Stolpersteine gegen das Vergessen

Am 9. November vor 87 Jahren brannten überall in Deutschland Synagogen. Mit den Novemberpogromen begann die systematische und gewaltsame Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung durch das NS-Regime, die seit 1933 durch Diskriminierung und Ausgrenzung vorbereitet worden war.

Zwischen dem 7. und 13. November 1938 wurden laut Wikipedia rund 1.400 Synagogen, Betstuben, Versammlungsräume und tausende Geschäfte und Wohnungen von Jüdinnen und Juden gestürmt und zerstört; jüdische Friedhöfe wurden geschändet, mehrere hundert Menschen wurden ermordet. Mindestens 30.000 Menschen wurden ab dem 10. November verhaftet, interniert oder in Konzentrationslager deportiert. „Hunderte starben an den Folgen der mörderischen Haftbedingungen oder wurden hingerichtet.“

Die Scham ist nie vorbei

Dafür, dass in meinem Heimatort auch meine drei Onkel bei den Novemberpogromen mitmachten, schäme ich mich noch heute – auch wenn dies lange vor meiner Geburt geschah. Damals drangen nicht nur SA-Leute in die Synagoge und in die Wohnungen der Juden ein, die noch in Neumagen lebten, „Sie zerschlugen alles, was ihnen in die Hände fiel. Altes Porzellan, Schränke u.w; die Synagoge ist im Innern vollständig zertrümmert“, beschreibt die Neumagener Chronik die Verbrechen dieser Nacht.

Der jüngste Onkel war damals erst 13 und er hatte, wie Jorge Semprun in seinem Buch „Die große Reise“ schreibt, eigentlich keine Chance, kein Nazi zu werden. Er war sieben, als Hitler an die Macht kam und die Indoktrination in Schule, Gesellschaft und Familie begann. Meine Tante hat ihrem ältesten Bruder, der als einziger der drei den Krieg überlebte, ihr Leben lang vorgeworfen, er habe den jüngsten in den braunen Sumpf hineingezogen. „Mama hätte ihn alleine nie gehen lassen“, sagte sie immer wieder.

Was würden wohl meine Onkel sagen, wenn sie wüssten, dass ich mich am 9. November mit anderen Omas gegen rechts traf, um den Stolperstein für Dr. Albert David zu putzen, mit Blumen zu schmücken und so an ihn und all diejenigen zu erinnern, die von den Nationalsozialisten diskriminiert, deportiert, gequält und ermordet wurden?

In Erinnerung an Dr. Albert David …

Dr. Albert David lebte und praktizierte mehr als 40 Jahre als Allgemeinarzt in Burgwedel. Er soll ein angesehener Arzt und freundlicher Mensch gewesen sein: So ließ er sich auch in Naturalien bezahlen und schenkte armen Patienten Lebensmittel.

Doch das schützte ihn nicht vor Repressalien und Ausgrenzung, als die Nazis an die Macht kamen. Und ich frage mich, wie viele BurgwedelerInnen, denen er geholfen oder gar das Leben gerettet hatte, ihm seines nach 1933 schwergemacht und in den Tod getrieben haben.

Im September 1938 wurde Dr. Albert David die Approbation als Arzt entzogen, weil er Jude war. Er musste seine Praxis schließen, sein Vermögen wurde eingezogen. Als am 19. Mai 1940 vermutlich zwei Gestapo-Männer ihn in seinem Haus aufsuchten, vergiftete er sich in einem Nebenraum.

… und an 28 ermordete Kinder

Der Stolperstein zur Erinnerung an Dr. Albert David wurde im Juni 2015 verlegt. Seit November 2019 gibt es im Ort 28 weitere Stolpersteine. Sie erinnern an 28 Babys und Kleinkinder, die im Winter 1944/1945 im sogenannten Polenheim verhungerten oder durch Vernachlässigung starben.

Ihre Mütter, Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa, mussten auf Bauernhöfen in der Nähe arbeiten. Ihre Kinder wurden ihnen kurz nach der Geburt weggenommen; sie durften sie in dem Heim, das offiziell „Ausländerkinder-Pflegestätte“ hieß, nicht einmal besuchen. Gepflegt wurden die Kinder in der „Pflegestätte“ nicht: Sie lebten dort unter erbärmlichen Bedingungen und überlebten im Durchschnitt ohne Muttermilch und Zuwendung lediglich zwei Monate. Manche wurden nur wenige Wochen alt, das älteste ein halbes Jahr. Die Kinder wurden auf dem Friedhof an der Thönser Straße an begraben – wo, ist nicht bekannt. Vier von ihnen hatten nicht einmal einen Namen.

Wir Omas haben auch an ihren Stolpersteinen in der Nähe der Grundschule eine Kerze und ein paar Blumen hingelegt und an ihr Schicksal gedacht. Unsere „Omas-gegen-rechts-Westen“ durften wir dabei – so die Vorgabe der Verwaltung – nicht tragen.

An die Anweisung, die Stolpersteine für die ermordeten Kinder nicht zu reinigen, habe ich mich dagegen gerne gehalten. Denn das übernehmen in dieser Woche die Schülerinnen und Schüler der Grundschule Kleinburgwedel. Eine wirklich gute Idee in einer Zeit, in der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Hetze gegen Menschen, die (angeblich) anders sind, hierzulande leider auch an Schulen rapide zunehmen. Wohin das führen kann, haben unsere Eltern und Großeltern in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrunderts erlebt – und Millionen Menschen nicht überlebt.

Monatsrückblog Oktober 2025

Im vergangenen Jahr habe ich regelmäßig am Anfang des Monats auf den vergangenen zurückgeschaut; warum ich im März damit aufgehört habe, weiß ich nicht mehr. Eine Rolle hat sicher auch gespielt, dass ich im Sommer wenig unternehmen Konnte. Doch jetzt will ich die Monatsrückblogs wieder aufleben lassen. Denn als ich vor ein paar Tagen über Denises Journalingfrage „Was ist dir im Oktober im Gedächtnis geblieben“ nachgedacht habe, wurde mir bewusst, was ich alles erlebt und schon fast wieder vergessen hatte.

Ich bin im Oktober viel gereist. Zwar meist nur kurz und „nur“ in Deutschland, aber oft. Ich war an der Nordsee, in Frankfurt auf der Buchmesse und in Neustadt an der Weinstraße. In den Harz und nach Hamburg bin ich sogar gleich zweimal gefahren.

An der Nordseeküste

Zwei Tage haben wir mit dem Wohnmobil auf unserem „Stammstellplatz“ in Döse direkt hinterm Deich verbracht. Weil im Herbst Millionen Zugvögel auf dem Weg nach Süden im Wattenmeer einen Zwischenstopp einlegen, hat uns diesmal unsere Tochter begleitet. Sie hat sich schon als Kind für Vögel interessiert und vor ein paar Jahren diese Leidenschaft wiederentdeckt. Wenn ich mit ihr unterwegs bin, zeigt sie mir immer wieder Vögel, die ich bis dahin gar nicht kannte. Mehr als 150 Vogelarten hat sie inzwischen fotografiert – einige der wirklich beeindruckenden Vogel- und Naturfotos sind auf ihrer Website zu sehen und zu kaufen.

Buchmesse in Frankfurt

Die Frankfurter Buchmesse habe ich zum ersten Mal während meines Studiums in Mainz besucht – und ich erinnere mich noch genau, wie überwältigt ich damals von der Zahl der Verlage und der ausgestellten Bücher war. Für einen Bücherfan wie mich war die Buchmesse das Paradies. Ich konnte mich gar nicht sattsehen.

Stundenlang lief ich durch die Hallen, blätterte in Büchern und sammelte kiloweise Prospekte vor allem von den kleinen Verlagen, deren Bücher man nur selten in Buchhandlungen fand. Besonders glücklich war ich, wenn ich einen Fachbesucherausweis ergatterte. Denn mit ihm konnte man montags, damals noch der letzte Messetag, Bücher deutlich unter dem Ladenpreis kaufen. Diese Gelegenheit habe ich gerne genutzt.

Auch als ich nicht mehr im Süden wohnte, bin ich regelmäßig zur Frankfurter Buchmesse (FBM) gefahren – und nach der Wende zur Leipziger. In diesem Jahr war ich zum ersten Mal seit Corona wieder in Frankfurt – und ein bisschen enttäuscht. Irgendwie hatte die Messe ihren Zauber verloren. Das ist vielleicht nach so vielen Buchmesse-Besuchen normal. Aber es liegt sicher auch daran, dass sich in der Buch- und Medienbranche vieles geändert hat. Über Neuerscheinungen oder Verlagsprogramme kann frau sich heute schneller und umfangreicher im Internet als an den Messeständen informieren. Für Gespräche haben die MitarbeiterInnen oft wenig Zeit und einige kleinere Verlage habe ich auf der Messe vergeblich gesucht. Manche kommen gar nicht mehr zur Buchmesse, andere stellen aus Kostengründen nur noch auf Gemeinschaftsständen aus. Und einige Verlage gibt es vielleicht gar nicht mehr.

Schön war’s auf der Buchmesse aber trotzdem, auch weil ich dort eine befreundete Verlegerin getroffen habe und mit ihr über ein (gemeinsames) Buchprojekt gesprochen. Das reicht im doppelten Sinne weit in die Vergangenheit zurück – bis ins Mittelalter und zu einer Exkursion während unseres Studiums. Vielleicht schaffen wir es ja irgendwann, es zu verwirklichen.

In der Pfalz

Zugegeben, auf dem direkten Weg zwischen Frankfurt und Hannover liegt Neustadt an der Weinstraße nicht, aber der Besuch bei meiner Freundin war den Umweg auf jeden Fall wert. Gemeinsam haben wir uns die Ausstellung Caesar und Kleopatra im Historischen Museum angesehen. In deren Mittelpunkt stand zwar das wohl berühmteste Paar der Antike, aber mehr als 240 Exponate aus acht europäischen Ländern informierten auch über die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Hintergründe und ermöglichten virtuelle Streifzüge durch Alexandria und Rom. 

Und sie räumte mit dem Klischee Kleopatras als Femme fatal auf. Denn die ägyptische Herrscherin war nicht nur schön, sondern hochgebildet: Sie sprach viele Sprachen, hatte großes politisches Geschick und einen scharfen Verstand. Caesar und Cleopatra verbanden sicher nicht nur Liebe, sondern auch politische Interessen: Kleopatra suchte eine Schutzmacht, die ihre Herrschaft in Ägypten absicherte, Caesar den Zugriff auf die ägyptischen Ressourcen. Denn Rom war z. B. abhängig von Getreidelieferungen aus Ägypten. Das alles hatte ich sicher mal irgendwann gelernt, aber fast wieder vergessen. Reisen bildet eben.

Auf der Rückfahrt nach Neustadt haben wir dann in Deidesheim Halt gemacht. In einem Lokal habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Saumagen probiert – es schmeckt besser, als es sich anhört – und einen Rundgang durch eines der schönsten Weindörfer der Pfalz gemacht. Leider war es schon dunkel, aber ich werde gewiss wiederkommen, um Deidesheim und die Pfalz besser kennen zu lernen.

Hamburg: Planten un blomen

Planten un blomen habe ich erst im letzten Jahr entdeckt. Dabei liegt der Park mitten in Hamburg, zwischen Congress-Centrum, Messegelände und St. Pauli. Und anders als die Herrenhäuser Gärten in Hannover ist er ohne Eintritt zugänglich. Bei meinen ersten Besuchen hat mich die Atmosphäre im Japanischen Garten fasziniert: Er ist auch mitten in der Großstadt ein Ort der Ruhe. in dem die leuchtend roten Blätter des Japanischen Ahorns farbige Akzente setzen.

Am Rosengarten wäre ich wieder fast vorbeigelaufen. Bei meinem Besuch im Frühling blühten die Rosen noch nicht, im Oktober ist die Rosenzeit eigentlich vorbei. Doch dann sah ich aus der Ferne ein paar Blüten – und habe es mir anders überlegt.

Etwa 300 verschiedene Rosensorten wachsen in dem 5.000 Quadratmeter großen Garten – zum Beipiel historische und Englische Rosen, Strauch-, Wild-, Beet-, Kletter- und Hochstammrosen – und viele Stauden. Die meisten Sommerblumen waren längst verblüht, doch viele Rosen blühten immer noch und bewiesen, wie ausdauernd sie sind. Ich habe mir fest vorgenommen, spätestens im nächsten Sommer wiederzukommen: Denn in der Sommersaison erklingt im offenen Pavillon im Zentrum des Rosengartens täglich klassische Musik.

Hamburg: Hans Zimmer live

Mein Mann ist ein Fan von Hans Zimmer und er ist bei Weitem nicht der einzige. Die Barclays Arena war beim Konzert auf der Tournee „The Next Level“ ausverkauft.

Hans Zimmer ist wohl einer der begehrtesten und innovativsten Filmmusikschreiber Hollywoods. Mehr als 100 Filmmusiken hat er komponiert, u.a. für Rain Man, Fluch der Karibik, Interstellar, Da Vinci Code, Gladiator und König der Löwen. Für die Filmmusik von König der Löwen bekam er einen Oscar, zwölfmal wurde er nominiert.

Im Februar war ich schon einmal mit meiner Tochter in einem Hans-Zimmer-Konzert im Congress Centrum Hannover – und war enttäuscht. Nicht von der Musik und auch nicht von den InterpretInnnen: Die SängerInnen waren sehr gut, das Orchester ebenfalls. Nur die Tontechnik hat jämmerlich versagt. Übrigens nicht zum ersten Mal im CCH. Das Orchester übertönte den Chor fast immer und teilweise war die Musik unerträglich laut. Viele BesucherInnen gingen in der Pause. Wir blieben und wurden mit einer deutlich besseren zweiten Hälfte belohnt.

Sehr, sehr laut war auch der Auftakt beim Konzert in der Barclays Arena. Nach den ersten Takten zog ich meine Hörgeräte aus, was ein bisschen half. Wirklich gut wurde das Konzert ab dem dritten Stück. Highlight war sicher aus Circle of Life aus dem König der Löwen, aber fast noch besser hat mir das Stück aus dem Gladiator gefallen, dessen Titel ich leider nicht kenne, weil ich eine musikalische Analphabetin bin.

Übrigens war nicht nur die Musik, sondern auch der Veranstaltungsort selbst ein Erlebnis. Ich neige nicht zur Höhenangst, aber beim ersten Blick von unseren Plätzen auf die Bühne wurde mir doch etwas mulmig. Wir saßen in der letzten Reihe, über uns waren nur noch Technik und das Hallendach. Aber nach ein paar Minuten hatte ich mich an den Blick in die Tiefe gewöhnt und konnte das Konzert genießen.

Wandern im Harz

Der Monat endete, wie er begonnen hat: mit einer Wanderung im Harz. Am Reformationstag war die die Strecke schon länger und anspruchsvoller als am Anfang des Monats. Es gab einige Auf- und Abstiege, die ich bewältigte, ohne dass mein Fuß größere Probleme bereitete. Allerdings spielte mir mein Kopf an einigen Stellen einen Streich. Weil sie mich an meinen folgenreichen Ausrutscher im Mai erinnerten, bewegte ich mich an rutschigen und abschüssigen Passagen sehr vorsichtig und ängstlich. Aber auch das wird sich im Laufe der Zeit hoffentlich wieder ändern.

Auf unserer Wanderung vom Radauwasserfall nach Bad Harzburg und wieder zurück sind wir im Wald dann einem Wesen aus dem nördlichen Düsterwald begegnet. Thranduil, König der Waldelben in Tolkiens Roman Der Hobbit, gab sich die Ehre und ließ sich bereitwillig von mir fotografieren. Ein würdiger Abschluss eines erlebnisreichen Monats. (Weitere Cosplays von Foe Rodens unter https://foecreations.wordpress.com/cosplay/).


Die Sache mit der Maus

Angeblich sucht jedeR rein statistisch ein Jahr seines Lebens nach verlegten Gegenständen. Besonders häufig wohl nach Schlüsseln, Handys, Brillen und Geldbeuteln. Bei Seniorinnen wir mir stehen außerdem Hörhilfen in der Liste der verschusselten Dinge ganz weit oben.

Mit meinen Hörgeräten habe ich bislang kein Problem: Sie befinden sich entweder in meinem Ohr oder in der Ladestation. Ich vergesse nur öfter, sie anzuziehen. Denn mein Hörvermögen ist noch grenzwertig und ich verstehe auch ohne Hörgeräte im Alltag das meiste. Auch meine Brille suche ich eigentlich nie, weil ich sie nur sehr selten tragen muss. Denn zum Glück ergänzen sich meine jugendliche Kurzsichtigkeit und meine Altersweitsichtigkeit sehr gut. Ich kann jetzt besser in die Ferne schauen als mit 20 – möglicherweise würde ich heute mit einer Sehstärke von nur noch 0,7 Dioptrien sogar den Sehtest beim Führerschein bestehen. Und ich kann immer noch 7-Punkt-Schriften, zum Beispiel Beipackzettel von Medikamenten, ohne Sehhilfe lesen.

Schlüssel und Portemonnaie suche ich seltener, seit ich mir angewöhnt habe, sie (meist) in eine Schale im Flur zu legen (Ausnahmen bestätigen leider die Regel). Wenn ich mein Smartphone wieder einmal vermisse – und das tue ich ehrlich gesagt relativ oft –, rufe ich mich einfach selbst an. Schwierig wird es nur, wenn ich das Handy mal wieder stumm geschaltet habe oder wenn ich meine Hörgeräte trage: Dann ist das Klingeln nämlich nur in meinem Ohr, nicht im Raum oder Haus zu hören, und die Sucherei geht los.

Ganz oben auf der Liste der verlegten Gegenstände steht bei mir allerdings die Maus: Zuletzt habe ich gestern Morgen wieder nach ihr gesucht. Denn mit dem Touchpad lässt sich mein Computer nicht so gut steuern wie mit ihr.

Am Abend zuvor hatte ich sie in meinem Schlafzimmer benutzt und sie dann mit meinem Laptop in mein Arbeitszimmer gebracht. Der Laptop stand morgens noch auf meinem Schreibtisch, von der Maus fehlte dagegen jede Spur. Ich suchte im Arbeits- und im Schlafzimmer. Sicherheitshalber leerte ich sogar den Rucksack aus, in dem ich am Sonntag Computer und Mouse transportiert hatte. Aber das Mäuslein blieb verschwunden. Auch Rufen half nichts. Fast hätte ich versucht, sie mit einen Stückchen Käse anzulocken, doch dann entdeckte ich sie – sie hatte sich auf dem Maltisch unter meinem aufgeschlagenen Kalender versteckt.

Seitdem denke ich darüber nach, wie ich die Mousesuchzeiten reduzieren kann. Einen festen Ablageort zu finden, ist schwierig. Schließlich begleitet sie mich und meinen Laptop überall, wo wir gerade schreiben – im Haus, aber auch außerhalb, zum Beispiel am Sonntag zum Schreiben ins Autorinnenzentrum nach Hannover. Ich könnte sie anbinden, ganz artgerecht natürlich mit einem Kabel. Aber das entspricht eigentlich nicht mehr der modernen Mousehaltung. Mäuse von heute leben vorwiegend ungebunden.

Ich habe auch technische Hilfsmittel in Erwägung gezogen. Schließlich kann man seine Schlüssel, sein Handy oder auch sein Portemonnaie tracken lassen – warum nicht auch eine Mouse. Doch meine Erwartungen wurden schnell enttäuscht.  Denn Mousetracking bedeutet leider nicht, dass die Mouse piepst oder sich durch ein optisches Signal bemerkbar macht, wenn ich nach ihr rufe. Unter Mousetracking versteht man laut Wikipedia „die Aufzeichnung der Mausbewegung bei der Interaktion mit dem Computer“ . Und auch das Optical Tracking, das viele moderne Mäuse wohl beherrschen, hilft mir nicht weiter. Denn es bedeutet im Prinzip nur, dass man die Mouse präziser steuern kann. Beides brauche ich nicht, aber immerhin habe ich beim Schreiben dieses Beitrags wieder etwas gelernt.

Mäuse unter sich

Jetzt überlege ich, eine bunte Mouse zu kaufen. Dass sie sich versteckt, verhindert eine schrille Farbe zwar nicht. Aber dann finde ich sie vielleicht besser wieder.

PS: Bei der Suche nach meiner Mouse habe ich eine andere Maus gefunden. Sie gehört Kiara, der Katze meiner Tochter, die wahrscheinlich seit ihrem letzten Aufenthalt bei uns verzweifelt nach ihrem Spielzeug sucht.

Schreiben im November

Heute, am 1. November, beginnt der nanowrimo, der National novel writing month. Offiziell gibt es ihn gar nicht mehr. Denn im März stellte die Non-Profit-Organisation, die den Schreibmonat seit 2000 organsierte, laut Wikipedia ihre Arbeit ein – wohl aus finanziellen Gründen und weil es Auseinandersetzungen in der Community gab, unter anderem wegen eines Beitrags zur Künstlichen Intelligenz.

Aber die Idee lebt weiter. Auch in diesem Jahr setzen sich wieder Schreibende überall in der Welt das Ziel, im November einen (kurzen) Roman mit mindestens 50.000 Wörtern zu schreiben. Durchschnittlich 1.666 Wörter täglich waren und sind für mich völlig utopisch, denn ich gehöre zu denen, die das tun, wovor alle Schreibcoaches und Schreibratgeber eindringlich warnen: Ich überarbeite meine Texte bereits während des Schreibens.

Dass es besser wäre, unzensiert zu schreiben und die Überarbeitung auf später zu verschieben, leuchtet mir zwar ein. Aber 40 Jahre Schreibgewohnheit verbunden mit dem angeborenen und/oder anerzogenen Hang zum Perfektionismus lassen sich nicht so einfach ändern. Und so  habe ich – angeregt von den Instagrammerinnen Kathinka Engel und Kyra Groh – in den vergangenen Jahren aus dem nanowrimo meinen privaten „Schreib so viel du kannst November“, gemacht, quasi einen „nanowrimo light und stressfrei“. Auch der Account #SchreibSoVielDuKaNo ist übrigens (leider) nicht mehr aktiv.

Aber es gibt mehrere Alternativen zum nanowrimo. Einige englischsprachige nennt der Blogbeitrag „NaNoWriMo 2025/2026 – alles über den Monat für Autor*innen“ . Er enthält außerdem einige nützliche Tipps und beantwortet Fragen zum Schreibnovember. Und wer beispielsweise im Netz nach Schreibnovember, Schreibmonat oder Vielschreibmonat sucht, wird schnell fündig.

Ich habe mir für den Schreibnovember eigene Ziele gesetzt: Ich möchte vor allem intensiver an der Geschichte arbeiten, die ich schon vor Jahren begonnen habe: Damit sie irgendwann – sicher nicht in diesem, aber vielleicht im nächsten Jahr – fertig wird, habe ich mir vorgenommen,  jeden Tag durchschnittlich mindestens eine Stunde daran zu arbeiten. Außerdem möchte ich täglich mein Journal und mein Arbeitsjournal führen. Und auch zwei Blogbeiträge in der Woche stehen auf meiner To-want-Liste.

Die Chancen, dass die guten Schreibvorsätze zumindest die ersten beiden Tage überdauern, stehen nicht schlecht. Ich bin mit dem Schreibdate mit Denise Fritsch in den Schreibmonat gestartet und habe große Teile dieses Blogbeitrags geschrieben. Morgen treffe ich mich ganz analog wie an fast jedem erstenSonntag im Monat mit Schreibfreundinnen im AutorInnenzentrum Hannover, nächste Woche geht es dann wieder digital mit den Schreibzeiten der Textmanufaktur und von Denise Fritsch weiter.

Das gemeinsame Schreiben inspiriert und motoviert mich, danzubleiben. Dabei hilft mir auch eine Anregung, die ich aus einem Blogbeitrag von Astrid Engel übernommen. Jeder Tag, an dem ich meine Schreibziele erreicht habe, bekommt einen roten Punkt in meinem Kalender. „Nach ein paar Tagen willst du die Kette nicht mehr reißen lassen“, schreibt sie. Ich habe festgestellt, dass „Don’t break the chain“ bei mir funktioniert.

Nicht meine Insel?!

Keine Frage: Sylt ist schön: die Dünen – angeblich soll es fünf verschiedene geben -, die feinsandigen Strände, malerische Orte und natürlich das Meer. Das ist, zumindest auf der Westseite der Insel, anders als am Wattenmeer, immer da. Außerdem gibt es auf Sylt fast immer Wellen … ich liebe es, in der Brandung zu schwimmen. Trotzdem ist Sylt nicht „meine“ Insel. Warum, kann ich nicht sagen. Vielleicht weil der erste Eindruck oft der entscheidende ist – und manchmal lange nachwirkt.

Meine erste Reise nach Sylt liegt schon fast ein halbes Jahrhundert zurück. Damals habe ich mit einer Gruppe geistig und körperlich beeinträchtiger Menschen bei Schleswig Urlaub gemacht und wir haben einen Tagesausflug auf die Insel unternommen. Die war schon damals die Insel der Reichen und Schönen – oder auf dem besten Weg, es zu werden. Aus unserer Gruppe war definitiv niemand reich und schön genug, weder wir BetreuerInnen noch die Betreuten – und das zeigte man uns deutlich. Ich erinnere mich an indignierte bis abwertende Blicke, die sagten: „Was wollen die denn hier?“ „Müssen sie uns unsere Urlaubsstimmung verderben?“

Auch beim zweiten Besuch vor dreieinhalb Jahrzehnten hat man uns, diesmal meinen Mann und mich, spüren lassen, dass wir nicht die Wunsch-Sylt-Urlauber sind. Wir hatten unser Auto in Niebüll abgestellt und waren mit unseren Rädern weitergefahren. Fahrradtourismus war damals noch nicht so in wie heute.

Im Tourismusbüro erhielten wir eine Liste mit freien Zimmern; in der Nachsaison seien, so versicherte uns die freundliche Mitarbeiterin, längst nicht alle Unterkünfte belegt. Mit unseren Rucksäcken bepackt, machten wir uns also ganz optimistisch auf, um eine Bleibe für drei oder vier Nächte zu suchen.

Die Suche ähnelte dann ein wenig der in der Bibel beschriebenen Herbergssuche: Mehrere Vermieter öffneten die Tür, musterten uns, und sagten dann, dass das Zimmer leider nicht mehr frei sei. In Hörnum fanden wir schließlich ein Zimmerchen unterm Dach – mit Möbeln aus den Sechzigern, Dusche und Klo auf dem Flur. Aber das störte mich nicht – damals ebenso wenig wie bei der Schreibwoche im vergangenen Jahr in der Akademie am Meer in Klappholtal.

Ich brauche keinen Luxus. Mein Zimmer war in Ordnung, aber Räume, um gemeinsam mit den anderen Teilnehmerinnen zu schreiben, habe ich schon vermisst. Dass ich mich auf dem Gelände nur an ganz wenigen Stellen ins Internet einloggen und nirgendwo mit dem Smartphone telefonieren konnte, hat die Freude am Aufenthalt ebenfalls getrübt. Richtig stressig war das digitale Abseits, weil ich nebenbei noch einen Auftrag zu Ende bringen musste und deshalb auf eine stabile Internetverbindung angewiesen war.

Aber die Lage der Akademie ist wirklich traumhaft. Die Häuser und Hütten liegen in den Dünen, nur durch ein paar Stufen vom Meer getrennt. Der breite Sandstrand war im November fast menschenleer: Ich bin jeden Tag am Meer entlangspaziert, habe die Ruhe und den Blick aufs Wasser genossen. Und ich bin sogar noch im Meer geschwommen.

Das habe ich in diesem Jahr bei meinem vierten Syltbesuch nicht gewagt. Denn so ganz traue ich meinem Fuß noch nicht: Obwohl mein Sprunggelenk gut verheilt ist, hatte ich Angst, von den Wellen umgeworfen zu werden und mich dabei erneut zu verletzen.

Auch der Ausstieg aus unserem Wohnmobil gestaltete sich etwas schwierig. Beim Runterfahren von der Fähre, die uns von Romö nach Sylt brachte, war nämlich unsere Trittstufe beschädigt worden und ließ sich nicht mehr ausfahren. Doch mit Hilfe eines kleinen Hockers, den wir eigentlich benutzen, um in unser Bett zu steigen, haben wir das Problem gelöst.  

Der Campingplatz Westerland liegt direkt hinter den Dünen – ideal für lange oder kurze Spaziergänge am Strand. Bis nach Westerland ist es nicht so weit – zu Fuß direkt am Strand entlang oder mit dem Bus. Der hält vor dem Campingplatz und fährt mehrmals in der Stunde – in Richtung Westerland und nach Hörnum am Südende der Insel. Und das Deutschlandticket gilt zum Glück auch auf der Insel.

Apropos Westerland: Besonders hübsch sind die meisten Häuser dort zwar nicht, aber der Ort hat eigentlich alles, was ich mir wünsche: Er ist nicht allzu groß, hat viele kleine Läden und Galerien, in denen man stöbern kann. Besonders gut gefallen hat mir, dass es mehrere Buchhandlungen gibt.

Auch an Lokalen und Cafés, in denen man draußen sitzen kann, mangelt es nicht. Überall saßen die Menschen dicht an dicht – aber ich hatte keine Lust, mich dazuzusetzen. Es waren zu viele – und ich fühlte mich nicht am richtigen Platz. Irgendwie ist Sylt eben nicht meine Insel.

Trotzdem werde ich wiederkommen, denn ich möchte den Besuch in der Strandsauna nachholen, den ich dieses Mal aufgeschoben habe. Abkühlen im Meer war wegen der hohen Wellen nämlich nicht möglich. Und darauf mochte ich nach dem Schwitzen mit Blick aufs Wasser nicht verzichten.

To want statt to do

Eigentlich wollte ich bei Judith Peters Blogtoberfest mitmachen. Die Aussicht mehr Bewegung in mein Leben zu bringen und „das 4. Quartal zu deinem besten in 2025 zu machen“ und mehr LeserInnen zu gewinnen, klang einfach zu verlockend. Aber dann hatte ich keine Lust, in einer weiteren To-do-Liste all meine Ziele bis zum 31. Dezember aufzulisten. Denn mit meinen Plänen ist es ja so eine Sache .

Doch als ich über einen Blogbeitrag von Astrid Engel auf einen älteren Blogbeitrag von Judith gestoßen bin, habe ich es mir nochmal anders überlegt. In ihrem Blogbeitrag beschreibt Judith Peters, wie sie mit regelmäßigen Quartals-Listen Berge versetzt .

Nun, Berge versetzen will ich nicht. Ich finde, wir Menschen pfuschen der Natur oft genug ins Handwerk und meist kommt nix Gutes dabei raus. 12-Wochen-Listen kenne ich und schreibe sie auch gelegentlich. Denn es stimmt, dass ich kurzfristige Ziele nicht so schnell aus den Augen verliere wie solche, die in ferner Zukunft liegen. Dann wird aus aufgeschoben doch allzu oft aufgehoben. Aber Judiths Abwandlung des Konzepts „12-Wochen-Jahr“ hat mir gefallen: Sie notiert nicht Dinge, die sie tun muss, sondern Projekte und Ereignisse, auf die sie sich freut, die sie sie erledigen möchte. Schreibt eben keine To-do-, sondern eine To-want-Liste.

Der langen Rede kurzer Sinn. Ich habe mich also noch in der Nacht hingesetzt und habe angefangen, Pläne und Vorhaben zu notieren, die ich nicht umsetzen muss, sondern möchte:

Schreiben

  1. Jeden Tag schreiben. Dank der August-Challenge von Astrid Engel klappt das seit Anfang August ganz gut klappt https://timetoflyblog.com/schreib-challenge-im-august-ich-bin-dabei.
  2. Dabei helfen mir vor allem die Online-Schreibtreffen, die die Textmanufaktur und Denise Fritsch anbieten . An ihnen möchte ich auch bis zum Ende des Jahres regelmäßig teilnehmen.
  3. Aber ich möchte endlich auch eine Schreibroutine etablieren, die mir hilft, mich an den Schreibtisch oder an den Computer zu setzen, wenn ich keine Schreibverabredung habe und nicht sehr motiviert bin.
  4. Den Nanowrimo gibt es nicht mehr – 50.000 Worte in 30 Tagen zu schreiben ist für mich ohnehin illusorisch. Aber ich möchte im November intensiver an der Geschichte arbeiten, die ich vor Jahren begonnen habe: Sie soll nicht unvollendet bleiben.
  5. Außerdem möchte ich bis zum Jahresende mehr bloggen: Ich habe ich in diesem Jahr bislang 40 Blogbeiträge geschrieben und veröffentlicht. Bis zum Jahresende sollen es 60 sein. Ich möchte also in den nächsten Wochen 20 Blogbeiträge schreiben, das sind fast zwei also wöchentlich. Dies ist Blogbeitrag Nr. 41.
  6. Auch Nature Writing möchte ich ausprobieren. Dabei können mir Wanderungen, Spaziergänge und Künstlertreffs in der Natur helfen.
  7. Und dann ist ja auch noch das Projekt 27. September, das Maxim Gorki ins Leben gerufen und Christa Wolf fortgeführt hat. Ich habe Ende Septermber einen Blogbeitrag darüber geschrieben und einige Schreibfreundinnen motiviert aufzuschreiben, was sie an diesem Tag erlebt, getan und gedacht haben. Irgendwann wollen wir uns treffen, uns unsere Texte vorlesen und uns austauschen.
  8. Ich notiere vieles ganz klassisch per Hand – in verschiedenen Büchern. Das hat den Nachteil, dass ich oft mehrere Bücher – Tagebuch, Notizbuch, Bulletjournal, Arbeitstagebuch – mit mir rumschleppe. Außerdem geht mancher gute Gedanke verloren, weil ich deine Notiz oder einen Text nicht wiederfinde. Ich möchte daher ein Notizsystem finden, das mir hilft, den Überblick zu bekommen oder zu bewahren (über Hinweise und Tipps freue ich mich sehr).

Reisen

  1. Früher bin ich oft zur Buchmesse gefahren: zuerst zur Frankfurter, dann auch zur Leipziger. Doch seit Corona hat es nicht mehr geklappt: In diesem Jahr habe ich mir wieder ein Ticket besorgt. Inzwischen bin ich schon wieder zurück und kann diesen Punkt auf meiner To-want-Liste schon abhaken. 
  2. Im November fahre ich zu meiner Freundin in die Pfalz, um mit ihr Geburtstag zu feiern und bei der Gelegenheit auch den Museums-Pass Musées einweihen, den sie mir geschenkt hat. Mit ihm kann ich ein Jahr lang mehr als 350 (!) Museen, Schlösser und Gärten in Deutschland, Frankreich und der Schweiz besuchen. Weitere Besuche sind also vorprogrammiert.
  3. Ich plane Städtetrips in zwei Städte, die ich noch nicht kenne: nach Jena zum Beispiel, das gar nicht so weit entfernt liegt.
  4. Vielleicht kann ich die eine oder andere Städtereise mit einem Abstecher auf einen Weihnachtsmarkt verbinden. Ich bin ein Weihnachtsmarktfan und möchte in diesem Advent zwei neue kennenlernen
  5. Die meisten meiner Freundinnen wohnen leider nicht in Burgwedel – und ich sehe sie auch deshalb viel zu selten. Bis Jahresende möchte ich drei von ihnen treffen. Zwei habe ich schon wiedergesehen: eine befreundete Verlegerin auf der Buchmesse und auf dem Rückweg die Freundin in der Pfalz.

Kulturelle und andere Aktivitäten

  1. Ich lese recht viel, aber nur selten Gedichte. Bis zum Jahresende möchte ich jeden Tag eines lesen. Das Buch „Mit Gedichten durchs Jahr. Ein lyrischer Kalender mit 365 Gedichten“ liegt jetzt neben meinem Bett. Heute Morgen habe ich nach dem Aufstehen Muriel Sparks „Eingetrübt“ gelesen (eine Brille brauche ich dazu zum Glück nicht).
  2. Zwei Konzerte stehen bis Jahresende auf meiner Wunschliste. Für eines – Filmmusiken von Hans Zimmer – haben wir schon Karten, das zweite soll ein Weihnachtskonzert sein, zum Beispiel ein Konzert des Mädchenchors Hannover.
  3. Die Idee ist von Julia Cameron*: Einmal in der Woche soll frau einen „Künstlertreff“ einplanen, also allein etwas unternehmen, was sie interessiert oder fasziniert. Eine gute Idee, die einen Platz auf meiner To-want-Liste verdient.
  4. Die hannoverschen Museen und die Herrenhäuser Gärten besuche ich dank Museums- bzw. Jahreskarte regelmäßig. Im Sealife war ich dagegen noch nie. Das möchte ich ändern.

Sport und Gesundheit

  1. Eigentlich bewege ich mich gerne und viel. Bis zum 13. Mai bin  ich täglich durchschnittlich mehr als 10.000 Schritte gegangen. Aber nach meinem Unfall durfte ich ein paar Wochen das gebrochene Sprunggelenk gar nicht belasten, danach musste ich erst wieder gehen lernen (ein Ziel für das dritte Quartal, das ich erreicht habe). Jetzt setze ich mir ein neues Ziel: 8.000 Schritte am Tag.
  2. Drei Spaziergänge in der Woche – auch das ist eine Anregung von Julia Cameron. Allein und ohne Smartphone, nur mit meinem Notizbuch möchte ich spazieren gehen. Nicht nur der Gesundheit wegen, sondern um Klarheit zu finden und meine Beobachtung zu schulen.
  3. Längere Strecken zu gehen, muss ich erst wieder üben. Eine erste (kurze) Wanderung habe ich Anfang des Monats schon geschafft https://timetoflyblog.com/update-es-geht-weiter, (mindestens) zwei weitere sollen folgen.
  4. Yoga hatte bis zu meinem Unfall einen festen Platz im Tagesablauf, nämlich früh morgens, während ich – noch vor den Morgenseiten – die erste Tasse aufbrühte. Weil ich morgens direkt keinen Kaffee mehr trinke, muss ich einen neuen Platz für meine Übungen finden.
  5. Ich bin ein Saunafan, aber mein letzter Saunabesuch liegt schon Monate zurück. Bis zum Jahresende möchte ich mir zwei Thermenbesuche gönnen.

Last, but not Least

 „Was kann ich der Welt zurückgeben?“ lautete eine der Fragen, die Judith Peters in der Vorlage für den Blogtober stellte. Das klingt mir zugegebenerweise zu pathetisch. Ob ich der Welt etwas zurückgeben kann, weiß ich nicht. Ich möchte mich auf jeden Fall mehr im AutorInnenzentrum Hannover engagieren. Katia, die für den Vorstand des Vereins kandidiert, hat eine Liste mit Aufgaben herumgeschickt, die erledigt werden müssen. Ich werde anbieten, die eine oder andere zu übernehmen.

*Julia Cameron, Emma Lively: Es ist nie zu spät, neu anzufangen. DEr Weg des Künstlers ab 60. Droemer Knauer München 2016

Zu Gast im Sprengel Museum: Niki. Kusama. Murakami.

Niki de Saint Phalle kennt in Hannover fast jedeR. Als die Nanas 1974 am Leineufer aufgestellt wurden, hagelte es laut Wikipedia Proteste. „In Leserbriefen an die Hannoversche Allgemeine Zeitung wurden die Nanas unter anderem als ‚Ekelhafte Scheußlichkeiten‘, ‚Kulturschande‘ und ‚Umweltverschmutzung‘ bezeichnet“. Der damalige Stadtimagepfleger Mike Gehrke musste sogar unter Polizeischutz gestellt werden.

Geschadet hat der Aufruhr um die Kunst im öffentlichen Raum weder der Karriere der Künstlerin noch dem Ansehen der Landeshauptstadt – im Gegenteil. Die HannoverannerInnen haben die drei bunten Damen – Caroline, Sophie und Charlotte – längst liebgewonnen. Niki de Saint Phalle wurde erste Ehrenbürgerin der Stadt und schenkte dem Sprengel Museum vor 25 Jahren mehr als 400 ihrer Arbeiten – viele sind zurzeit gemeinsam mit Werken von Yayoi Kusama und Takashi Murakami in der Ausstellung „Niki. Kusama. Murakami. Love You for Infinity“ zu sehen. Insgesamt werden auf rund 2.000 Quadratmetern  etwa 120 Bilder, Skulpturen, Installationen, Grafiken und Filme präsentiert.

In der Eingangshalle: Werke von Yayoi KusamaNiki de Saint Phalle und Takashi Murakami

Von Yayoi Kusama und Takashi Murakami hatte ich – bekennende Kunstbanausin – zugegebenerweise noch nie etwas gehört. Ich habe mir die Ausstellung vor allem wegen Niki de Saint Phalle angesehen.

Niki de Saint Phalle French-American sculptor, painter, and filmmaker Niki de Saint Phalle with one of her pieces, 1983; Photographer: Norman Parkinson / Iconic Images/ Sprengel Museum Hannover

Manche ihrer Arbeiten, zum Beispiel die von ihr gestaltete Grotte in den Herrenhäuser Gärten und viele ihrer Zeichnungen gefallen mir sehr gut, andere, unter anderem auch die legendären Nanas oder auch den verliebten Vogel (L´ouiseau Amoureux Fontaine), den ich im Mai im Ekebergparken entdeckt habe, finde ich eher solala.  Auf jeden Fall imponiert mir, wie sie als Außenseiterin ihren Weg in der Kunstwelt gemacht hat – mit ganz ungewöhnlichen Werken und in einer Zeit, als Kunst noch viel mehr als heute eine Männerdomäne war.

Yayoi Kusama gilt als eine der bedeutendsten japanischen Künstlerinnen der Nachkriegszeit und ist bekannt für ihre Polka-Dots und immersive Installationen.

Ihr Landsmann Takashi Murakami verbindet traditionelle japanische Kunst mit zeitgenössischen Themen aus Popkultur und Konsumwelt. Die Arbeiten der beiden JapanerInnen passen sehr gut zu Niki de Saint Phalles farbenfrohen Werken. Oder, wie der Direktor des Sprengel Museums, Reinhard Spieler, es fachmännisch formulierte: „Diese Ausstellung bringt drei Ikonen der Kunstgeschichte zusammen, die auf ganz unterschiedliche Weise universelle Themen berühren und dabei Brücken schlagen – zwischen Kunst, Popkultur und gesellschaftlicher Reflexion.“ Mich hat die Ausstellung wirklich begeistert, auch wenn ich – siehe oben – nicht mit allen Werken etwas anfangen kann. Und weil Bilder mehr sagen als Worte, lasse ich hier einfach Fotos sprechen.

Highlight war für mich der letzte der insgesamt zwölf Ausstellungsräume: In der großen Ausstellungshalle verdoppelt ein verspiegelter Boden die gezeigten Werke und eröffnet ungewöhnliche Perspektiven. Niki de Saint Phalles „Skull Meditation Room“ in Form eines glitzernden Schädels können die BesucherInnen ebenso betreten wie das „Nana Maison“ und den „Infinity Mirrored Room“ von Yayoi Kusama. In ihm wäre ich gerne länger geblieben, aber die Verweildauer ist hier leider begrenzt. Aber ich komme sicher wieder.

Beeindruckt haben mich auch sechs Taststationen neben einigen Werken von Niki Saint Phalle. Sie ermöglichen nicht nur blinden und sehbehinderten Menschen barrierefreie Zugänge, sondern auch „sehende“ wie ich können die Kunstwerke dadurch auf eine neue Art „begreifen“. Eine wirklich gute Idee.

Update: Es geht weiter

„Es geht voran“, habe ich Ende August in diesem Blog geschrieben und daran hat sich zum Glück nichts geändert. Mein Fuß heilt besser, als ich nach den ersten Prognosen befürchtet habe – und auch mein Bewegungsradius erweitert sich.

So bin ich vor einer Woche zum ersten Mal seit dem Unfall wieder Rad gefahren: vorsichtig und nicht so schnell, wie ich eigentlich könnte. Denn Radfahren verlernt man ja bekanntlich nicht. Aber so ganz traue ich meinem Fuß noch nicht und ich vermeide daher Situationen, in denen ich plötzlich bremsen oder gar abspringen müsste.

Dabei klappt das Hüpfen von einem Fuß auf den anderen schon ganz gut: Ich kann den Fuß wieder in fast alle Richtungen drehen, auf den Zehenspitzen stehen, das Gewicht beim „einbeinigen Hund“ teilweise oder beim „Baum“ (Yogafans wissen, was ich meine) ganz auf das verletzte Bein verlagern. Und wenn ich gehe, sieht man mir zumindest auf den ersten Blick die Verletzung nicht mehr an. Auch treppauf bewege ich mich wieder recht elegant, treppab gehe ich dagegen (noch) wie meine Mutter mit 85. Aber es wird.

Gewandert bin ich auch zum ersten Mal wieder: nur eine kurze Runde, gerade mal sechseinhalb Kilometer, aber immerhin. Für den Wiedereinstieg nach fast fünf Monaten Wanderpause hatte meine Tochter eine leichte Wanderung bei Bad Harzburg ausgesucht, die laut Wanderapp weder besonderes Können erforderte noch besondere Ansprüche an meine Fitness stellte. Die Wege waren leicht begehbar und vorwiegend flach, aber auch die einzige Steigung – im Harz fast unvermeidlich – habe ich ohne Probleme bewältigt.

Und trotzdem: Irgendwie sitzt die Angst vor einem Ausrutscher oder Fehltritt immer noch in meinem Kopf. Die Sicherheit, dass mir nichts passiert, ist vorläufig dahin. Da hilft wohl nur wie beim Reiten nach einem Sturz: Weitermachen oder besser gesagt weiterwandern. Das will ich bei der nächsten Gelegenheit wieder tun.

Auf dem Weg zum Bahnhof bin ich dann noch im Haus der Kirche in Bad Harzburg vorbeigegangen und habe mir noch einmal die Ausstellung „Natur-Momente“ angesehen. Dabei habe ich mich an die eine oder andere Wanderung erinnert, die meine Tochter und ich gemeinsam unternommen haben. Bis ich meinem Fuß wieder voll belasten kann, wird es zwar noch eine Weile dauern. Aber ich bin sicher, dass ich schon bald wieder längere und anspruchsvollere Strecken bewältigen kann. Und vielleicht besuche ich dann auch noch einmal die Vogelinsel Runde, wo das rechte Foto vom Papageientaucher entstand und wo der Ärger mit meinem Fuß vor fünf Monaten begann.

Die Ausstellung „Natur-Momente“ von Foe Rodens ist noch bis Ende Oktober im Haus der Kirche in Bad Harzburg zu sehen. Mehr Infos unter https://foerodens.wordpress.com/2025/10/04/meine-zweite-fotoausstellung-bad-harzburg/

Das habe ich von Mama gelernt

Vor ein paar Tagen habe ich einen Blogbeitrag von Christiane gelesen, der mich an meine eigene Mutter erinnert hat. Sie schildert  „eine völlig beliebige Diskussion zwischen Mutter und Kind.
Mutter: ‚Dann geh auf dein Zimmer!‘
Kind (aufsässig): ‚Dann geh du doch auf dein Zimmer!‘
Mutter: ‚Was ist denn mein Zimmer?‘
Kind (überlegt lange): ‚Die Küche!‘“

Das Kind war Christiane, und der Dialog tut ihr, wie sie schreibt „heute noch leid.“ Ihre Mutter war wie viele Frauen in den 50er- und 60er-Jahren Hausfrau, aber sie hätte gerne weiter gearbeitet. Am liebsten als Gutsrendantin, also in der Verwaltung/Buchhaltung eines landwirtschaftlichen Betriebs. Denn sie konnte gut mit Zahlen umgehen. Genau wie meine Mutter, die als Buchhalterin in einem Weinbaubetrieb gearbeitet hat – und sie hat es sehr gerne getan. Sie arbeitete nur vormittags, aber oft brachte sie Arbeit mit nach Hause und erledigte nebenbei noch den „Bürokram“ für einen kleinen Betrieb im Ort.

Arbeiten verboten

Dass mein Vater nicht genug verdient hat, um die Familie zu ernähren und den Traum vom eigenen Haus zu verwirklichen, war ihr Glück. Denn sonst hätte sie vielleicht, wie Christianes Mutter und viele Frauen nach dem Krieg, ihren Beruf aufgeben müssen. Erwerbstätige Mütter waren damals die Ausnahme, erst recht wenn sie wie meine Mutter drei Kinder hatten. Sie galten schnell als „Rabenmütter“.

Spätestens nach der Geburt des ersten Kindes hörten Frauen in der Regel auf zu arbeiten – wenn nicht freiwillig, dann oft gezwungenermaßen. Denn obwohl Frauen und Männer nach dem Grundgesetz seit 1949 gleichberechtigt waren, durften die Männer bis in die 50er-Jahre hinein die Arbeitsverträge ihrer Frauen auch gegen deren Willen kündigen. Zur (unentgeltlichen) Mitarbeit im Betrieb ihres Mannes waren Ehefrauen indes verpflichtet, auch wenn sie lieber in ihrem Beruf weitergearbeitet hätten – wenn sie denn einen hatten. Dass Frauen einen Beruf erlernten, Abitur machten oder gar studierten, war damals nämlich nicht selbstverständlich. Warum auch Geld in die Ausbildung der Töchter investieren, wenn sie ja doch heirateten und ihren Beruf aufgaben. Hier beginnt und schließt sich der Teufelskreis.

Erst als 1958 das erste Gleichberechtigungsgesetz in Kraft trat, durften verheiratete Frauen ohne Zustimmung ihres Mannes erwerbstätig sein – allerdings nur, „soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war, wie es im neu formulierten § 1356 BGB hieß. Bis das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts“ 1975 beide Ehegatten berechtigte, erwerbstätig zu sein und sie die „Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen regeln“ mussten, sollten noch fast 20 Jahre vergehen.

Zurück in die 50er?

Heute ziehen sich Tradwives wieder freiwillig ins Haus und an den Herd zurück und verherrlichen die Rollenbilder der 50er-Jahre. Immer mehr Mom-Influencerinnen erwecken mit schönen – oder geschönten – Bildern den Eindruck, dass ein Leben als nicht erwerbstätige Hausfrau und Mutter stressfrei und erfüllend ist. Ob sie sich bewusst machen, welchen Geist sie aus der Flasche lassen? Was sie ihren Kindern, vor allem ihren Töchtern antun. Was sie aufs Spiel setzen, wenn sie helfen, das Rad zurückzudrehen und freiwillig auf das verzichten, wofür die Frauen mehr als 100 Jahre lang gekämpft haben? Ich glaube nicht.   

Zum Glück ist die Bewegung (noch) klein – und viele Familien können es sich, wie meine Eltern damals, nicht leisten, auf ein Einkommen zu verzichten. Zum einen sind die Lebenshaltungskosten gestiegen, zum anderen aber auch die Ansprüche. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf betrug laut Umweltbundesamt 2023 47,5 Quadratmeter, in den 50e-Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren es nur 15 . Und während vierköpfige Familie damals durchschnittlich auf 50 Quadratmetern lebten – das waren gerade mal 12,5 Quadratmeter pro Person –, lag  die Pro-Kopf-Wohnfläche in Haushalten mit mindestens vier Personen Anfang der 20er-Jahre dieses Jahrhunderts nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 29,9 Quadratmetern.

Ein eigenes Kinderzimmer war in meiner Kindheit und Jugendzeit nicht die Regel: Meine ältere Schwester war die einzige in der Familie, die ein Zimmer für sich allein hatte, und ich habe sie glühend darum beneidet. Denn ich musste mein Zimmer bis ich in die 11. Klasse kam mit meiner jüngeren Schwester teilen. Als ich mit fast 16 dann in einen ehemaligen Abstellraum – zunächst ohne Ofen – umziehen durfte, war ich überglücklich.

Kein eigenes Zimmer

Mein Vater hatte sich einen kleinen Raum im Keller als Werkstatt eingerichtet. Für meine Mutter war, das glaube ich heute, lange Zeit ihr Büro ihr Zufluchtsort. Ein eigenes Zimmer in unserem Haus hatte sie nie – und sie hat auch nie eins beansprucht. Auch nicht, als alle Kinder aus dem Haus waren und viele Räume leer standen. Aber sie besetzte das „Esszimmer“, das ohnehin nur benutzt wurde, wenn Besuch kam.

Im Alltag diente der große Esstisch als Schreibtisch. Dort stand ihre elektrische Schreibmaschine, dort lagen auch die Aktenordner und Kassenbücher, die sie gerade bearbeitete. Und auf dem alten Schreibtisch meiner Schwester in der Ecke des Zimmers fand der Computer Platz, den sie sich wünschte, als sie schon über 80 war. Ich bin sicher, dass auch ihre Arbeit sie so fit und rege gehalten hat.

Denn auch als sie Rentnerin wurde, arbeitete sie weiter in ihrem Betrieb – nicht primär des Geldes wegen, sondern weil ihre Arbeit ihr Spaß machte. Sie ging zunächst an zwei Vormittagen in der Woche ins Büro, später nur noch an einem. Erst kurz vor ihrem 90. Geburtstag teilte sie ihrem Chef mit, dass sie nicht mehr für ihn arbeiten würde.

So lange werde ich nicht arbeiten. Aber meine Mutter hat gewiss meine Einstellung geprägt. Daran, meinen Beruf aufzugeben, habe ich nie gedacht. Ich habe schon kurz nach der Geburt meiner Tochter wieder gearbeitet. Das war auch in den 80er- und 90er-Jahren noch nicht selbstverständlich – in meinem Bekanntenkreis gab es nur wenige erwerbstätige Mütter. Die meisten kehrten erst wieder in ihren Beruf zurück, als ihre Kinder in der weiterführenden Schule waren. Und so manches Mal wurde ich von anderen Müttern gefragt, wie ich es denn übers Herz brächte, mein Kind „fremden Leuten“ anzuvertrauen, während ich außer Haus arbeitete. Die fremden Leute waren – weil es keine Kinderbetreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei gab – in der Regel mein Mann oder meine Eltern.

Als Rabenmutter habe ich mich trotzdem nicht gefühlt, weil ich erwerbstätig war. Auch das habe ich von Mama gelernt. Danke dafür. Danke auch an Christiane, die mich mit ihrem Blogbeitrag zu meinem inspiriert hat.

Zu Gast bei Emil Nolde

Auf der Fahrt zur Insel Romö hatte ich ein Hinweisschild auf das Museum Emil Nolde entdeckt, auf der Rückfahrt sind wir dann nach Seebüll gefahren. Denn Noldes Bilder – vor allem seine Mohnblumen – fand ich schon als Jugendliche toll. Und natürlich hat mir auch sein Image als von den Nazis verfolgter Künstler gefallen. Ich habe, und da bin ich sicher nicht die einzige, die (fiktive) Geschichte Malers Max Ludwig Nansen, die Siegfried Lenz in seinem Roman Deutschstunde erzählt, für eine Art Nolde-Biografie gehalten.

Selbstbildnis Malermensch Nolde

Dass Nolde kein Opfer der Nazis war, wusste ich inzwischen. Dass er ein glühender Anhänger der Nationalsozialisten, Rassist und Antisemit war, wurde mir allerdings erst bewusst, als ich den Besuch des Nolde Museums plante. Und ich habe mir wirklich überlegt, ob ich mir die Bilder eines Menschen ansehen soll, der sich bei Hitler und Co. anbiederte, bis zum Schluss auf den Endsieg hoffte und sich als Vorkämpfer gegen das Judentum sah. Ich bin dann doch hingefahren. Zum Glück, denn das Museum ist wirklich sehenswert. Außerdem habe ich mich dadurch mehr mit Noldes Vergangenheit beschäftigt.

So ist auf der Website der Nolde Stiftung zu lesen, dass Nolde 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten „einen nicht im Detail überlieferten Plan (erarbeitete), der eine territoriale Lösung der sogenannten ‚Judenfrage‘ – eine Aussiedlung der Juden“ vorsah. Diese falsche Behauptung hat er nie zurückgenommen – und er hat sich auch nach Ende des Krieges nie von seinen faschistischen Äußerungen und Einstellungen distanziert. Im Gegenteil: Nolde hat sich nach dem Krieg als Opfer der Nationalsozialisten dargestellt.*

Das gelang ihm wohl auch deshalb problemlos, weil er der berühmteste als „entartet“ verfemte Künstler war. Mehr als 1.000 seiner Arbeiten wurden während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt – so viele wie von keinem anderen Maler. 1941 wurde er aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen und mit einem Ausstellungs-, Verkaufs- und Publikationsverbot belegt. Ein Malverbot gab es indes wohl nie: Nolde durfte weiter malen, seine Bilder aber nicht verkaufen.

Am Hungertuch nagten er und seine Frau Ada trotzdem nicht. Laut Bernhard Fulda gehörte er „zwischen 1933 und 1941 eindeutig zu den Spitzenverdienern unter den Künstlern im ‚Dritten Reich‘“. Zwischen 1937 und 1941 verdiente Nolde mehr als je zuvor: allein im Jahr 1940 nach seiner  Umsatzsteuererklärung fast 80.000 Reichsmark. „Zum Vergleich: Das jährliche Durchschnittseinkommen im Deutschen Reich lag 1940 bei 2156 Reichsmark. Und bildende Künstler verdienten in der Regel deutlich weniger als der durchschnittliche Arbeiter.“

Und so konnten Nolde und seine Frau 1927 nicht nur die Warft kaufen, sondern dort bis 1937 auch nach ihren Entwürfen das Wohn- und Atelierhaus im Bauhausstil errichten, das heute als Museum dient. Alljährlich werden dort in den Sommermonaten Bilder in einer Jahresausstellung gezeigt – die diesjährige steht unter dem Motto „MALERMENSCH“ IN BERLIN.

Mehr als 110 Werke sind noch bis Ende Oktober in Seebüll zu sehen, neben Blumen-, Meer- und Landschaftsbildern auch viele Bilder aus Noldes Berliner Leben. Denn während sie im Sommer abgeschieden in Nordfriesland lebten, verbrachten die Noldes die Winter meist in ihrer Atelierwohnung in der Hauptstadt, besuchten Theater, Museen und Bälle, pflegten Kontakte zu anderen Künstlern, aber auch zu Sammlern und Galeristen.

Von den ausgestellten Bildern haben mir nur wenige wirklich gefallen. Sehr beeindruckt haben mich dagegen die Farben der Räume – und ich habe mich gefragt, wie ein Mensch mit einem so exzellenten Farbgefühl so braun sein konnte. Aber Begabung und politische Blindheit schließen sich leider nicht aus – ein großer Künstler muss eben kein großer Mensch und erst recht kein guter Mensch sein.

Mein Lieblingsraum war die schmale Galerie im Obergeschoss. Dort hätte ich stundenlang sitzen und auf den Garten schauen können, den Emil und Ada Nolde selbst entworfen haben.

Der Garten ist wirklich ein Traum – ein Kunstwerk für sich. Umgeben und geschützt von heimischen Bäumen und Sträuchern wachsen dort rund 500 teilweise sehr alte Stauden, unter anderem Türkischer Mohn, Rittersporn, Pfingstrosen und jetzt im September Dahlien und Astern. Dazwischen blühen verschiedene ein- und zweijährige Sommerblumen und verwandeln den Garten in ein Farbenmeer. Und unter den zahlreichen Obstbäumen sind auch seltene Apfelsorten wie „Agathe von Klanxbüll“ und „Renette von Seebüll“.

Allzu gerne hätte ich einen der verlockend aussehenden Äpfel gepflückt, doch das habe ich nicht gewagt. Denn das Pflücken eines Apfels hatte ja bekanntlich schon einmal die Vertreibung aus dem (Garten)Paradies zur Folge.

* „MALER UND MYTHOS“ ist Titel und Thema eines sehenswerten Films, der im Obergeschoss des FORUMS im Eingangsbereich des Museums gezeigt wird.