in Israel“ ausgeliehen. Dita Kraus war noch ein Teenager, als sie im sogenannten „Familienlager“ des Venichtungslagers Birkenau die Bücher vor den Nazis versteckte. Sie wurde von Birkenau zunächst nach Auschwitz und dann ins KZ Bergen-Belsen deportiert. Dort hielten die Nazis auch Anne Frank und Renata Laqueur gefangen; Anne Frank wurde dort ermordet. Renta Laqueur überlebte. Ihre Tagebücher stehen in meinem Bücherregal, und natürlich habe ich noch einmal in sie hineingelesen. 

Oft verlasse ich mich bei der Auswahl der Bücher auf Empfehlungen von Freundinnen und Bekannten – und werde nur selten enttäuscht: Tante Martl von Ursula März hat mir eine Bekannte empfohlen und ausgeliehen; Nevermore von Cécile Wajsbrot habe ich mir selbst gekauft, nachdem eine Bücherfrau aus unserer Regionalgruppe es erwähnt hat. Jetzt liegt es auf dem Stapel der zu lesenden Bücher, der seinen Platz in einem meiner Bücherregale hat.

Ein Buch, das schon lange – ungelesen – in meinem Bücherregal steht, hat es jetzt auch auf diesen Stapel geschafft: „Der Zauberberg“ von Thomas Mann. Ein Bekannter hat mir den Zauberberg ans Herz gelegt, weil es eines seiner Lieblingsbücher ist. Dass er es schon mehrmals gelesen hat, hat mich beeindruckt, immerhin hat das Buch fast tausend Seiten. Ich gebe dem Klassiker also noch eine Chance – und vielleicht ist die Vorweihnachtszeit der richtige Zeitpunkt für einen Roman, der in den Schweizer Bergen spielt und in dem ein Schneetraum zu den Höhepunkten zählen soll.

PS: Auch dieser Blogbeitrag hat mich zu einem Buch geführt: Als ich über den Text und über den Titel nachdachte, kam mir Alan Bennett „Die souveräne Leserin“ in den Sinn. Ich kannte das Buch nicht, habe es mir gekauft und kann es nur empfehlen. Natürlich ohne Gewähr, denn anders als die Queen, die Heldin des Buches, bin ich keine souveräne, sondern nur eine unstrukturierte Leserin. .

 

P

Evas Schreibzimmer

Ich habe meine Arbeitszimmer umgeräumt. Nicht zum ersten Mal; mein Mann behauptet, mein Schreibtisch hätte schon in fast jedem Raum unseres Hauses gestanden. Geschrieben und gearbeitet habe ich eigentlich in jedem Zimmer – sogar in der Küche und im Bad. Außerdem benutze ich vom Frühjahr bis weit in den Herbst hinein gerne den Wintergarten als Außenbüro, im Sommer außerdem den Garten und die Terrasse.

Schreiben am Teich

Ich bin also bei der Wahl meiner Schreibplätze recht flexibel – ich kann überall schreiben, wo Platz für meinen Laptop, meine Notizbücher und meine Unterlagen ist. Aber ich brauche eine feste Schreibbasis – einen kreativen Zufluchtsort sozusagen.

Ich habe, welch ein Luxus, zwei Arbeitszimmer: Einen halben Tag habe ich gebraucht, um das kleinere Arbeits- zum Schreibzimmer umzufunktionieren. Um mehr Platz für die Bücher zu haben, die ich beim Schreiben brauche oder gerne um mich habe, mussten zwei kleine Kommoden zwei zusätzlichen Bücherregalen weichen. Weit länger als das Möbelrücken hat allerdings das Umräumen der Bücher gedauert. Außerdem habe ich – längst überfällig – bei der Gelegenheit ganze Papierberge entsorgt, die sich in diversen Ordnern und Schränken angesammelt haben. Würde man Vorher-nachher-Bilder des Arbeitszimmers vergleichen, wäre kaum ein Unterschied zu sehen.

Das liegt sicher auch daran, dass mein neues Schreibzimmer klein ist – es ist das kleinste Zimmer im ganzen Haus: Gerade einmal neun Quadratmeter ist die Grundfläche groß, Dachschrägen ein fest eingebautes Sideboard und mehrere hohe Bücherregale, die nur an den beiden geraden Wänden Platz haben, schränken die Gestaltungsmöglichkeiten zusätzlich ein.

Das Zimmer ist zwar klein, aber es hat zwei Fenster – eines an der Ost-, das andere an der Südseite des Hauses. So kann ich die Sonne von morgens bis abends sehen, wenn sie denn scheint. Das ist wichtig, denn ich brauche Licht, um mich beim Arbeiten wohlzufühlen, Tageslicht, wenn möglich, im Winter, wenn es morgens spät hell und früh wieder dunkel wird, helfen (Duft)Kerzen und Lichterketten. Selbst Wasser kann ich aus meinem Schreibzimmerfenster sehen – auch wenn die riesige Pfütze auf dem Garagendach der Nachbarn nur ein unvollkommener Ersatz für den Blick aufs Wasser ist, der für mich zu einem idealen Schreibort gehört. Doch sie ist wesentlich größer als unsere Gartenteiche – vielleicht frage ich die Nachbarn im nächsten Sommer, ob ich dort ein paar Pflanzen aufstellen oder eine Quietscheente schwimmen lassen darf, damit echtes Seefeeling aufkommt.

Auch mein Schreibtisch muss hell sein – und im Gegensatz zum Zimmer möglichst groß: Der Versuch, einem kleinen dunklen Tisch und einen ebenso dunklen Sekretär zur Schreibecke umzufunktionieren, ist kläglich gescheitert. Dort kann ich meine Morgenseiten, Tagebuch oder Mails schreiben, für meine Artikel, Blogbeiträge und andere Schreibprojekte brauche ich mehr Platz, um meine (Notiz-)Bücher und diverse Unterlagen auszubreiten (So aufgeräumt wie auf dem ersten Foto bleibt mein Schreibtisch leider in der Regel nicht lange, meist setzt sich das Chaos durch).

Korrektur- und Layoutarbeiten erledige ich künftig in meinem zweiten Arbeitszimmer. Deshalb habe ich den Monitor, den ich nur für diese Arbeiten nutze, dorthin umgesiedelt. Ohne ihn ist der Tisch von zwei Seiten „beschreibbar“ – ein Stehhocker, der unter dem Tisch verschwindet, wenn er nicht gebraucht wird, macht es möglich. Manchmal hilft ja ein Perspektivwechsel, um Dinge klarer zu sehen, Denk- oder Schreibblockaden zu überwinden oder die Kreativität zu verbessern.

Ohne Monitor ist auf dem Schreibtisch mehr Platz

Davon war Walt Disney überzeugt. Er soll für verschiedene Arbeiten (mindestens) drei verschiedene Arbeitsräume bzw. Arbeitsplätze genutzt haben: Im ersten (Raum des Träumers) ließ er seiner Fantasie freien Lauf, im zweiten (Raum des Realisten) setzte er seine Ideen um, entwickelte Konzepte und entwarf Projektskizzen, um seine Ideen umzusetzen. Im dritten (Raum des Kritikers) überprüfte Walt Disney seine Vorhaben und verbesserte sie. Die Walt-Disney-Methode lässt sich auch in einem Raum umsetzen; mehr darüber zum Beispiel unter https://karrierebibel.de/disney-methode/ und unter https://de.wikipedia.org/wiki/Walt-Disney-Methode

Weil auch in der kleinsten Hütte Platz ist, habe ich also gleich noch einen dritten Arbeitsplatz geschaffen. Im Stehen zu Arbeiten tut sicher meinem Rücken und vielleicht auch meiner Kreativität gut. Das hoffe ich auch von der kleinen Stereoanlage, die den Platz des Monitors eingenommen hat. Denn mit Musik geht ja angeblich alles besser, manchmal auch das Schreiben.

Schreibplatz Nr. 3

Weihnacht – Buchnacht

Ich habe gestern Nacht – wie schon an vielen Heiligen Abenden zuvor – eine isländische Tradition gepflegt, die ich zugegebenerweise bis vor drei Tagen noch nicht kannte. Jólabókaflóð heißt sie, und für all die, die wie ich nicht so gut Isländisch sprechen, übersetze ich das Wort: Es bedeutet Weihnachts-Bücherflut.

In Island ist es Brauch, an Weihnachten Bücher zu verschenken. Die 13 Weihnachtskerle, die in Island die Geschenke bringen, müssen also eine ganze Menge schleppen. Den Weihnachtsabend verbringen die Isländer angeblich dann meist lesend. Auch ich habe gestern Abend noch lange gelesen. Denn wie für die Isländer gilt auch für mich: Weihnachten ohne Bücher und ohne Lesen ist kein richtiges Weihnachten.

Schon als Kind habe ich mir zu Weihnachten immer Bücher gewünscht – und auch immer mindestens eins bekommen. Mehr Bücher gab es nur selten, weil meine Eltern nicht viel Geld hatten – und Bücher damals noch recht teuer waren. Preiswerte Taschenbücher für Kinder gab es in Deutschland damals noch nicht – oder meine Eltern kannten sie nicht.

Das geschenkte Buch hatte ich meist schon am Heiligen Abend ausgelesen, spätestens aber am ersten Weihnachtsfeiertag. Und dann begann eine endlos lange Zeit ohne neue Bücher, die mindestens bis Ostern, manchmal aber auch bis zum Geburtstag im November dauerte. Zeitweise half die Pfarrbücherei im Ort über die bücherlose Zeit. Die war erst endgültig zu Ende, als ich nach der zehnten Klasse aufs Gymnasium wechselte und in Trier nicht nur Stadtbücherei und Stadtbibliothek, sondern auch preiswertere Taschenbücher entdeckte. Mein Taschengeld und das Geld, das ich mir in den Ferien verdiente, habe ich zum großen Teil in Bücher investiert. Wie viele ich seither gekauft habe, weiß ich nicht – es sind gewiss Tausende.

Seit einigen Jahren versuche ich, weniger Bücher zu kaufen. Aber weil Weihnachten ohne Bücher gar nicht geht, verfalle ich im Dezember meist in einen Bücherkaufrausch. In diesem Jahr habe ich gut ein Dutzend Bücher verschenkt. Das eine oder andere Buch habe ich mir selbst geschenkt, weil ich mich gerade in Zeiten wie diesen weder auf das Christkind und den Weihnachtsmann noch auf die 13 Weihnachtskerle verlassen möchte.

Eines der von mir bestellten Bücher liegt leider noch in der Buchhandlung, nur ein paar Hundert Meter von hier entfernt, aber mindestens bis Mitte Januar nicht erreichbar. Denn die Buchhandlung vor Ort ist wegen des Lockdowns geschlossen ist und liefert leider keine Bücher aus – sorry Foe. Doch ich habe rechtzeitig für Ersatz gesorgt. Damit mir und dir der Lesestoff nicht ausgeht. Frohe Weihnachten!

Mehr über die Weihnachts-Bücherflut unter https://wasliestdu.de/magazin/2016/jolabokaflod-warum-die-alljaehrliche-buecherflut-islands-eine-der-schoensten und unter https://www.dw.com/de/verr%C3%BCckte-tradition-allweihnachtliche-b%C3%BCcherflut-in-island/a-51785341

Von Bücherschränken und sprechenden Büchern

Eigentlich habe ich meine Bücher(kauf)sucht inzwischen ganz gut im Griff: Die Bücherei Burgwedel ist sehr gut sortiert, in der Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover kann frau unbeschränkt ausleihen. Aber Büchereien und Bibliotheken waren wegen Corona wochenlang geschlossen. Und so habe ich einen Rückfall erlitten. Letzte Woche habe ich an einem Tag drei Bücher gekauft – und damit mein selbst gesetztes Limit weit überschritten.

Das erste habe ich in meiner Lieblingsbuchhandlung gefunden, die leider – oder mit Blick auf meinen Kontostand Gott sei Dank – nicht in meinem Wohnort, sondern in Hannover liegt. Wenn ich in der Nähe bin, gehe ich fast immer zu Annabee – und fast immer raunen mir mehrere Bücher zu: „Kauf mich, kauf mich.“ Auch diesmal habe ich die Bitte eines Buchs erfüllt – schließlich soll man kleine Buchhandlungen ja unterstützen, vor allem in Zeiten wie diesen. Auf dem Nachhauseweg hat mir dann eine Bekannte Buch Nummer 2 empfohlen. Und weil ich mir vorgenommen habe, wichtige Dinge nicht mehr aufzuschieben, habe ich es sofort in der Buchhandlung in Burgwedel bestellt. Im Briefkasten lag schließlich Buch Nr. 3. Ich hatte es Anfang der Woche online gekauft – nein, nicht bei dem Händler mit dem großen A, sondern bei einem modernen Antiquariat.

Die Stimmen in meinem Kopf – aufgedruckt auf meinem neuen Sweatshirt

Ja, ich kaufe viele Bücher secondhand – zum einen, weil ich sie mir neu nicht leisten kann: Vor allem Bildbände sprengen mein Budget bei Weitem. Zum anderen finde ich es gut und richtig, aussortierten Büchern ein zweites Lesen zu schenken.

Das tue ich mit meinen Büchern auch – nicht ganz freiwillig. Denn der Platz in meinen Bücherregalen wird knapp. Und so sortiere ich für jedes gekaufte Buch ein gelesenes aus. Bücher in der Papiertonne zu entsorgen, bringe ich nur selten übers Herz. Viele bringe ich stattdessen in die Krankenhausbücherei. Doch die ist zurzeit ebenso wie die städtische Bücherei geschlossen. Wann dort der nächste Bücherflohmarkt stattfindet, steht in den Sternen. Doch zum Glück gibt es ja auch in Burgwedel einen Bücherschrank. Der ist rund um die Uhr geöffnet und abends sogar beleuchtet.

Burgwedeler Bücher-Box von außen …

Das Prinzip der öffentlichen Bücherschränke ist einfach: Man oder frau stellt ausgelesene und ausgeliebte Bücher hinein. Wer will, darf sie mitnehmen; ob er/sie die Bücher nur ausleiht, sie behält, wieder zurückbringt oder andere Bücher dafür hinstellt, entscheidet jedeR selbst.

Ich liebe Bücherschränke. Wie an Buchhandlungen kann ich an ihnen nicht vorbeigehen, ohne darin zu stöbern – meist werde ich fündig und nehme Bücher mit. Und natürlich stelle ich immer wieder Bücher hinein.

Wie gut ein Bücherschrank ist, hängt nicht nur von den Buchspenderinnen und -spendern ab, sondern auch von den Menschen, die sich um die Bücherschränke kümmern. Vielen Dank allen, die das – ehrenamtlich – tun!

In Burgwedel klappt das ausgezeichnet, dank des Teams von printeffect, dem Copyshop im Mitteldorf. Besitzerin Edda Wilkening hat eine alte Telefonzelle im Ruhrgebiet gefunden, nach Burgwedel geholt, vor ihrem Laden aufgestellt und zur wetterfesten Bücher-Box umfunktioniert. Ein Aufdruck erinnert potenzielle Spenderinnen und Spender daran, dass ein Bücherschrank eben keine Altpapiertonne ist. Vergammelte Bücher werden aussortiert und entsorgt – und wenn Zeit ist, ordnet das Team um Edda Wilkening die Bücher sogar nach Rubriken.

… und von innen

NutzerInnen wie mich freut’s. Ich war letzte Woche übrigens ganz tapfer und habe mich gleich von sechs Büchern getrennt, obwohl ich nur drei gekauft hatte. Allerdings standen mehrere Bücher in der Box, die mir zuflüsterten: „Nimm mich.“ Zwei habe ich erhört.

Eine Karte der Bücherschränke in Deutschland gibt es auf dem Blog von Tobias Zeisig unter https://www.lesestunden.de/karte-oeffentlicher-buecherschraenke/

2019 einhalb

Zugegeben, der Titel ist geklaut. Oder doch zumindest angelehnt an einen Song von Reinhard Mey, den ich früher gern gehört habe. „71 ein halb“ heißt das Lied und es geht weiter „… was ist aus all dem geworden, was ich mir am Neujahrsmorgen ganz fest vorgenommen hab?“.

Das Jahr ist halb vorbei (ok, schon seit drei Tagen, aber ich habe es einfach nicht geschafft, den Text vorher zu bearbeiten) – Zeit also für eine Zwischenbilanz. Und weil ich gerade diesen Blogbeitrag schreibe, fange ich mit dem Bloggen an – und mit der guten Nachricht. Ich hatte mir vorgenommen, jede Woche einen Blogbeitrag zu schreiben oder zumindest vier jeden Monat. Das ist mir gelungen. All denjenigen, die nur timetofly kennen und jetzt verwundert nachzählen, kann ich die Differenz erklären: Mit meiner Blogpartnerin Foe beschreibe und betreibe ich seit einiger Zeit einen zweiten Blog: https://chaosgaertnerinnen.de/ Wir bloggen dort über Gärten – über unsere eigenen und über fremde. Ich freue mich, wenn ihr hineinschaut und/oder den Blog abonniert – natürlich kostenlos.

Mit meinen anderen Schreibprojekten hinke ich dagegen hoffnungslos hinterher, was sicher auch daran liegt, dass ich auch ein anderes Vorhaben nicht umgesetzt habe: Ich arbeite immer noch zu viel, wenn auch nicht so viel zu viel wie meine Freundin Sabine. Aber ab September wird alles besser. Dann will ich mir auch die Zeit für die Wanderung nehmen, die auf meiner Vorhabenliste steht. Meinen Plan, die Alpen zu Fuß zu überqueren, habe ich zwar wieder um ein Jahr verschoben, weil ich mich alleine nicht traue und die Gruppenwanderungen, die für mich in Frage kommen, einfach nicht in meinen Terminkalender passen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Und es gibt ja auch noch andere schöne und vielleicht nicht ganz so anspruchsvolle Strecken.

Zeit für einen richtigen Urlaub hatte ich in diesem Jahr noch nicht, dafür gönne ich mir kleine Auszeiten zwischendurch: Zwei oder drei Tage bei meiner Freundin, eine Fahrt ans Steinhuder Meer, eine Wanderung im Harz oder auch nur abends eine kurze Fahrt an den Würmsee. Der ist ja eigentlich nur ein flacher Tümpel, aber wenn ich auf dem Steg oder auf der Bank sitze, sehe ich das nicht – außer wenn die drei Fischreiher ganz in der Nähe und nicht mal bis zu den Waden im Wasser stehen. Was mich zu der Frage führt: Haben Reiher Waden?

Mit dem Morgenritual, das ich am Anfang des Jahres begonnen habe (https://timetoflyblog.com/2019/01/08/same-procedure-every-day/), tue ich mich zugegebenermaßen schwer: Die Morgenseiten schreibe ich eigentlich immer – und freue mich zurzeit jeden Morgen darüber, dass ich von meinem Platz auf der Empore die Sonne hinter den Bäumen hervorkommen sehe. Yoga verschiebe ich meist auf später, bis die Sonne um die Nachbarhäuser herumgewandert ist und in den Garten scheint. Denn ich übe meist draußen  – und da ist es mir ganz früh am Morgen noch zu kalt. Dass Yoga dann manchmal ausfällt, ist die Kehrseite der Medaille.

Auch andere gute Vorsätze sind leider nur Vorsätze geblieben. Ich bewege mich immer noch zu wenig (gut, alles ist relativ) und ich trinke immer noch zu viel Kaffee. Mein Keyboard habe ich kürzlich wieder weggeräumt, weil ich seit Monaten kein einziges Mal geübt habe. Immerhin male ich manchmal, keine richtigen Bilder zwar, aber die kleinen Kritzeleien in mein Tagebuch und in mein Skizzenbuch machen mir viel Spaß – und mein Leben bunter. Was will ich mehr?

Mehr Zeit zum Lesen. Leider habe ich es habe auch nicht geschafft, jede Woche ein Buch zu lesen. Immerhin 20 Bücher waren es seit Anfang des Jahres gelesen und dabei zwei neue Autorinnen (wieder)entdeckt. Meg Wolitzer kannte ich noch gar nicht, von Elizabeth Strout hatte ich irgendwann ein Buch gelesen, das mir nicht besonders gefallen hat. Jetzt habe ich es wiedergelesen – und war so begeistert, dass ich es mir kaufen musste.

Ambitioniert hat eine gute Bekannte meine Lesepläne genannt – und sie hatte recht: Es war zu ambitioniert – typisch für mich. Ich nehme mir oft zu viel vor. Das soll sich ändern, und deshalb starte ich ohne (neue) gute Vorsätze in das zweite Halbjahr. Und wünsche mir das, was Reinhard Mey gewünscht hat: „eine gute zweite Halbzeit und ein gutes altes Jahr“.

Fast zu schön …

Achtsamkeit für meine eigenen Bedürfnisse zählt nicht gerade zu meinen Stärken. Dafür habe ich eine Schwäche für Ratgeber, die, wie mein Mann behauptet, nur die Autoren reich und glücklich machen – und für schöne Bücher.

Deshalb konnte ich nicht widerstehen, als ich gestern in einer Buchhandlung das Achtsamkeitsjournal von Elena Brower entdeckt habe. Natürlich habe ich wie so oft nicht sofort entschieden. Ich bin nämlich auch nicht besonders gut darin, das zu tun, was mir gut tut. Ich ging also zu meinem Termin und kam dann wieder, wie magisch angezogen von den Farben und den einfachen Formen: Ich musste es einfach haben.  Reingelesen habe ich, ganz gegen meine Buch-Kauf-Gewohnheiten, nicht. Und als ich dann zur Bushaltestelle gegangen bin, das Buch unter meinem Mantel versteckt, um es vor dem Regen zu schützen, habe ich mich ein bisschen wie Gollum aus Herr der Ringe gefühlt: my precious.

Ob ich in dem Journal meine Wünsche, Ziele und anderes auflisten werde, das mir helfen soll, mutiger, sanfter, ausdauernder und stärker zu werden, bezweifle ich. Denn  ich gehöre zwar nicht zu den Menschen, die es für ein Sakrileg halten, in Büchern einzelne Zeilen oder ganze Passagen zu unter- und anzustreichen und eigene Gedanken zu notieren. Aber dieses Journal ist (fast) zu schön, um darin zu schreiben. Trotzdem hilft es mir, meine Kreativität zu wecken und Dinge auszuprobieren – wenn vielleicht auch etwas anders als von der Autorin und vom Verlag geplant.

entdecke dich
Do it yourself – vom Journal ins eigene Tagebuch

Das Buch liegt auf meinem Schreibtisch und erinnert mich daran, dass ich mein Leben und auch mein Tagebuch bunter gestalten, dass ich anders, achtsamer leben möchte. Diesen guten Vorsatz vergesse ich im Alltag allzu oft. Immer wieder schlage ich das Journal auf, blättere darin und freue mich daran. Sicher noch lange. Und das ist mehr, als man von vielen anderen Ratgebern, die halb oder ungelesen in meinen Regalen stehen, sagen kann.

Elena Brower: entdecke dich. Das Achtsamkeits-Journal. Irsiana Verlag, München, 2018

 

Vom großen A und kleinen Buchhandlungen

Ja, ich oute mich als Amazon-Fan. Das ist bei „echten“ Bücherfans ziemlch verpönt. Bei Amazon bestellen geht bei vielen gar nicht. Als neulich eine Bücherfrau im Netzwerk  einen Buchtipp mit einem Link zu dem, dessen Namen nicht genannt werden darf, verschickte, gab es heftige Diskussionen. Natürlich ist manches am großen A problematisch: vor allem, wenn kleine Buchhandlungen schließen müssen, weil  immer mehr Kunden ihre Bücher beim großen Bruder online ordern. Dass Amazon in Deutschland keine Steuern zahlt, finde ich zum K… Und auch die Konditionen für Verlage, Bezahlung und Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter sollen besch… sein.

Aber wo in der Buchbranche sind sie das nicht? Wer Bücher schreibt, übersetzt oder lektoriert, erreicht oft nicht einmal den Mindestlohn. Auch BuchhändlerInnen gehören nicht zu den GroßverdienerInnen. Und was die Arbeitsbedingungen angeht: Eine Buchhändlerin, die seit Jahrzehnten eine Filiale einer Buchhandlung leitete, erzählte einmal, dass ihr Chef sie nicht ein einziges Mal für den Besuch der Buchmesse freigestellt habe. Von der Übernahme der Kosten ganz zu schweigen.

Kunden können sich indes über das große A kaum beklagen: Der Service ist wirklich gut. Gibt es mal Schwierigkeiten, rufen die Mitarbeiter auf Wunsch sofort zurück oder kümmern sich notfalls um eine Ersatzlieferung. Das ist bei meiner Stammbuchhandlung leider nicht immer so. Und obwohl ich dort seit Jahren für mehrere Hundert Euro jährlich Bücher bestelle und kaufe, kennen die meisten Verkäuferinnen  nicht einmal meinen Namen.

Tante Emma XXL

Wer wie ich in einer kleinen Stadt wohnt oder wirklich jwd auf dem Land  weiß die Bestellung auf Knopfdruck besonders zu schätzen. Sie erspart umständliche und zeitaufwendige Fahrerei. Dass man beim großen A längst nicht nur Bücher, sondern fast alles kaufen kann, ist für Leute wie mich ein unschätzbares Plus. Online-Shopping und die schöne neue Bezahlwelt sind mir nämlich nicht wirklich geheuer; dass ich mich in allen möglichen Shops immer wieder neu registrieren soll, ist mir ein Greuel. Irgendwie ist der einstige Online-Buchhändler längst ein riesengroßer Tante-Emma-Laden, in dem es alles gibt.

Hat schon mal jemand versucht, ein Farbband  für eine elektrische Schreibmaschine zu besorgen. Als meine Mutter das vorletzte Mal ein Farbband brauchte, bin ich knapp 40 Kilometer nach Trier gefahren (one way). Und obwohl ich vorher im Büro- und Schreibwarenladen angerufen hatte (ja, haben wir, kommen Sie vorbei), musste ich dann eine Schnitzeljagd durch alle drei Filialen machen. Natürlich habe ich den gesamten Vorrat (drei) aufgekauft. Doch auch der war irgendwann aufgebraucht. Beim nächsten Mal hieß es: Müssen wir bestellen, ist in zwei Wochen da. Doch da war ich längst wieder abgereist. Amazon lieferte am übernächsten Tag frei Haus. (Von den Spezialisten, bei denen ich Papier und andere Büromaterialien ordere und die mir unaufgefordert Kataloge ins Haus senden, hatte übrigens keiner mehr das Farbband im Programm.) Und als ich bei meinem letzten Moselbesuch mein Handy-Ladegerät vergessen hatte und  für einen Artikel ein Buch brauchte, war das Problem ebenfalls am nächsten Tag behoben, ohne lange Fahrzeiten.

Koexistenz

Ja – ich gebe es zu: Ich kaufe auch Bücher bei Amazon – vor allem antiquarische, die ich mir zum Normalpreis nicht leisten könnte, nicht kaufen würde oder die es im Buchhandel nicht mehr gibt. Oder ich verschicke über den Online-Buchhändler Bücher an Leute, die irgendwo anders wohnen. Die werden dann nämlich pünktlich geliefert – und ich spare Porto und Verpackung. Und wenn’s nicht gefällt, geht’s einfach zurück.

Die meisten Bücher kaufe ich allerdings nach wie vor im Buchladen. Denn ich liebe Buchhandlungen, komme kaum an einer vorbei und nur selten raus, ohne etwas gekauft zu haben. Ich glaube übrigens nicht, dass das große A Schuld am Untergang des Buchhandels ist. Im Gegenteil: Ich bin überzeugt davon, dass Buchhandlungen vom großen Online-Bruder profitieren (können). Der merkt sich nämlich, für was ich mich interessiert und was ich gekauft habe (brave new world, big brother is watching you) – und empfiehlt mir andere, ähnliche Bücher. Und wenn ich ein Buch zu einem bestimmten Thema brauche, verschaffe ich mir meist bei dem, dessen Name nicht genannt werden darf, einen Überblick über das Angebot. Der Schwarm (sprich die LeserInnen) weiß oft mehr als die  BuchhändlerInnen – die können angesichts unendlich vieler Neuerscheinungen die meisten Bücher gar nicht mehr kennen. Oft bestelle ich das ausgewählte Buch dann allerdings bei meinem Buchhändler vor Ort. Amazon verkraftet’s und meinen Buchhändler freut’s.  Manchmal sogar doppelt. Denn wenn ich das Buch dann abhole, entdecke ich oft ein anderes, das ich ebenfalls unbedingt brauche und kaufe. Denn bei Büchern kann ich nur selten widerstehen.

Bücher, Bücher …

Zurück aus Leipzig, in diesem Jahr habe ich mir zwei Tage auf der Buchmesse gegönnt. Bücherfrühling stimmte in diesem Jahr, im wahrsten Sinne des Wortes. Es waren zwei wunderschöne Frühlingstage mit viel Sonne und strahlend blauem Himmel. Und weil  die Messehallen rechts und links einer riesigen Glashalle liegen, bekommt man vom schönen Wetter sogar etwas mit, wenn man die meiste Zeit in den Hallen verbringt.

Leipzig liest

Wer fürchtet, dass nicht mehr gelesen wird, wird auf der Leipziger Buchmesse eines Besseren belehrt. Anders als bei der Buchmesse in Frankfurt dürfen die Privatbesucher in Leipzig an allen Tagen rein. Und sie kommen in Scharen. Knapp 208.000 Besucher waren es in diesem Jahr, ein neuer Besucherrekord. Zählt man das Lesefest „Leipzig liest“ mit, waren es sogar 285.000. Das heißt: Es war voll, sehr voll.

Das Publikum ist bunter, gemischter, jünger als in Frankfurt. Viele Familien mit Kindern waren unterwegs, aber auch sehr viele Jugendliche, meist mit ihren Freunden.  Leipzig (und nicht nur Leipzig, sondern auch die Umgebung) liest – das ist mehr als ein Slogan. Und viele kaufen die Bücher, die ihnen gefallen, direkt auf der Messe – auch ist in Leipzig, anders als in Frankfurt, möglich.

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Leipzig liest – mehr als ein Slogan

Cosplay und Comics

Dass die Messe so viele jüngere Leute anlockt, liegt sicher auch an der Manga Comic Con, die in Halle 1 stattfindet, und an den vielen Cosplayern.  Allen,  die sich in diesem Bereich nicht so gut auskennen (zu denen zählte ich vor nicht allzu langer Zeit auch noch), sei‘s erklärt: Auf der Manga Comic Con treffen sich Fans von Comics, Mangas (japanische Comics), Animes (japanische Zeichentrickfilme) und eben Cosplayer. Cosplayer stellen Charaktere aus Mangas, Spielen, Büchern  oder auch Filmen nach. Ihre aufwendigen Kostüme fertigen sie selbst – und möglichst originalgetreu.

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Auch Cosplayer lieben Bücher …

Auf dem Messegelände findet man also nicht nur unzählige Bücher, sondern man begegnet auch ganz vielen Figuren aus Büchern und Filmen live – Harry Potters Lehrerin  Minerva McGonigal beispielsweise, dem kleinen Vampir und Anna, seiner Schwester, oder Zwergen, Hobbits und Elben aus Tolkiens Büchern. Manchmal geraten die Bücher bei so viel bunten optischen Eindrücken fast in den Hintergrund.

Manche Cosplayer entwerfen und nähen nicht nur tolle Kostüme, sondern schreiben auch. Foe Rodens zum Beispiel: Foe alias Ambarussa  traf in Leipzig nicht nur ihre Cosplayfamilie, also Elbengeschwister und ihre Mutter aus Tolkiens Simarillion, sondern informierte auch über ihr eigenes Buch „Der Fluch des Schlangenmenschen“. Es erscheint Anfang April; eine kostenlose Leseprobe gibt’s auf der Website www.foerodens.wordpress.com/der-fluch-des-schlangenmenschen.

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… und manche schreiben selbst welche. Foe alias Ambarussa warb für ihr Buch

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… und traf sich mit ihrer Cosplay-Elben-Familie

Mekka für Indie-SchreiberInnen

Natürlich sind die großen und viele kleine Verlage sowie viele bekannte AutorInnen auf der Buchmesse vertreten. Aber Leipzig ist auch ein wichtiger Treffpunkt für Indie-AutorInnen,  also für Autorinnen und Autoren, die ihre Bücher unabhängig (independent = indie) von den klassischen Verlagen veröffentlichen. Es gibt viele Angebote und Workshops rund ums Thema Selbstpublizieren, neudeutsch Selfpublishing. Und auch viele Blogger geben sich auf der Messe ein Stelldichein. Die Indie-JournalistInnen veröffentlichen ihre Texte ohne die klassischen Zeitungen und Zeitschriften – und haben dabei eine eigene essayistische Form des Schreibens etabliert.

Apropos Bloggen: Am Sonntag habe ich wieder an der Bloggerkonferenz teilgenommen – wahrscheinlich war ich die älteste Teilnehmerin, sozusagen die Bloggeroma. Aber es ist ja angeblich nie zu spät, etwas Neues zu lernen oder und Dinge besser zu machen. So gibt es in diesem Text Zwischenüberschriften, weil Google sie angeblich mag und meine Texte dann leichter findet. Vielleicht abonnieren dann künftig ganz viele Leute meinen Blog und folgen mir – zum Beispiel zur Buchmesse nach Leipzig. Im nächsten Jahr dann eher am ersten Tag, wenn das Gedrängel noch nicht ganz so groß ist.

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Quo vadis Buch? Wie geht’s weiter? Hörbuch, E-Book – oder doch ganz klassisch aus Papier?

Von Buchmenschen und Büchern

Als ich vor Jahren Ray Bradburys Fahrenheit 451 gelesen habe, haben mich vor allem die Buchmenschen fasziniert. Für alle, die das Buch nicht kennen: Es spielt in einem totalitären Staat, in dem Bücher – und damit auch selbstständig denken – verboten sind. Die Feuerwehr löscht keine Brände, sondern verbrennt Bücher, wenn welche entdeckt und die Besitzer verhaftet werden. Fahrenheit 451 ist die Temperatur, bei der Papier brennt. Die Buchmenschen sind aus dieser Gesellschaft geflohen und leben irgendwo versteckt im  Wald. Um zu verhindern, dass mit den Büchern die Inhalte der Bücher unwiederbringlich vernichtet werden, lernt jede/r ein Buch auswendig.

(K)ein Ort für Bücher?

Bei unserer Reise nach Schweden habe ich jetzt den Ort entdeckt, wo die Buchmenschen leben. Nicht wirklich natürlich, aber so etwa habe ich mir ihren Zufluchtsort vorgestellt. Der Campingplatz, das Älvkarleby Fiske & Famil jecamping, liegt auf einer kleinen Insel, die Zelte, Wohnwagen und Wohnmobile stehen versteckt unter Bäumen, so, als gehörten sie irgendwie dahin. Die meisten wurden  vermutlich seit Jahren nicht mehr bewegt  und haben  schon Wurzeln geschlagen, wie die Bäume, unter denen sie stehen.

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In Wirklichkeit ist der Campingplatz natürlich keine Zuflucht für Buchmenschen, sondern – wie der Name schon sagt – ein Eldorado für Angler. Und wahrscheinlich waren wir die einzigen Gäste, die mehr Bücher als Angeln dabei hatten – Angeln: keine, ich für zwölf Tage zehn richtige Bücher und meinen Kindle, mein Mann nur seinen Kindle, er ist ein absoluter E-Book-Fan, aber das ist ein anderes Thema.

Lieblingsbuch gesucht

Seither überlege ich, welches Buch ich auswendig lernen würde, wenn ich mich denn für eins entscheiden müsste, dass ich vor dem Vergessenwerden retten wollte. Das Ergebnis: Ich weiß es nicht. Meine Lieblingsbücher wechseln. Eine Zeitlang wäre es wahrscheinlich „Nachtzug nach Lissabon“ gewesen, aber auch Siri Hustvedts „Was ich liebte“, „Hannas Töchter“, die Memoiren von Simone de Beauvoir, die Tagebücher von Victor Klemperer und natürlich das Tagebuch der Anne Frank stehen ganz oben auf der Shortlist. Es gibt so viele Bücher, das fällt die Auswahl schwer.

Apropos Shortlist. Die richtigen Büchermenschen treffen sich zurzeit in Frankfurt auf der Buchmesse. Ich fahre in diesem Jahr nicht hin, obwohl mich die Messe immer wieder fasziniert. Und zugegebenerweise ein bisschen erschlägt: So viele Bücher, wer kann, wer soll die alle lesen. Und es werden immer mehr. Denn immer mehr Menschen schreiben Bücher. Irgendwie hat Reither, der Ex-Verleger in Bodo Kirchhoffs Novelle Widerfahrnis, recht mit seiner Einschätzung, dass es allmählich mehr Schreibende als Lesende gibt.

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Alle schreiben, ich natürlich auch. Ein schöner Ort zum Lesen und Schreiben.

 

Einfach losfahren

Ich habe es getan, ich habe einfach ein Niedersachsenticket gebucht und bin losgefahren. Einfach natürlich nicht, denn es fällt mir eher schwer, Dinge einfach nur so für mich tun, ohne dass es einen Grund gibt, oder an einem Werktag freizumachen, an dem ich eigentlich brav am Schreibtisch sitzen, mich in Indesign einarbeiten, Artikel schreiben oder doch zumindest recherchieren sollte. Doch dann fällt mein Blick auf eines meiner Lieblingsgedichte, das neben meinem Schreibtisch hängt: Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte …

Es stammt offenbar nicht von Jorge Louis Borges, was aber nichts daran ändert, dass es mir sehr gut gefällt:
„… im nächsten Leben würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen.
Ich würde nicht so perfekt sein wollen,
ich würde mich mehr entspannen …“

Mehr reisen würde „er“ (oder sie oder es, das lyrische ich) auch. Und weil mir für einen Auftrag noch wichtige Angaben und Unterlagen fehlen und die Korrekturen eines Buchs noch nicht bei mir angekommen sind, fahre ich los.

Obwohl ich seit fast 30 Jahren in der Nähe von Hannover lebe und es einen Zug gibt, der mich ohne Umsteigen von Bahnhof zu Bahnhof bringt, war ich noch nie in Göttingen. Vielleicht hat mich Heinrich Heines Urteil beeinflusst, der in seiner Harzreise schreibt: „Die Stadt selbst ist schön und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht“. Mein Mann fand immer, dass Göttingen nicht der Reise wert sei, doch auch er war wohl das letzte Mal als Student in Göttingen – also vor mehr als 40 Jahren. Und auch von meinen Bekannten, deren Kinder in Göttingen studiert haben, hat niemand wirklich von der Stadt geschwärmt. Es gab also immer lohnendere Ziele. Bis jetzt.

Auf dem Bahnhofsvorplatz erinnert ein leerer Denkmalsockel mit dem Schriftzug „Dem Landesvater seine Göttinger Sieben“ an die Professoren, die im November 1837 gegen die Aufhebung der (damals recht liberalen) Verfassung im Königreich Hannover protestierten und prompt von König Ernst August I entlassen wurden. Drei von ihnen, Friedrich Dahlmann, Jacob Grimm und Georg Gottfried Gervinus, wurden sogar verbannt.

Denkmal Göttinger Sieben

Georg Christoph Lichtenberg hat den Protestbrief nicht unterzeichnet – er war zwar auch Professor in Göttingen, aber damals schon lange tot: Er starb 1799. Ich muss gestehen, dass ich nur seinen Namen kannte, bis ich ihn – in Bronze gegossen – vor einem  Unigebäude sitzen sah. Lichtenberg war nicht nur der erste deutsche Professor für Experimentalphysik (nicht gerade mein Spezialgebiet), sondern er gilt auch als Begründer des deutschsprachigen Aphorismus (was ich eigentlich hätte wissen müssen, schließlich habe ich mal Germanistik studiert). Lichtenbergs „Sudelbücher“ mit naturwissenschaftlichen und anderen klugen Erkenntnissen wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht.

Den Satz „Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?“, kannte ich; ich wusste aber nicht, dass er von  Lichtenberg stammt – ebenso wie die Erkenntnis „Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll.“ Und: „Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt.“ In dem Buch, das aufgeschlagen vor Lichtenberg liegt, ist zu lesen: „Das viele Lesen hat uns eine gelehrte Barbarei zugezogen.“ Ich ziehe mir in Göttingen höchstens eine Erkältung zu, denn es ist, obwohl die Sonne gelegentlich scheint, doch noch ziemlich kalt. Zu kalt auf jeden Fall, um irgendwo in einem der kleinen Cafés und Restaurants zu sitzen, die sich in Höfen und Gassen verstecken.

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Lichtenberg – Ein kluger Kopf und ein kluges Buch

Die Stadt – eine positive Überraschung: Viel Fachwerk, angenehm leer, obwohl es Freitag ist und es hier so viele Studenten gibt. Die Georg-August-Universität ist nicht nur die die älteste noch existierende Uni in Niedersachsen, sondern mit 30.600 Studierenden auch die größte. Aber erstens sind Semesterferien und zweitens sind die meisten Institute und Gebäude eben nicht mehr wie noch in Heines Zeiten in der Innenstadt. Viele kleine Läden, auch Buchläden. Ich finde in einem Schreibwarenladen meine geliebten Claire-Fontaine-Kladden in meiner Lieblingsfarbe, die ich künftig vielleicht nicht nur als Tage-, sondern auch als Sudelbuch benutze, entdecke ein wunderschönes Gartenbuch und in einem Antiquariat ein Buch, dessen Titel mich fasziniert (Und außerdem war es mein Leben) von einer Schriftstellerin, die ich bisher noch nicht kannte. Die Stadt gefällt und mittags ist klar: Mein erster Besuch in Göttingen wird nicht der letzte sein.

„Wohin mich mein Schicksal und mein Wagen führt“, schrieb Lichtenberg in einem seiner Sudelbücher. Mein Zug führt mich am späten Nachmittag noch gen Norden, zum Bahnhof nach Uelzen: Der wurde zur Weltausstellung EXPO 2000 zum Umwelt- und Kulturbahnhof nach den Vorgaben von Friedensreich Hundertwasser umgestaltet und zählt jetzt angeblich zu den (zehn) schönsten Bahnhöfen der Welt. Das kann ich nicht beurteilen, weil ich zu wenige Bahnhöfe in aller Welt kenne. Anders als „normale“ Bahnhöfe ist er mit den bunten Säulen, den Mosaiken, Kugeln und Rundungen auf jeden Fall, drinnen und draußen, Und auch hier steht fest: es hat sich gelohnt, einmal nicht nur von Zug zu Zug zu hetzen.

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Hundertwasserbahnhof in Uelzen

„Man sollte sich nicht schlafen legen, ohne sagen zu können, daß man an diesem Tag etwas gelernt hat,“ sagt Lichtenberg. Ich habe etwas gesehen und gelernt. Und ich bin sicher, dass ich es wieder tun werde – eine Fahrkarte buchen und einfach losfahren.