Monatsrückblick August 2023

Der Monat begann mit einer Reise in die Vergangenheit: Zum ersten Mal seit dem Jahrgedächtnis für meine Mutter vor drei Jahren war ich wieder an der Mosel. Es war, ich gebe es zu, ein merkwürdiges Gefühl, zum ersten Mal als Touristin in dem Ort zu sein, in dem ich geboren bin, mehr als 20 Jahre lang gelebt und in dem ich bis zum Umzug meiner Mutter ins Altenheim viel Zeit verbracht habe.

Mein Elternhaus haben die neuen Besitzer durch ein riesiges Vordach aus Holz auf der Moselseite „verschandelt“ – die dahinterliegenden Räume sind dadurch sicher wesentlich dunkler als früher. Und der Garten neben dem Haus musste Auto-Stellpätzen weichen. Es berührt mich eigentlich wenig, nur dass ich den Strauch mit den duftenden Pfingstrosen im Vorgarten nicht ausgegraben und in meinen eigenen Garten gepflanzt habe, als wir das Haus verkauften, bedaure ich noch immer. Jetzt ist er verschwunden.

Wir haben auf dem Stellplatz am Hafen übernachtet und ich habe es genossen, vom Wohnmobil aus die Mosel zu sehen. Wir haben Freundinnen und natürlich das Grab meiner Eltern besucht. Ich habe mir von meiner früheren Friseurin die Haare schneiden lassen – so kurz wie noch nie, meinte sie. Das Treffen mit meinem früheren Trainer und Lehrer hat leider nicht geklappt, und die alte Dame, der ich gelegentlich schreibe – und sie mir –, hat mich nicht mehr erkannt. Sie wird in diesem Jahr 100 und wir haben uns seit drei Jahren nicht mehr gesehen.

Obwohl ich an der Mosel geboren und dort aufgewachsen bin, bin ich erst jetzt, mit fast 67, zum ersten Mal dort gepaddelt. Ich habe den Calmont zum ersten Mal erwandert und zwei Wochen später war ich zum ersten Mal auf einer Landesgartenschau.

Eine ganz andere Premiere erlebte meine jüngste Enkelin am letzten Tag des Monats: Sie hatte in Hamburg ihren ersten Vorschultag. Am letzten Tag in ihrer Kita bekam sie zur Erinnerung von den ErzieherInnen einen Ordner mit Fotos aus den letzten drei Jahren. Als wir die Bilder anschauten, musste ich an meine Mutter denken. Wenn ich sie in den letzten Wochen vor ihrem Tod aufmuntern wollte, zeigte ich ihr Bilder oder kleine Videos ihrer Urenkelin. Dann strahlten ihre Augen, sie lächelte und manchmal brachte Ayda sie sogar zum Lachen. Meine Enkelin war noch kein Jahr alt, als meine Mutter starb, jetzt wird sie schon fünf. So schnell geht es.

Zwischen den Reisen in den Süden und den Norden stand im August viel Kunst auf dem Programm: Über die beiden Ausstellungen in Burgwedel – Parkomanie und Kunst in Bewegung – habe ich ja schon geschrieben. Mit einer Schreibfreundin war ich beim Tag der offenen Tür in der Villa Seligmann, einem Haus für jüdische Musik in Hannover. Mit einer anderen habe ich mir die Volker-Kriegel-Ausstellung „Ja was denn“ im Wilhelm Busch Museum angesehen. Ich kannte Volker Kriegel nur als (Jazz-)Musiker, dass er auch ein guter und bekannter Zeichner und Autor war, wusste ich gar nicht. Besonders gut haben mir seine tagebuchartigen Skizzenbücher gefallen – auch ich will schon lange ein Visual Diary, also eine Art bebildertes „Tagebuch“ oder Journal, führen und mehr Farbe in mein Leben bringen. Es ist Zeit, endlich zeichnen zu lernen und es zu üben.

Deshalb hatte ich mich auch für Ramona Weydes „August Art Journal“ angemeldet. Alle zwei Tage habe ich von ihr Aufgaben, Ideen und Impulse für mein Skizzenbuch bekommen. Die Anregungen haben mir gut gefallen, doch leider habe ich es nur sehr selten geschafft, sie umzusetzen, mein Art Journal in meinen Alltag zu integrieren. Aber ich gebe die Hoffnung und das Art Journaling nicht auf. Und angeblich ist ja der September ja so eine Art Januar des Herbstes – und eine gute Zeit für einen Neustart. Na denn.

Wandern in den Weinbergen

Seit ich öfter wandere, weil ich wegen meines kaputten Knies nicht mehr laufen kann, steht der Klettersteig am Calmont zwischen Ediger-Eller und Bremm auf meiner Bucket List – zu deutsch: Löffelliste: also auf der Liste der Dinge, die ich tun möchte, bevor ich den Löffel abgebe.

Die Tourdaten klingen nicht besonders beeindruckend. Gerade mal 380 Meter ist der Calmont hoch, der Gipfel liegt nur 293 Meter über der Mosel. Insgesamt geht es auf dem 6,6 Kilometer langen Rundweg 469 Meter bergauf – und natürlich ebenso viele bergab. Trotzdem war es eine der anspruchvollsten Wanderungen, die ich bislang gemacht habe. Denn die Weinlagen Bremmer Calmont und Ellerer Calmont, durch die der Klettersteig führt, zählen laut Wikipedia mit Hangneigungen von stellenweise bis zu 68 Grad zu den steilsten der Welt (https://de.wikipedia.org/wiki/CalmontCalmont).

Weil Weinbau in Steillagen wirklich aufwendig und anstrengend ist und sich nur lohnt, wenn die dort wachsenden Weine angemessen bezahlt werden, lagen Ende des letzten Jahrtausends viele Weinberge am Calmont brach. Erst in den 2000er-Jahren haben die WinzerInnen den Calmont wiederentdeckt; inzwischen wachsen in den beiden Steillagen fast überall wieder Reben. Trotzdem sind mir unterwegs weit mehr TouristInnen (mindestens drei Dutzend) begegnet, die durch die Weinberge wanderten, als WinzerInnen, die dort arbeiteten (drei).

Die steilsten Weinberge der Welt

Der Calmont-Klettersteig zählt nämlich zu den schönsten Wanderwegen an der Mosel. Angelegt wurde er vor mehr als 20 Jahren vom Deutschem Alpenverein und Freiwilligen aus den umliegenden Dörfern, aus Bremm, Ediger-Eller und Neef. Sie haben die Wege erneuert und schwierige Passagen mit Stahlseilen, Leitern, Trittbügeln und Trittstiften entschärft, sodass jetzt auch Menschen mit wenig Klettererfahrung wie ich auf dem schmalen, aber gut gesicherten Weg die tollen Aussichten genießen können.

Imposante Ausblicke gibt es unterwegs zuhauf – auf die Mosel, auf die Weinberge, auf die Orte im Tal und auf die Ruine des Klosters Stuben, ein im 12. Jahrhundert gegründetes „Augustinerinnenkloster für Jungfrauen und Witwen adligen Standes“. Damals stand das Kloster auf einer Insel; die Schwestern hießen „sorores de insula beati Nicolai in Stuppa“, also Schwestern auf der Sankt-Nikolaus-Insel in Stuben, weil die Klosterkirche dem Heiligen Nikolaus geweiht war. Der Name des Klosters kommt von den Stupa bzw. Stuba, den ‚heizbaren Stuben‘ oder ‚kleinen Häusern‘, in denen die Schwestern wohnten (http://www.calmont-region.de/index.php/kultur-geschichte-klosterstuben).

Apropos Namen. Der Name Calmont kann laut Wikipedia entweder vom lateinischen calidus „warm“ und mons „Berg“ oder vom keltischen kal „hart“ abgeleitet werden. Ob warmer Berg oder Felsenberg – der Calmont macht beiden Namen alle Ehre. Der Weg war steinig und schweißtreibend, Letzteres weil er nicht nur kontinuierlich bergauf, sondern auch über einen Südhang führt, wo die Sonne mittags brennt, wenn sie denn scheint. Das tat sie an diesem Nachmittag glücklicherweise, weil der Boden nach dem Regen am Morgen schnell abtrocknete. Wenn es regnet und/oder der Weg nass ist, kann es rutschig werden. Dann hätte ich meine Wanderung sicher verschoben.  

Der Klettersteig endet in Bremm; kurz vorher bin ich in Richtung Gipfelkreuz abgebogen. Das zwölf Meter hohe Kreuz steht aber nicht auf dem Calmont-Gipfel, sondern acht Meter tiefer, auf nur 372,5 Meter Höhe, und 665 Meter davon entfernt. Doch das habe ich erst nachträglich gelesen.

Vom sogenannten Gipfelkreuz führt der Höhenweg zurück nach Ediger-Eller, vorbei an einem römischen Bergheiligtum aus dem 2. bis 4. Jahrhundert, das seit 2005 ausgegraben und rekonstruiert wurde, und am Vier-Seen-Blick. Der Rückweg durch den Wald war weitgehend flach – doch am Ende bewahrheitete sich, dass man bei einem Rundweg genauso viele Meter bergab wie bergauf gehen muss – und umgekehrt. Als an einer Weggabelung zwei Wege zur Wahl standen – ein etwa fünf Kilometer langer durch das Tal des Ellerbachs und der weitaus kürzere, aber steile Moselsteig – habe mich für den Moselsteig entschieden. So konnte ich auf dem letzten Kilometer bis zum Bahnhof von Eller noch einmal schöne Ausblicke auf die Mosel genießen, auch wenn mein rechtes Knie heftig protestierte.

Die Fahrt nach Ediger-Eller lohnt übrigens nicht nur wegen des Klettersteigs am Calmont. Ediger und Eller sind wirklich hübsche Dörfer mit kopfsteingepflasterten Gassen, künstlerisch bedeutenden, leider veschlossenen Kirchen, ehemaligen Kloster- und Adelshöfen und vielen denkmalgeschützten Fachwerkhäusern, die teilweise schon im 16. Jahrhundert gebaut wurden.

Und mitten im historischen Ortskern von Eller habe ich in einem Gasthaus, das gerade renoviert wird, einen Co-Working-Space entdeckt. Neues Arbeiten in altem Gemäuer. Stehen geblieben ist die Zeit dort nicht. Im Jahre 2010 wurde Ediger-Eller beim Dorferneuerungswettbewerb als einer der zukunftsfähigsten Orte Deutschlands ausgezeichnet.

Co-Working-Space: Neues Arbeiten im alten Gemäuer im historischen Ortskern von Ediger-Eller