Gedichte und Gedanken

„Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum …“

Die ersten beiden Zeilen des Gedichts spukten bei meinem Spaziergang durch die Herrenhäuser Gärten ständig in meinem Kopf. Wer es geschrieben hat (Christian Friedrich Hebbel) habe zugegebenerweise im Internet recherchiert, als ich wieder zu Hause war, genauso wie den Titel (Herbstbild) und den Rest des Gedichts: Denn ab der dritten Zeile hatte mein Gedächtnis Lücken. Immerhin stimmte der Anfang und passte gut zu diesem Tag, der zwar frostig begonnen, aber sonnig warm weitergegangen ist. Ein Novembertag eben, wie er schöner nicht sein konnte

Herrenhausen war an diesem sonnigen Herbsttag eine gute Wahl – vor allem der Berggarten fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Bei jedem Besuch sieht der Garten anders aus – und ich bedaure wirklich, dass ich kein Gedächtnis für Pflanzen habe.

Daran, dass wir im Unterricht parallel zu dem eher fröhlichen Herbstgedicht auch Hebbels melancholisches Gedicht „Sommerbild“ behandelten, erinnere ich mich dagegen noch auch nach mehr als einem halben Jahrhundert noch. Es ist auch heute noch eines meiner Lieblingsgedichte. Ein Foto zu diesem Gedicht – „des Sommers letzte Rose“ – habe ich vor einem Monat im Garten meines Elternhauses aufgenommen: „Sie war, als ob sie bluten könne, rot“.

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Die letzte Rose in Neumagen …

Zum Abschied von meinem Elternhaus passend handelt auch „Sommerbild“ – für ein Sommergedicht eher ungewöhnlich, von Verfall und Abschied. Die Rose in Neumagen erwies sich allerdings als widerstandsfähiger als Hebbels Rose. Sie hat die Prozedur unbeschadet überstanden und blüht vielleicht heute noch.

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… und die wohl wirklich letzte Rose des Sommers heute in unserem Garten.

Meinem Deutschlehrer verdanke ich übrigens noch ein weiteres Lieblingsgedicht – es ist, passend zum gestrigen 9. November – die Todesfuge von Paul Celan. Denn am 9 November (1989) fiel nicht nur die Mauer und es wurde nicht nur die erste deutsche Republik ausgerufen (1918) – ja, wir können auch Demokratie und Revolution. Am 9. November brannten Synagogen, Wohnungen und Läden von Juden. Es starben Menschen und die Menschlichkeit. Die systematische Verfolgung der Juden begann. Der Tod wurde, wie es in Celans Gedicht heißt, ein Meister aus Deutschland.

Dass es Anfang der siebziger Jahre nicht selbstverständlich war, im Unterricht solche Gedichte zu lesen oder Filme wie „Bei Nacht und Nebel“, einen Dokumentarfilm über die NS-Vernichtungslager und den Holocaust zu sehen, habe ich erst später gemerkt (Danke H. E.). Bei Bekannten, die wie ich damals zur Schule gegangen sind, kam die Zeit des Nationalismus in der Schule gar nicht oder kaum vor. Die Novemberpogrome 1938 wurden lange verharmlosend als Reichskristallnacht bezeichnet. Vieles wurde damals totgeschwiegen, unter den Teppich der Geschichte gekehrt.

Und heute melden sie sich wieder lautstark zu Wort, die Verharmloser, die Verniedlicher, die alten und die neuen Nazis. Die „mit den Schlangen“ spielen und wollen, dass der Tod wieder „ein Meister aus Deutschland“ wird. Antisemitismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit werden wieder gesellschaftsfähig. Viele haben, so scheint es, aus der Geschichte nichts gelernt. Ob da Gedichte helfen?

Zum Nachlesen

http://www.literaturwelt.com/werke/hebbel/herbstbild.html

http://www.literaturknoten.de/literatur/h/hebbel/poem/ichsahdes.html

https://www.lyrikline.org/de/gedichte/todesfuge-66

Abschied vom Elternhaus

Nach Neumagen. Zum vierten und wahrscheinlich letzten Mal in diesem Jahr. Und wohl zum letzten Mal in mein Elternhaus. Denn das Haus ist verkauft, meine Schwester hat den Kaufvertrag im vergangenen Monat unterzeichnet.

Seit meinem letzten Besuch hat sich eigentlich wenig getan. Einige Möbel, manche Bilder und die Kleider meiner Mutter haben wir beim Umzug im Januar mitgenommen. Ein paar Sachen haben meine Schwestern bei ihrem letzten  Besuch eingepackt. Aber die meisten Möbel stehen noch. Und trotzdem hat sich seit meinem letzten Besuch im Juli etwas verändert: Das Haus hat für mich seine Seele verloren.

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Die Mosel zeigt sich beim Abschied von ihrer herbstlich schönsten Seite – im Nebel versunken am Morgen …

Ich bin froh, dass meine Tochter mich begleitet. Sie hat in Trier studiert und ihre Großeltern während des Studiums oft besucht. Sie hängt am Haus – und hat hier noch manche Studienunterlagen zwischengelagert. Jetzt sortiert sie eifrig aus, wirft weg, was sie nicht mehr braucht, füllt nicht nur die eigene, sondern auch die Papiertonne von Freunden, die in der Nachbarschaft wohnen.

Weil die Käufer das Haus mitsamt Möbeln und Inventar übernehmen, müssen wir es nicht leerräumen: Das erspart uns nicht nur viel Zeit und Geld, sondern auch das Gefühl, das Leben meiner Eltern zu entsorgen. Das wäre mir sicher schwer gefallen. So freue ich mich, dass die Möbel weiter genutzt werden – der Abschied fiel mir leichter als befürchtet.

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… und am Abend, an fast der gleichen Stelle auf Zummet bei Trittenheim.

Es gab schöne Momente – gemeinsame Fototouren mit meiner Tochter zum Beispiel und gute Gespräche mit Freunden und Nachbarn – und berührende. So entdeckte meine Tochter ein Kästchen aus Holz, verziert mit Herzen. „Schmuckkästchen für N“, hatte mein Vater auf einen Zettel geschrieben, der mit einem Kettchen mit Herzanhänger im Kästchen lag. Er hatte ihr das Kästchen nie gegeben, vielleicht hat er es, als die Demenz ihn einfing, vergessen. Sie nimmt es natürlich mit – ein später Gruß von ihrem vor acht Jahren gestorbenen Opa – , ebenso wie einen Stempel mit den Initialen ihres Urgroßvaters und einen Schuhlöffel mit der Aufschrift: Michel Rodens, Schuhhandlung. Mein Großvater war Schuhmachermeister. Vielleicht hat meine Tochter von ihm ihr Talent für Lederarbeiten geerbt.

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Ungewohnter Anblick und herrlicher Ausblick: Ziegen auf Zimmet über Piesport

Die meisten Dinge, die ich einpacke, haben eher Erinnerungs- als materiellen Wert: eine alte Pfanne aus Gusseisen beispielsweise, eine Muskatreibe aus Blech inklusive Muskatnuss, ein Teeei , ein Rührlöffel, dessen Laffe im Laufe der Jahre halb abgewetzt ist, zwei Weingläser mit angeschlagenen Rändern, einen alten Bademantel und die Armbanduhr meiner Mutter, die schon seit Jahren nicht mehr funktioniert.

Vom Rosenthal-Kaffeegeschirr gibt es nur noch drei Tassen, ich nehme die drei vollständigen Gedecke mit, ebenso wie eine Sammeltasse, die ich zur ersten Kommunion Mitte der sechziger Jahre bekommen habe. Damals fand ich die Tasse scheußlich, heute gefällt mir das Muster. Benutzen werde ich die Tasse allerding wohl nie, weil gerade mal ein Schluck Kaffee hineinpasst. Das Silberbesteck hat meine älteste Schwester unter uns dreien aufgeteilt – zwei Messer und Gabeln für jeden. Aber an Kuchengabeln mangelt es mir jetzt  gewiss bis zum Lebensende nicht mehr.

Am Ende passt alles in unseren Kleinwagen. Den Esszimmerschrank und ein dazu passendes Regal – Erbstücke meiner Großtante – lasse ich von einer Spedition nach Hannover bringen. Da bei uns kein Platz ist, gewährt  meine Tochter ihm in ihrer Küche Asyl.

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Der alte Schrank aus dem Esszimmer meiner Eltern bekommt bald eine neue Heimat.

Zurück bleiben viele Bücher, noch mehr Erinnerungen und einige Menschen, mit denen ich in Verbindung bleiben werde. Auch wenn ich nicht mehr so oft wie bisher an die Mosel fahren werde.

Reformationstag, Allerheiligen und Halloween

Nein, ich bin kein Halloweenfan, aber das Haus am Rand von Isernhagen beeindruckt mich jedes Jahr aufs Neue. Jedes Jahr sieht es ein bisschen anders aus. Heute habe ich zum ersten Mal dort geklingelt und gefragt, ob ich Bilder in meinem Blog posten darf. Ich darf, sagte die Frau, die mir öffnete, verkleidet, weil hier offenbar Halloween gefeiert wird.

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Die Gelegenheit ist seit diesem Jahr günstig, weil der 31.10. seit vergangenem Jahr in Niedersachsen gesetzlicher Feiertag ist. Nicht wegen der Geister, sondern wegen Martin Luther: Am 31.10.1517 soll er seine Thesen an die Schlosskirche von Wittenberg genagelt und so die Reformation eingeleitet haben. Belegt ist das Datum nicht. Aber die Wahl – der Abend vor Allerheiligen, der All Saints oder All Hallows‘ Eve – macht Sinn. Schließlich war der Heiligenkult der (guten) alten römischen Kirche dem Reformator ein Dorn im Auge – und auch, dass man durch den Ablasshandel die Seelen der Verstorbenen aus der Hölle oder dem Fegefeuer freikaufen konnte.

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All die, die beklagen, dass der christliche Reformationstag durch ein heidnisches Feier okkupiert wird und seine Bedeutung verliert, seien daran erinnert: Samhain, den Vorläufer von Halloween, gab‘s schon in vorchristlicher Zeit. Für die Kelten begann in dieser Nacht der Winter – und die Herrschaft des Todesfürsten. In dieser Nacht öffnete sich die Tür zur Parallelwelt, die Toten konnten hindurch und in die Körper der Lebenden schlüpfen. Um sich zu tarnen und um die bösen Geister abzuschrecken, verkleideten sich die Menschen in dieser Nacht. Außerdem opferten sie soul cakes, um die herumspukenden Geister zu besänftigen. Trick or treat, heißt das bei kleinen Halloweenfans, die allerdings Süßigkeiten bevorzugen.

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Jedi meets Halloween

Die Kirchenoberen übernahmen das keltische Fest, „christianisierten“ und integrierten es als Allerheiligen in ihren Festkalender – wie sie es auch mit anderen heidnischen Feiertagen taten. Weihnachten und Ostern sind die wohl bekanntesten Beispiele.  Kein Grund also, über die Heidnisierung von Reformationstag und Allerheiligen zu jammern. Jetzt erobern die Geister ihr Fest zurück.

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Geistertanz

Am Abend wird der Faule fleißig …

… heißt es, und zumindest auf mich trifft das Sprichwort – leider – zu. Wenn ich beispielsweise Artikel schreiben muss, fange ich meist erst an, wenn der Abgabetermin bedrohlich näher rückt. Zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass ich meine Termine immer einhalte und dass ich mich schon vorher mit dem Thema beschäftige. Ich recherchiere, sammle Informationen – mitunter so viel, dass es für eine halbe Dissertation reicht. Nur mit dem Schreiben lege ich meist erst auf den letzten Drücker los.

Mit dem Schwimmen ist es ähnlich: Erst in dieser Woche, in der Nachsaison, bevor das Schwimmbad heute für dieses Jahr schließt, konnte ich mich aufraffen, regelmäßig hinzugehen.

Nun ist schwimmen, wie alle wissen, die mich kennen, meinen Blog lesen oder beides, definitiv nicht mein Sport. Bevor Triathlon erfunden wurde, galten schwimmen und laufen als unvereinbar: Gute LäuferInnen können nicht schwimmen – und umgekehrt, hieß es. Ich bin der lebende Beweis dafür, dass diese These stimmt. Ich war mal eine ganz gute Läuferin, schwimmen gehört indes zu den Sportarten, die ich nie richtig lernen werde. Brustschwimmen ist die einzige Stilart, mit der ich mich mühelos längere Zeit über Wasser halten und auch einigermaßen schnell fortbewegen konnte. Seit ich das wegen meines Knies nicht mehr darf, ist mein Verhältnis zum Schwimmen noch schwieriger geworden.

Daran hat auch der Schwimmkurs bei Kathrin im vergangenen Jahr nichts geändert. Ich schaffe es gerade mal, 50 Meter zu kraulen, dann klammere ich mich an den Beckenrand, sammle Kräfte, bevor ich die nächsten 50 Meter angehe, pardon, anschwimme. Auf diese Weise schaffe ich an guten Tagen 800 oder 900 Meter, meist ist aber schon nach 400 oder 500 Meter Schluss. Die 1000-Meter-Schallmauer habe ich in diesem Sommer nicht durchbrochen. Und vom entspannten Dahingleiten  im Wasser bin ich ebenso Seemeilenweit entfernt wie von meinem guten Vorsatz zu Beginn der Saison, mindestens zweimal in der Woche ins Schwimmbad zu gehen.

Am guten Willen mangelte es zu Saisonbeginn nicht. Auch in diesem Jahr habe ich wieder eine Saisonkarte gekauft, in der Hoffnung, dass meine angeborene Sparsamkeit und der Wunsch, den Preis abzuschwimmen, mich motivieren. Doch ich habe die Karte – leider – viel zu selten genutzt. Trotz des tollen Sommers oder genauer gesagt: wegen. Denn wer die einzige Stunde, in der das Schwimmbad einigermaßen leer war – zwischen den militanten Frühschwimmern am frühen Morgen und dem Einfall der Schulklassen gegen 8:15 Uhr – verpasst hatte, hatte kaum noch eine Chance, einigermaßen ungestört seine Bahnen zu ziehen. Am Morgen kann ich aber am besten arbeiten, und allzu oft habe ich mich fürs Arbeiten entschieden.

Außerdem war das Schwimmbad irgendwann im Spätsommer wegen eines technischen Defekts zwei oder drei Wochen geschlossen. Dass es wieder offen ist, habe ich dann eher zufällig von einer Schwimmbadbekanntschaft erfahren. Immerhin habe ich jetzt die Verlängerung der Badesaison bis zum 7 Oktober eifrig genutzt – und auf diese Weise meine dürftige Saisonbilanz ein wenig aufpoliert. Seit Dienstag bin ich jeden Morgen zum Schwimmen gefahren, meist dick verpackt, weil es morgens meist doch schon empfindlich kühl war. Die Winterjacke habe ich meist erst am Beckenrand ausgezogen. Und ja, es stimmte, nach der kalten Dusche war das Wasser fast angenehm warm. Und ich werde es fast ein bisschen vermissen, das kalte Wasser und das Schwimmen am Morgen.

Herbst-Auszeit

Keine Frage, es ist Herbst, und der Oktober zeigt sich heute alles andere als golden. Dabei hatte der Tag wettermäßig gar nicht sooo schlecht angefangen: Die Sonne färbte – der Jahreszeit entsprechend recht spät – die Wolken zuerst pink-rot, dann orange, ehe sie beschloss, doch in ihrem dicken grauen Wolkenbett zu bleiben. Von wegen „Morgenrot – Schönwetterbot“. Auf Bauernregeln ist eben – wie auf ihre modernen Nachfolger, die Meteorolügen – nicht immer Verlass. Obwohl Letztere diesmal unschuldig sind und das schlechte Wetter vorausgesagt haben.

Jetzt regnet es seit Stunden und irgendwie scheint es gar nicht mehr aufhören zu wollen. Doch über das Wetter zu klagen, wäre nach dem wirklich tollen Sommer wirklich undankbar. Also gönne ich der Sonne also die wohl verdiente Auszeit und tue es ihr gleich. Denn nach einem arbeitsreichen Sommer habe auch ich mir eine Pause verdient. Ich verbringe also den Tag weitgehend auf meiner Schlaf-Schreib-Wohn-Couch – lesend,  schreibend, unter anderem  diese Zeilen.

Aber natürlich hoffe ich, dass diese Sonne sich bald wieder zeigt, dass der Herbst dem Sommer nicht nachstehen möchte und sich bald wieder von seiner sonnigeren Seite zeigt – so, wie es sich für einen goldenen Oktober nach einem fantastischen Sommer gehört.

Wann wenn nicht jetzt

Die erste Kurzreise nach dem Verkauf des Wohnmobils, ohne Wehmut. Es ist Zeit für einen Neuanfang – und für neue Ziele. Die Hütten auf dem Campingplatz Flügger Strand auf Fehmarn waren alle belegt, die Wohnung in Wustrow, in der wir schon einmal ein paar Tage verbracht haben, und das Hotel auf Norderney mit seiner tollen Saunalandschaft einfach zu teuer. Aber ich bin reif für die Insel – und dieses Wochenende ist das einzige, das in unseren Zeitrahmen passt. Wenn nicht an diesem Wochenende, dann gar nicht mehr, bevor mein Mann gen Norden aufbricht, um Nordlichter zu jagen.

Wir buchen ein Zimmer in einem Hotel bei Burg auf Fehmarn, an der Ostküste der Insel. Das erweist sich als gut ausgestattetes Apartment, von dessen Balkon ich sogar einen Zipfel Meer sehen kann, morgens äsen vor unserem Fenster die Rehe.

Gerade mal 200 Meter Luftlinie sind es zum Strand, der hier allerdings steiniger ist als an der Westküste der Insel, steiler und durch einen schmalen Baumstreifen von den Feldern abgetrennt. Zu Fuß braucht man etwa fünf Minuten. Etwas weiter ist es bis zum Waldpavillon, in dem wir am ersten Abend essen: Mir gefällt vor allem der Blick aufs Wasser, mein Mann ist von der Fischplatte begeistert, die wir uns teilen und die auch mir gut schmeckt.

Wald und Wasser im Morgenlicht
Wald und Wasser im Morgenlicht.

Am nächsten Morgen Regen, doch der hört gegen Mittag auf. Gerade richtig für eine Fahrt nach Burg. Das ist viel größer und touristischer, als ich es in Erinnerung habe. Aber in 20 Jahren seit unserem letzten Besuch hat sich wahrscheinlich viel geändert. Es gibt ganz viele Läden und ich entdecke eine kleine, aber sehr gut sortierte Buchhandlung. Bei drei Büchern kann ich nicht widerstehen, aber es hätten auch mehr sein können. Lag’s am Angebot oder daran, dass ich ruhiger, entspannter war, als in den letzten Wochen und Monaten, in denen ich nur wenig gelesen habe.

Die Sauna haben wir abends für uns allein – sie sieht aus wie neu, obwohl sie schon ein paar Jahre alt ist. Gut gepflegt oder wenig benutzt – oder beides. Ich probiere sämtliche Duschprogramme aus. Der (warme) tropische Regen ist mein Favorit, gefolgt vom kühlen Frühlings- und vom etwas heftigeren sibirischem Regen.

Am nächsten Tag spazieren wir am Meer entlang, Richtung Norden. Der Strand: sicher kein Touristentraum, steinig, ziemlich naturbelassen und fast menschenleer. Mir gefällt’s.

Naturkunst am Strand
Naturkunst am Strand …
Kunsthandwerk auf der Steilküste
… und Kunsthandwerk am Küstenweg.

Einige Steine erinnern mich an die Moeraki Boulders in Neuseeland – und daran, dass ich dort vor fast zwei Jahren die Nachricht bekommen habe, dass Albert, ein Sportfreund aus meiner Jugend, gestorben ist. Ganz plötzlich – mit 62. Er war nicht krank, im Gegenteil. Er war fit, nahm immer noch an Leichtathletik-Wettkämpfen teil. Wenn ich an der Mosel war, habe ich manchmal mit ihm trainiert. Er hatte sich wenig verändert – äußerlich und wie mir bei unseren kurzen Begegnungen schien, auch charakterlich: Er war irgendwie immer noch der Junge von früher, forever young. Und jetzt tot. Und ich? Ich habe in den letzten Monaten zu viel gearbeitet, zu wenig gelebt. Zeit, etwas zu ändern.

Moeraki Boulders en miniature
Moeraki Boulders en miniature – in memoriam Albert Z.

Wir entdecken einen Campingplatz, direkt auf der Steilküste, die ideale Location, um Nordlichter zu fotografieren, wenn sie denn mal in Deutschland zu sehen sind. Wir haben zwar kein Wohnmobil mehr, aber eine niedliche Miethütte und einige Mietwohnwagen stehen direkt in der ersten Reihe. Ich entdecke einen Ort, an den ich mich flüchten kann, den aufzusuchen mir der Autor des neu gekauften Buchs empfiehlt. Ich gehe am nächsten Morgen, am letzten auf Fehmarn, noch einmal alleine hin. Ich genieße den Blick aufs Meer, die Stille, die Weite. Himmel und Wasser verschmelzen im gleißenden Licht der aufgehenden Sonne. Ich tauche ein und bin sicher: Ich komme wieder.

Zwischen Himmel und Wasser
Zwischen Himmel und Wasser.

(K)Ein Zimmer für mich allein

Zwei Dinge habe ich in meiner Kindheit vermisst: Bücher – aber das ist ein anderes Thema – und ein eigenes Zimmer. Denn bis ich nach der zehnten Klasse aufs Gymnasium kam, musste ich das Zimmer mit meiner jüngeren Schwester teilen. Wir haben uns nie verstanden und so war es eine Erlösung für mich, als ich in das kleine Zimmer unterm Dach ziehen durfte. Endlich ein Zimmer für mich allein. Von hier aus konnte ich die Mosel sehen, zumindest ein Stückchen. Viel wichtiger war, dass eine ganze Etage zwischen meiner Familie und mir lag. Niemand mehr, der einfach so hereinplatzte und mich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit störte.

Dass ich aus meinem alten Kinderzimmer mein hässliches Bett (Limba Nachbildung) und meinen ebenso hässlichen Schrank (dito) mit nach oben nehmen musste, nahm ich in Kauf, auch die spießige Blümchentapete, mit der mein Onkel das Zimmer tapezierte. Das Bett baute ich bei der ersten Gelegenheit ab und schlief fortan auf Lattenrost und Matratze auf dem Boden, die Tapete versteckte ich so gut es ging hinter Postern und hinter einem Bücherregal, das sich allmählich mit Büchern füllte.

Ein Zimmer für mich allein – das klappte in den nächsten Jahren nicht immer. Die Wohnungen, in denen ich mit meinem ersten Mann lebte, hatten alle gerade mal zwei

Zimmer – zu wenig für ein Zimmer für mich allein. Meine Examensarbeit habe ich auf dem Esstisch geschrieben, mehr als einmal waren Karteikarten verschwunden und fanden sich dann im Kühlschrank oder zwischen dem Geschirr wieder.

Als ich in das Haus zog, in dem wir heute noch leben, brauchten wir die Zimmer für drei Kinder zwischen 0 und 13: Die sollten nicht auf ein eigenes Zimmer verzichten. Der Versuch, mir mit meinem Mann ein Arbeitszimmer zu teilen, scheiterte kläglich. Die Unordnung auf unseren Schreibtischen potenzierte sich. Und so arbeitete und schrieb ich, wie Frauen es Jahrhunderte vor mir getan hatten, immer da, wo gerade Platz war.

Mein Mann behauptet, dass mein Schreibtisch schon in allen Räumen in unserem Haus gestanden hat, nur nicht in den beiden Bädern und in der Küche – und wenn man Wohn- und Esszimmer als einen Raum betrachtet, hat er Recht. In der Küche habe ich übrigens auch oft gearbeitet, mancher Artikel ist am Küchentisch entstanden. Allerdings weniger weil es nötig war, sondern mehr, weil ich es dort nach wie vor gemütlich finde.

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Arbeitszimmer Nummer eins.

Die Zeiten ohne eigenes Zimmer sind längst vorbei: Seit alle Kinder aus dem Haus sind, habe ich sogar zwei Arbeitszimmer. Vom Frühjahr bis zum Herbst nutze ich außerdem den Wintergarten als  Außenbüro. Von dort habe ich direktem Zugang zu Arbeitsplatz Nummer 4, meinem Terrassenbüro, wo ich diese Zeilen geschrieben habe – beschimpft von unseren Hausamseln, die sich durch meine Anwesenheit in ihrem Garten gestört fühlen.

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Wintergartenbüro …
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… mit direktem Büro zum Terrassenarbeitszimmer.

 

Klein, aber oho

Nein, es muss nicht immer größer, schneller, mehr sein. Dass weniger manchmal mehr ist, ist eine altbekannte Weisheit. Neudeutsch heißt das Minimalismus. Und der Trend macht auch vor der Fotoausrüstung nicht halt. Seit ich Anfang Februar den Blogbeitrag von Andreas gelesen habe (https://14qm.de/minimalimus-fotoausruestung/), denke ich immer wieder darüber nach, meine Fotoausrüstung zu reduzieren. Doch ich die Entscheidung immer wieder aufgeschoben. Zum einen natürlich, weil Entscheidungsfreude nicht zu meinen Kernkompetenzen zählt. Zum anderen aber auch,  weil das Angebot riesig ist und es deshalb wirklich nicht leicht ist, die richtige Kamera zu finden.

Die Systemkameras, die der Blogkollege getestet und für gut befunden hatte, kamen für mich nicht in Frage. Der Vorteil einer Systemkamera gegenüber meiner Spiegelreflexkamera erschließt sich mir nicht wirklich. Wenn, sollte es eine Kompaktkamera sein: Meine Zweitkamera – denn meine alte Nikon werde ich natürlich behalten – soll ohne Wechselobjektive auskommen, einfach zu bedienen, handlich und leicht sein. Filmen können soll sie nach Möglichkeit auch, und zwar in 4k-Qualität, wie mein Mann, der sich mit solchen Sachen auskennt und mich beraten hat, mir dringend ans Herz legt. Natürlich spielt auch der Preis eine Rolle. Qualität hat ihren Preis, aber wie viel möchte ich ausgeben?

Immer wieder habe ich in den vergangenen Wochen Tests gelesen –auf der ersten Etappe meine Hexenstieg-Wanderung war ich fest entschlossen, mir endlich eine neue, kleinere Kamera zu gönnen. Denn beim Wandern fand ich meine Spiegelreflexkamera vorsichtig ausgedrückt suboptimal. Fast 900 Gramm baumelten rund 20 Kilometer an meinem Hals.

Natürlich habe ich mit der Nikon gute Fotos gemacht. Aber ein paar Mal hätte ich mir einen größeren Zoombereich als nur 18 bis 50 gewünscht. Das Zoomobjektiv war, weil immerhin auch fast 400 Gramm schwer, nicht in meinem Wanderrucksack, sondern in meiner Fototasche – mir weit voraus – am Etappenort in der Sternwarte in Sankt Andreasberg.

Manchmal gibt das Schicksal einen Wink. Als ich am nächsten Tag von der Sternwarte zum Goetheplatz spazierte, stellte ich erst nach einem Kilometer fest, dass meine Kamera noch in meinem Zimmer lag. Und so machte mit meiner kleinen Kompaktkamera die Probe aufs Exempel. Das Ergebnis: Für „normale“ Fotos reicht selbst meine preiswerte Nikon allemal. Und die Panasonic DC-TZ91EG-K LUMIX High-End Reisezoom Kamera mit Leica Objektiv hat mehr, als mein Fotografenherz begehrt. Sie wiegt nur knapp 300 Gramm, passt sich klaglos unterschiedlichen Entfernungen und an – und hat sich schon bei Probeaufnahmen bewährt: im eigenen Garten, bei Kunst in Bewegung und bei der Aktion die offene Pforte, Gärten in und um Hannover.

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Erster Einsatz: Kunst in Bewegung, eine Skulptur des Malbildhauers Ulrich Saloga

 

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Test Nummer zwei – die offene Pforte, hier bei Sylvia und Klaus Stannek in Bissendorf

Und vielleicht lernen mit Hilfe dieser Kamera ja auch die Bilder in diesem Blog bald laufen. Kleiner kann nämlich manchmal mehr.

Wandern im Harz: Hexenstieg Teil I

Irgendwann, im nächsten Jahr wahrscheinlich, will ich in den Alpen wandern bzw. sie – in mehreren Etappen – zu Fuß überqueren. Deshalb habe ich mir vor ein paar Wochen neue Wanderschuhe gekauft, die auch für Bergwanderungen geeignet sind. Natürlich müssen sie eingelaufen werden und auch ich muss trainieren, damit die Tour eine Alpentour und keine Alptour wird.

Was liegt näher, als im Harz anzufangen, und zwar – als bekennende Hexe – mit dem Hexenstieg. Der führt von Osterode nach Thale und ist rund 100 km lang. Weil es organisatorisch besser passt, beginne  ich mit der zweiten Etappe von Altenau nach Torfhaus. Von dort soll es dann demnächst weitergehen – über den Brocken nach Schierke.

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Im Harz gibt’s nicht nur Hexen, sondern viele andere Sagengestalten, hier Frau Holle.

 

Ich wandere alleine, nur von Bevana begleitet. Mein Mann bringt mich auf dem Weg zu seiner Sternwarte nach Altenau. Wir finden den Einstieg beim Grabenhaus Rose, obwohl weder das Navi noch die meisten Leute in Altenau das ehemalige Wasserwerk kennen. Dabei versorgte es das Städtchen bis vor einigen Jahren mit Trinkwasser. Allen, die irgendwann diese Etappe wandern wollen, sei es gesagt: Das Grabenhaus Rose liegt hoch über Altenau, kurz hinter dem Friedhof. Vom Parkplatz an der B 498 sind es noch etwa 500 m bis zum Dammgraben – und zum Hexenstieg.

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Gut beschildert: der Einstieg in den Hexenstieg am Grabenhaus Rose.

Hier gibt es viele Hinweisschilder und Markierungen, auf der Strecke geizt man  damit. An Kreuzungen und Abzweigungen suche ich oft vergeblich nach einem Zeichen, wo es weitergeht. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: auf den ersten Kilometern immer am Dammgraben entlang. Problematisch wird’s, als der Dammgraben zum Nabetaler Graben wird. Der Abschnitt vom Nabetaler Wasserfall bis nach Torfhaus ist nämlich gesperrt und weil der Pfad nicht durch Bäume blockiert, sondern abgebrochen war, traute ich mich nicht weiter.

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Hier ist Schluss. Zu Fuß geht’s am Nabetaler Wasserfall nicht weiter.

Die ausgeschilderte Umleitung führt über einen ziemlich langweiligen Wirtschaftsweg, ist schlecht ausgeschildert und viel länger als der eigentliche Weg. Gefühlt Stunden später, nachdem ich das Schild „Torfhaus 3 km“ passiert hatte, hatte ich an der Straße zwischen Altenau und Torfhaus ein deja vue: „Torfhaus 3 Kilometer“, steht auch hier auf einem Wegweiser.

Höllenritt am Hexenstieg

Die Passage, die dann folgt, ist eigentlich so, wie ich sie liebe: ein schmaler, natürlicher Pfad, keine breite befestigte Wanderautobahn. Leider läuft der Weg parallel zur L 504, auf der am Sonnabend die Hölle los, sprich sehr viel Verkehr ist. Um die „Steile Wand“ zumindest von oben zu sehen, hätte ich die vielbefahrene Straße überqueren müssen – am Himmelfahrtswochenende angesichts der vielen Raser auf vier und zwei Rädern ein Himmelfahrtskommando, auf das ich lieber verzichte. Selbst auf dem Wanderweg bin ich nicht ganz sicher. Denn bei meinem Aufstieg Richtung Torfhaus kommen mir auf dem Trampelpfad einige Mountainbikefahrer entgegen, die sich ebenso halsbrecherisch ins Tal stürzen wie ihre motorisierten Kollegen. Ich habe zwar eigentlich keine Lust, jedes Mal auszuweichen, aber die Klügere gibt ja bekanntlich nach.

 

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Nein, ich will keine Harzer Wandernadel. Aber einen Hexenstempel in meinem Tagebuch.

Apropos klüger. Hinterher ist man das meist: Ich hätte mich nicht auf meinen Wanderführer verlassen, sondern mich vorab im Internet informieren sollen. Immerhin hatte ich eine Karte dabei. Und so entdeckte ich kurz vor Torfhaus, der höchst gelegenen Siedlung im Harz, eine Abkürzung zu meinem eigentlichen Etappenziel, die Sternwarte in Sankt Andreasberg.

Tote Bäume, kaputte Wege

Andreasberg liegt auf der Südumgehung des Brockens, der Hexenstieg führt am Oderteich vorbei.

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Idyllisch: der Oderteich.

Der Bohlenweg ist in einem beklagenswerten Zustand: Umgestürzte Bäume haben die Planken teilweise unter sich begraben und versperren den Weg. Noch trauriger ist der Zustand des Waldes. Viele Bäume sind vom Borkenkäfer befallen und abgestorben, die Winterstürme hatten leichtes Spiel und haben viele Baumriesen entwurzelt. Zwischen den Baumgerippen  zu wandern, hatte etwas Gespenstisches. Bis es hier wieder richtig grün ist, werden einige Jahre vergehen. Und so war ich froh, als ich nach fast fünf Stunden die Sternwarte erreichte.

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Frei nach Joseph Freiherr von Eichendorff: Wer hat dich, du schöner Wald,  so fürchterlich zerstört? Der Borkenkäfer war’s. Doch auch die Menschen haben ihr Teil dazu beigetragen.

Fazit

Meine Wanderschuhe haben den Test bestanden, meine Trinkflasche und mein Rucksack dagegen nicht. Meine Trinkflasche ist schon im Auto halb ausgelaufen; ich habe sie direkt am Start durch eine Pfandflasche ersetzt. Das gleiche Schicksal wird mein Wanderrucksack erleiden, denn leider fällt die Trinkflasche aus der Seitentasche heraus. Zum Trinken immer den Rucksack absetzen und öffnen zu müssen, ist nicht besonders komfortabel. Mein Knie hat gehalten, auch wenn ich ihm am nächsten Tag eine Pause gönnte und statt auf den Brocken nur auf den Sonnenberg gegangen bin.

Ich werde den Hexenstieg weiter wandern, auch wenn vor allem im Nationalpark Harz derzeit viele Strecken schwer begehbar oder sogar ganz gesperrt sind. Denn es gibt, Borkenkäfern, Stürmen und saurem Regen zum Trotz, noch viele schöne Stellen.

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Auf dem Sonnenberg über Sankt Andreasberg.

Doch vor den nächsten Etappen werde ich mich besser informieren. Infos gibt es beispielsweise auf der Website

http://www.harz-wanderkarten.de/harz-meldungen.php

Alles schmeckt nach Abschied (II)

Wieder an der Mosel, in dem Ort, wo meine Mutter bis vor drei Monaten gelebt hat. Bei meinem letzten Besuch habe ich den Umzug meiner Mutter vorbereitet und sie am Ende einer anstrengenden Woche mit in ein Altenheim in meiner Nähe genommen. Jetzt bin ich zurückgekommen, um in Ruhe Abschied zu nehmen. Von dem Dorf, in dem ich geboren wurde, von dem Haus, das meine Eltern gebaut haben, das ihr und lange auch mein Zuhause war. Wir werden es verkaufen, weil die Rente meiner Mutter trotz Pflegeversicherung nicht ausreicht, um das Heim zu finanzieren.

Freunde holen mich vom Bahnhof ab, laden mich ein, am nächsten Tag mit ihnen essen zu gehen. Am Abend treffe ich eine Freundin aus der Schulzeit, die gekommen ist, um ihren Vater zu besuchen, am nächsten Vormittag besuche ich die Nachbarn gegenüber. Den Nachbarn ist es zu verdanken, dass meine Mutter so lange alleine leben konnte.  Jetzt empfangen sie mich mit offenen Armen: Ich tauche ein in die Nachbarschaft, gehöre dazu, als sei ich nie weggewesen. Ich bin wieder zu Hause. Auf den ersten Blick ist alles ist wie immer, nur meine Mutter fehlt.

Nicht nur sie, sondern auch eine gute Bekannte, die in der gleichen Woche wie meine Mutter in ein Altersheim umgezogen ist. Die Nachbarschaft, das Dorf verändert sich: In den nächsten Jahren werden 80 Häuser verkauft, weil die Besitzer keine Kinder haben oder deren Kinder weit weg wohnen, rechnet ein Bekannter mir vor. Allein in unserer Straße sind es einige. Wenn die Nachbarn, die in den letzten Jahren nach meiner Mutter geschaut haben, in einigen Jahren so alt sind, dass sie Hilfe brauchen, wird es nur noch wenige junge Nachbarn geben, die helfen können – oder wollen. Und auch die Infrastruktur im Dorf wird schlechter: Viele Läden sind in den vergangenen Jahren verschwunden, noch gibt es zwei Bäcker, einen Metzger und einen kleinen Supermarkt. Doch wenn der geschlossen wird, braucht man ein Auto, um sich mit dem nötigsten zu versorgen. Und was, wenn man nicht mehr fahren kann? Schlechte Voraussetzungen, um alt zu werden. Und sicher auch ein Grund, warum ich nicht mehr an die Mosel zurückziehen will, obwohl ich die Landschaft mag.

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Eine alte Tradition gibt es noch: Als ich am Morgen des 1. Mai laufe,  höre ich Musik. Wie früher spielt der Musikverein von dem kleinen Aussichtsturm auf der gegenüberliegenden Moselseite „Der Mai ist gekommen“ und andere Frühlingslieder. Ich bin, so scheint es, fast die einzige, die das Konzert hört. So früh ist noch kaum jemand auf der Straße.

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Blick vom Türmchen auf Neumagen.

Die nächsten Tage vergehen wie im Flug: Ich arbeite im Garten, kümmere mich um Dinge im und rund ums Haus, die erledigt werden müssen, miste mein Zimmer aus, in dem noch Bücher aus meinen Studienzeiten stehen. Und immer wieder beantworte ich die Frage, wie es meiner Mutter geht, immer mit einem Kloß im Hals. Viele kannten meine Mutter; dass sie ab und zu aus dem Heim weggeht, wundert niemand: Sie war auch hier fast bis zuletzt viel mit ihrem Rollator unterwegs – bei Wind und Wetter: zum Friedhof, zum Einkaufen, manchmal auch bis zur Kirche. Dass ich meine Mutter dank GPS-Tracker schnell orten kann, wenn sie mal nicht mehr zurück ins Heim findet, finden alle gut.

Außerdem unternehme ich Dinge, für die bei meinen Aufenthalten in den vergangenen Jahren keine Zeit blieb: Ich fahre nach Metz und Luxemburg, wandere zur Konstantinhöhe  und zur Märtyrerkapelle: Bis kurz vor Neumagen war der Legende nach angeblich die Mosel rot vom Blut der auf dem Marsfeld in Trier ermordeten Soldaten der Thebäischen Legion. Sie wurden hingerichtet, weil sie dem Christentum abschwören wollten. Und natürlich gehe ich zum Türmchen: Von dort habe ich einen guten Blick aufs Dorf, sehe unser Haus und sogar mein Zimmer.

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Auf dem Weg zur Konstantinhöhe: einer meiner Lieblingsplätze, das Fährfels-Plateau ganz nah …

 

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… und von oben.

Mit der Mosel ist es wie mit meiner Mutter: Es ist ein Abschied auf Raten. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen, irgendwann im Sommer. Und dann werde ich auch den Besuch in Trier nachholen, für den ich jetzt doch noch keine Zeit hatte.