Auf ein Neues

Wir haben lange nachgedacht, ob wir es tun sollen. Ob es die richtige Entscheidung ist und der richtige Zeitpunkt. Ausgerechnet jetzt. Corona ist noch lange nicht vorbei, die politische Situation ist seit Russland Krieg gegen die Ukraine führt unsicherer denn je, die Spritpreise sind auch deshalb so hoch wie noch nie. Und weil die Klimakrise längst eine Klimakatastrophe ist, müsste man eigentlich ganz aufs Autofahren verzichten. Oder zumindest ein Elektroauto kaufen.

Aber dann haben wir es doch wieder getan. Vier Jahre, nachdem wir unser altes Wohnmobil verkauft haben, haben wir ein neues gekauft. Mit Dieselmotor, weil Wohnmobile mit E-Motor für uns noch zu teuer sind, zu geringe Reichweiten haben – und überdies gaaanz lange Lieferzeiten.

Die sind bei Wohnmobilen zurzeit überhaupt sehr lang: Wer ein neues Wohnmobil bestellt, muss fast ein Jahr Geduld haben. Als wir im Internet das Modell gefunden haben, das wir haben wollten, haben wir schnell zugeschlagen. Denn wer 70 Jahre alt ist wie mein Mann oder auf die 70 zugeht wie ich, hat nicht mehr endlos Zeit.

Je älter ich werde, desto größer wird meine Sehnsucht nach Wasser. Da ich mir wahrscheinlich nie ein Haus am Meer leisten kann, möchte ich zumindest ab und zu ein paar Tage am Meer verbringen, den Sonnenauf- oder -untergang an einem See erleben oder auch in den Alpen. Natürlich könnten wir einfach losfahren oder losfliegen, uns irgendwo ein Hotelzimmer oder eine Ferienwohnung mieten. Doch wir haben es nur selten getan – oder um ehrlich zu sein: Spontan verreist ohne vorher ein Zimmer oder eine Wohnung zu buchen sind wir eigentlich nie.

Wegen Corona waren wir in den letzten Jahren ohnehin sehr wenig unterwegs. Doch das soll sich ändern. Ab Herbst bin ich Rentnerin, und bevor ich zu alt, zu krank oder auch zu bequem zum Reisen bin, möchte ich noch etwas von der Welt sehen. Vor allem von Europa und von Deutschland.

Fliegen ist, das habe ich bei meinem letzten Flug wieder einmal festgestellt, nicht mein Ding. Nicht nur der Flug selbst, sondern das ganze Drumherum stresst mich. Ich bin meist viel zu früh am Flughafen, vertrödele dort einen Großteil der Zeit, die ich durchs Fliegen eigentlich einsparen könnte. Und wenn ich an der Sicherheitskontrolle meinen Rucksack mit diversen technischen Geräten aus- und wieder eingepackt habe, ist ein Teil der Erholung schon wieder perdu. Außerdem finde ich es schade, dass ich so viele Landschaften überfliege, ohne etwas von ihnen zu sehen.

Für mich ist oft der Weg das Ziel. Bei unseren früheren Wohnmobilreisen haben wir auf dem Weg zu unserem Reiseziel viele wunderschöne Orte entdeckt, an denen wir dann gerne geblieben sind. Auf dem kleinen Campingplatz in der Normandie zum Beispiel, wo ich jeden Morgen mit Blick auf den Atlantik aufgewacht bin, oder in Verona, wo wir zwei Opern in der antiken Arena miterleben durften.

Auf dem Weg zum Meer

Die meisten Orte, die noch auf meiner To-visit-Liste stehen, können wir mit dem Wohnmobil erreichen. Ich möchte zum Beispiel in den nächsten Jahren nach Südnorwegen, in die Bretagne oder nach Portugal. Wieder einmal an die Mosel und ins Elsass und endlich einmal an den Bodensee und in die Alpen. Und neben längeren Fahrten stehen vor allem auch kürzere Ausflüge in die nähere und etwas weitere Umgebung auf meiner Wunschliste: mal ein paar Tage an die Ost- oder an die Nordsee, an die Müritz, an den Dümmer oder nach Worpswede. Einfach mal raus, eine kleine Auszeit zwischendurch.

Natürlich hat sich vor dem Kauf mein Umweltgewissen gemeldet: Denn bei der Herstellung und beim Fahren produzieren Wohnmobile leider mehr umweltschädliche Emissionen als „normale“ Autos. Doch weil wir uns für ein ganz kleines Wohnmobil entschieden haben, ist der Unterschied nicht so groß: Unser Wohnmobil verbraucht weniger Sprit als die meisten Sportwagen oder SUVs –  und wir beim Aufenthalt auf dem Camping- oder Stellplatz weit weniger Energie und Wasser als Urlauber im Hotel oder in einer Ferienwohnung. Und umweltfreundlicher als Flug- und Schiffsreisen sind Fahrten mit dem Wohnmobil allemal.

Immer am Meer lang

Der erste Eindruck ernüchternd: Wo sind wir hier nur gelandet. Natürlich: Der Blick aufs Meer war so beeindruckend wie im Reiseführer. Und dass die Cinque Terre, die fünf Dörfer an der ligurischen Küste, längst kein Geheimtipp mehr sind, wussten wir natürlich. Meine Friseurin hatte mich gewarnt. Doch wir hatten problemlos eine Ferienwohnung gefunden und – vielleicht auch deshalb – auf keinen Fall mit so vielen Touristen gerechnet. Auf der Promenade von Monterosso drängten sich mehr Menschen als am Tag zuvor auf der Piazza Maggiore in Bologna. Und selbst vor der sixtinischen Kapelle beim Rom-Besuch im vorletzten Jahr war das Gedränge kaum größer. Wir hatten auf einsame Wanderungen entlang der Küste gehofft, jetzt mussten wir uns mit unseren Rucksäcken einen Weg durch die Menschenmenge bahnen. Der Blick meiner Tochter sprach Bände: Wir hätten uns vielleicht doch für einen Ort im Hinterland, weiter weg vom Meer, entscheiden sollen. Doch schon nach knapp 400 Metern wurde es ruhiger, die via IV Noviembre 4, die Querstraße, in der unsere Ferienwohnung lag, war fast menschenleer.

Unsere Vermieter kamen sofort, als wir ihnen eine SMS geschickt hatten: ein sympathisches älteres Ehepaar, mit dem wir uns dank der Italienischkenntnisse meiner Tochter und der Deutschkenntnise von Signor C. nicht nur spontan gut verstanden, sondern auch gut verständigen konnten. Die Wohnung: hell, freundlich, wie im Internet beschrieben, vom Küchen- und vom Wohnzimmerfenster konnte man sogar das Meer sehen, das nur knapp 100 m von der Wohnung entfernt liegt. Das erste Essen in unserem Ferienort: in einem Restaurant direkt am Strand, unter uns brandeten die Wellen an den Strand und an einen Felsen. Ich habe zwar schon besser gegessen, aber selten dabei schöner gesessen. Der Wein wirklich piccolo, aber da ich kaum mehr einen Fingerhut vertrage, ausreichend.

Der erste Eindruck stimmt Gottseidank nicht immer. Das merkten wir in den nächsten Tagen. Monterosso wardoch eine gute Wahl. Mit dem Zug sind die Nachbarorte gut zu erreichen. So konnten wir jeden Tag eine andere Tour planen und alle Cinque-Terre-Dörfer und einige andere Orte in der Umgebung kennenlernen. Die fünf Dörfer auf oder zwischen den Felsen haben ein besonderes Flair. Die Wanderwege sind so, wie wir sie uns wünschen: schmal, naturbelassen, abwechslungsreich, mit vielen Auf- und Abstiegen und zahllosen wirklich beeindruckenden Ausblicken auf die Küste. Und mit Ausnahme des Cinque-Terre-Wegs waren die Wege eigentlich nie überfüllt.

Apropos Cinque-Terre-Weg. Die Tageskarte kostet satte 7,50 Euro; drei der vier Teilstrecken des Cinque-Terre-Wegs sind gesperrt. Doch das ist im Endeffekt kein Nachteil. Der gesperrte Wegteil zwischen Manarola und Riomaggiore gleicht eher einem Wanderhighway – eher etwas für einen Spaziergang als für eine Wanderung. Der begehbare Weg von Monterosso nach Vernazza ist zwar abwechslungsreich und schön, aber das Wandervergnügen trotzdem nur begrenzt: Eingezwängt zwischen zwei langsamen Wandergruppen aus Deutschland, kamen wir auf den ersten Kilometern nur im Gänsemarsch voran. Überholen war auf den schmalen Wegen und Treppen zuerst gar nicht – und auch später nicht immer möglich. Auch daran, das eigene Tempo zu gehen oder ungestört stehen zu bleiben, um zu fotografieren oder einfach nur den Ausblick zu genießen, war nicht zu denken.

Der Rückweg durchs „Hinterland“ durch Wald, Weinberge und Olivenhaine gefiel uns wesentlich besser: Auf dem rund 10 Kilometer langen Weg von Vernazza nach Monterosso begegneten uns nur wenige Menschen; dafür trafen wir unzählige Eidechsen, die sich auf den Steinen und Wegen sonnten und sich ungeniert fotografieren ließen. Das Meer und die Steilküste gerieten auch im sogenannten Hinterland nie aus dem Blick.

Die Wanderwege waren alle gut ausgezeichnet, gerade an Stellen, an denen sich Wege kreuzen, wäre allerdings ein bisschen mehr Mut zur Farbe hilfreich. Die Markierungen waren ausschließlich rot-weiß – und dadurch schwer zu unterscheiden. Verlaufen haben wir uns trotzdem nie, was sicher auch an dem wirklich ausgezeichneten Wanderführer lag: Der Wanderführer Ligurien aus dem Michael Müller Verlag (http://www.michael-mueller-verlag.de/de/wanderfuehrer/italien/ligurien_wandern/) verdient nach der Wertung eines großen Online-Buchhändlers die Bestnote fünf Sterne. Die Touren waren so präzise beschrieben, dass wir keine zusätzliche Karte brauchten. Dank des Formats konnte ich das Buch selbst auf steileren Passagen mit Kamera immer gut in der Hand halten.

Unbedingt empfehlenswert: Die Tour von Riomaggiore nach Porto Venerre, ein Abstecher auf die Insel Palmaria vor Porto Venerre – dort trafen wir nicht nur auf halbwilde Ziegen, sondern auch auf eine mutige Möwenmutter, die uns aus der Nähe ihres Nestes vertrieb – und eine Fahrt mit dem Boot an den Cinque-Terre-Orten entlang. Dabei sieht man die Orte und die Küste aus einer anderen Perspektive.

Fazit: Monterosso war wirklich eine gute Wahl. Wandern in Ligurien lohnt. Und der Wanderurlaub in Ligurien war zwar mein erster, sicher aber nicht mein letzter.

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