Nicht meine Insel?!

Keine Frage: Sylt ist schön: die Dünen – angeblich soll es fünf verschiedene geben -, die feinsandigen Strände, malerische Orte und natürlich das Meer. Das ist, zumindest auf der Westseite der Insel, anders als am Wattenmeer, immer da. Außerdem gibt es auf Sylt fast immer Wellen … ich liebe es, in der Brandung zu schwimmen. Trotzdem ist Sylt nicht „meine“ Insel. Warum, kann ich nicht sagen. Vielleicht weil der erste Eindruck oft der entscheidende ist – und manchmal lange nachwirkt.

Meine erste Reise nach Sylt liegt schon fast ein halbes Jahrhundert zurück. Damals habe ich mit einer Gruppe geistig und körperlich beeinträchtiger Menschen bei Schleswig Urlaub gemacht und wir haben einen Tagesausflug auf die Insel unternommen. Die war schon damals die Insel der Reichen und Schönen – oder auf dem besten Weg, es zu werden. Aus unserer Gruppe war definitiv niemand reich und schön genug, weder wir BetreuerInnen noch die Betreuten – und das zeigte man uns deutlich. Ich erinnere mich an indignierte bis abwertende Blicke, die sagten: „Was wollen die denn hier?“ „Müssen sie uns unsere Urlaubsstimmung verderben?“

Auch beim zweiten Besuch vor dreieinhalb Jahrzehnten hat man uns, diesmal meinen Mann und mich, spüren lassen, dass wir nicht die Wunsch-Sylt-Urlauber sind. Wir hatten unser Auto in Niebüll abgestellt und waren mit unseren Rädern weitergefahren. Fahrradtourismus war damals noch nicht so in wie heute.

Im Tourismusbüro erhielten wir eine Liste mit freien Zimmern; in der Nachsaison seien, so versicherte uns die freundliche Mitarbeiterin, längst nicht alle Unterkünfte belegt. Mit unseren Rucksäcken bepackt, machten wir uns also ganz optimistisch auf, um eine Bleibe für drei oder vier Nächte zu suchen.

Die Suche ähnelte dann ein wenig der in der Bibel beschriebenen Herbergssuche: Mehrere Vermieter öffneten die Tür, musterten uns, und sagten dann, dass das Zimmer leider nicht mehr frei sei. In Hörnum fanden wir schließlich ein Zimmerchen unterm Dach – mit Möbeln aus den Sechzigern, Dusche und Klo auf dem Flur. Aber das störte mich nicht – damals ebenso wenig wie bei der Schreibwoche im vergangenen Jahr in der Akademie am Meer in Klappholtal.

Ich brauche keinen Luxus. Mein Zimmer war in Ordnung, aber Räume, um gemeinsam mit den anderen Teilnehmerinnen zu schreiben, habe ich schon vermisst. Dass ich mich auf dem Gelände nur an ganz wenigen Stellen ins Internet einloggen und nirgendwo mit dem Smartphone telefonieren konnte, hat die Freude am Aufenthalt ebenfalls getrübt. Richtig stressig war das digitale Abseits, weil ich nebenbei noch einen Auftrag zu Ende bringen musste und deshalb auf eine stabile Internetverbindung angewiesen war.

Aber die Lage der Akademie ist wirklich traumhaft. Die Häuser und Hütten liegen in den Dünen, nur durch ein paar Stufen vom Meer getrennt. Der breite Sandstrand war im November fast menschenleer: Ich bin jeden Tag am Meer entlangspaziert, habe die Ruhe und den Blick aufs Wasser genossen. Und ich bin sogar noch im Meer geschwommen.

Das habe ich in diesem Jahr bei meinem vierten Syltbesuch nicht gewagt. Denn so ganz traue ich meinem Fuß noch nicht: Obwohl mein Sprunggelenk gut verheilt ist, hatte ich Angst, von den Wellen umgeworfen zu werden und mich dabei erneut zu verletzen.

Auch der Ausstieg aus unserem Wohnmobil gestaltete sich etwas schwierig. Beim Runterfahren von der Fähre, die uns von Romö nach Sylt brachte, war nämlich unsere Trittstufe beschädigt worden und ließ sich nicht mehr ausfahren. Doch mit Hilfe eines kleinen Hockers, den wir eigentlich benutzen, um in unser Bett zu steigen, haben wir das Problem gelöst.  

Der Campingplatz Westerland liegt direkt hinter den Dünen – ideal für lange oder kurze Spaziergänge am Strand. Bis nach Westerland ist es nicht so weit – zu Fuß direkt am Strand entlang oder mit dem Bus. Der hält vor dem Campingplatz und fährt mehrmals in der Stunde – in Richtung Westerland und nach Hörnum am Südende der Insel. Und das Deutschlandticket gilt zum Glück auch auf der Insel.

Apropos Westerland: Besonders hübsch sind die meisten Häuser dort zwar nicht, aber der Ort hat eigentlich alles, was ich mir wünsche: Er ist nicht allzu groß, hat viele kleine Läden und Galerien, in denen man stöbern kann. Besonders gut gefallen hat mir, dass es mehrere Buchhandlungen gibt.

Auch an Lokalen und Cafés, in denen man draußen sitzen kann, mangelt es nicht. Überall saßen die Menschen dicht an dicht – aber ich hatte keine Lust, mich dazuzusetzen. Es waren zu viele – und ich fühlte mich nicht am richtigen Platz. Irgendwie ist Sylt eben nicht meine Insel.

Trotzdem werde ich wiederkommen, denn ich möchte den Besuch in der Strandsauna nachholen, den ich dieses Mal aufgeschoben habe. Abkühlen im Meer war wegen der hohen Wellen nämlich nicht möglich. Und darauf mochte ich nach dem Schwitzen mit Blick aufs Wasser nicht verzichten.

Zeit zum Schreiben auf Sylt

Es gibt Orte, die ich schon lange einmal besuchen wollte. Klappholtal auf Sylt zählte dazu. Einige Bekannte hatten mir vor Jahren von der Akademie am Meer und von der besonderen Atmosphäre vorgeschwärmt und mich gewarnt. „Entweder man ist begeistert oder man sagt ’nie wieder‘.“

Seither hatte ich mir das Akademie-Programm immer wieder angesehen – aber mal waren die Kurse ausgebucht, wenn ich mich endlich entschieden hatte, mal musste ich arbeiten oder hatte andere Termine. Aber die Herbstakademie der Bücherfrauen war genau das, was ich brauchte: „Endlich Meer! Zeit zum Schreiben auf Sylt“. Ich wollte endlich mit einem Projekt weiterkommen, an dem ich schon lange arbeite, ich kannte die Seminarleiterinnen Henriette Dyckerhoff und Dr. Elisabeth Drimalla und war gespannt auf ihren Input und ihre Schreibimpulse.

Auch der Temin Mitte November passte – fast: Zwar fiel in diese Zeit gerade die Schlusskorrektur einer Zeitschrift. Doch der Großteil der Arbeit war schon erledigt, als ich losfuhr; die restlichen Seiten wollte ich, so der Plan, zwischendurch korrigieren. Und im Notfall würde meine Kollegin Foe für mich einspringen. Aber wie sagte schon Blaise Pascal, der französische Mathematiker, Physiker, Erfinder und Philosoph im 17. Jahrhundert: „Weißt Du, wie Du Gott zum Lachen bringen kannst? Erzähl ihm Deine Pläne.“ Er hatte recht.

Aus dem Netz gefallen

Dass „zwischendurch korrigieren“ nicht so einfach sein würde, wurde mir klar, als ich mein Zimmer bezog: Denn in der Schwalbenhalle“ funktionierten weder die mobilen Daten noch der Hotspot meines Smartphones, mit denen ich mich ins World wide web einlogge, wenn ich unterwegs bin.

Auch über das WLAN der Akademie kam ich nicht immer und nicht überall ins Netz – und es war zudem leider ungesichert. Ich nutzte die Verbindung notgedrungen trotzdem – darauf vertrauend, dass der VPN-Schutz meines Antivirenprogramms meine IP-Daten verschlüsselte und mich sicher im Netz surfen und Anrufe übers Internet empfangen ließ. Von meinem Smartphone waren nämlich nur Notrufe möglich und Anrufe empfangen konnte ich über meine Mobilnummer nur, wenn ich am Meer spazieren ging.

Akademie am Meer

Das Meer, natürlich. Es ist ein, nein das Highlight in Klappholtal. Die Akademie liegt wirklich ganz nah am Wasser, nur durch ein paar Stufen und einen Holzsteg vom breiten und jetzt im November fast menschenleeren Sandstrand getrennt.

Heute würde eine solche Anlage in den Dünen sicher nicht mehr genehmigt. Aber als vor über hundert Jahren die ersten Gebäude entstanden, waren Umweltschutz und Zersiedelung der Landschaft noch keine wichtigen Themen. Außerdem heiligte der Zweck die Mittel. Denn wo heute Seminare und Workshops stattfinden, ging es damals um die Landesverteidigung: Während des Ersten Weltkriegs errichtete die Kriegsmarine in den Dünen das Lager Klappholttal, das den Soldaten der Inselwache als Quartier diente (https://de.wikipedia.org/wiki/Klappholttal). Nach dem Krieg funktionierte der Hamburger Arzt Knud Ahlborn die leerstehenden Gebäude zu einer Begegnungs-, Bildungs- und Erholungsstätte für Jugendbewegte, Kriegsheimkehrer und „Wandervögel“ um: Natur und Kultur sollten zur seelischen und körperlichen Genesung der Menschen beitragen (https://akademie-am-meer.de/ueber-uns/klappholttal.php).

Das Konzept überzeugte. „Bereits in der ersten Saison 1920 kamen rund 800 Gäste nach Klappholttal und fanden hier in provisorischen und äußerst spartanisch eingerichteten Quartieren Erholung am Meer, künstlerisches Erleben und ungezwungenes Zusammensein“, ist auf der Website der Akademie am Meer zu lesen. Heute ist sie mit ca. 400 Seminaren, fast 7.000 TeilnehmerInnen, mehr als 40.000 Übernachtungen pro Jahr und über 80 Einzelgebäuden „eine bedeutende Einrichtung der Erwachsenenbildung in Norddeutschland“.

Gemeinsam schreiben …

„Einfach leben und lernen. Weit ab von Alltagsstress und Leistungsdruck. Abseits von festgetretenen Pfaden“ – das ist in Klappholtalauch heute noch Programm. Und es ist schon eine besondere Klientel, die sich zu den Seminaren anmeldet. Wer Luxus und Ablenkung braucht, ist hier nicht richtig. Die vornehm aussehenden Damen in Highheels und Bleistiftröcken, die eine Seminarteilnehmerin bei der Anreise auf dem Bahnhof Westerland beobachtet hatte, tauchten jedenfalls in unserem Seminar nicht auf, wohl aber die beiden jungen Frauen mit Rucksäcken.

Anders als die Telefon- und Internetverbindungen funktionierte die Verbindung zwischen den Seminarteilnehmerinnen auf Anhieb – die Chemie zwischen uns stimmte. Das gemeinsame Interesse an Büchern und am Schreiben war eine gute Basis. Und wie sie ihre Muse verführen können, was zu tun ist, wenn es hakt, wie frau sich motivieren und den inneren Kritiker zwar nicht zum Schweigen bringen, aber doch zumindest besänftigen kann, beschäftigt viele schreibende Frauen – unabhängig von Alter, Beruf, Schreiberfahrung und aktuellen Schreibprojekten.

Es gab zwar einen Zeitplan, gemeinsame Sitzungen und Schreibanregungen zu verschiedenen Themen, aber die Angebote waren nicht verbindlich. Wer lieber etwas anderes oder an einem anderen Ort schreiben oder (am Meer) spazieren wollte, tat das. So habe ich die freie Schreibzeit oft damit verbracht, an dem Projekt zu arbeiten, das mich schon so lange beschäftigt (siehe oben).

Dass es in der Akademie keine wirklich geeigneten Räume gab, in die wir uns zu zweit, zu dritt oder zu viert zum Schreiben zurückziehen konnten, war ein Wermutstropfen. Denn ich schreibe gerne gemeinsam mit anderen: Die besondere Atmosphäre, die dabei entsteht, inspiriert mich und motiviert mich auch dann weiterzuschreiben, wenn ich – alleine am Schreibtisch sitzend – längst aufhören würde. Um sich draußen zum schreiben zu treffen, war es leider zu kalt und zu stürmisch. Und so trafen sich manche in der freien Schreibzeit zum Schreiben im großen Seminarsaal. Der wurde seinem Namen Turnhalle wirklich gerecht: Er war zwar dank großer Fenster zwar hell und freundlich, aber nicht wirklich gemütlich – als Schreibraum also eher suboptimal.

Gemeinsam schreiben in der Turnhalle (Foto: Elisabeth Drimalla)

… und (vor)lesen

Dass wir alle aus eigenen Texten vorlesen sollte, wurde mir erst klar, als ich schon längst angemeldet war. Aus meinen Texten zu lesen, bevor sie wirklich fertig sind, fällt mir schwer. Ich bin nämlich nur selten mit dem, was ich schreibe, zufrieden. Und mein innerer Kritiker erzählt mir ständig, dass das, was ich schreibe, ohnehin niemanden interessiert und dass ich es besser niemandem zeigen oder gar löschen sollte.

Aber da alle anderen Teilnehmerinnen bei den Lesungen mitmachten, wollte ich mich nicht drücken. Und so habe ich am zweiten Abend den Anfang der Geschichte, die irgendwann mal ein Roman werden soll, vorgelesen.

Ich solle mir einen Gegenstand besorgen und ihn als meine inneren Kritiker gelegentlich gegen die Wand werfen, riet mir eine Teilnehmerin nach der Lesung. Das habe ich getan: Der kleine Teufel bekommt neben der Hexe am Computer einen festen Platz auf meinem Schreibtisch. Wahrscheinlich wundert sich der arme Kerl, wenn er künftig gelegentlich durch die Luft fliegt. Denn ein so rüdes Verhalten ist er von mir nicht gewöhnt.

Fazit

Es waren gute Tage auf Sylt – mit viel Input, inspirierenden Schreibimpulsen, spannenden Texten, interessanten Gesprächen und Begegnungen mit tollen Frauen. Hoffentlich bleiben wir in Verbindung.

Und dann war da natürlich das Meer, an dem ich jeden Tag entlang gegangen bin und in dem sogar gebadet habe. Einmal nur und auch nur kurz, weil es im November eben doch schon recht kühl und die Wellen für mich zu hoch und zu wild waren.

Ob ich wieder nach Klappholtal fahren werde: Wahrscheinlich. Vielleicht eher zu einem Seminar, das vorwiegend im Freien stattfindet: Zeichnen beispielsweise – neudeutsch Urban oder Nature Sketching – oder Tai Chi am Strand. Und sicher werde ich beim nächsten Mal darauf achten, dass ich keine (beruflichen) Verpflichtungen haben, die stabile Internetverbindungen erfordern. Dann kann ich die Auszeit weit ab von Alltagsstress und Internet nämlich ohne Druck genießen.