Heinrich Heine war hier – wie viele seiner Dichterkollegen seit dem 18. Jahrhundert. Auch Friedrich Gottlieb Klopstock, Hermann Löns, Theodor Fontane, Wilhelm Raabe und natürlich Johann Wolfgang von Goethe haben den Harz besucht – Letzterer sogar mehrmals. Ob Goethe auch durchs Ilsetal gewandert ist, weiß ich nicht. Er war auf seiner ersten Harzreise auf jeden Fall ganz in der Nähe – auf dem Brocken. Er hat den höchsten Berg Norddeutschlands zwar von der anderen Seite, von Torfhaus aus, erklommen; die Geister lässt er jedoch in Faust, der Tragödie erster Teil, „Übern Ilsenstein!“ – also übers Ilsetal – zum Hexentanzplatz auf dem Blocksberg fliegen.
Heine hat 1824 auf seiner Wanderung von Göttingen durch den Harz den umgekehrten Weg vom Brocken durch das Ilsetal hinunter nach Ilsenburg genommen – allerdings zu Fuß. Und er hat der lieblichen, süßen Ilse in seinem Reisebericht ein literarisches Denkmal gesetzt.
Mit Heines Beschreibung könnte meine ohnehin nicht konkurrieren, deshalb lasse ich ihn hier zu Wort kommen. „Es ist unbeschreibbar, mit welcher Fröhlichkeit, Naivität und Anmut die Ilse sich hinunterstürzt über die abenteuerlich gebildeten Felsstücke, so daß das Wasser hier wild emporzischt und unten wieder über die kleinen Steine hintrippelt, wie ein munteres Mädchen. Ja, die Ilse ist eine Prinzessin, die lachend und blühend den Berg hinabläuft“, heißt es in der Harzreise.
Einen Höhenunterschied von etwa 120 Metern überwindet der Bach, der unterhalb des Brockengipfels entspringt, auf einem Streckenabschnitt von etwas mehr als einem Kilometer; ein kleiner Wasserfall reiht sich kaskadenartig an den anderen. Wo beispielsweise die unteren Ilsefälle beginnen und die oberen enden – und umgekehrt – war für uns nicht zu erkennen. An unserer Begeisterung hat das nichts geändert.
Der nach Heinrich Heine benannte Wanderweg ist, da bin ich sicher, zumindest im unteren Teil der schönste Weg zum Brocken, und einer der schönsten Wege, die ich im Harz bislang gewandert bin. Zwar gibt es in dem idyllischen Bachtal keine grandiosen Ausblicke, aber die Ilse entschädigt.
Der Weg schlängelt sich direkt an ihrem Ufer entlang, vorbei an mächtigen Granitfelsen, zum Beispiel am gut 470 m hohen Ilsestein. Wie die Ilse müssen wir über manche Steine klettern, und das sieht sicher weder bergauf noch bergab so leicht und anmutig aus wie bei der Ilse. Doch die übt, anders als wir, ja auch täglich, seit ewigen Zeiten.
Kein schöner, sondern ein eher deprimierender Anblick sind die Bäume am oberen Teil des Wegs, etwa ab der Bremer Hütte, wo der Buchenwald endet und der Fichtenwald beginnt. Oder begann. Denn wo Heine einst von einer „Waldung himmelhoher Tannen“ umfangen wurde, sind heute nur noch Baumgerippe zu sehen.
Klimawandel, Stürme und der Borkenkäfer haben ganze Arbeit geleistet. Sie hatten aber auch in den Fichtenmonokulturen leichtes Spiel. „Diesen Bäumen ist nämlich das Wachsen nicht so ganz leicht gemacht worden“, schrieb Heine schon vor fast 200 Jahren. „Die meisten Bäume mußten mit ihren Wurzeln die großen Granitblöcke umranken und mühsam den Boden suchen, woraus sie Nahrung schöpfen können.“ Tröstlich ist, dass die Natur den Wald zurückerobert – sie baut die menschengemachten Fichtenwälder um zu einem wilden Naturwald – wie anno dazumal, noch vor Heines Zeiten.
Laut Nationalpark Harz ist der Wald so lebendig und dynamisch wie selten zuvor – 20 bis 30 Prozent der im Wald lebenden Arten brauchen Totholz zum Leben. Und davon gibt es genug. Neue Bäume und andere Pflanzen wachsen auf und zwischen den alten. Die Natur nutzt die Chance, die das Fichtensterben ihr bietet. Vielleicht können und sollten wir von ihr lernen. Irgendwann werden wir dem Borkenkäfer vielleicht dankbar sein.
Bis auf den Brocken sind wir dieses Mal nicht gegangen – wir haben bei der Stempels Buche, von der leider auch nur noch ein Stumpf steht, kehrtgemacht. Vielleicht wandern wir bei unserem nächsten Besuch im Ilsetal weiter. Wahrscheinlich zieht es uns aber eher zur Plessenburg und zur Paternosterklippe und wir besuchen Prinzessin Ilse auf dem Ilsestein. Dort wohnt die Tochter König Ilsungs, nach der Bach, Ort, und Tal benannt sind, nämlich angeblich, seit ein Berggeist sie vor vielen, vielen Jahren vor dem Fluch einer bösen Hexe und vorm Ertrinken gerettet hat. Oder wir wandeln auf den Spuren des Borkenkäfers, dem in Ilsenburg sogar ein eigener Pfad – der Borkenkäferpfad – gewidmet ist.
Die Sage um die Prinzessin Ilse steht im Internet unter