Oslo: Liebe auf den zweiten Blick

Nein, es war keine Liebe auf den ersten Blick. Aber das lag vielleicht auch daran, dass das Wetter eher trüb und ich nach der langen Anreise müde und hungrig war, als ich endlich am Bahnhof von Oslo ankam.

Natürlich bin ich trotzdem noch einmal losgezogen, nachdem ich mein Gepäck in meinem Zimmer abgestellt hatte. Das lag ideal, um die Stadt zu erkunden, nämlich in Grønland, nur ein paar hundert Meter vom Bahnhof und vom Wahrzeichen Oslos, der Oper, entfernt. Die wurde direkt am Oslofjord, auf dem Gelände des ehemaligen Hafens gebaut, und erinnert mit der Fassade aus viel weißem Marmor und Glas wirklich ein bisschen an einen riesigen Eisberg, der aus dem Wasser ragt.

Oslos Wahrzeichen: die Oper

Und natürlich tat ich, was wahrscheinlich alle TouristInnen in Oslo tun: Ich stieg aufs Dach der Oper. Zum einen, weil ich natürlich die Aussicht über die Stadt genießen wollte, zum anderen gefällt mir die Idee: Die Oper ist für alle da, auch für Menschen, die mit Oper, klassischer Musik und Bildung wenig am Hut haben.

Wirklich begeistert hat mich der Ausblick am ersten Abend zugegebener Weise (noch) nicht – für meinen Geschmack zu wenig Altstadt-Charme und zu viele moderne (Hoch)häuser. Neben Bahnhof und Oper ragen die beiden höchsten kommerziell genutzten Gebäude Norwegens, das 117 m hohe Radisson Blu Plaza Hotel und das fast ebenso hohe (111 m) Bürogebäude Posthuset, in den Himmel. Direkt hinter dem Bahnhof stehen zwölf schmale, unterschiedlich hohe Hochhäuser, die wegen ihres Aussehens auch „Barcode“ genannt werden. Auch das Munch direkt neben der Oper präsentiert sich sehr modern.

 „Vielleicht hätte auch ein Tag Oslo gereicht“, so mein Fazit am Abend des Ankunftstags. Ich hatte mich geirrt. Der erste Eindruck ist eben doch nicht immer der beste.

Durch Stockholm hatte ich mich im vergangenen Herbst zwei Tage lang treiben lassen, Oslo wollte ich mit dem Oslo Pass entdecken: Mit ihm kommt man gratis in die meisten Museen und Sehenswürdigkeiten in der Stadt, in vielen anderen zahlt man weniger Eintritt. Rabatte gibt es auch auf Sightseeing-Touren, Konzertkarten, in manchen Restaurants und Geschäften. . Busse, Straßenbahnen und einige Fähren in und um Oslo kann man mit dem Oslo Pass ebenfalls kostenlos nutzen. Das habe ich getan, aber wie immer war ich viel zu Fuß unterwegs – und habe en passant so manches entdeckt, was nicht auf meiner To-visit-Liste stand.

Widerstands- und Holocaustmuseum

Das Norwegische Widerstandsmuseum (Norges Hjemmefrontmuseum) beispielsweise in einem kleinen Gebäude auf dem Gelände der Festung Akershus. Die wurde während der deutschen Besetzung Norwegens von 1940 bis 1945 unter anderem als Gefängnis benutzt. Ein düstereres Museum habe ich noch nie gesehen – es befindet sich zum großen Teil in einem schmalen, dunklen Kellergang. Aber es informiert ja auch über das düsterste Kapitel in der deutschen Geschichte und in den deutsch-norwegischen Beziehungen.

Viele NorwegerInnen leisteten Widerstand gegen die nationalsozialistische Terrorherrschaft in ihrem Land – und retteten so manchen Verfolgten das Leben, Über 40.000 NorwegerInnen wurden während der Besatzungszeit inhaftiert und teilweise in deutsche Konzentrationslager verschleppt, etwa 1.500 starben. Ein Drittel der jüdischen Bevölkerung Norwegens wurde ermordet, nur 34 Jüdinnen und Juden überlebten.

Vom Schicksal einer jungen jüdischen Frau habe ich dann kurze Zeit später im norwegischen Zentrum für Holocaust- und Minderheitenstudien (Senter for studier av Holocaust og livssynsminoriteter) auf der Halbinsel Bygdøy erfahren.

Ruth Maier wurde 1920 in Wien geboren. 1939 floh sie vor den Nazis nach Norwegen. In ihren Tagebüchern, die sie schon als 13-Jährige in Wien begonnen hat, beschreibt sie ihr Leben in der Emigration – die Aufzeichnungen enden im November 1942, als sie von Oslo nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wird. Die Dichterin Gunvor Hofmo, die mit Ruth Maier befreundet war, bewahrte die Aufzeichnungen auf; erst 2007 wurden sie mit Briefen und Bildern vom norwegischen Schriftsteller Jan Erik Vold auf Norwegisch herausgegeben – und anschließende in mehrere Sprachen übersetzt. Die deutsche Ausgabe erschien 2008 in der Deutschen Verlags Anstalt – ich habe zum Glück ein Buch antiquarisch kaufen können.

Das Munch

Die Bilder Edvard Munchs habe ich im Januar 2024 bei der Ausstellung im Museum Barberini in Potsdam „entdeckt“ . Und so war der Besuch im Munch für mich natürlich ein Muss. Denn über die Hälfte der Gemälde Munchs, alle grafischen Motive und alle existierenden Druckplatten aus dem Nachlass des Malers sind, so Wikipedia, im Besitz des Museums, das 2021 eröffnet wurde.

Von außen ist das Munch sicher nicht jedermanns Sache. Wegen der „mit wellenförmigen Platten aus recyceltem Aluminium“ verkleideten Fassade wird es laut Wikipedia gelegentlich „als die größte Leitplankensammlung der Welt bezeichnet“. Andere erinnert der vom spanischen Architekturbüro Studio Herreros entworfene Bau an einen Bücherstapel, der aus dem Gleichgewicht zu geraten droht.

Aber von innen ist das Munch vielleicht das schönste Museum, das ich je gesehen habe (gut, so viele waren es ja auch noch nicht). Allein wegen des Blicks durch die gläserne Fassade auf den Fjord lohnt der Besuch. Nicht nur, aber auch deswegen bin ich am nächsten Tag noch einmal ins Munch gegangen.

Am ersten Tag habe ich mir alle elf Ausstellungsgalerien angesehen, die sich auf 13 Stockwerke verteilen. Das Museum ist zwar Munch gewidmet, aber Anfang Mai wurden auch drei andere Ausstellungen gezeigt.

Mit den Bildern von Georg Baselitz kann ich zugegebenerweise wenig anfangen – egal ob sie „richtig rum“ oder umgedreht, „feet first“, hängen. Besser haben mir die Werke von Kerstin Brätsch und Kiyoshi Yamamoto gefallen.

Im Mittelpunkt stehen im Munch natürlich die Werke von Edvard Munch. Einige hatte ich ja schon in Potsdam gesehen, aber ich habe natürlich viel Neues entdeckt. Mein Lieblingsbild – und offenbar nicht nur meins – ist und bleibt der Schrei, den es im Munch gleich in drei Versionen gibt. Die Bilder waren bei meinem zweiten Besuch so umlagert, dass es kaum ein Durchkommen gab. 

Das Nationalmuseum

Bilder von Edvard Munch gibt es – natürlich – auch im neuen Nationalmuseum für Kunst, Architektur und Design an derAker Brygge, dem ehemaligen Werftgelände. Insgesamt sind im größten Kunstmuseum Skandinaviens rund 5.000 Objekte – von Design, Kunsthandwerk bis bildender Kunst – aus verschiedenen Jahrhunderten – von der Antike bis zur Gegenwart – zu sehen: neben Werken internationaler KünstlerInnen wie  Claude Monet, Paul Gauguin, Auguste Renoir, Paul Cézanne und Pablo Picasso auch die vieler norwegischer KünstlerInnen.

Besonders beeindruckt haben mich die Bilder von Hans Gude, Peder Balke und Johan Christian Dahl – nicht wegen der Motive, sondern wegen des Lichteinfalls. So möchte ich malen können.

Vigeland-Skulpturenpark

Fans des Bildhauers Gustav Vigeland kommen nicht nur im Nationalmuseum, sondern vor allem auch im Vigelandsanlegget, auf Deutsch Vigeland-Skulpturenpark, auf ihre Kosten. Dort zeigen mehr als 200 seiner Stein- und Bronzeskulpturen Menschen jeden Alters in verschiedenen Lebenslagen: von der Geburt bis zum Tod, mal allein, mal ineinander verschlungen wie im Rad des Lebens oder im Monolith, einer 17 Meter hohen Granitsäule.  Mir haben zwar einige Skulpturen gefallen, aber irgendwie waren mir Skulpturen und Park zu monumental. Die Masse der nackten Körper hat mich fast erschlagen, ebenso wie die Masse der Menschen, die durch den Park pilgerten.

Ekebergparken

Im Ekebergparken war ich am nächsten Morgen fast allein und konnte Natur, Kunst und Panoramablick ungestört genießen. Denn vom Park, der auf einem Hügel westlich der Innenstadt liegt, hat frau einen atemberaubenden Blick auf die Stadt und den Oslofjord. Der Ausblick soll übrigens Edvard Munch zu seinem berühmtesten Gemälde inspiriert haben.

Heute kann man dort beim Spaziergang durch den Wald 40 Skulpturen und Kunstinstallationen bewundern, unter anderem von Renoir, Rodin und Dali, aber auch von vielen anderen (zeitgenössischen) KünstlerInnen. Besonders beeindruckt haben mich der Junge auf dem Sprungturm von Elmgreen & Dragset und „We come in peace“ von Huma Bhabha.

Auch eine Bekannte aus Hannover habe ich im Ekebergparken wiedergetroffen und auf den ersten Blick wiedererkannt: Niki de Saint Phalles verliebter Vogel (L´ouiseau Amoureux Fontaine) kann die Familienähnlichkeit mit den Nanas in Hannover nicht verleugnen.

Das Café im Ekebergparken war leider noch geschlossen: Ich habe mir aber fest vorgenommen, dort bei einer Tasse Kaffee die Aussicht auf den Oslofjord zu genießen, wenn ich das nächste Mal in Oslo bin. Denn ich habe mich geirrt, zwei Tage sind für Oslo bei Weitem nicht genug. Es gibt noch viel mehr zu entdecken.

Munchs Lebenslandschaften

Von Edvard Munch kannte ich eigentlich nur sein berühmtes Bild „Der Schrei“. Bis ich im Internet auf die Ausstellungen gestoßen bin, die im Museum Barberini in Potsdam und in der Berliner Galerie zu sehen sind bzw. waren. Denn die Ausstellung „Zauber des Nordens“ in Berlin schloss am 22. Januar ihre Tore; die „Lebenslandschaften“ in Potsdam sind noch bis zum 1. April zu sehen. Dann wandert die Ausstellung weiter, ins MUNCH nach Oslo, aus dem einige der gezeigten Bilder ausgeliehen wurden. 

Im Museum Barberini werden insgesamt 116 Gemälde, Holzschnitte, Lithographien und Zeichnungen des norwegischen Künstlers gezeigt, berühmte ebenso wie weitgehend unbekannte. Es ist laut Museum die erste Ausstellung zu Edvard Munchs Landschaftsdarstellungen. Denn „obwohl Edvard Munch fast die Hälfte seiner Arbeiten Naturmotiven widmete, wird er bislang nicht als Landschaftsmaler wahrgenommen“, heißt es in einer Pressemitteilung. Die Ausstellung will die Bedeutung seiner Naturdarstellungen erforschen, gängige Vorstellungen hinterfragen und neue Sichtweisen auf sein Werk anstoßen.

Meine Reise nach Potsdam hat sich gelohnt. Viele der ausgestellten Bilder haben mir gefallen der gelbe Baumstamm beispielsweise, der Dunkle Tannenwald oder das Frühlingspflügen. Und auch die Mädchen auf der Brücke und die Munchs Bilder von den Sommernächten am Strand haben mich fasziniert.

Andere, zum Beispiel „Stoffwechsel – Leben und Tod,“ haben sich mir erst auf den zweiten Blick und dank des Audioguides erschlossen, der mich durch die Ausstellung begleitete. Und manchen Gemälden wie den Badenden kann ich gar nichts abgewinnen. Kaum zu glauben, dass die kraftstrotzenden Männer vom gleichen Künstler gemalt wurden wie der Schrei.

Ausstellungsansicht Museum Barberini, Foto: David von Becker

Der Schrei ist und bleibt mein Lieblingsbild. Wie es entstanden ist, beschreibt Edvard Munch selbst in seinem Violetten Tagebuch unter dem Datum 22.1.1892  (zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Schrei):

„Ich ging den Weg entlang mit zwei Freunden – die Sonne ging unter – der Himmel wurde plötzlich blutig rot – Ich fühlte einen Hauch von Wehmut – Ich stand, lehnte mich an den Zaun Todmüde – Ich sah hinüber […] die flammenden Wolken wie Blut und Schwert – den blauschwarzen Fjord und die Stadt – Meine Freunde gingen weiter – ich stand da zitternd vor Angst – und ich fühlte etwas wie einen großen, unendlichen Schrei durch die Natur.“

Das Bild gibt es in verschiedenen Versionen, eine erste Skizze des Motivs findet sich laut Wikipedia bereits 1889/90 in einem  Skizzenbuch, die Version mit Öl, Tempera und Pastell beendete Munch Ende 1893. In der Ausstellung ist eine Lithografie aus dem Jahr 1895 zu sehen.

Der Schrei

Mit dem Schrei wurde laut Oskar Kokoschka der Expressionismus geboren, ich sehe mir nach der Munch-Ausstellung noch die Sammlung Hasso Plattner an: Über 100 impressionistische und postimpressionistische Gemälde sind in der Dauerausstellung zu sehen, unter anderem von Claude Monet, Auguste Renoir, Alfred Sisley, Paul Signac und Gustave Caibotte. Nirgendwo außerhalb von Paris werden nach Angaben des Museums mehr Gemälde von Claude Monet an einem Ort gezeigt als in Potsdam. Eines meiner Lieblingsbilder von Monet, der Seerosenteich, ist derzeit leider verliehen, und ich musste mit einem anderen Seerosenbild des malers vorlieb nehmen. Doch so habe ich einen guten Grund, wieder nach Potsdam zu fahren, wenn das Gemälde wieder zurück im Museum Barberini ist.

Sammlung Hasso Plattner, Museum Barberini, Potsdam
© David von Becker

Das Museum Barberini und die beiden Ausstellungen sind eine Reise wert. Wer will, kann auf der Website des Museums online durch die Ausstellungen wandern und per Audioguide Informationen über verschiedene Gemälde abrufen.

https://www.museum-barberini.de