Hinweis: Nordlichter können süchtig machen …
Andere fahren nach Skandinavien, um die Mitternachtssonne zu sehen. Uns – oder besser gesagt meinen Mann – zieht es hin, wenn die hellen Nächte vorbei sind, wenn es wieder früher dunkel wird. Auf der Jagd nach den Polarlichtern. Die sind, ich gebe es zu, faszinierend: Irrlichtern gleich tauchen sie auf und verschwinden wieder.
Früher galten die „Götterfackeln“ als Vorboten des Unglücks oder als Zeichen der Toten. Auf Finnisch heißen die Polarlichter nach einer alten lappischen Sage revontulet, also Fuchsfeuer, und die dazu passende Sage gefällt mir. Wenn der Feuerfuchs den Fjellrücken entlangläuft, schlägt sein Schwanz gegen die Schneewehen, so dass Funken auf den Himmel sprühen.
Die Wahrheit ist viel prosaischer – nix ist mit Göttern und Feuerfüchsen: Polarlichter entstehen, wenn elektrisch geladene Teilchen von der Sonne auf das Magnetfeld der Erde treffen. Die Luftmoleküle geben dann einen Teil der erhaltenen Energie als sichtbares Licht weiter. In welcher Farbe wir sie wahrnehmen. hängt von der Höhe ab. Grün sind die Polarlichter, wenn Sauerstoffatome in etwa 100 km Höhe angeregt werden, rot, wenn dies in etwa 200 km Höhe geschieht. Seltener sind violette und blaue Polarlichter: Sie werden durch Stickstoffatome verursacht.
Weil statistisch die meisten Nordlichter innerhalb des sogenannten Nordlichtovals in Nordwest-Lappland zu sehen sind, hieß unser Ziel Tromsö: Von dort ging‘s für mich nach zwölf Tagen nach Deutschland zurück, Mann und Wohnmobil blieben in Nordnorwegen, hauptsächlich der Nordlichter wegen. Utz ist süchtig nach Northernlights; er verbringt halbe Nächte draußen – ich schaue mir das Spektakel am Himmel meist nur durch die Scheibe aus dem Schlafsack an. Ich genieße mehr die Tage: Indian Summer mit milden Temperaturen, strahlend blauem Himmel und leuchtenden Herbstfarben. Und viel Wasser. Schön für die Augen – und gut für die Seele.
Die Orte auf der Hinreise durch Schweden waren leider nur Zwischenstationen: Gränna, die zuckersüße Stadt am Vättern ebenso wie das Fiskecamp mitten im Wald, die Campingplätze in Byske und bei der Stadt mit dem unaussprechlichen Namen: Ösköndsvik – schade, ich wäre gerne auf einigen Campingplätzen und an manchen Orten noch länger geblieben.
Wer je Nordlichter sehen will, sollte mit meinem Mann auf die Jagd gehen: Denn es gibt keine Nordlicht-Garantie – aber Utz hat wirklich Talent, am richtigen Ort zu sein, wenn der Himmel grün glüht. Und auch sein Draht zum Wettergott ist überaus gut. Das ist wichtig, denn Nordlichter sieht man nur, wenn der Himmel klar ist. Der Österreicher, den ich kurz vor meinem Rückflug auf dem Campingplatz in Tromsö traf, hatte in drei Wochen auf Nordlichtjagd in Nordnorwegen nur eine Nordlichtnacht erlebt – wir in den ersten fünf Tagen im Bereich des Nordlichtovals schon drei. Die ersten hat Utz bereits in Byske gesehen, zwar nur schwach und nur für geübte Augen bzw. für das viel empfindlichere Auge der Kamera sichtbar, richtig kräftige mit Beamern und einer Corona dann in Jokkmokk am Ufer des Lulealven.
In Norwegen und Schweden gibt es das sogenannte Allemansrätten, also eine Art Jedermannsrecht. Man kann überall eine oder mehrere Nächte zelten oder mit dem Wohnmobil stehen, außer auf landwirtschaftlichen genutzten Flächen und in der Nähe von Wohnhäusern. Außerdem darf man im Meer und in Fjorden angeln (kommt für uns nicht in Frage: Wir haben keine Angel, nur kiloweise Fotogepäck) und Pilze pflücken (ist für uns seit Tschernobyl auch nicht mehr angesagt, schon gar nicht in Nordskandinavien, das einen Großteil des nuklearen Fallouts abbekommen hat).
Frei campen ist eigentlich nicht mein Ding. Aber weil der Campingplatz Tromsö weitab vom Fjord liegt und alle anderen Campingplätze in der Umgebung bereits geschlossen waren, fuhren wir weiter. Auf Hillesoy, einer kleinen Insel vor Tromsoya, entdeckten wir einen kleinen Stellplatz – direkt am Wasser, an einem kleinen Sandstrand. Zum Baden war‘s entschieden zu kalt, aber der Blick aufs Meer war genial. Und weil für die Nacht zum Sonntag Polarlichter der Stufe 4 angekündigt waren, blieben wir ein paar Nächte. Als ich wieder in Deutschland war, kehrte Utz wieder auf die Insel zurück.
Ein Highlight für mich: die Wanderung auf den höchsten Berg der Insel. Der ist nicht gerade imposant hoch, aber der Aufstieg ist so steil, dass er durch ein Seil markiert und abgesichert ist. Unterwegs kamen mir Bedenken, aber weil vor mir drei Frauen kletterten – die älteste sicher an die 80, die jüngste in Turnschuhen, die nicht sonderlich trittfest aussahen – kletterte ich weiter. Wo die hoch- und runterkommen, schaffe ich es auch.
Es lohnte sich, die Aussicht war beeindruckend: Meer und Himmel unendlich blau, ringsum Wasser, in verschiedenen Farben schimmernd. Hier wäre ich gerne geblieben, in einer kleinen Hütte im typischen Rot. Doch das geht natürlich nicht. Schade eigentlich. Genau genommen ist‘s auch eine Schnapsidee: Ich bin bekennende Frostbeule und brauche nicht nur viel Wärme, sondern ebenso viel Licht. Hier, nördlich des Polarkreises, wird’s im Winter richtig kalt, dunkel und ungemütlich, erzählten mir die drei Frauen, mit denen ich oben auf dem Berg ins Gespräch kam. Die Jüngste studiert in Tromsö, will aber nach dem Studium wieder zurück nach Oslo. Und auch ihre Oma, die eigentlich auf der Nachbarinsel Sommeroy lebt, verbringt als „Klimaflüchtling“ die langen Wintermonate lieber in Südnorwegen.
Indian Summer auf Hillesoy