Abschied vom Elternhaus

Nach Neumagen. Zum vierten und wahrscheinlich letzten Mal in diesem Jahr. Und wohl zum letzten Mal in mein Elternhaus. Denn das Haus ist verkauft, meine Schwester hat den Kaufvertrag im vergangenen Monat unterzeichnet.

Seit meinem letzten Besuch hat sich eigentlich wenig getan. Einige Möbel, manche Bilder und die Kleider meiner Mutter haben wir beim Umzug im Januar mitgenommen. Ein paar Sachen haben meine Schwestern bei ihrem letzten  Besuch eingepackt. Aber die meisten Möbel stehen noch. Und trotzdem hat sich seit meinem letzten Besuch im Juli etwas verändert: Das Haus hat für mich seine Seele verloren.

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Die Mosel zeigt sich beim Abschied von ihrer herbstlich schönsten Seite – im Nebel versunken am Morgen …

Ich bin froh, dass meine Tochter mich begleitet. Sie hat in Trier studiert und ihre Großeltern während des Studiums oft besucht. Sie hängt am Haus – und hat hier noch manche Studienunterlagen zwischengelagert. Jetzt sortiert sie eifrig aus, wirft weg, was sie nicht mehr braucht, füllt nicht nur die eigene, sondern auch die Papiertonne von Freunden, die in der Nachbarschaft wohnen.

Weil die Käufer das Haus mitsamt Möbeln und Inventar übernehmen, müssen wir es nicht leerräumen: Das erspart uns nicht nur viel Zeit und Geld, sondern auch das Gefühl, das Leben meiner Eltern zu entsorgen. Das wäre mir sicher schwer gefallen. So freue ich mich, dass die Möbel weiter genutzt werden – der Abschied fiel mir leichter als befürchtet.

Mosel am Abend P1000722
… und am Abend, an fast der gleichen Stelle auf Zummet bei Trittenheim.

Es gab schöne Momente – gemeinsame Fototouren mit meiner Tochter zum Beispiel und gute Gespräche mit Freunden und Nachbarn – und berührende. So entdeckte meine Tochter ein Kästchen aus Holz, verziert mit Herzen. „Schmuckkästchen für N“, hatte mein Vater auf einen Zettel geschrieben, der mit einem Kettchen mit Herzanhänger im Kästchen lag. Er hatte ihr das Kästchen nie gegeben, vielleicht hat er es, als die Demenz ihn einfing, vergessen. Sie nimmt es natürlich mit – ein später Gruß von ihrem vor acht Jahren gestorbenen Opa – , ebenso wie einen Stempel mit den Initialen ihres Urgroßvaters und einen Schuhlöffel mit der Aufschrift: Michel Rodens, Schuhhandlung. Mein Großvater war Schuhmachermeister. Vielleicht hat meine Tochter von ihm ihr Talent für Lederarbeiten geerbt.

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Ungewohnter Anblick und herrlicher Ausblick: Ziegen auf Zimmet über Piesport

Die meisten Dinge, die ich einpacke, haben eher Erinnerungs- als materiellen Wert: eine alte Pfanne aus Gusseisen beispielsweise, eine Muskatreibe aus Blech inklusive Muskatnuss, ein Teeei , ein Rührlöffel, dessen Laffe im Laufe der Jahre halb abgewetzt ist, zwei Weingläser mit angeschlagenen Rändern, einen alten Bademantel und die Armbanduhr meiner Mutter, die schon seit Jahren nicht mehr funktioniert.

Vom Rosenthal-Kaffeegeschirr gibt es nur noch drei Tassen, ich nehme die drei vollständigen Gedecke mit, ebenso wie eine Sammeltasse, die ich zur ersten Kommunion Mitte der sechziger Jahre bekommen habe. Damals fand ich die Tasse scheußlich, heute gefällt mir das Muster. Benutzen werde ich die Tasse allerding wohl nie, weil gerade mal ein Schluck Kaffee hineinpasst. Das Silberbesteck hat meine älteste Schwester unter uns dreien aufgeteilt – zwei Messer und Gabeln für jeden. Aber an Kuchengabeln mangelt es mir jetzt  gewiss bis zum Lebensende nicht mehr.

Am Ende passt alles in unseren Kleinwagen. Den Esszimmerschrank und ein dazu passendes Regal – Erbstücke meiner Großtante – lasse ich von einer Spedition nach Hannover bringen. Da bei uns kein Platz ist, gewährt  meine Tochter ihm in ihrer Küche Asyl.

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Der alte Schrank aus dem Esszimmer meiner Eltern bekommt bald eine neue Heimat.

Zurück bleiben viele Bücher, noch mehr Erinnerungen und einige Menschen, mit denen ich in Verbindung bleiben werde. Auch wenn ich nicht mehr so oft wie bisher an die Mosel fahren werde.

Wandern für Anfänger

Ich bin in den vergangenen zwölf Monaten zum Couchpotatoe mutiert. Zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen: Wider Willen, denn eigentlich bewege ich  mich sehr gerne. Bis zu meiner Knieverletzung  war ich eine ganz passable und begeisterte Läuferin. Ich bin schon gejoggt, als joggen noch langstreckenlaufen hieß.

Doch seit einem Jahr läuft’s leider nicht mehr.  Auch eine Meniskus-OP im vergangenen Dezember hat daran bislang nichts geändert, im Gegenteil. Das Training auf dem Crossstepper ist für mich nur eine Notlösung und auch gehen ist nicht wirklich mein Ding. Es geht mir nicht schnell genug. Dabei täte es mir wahrscheinlich gut, es einmal ruhiger angehen zu lassen –nicht nur sportlich. „Wandern ist die vollkommenste Art der Fortbewegung, wenn man das wahre Leben entdecken will. Es ist der Weg in die Freiheit“, behauptet Elizabeth von Arnim. Grund genug, es auch einmal gehend zu versuchen.

Als ich letztens  eine Woche an der Mosel war, habe  ich es immerhin geschafft,  fast jeden Tag spazieren zu gehen oder zu wandern. Mal mit Freunden, mal allein, meist mit Blick auf den Fluss. Denn das Wasser vermisse ich im Norden  immer mehr,  je älter ich werde. Einer meiner Lieblingswege in der alten heimat: der erste Teil des Römersteigs von Trittenheim  bis zur Konstantinhöhe hoch auf dem Berg. Auf der steilen Treppe am Anfang des Wegs merke ich, dass mein Knie noch lange nicht in Ordnung ist – und dass meine Kondition nach einem Jahr fast ohne Sport sehr zu wünschen übrig lässt. Nach der Treppenetappe geht’s auf einem Weinbergsweg nach oben: durch die noch kahlen Weinberge, die an der Mosel Wingerte heißen, auf einem Pfad ganz nach meinem Geschmack: schmal, naturbelassen, mit schönem Blick auf die Mosel.

Auf dem Weg zum Fährfels-Plateau DSCN0228
Auf dem Weg zum Fährfelsplateau.

Kurze Pause auf dem kleinen Fährfelsplateau – in der Sonne sitzen, lesen und schreiben mitten in den Weinbergen. Wer allerdings auf der Bank sitzend den Tisch erreichen will, braucht längere Arme als meine.

Leider endet der schmale Pfad schon bald, weiter geht‘ s auf einem breiten Wirtschaftsweg – allerdings entschädigt der Ausblick auf die Mosel für die „Wanderautobahn“. Bei der Abzweigung Schieferhöhlen/Konstantinhöhe wird’s wieder besser. Den anspruchsvolleren Klettersteig, der auf der linken Seite auf die Höhe führt,  schafft mein lädiertes rechtes Knie noch nicht, also nehme ich den schmalen Waldweg zur Linken, der etwas weniger steil  zur Konstantinhöhe führt. Die verdankt ihren Namen dem römischen Kaiser Konstantin. Ihm soll hier – oder vielleicht auch an einer anderen Stelle auf dem Neumagener Berg – im Traum ein leuchtendes Kreuz Himmel erschienen sein und Christus soll ihm geraten haben, es gegen seine Feinde einzusetzen: in hoc signo vinces – in diesem Zeichen wirst du siegen. Konstantin befahl  daraufhin das Kreuz als Feldzeichen zu verwenden, berichtet Eusebius von Caesarea in seiner Biographie Kaiser Konstantins – und besiegte seinen Gegner Maxentiuns 312 an der Milvischen Brücke.  Der Schrift­stel­ler Lak­tanz schreibt, Konstantin habe den Traum in der Nacht vor der Schlacht gehabt.  Wie er es dann rechtzeitig vom Neumagener Berg bis nach Italien geschafft hat, wissen die Götter. Ich habe jedenfalls keine Vision, dafür genieße ich den Ausblick, auch wenn sich die Sonne ein bisschen verzogen hat. Dann geht’s zurück, statt über den Berg nach Neumagen wieder nach Trittenheim.

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Konstantinhöhe über Trittenheim

Zwei Tage später wandere ich einen weiterer Teil des Römersteigs: Von Piesport gehe ich an der Mosel entlang zurück Richtung Neumagen. Kurz hinter Ferres, einem Mini-Dorf mit gut einem Dutzend Häusern, geht’s wieder über eine steile Wingertstreppe den Berg hoch. Wieder macht sich das fehlende Training bemerkbar und ich bewundere die Männer, die im Herbst den ganzen Tag über diese Treppe die Trauben mit in einer zentnerschweren Hotte hoch- oder runtertragen. Auch das Traubenlesen hat im Steilhang seine Tücken, das weiß ich aus Erfahrung: Wenn der Eimer mal losrollt, gibt es kein Halten mehr.

Den DIN-Normen entspricht diese Treppe gewiss nicht: keine der steinernen Stufen gleicht der anderen. Mir ist’s recht, mir gefällt sie wesentlich besser als die 0815-Betonversion in Trittenheim.

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Nix mit DIN – Moselsteig Teil 2

Doch leider ist der zweite Teil der Treppe gesperrt, die zum verbotenen Heck führt. Der „Wanderpfad mit alpinem Charakter“ soll an der Schutzhütte Weislei enden. Weil ich den Weg nicht kenne, nur wenig Zeit habe und sich dunkle Wolken am Himmel zusammenballen, folge ich den Römersteig-Schildern. Die Umleitung entpuppt sich bis auf eine kurze Zwischenetappe wieder als breiter Wirtschaftsweg; auch hier entschädigt wieder der Blick auf die Mosel. Doch ein richtiger Wanderweg ist der Römersteig leider nicht. Zu viel gut ausgebaute Rad und Wirtschaftswege, zu wenig schmale, naturbelassene Wanderwege. Schade.

Doch ich gebe dem Wandern eine Chance: Beim nächsten Moselbesuch werde ich auf der verbotenen Treppe zum verbotenen Heck wandern. Und demnächst geht’s im Harz auf dem Hexenstieg – 97 Kilometer von Osterode nach Thale. Schluss mit Couchpotatoe.