Von Eseln und Drahteseln

Manchmal, wenn ich mit dem Rad aus dem Dorf nach Hause fahre, fühle ich mich wie Vater oder Sohn aus Johann Peter Hebels Geschichte „Seltsamer Spazierritt“. Und manchmal argwöhne ich sogar, dass Hebel mir heimlich gefolgt ist, bevor er die Geschichte geschrieben hat. Oder dass er zumindest bei uns im Ort für seine im Jahr 1811 im „Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes“ erschienene Geschichte recherchiert hat.

Beweisen kann ich das natürlich nicht. Und weil damals Fahrräder und Autos noch nicht erfunden waren und die Leser des rheinischen Hausfreundes die Geschichte und ihre Moral deshalb wahrscheinlich nicht wirklich verstanden hätten, erzählt Hebel von einem Vater, seinem Sohn und einem Esel. Die gab und gibt es nämlich zu allen Zeiten. Und nach der langen Vorrede erzähle ich jetzt die wahre Drahtesel-Geschichte – so, wie sie sich tagtäglich ereignet.

Wenn ich mich auf dem schmalen Rad-Fußweg entlang der Kleinburgwedeler Straße von hinten einem Fußgänger nähere, bremse ich nicht nur brav ab, sondern klingle auch, um ihn (oder sie) auf mich aufmerksam zu machen. Doch Undank ist ja bekanntlich der Welt Lohn und so ernte ich dafür nicht selten einem bösen Blick und ein unwirsches „Sie müssen nicht so laut klingeln“.

Klingle ich nicht, reagieren die Fußgänger mit einem wütenden: „Müssen Sie mich so erschrecken? Können Sie nicht klingeln?“. Leicht verunsichert über diese Double Binds, rufe ich gelegentlich: „Vorsicht“, was die Überholten dann veranlasst, tadelnd zu fragen: „Haben Sie keine Klingel. Das ist Vorschrift.“

Den berühmten Vogel hat vor einiger Zeit ein älterer Mann – noch älter als ich – abgeschossen. Er spazierte mit seinem Hund auf besagtem Weg. Der Hund sprang munter von einer Seite auf die andere und der Mann war ganz offensichtlich mehr mit seinem Hund beschäftigt als mit dem, was um ihn herum vor sich ging. Ich habe also aus der Ferne ein erstes Mal geklingelt, noch ganz zurückhaltend, um ihn nicht zu erschrecken und zu verärgern – dann, je näher ich kam, desto lauter und dringlicher. Als ich kurz hinter Herrchen und Hund war und schon auf Schrittgeschwindigkeit abgebremst hatte, um seinen Hund nicht zu überfahren, klingelte ich ein letztes Mal, diesmal so laut und aggressiv, wie es meine Klingel hergibt. Jetzt endlich drehte sich der Mann um und beschwerte sich lautstark: „Sie hätten ja auch ein bisschen früher klingeln können.“ Ich habe mir verkniffen zurückzuschreien: „Hörgerät einschalten!!!“ Wie geschrieben: Er war noch älter als ich und ich habe gelernt, alten Leuten respektvoll zu begegnen.

Seitdem denke ich  darüber nach, wie ich das Problem lösen kann. Vielleicht mache ich es demnächst wie Vater und Sohn in Johann Peter Hebels Geschichte: Ich schiebe mein Fahrrad oder – noch besser – ich trage es. Dann komme ich sicher nicht mehr in die Verlegenheit, Fußgänger zu überholen. Und das leidige Klingelproblem ist ein für alle Mal gelöst.

Tja, „So weit kann’s kommen, wenn man es allen Leuten will recht machen.“ (Johann Peter Hebel)

Alle, die die Geschichte nachlesen wollen und das Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes zufällig nicht in ihrem Bücherregal stehen haben: https://de.wikisource.org/wiki/Seltsamer_Spazierritt

(K)ein Kaffee

Über mein schwieriges Verhältnis zu Kaffeemaschinen habe ich schon geschrieben (www.timetoflyblog.com/2016/01/31/kaffee-bitte/). Dass ich mit der Hightechgerät meiner Freundin gewisse Schwierigkeiten habe, kann ich ja noch hinnehmen. Dass ich aber auch an einer eher simplen Maschine kläglich scheitere, gibt mir  zu denken.

Sonja, meine Gastgeberin bei meinem Wienaufenthalt, hat eine solche Maschine. Und als sie mir kurz nach meiner Ankunft einen Kaffee aufbrühte, sah alles ganz einfach aus. Bis es am nächsten Morgen selbst versuchte. Ich machte alles wie gesehen: Anschalten, warten, bis es aufhört zu blinken, Kaffeegröße auswählen (Espresso oder Lungo) auswählen, all diese Aufgaben löste ich noch ganz souverän. Doch nach der Öffnung, um die Kapseln, einzufüllen, suchte ich vergeblich. Der Bügel, an dem ich zog, bewegte sich nicht. Und auch sonst zeigte sich die Maschine wenig kompromissbereit: Ohne Kapsel spendierte sie mir nur heißes Wasser. Und ich stand da wie der Ochse vor dem berühmten Berg.

Sonja zeigte mir dann noch einmal, wie‘s geht: anschalten, Bügel hochstellen – auch wenn er Widerstand leistet –,  Kapsel einlegen, Bügel runterdrücken, wählen, Kaffee marsch.

Neuer Tag, neues Glück. Am nächsten Morgen näherte ich mich der Kaffeemaschine ganz souverän: Wasser nachfüllen, anschalten, warten, bis das Blinken aufhört, Bügel hochziehen – Sesam öffne dich –, Kapsel einlegen, Bügel schließen, Kaffeetasse unterstellen, Lungo bitte. Es brodelte und zischte, die Kapsel plumpste wie vorgesehen in den Auffangbehälter – und raus kam: heißes Wasser. In meiner Verzweiflung und meiner Gier nach frischem Kaffee suchte ich im Internet nach einer Bedienungsanleitung: Ich hatte alles richtig gemacht – und startete einen zweiten Versuch, auch, weil es keine andere Möglichkeit gibt, die Kapseln einzulegen: Sie passen nur in eine Richtung. Auch Maschinen machen Fehler, vielleicht war auch ihr einer unterlaufen.

Wieder schluckte die Maschine dankbar meine Kapsel – und spuckte nur heißes Wasser aus. Diesmal, wie um mich zu entschädigen, nicht nur in die Tasse, sondern auch aus einer nicht sichtbaren Öffnung auf die Arbeitsplatte. Ich wischte das Wasser auf, bevor es die Küche überschwemmte. Meine Gastgeberin fand heraus, dass ein versteckt liegender Auffangbehälter randvoll war – und die beiden Kapseln immer noch verschlossen. Während Sonja neben mir stand, funktionierte die Maschine reibungslos. der Vorführeffekt eben.

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Corpus delicti

Aller guten Dinge sind drei. Und so wagte ich an meinem letzten Tag in Wien einen letzten Versuch – mit dem festen Vorsatz, die Flugtauglichkeit der Kaffeemaschine zu testen, falls sie nicht macht, was ich will. Same procedure as yesterday, nur dass ich mich diesmal auch beim Herunterdrücken des Hebels nicht davon beeindrucken lasse, dass er Widerstand leistet. Meine Geduld ist erschöpft. Wird schon sehen, was er davon hat. Und siehe da: Es funktioniert. Ich bekomme meinen Kaffee und die Maschine darf an ihrem Platz in der Küche im vierten Stock bleiben.

Ich habe wieder neue Erkenntnisse gewonnen:

Wer zu zaghaft ist, den bestraft das Leben, sprich die Kaffeemaschine.

Wahrscheinlich sind Kaffeemaschinen wie Hunde: Sie spüren, wenn jemand Angst vor ihnen hat und reagieren aggressiv oder machen – wie bei mir – was sie wollen.

Zu Hause habe ich die Konsequenz gezogen: Ich brühe meinen Kaffee von Hand auf. Das Milchaufschäumgerät möchte ich indes nicht missen, aber es weiß, wer Chefin ist: Es gehorcht mir (mehr oder weniger) auf Knopfdruck.

Unverhofft kommt oft, Teil zwei

Durch meinen Blogbeitrag „geschenkter Tag“ fühlt sich die von mir erwähnte höhere Macht offenbar herausgefordert, meine Terminpläne zu durchkreuzen und mir eine weitere Lektion in Gelassenheit zu erteilen. Die zählt, ebenso wie Geduld, ja nicht gerade zu meinen Kernkompetenzen.

So musste ich einen Tag länger an der Mosel bleiben als vorgesehen und einen wichtigen Termin absagen (sorry Frau M.). Mit der Korrektur der Zeitschrift ging es in den Tagen nach Ostern nicht so zügig voran wie geplant. Das rächte sich, als ich dann am Ende der Woche unverhofft im Krankenhaus landete – und der verantwortliche Redakteur auf die Schnelle Ersatz für mich finden musste (tut mir leid T.).

Denn mein Hausarzt war im Urlaub, seiner jungen Kollegin war eine 60-jährige, ihr unbekannte Patientin mit starken, plötzlich auftretenden Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen nicht geheuer. Um die Möglichkeit einer Blutung auszuschließen, schickte sie mich zum CT ins Krankenhaus. Dass die vermeintliche Überweisung eigentlich eine Einweisung war, war mir definitiv nicht klar – sonst hätte ich mich möglicherweise anders entschieden. Doch weil ich schon mal im Krankenhaus war, als ich es merkte, weil es mir wirklich schlecht ging und es keine andere Möglichkeit gab,  ließ mich stationär aufnehmen.

Selbst gestandene Ärzte fühlen sich manchmal hilflos, wenn sie plötzlich Patienten sind, und überlassen sich ihrem Schicksal, sprich ihren Kollegen. Kein Wunder also, dass ich, einmal in der Krankenhausmaschinerie gefangen,  die vorgeschlagenen Untersuchungen brav über mich ergehen ließ: neben dem gewünschten CT  auch eine Lumbalpunktion, obwohl einige (harmlosere) mögliche Nebenwirkungen genau die Symptome waren, deretwegen ich ins Krankenhaus gekommen war: Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Wie heißt es so schön: den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.

Bis zum Abend fühlte ich mich elend, dann waren die Beschwerden ebenso plötzlich verschwunden, wie sie am Morgen gekommen waren. Warum, weiß niemand. Unverhofft kommt eben oft.  Immerhin weiß ich jetzt, dass ich weder eine Hirnblutung noch eine Gehirnentzündung habe – und dass eine Lumbalpunktion nicht so schmerzhaft ist wie befürchtet.

Auf weitere Untersuchungen verzichtete ich am nächsten Tag, auf eigene Verantwortung, gegen ärztlichen Rat. Trotzdem dauerte es noch fast bis zum Abend, ehe ich entlassen wurde. Denn die Krankenhausmühlen mahlen manchmal eben recht langsam, auch wenn alle sich redlich Mühe geben. Dem geschenkten Sonntag am Meer folgt der verlorene im Krankenhaus. Wie gewonnen, so zerronnen.

Doch damit nicht genug: Während ich diese Zeilen weingummikauend schrieb, habe ich eine Zahnkrone verloren. Und so steht als Nächstes ein ungeplanter Besuch bei meiner Zahnärztin an. Ich rechne übrigens fest damit, dass sie mir genau die Zeit vorschlagen wird, die ich mit Frau M. verabredet habe, um den ausgefallenen Termin von letzter Woche nachzuholen. Denn wie gesagt: Die mir unbekannte Macht setzt zurzeit alles daran, meine Pläne zu durchkreuzen.

Frontal-Streik

Eigentlich gehört Frontal 21 zu meinen Lieblingssendungen. Ich finde das  investigative Magazin mit Ilka Brecht wirklich toll – nicht nur wegen der ebenso witzigen wie wahren toll-Beiträge von Werner Doyé und Andreas Wiemers am Ende der Sendung.

Toll ist leider auch das Urteil im Arbeitsgerichtsprozess der Frontal-Reporterin Birte Meier. Birte Meier, die unter anderem 2015 mit ihrem Kollegen Christian Esser den Deutschen Wirtschaftsfilmpreis in der Kategorie Langfilm gewann und im vergangenen Jahr die Affäre „Rent a Sozi“ aufdeckte, hat gegen ihren Arbeitgeber ZDF geklagt. Genau gesagt gegen ihren Auftraggeber, denn Birte Meier ist freie Mitarbeiterin, wenn auch die vertraglich festgelegte Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche wenig Freiheit für andere Aufträge lässt – vor allem angesichts der Tatsache, dass Überstunden in der Branche fast selbstverständlich sind. Das sagt einiges über die Arbeitsbedingungen in den Medien, auch in den öffentlich-rechtlichen, die ja eigentlich Vorbild sein sollten. Aber das ist ein anderes Thema.

Am 1. Februar hat das Arbeitsgericht Berlin Birte Meiers Klage gegen das ZDF abgewiesen – sowohl die Forderung nach 70.000 Euro Entschädigung wegen Ungleichbezahlung als auch den Auskunftsanspruch über das  Gehalt ihrer männlichen Kollegen. Sie konnte nach Einschätzung des Gerichts nicht belegen, dass sie wirklich weg ihres Geschlechts benachteiligt wurde. Dazu hätte sie Vergleichszahlen benötigt, die das ZDF aber laut Urteil nicht rausrücken muss – und auch nicht rausrückt.  Hier beißt sich die Katze in den Schwanz.

Gute Leistung, Preise und die Anerkennung der Kolleg/innen schützen nicht vor schlechter Bezahlung. Und so stellte Birte Meier fest,  dass sie deutlich weniger verdiente als ihre männlichen Kollegen, obwohl sie die gleiche Tätigkeit ausübte. Das  wollte sie nicht länger hinnehmen.  Sie versuchte, neu über ihr Gehalt zu verhandeln, und klagte, als das nicht klappte, gegen die Benachteiligung. Sie berief sich dabei auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – vergeblich.

Dass Birte Meier weniger verdient als männliche Kollegen, bestritt das ZDF nicht. Doch dafür gibt  es angeblich gute Gründe: Der eine war fest angestellt, der andere schon länger im Betrieb. Der dritte hatte vielleicht eine längere Nase oder konnte vielleicht besser verhandeln, wie der zuständige Richter mutmaßte.

Richter Ernst fand ich besonders toll: Er sprach offen aus, was viele andere nur denken, zum Beispiel dass Schwangerschaften und Kindererziehungszeiten (zu Recht) dazu führen, dass Frauen weniger Berufserfahrung haben und weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Nun ist Birte Meier kinderlos und es ist auch nicht zu erwarten, dass sie mit 45 Jahren noch allzuoft schwanger wird. Und selbst wenn erschließt sich mir nicht, warum eine künftige Schwangerschaft dazu führt, dass sie in der Vergangenheit weniger verdiente. Wirklich toll.

Einen Job-to-Job-Vergleich, bei dem Arbeiten von zwei Mitarbeitern verglichen werden, verhinderte der Arbeitsrichter mit seinem Urteil – Birte Meier hat danach keinen Auskunftsanspruch, obwohl der nach Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs durchaus besteht, wenn sich ein/e Mitarbeiter/in benachteiligt fühlt. Aber wen interessiert schon Europa?! Und wen Lohngerechtigkeit?

Nach EU-Recht gilt übrigens auch, dass es nicht auf den Status des Arbeitnehmers ankommt, sondern auf den Wert der Arbeit. Aber dieser Gedanke macht Leuten, die für Anwesenheit, nicht für Ergebnisse bezahlt werden, sicher Angst.

Das neue Entgeltgleichheitsgesetz, das im März verabschiedet werden soll, hilft übrigens Frauen nicht unbedingt weiter. Danach wird es in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitern ein Auskunftsrecht über gezahlte Gehälter geben. Weil die Daten aber anonymisiert werden, nutzen sie vor Gericht wenig, da Richter konkrete Vergleiche fordern. Ein Verbandsklagerecht, mit dem Vereine, Verbände oder Gewerkschaften bei diskriminierenden Lohnstrukturen klagen können, ist nicht vorgesehen. Mutige Frauen, die (nicht nur) um ihr Recht kämpfen, müssen das allein tun und zahlen wahrscheinlich einen hohen Preis.

Birte Meiers Prozess geht vermutlich in die zweite Runde vor dem Landesarbeitsgericht. Einen Vergleichsvorschlag des ZDF hat sie abgelehnt. Sie will weiter für Frontal arbeiten, auch wenn das ZDF am liebsten auf ihre Mitarbeit verzichten und das Arbeitsverhältnis mit der preisgekrönten Reporterin gerne lösen würde. Spätestens wenn das geschieht, werde ich in einen Frontal-Streik treten, auch wenn  ich das investigative Magazin eigentlich toll finde.

Anders leben als gewohnt

Wie möchte ich leben, wenn ich alt bin (richtig alt, meine ich, nicht „erst 60“)? Diese Frage stelle ich mir seit Jahren, nicht nur, aber vor allem dann, wenn ich bei meiner Mutter bin oder war. Denn eins weiß ich sicher: so nicht (obwohl ich mir wünsche, noch so fit zu sein, wenn ich mal so alt bin).

Meine Mutter lebt seit dem Tod meines Vaters allein. Und sie möchte  nicht weg aus dem Haus, das sie und mein Vater gebaut haben und das für sie allein eigentlich zu groß ist. Aus dem Dorf, in dem sie geboren wurde, wo sie immer gelebt hat. Dort will sie – wie mein Vater – auch sterben.

Natürlich verstehe ich das: Dort ist sie verwurzelt, die Nachbarn sind nett, kümmern sich und helfen, wenn  es nötig ist: Sie rollen die Mülltonne auf die Straße, kaufen für sie ein, wenn sie sich im Winter bei Schnee und Eis mal nicht aus dem Haus wagt. Sie wird zu Feiern eingeladen und wenn meine Mutter morgens einmal nicht wie gewohnt die Rollläden hochziehen würde, käme sicher sofort jemand vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.

Und trotz der funktionierenden Nachbarschaft fühlt sich meine Mutter oft einsam. Denn ein bisschen ist es wie bei Miss Sophie im Dinner for one – nur dass sie keinen helfenden Butler hat. Meine Mutter ist 92 – und die meisten ihrer Freundinnen und Bekannten  sind tot oder leben in diversen Altersheimen. Nicht in dem Ort, wo meine Mutter wohnt,  weil es dort kein Altenheim gibt, sondern irgendwo in der Nähe ihrer Kinder. Unerreichbar für meine Mutter, weil sie keinen Führerschein hat, die öffentlichen Verkehrsmittel an der Mosel ein Katastrophe sind und weil sie überdies Schwierigkeiten hätte,  mit ihrem Rollator in den Bus einzusteigen, wenn es denn vernünftige Verbindungen gäbe.

Meinen Vorschlag, sie solle mit ihrer Freundin zusammenziehen, die ebenfalls alleine in ihrem Haus lebte, haben beide Frauen abgelehnt. Dabei wäre im Haus meiner Mutter genügend Platz gewesen: Beide hätten eine eigene Wohnung gehabt und unterm Dach genügend Platz für Besuche ihrer Kinder, die alle nicht im Ort wohnen. Und für eine Polin oder Rumänin, die sich dann um beide Frauen hätte kümmern können. Hätte, denn inzwischen lebt Johanna in einem Altenheim, weil sie nicht mehr alleine leben konnte.  Dort fühlt sie sich sehr wohl, obwohl sie freiwillig nie dorthin gezogen wäre.

Ein Altenheim kommt für meine Mutter gar nicht in Frage, schließlich kommt sie noch gut alleine klar. Aber auch in eine betreute Wohnanlage möchte sie nicht umziehen. Dabei könnte sie dort noch lange selbstständig leben. In einer eigenen Wohnung, in der Nähe ihrer Kinder und Enkel und unter einem Dach mit anderen alten Leuten, die wie sie selbst noch recht fit sind, mit denen sie sich treffen, austauschen und gelegentlich etwas unternehmen könnte.

Gemeinsam mit anderen unter einem Dach, aber doch selbstständig – das halte ich für  ideal, nicht nur für meine Mutter, sondern in ein paar Jahren auch für mich. Und wie mir geht es vielen in meinem Bekanntenkreis, vor allem den Frauen. Denn die meisten möchten „später“ nicht allein in ihrem Haus wohnen und auf die Unterstützung ihrer Kinder angewiesen sein. Sie wollen es anders machen, als sie es bei ihren Eltern erlebt haben. Die  haben nämlich meist irgendwie weitergemacht wie gewohnt, bis andere, meist ihre Kinder, für sie entschieden haben, dass es so nicht mehr geht, sie zu sich genommen oder für sie einen Platz in einem Heim gesucht haben. Manche sind auch zu Hause gestorben, wie sie es sich gewünscht haben. Aber das  funktionierte oft nur, weil ihre Kinder sich um sie gekümmert, sie dort gepflegt oder doch unterstützt haben.

Das wird in meiner und in den kommenden Generationen nicht mehr möglich sein. Viele meiner Bekannten haben keine Kinder oder nur ein Kind, das mit dieser Aufgabe allein sicher überfordert wäre. Und auch die, die zwei, drei oder mehr Kinder haben, möchten  ihre Kinder nicht belasten.

Auch deshalb gibt es immer mehr Wohnprojekte von und für alte Menschen; auch Beginenhöfe erleben eine Renaissance. In Deutschland gibt es  inzwischen wieder mehr als 20 dieser Wohnprojekte für Frauen. Wer mehr darüber erfahren will, findet einen Artikel von mir in der Online-Zeitschrift  www.wohnwerken.de (Frauenpower: In der Ruhe liegt die Kraft)

https://issuu.com/schluetersche/docs/wohnwerken_02?e=25375043/41917338

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Beginenhof in Bremen
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Beginenhof Bielefeld, Innenhof

Vier auf einen Streich

Das nenne ich effektiv: Ich habe drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, sprich drei gute Vorsätze gleichzeitig erfüllt.  Jetzt fühle ich mich fast wie eine Anfängerversion des tapferen Schneiderleins, das  ja bekanntlich sieben auf einen Streich geschafft hat (Fliegen, nicht Vorsätze).

Gut, ich gebe zu, es war nicht wirklich geplant: Erst als es schon dunkel war, habe ich daran gedacht, dass ich eigentlich, weil ich noch nicht laufen kann, jeden Tag zumindest eine halbe Stunde gehen oder Radfahren wollte. Da war es schon zu spät für einen Spaziergang zum See und auch eine Runde mit dem Fahrrad war bei Schneefall und bei Dunkelheit keine wirklich kluge Option. Deshalb bin ich zu Fuß in die Stadt gegangen, die eigentlich ein Dorf ist. Weil ich auf dem Weg ohnehin am Briefkasten vorbeikomme, habe ich schnell noch den Fragebogen meiner Berufshaftpflichtversicherung ausgefüllt. Der ist wie in jedem Jahr kurz vor Weihnachten gekommen  und meiner Meinung nach überflüssig wie ein Kropf (siehe https://timetoflyblog.com/2015/12/25/gut-versichert/). Denn ich habe auch im Jahr 2016 – wie in den vergangenen 30 Jahren – weder einen Gabelstapler noch einen Tankwagen angeschafft  und gedenke es auch in diesem und den kommenden Jahren nicht zu tun. Bislang musste meine Versicherung immer bis zur Jahresmitte auf meine Antwort warten und mich mahnen; wahrscheinlich hat ein Sachbearbeiter schlaflose Nächte ob der potenziellen Gefahren erlebt. In diesem Jahr habe ich deshalb meine Pflicht, Auskunft über die versicherten Risiken zu erteilen, schon am ersten Werktag des Jahres erfüllt – und damit einen weiteren guten Vorsatz: Dinge nicht aufzuschieben.

Und auch mein persönliches Projekt „Fliegende Wörter“ habe ich gestartet bei meinem Spaziergang zum Briefkasten auf den Weg gebracht (dritter guter Vorsatz): Ich möchte in diesem Jahr jede Woche ein Gedicht verschicken (nein, kein selbst geschriebenes). Das ist dank des gleichnamigen, im Daedalus Verlag erschienenen Postkartenkalenders nicht so schwierig:  Er enthält 53 „Qualitätsgedichte zum Verschreiben und Verbleiben“, eins also für jede Woche des Jahres. Ich habe den Kalender, der schon zum 23. Mal erscheint, erst kürzlich durch den Hinweis einer Mit-Bücherfrau entdeckt. Und ich finde, die Gedichte von Rilke, Ulla Hahn, Hilde Domin und Co sind viel zu schade, um in meiner Schreibtischschublade zu verbleiben. Ich verleihe ihnen zwar keine Flügel, sondern verpasse ihnen eine Briefmarke und helfe ihnen so zum Fliegen: Ich schicke sie im Lauf des Jahres an Freunde und Bekannte, auch an einige Abonnentinnen dieses Blogs. Die seien auf diesem Weg (vor)gewarnt: Nicht immer passt das Gedicht genau zum /zur Empfänger/in, auch wenn ich mir bei der Auswahl Mühe gebe.

Mit dem Schreiben dieses Beitrags gehe ich einen vierten guten Vorsatz an: regelmäßiger als im vergangenen Jahr Blogbeiträge zu schreiben und zu veröffentlichen. Wirklich effektiv.

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Copyright Daedalus Verlag, Münster, www.daedalus-verlag.de 

Von brotlosen Künsten …

… und warum es sich vielleicht doch lohnt, seinem bliss zu folgen.

Vor ein paar Tagen habe ich mir im Fernsehen einen Dokumentarfilm über das Aufnahmeverfahren der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover angesehen. Wer einen der zehn Studienplätze bekommen will, muss in drei Runden seine „besondere künstlerische Befähigung zur Schauspielerin, zum Schauspieler“ nachweisen. Ich habe keine Ahnung von Schauspielkunst und war ziemlich beeindruckt, wie begeistert und gut vorbereitet die jungen Frauen und Männer waren. Ihre Auftritte hatten eine ganz andere Qualität als die Darbietungen der Selbstdarsteller bei Castingshows wie DSDS. Wer durchkommt, bekommt einen Studienplatz und lernt einen Beruf, der keine besonders rosigen Berufsaussichten bietet.

Natürlich gibt es (einige wenige) Großverdiener und einige mehr, die recht gut verdienen . Aber viele (die meisten?) können von ihrem Verdienst als SchauspielerInnen nicht leben und halten sich finanziell mit anderen Jobs über Wasser.

Am gleichen Abend habe ich ein Interview mit einer jungen deutschen Schauspielerin gesehen, die bereits in vielen Filmen mitgespielt hat. Sie bekommt 1.300 Euro Tagesgage, doppelt so viel wie die Mindestgage, die  laut Tarifvertrag für Schauspieler – ja, auch den gibt es – bei 775 Euro liegt. Das klingt nach viel, aber es relativiert sich, wenn man bedenkt, dass zwischen den Engagements oft viele Tage ohne Engagement und ohne Bezahlung liegen.

Unbefristet waren nach einer Studie zur Arbeits- und Lebenssituation von Schauspielerinnen und Schauspielern (Bema-Studie) gerade mal 4,9 Prozent der Befragten beschäftigt, 36,2 Prozent waren unständig beschäftigt, 46,1 Prozent selbstständig – was wahrscheinlich gleichbedeutend ist mit nicht ständig. Und auch der Verdienst im Traumberuf SchauspielerIn war alles andere als traumhaft: 68,1 Prozent der Befragten hatten in den letzten 12 Monaten bis zu 30.420 Euro verdient – brutto. Die Wirklichkeit sieht noch trauriger aus: Bei fast der Hälfte (45,8 Prozent) waren es weniger als 15.000 Euro.

Und noch ein paar Zahlen: Laut Künstlersozialkasse betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen der Versicherten im Bereich Darstellung Anfang 2016 15.581 Euro – bei den Schauspielerinnen waren es sogar nur 12.594 Euro (aber das ist ein anderes Thema). Nur die freien Musikerinnen und Musikerinnen verdienten noch weniger: durchschnittlich 13.317 Euro im Jahr. Das reicht mancherorts nicht einmal, um die Miete zu bezahlen.

Unter den Blinden ist der einäugige König, heißt ein altes Sprichwort. Und so sind die Versicherten im Bereich Wort – Leute wie ich, also Autoren, Journalisten, Lektoren, Übersetzer, Korrektoren usw. – Großverdiener unter den KSK-Versicherten mit durchschnittlich 19.603 Euro Jahreseinkommen (!). Ich kenne viele, die dafür nicht aufstehen und nicht arbeiten würde. Von wegen Mindestlohn.

Fazit: Kunst ist (oft) brotlos, egal in welchem Bereich. Vom Schreiben können die meisten ebenso wenig leben wie vom Musikmachen, vom Malen oder eben vom Schauspielern. Dabei möchte doch kaum jemand auf Bücher, Bilder, Musik; Filme oder Theater verzichten.

Fast hab ich gewünscht, dass die jungen Leute, die mir in dem Film besonders engagiert und begabt schienen ausscheiden. „Lernt was Anständiges“, wollte ich ihnen zurufen. Studiert Medizin, BWL oder Maschinenbau. Oder Jura: Da könnt ihr bei Auftritten vor Gericht euer Schauspieltalent beweisen. Vielleicht könnt ihr auch Lehrer – da spielt ihr zwar immer vor dem gleichen Publikum, verdient aber mehr und braucht nicht immer neuen Engagements nachzujagen. Das zermürbt auf Dauer (glaubt mir, ich weiß, wovon ich spreche). Aber wahrscheinlich haben die SchauspielerInnen in spe den guten Rat schon von ihren Eltern gehört und ihn ebenso in den Wind geschlagen wie ich selbst vor gefühlt 100 Jahren.

Nein, ich bin nicht Schauspielerin geworden (dafür habe ich gar kein Talent, das ist der Welt erspart geblieben), sondern verdiene mein Geld als Journalistin, Lektorin und Korrektorin. Ich mag meinen Beruf nach all den Jahren noch und ich würde mich wieder dafür entscheiden, wenn ich auch manches anders machen würde. Und ich hoffe, dass es den Jungs und Mädchen, die ich in dem Dokumentarfilm gesehen habe, ähnlich geht. Trotz der Unsicherheit, der schlechten Bezahlung.

Übrigens: Nach der Bema-Studie würden 84,9 Prozent nochmal Schauspielerin oder Schauspieler werden, nur 15,1 Prozent nicht. Vielleicht ist es also doch richtig, das zu tun, woran das Herz hängt.

Hier noch ein Gedicht von Friedrich von Schiller. Er wusste, was er schrieb. Schiller hat zwar Medizin studiert, sich dann aber  doch gegen den festen Job und die sicheren Einnahmen als Militärarzt und für die Kunst entschieden. Zum Glück, nicht nur für ihn.

http://www.ub.uni-heidelberg.de/wir/geschichte/schiller.html

Von Buchmenschen und Büchern

Als ich vor Jahren Ray Bradburys Fahrenheit 451 gelesen habe, haben mich vor allem die Buchmenschen fasziniert. Für alle, die das Buch nicht kennen: Es spielt in einem totalitären Staat, in dem Bücher – und damit auch selbstständig denken – verboten sind. Die Feuerwehr löscht keine Brände, sondern verbrennt Bücher, wenn welche entdeckt und die Besitzer verhaftet werden. Fahrenheit 451 ist die Temperatur, bei der Papier brennt. Die Buchmenschen sind aus dieser Gesellschaft geflohen und leben irgendwo versteckt im  Wald. Um zu verhindern, dass mit den Büchern die Inhalte der Bücher unwiederbringlich vernichtet werden, lernt jede/r ein Buch auswendig.

(K)ein Ort für Bücher?

Bei unserer Reise nach Schweden habe ich jetzt den Ort entdeckt, wo die Buchmenschen leben. Nicht wirklich natürlich, aber so etwa habe ich mir ihren Zufluchtsort vorgestellt. Der Campingplatz, das Älvkarleby Fiske & Famil jecamping, liegt auf einer kleinen Insel, die Zelte, Wohnwagen und Wohnmobile stehen versteckt unter Bäumen, so, als gehörten sie irgendwie dahin. Die meisten wurden  vermutlich seit Jahren nicht mehr bewegt  und haben  schon Wurzeln geschlagen, wie die Bäume, unter denen sie stehen.

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In Wirklichkeit ist der Campingplatz natürlich keine Zuflucht für Buchmenschen, sondern – wie der Name schon sagt – ein Eldorado für Angler. Und wahrscheinlich waren wir die einzigen Gäste, die mehr Bücher als Angeln dabei hatten – Angeln: keine, ich für zwölf Tage zehn richtige Bücher und meinen Kindle, mein Mann nur seinen Kindle, er ist ein absoluter E-Book-Fan, aber das ist ein anderes Thema.

Lieblingsbuch gesucht

Seither überlege ich, welches Buch ich auswendig lernen würde, wenn ich mich denn für eins entscheiden müsste, dass ich vor dem Vergessenwerden retten wollte. Das Ergebnis: Ich weiß es nicht. Meine Lieblingsbücher wechseln. Eine Zeitlang wäre es wahrscheinlich „Nachtzug nach Lissabon“ gewesen, aber auch Siri Hustvedts „Was ich liebte“, „Hannas Töchter“, die Memoiren von Simone de Beauvoir, die Tagebücher von Victor Klemperer und natürlich das Tagebuch der Anne Frank stehen ganz oben auf der Shortlist. Es gibt so viele Bücher, das fällt die Auswahl schwer.

Apropos Shortlist. Die richtigen Büchermenschen treffen sich zurzeit in Frankfurt auf der Buchmesse. Ich fahre in diesem Jahr nicht hin, obwohl mich die Messe immer wieder fasziniert. Und zugegebenerweise ein bisschen erschlägt: So viele Bücher, wer kann, wer soll die alle lesen. Und es werden immer mehr. Denn immer mehr Menschen schreiben Bücher. Irgendwie hat Reither, der Ex-Verleger in Bodo Kirchhoffs Novelle Widerfahrnis, recht mit seiner Einschätzung, dass es allmählich mehr Schreibende als Lesende gibt.

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Alle schreiben, ich natürlich auch. Ein schöner Ort zum Lesen und Schreiben.

 

Wie geht es deiner Mutter?

… heißt heute die Standardfrage in meinem Bekanntenkreis. Denn viele Freunde und Bekannte haben – oder hatten bis vor Kurzen – Väter, Mütter, Eltern und/oder Schwiegereltern, um die sie sich kümmern oder die sie gar betreuen (lassen) müssen. Das Thema Kinder, lange Zeit Gesprächsthema Nummer 1, ist meist vergleichsweise schnell abgehakt: Unsere Kinder sind groß, haben ihr Studium oder die Ausbildung meist schon abgeschlossen. Sie stehen auf eigenen Füßen und leben ihr eigenes Leben. Und wenn ich früher darüber gestöhnt habe, wie schwierig es ist, Kind und Job unter einen Hut zu bringen, weiß ich heute: Im Vergleich zur Betreuung der alten Eltern war die Betreuung der Kinder ein Kinderspiel.

Kleine Kinder leben bei ihren Eltern, alte Eltern leben dagegen oft weit von ihren erwachsenen Kindern entfernt. Die Fahrt zu meiner Mutter an die Mosel dauert etwa ebenso lang wie ein Flug auf die Kanarischen Inseln oder nach Nordnorwegen. Die Kinder kommen irgendwann in den Kindergarten, dann in die Schule. Für alte Menschen gibt es zu wenige gute Betreuungsangebote – außerdem wollen die meisten von Altenheimen, Tagespflege oder anderen Möglichkeiten nichts wissen. Ein Umzug – ob ins Altenheim, eine betreute Wohnung oder nur in den Wohnort der Kinder kommt für die meisten nicht in Frage: Ein alter Baum lässt sich bekanntlich nicht leicht verpflanzen. Und anders als unsere Kinder, für die wir einfach entscheiden konnten und mussten, entscheiden unsere Eltern selbst über ihr Leben – und damit auch über unseres. Denn wenn die Eltern nicht mehr ganz alleine zurechtkommen und unsere Hilfe brauchen – oder wenn wir das Gefühl haben, dass dies der Fall ist -, werden ihre Probleme (auch) unsere.

Was tun, wenn der demente Vater partout nicht einsieht, dass er nicht mehr Auto fahren kann und er eigentlich Führerschein und Auto abgeben müsste? Wenn die Mutter weiter allein in ihrem Haus leben will, das eigentlich viel zu groß geworden ist. Diese Fragen einen uns alle: Singles und Paare, Eltern und Kinderlose.

Eine Bekannte pendelt derzeit zwischen zwei Altenheimen hin und her, weil für ihre Eltern auf die Schnelle kein Platz in einem Heim zu finden war. Ihr Vater hatte sich jahrelang um seine schon pflegebedürftige Frau gekümmert. Als er irgendwann nach einer Operation selbst pflegebedürftig wurde, war es zu spät. Eine Freundin fuhr jahrelang jedes zweite Wochenende von Berlin, wo sie wohnt und arbeitet, nach Süddeutschland, um ihren Vater bei der Pflege ihrer alzheimerkranken Mutter zu entlasten. Meine Mutter kommt noch gut alleine zurecht: Sie  kauft ein, kocht, wäscht und bügelt; nur fürs Putzen hat sie eine Hilfe. Trotzdem fahren meine Schwestern und ich seit Jahren abwechselnd einmal im Monat für mehrere Tage an die Mosel, um ihr Gesellschaft zu leisten, nach dem rechten zu sehen und die Dinge zu erledigen, die mit 92 eben nicht mehr so leicht fallen: Gartenarbeit beispielsweise oder Gardinen waschen.

Früher war das einfacher: Im Haus meiner Eltern lebten meine Oma und zwei Großtanten – in eigenen kleinen Wohnungen, zwei von ihnen weitgehend selbstständig, bis sie über 80-jährig starben. Meine Mutter kümmerte sich um ihre Mutter und ihre Tanten, kaufte ein war im Notfall einfach da. Das war sicher anstrengend, aber es war auch beruhigend, für alle Beteiligten. Und es war machbar, weil alle im gleichen Ort wohnten und in dem Haus genug Platz war. Heute sind die Häuser und Wohnungen kleiner, die Ansprüche und die Entfernungen dafür umso größer.

Meine Schwestern und ich leben eben nicht mehr am gleichen Ort wie meine Mutter, sondern an verschiedenen Orten am anderen Ende der Republik. Vielen meiner Bekannten geht es ähnlich. Und so pendeln wir zwischen unseren Eltern und unserem eigenen Leben und fragen uns gegenseitig: „Wie geht es deinen Eltern?“

Lieber Dritte/r?

Nein, ich habe mir den Wecker nicht gestellt. Da ich aber ohnehin wach war, habe ich mir heute Morgen ab 5 Uhr das Finale der Frauen im Beachvolleyball angesehen. Ich habe keine Ahnung von Volleyball und bin kein Volleyballfan, aber die Spiele von Laura Ludwig und Kira Walkenhorst bei den Olympischen Spielen von Rio haben mich wirklich begeistert. Sie haben sich so souverän und beeindruckend ins Finale gespielt – und verdient gewonnen. Wie sie es schaffen, in dem großen Sandkasten die Bälle anzunehmen und dann noch kontrolliert über das hohe Netz im gegnerischen Feld zu platzieren, ist mir ein Rätsel. Weder vom heftigen Wind noch von den Buhrufen des brasilianischen Publikums haben sie sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Chapeau.

Die Siegerehrung hat wieder einmal bewiesen, dass die Dritten meist zufriedener mit ihrem Platz und ihrer Medaille sind als die Silbermedaillengewinner/innen. Die Amerikanerin Misty May-Treanor und Kerri Walsh freuten sich richtig über ihren dritten Platz, obwohl sie schon dreimal – in Athen, Peking und London – Olympiasiegerinnen waren und es diesmal „nur“ Bronze war. Aber sie hatten das  kleinen Finale und damit die Medaille  gewonnen, für die Brasilianerinnen endete das Turnier mit einer Niederlage. Und natürlich hatten die Amerikanerinnen mehr Zeit, sich an ihre Platzierung zu gewöhnen, als Barbara und Agatha, die ja noch anderthalb Stunden vorher auf den Olympiasieg gehofft hatten. Eine der beiden Brasilianerinnen – Agatha glaube ich – weinte noch bei der Siegerehrung. Nicht vor Freude über die Silbermedaille, sondern weil sie das Filiale verloren und Gold verpasst hatte. Es ist eben doch alles relativ.