Zugegeben, wirklich begeistert hat mich die Bitte nicht, bei der Einweihung der neuen Räume des AutorInnenzentrums etwas über den Frauenschreibtreff zu erzählen. Denn erstens sind solche Auftritte nicht mein Ding. Und zweitens wollte in an diesem Tag auf dem Hexenstieg wandern. Aber dann habe ich doch zugesagt: Schließlich hatte ich die Idee aus Wien importiert. Und es war eine gute Möglichkeit, andere schreibende Frauen über unsere monatlichen Treffen zu informieren. Außerdem war es ein Anlass, noch einmal Judith Wolfsbergers Buch „Schafft euch Schreibräume“* zu lesen. In ihrem Memoir schreibt sie über ihre Reisen auf den Spuren Virginia Woolfs durch England und die USA – und darüber, wie die ersten Schreibtreffs im writers‘studio in Wien entstanden sind.
Virginia Woolfs Aussage, dass Frauen ein eigenes Zimmer und ein eigenes Einkommen brauchen, um erfolgreich schreiben zu können, kennt wahrscheinlich fast jede schreibende Frau. Der 1929 erschienene Essay „A Room of one’s own“ (Ein Zimmer für sich allein) ist das wohl bekannteste Buch der englischen Schriftstellerin – und ein Kultbuch der Frauenbewegung.
Virginia Woolf schuf für sich an all ihren Wohnorten Rückzugsorte zum Schreiben. Ihr Schreibzimmer und ihre Schreibhütte in Monks House sind, ebenso wie der Garten, noch heute Pilgerstätten für Virginia Woolf Fans. Aber sie war, so Judith Wolfsberger, eben keine „einsame Schreiberin, die alles mit sich selbst ausgemacht hat“ (171). Sie hatte stets einen Kreis von SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und Intellektuellen um sich, mit denen sie sich austauschte, die sich gegenseitig anspornten und ermutigten. Der Nationalökonom John Maynard Keynes gehörte ebenso zu ihrer Community wie der Maler und Kritiker Robert Fry, ihre Schwester, die Malerin Vanessa Bell, die Schriftstellerin Vita Sackville-West und natürlich ihr Mann Leonard Woolf. Und so stellte Virginia Woolf schon in dem Essay „Berufe für Frauen“, der drei Jahre nach „A room of ones own“ erschien, die Frage: „Mit wem willst du den Schreib-Raum teilen und unter welchen Bedingungen?“ (278).
Die Erfahrung, dass ein eigenes Zimmer nicht genug ist und Alleinsein beim Schreiben nicht immer gut tut, machte auch Judith Wolfsberger. Beim Schreiben ihres Memoirs merkte sie, dass ihr manchmal im eigenen Schreibzimmer „die Wände zu nah“ kamen und dass sie bei manchen Texten die Verbundenheit mit anderen brauchte (269). Inspiriert von Virginia Woolf und von Schreibgruppen in den USA, traf sie sich in Wien regelmäßig zum Schreiben mit einigen Kolleginnen. Bei den wöchentlichen Treffen arbeitete jede für sich an eigenen Texten und Projekten, für die im Alltag zwischen Beruf, Familie und anderen Verpflichtungen keine Zeit blieb. Nur am Ende der Schreibsessions tauschten sich die Schreiberinnen kurz aus. Außerdem stellte Judith Wolfsberger in dem von ihr gegründeten und geleiteten writers‘studio Zeiten und inspirierende Räume zur Verfügung, in denen sich Frauen zum gemeinsamen Schreiben treffen konnten.
„In diesem gemeinsamen Schreibraum wird frau getragen von der kreativen Energie der Gruppe, dem Klappern der Tastaturen und Teetassen, dem Blättern, Kritzeln, Atmen, dem Kaffeegeruch. Die anderen schreibenden Körper, aktiven Köpfe, kreativen Seelen im Raum schaffen eine Anwesenheit, Gemeinsamkeit, die über so manche Ausflucht oder Selbstzweifel hinwegträgt. Dadurch stellt sich die innere Klarheit ein: jetzt bin ich hier in diesem Schreibraum, also schreibe ich“, schreibt Judith Wolfsberger in ihrem Buch (209).
Das war noch nicht erschienen, als ich mich im Frühjahr 2017 für zwei Schreibretreats in Wien anmeldete. Verabredungen zum Laufen kannte ich schon lange – ich hatte in Burgwedel vor Jahrzehnten einen Lauftreff für Frauen gegründet und lange in einem gemischten Lauftreff trainiert. Schreibtreffs waren für mich neu, aber ich wollte sie ausprobieren – und war begeistert.
Ich habe die beiden Schreibtage in Wien sehr genossen und gemerkt, wie sehr es inspiriert und motiviert, gemeinsam mit anderen zu schreiben. Das wollte ich künftig regelmäßig tun, ohne dafür tausend und mehr Kilometer fahren zu müssen. Doch es dauerte noch fast zwei Jahre, bis die Idee in Hannover umgesetzt wurde. Allein fehlten mir Mut, Kontakte und Geld. Doch dann lernte ich im Herbst 2019 bei einem Treffen der Bücherfrauen Annette Hagemann vom Kulturbüro der Stadt Hannover kennen. Sie bat mich, die Schreibtreff-Idee beim Autor*innen-Netzwerktreffen im Januar 2020 anderen hannoverschen AutorInnen vorzustellen. Beim gleichen Treffen wurde auch über die Schaffung eines Schreibhauses in Hannover diskutiert. Es sollte ein zentraler Anlaufpunkt für AutorInnen sein, ein Ort, wo sich Schreibende mit KollegInnen treffen können – zum Schreiben, aber auch zur Aus- und Weiterbildung und zum Networking. Ich war also nicht die einzige, die sich nach gemeinsamen Schreibräumen und dem Austausch mit anderen Schreibenden sehnte.
Ein Raum für unseren Schreibtreff war schnell gefunden – der Konferenzraum im Unternehmerinnenzentrum. Einige InteressentInnen – mehr Frauen als Männer – gab es auch. Doch dann kam Corona: Die geplanten Treffen mussten immer wieder verschoben werden und fanden dann nach diversen Lockdowns mit Maske, Impfnachweis, Coronatests und mit beschränkter TeilnehmerInnenzahl statt.
Das Interesse der Männer am gemeinsamen Schreiben war nicht sonderlich groß: Die meisten, die von mir angeschrieben und zu den Treffen eingeladen wurden, kamen nie. Offenbar ist Frauen der Kontakt zu anderen Schreibenden wichtiger als Männern. Und als wir im Sommer 2022 unseren Schreibtreff vom Unternehmerinnenzentrum ins Ihmezentrum verlegten, wurde aus dem Schreibtreff auch formell der Frauenschreibtreff.
Auch nach dem Umzug ins neue AutorInnenzentrum in der Deisterstraße blieb das Procedere das gleiche: Wir treffen uns in der Regel am ersten Sonntag im Monat ab 14 Uhr. Einige Frauen kommen regelmäßig, andere nur gelegentlich. Die Zahl der Teilnehmerinnen variiert. Mal sind wir nur zu dritt, mal kommen sieben oder acht Frauen. Die Jüngsten sind um die 30, die älteste ist über 70 Jahre alt. Hobbyschreiberinnen, die noch kein Buch oder noch keinen Text veröffentlicht haben, sind ebenso dabei wie Frauen, die vom Schreiben leben (wollen).
Wir schreiben etwa vier Stunden gemeinsam: jede an ihren eigenen Texten, zum Beispiel an Gedichten, Miniaturen, Essays oder an Romanen. Es gibt kein vorgegebenes Thema, keine Anleitung. Die meisten schreiben, andere nutzen die Zeit, um ihre Texte redigieren, zu korrigieren oder um neue Ideen zu entwickeln. Vor Beginn und in der Pause ist Zeit für Gespräche: über Literatur im Allgemeinen, über unsere Schreibprojekte im Besonderen – und über alles Mögliche, was uns bewegt.
„Anders als beim Schreiben zu Hause lassen wir uns beim Schreibtreff nicht von Alltagsdingen ablenken, nehmen uns Zeit und verabreden uns sozusagen mit uns selbst fest zum Schreiben“, bringt Annette Hagemann die Vorzüge auf den Punkt. „Das ist für unsere Texte erfahrungsgemäß sehr ergiebig.“
PS: Ich schreibe gerne mit anderen. Ein Teil dieses Beitrags ist bei einem Zoom-Cowriting mit einer Schreibfreundin entstanden. Fortsetzung folgt sicher.
PS II: Danke an Annette, ohne deren Unterstützung es den Schreibtreff und das AutorInnenzentrum in Hannover nicht geben würde.
Judith Wolfsberger: Schafft euch Schreibräume! Weibliches Schreiben auf den Spuren Virginia Woolfs. Ein Memoir. Gebundene Ausgabe, Brill Österreich Ges.m.b.H.; 1. Edition (5. März 2018), 29 Euro
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