Neue Blickwinkel: Springhorstsee und Pöttcherteich

Auf der Suche nach neuen Blickwinkeln für das Jahr, das ja gar nicht mehr so neu ist, bin ich – natürlich – wieder am Wasser gelandet, diesmal am Springhorstsee, dem kleinen Badesee bei Großburgwedel. Er ist, wie viele Seen in der Gegend, Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre beim Bau der A 7 entstanden, die ganz in der Nähe verläuft. Wenn viel los ist, beginnt hier der Stau nach Hamburg. Aber ein kleines Wäldchen schirmt den Springhorstsee ab, sodass man von der vielbefahrenen Autobahn kaum bis gar nichts hört.

Der See ist nicht nur etwas größer als der Würmsee, den ich im vergangenen Jahr aus immer den gleichen Blickwinkeln fotografiert habe, sondern viel tiefer: An der tiefsten Stelle sollen es 7,50 Meter sein. Man kann hier nicht nur schwimmen …

Blick vom Badestrand über den See

sondern auch angeln …

Ein Karpfen, natürlich nicht selbst geangelt. Es gibt noch viel größere, sagt der Angler, der ihn herausgezogen hat.

… mit einem Schwan über den See fahren …

… und am Ufer entlanggehen. Der Blick auf das Café, das gerade renoviert wird, ist in diesem Jahr mein Blickwinkel Nummer eins.

Frida am See. Das Café mit dem verheißungsvollen Namen eröffnet im April, so Corona es will.

Von der Terrasse und dem kleinen Strand vor dem Café hat man den See und die kleine Insel im Blick, mit einem unechten Schäfer und ebenso unechten Schafen – mein Blickwinkel Nummer zwei. Hier werde ich ab dem Frühjahr sicher öfter sitzen. Denn schon der Name des neuen Cafés ist verheißungsvoll: Frida am See. Und wenn das Café-Restaurant nicht nur auf seiner Facebookseite mit Frida Kahlo wirbt, hat es sicher Potenzial, mein Lieblingscafé zu werden.

Kleine Insel im kleinen See

Auch den neuen Pöttcherteich will ich in diesem Jahr aus immer dem gleichen Blickwinkel fotografieren, und zwar mit der Weide am Wegrand bzw. am Ufer. Weiden faszinieren mich immer wieder aufs Neue. Wenn sie zurückgeschnitten wurden, befürchte ich alle Jahre wieder, dass sie sich vom Radikalschnitt nicht erholen, sondern kahl bleiben. Doch im Sommer sind sie dann wieder grün wie eh und je.

Biotop mit Weide

Zu dem kleinen Teich am Ortsrand, der eigentlich ein Vorfluter ist, gehe ich übrigens am liebsten am späten Nachmittag oder abends, wenn die Sonne hinter dem See verschwindet. Dann sieht man hier oft Reiher, die im flachen Wasser ihr Abendessen aufschnabeln, im Sommer ist auch gelegentlich ein Storch hier zu Gast. Doch bis der wiederkommt, werden wohl noch einige Monate vergehen.

Übrigens:

Erfunden hat das Projekt 1 Blickwinkel – 12 Monate Tabea Heinicker, Eva Fuchs führt die Fotoaktion seit einigen Jahren auf ihrem Blog (https://evafuchs.blogspot.com/search/label/12telBlick) und auf ihrer Instagram-Seite (@verfuchst.insta) fort. Eva Weinig (http://meine-gartenzeit.de) hat die Idee aufgegriffen und mich inspiriert: Und wie im vergangenen Jahr werde ich auch in diesem Jahr auch unseren Garten jeden Monat aus den gleichen Blickwinkeln fotografieren. Die Gartenfotos veröffentliche ich im Blog Chaosgaertnerinnen (https://chaosgaertnerinnen.de).

Bullet Journal – zweiter Versuch

Ich habe aus der Not eine Tugend gemacht. Weil wegen des Lockdowns Buchhandlungen und Schreibwarenläden geschlossen sind, habe ich mir zu ersten Mal seit Jahrzehnten keinen Notizkalender gekauft. Natürlich hätte ich mir einen im Internet bestellen können, aber das Kalendarium, das ich seit Jahren nutze, gibt es bei dem Online Händler mit dem großen A nur als Zusatzartikel: Ich müsste also Waren im Wert von x Euro mitbestellen. Doch das wollte ich nicht – auch weil mir beim Durchblättern meiner alten Kalender wieder einmal aufgefallen ist, dass die meisten Kalenderseiten leer sind.

Typisches Kalenderblatt im letzten Jahr. Einziger Eintrag – die Leipziger Buchmesse. Und die ist leider ausgefallen.

Ich nutze eigentlich nur die Monatsübersicht am Anfang des Kalenders: Dort trage ich meine Termine ein, um den Überblick zu behalten; meine täglichen und wöchentlichen Aufgaben notiere ich in einem schlichten Notizheft mit Blankoseiten, das ich mit einem Leder- oder Gummiband in einem wunderschönen, handgefertigten Ledereinband* befestige. Mal brauche ich zwei Hefte im Jahr, gelegentlich auch drei, wenn ich viel zu notieren habe. Ich führe quasi ein Bullet Journal light, ohne es so zu nennen.

Ich habe die Mischung aus Kalender, Notizheft-, Ziel- und Gedankensammlung vor ein paar Jahren für mich entdeckt, doch der Hype, den es um Bullet Journals gibt, hat mich abgeschreckt. So gibt es in Buch- und Schreibwarenläden diverses Zubehör wie Schablonen, Stifte, Aufkleber und Handlettering-Anleitungen. Und natürlich unzählige mehr oder weniger hübsch gestaltete Notizbücher mit Aufdruck Bullet Journal, die versprechen, dass ich mit ihrer Hilfe kreativ und gut organisiert durch das Jahr komme und nicht nur meine Termine, sondern auch mein Leben besser im Griff habe.

Bei mir funktioniert diese Art des Bullet Journalings nicht. Denn die vorgedruckten Jahres-, Monatsübersichten, Vision Boards und To-do-Listen sind alles andere als übersichtlich – die Gestaltung ist, so scheint es, wichtiger als der Inhalt. Und gepunktete Seiten, in Bullet Journalen offenbar das Nonplusultra, gehen bei mir gar nicht. Außerdem widersprechen festgelegte Seiten für mich der Bullet-Journal-Idee: Wie viele Seiten beispielsweise die täglichen Aufgaben – oder in der Bullet-Journal-Diktion der Daily Log einnimmt – ist ganz unterschiedlich: „So viel oder so wenig Platz, wie Sie brauchen“, heißt es in Ryder Carrolls Buch „Die Bullet Journal Methode“. Und der muss es wissen, denn er hat das Bullet Journal angeblich erfunden.

Weil mir die Idee eigentlich gefällt, starte ich einen zweiten Versuch: Ich verzichte diesmal ganz auf ein Kalendarium, das meine Wochen in jeweils zwei Seiten presst, und begnüge mich mit einer einseitigen Jahresübersicht und einem Kalenderblatt für jeden Monat. So bleibt genügend Platz für meine Ziele und meine guten Vorsätze für dieses Jahr – und für meine geliebten Listen: mit Büchern, die ich schon gelesen habe beispielweise, mit Blogbeiträgen, die ich schreiben, und Dingen, die ich erreichen will.

Drei Bücher stehen schon auf meiner Gelesen-Liste, die Liste mit den geschriebenen Blogbeiträgen ist indes noch gähnend leer. Höchste Zeit also loszulegen, damit ich mein Jahresziel erreiche. Ob es funktioniert? Das erfahrt ihr Ende des Jahres.

*Dieser Blogbeitrag enthält unbezahlte Werbung:

Ledereinbände:

https://www.etsy.com/de/shop/FoeRodensCreations

Ryder Carroll: Die Bullet Journal Methode. Verstehe deine Vergangenheit, ordne deine Gegenwart, gestalte deine Zukunft.

Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek, 3. Auflage 2019

Weihnachten ganz anders

Nein, wir sind an Weihnachten nicht (nur) zu Hause geblieben, obwohl Lothar Wieler, der Leiter des Robert Koch-Instituts, und viele Politiker uns eindringlich darum gebeten haben. Wir sind, ich gebe es zu, am 1. Weihnachtsfeiertag verreist oder besser gesagt, weggefahren. Aber wir haben, und das ist die gute Nachricht, mit unserer Tour sicher nicht dazu beigetragen, das Coronavirus, wenn wir es denn gehabt hätten, weiterzuverbreiten.

Wir haben nur einen Menschen getroffen und mit ihm – oder besser gesagt ihr – Weihnachten gefeiert. Das Treffen – einschließlich des Essens – fand ausschließlich unter freiem Himmel statt, natürlich mit dem gebührenden Abstand. So können Coronaviren sich ja bekanntlich nicht gut auszubreiten.

Statt im Wohnzimmer am Tannenbaum zu sitzen, haben wir an den Vieneburger Seen Vögel beobachtet. Und weil eine bekennende Frostbeule wie ich nicht stundenlang an einer Stelle stehen kann, bin ich derweil spazieren gegangen.

Viele Menschen hören beim Gehen Musik, mir spukten ohrwurmähnlich zwei Gedichte bzw. Texte im Kopf, die von Spaziergängen an christlichen Feiertagen handeln. Beim ersten stimmten immerhin die Landschaft und das Wetter in etwa mit der Weihnachts-Wirklichkeit überein: Nun sind die Kiesseen zwar kein Strom, aber die Oker ist ein Bach – und Gewässer ist Gewässer, basta. Auf jeden Fall waren sie eisfrei, allerdings nicht vom Eise befreit, wie Johann Wolfgang von Goethe in Faust, der Tragödie erster Teil, schreibt. Weil der Spaziergang im wohl meistzitierten und vielleicht auch bedeutendsten Werk der deutschen Literatur an Ostern stattfindet, zieht sich der alte Winter bei Goethe schon müde in die rauen Berge zurück; bei meinem Spaziergang an Weihnachten hat der Winter gerade erst begonnen.

Bei Joseph von Eichendorffs Gedicht Weihnachten passten zwar Fest und Jahreszeit, und Markt und Straßen waren in der Tat ziemlich verlassen, als wir durch Vieneburg fuhren. Aber festlich sah es zumindest in der Wohnsiedlung, in der wir parkten, nicht aus. Ich habe an Fenstern und Balkonen und in den Vorgärten kaum Weihnachtsschmuck gesehen – wahrscheinlich leben hier vor allem die Verwandten und Fans von Ebenezer Scrooge, dem Weihnachtshasser aus Charles Dickens Novelle „Eine Weihnachtsgeschichte“ (A Christmas Carol).

Dass die Häuser nicht hell erleuchtet und dass auf dem Feld (noch) keine Sterne zu sehen waren waren, lag natürlich an der Tageszeit. Und auch das Wetter war ganz anders als im Gedicht: Von Schnee keine Spur, das einzig Weiße waren die Birken an den Ufern und zwei Silberreiher. Ihr Gefieder ist wirklich schneeweiß, nicht silbrig, wie der Name vermuten lässt. Immerhin glänzte das Wasser gelegentlich in der Sonne, und ziemlich still war es wie im Gedicht beschrieben auch, wohl weil Weihnachten war. An normalen Tagen machen die Bagger in den Kiesseen, die noch bewirtschaftet werden, oft einen Höllenlärm.

Als Weihnachtsessen gab es dann zum Abschluss Kartoffelsalat mit Würstchen. Das ist zwar angeblich der Deutschen liebstes Weihnachtsgericht, aber bei uns kommt es normalerweise an Weihnachten nicht auf den Tisch. Aber einen Tisch gab es ja ohnehin nicht. Gegessen haben wir diesmal, Corona lässt grüßen, nicht im heimischen Wohnzimmer, sondern unter freiem Himmel, in geöffneten Autotüren. Nicht sehr gemütlich, aber ich gebe zu: Es hatte was. Es passte zu dieser Weihnacht, die anders war als alle, die ich, ja, wir bisher erlebt haben.

Johann Wolfgang von Goethes „Vor dem Tor“ ist nachzulesen unter https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/ostern.html, Joseph von Eichendorffs Gedicht „Weihnachten“ steht unter https://www.adventzeit.com/gedichte/weihnachten-joseph-von-eichendorff.

Weihnacht – Buchnacht

Ich habe gestern Nacht – wie schon an vielen Heiligen Abenden zuvor – eine isländische Tradition gepflegt, die ich zugegebenerweise bis vor drei Tagen noch nicht kannte. Jólabókaflóð heißt sie, und für all die, die wie ich nicht so gut Isländisch sprechen, übersetze ich das Wort: Es bedeutet Weihnachts-Bücherflut.

In Island ist es Brauch, an Weihnachten Bücher zu verschenken. Die 13 Weihnachtskerle, die in Island die Geschenke bringen, müssen also eine ganze Menge schleppen. Den Weihnachtsabend verbringen die Isländer angeblich dann meist lesend. Auch ich habe gestern Abend noch lange gelesen. Denn wie für die Isländer gilt auch für mich: Weihnachten ohne Bücher und ohne Lesen ist kein richtiges Weihnachten.

Schon als Kind habe ich mir zu Weihnachten immer Bücher gewünscht – und auch immer mindestens eins bekommen. Mehr Bücher gab es nur selten, weil meine Eltern nicht viel Geld hatten – und Bücher damals noch recht teuer waren. Preiswerte Taschenbücher für Kinder gab es in Deutschland damals noch nicht – oder meine Eltern kannten sie nicht.

Das geschenkte Buch hatte ich meist schon am Heiligen Abend ausgelesen, spätestens aber am ersten Weihnachtsfeiertag. Und dann begann eine endlos lange Zeit ohne neue Bücher, die mindestens bis Ostern, manchmal aber auch bis zum Geburtstag im November dauerte. Zeitweise half die Pfarrbücherei im Ort über die bücherlose Zeit. Die war erst endgültig zu Ende, als ich nach der zehnten Klasse aufs Gymnasium wechselte und in Trier nicht nur Stadtbücherei und Stadtbibliothek, sondern auch preiswertere Taschenbücher entdeckte. Mein Taschengeld und das Geld, das ich mir in den Ferien verdiente, habe ich zum großen Teil in Bücher investiert. Wie viele ich seither gekauft habe, weiß ich nicht – es sind gewiss Tausende.

Seit einigen Jahren versuche ich, weniger Bücher zu kaufen. Aber weil Weihnachten ohne Bücher gar nicht geht, verfalle ich im Dezember meist in einen Bücherkaufrausch. In diesem Jahr habe ich gut ein Dutzend Bücher verschenkt. Das eine oder andere Buch habe ich mir selbst geschenkt, weil ich mich gerade in Zeiten wie diesen weder auf das Christkind und den Weihnachtsmann noch auf die 13 Weihnachtskerle verlassen möchte.

Eines der von mir bestellten Bücher liegt leider noch in der Buchhandlung, nur ein paar Hundert Meter von hier entfernt, aber mindestens bis Mitte Januar nicht erreichbar. Denn die Buchhandlung vor Ort ist wegen des Lockdowns geschlossen ist und liefert leider keine Bücher aus – sorry Foe. Doch ich habe rechtzeitig für Ersatz gesorgt. Damit mir und dir der Lesestoff nicht ausgeht. Frohe Weihnachten!

Mehr über die Weihnachts-Bücherflut unter https://wasliestdu.de/magazin/2016/jolabokaflod-warum-die-alljaehrliche-buecherflut-islands-eine-der-schoensten und unter https://www.dw.com/de/verr%C3%BCckte-tradition-allweihnachtliche-b%C3%BCcherflut-in-island/a-51785341

Würmsee im Dezember

Seit Februar fahre ich regelmäßig zu dem kleinen See bei Kleinburgwedel, um ihn aus immer den gleichen Blickwinkeln zu fotografieren. Selten habe ich so viele Menschen hier gesehen. Wenn die Läden geschlossen sind, zieht’s die Menschen in die Natur: Seespaziergang statt Shopping. Leider kommen die meisten mit dem Auto statt mit dem Fahrrad; der kleine Parkplatz ist voll, die Fahrradständer sind dagegen fast leer.

Der See hat sich seit Anfang des Jahres verändert, aber das passt ja zu dem Jahr, in dem sich unser Leben so drastisch verändert hat. Nur dort, wo der Rundweg um den See beginnt und endet, scheint die Seewelt noch halbwegs in Ordnung.

Weil der Seeboden dort tiefer ausgebaggert wurde, gibt es dort noch eine – die einzige – zusammenhängende Wasserfläche. Aber sie bedeckt nicht einmal ein Viertel der Seefläche, sie reicht gerade mal bis zu dem Steg, auf dem die Badende sitzt. Vielleicht steigt sie doch noch mal herab und nimmt ein Bad. Es könnte die letzte Gelegenheit sein.

Normalerweise steigt der Wasserspiegel in den Herbst- und Wintermonaten wieder, der See erholt sich nach den trockenen Sommermonaten.  Doch jetzt ist er bis auf wenige Wasserlöcher ausgetrocknet – und das wird sich wohl auch nicht mehr ändern. Zu tief ist der Grundwasserspiegel rund um den See gesunken; geregnet hat es in den letzten Monaten nur selten: Wasser in den See zu pumpen wäre, als schütte man es in ein Fass ohne Boden oder in eine Badewanne, aus der der Stöpsel gezogen wurde.

Das Boot auf der gegenüberliegenden Seeseite erreicht man inzwischen auch ohne Steg trockenen Fußes. Und einige Spaziergänger gehen nicht wie gewohnt um den See, sondern durch den See.

Die tierischen Ureinwohner – Torffresser, Fuchs, Hase, Kröte, Eisvogel und Reiher – lassen sich dadurch scheinbar nicht aus der Ruhe bringen. Sie harren an ihren Plätzen aus, denken sich wahrscheinlich nur den Teil. Ihre lebenden Verwandten haben den See verlassen. Ob sie wohl wiederkommen im nächsten Jahr, an den See, der kein See mehr ist?

Ich werde es beobachten, wenn ich den See im neuen Jahr fotografiere – jeden Monat, aus neuen Blickwinkeln.

Die Macht der Gewohnheit

Es klingt zu einfach, um wahr zu sein. Eine Minute genügt, um sich etwas anzugewöhnen, was man oder frau schon immer gern regelmäßig tun würde. Gut, ein bisschen Ausdauer ist schon nötig, denn es dauert angeblich 66 Tage, bis neue Gewohnheiten mithilfe der Ein-Minuten-Methode etabliert und fester Bestandteil des eigenen Lebens geworden sind.

Kaizen heißt das Prinzip und erfunden hat es angeblich ein Japaner, nämlich Masaaki Imai. Eigentlich ist es ein Management-Prinzip, das Unternehmen helfen soll, sich kontinuierlich zu verbessern. Doch auch im täglichen Leben kann es hilfreich sein.

Eine Minute ist nämlich schnell vorbei, deshalb zählt die Ausrede, dass man keine Zeit hat, etwas zu tun, nicht wirklich. Und wenn man oder frau schon mal mit etwas angefangen hat, macht er oder sie dann oft auch weiter.

So geht es mir zum Beispiel mit dem Vorsatz, jeden Tag an einem Schreibprojekt zu arbeiten. Wenn ich die Datei öffne und anfange zu schreiben, schreibe ich meist länger als eine Minute. Und ich beschränke mich auch nie darauf, nur bis zum Gartentor und wieder zurück zu gehen, weil ich mir vorgenommen habe, mich mehr zu bewegen. Wenn ich schon mal angezogen und draußen bin, gehe ich weiter. Weil es mir nämlich Spaß macht. Oder ich verlege meine Bewegungseinheit einfach auf den Crossstepper, wenn ich es mir draußen zu kalt, zu regnerisch oder was auch immer ist.

Die Hälfte der 66 Tage habe ich jetzt hinter mir, und wenn ich jetzt mal keine Lust habe, etwas zu tun, was auf meiner Das möchte-ich mir-jetzt-gern-angewöhnen-Liste steht, denke ich, dass ich ja schon sooo lange durchgehalten habe und dass ich jetzt nicht aufgeben will.

Besonders gut funktioniert das Angewöhnen bei mir übrigens, wenn ich den neuen Gewohnheiten einen festen Platz in meinem Tagesablauf reserviere. Meine Yogaübungen mache ich zum Beispiel immer morgens direkt nach dem Aufstehen, während meine erste Tasse Kaffee durch den Filter läuft – und ohne Kaffee geht bei mir bekanntlich gar nichts.

Ein Gedicht lese ich dagegen immer erst kurz vor dem Einschlafen, bevor ich in mein 5 Year Memory Book schreibe. Das tue ich seit Herbst 2017, und es ist wirklich interessant nachzulesen, was man vor ein, zwei, drei oder vier Jahren am gleichen Tag erlebt hat (oder ist es derselbe, das lerne ich wohl nie). Weil sich fünf Jahre den Platz auf einer Tagesseite teilen, sind es auch nur einige Zeilen am Tag. Das dauert kaum mehr als eine Minute. Womit ich wieder am Anfang wäre, beim Kaizen-Prinzip.

Mehr Infos über die Kaizen-Philosophie  und wie man/frau sie nutzen kann stehen in einem Artikel, der in der Zeitschrift Brigitte erschienen ist.

https://www.brigitte.de/liebe/persoenlichkeit/kaizen–ganz-leicht-neue-gewohnheiten-schaffen-11546854.html

Im Nebel

Fast zwei Monate sind seit der Wanderwoche in der Sächsischen Schweiz vergangen, gewandert bin ich seitdem nicht mehr. Im norddeutschen Flachland beschränke ich mich derzeit auf Spaziergänge. Doch weil wir ohnehin in den Harz mussten, habe ich das Angenehme mit dem Nützlichen – sprich einer Halbtageswanderung – verbunden.

Anders als an den Tagen zuvor versteckte sich die Sonne hinter dichtem Nebel, doch auch der hat seinen Reiz. Es war, als sei die Welt in Watte gehüllt und die Farben aus ihr verschwunden. Unsere Jacken und mein blau-grüner Rucksack waren die einzigen Farbtupfer im herbstlich-nebeligen Braun-Grau.

Wanderin im Nebelwald. Foto: Foe Rodens

Und es war still, sehr still. „Im Nebel ruhet noch die Welt,/Noch träumen Wald und Wiesen“, dichtete Eduard Mörike 1838. Der Wald wirkte geheimnisvoll, fast mystisch: Wären zwischen den Nebelschwaden Elfen, Hexen oder andere Fabelwesen aufgetaucht oder wären die Bäume wie die Ents, die Baumwächter, und die Huorns, die Baumgeister, in Tolkiens Herr der Ringe zum Leben erwacht, hätte ich mich nicht gewundert.

Und auch Hermann Hesses Gedicht „Im Nebel“, kam mir in den Sinn, von dem ich nur noch die erste Zeile kannte: „Seltsam, im Nebel zu wandern“. Doch dank world wide web war es kein Problem, mitten im Wald das Gedicht auf dem Smartphone abzurufen und meiner Begleiterin vorzulesen. Wir hatten unterwegs nur wenige Menschen getroffen, doch passend zur letzten Strophe tauchte, just als ich mit dem Vorlesen fertig war, aus dem Nebel ein einsamer Wanderer auf. Ob er das Gedicht gehört hatte, weiß ich nicht, ebenso wenig, ob er einsam war – er schaute auf jeden Fall ein bisschen irritiert.

Die Sonne haben wir übrigens auch noch gesehen: Zwar hat sich der Nebelschleier – anders am von Mörike beschriebenen Septembermorgen – nicht ganz gelichtet. Schließlich ist es ja auch schon Ende November. Aber die Sonne blinzelte mittags gelegentlich hervor und gab zum Beispiel den Blick auf die Rabenklippen frei. Die vielen abgestorbenen Fichten im Tal blieben indes unseren Blicken weitgehend verborgen, gnädig eingehüllt vom Nebel.

Es hat also auf jeden Fall seinen Reiz, im Nebel zu wandern.

Wer das Gedicht von Hermann Hesse nachlesen will, findet es unter

https://www.lyrikline.org/de/gedichte/im-nebel-5490

Eduard Mörikes Gedicht „Septembermorgen“ ist abrufbar unter

http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/moerike_gedichte_1838?p=52

Würmsee im November

Die Meteorologen prophezeien schlechtes Wetter. Und bevor der Novemberfrühling – der gefühlte Frühling im Herbst – endet, fahre ich mit dem Rad zum Würmsee, um meine Chronistenpflicht zu erfüllen und den See, der eigentlich keiner mehr ist, aus immer den gleichen Blickwinkeln zu fotografieren.

Ein wenig Wasser mehr ist da als bei meinem letzten Besuch vor gut zwei Wochen, so scheint es. Oder wirkt alles nur viel freundlicher, weil heute die Sonne scheint? Denn auch dieser Sonntag macht seinem Namen alle Ehre; die herbstlich gelben Blätter leuchten im Sonnenlicht. So macht November Spaß.

Auch die Badende genießt das ungewöhnlich schöne Wetter. Ich leiste ihr ein bisschen Gesellschaft: Ich mache es mir auf einer der beiden Holzliegen bequem – allerdings nicht im Badeanzug, sondern im Anorak – und lege eine Schreibpause ein. Wie oft kann man das schon Mitte November? Auf einen Kaffee muss ich verzichten; die Gaststätte am Seeufer ist geschlossen – nicht nur, weil die Saison vorbei ist, sondern vielleicht für immer.

Den Torffressern geht das frische Grün allmählich aus – das Gras um sie herum ist herbstlich braun und die Bäume sind fast kahl. Aber sie haben keine Angst vor dem bevorstehenden Winter. Denn sie haben ihre Schaufeln, mit denen sie nach Nahrung graben können, immer dabei. Torf werden sie aber nicht mehr finden. Der Torf ist längst abgebaut und auch die Moore gibt es nicht mehr. Die Landwirte haben das Land ringsum entwässert – und damit ungewollt auch den Würmsee.

Das Boot – im Sommer mein Lieblingsplatz – lädt nicht mehr zum Verweilen ein: zu trostlos der Anblick auf den fast wasserlosen See. Grün- und Matschfläche statt Wasserfläche.

Die fünf von der Bank stört es nicht. Vielleicht nutzen sie die Gelegenheit, abends, wenn alle Besucher verschwunden sind, auf dem kürzesten Weg, quer durch den See, zum gegenüberliegenden Ufer zu gehen und dort ihre Freunde, die Torffresser, zu besuchen.

Scorpions

Es ist an der Zeit, die Lanze für ein Sternzeichen zu brechen, das auf der Liste der unbeliebten Sternzeichen ganz oben steht: für Skorpione. Glaubt man einer Statistik – was man ja bekanntlich nur tun soll, wenn man sie selbst gefälscht hat –, begehen Menschen, die in diesem Sternzeichen geboren sind, fast die meisten Verbrechen. Nur Krebse haben angeblich noch mehr kriminelle Energie. Und auch in Sagen und Mythen werden Skorpione meist als gefährliche, todbringende Wesen dargestellt. Zu Unrecht, wie ich meine.

Die Liste der negativen Eigenschaften, die Skorpionen zugeschrieben werden, ist lang: Skorpione gelten beispielsweise als eifersüchtig, kompromisslos, misstrauisch, nachtragend, pessimistisch, rachsüchtig, skrupellos, undurchschaubar und verbissen. Dass sie analysierend, ausdauernd, belastbar, engagiert, grübelnd, intelligent, kreativ, leidenschaftlich, selbstkritisch, zäh, zielstrebig und zuverlässig sein sollen, spricht eigentlich für sie. Doch wer vieles hinterfragt und Dingen auf den Grund geht, wie es für Skorpione charakteristisch sein soll, sammelt in der Zeit der Fake News und der alternativen Fakten, der Trumps, Johnsons und Erdogans, der Covidioten und der angeblichen Querdenker wenig Sympathiepunkte.

Und dann ist da natürlich der Stachel, der vielen Angst macht. Dabei könnte ein Blick ins Tierreich helfen. Denn Skorpione setzen ihren Stachel meist zur Verteidigung ein, seltener um Beute zu machen. Der Stich der meisten Skorpione ist für Menschen ungefährlich – die Symptome sind oft eher vergleichbar mit einem Bienenstich. Nur das Gift weniger Arten kann auch für Menschen tödlich sein – wenn sie nicht behandelt werden. Kein Grund zur Panik also – auch wenn ich zugeben muss, dass ich kein Fan der Spinnentiere bin.

Skorpion-Menschen mag ich dagegen meist, wohl auch, weil ich selbst einer bin. Meine beste Freundin ist Skorpion, der beste „Chef“, mit dem ich je zusammengearbeitet habe, und die kompetenteste und freundlichste Kassiererin hier im Ort ebenfalls. Ich kenne keinen Skorpion persönlich, der mir wirklich unsympathisch ist. Im Gegenteil: Wenn ich Leute nett finde, stellt sich im Nachhinein nicht selten heraus, dass sie Ende Oktober oder im November geboren sind – der ähnliche Geburtstermin verbindet, allen Unterschieden zum Trotz.  

Als ich nach dem Studium wieder eine Zeitlang an der Mosel lebte, habe ich zwei Skorpionfeste gefeiert. Die Eingeladenen hatten nur zwei Dinge gemeinsam: Sie waren Skorpione und sie kannten mich. Der Älteste war fast 60, die Jüngste gerade mal 11. Vor dem ersten Fest waren die Gäste skeptisch – vor allem, weil die meisten sich nicht oder nur flüchtig kannten und nicht wussten, was sie erwartete.

Trotzdem kamen alle, die ich eingeladen hatte – und alle verstanden und unterhielten sich prächtig. Der einzige Mann in der Runde, der Mann einer Freundin, verriet mir später, dass er eigentlich nur gekommen sei, weil er nicht unhöflich sein wollte, und dass er fest vorhatte, schnell wieder zu verschwinden. Doch dann blieb er wie alle anderen bis weit nach Mitternacht. Und alle kamen im nächsten Jahr wieder, weil das erste Fest ihnen gut gefallen hatte. Dann bin ich umgezogen und die Skorpionfeste hörten auf.

Schade, meinte eine Teilnehmerin, die ich zufällig fast 30 Jahre später beim Spazierengehen an der Mosel wiedertraf. Sie denke noch oft an die beiden Feste, sagte sie. Sie habe sich selten so gut unterhalten. Und einige Skorpione, die ich später kennenlernte, bedauerten, dass sie nicht dabei waren.

Vielleicht lasse ich die alte Tradition wieder aufleben. Nach Corona. Und im Jahr eins nach Donald Trump.

Übrigens: Trumps Nachfolger Joe Biden ist Skorpion.

Und Happy Birthday Sabine. Herzliche Grüße von Skorpionin zu Skorpionin

Würmsee im Oktober

Der erste Eindruck trügt. Vom Parkplatz sieht der Würmsee schon fast wieder wie ein See aus. Der Bagger ist verschwunden. Doch mehr als eine große Pfütze ist der See nicht – trotz der Vertiefung und obwohl es in den letzten Tagen teilweise heftig geregnet hat. Die Aussicht passt zu diesem Herbsttag: eher grau und trübe.

Die Badende könnte immerhin ihre Füße benetzen, doch sehr einladend sieht das Wasser nicht aus. Sie wird nicht vom Steg heruntersteigen, da bin ich mir sicher.

Die Pfähle des Stegs und das Boot auf der anderen Seeseite ragen weit aus dem trockenen Boden. Es ist, als habe man den Stöpsel gezogen, wie in einer Badewanne. Und das hat man ja auch. Die Moore ringsum sind trocken, zu wenig Grundwasser, kein Wasser im See.

Auch der begehbaren Pegel endet längst nicht mehr im Wasser, sondern auf dem ausgetrockneten Seegrund.

Ich fühle mich an Naturfilme aus Afrika erinnert, wo sich Tier um austrocknende Wasserlöcher scharen: Fast rechne ich damit, dass ein paar Gnus herantraben. Hier sind es nur die roten Torffresser, die Letzten ihrer Art, und ein einsamer Reiher, die ihren Hunger stillen. Zumindest der Reiher findet in den Wasserresten offenbar noch genügend Nahrung.

Vielleicht wartet er, bis sich der Reiher auf der Bank entschließt, mit ihm zu gehen pardon, zu fliegen. Doch der hat das Fliegen, so scheint es, schon lange verlernt. Oder er will seine Freunde nicht im Stich lassen, den Fuchs, den Hasen, den Eisvogel und die Kröte. Sie sitzen wie immer auf ihrer Bank und schauen dorthin, wo mal Wasser war. Doch trotz des eher traurigen Ausblicks wirken sie zufrieden. Vielleicht vertrauen sie darauf, dass es irgendwann wieder besser wird. Und vielleicht kennen sie schon die Antwort auf die Frage, die auf ihrer Bank geschrieben steht. Was brauche ich für mein Leben?