Noch ein Museum

Ich gebe es zu: Schlösser sind nicht mein Ding. Wenn ich sie besichtige und all den Prunk und die Schätze sehe, kommt mir immer Bert Brechts „Gedicht vom lesenden Arbeiter“ in den Sinn:

„Wer baute das siebentorige Theben? …. 

Und das mehrmals zerstörte Babylon –
Wer baute es so viele Male auf?“

Dann denke ich an die Untertanen, die den Luxus der meist adeligen SchlossbewohnerInnen finanzierten – und selbst allzuoft unter erbärmlichen Bedingungen lebten und arbeiteten.

Meine Vorbehalte gegen Schlössen und ihre Besitzer sitzen also tief. Vielleicht war ich deshalb bislang noch nie im Schloss Herrenhausen, obwohl es direkt neben den Herrenhäuser Gärten liegt, die ich gern und oft besuche. Das ist natürlich inkonsequent, denn die Gärten waren Teil des Schlosses und fürs gewöhnliche Volk ebenso tabu wie das Schloss mit all seinem Luxus. Kurfürstin Sophie ließ den Schloßgarten mit Hilfe des Gartendirektors Martin Charbonnier seit den 1680er Jahren aufwendig auf- und umgestalten. „Sie allein?“ würde Bert Brecht wohl an dieser Stelle fragen.

Ihr Sohn Kurfürst Georg Ludwig, inzwischen zum König George I. von England aufgestiegen, investierte 220.000 Reichstaler in den Bau der Großen Fontäne – das entsprach etwa den Baukosten für die Dresdner Frauenkirche! (230.000 Taler; https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/Freizeit-Sport/Echt-hannöversch/Zehn-Dinge/Zehn-Jubiläen-2020-in-Hannover/300-Jahre-Große-Fontäne-im-Großen-Garten). Ein Abwasserkanal, ein Stauwehr, mehrere Wasserräder und eine dampfbetriebene Pumpenanlage wurden gebaut, um genügend Wasser in die Schlossgärten zu transportieren und die Große Fontäne sprudeln zu lassen. Hätte George dieses Geld in die städtische Wasserversorgung gesteckt, hätten die HannoveranerInnen wohl nicht bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ihr Wasser aus Brunnen und Flüssen schöpfen und nach Hause tragen müssen.

Doch nach meinem Besuch im Museum August Kestner wollte ich auch dem Museum Schloss Herrenhausen eine Chance geben. Um es vorweg zu nehmen: Es hat sie nicht wirklich genutzt.

Das Schloss wurde im 17. Jahrhundert von den Fürsten von Hannover gebaut und im 19. Jahrhundert von Hofbauverwalter Georg Friedrich Ludwig Laves im klassizistischen Stil umgestaltet. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Hauptgebäude des Schlosses zerstört – und erst ab 2010 wieder rekonstruiert. Hinter der klassizistischen Fassade entstand, von der Volkswagen-Stiftung mit 25 Millionen Euro mitfinanziert, ein modernes Tagungszentrum mit Vortragssaal und kammermusiktauglichem Festsaal. In den Schlossflügeln und einem unterirdischen Verbindungsgang befindet sich das Museum Schloss Herrenhausen (https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Herrenhausen).

In zwei Abteilungen stehen das Schloss, seine Bewohner und andere wichtige Persönlichkeiten der Zeit im Mittelpunkt. Doch die Bilder und Objekte aus der Welt des haben mich zugegebenerweise nur wenig beeindruckt. Besser gefallen hat mir die Sonderausstellung „Natur ist Kultur. Landschaften und Gärten“ im Westflügel des Museums. Das Nebeneinander von idyllischen Landschaftsbildern unter anderem von Paul, Edmund und Friedrich Koken, Theodor Hertz und Adolf Wissel und Fotos von Autobahnkreuzen, Industrieanlagen und moderner Landwirtschaft macht deutlich, wie der Mensch die Natur, die Landschaft und letztlich auch das Klima verändert.  

Zum Nachdenken und Nachlesen regen auch die Auszüge aus (Natur)Gedichten an, die auf großformatigen Fotos zu lesen sind. Auch ein paar Zeilen aus einem Gedicht von Bert Brecht haben es in die Ausstellung geschafft:

„Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist.
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

Bert Brecht hat „An die Nachgeborenen“ in den 1930er-Jahren, vor dem Zweiten Weltkrieg, geschrieben. Die Zeilen passen gut in unsere Zeit, in der wieder Krieg herrscht, nicht nur irgendwo weit weg, in Afrika, in Syrien oder im Nahen Osten, sondern auch in Europa.

Wer die beiden Gedichte von Bert Brecht nachlesen möchte, findet sie unter

https://www.deutschelyrik.de/an-die-nachgeborenen.html

http://www.planetlyrik.de/juergen-theobaldy-zu-bertolt-brechts-gedicht-fragen-eines-lesenden-arbeiters/2021/08/

Reise in die Antike

Kurz bevor meine Museumscard nach einem Jahr abläuft, war ich endlich wieder einmal im Kestner Museum. Mein letzter Besuch dort liegt sicher Jahre zurück. Dabei liegt das Museum August Kestner, wie es offiziell heißt, auf dem Weg zur Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, wo ich häufig Bücher ausleihe, und ganz in der Nähe des Maschteichs, an dessen Ufer ich im Sommer gerne sitze.

Dass ich so oft an diesem Museum vorbei- und nie hineingegangen bin, liegt sicher auch daran, dass mich die vier Sammlungen, die dort gezeigt werden – Antike und Ägyptische Kulturen, Angewandte Kunst und Design sowie Münzen und Medaillen – nicht so sehr interessieren. Gelohnt hat sich der Besuch im ältesten städtischen Museum Hannovers trotzdem – nicht nur, aber auch wegen der beiden Sonderausstellungen, die zurzeit dort gezeigt werden.

Die Ausstellung  „Personaggi | Persönlichkeiten. Der Abstieg der Mädchen von den Vasen“ gibt – ausgehend von Darstellungen auf antiken griechischen Gefäßen – einen Einblick in den Alltag junger Frauen und Mädchen im klassischen Griechenland. Und sie informiert über Normen und Rollenerwartungen, in denen sie gefangen waren.

Über gesellschaftliche Normen und Behinderungen wegen ihres Geschlechts mussten sich noch mehr als 2.000 Jahre später auch die elf Pionierinnen in der Archäologie hinwegsetzen, an die die Ausstellung „Ein gut Theil Eigenheit – Lebenswege früher Archäologinnen“ erinnert. Weil Frauen in Deutschland erst seit 1900 studieren durften, waren Archäologinnen wie Ida von Boxberg (1806 bis 1893) oft Autodidaktinnen. Ihre Forschungen wurden, so verraten die Texte zur Ausstellung, zwar durchaus geschätzt, die Frauen und ihre Leistungen gerieten aber oft in Vergessenheit.

Die Ausstellung, die noch bis Anfang nächsten Jahres im Kestner Museum zu sehen ist, ist Bestandteil des Forschungs- und Vermittlungsprojekts „AktArcha – Akteurinnen archäologischer Forschung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: im Feld, im Labor, am Schreibtisch“. Weitere Informationen über Archäologinnen und das Projekt, das im Themenschwerpunkt „Frauen in Wissenschaft, Forschung und Innovation: Leistungen und Potenziale sichtbar machen, Sichtbarkeit strukturell verankern“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert wird, gibt es unter https://archaeologinnen-lebenswege.de/.

Zinnober und andere Atelierbesuche

Nicht einmal ein Jahr ist es her, seit ich meine Zimmer umgeräumt habe (https://timetoflyblog.com/zimmerwechsel). Kurz nachdem ich in Rente gegangen bin, habe ich das zweite Arbeitszimmer, das ich nicht mehr benötigte, zum „Kunstraum“ umfunktioniert. Zwar hatte ich seither ausreichend Platz für meine Malutensilien , doch genutzt habe ich das Zimmer leider kaum. Und so habe ich eine weitere Umräumaktion gestartet.

Schuld war eigentlich Zinnober, der Kunstspaziergang durch Hannover am ersten Septemberwochenende. Rund 250 KünstlerInnen öffneten in diesem Jahr ihre Ateliers – alle an einem Wochenende zu besuchen, ist unmöglich, auch wenn sich an Zinnober, anders als beim Atelierspaziergang im Mai, meist Ateliergemeinschaften beteiligen. Oft funktionieren die KünstlerInnen nicht mehr genutzte Büro- oder Gewerbegebäude um, um dort gemeinsam unter einem Dach oder auf einem Gelände zu arbeiten.

So ist in der Schulenburger Landstraße 150/152 in Hainholz vor einigen Jahren ein Kunstzentrum entstanden, in dem am Zinnober-Wochenende mehr als 30 KünstlerInnen Einblicke in ihre Ateliers und in ihre Arbeit gewährten.

In der Nordstadt gründeten vier bildende KünstlerInnen bereits Ende der 80er-Jahre in einer ehemaligen Textilreißfabrik die Ateliergemeinschaft Block 16 , der sich inzwischen vier Kollegen angeschlossen haben.

In die alte EISFABRIK in der Südstadt, in der früher Bier gebraut und Eis zum Kühlen von Lebensmitteln produziert wurden, zogen sogar schon Mitte der 1970er -Jahre die ersten KünstlerInnen ein – und verwandelten die Industriebrache, die zu zerfallen drohte, in ein Zentrum der Künste, für Theater, Tanz, Musik, bildende Kunst und Fotografie.

In die Südstadt habe ich es im September leider nicht geschafft, die Fotos der Ateliers von Katrin Tavernini und Meike Zopf sind schon beim Atelierspaziergang im Mai entstanden.

Beeindruckt haben mich beim Atelierspaziergang auch die Ateliers und die Arbeiten von Anne Nissen, Michaela Hamann und Claudia Schmidt.

Dass wir während unseres Englandurlaubs ausgerechnet am Tag der „Open Studios“ in Saint Ives in Cornwall waren, war ein glücklicher Zufall. Ein Highlight waren die Sketchbooks von Sally MacCabe, die ich ebenso zufällig im White’s Old Workshops entdeckte.

Ich liebe bekanntlich Skizzenbücher – und ich möchte meine eigenen gestalten. „Mein neues Skizzenbuch soll mehr Farbe in mein Leben und meine Aufzeichnungen bringen. Ich will in meinem kreativen Tagebuch Zeichnungen und Skizzen, Fotos und Bilder, Texte – eigene und fremde – kombinieren“, habe ich in einem Blogbeitrag im März geschrieben (https://timetoflyblog.com/eine-art-journal). Doch ich schaffe es bislang leider nur selten, diesen Vorsatz umzusetzen.

Damit das künftig besser gelingt, habe ich mein Schreib- und mein Malzimmer zusammengelegt und in den größten Raum im Dachgeschoss verlegt. Mein Bett musste den beiden Tischen Platz machen. Es steht jetzt im kleinsten Zimmer des Hauses, aber der hausinterne Umzug hat sich schon deshalb gelohnt, weil ich jetzt vom Bett aus gleich aus zwei Fenstern den Himmel sehen kann.

Ob ich im neuen Schreib-Mal-Zimmer wirklich öfter zu Stift und Pinsel greife, muss sich erst noch zeigen. Ich werde darüber berichten.

Monatsrückblick September 2023

Wie viel ich im vergangenen Monat unterwegs war, wurde mir erst im Nachhinein, beim Schreiben dieses Blogbeitrags, bewusst. Am ersten Septemberwochenende war in Hannover Zinnober angesagt. Und weil bei diesem „Kunstlauf“ nicht nur einzelne Künstler, sondern ganze Künstlergemeinschaften ihre Kunstorte öffnen, konnte ich am Samstag und Sonntag mehr als zwei Dutzend Ateliers und Ausstellungen besuchen.  

Anfang der Woche bin ich dann zu einer Freundin nach Süddeutschland. Wir kennen uns schon seit dem Studium – haben uns aber zuletzt vor Corona gesehen. Wir telefonieren zwar regelmäßig, doch Telefonate können den persönlichen Kontakt nicht wirklich ersetzen. Am Telefon bleibt leider manches ungesagt. Eins steht fest: Mit meinem nächsten Besuch in Bruchsal warte ich gewiss nicht mehr so lange.

Zu lange habe ich mit meinem Besuch beim Mann einer verstorbenen Freundin gewartet. Ich habe es leider nicht mehr geschafft, zwischen den Reisen nach Süddeutschland und England noch einmal bei ihm vorbeizufahren. Jetzt ist es zu spät: Am ersten Urlaubstag rief mich sein Sohn an und informierte mich, dass sein Vater gestorben sei.

Dass wir nach England gefahren sind, lag an einer Fernsehsendung über Stonehenge. Der Bericht über den geheimnisumwitterten Steinkreis aus der Jungsteinzeit faszinierte meinen astronomiebegeisterten Mann so sehr, dass er fragte, ob ich damit einverstanden sei, statt nach Schweden nach Cornwall zu fahren. Natürlich war ich – Schließlich war ich in Schweden schon ein paar Mal, in England noch nie, obwohl Cornwall, vor allem der South West Coast Path schon lange auf meiner To-visit-Liste steht (https://timetoflyblog.com/immer-am-meer-entlang). Außerdem sind die die Aussichten auf T-Shirt-Temperaturen und ein paar sonnige Herbsttage wegen des Golfstroms im Süden Englands deutlich größer als im Norden Schwedens. Zwei Wochen waren wir in Südwestengland unterwegs und haben außer in Stonehenge auch in Bath, Saint Ives, Land’s End, Heligan, Fowey, West Bay und Folkestone Station gemacht.

Zurück in Deutschland ging es dann für ein paar Tage zum Katzensitten in den Harz – und von dort aus in die Lessingstadt Wolfenbüttel (https://timetoflyblog.com/auf-lessings-spuren). Dazwischen habe ich – wieder einmal – meine Zimmer in der oberen Etage unseres Hauses umgeräumt.

Abgeschlossen ist die Aktion noch nicht – was sie mit den Atelierbesuchen am ersten Septemberwochenende zu tun hat, verrate ich in einem meiner nächsten Blogbeiträge.

Auf Lessings Spuren

Eigentlich wollte ich ja am Samstag auf den Brocken wandern, aber weil mein Knie mal wieder nicht so wollte wie ich, schien mir eine Wanderung auf den höchsten Berg Norddeutschlands keine allzu gute Idee. Denn wer hinaufgeht, muss auch wieder zu Fuß hinab – von der Wohnung, in der ich am Wochenende die Katze gehütet habe, bis nach Torfhaus sind das gut 24 Kilometer und zahlreiche Höhenmeter. Außerdem ist der Brocken samstags – noch dazu an einem langen Herbstwochenende mit strahlend schönem Wetter – ein beliebtes Ausflugsziel und daher ziemlich überlaufen. Das Gleiche gilt auch für die Teufelsmauer bei Blankenburg. Also musste ein Alternativziel her.

Wolfenbüttel ist von Bad Harzburg aus mit der Bahn und meinem 49-Euro-Ticket bequem und schnell zu erreichen – im Stundentakt und in weniger als einer Dreiviertelstunde. Kennenlernen wollte ich die Stadt schon lange mal: Schließlich galt die 1570 gegründete „Bibliotheca Augusta“, die heutige Herzog August Bibliothek, einst als achtes Weltwunder (https://www.lessingstadt-wolfenbuettel.de/). Noch heute werden in ihr einzigartige Bücher bewahrt und gezeigt, unter anderem das Evangeliar Heinrichs des Löwen.

Zumindest zwei Bibliothekare, die dort arbeiteten, waren noch berühmter als die Bibliothek: 1621 übernahm der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz die Leitung der Bibliotheca Augusta – und entwickelte in dieser Zeit „nebenbei“ das binäre System, die Grundlage der heutigen IT-Technik. 150 Jahre später, im Jahr 1770, wurde Gotthold Ephraim Lessing dort Bibliotheksleiter – wohl mehr aus Not, denn aus Überzeugung. Denn obwohl Lessing damals schon ein bekannter Schriftsteller war, plagten ihn finanzielle Sorgen – offenbar war es schon damals schwer bis unmöglich, nur vom Schreiben zu leben. Der Job als Bibliothekar brachte ihm „sechs hundert Thaler Gehalt, nebst freyer Wohnung und Holz auf dem fürstl. Schloße“. Seine Pflichten hielten sich in Grenzen: „Eigentliche Amtsgeschäfte habe ich keine andere als die ich mir selbst machen will. … Ich darf mich rühmen, dass der Erbprinz mehr darauf gesehen, dass ich die Bibliothek als dass ich der Bibliothek nutzen soll“, schrieb Lessing am 27. Juli 1770 seinem Vater. So blieb ihm viel Zeit zu reisen und zu schreiben: In Wolfenbüttel entstanden unter anderem Emilia Galotti, sein wohl bekanntestes Werk Nathan der Weise und sein religionsphilosophisches Hauptwerk „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ (1780).

Im Lessinghaus wohnte und arbeitete Lessing nach seiner Heirat mit Eva König im Jahr 1777. Heute ist das Haus teilweise ein Museum, und natürlich habe ich es besucht: eine wahrlich hübsche Dienstwohnung. Von der direkt daneben liegenden Bibliothek konnte ich leider nur die neoklassizistische Fassade betrachten. Denn „die musealen Räume der Bibliothek sind für den Publikumsverkehr auf unbestimmte Zeit geschlossen“, heißt es auf der Bibliotheks-Website. Schade. Ich hätte mir die Büchersammlung allzu gerne angesehen. Aber so habe ich einen Grund wiederzukommen, wenn die Sanierungsarbeiten abgeschlossen sind.

Auf die Schlossbesichtigung habe ich dagegen bewusst verzichtet und bin lieber durch die Stadt gebummelt. Sie hat mit rund tausend meist schön restaurierten Fachwerkhäusern und vielen kleinen Läden wirklich ein besonderes Flair.

Ich mag Städte am Wasser. Wolfenbüttel liegt an der Oker, wird von einem Stadtgraben umschlossen und von zahlreichen Kanälen durchzogen. Sie wurden ab 1542 in der Regierungszeit Herzog Julius‘ angelegt, um die sumpfige Okeraue zu entwässern und die Stadt umbauen und erweitern zu können. Fluss und Grachten waren wichtige Lebensadern der Stadt, sie dienten früher als Transportwege, trieben Mühlen an und leider wurden in ihnen auch Abfälle und Abwasser entsorgt. Die Folge: Oker und Grachten waren damals Kloaken, die zum Himmel stanken: „Im Jahr 1899 werden 168 Tonnen Kot, 7.800 Tonnen Urin, 1.700 Tonnen Kehrricht und 480.000 Tonnen sonstiges Abwasser in die Oker geleitet“, erfahre ich auf dem Audio-Rundgang „Wasserwege Wolfenbüttel“ (www.wasserwege-wf.de), die mich zu fünf Stationen leitet. Die Wasserqualität hat sich glücklicherweise erheblich verbessert. Aber leider wurden große Teile der Wasserwege, die einst das Stadtbild prägten, inzwischen unter die Erde verbannt. Dass beispielsweise unter der Straße Krambuden ein Seitenarm der Oker hindurchfließt, merkt man nicht, wenn man durch die Stadt schlendert. In Klein Venedig ist dagegen noch ein kleines Stück des Großen Kanals zu sehen.

Klein Venedig oder Klein Amsterdam in Norddeutschland

Bedeutende Kirchen gibt es in Wolfenbüttel natürlich auch: Die Trinitatiskirche zählt laut Wikipedia zu den  bedeutendsten Kirchen im Barockstil in Deutschland https://de.wikipedia.org/wiki/St.-Trinitatis-Kirche_(Wolfenbüttel). Nur die Außenmauern wurden aus Stein gemauert, im Inneren wurde Holz verbaut. Dass die Säulen aus je vier verschalten Tannenstämmen bestehen, sieht man ihnen nicht an. Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis, angeblich der erste bedeutende protestantische Großkirchenbau der Welt https://de.wikipedia.org/wiki/Marienkirche_(Wolfenbüttel), war leider über Mittag geschlossen.

Und so bin ich stattdessen in eine Buchhandlung und ein Antiquariat gegangen, die beide schräg gegenüber der Hauptkirche am Kornmarkt liegen. Eigentlich ein passender Abschluss für den Besuch in einer Stadt, die vor allem wegen eines Schriftstellers, der einst dort lebte und arbeitete,  und ihrer besonderen Bibliothek bekannt ist.

Blick in mein Art-Journal. Das Copyright für die eingeklebte Zitatkarte liegt beim ars vivendi Verlag, die Fotos unten rechts wurden aus dem Museumsführer Kultur erleben der Lessingstadt Wolfenbüttel ausgeschnitten und eingeklebt.

Immer am Meer entlang

Die Alpen müssen warten. Oder genauer gesagt, mein Vorhaben, im nächsten Jahr die Alpen zu Fuß zu überqueren. Unser Urlaub in Cornwall hat den South West Coast Path auf der Liste der Wanderziele wieder ganz nach vorne katapultiert.

Zum ersten Mal habe ich vor ein paar Jahren in Judith Wolfbergers Buch „Schafft euch Schreibräume“ von dem Wanderweg gelesen, später dann in Raynor Winns Roman „Der Salzpfad“. Doch dann ist der South West Coast Path irgendwie aus meinem Blick verschwunden, zu Unrecht, wie ich bei meinem ersten Besuch in England festgestellt habe. Denn für Menschen wie mich, die süchtig nach Wasser sind, ist der Pfad ein Traum: Er verläuft von Minehead am Bristol Channel bis nach Poole Harbour an der englischen Südküste (fast) immer direkt am Meer entlang. Malerische Orte wie Saint Ives oder Fowey, wo die Schriftstellerin Daphne du Maurier lange lebte und viele ihrer Romane schrieb, liegen ebenso auf der Strecke wie zwei Unesco-Weltkulturerbestätten – die Jurassic Coast bei Lyme Regis und die Bergbaulandschaft von Cornwall und West Devon –, mehrere Naturparks und sogenannte Heritage Coasts, das sind Gebiete, die wegen ihrer Schönheit, ihrer Flora und Fauna oder ihrer kulturellen Bedeutung besonders geschützt sind. Zu sehen gibt es also genug, viel Landschaft, viel Natur, viel Kultur und vor allem viel Wasser.

Mit mehr als tausend Kilometern oder umgerechnet 630 Meilen ist der South West Coast Path laut Wikipedia der längste Fernwanderweg in Großbritannien (https://de.wikipedia.org/wiki/South_West_Coast_Path). Wer den gesamten Weg wandern will, braucht sieben bis acht Wochen. So viel Zeit hatte ich natürlich nicht. Ich bin an allen Orten, wo wir Station gemacht haben, nur kurze Strecken gewandert: Mal war ich nur eine, an anderen Tagen drei oder vier Stunden unterwegs. Mal war der Weg steinig, mal führte er über Wiesen und Weiden und manchmal auch ein Stück am Strand entlang.

Die Aussichten waren eigentlich überall, wo ich gewandert bin, spektakulär. In Lands End, dem westlichsten Punkt Englands beispielsweise …

… oder an der Jurassic Coast. Bis zu den fossilienreichen Klippen bei Lyme Regis habe ich es zwar nicht geschafft, aber ich habe auf dem Weg dorthin immerhin das Golden Cap erklommen. Die goldene Mütze ist mit 191 Metern höchste Erhebung an der Südküste.

Apropos erklimmen: Der Küstenweg ist keineswegs flach, wie der Name nordseeküstengewohnte Flachländer wie mich vermuten lässt. Es geht ständig auf und ab. 35.000 Höhenmeter müssen auf dem gesamten Weg überwunden werden – angeblich mehr als bei einer Besteigung des Mount Everest.

Die Auf- und Abstiege sind teilweise recht steil, aber nicht besonders anspruchsvoll – auch das ein Grund, der für den South West Coast Path spricht. Und auch verlaufen kann ich mich auf dem Küstenpfad – anders in den Alpen – kaum. Dafür sorgen schon die zahlreichen Wegweiser auf der Strecke. 2.473 sollen es nach einer Reportage auf der Website des Michael Müller Verlags über Cornwall und den South West coast Path sein (https://www.michael-mueller-verlag.de/de/reportage_cornwall_south_west_coast_path/), also durchschnittlich zweieinhalb pro Kilometer. Außerdem geht es ja fast immer am Meer entlang – und frau trifft unterwegs immer wieder andere WandererInnen, die sie nach dem Weg fragen kann.

Der Wanderweg an der Küste endet übrigens nicht in Poole Harbour; er geht als England Coast Path weiter. Auch auf dem englischen Küstenweg war ich einen halben Tag unterwegs: von unserem Campingplatz in Folkestone über die berühmten Kreidefelsen bis fast nach Dover. Gerne wäre ich noch ein Stückchen weiter gegangen, aber dann stoppte mich eine Viehherde.

Zwar dürfen Wanderer in England auf ausgeschilderten Pfaden auch Privatgrundstücke betreten. Aber ich war mir nicht sicher, ob es Stiere oder Kühe waren, die auf der Weide grasten – und ob sie das alte „Right of Way“ auch kennen. Doch das werde ich klären, bevor ich mich im nächsten Jahr auf den Weg nach Cornwall mache, um länger auf dem South West Coast Path zu wandern.

Monatsrückblick August 2023

Der Monat begann mit einer Reise in die Vergangenheit: Zum ersten Mal seit dem Jahrgedächtnis für meine Mutter vor drei Jahren war ich wieder an der Mosel. Es war, ich gebe es zu, ein merkwürdiges Gefühl, zum ersten Mal als Touristin in dem Ort zu sein, in dem ich geboren bin, mehr als 20 Jahre lang gelebt und in dem ich bis zum Umzug meiner Mutter ins Altenheim viel Zeit verbracht habe.

Mein Elternhaus haben die neuen Besitzer durch ein riesiges Vordach aus Holz auf der Moselseite „verschandelt“ – die dahinterliegenden Räume sind dadurch sicher wesentlich dunkler als früher. Und der Garten neben dem Haus musste Auto-Stellpätzen weichen. Es berührt mich eigentlich wenig, nur dass ich den Strauch mit den duftenden Pfingstrosen im Vorgarten nicht ausgegraben und in meinen eigenen Garten gepflanzt habe, als wir das Haus verkauften, bedaure ich noch immer. Jetzt ist er verschwunden.

Wir haben auf dem Stellplatz am Hafen übernachtet und ich habe es genossen, vom Wohnmobil aus die Mosel zu sehen. Wir haben Freundinnen und natürlich das Grab meiner Eltern besucht. Ich habe mir von meiner früheren Friseurin die Haare schneiden lassen – so kurz wie noch nie, meinte sie. Das Treffen mit meinem früheren Trainer und Lehrer hat leider nicht geklappt, und die alte Dame, der ich gelegentlich schreibe – und sie mir –, hat mich nicht mehr erkannt. Sie wird in diesem Jahr 100 und wir haben uns seit drei Jahren nicht mehr gesehen.

Obwohl ich an der Mosel geboren und dort aufgewachsen bin, bin ich erst jetzt, mit fast 67, zum ersten Mal dort gepaddelt. Ich habe den Calmont zum ersten Mal erwandert und zwei Wochen später war ich zum ersten Mal auf einer Landesgartenschau.

Eine ganz andere Premiere erlebte meine jüngste Enkelin am letzten Tag des Monats: Sie hatte in Hamburg ihren ersten Vorschultag. Am letzten Tag in ihrer Kita bekam sie zur Erinnerung von den ErzieherInnen einen Ordner mit Fotos aus den letzten drei Jahren. Als wir die Bilder anschauten, musste ich an meine Mutter denken. Wenn ich sie in den letzten Wochen vor ihrem Tod aufmuntern wollte, zeigte ich ihr Bilder oder kleine Videos ihrer Urenkelin. Dann strahlten ihre Augen, sie lächelte und manchmal brachte Ayda sie sogar zum Lachen. Meine Enkelin war noch kein Jahr alt, als meine Mutter starb, jetzt wird sie schon fünf. So schnell geht es.

Zwischen den Reisen in den Süden und den Norden stand im August viel Kunst auf dem Programm: Über die beiden Ausstellungen in Burgwedel – Parkomanie und Kunst in Bewegung – habe ich ja schon geschrieben. Mit einer Schreibfreundin war ich beim Tag der offenen Tür in der Villa Seligmann, einem Haus für jüdische Musik in Hannover. Mit einer anderen habe ich mir die Volker-Kriegel-Ausstellung „Ja was denn“ im Wilhelm Busch Museum angesehen. Ich kannte Volker Kriegel nur als (Jazz-)Musiker, dass er auch ein guter und bekannter Zeichner und Autor war, wusste ich gar nicht. Besonders gut haben mir seine tagebuchartigen Skizzenbücher gefallen – auch ich will schon lange ein Visual Diary, also eine Art bebildertes „Tagebuch“ oder Journal, führen und mehr Farbe in mein Leben bringen. Es ist Zeit, endlich zeichnen zu lernen und es zu üben.

Deshalb hatte ich mich auch für Ramona Weydes „August Art Journal“ angemeldet. Alle zwei Tage habe ich von ihr Aufgaben, Ideen und Impulse für mein Skizzenbuch bekommen. Die Anregungen haben mir gut gefallen, doch leider habe ich es nur sehr selten geschafft, sie umzusetzen, mein Art Journal in meinen Alltag zu integrieren. Aber ich gebe die Hoffnung und das Art Journaling nicht auf. Und angeblich ist ja der September ja so eine Art Januar des Herbstes – und eine gute Zeit für einen Neustart. Na denn.

Kluge Frauen – schöne Gärten

Geografie mangelhaft. Dass Bad Gandersheim so nah liegt und überdies mit öffentlichen Verkehrsmitteln so gut zu erreichen ist, wurde mir erst im vergangenen Jahr eher zufällig bewusst, als eine Streckensperrung mich auf einer Fahrt nach Bad Harzburg durch die am Harzrand gelegene Kurstadt führte. Merke: Umleitungen haben manchmal also durchaus auch etwas Gutes.

Seither steht Bad Gandersheim auf der Liste der Orte, die ich unbedingt besuchen wollte. Schließlich war die Stadt, genauer gesagt das Kloster Brunshausen, Wohn- und Wirkungsstätte von Hrotsvit von Gandersheim. Allen, die die Dame nicht kennen, sei’s gesagt: Hrotsvit oder auf Deutsch Roswitha lebte vor mehr als tausend Jahren, von etwa 935 bis 980. Sie war die erste deutsche Dichterin und eine der bedeutendsten des Mittelalters.

Kirche des Klosters Brunshausen

Das war wohl zumindest für einige Frauen doch nicht so finster, wie frau manchmal glaubt. Roswitha wurde in der Schule des Klosters in den sieben freien Künsten – Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik, Grammatik, Dialektik und Rhetorik – unterrichtet. Und sie lernte natürlich Latein, die Sprache, in der sie auch ihre Bücher verfasste. Zwei historische Werke über das Leben Kaiser Ottos I. und die Gründungsgeschichte des Stiftes Gandersheim hat sie geschrieben, außerdem sechs Dramen und acht christliche Legenden, darunter auch die Theophilus-Legende, in der sie als Erste den Urstoff des Faust bearbeitete, der dann durch Goethe berühmt wurde.

Weil ich nicht nur Literatur (vor allem von Frauen), sondern auch Pflanzen und schöne Gärten mag, war die Landesgartenschau ein willkommener Anlass, endlich nach Bad Gandersheim zu fahren. Eine gute Entscheidung. Denn das Gartenschau-Gelände mit vier ganz unterschiedlichen Parkbereichen und ganz viel Wasser war so recht nach meinem Geschmack: Zwei Bäche – Gande und Eterna – durchfließen das Areal, außerdem gibt es zahlreiche Seen und Teiche und im sogenannten Roswitha-Park ein Sole-Naturbad, in dem die BesucherInnen der Gartenschau schwimmen, sich sonnen und entspannen können.

Das habe ich natürlich getan, außerdem habe ich in diesem Bereich der Gartenschau meinen Füßen auf dem Barfußpfad etwas Abwechslung, im Kneipp-Becken Abkühlung gegönnt und schließlich an einem Weinstand einen leckeren Weinbergspfirsichsecco probiert, der definitiv nach mehr schmeckte.

Die verschiedenen Geräte im Spiel- und Sportpark habe ich dagegen nicht getestet. Ich habe mich weder auf die Slacklines getraut noch habe ich den Boulderfelsen erklettert, sondern bin, meinem Alter entsprechend, brav auf den Wegen bzw. auf dem Rasen geblieben. Zu sehen gab es genug, sechs kleine Themengärten beispielsweise …

… oder – nicht nur in diesem, sondern in allen Bereichen des Parks – verschiedene Kunstobjekte. Zum Nachdenken hat mich die Demutsbank angeregt, bei der eine Lautsprecherstimme daran erinnerte, dass es vieles gibt, wofür man oder frau dankbar sein sollten. Ganz gewiss für einen sonnigen, geschenkten Tag in einer schönen Umgebung.

Mein Lieblingsbereich war definitiv der Landschaftspark: An den Osterbergseen, wo vor nicht allzu langer Zeit Bergungspanzer der Bundeswehr übten, ist – der Gartenschau sei Dank – eine Augenweide für Gartenfans und ein Paradies für Insekten und Schmetterlinge entstanden. Unzählige Stauden verwandeln die Ufer der beiden künstlichen Seen in ein Blütenmeer. Und auf kleinen schwimmenden Gärten fühlen sich Wasservögel und Reiher wohl.

Auch mir hat es an den Seen sehr gut gefallen: Ich habe am Seeufer immer wieder kurze Pausen eingelegt, um zu lesen, zu schreiben, zu frühstücken oder einfach nur aufs Wasser zu schauen und das Leben und den Tag zu genießen.

Natürlich bin ich auch an der Gande entlang zum Kloster Brunshausen spaziert, das als „Keimzelle“ von Bad Gandersheim gilt. Der Weg führt durch das Landschaftsschutzgebiet Auepark, den weitgehend naturbelassenen Bereich der Gartenschau. Von einem 150 Meter langen Holzsteg kann man jetzt bislang versteckte Teiche und Tümpel sehen und die dort lebenden Wasservögel beobachten.

Am nördlichen Ende – oder Anfang – des Aueparks liegt das Kloster auf einem kleinen Hügel. In der Klosterkirche habe ich mir die Ausstellung angesehen, die an Roswitha und andere starken Frauen erinnern, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein im Kloster lebten. Im Kirchenschiff sind außerdem kostbare Textilien ausgestellt – und auf der Empore können sich die BesucherInnen – passend zur Landesgartenschau – auf eine Zeitreise durch die Gartengeschichte begeben.

Dort liegt auch eine Auswahl der Bücher der Autorinnen aus, die mit dem Roswitha-Literaturpreis ausgezeichnet wurden. Die Stadt Gandersheim hat den Preis im Jahr 1973 gestiftet – im Gedenken an die berühmteste Tochter der Stadt. Preisträgerinnen waren viele Schriftstellerinnen, deren Bücher ich schätze: Marie-Luise Kaschnitz und Hilde Domin beispielsweise, Ilse Aichinger, Ulla Hahn, Ruth Klüger, Cornelia Funcke und Julia Franck. Außerdem wird die beliebteste Schauspielerin bei den Gandersheimer Domfestspielen alljährlich mit dem Roswitha-Ring  der Stadt Bad Gandersheim geehrt.

Die romanische Stiftskirche, davor die Tribünen der Freilichtbühne

Vielleicht werde ich mir im nächsten Jahr einmal eine Vorstellung ansehen, die auf der Freilichtbühne vor der romanischen Stiftskirche stattfindet. Dann habe ich sicher auch Gelegenheit, die Stadt zu besichtigen. Zu entdecken gibt es dort einiges: die Stiftskirche mit ihrer Doppelturmfassade natürlich, zahlreiche Renaissance- und Barockgebäude oder das Sommerschloss Brunshausen mit eindrucksvollen Wandmalereien und kostbaren Büchern. Und natürlich werde ich dann noch einmal an Gande, Eterna und den Osterbergseen entlangspazieren und den Blick aufs Wasser genießen.

Kunst in Burgwedel – Kunst in Bewegung

Noch einmal Kunst in Burgwedel, diesmal Kunst in Bewegung (KIB). Vielleicht zum letzten Mal. Denn die OrganisatorInnen Maria Hausknecht, Karlheinz Schridde und Elke Seitz haben angekündigt, dass sie nicht mehr weitermachen möchten – zumindest nicht mehr so wie bisher. Es fehlt an finanzieller, organisatorischer und tatkräftiger Unterstützung – und auch ein bisschen an jungen KünstlerInnen, die ihre Arbeiten ausstellen. Es wäre schade um die Veranstaltung, die es seit 2006 gibt.

Martin Vietmeyer, Christine Jehne und Britt Buvrin-Wolff haben Kunst in Bewegung initiiert, in den ersten Jahren organisiert – und damit offenbar den Geschmack (nicht nur) der BurgwedelerInnen getroffen. In Scharen pilgerten Kunstinteressiert und Neugierige zu den Ausstellungsorten nicht nur in Großburgwedel selbst, sondern auch in den Burgwedel-Dörfern. An manchen Wochenenden war wirklich, so schien es, halb Burgwedel und Umgebung in Bewegung – viele zu Fuß oder mit dem Rad.

Der besondere Charme lag in den ersten Jahren darin, dass die Burgwedeler KünstlerInnen ihre Ateliers öffneten und ihre Arbeiten dort zeigten, wo sie entstanden. Als immer mehr KünstlerInnen aus der näheren und weiteren Umgebung Kunst in Bewegung entdeckten und mitmachten, verlagerte sich der Schwerpunkt von privaten auf „öffentliche“ Räume wie Volkshochschule, Rathaus, Kirchenkreisamt, Bücherei oder Schulen. Aber auch Restaurants, Anwaltskanzleien, kleine Läden oder Versicherungsagenturen verwandelten sich für ein Wochenende in Galerien. In den vergangenen drei Coronajahren stellten die KünstlerInnen dann zentral und unter freiem Himmel aus – unter anderem im Rathauspark und im Amtspark. In diesem Jahr fand Kunst in Bewegung wieder drinnen statt. Mehr als 30 KünstlerInnen und KunsthandwerkerInnen zeigten ihre Malerei, Fotografie Schmuckstücke und andere Kunstobjekte. Orange Plakate, Fahnen und Fahrräder weisen den Weg zu den zehn Ausstellungsorten.

Einige Orte und KünstlerInnen sind schon seit Jahren dabei: Elke Seitz beispielsweise, eine der Organisatorinnen von Kunst in Bewegung. Ein Besuch in dem versteckten Garten des Atelier Seitz ist für mich ein Muss, besonders beeindrucken mich immer wieder die Objekte aus zerbrochenen Spiegeln. Und ein bisschen fühle ich mich in Elke Seitz Garten wie Alice auf dem Weg ins Wunderland.

Auch die beiden anderen Künstlerinnen, die ihre Bilder an diesem Kunstort zeigen, sind „alte Bekannte“, die schon lange bei Kunst in Bewegung mitmachen: Heidrun Schlieker bannt mit schneller Pinselführung meist norddeutsche Landschaften ausdrucksstark auf die Leinwand. Ihre Skizzenbücher, die ich ganz besonders mag, hat sie diesmal leider nicht dabei.

Bei Christine Küppers gefallen mir vor allem die Frauenbilder, ebenso bei Maria Hausknecht, die ihre meist abstrakten Bilder im Foyer des Amtshof zeigt. Apropos Frauen – sie sind klar in der Mehrzahl, bei MalerInnen und Motiven, aber auch bei den Besucherinnen. Kunst ist, so scheint es, vorwiegend Frauensache, auch wenn sich das in den Medien leider nicht immer widerspiegelt.

Der große Veranstaltungsraum im Amtshof bietet Ausstelllungsfläche für fünf KünstlerInnen und genügend Platz für großformatige Bilder in ganz verschiedenen Techniken, Materialien und Stilrichtungen. Die Bandbreite reicht von eher realistischen Landschaften bis zu abstrakten Darstellungen.

Gleich nebenan entdecke ich in den Räumen der VHS zwei Künstlerinnen, die ich bislang nicht kannte: Bei Annette Böwe trifft Farbe auf Struktur. Ihre auf Leinwand mit Acrylfarbe und Spachteltechnik gestalteten abstrakten Bilder erinnern mich ein wenig an Christine Jehne, eine der Initiatorinnen von Kunst in Bewegung. Sehr farbenfroh sind auch Maike Remanes Bilder, die sich „zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit bewegen“.

In der ältesten Straße Großburgwedels, der immer noch kopfsteingepflasterten Heinrich-Wöhler-Straße, zeigt im ehemaligen Sternerestaurant Ole Deele eine der jüngsten TeilnehmerInnen ihre Arbeiten. Mich fasziniert, wie Kerstin Bäßmann die Motive auf das Wesentliche reduziert und mit wenigen (Tusche)Strichen aufs Papier bannt. Das möchte ich auch können! Im Hof Schirmer trifft Digitales auf Analoges. Silke Jüngst verarbeitet unbeachtete Dinge zu hochwertigem Schmuck – und ritzt Texte im Binärcode auf Kupferplatten oder druckt sie auf Karten. Im Großformat ist binary II im Alten Park in den Ästen eines Baums zu bewundern.  

Zum Schluss meiner Kunsttour durch Burgwedel kehre ich noch einmal zu den Anfängen zurück – Sabine Mazur-Lunze und Katja Blume haben wie früher ihre Häuser und Ateliers für Kunstinteressierte geöffnet. Sabine Mazur-Lunze präsentiert Fotokarten und Fotoleinwände mit Naturmotiven im eigenen Wohnzimmer.

Und Katja Blume erlaubte sogar Einblicke in ihr Atelier smune, in dem ihre Zeichnungen, Handletterings, Druckarbeiten und Bücher übers Handlettering und Zeichnen entstehen. Es wäre wirklich schade, wenn Blicke hinter die Kulissen und in die Werkstätten in Burgwedel künftig gar nicht mehr möglich wären.

Immerhin: Ersatzlos gestrichen wird Kunst in Bewegung vielleicht doch nicht. Organisator Karlheinz Schridde plant laut HAZ vom 22. August (Ausgabe Burgwedel/Isernhagen/Burgdorf) für 2024 eine Veranstaltung „Kunst in Begegnung“, bei der es „vor allem um den Austausch von Kunstschaffenden und Publikum gehen“ soll . Ich bin gespannt.

Kunst am Baum

Der Alte Park an der Thönser Straße in Großburgwedel ist gerade mal einen halben Hektar groß – klein für einen Park, aber recht ansehnlich für eine Galerie. In die verwandelt sich der kleine Park seit 2008 für ein paar Wochen am Ende des Sommers mit der Freiluftausstellung Parkomanie. Mit seinen Ausstellungen möchte der Veranstalter, der Kunstverein Burgwedel-Isernhagen, „dazu beitragen, Hemmschwellen abzubauen, indem sich die Kunst in den öffentlichen und frei zugänglichen Raum, also zum Menschen hin, begibt“, heißt es in der Ausschreibung (https://www.kunstverein-bwi.de/ausstellungen-veranstaltungen-kunstfahrten-2023/). Die Parkomanie sei „ein gezielter Beitrag, Kunst ohne Zwang zu erleben und ihr eine größere Wahrnehmung in der Öffentlichkeit – und durch sie – zu ermöglichen“.

Rund um die Uhr können alle, die – absichtlich oder zufällig – im Park sind, die Werke anschauen. Sie hängen an oder stehen, passend zum Ausstellungsthema zwischenraum / space between, zwischen den alten Bäumen. Ich gehe gerne durch den Park – und manchmal nehme ich, bekennende Kunstbanausin, mir auch die Zeit, darüber nachzudenken oder auf den Begleittafeln nachzulesen, was die KünstlerInnen mir sagen wollen. Manches verstehe ich auch ohne Erklärung auf Anhieb, anderes erschließt sich mir erst auf den zweiten Blick oder gar nicht.

Wie achtlos weggeworfene Mülltüten sieht die Upcycling-Skulptur „Aufgeblasen“, aus. Die Berlinerin Pia Höhfeld will damit zum Nachdenken und zur Diskussion über Plastik- und anderen Müll anregen. „Der Müll, den wir weggeworfen haben, nimmt in meiner Kunst wieder Raum ein und konfrontiert uns mit unserem eigenen Konsumverhalten“, schreibt sie in ihrem Statement.

Wie ein Spinnennetz spannt sich der rote Faden von W. van Ravenhorst zwischen den Ästen eines Baumes, schafft Verbindungen, die aber nicht immer von Dauer sind. Schon in der ersten Woche hat sich das Netz sichtbar verändert.

Die Nachricht auf den hoch im Baum hängenden Tüchern kann ich nicht entschlüsseln. Denn sie besteht aus lauter Nullen und Einsen. „Es ist ein Songtext“, verrät Silke Jüngst, aber welcher es ist, bleibt ihr Geheimnis. „Digitale Nachricht auf analogem Material. Ungreifbare Datensätze auf haptischem Untergrund. Schwarz auf Weiß, Null und Eins. Der Text in Binärcode, obwohl direkt vor unseren Augen, bleibt verborgen und ist nur für Eingeweihte lesbar. Die analoge Welt hält mit der digitalen nicht mehr mit. Dazwischen Leerraum, Freiraum, Mut zur Lücke? Raum für neues Denken?“, schreibt die Künstlerin in ihrem Statement zu binary II. Der Gedanke fasziniert mich ebenso wie die Frage, ob Hanno Küblers Skulptur „Ohne Titel (großes Nest) ein künstliches Objekt oder ein wirkliches Nest ist. Dass „das Vogelnest zur Zeit wissenschaftlich untersucht (wird), um zu klären, um welche Vogelart es sich handelt und ob sie aufgrund des Klimawandels hier ansässig wird“, glaube ich allerdings nicht. Aber wer weiß es schon?

Meine Lieblingsskulptur steht direkt am Eingang des Alten Parks. Was „Into the Spaceless“ des Wilhelmshavener Künstlers Weibach2 mir sagen will, bleibt mir trotz der Erläuterungen unverständlich – aber ich muss ja nicht alles verstehen. Die Skulptur, die von allen Seiten anders aussieht, gefällt mir einfach. Und das genügt mir als bekennende Kunstbanausin.

Mehr Informationen

kunstverein burgwedel-isernhagen artclub e.v.

https://www.kunstverein-bwi.de/