Kleine Renten, große Unterschiede

Am 4. August war – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – equal pension day. In diesem Jahr stand der Tag unter dem Motto unter dem Motto „fünf vor zwölf – Altersarmut von Frauen“.

Der traurige Hintergrund des Tages, der seit 2014 vom Verband berufstätiger Mütter e.V. (VBM) initiiert wird: Erst Anfang August, also nach 19 Monaten, erreichen Frauen die gleiche Rente wie Männer in den zwölf Monaten des vergangenen Jahr. Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern potenziert sich im Alter und wird zur wahren Kluft. Während die Löhne und Gehälter von Frauen in Deutschland rund 22 Prozent niedriger sind als die der Männer, bekommen Frauen nach einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung durchschnittlich 57 % (!) weniger eigene Rente. Immerhin hat sich die Rentenlücke, neudeutsch Gender Pension Gap, in den vergangenen Jahren verringert: 2007 waren es noch 59,6 %. Was wieder einmal beweist: Der Fortschritt ist eben doch nur eine Schnecke.

Kein Wunder also, dass Frauen im Alter öfter arm sind als Männer: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren 2013 in Deutschland 17 % der Frauen ab 65 Jahren armutsgefährdet, bei den gleichaltrigen Männern nur 13%.

Schnelle Besserung ist nicht in Sicht, Altersarmut ist kein Problem der älteren, manchmal noch schlechter ausgebildeten Frauen. Nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums befürchten mehr als die Hälfte der Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, dass sie trotz ihrer beruflichen Qualifikation und trotz ihrer Erwerbstätigkeit im Alter nicht von ihrer eigenen Rente leben können. Bei den geschiedene Frauen sind es sogar fast drei Viertel (74 %), bei den alleinerziehenden Frauen über zwei Drittel (68 %). Zum Vergleich: 77 % der befragten Männer glauben, dass ihre Rente im Alter ausreicht.

Damit, dass Frauen benachteiligt werden, haben Renten- und Lohnlücke nichts zu tun, sagen manche Wirtschaftsexperten. Frauen entscheiden sich eben oft für Berufe, die schlechter bezahlt werden, und arbeiten öfter für Unternehmen, die weniger bezahlen. Sie steigen viel häufiger als Männer – der Familie wegen – vorübergehend dem Beruf aus, arbeiten nach der Babypause der Kinder wegen oft Teilzeit und machen (auch deshalb) seltener Karriere. Wer wenig verdient, bekommt im Alter eben weniger Rente. Denn die Rente spiegelt ist abhängig von der Erwerbsleistung, nicht von der Lebensleistung. Das ist eigentlich schade – und irgendwie ungerecht. Genau wie die Tatsache, dass typische Frauenberufe schlechter bezahlt werden als typische Männerberufe. Wieso verdient der Techniker, der Maschinen wartet und repariert, eigentlich mehr als die Krankenschwester oder die Altenpflegerin, die Menschen gesund pflegt oder ihnen ein menschenwürdiges Leben im Alter ermöglicht? Und warum wird es besser bezahlt, Computerprogramme zu entwickeln als das Potenzial von Kindern? Klar, das bisschen erziehen und pflegen kann jede(r); das haben Frauen in der Familie schon immer gemacht. Unbezahlt, versteht sich. Die Geringschätzung weiblicher Arbeit.

Zeit, dass sich das ändert. Geschlechtergerechtigkeit ist erreicht, wenn typische Frauenberufe bei gleichwertiger Ausbildung und Qualifikation genauso gut bezahlt werden wie typische Männerberufe, meinen laut Studie „Mitten im Leben“ 96 % der befragten Frauen zwischen 30 und 50 Jahren. Für 92 % ist es ein Zeichen für Geschlechtergerechtigkeit, wenn Frauen etwa so viel eigene Rente bekommen wie Männer. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg.Und der Fortschritt ist leider doch nur eine Schnecke.

Für alle, die es interessiert, drei interessante Links mit interessanten Informationen zum Thema

http://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_29_2016.pdf

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/061/1806148.pdf

http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung4/Pdf-Anlagen/20160307-Studie-Mitten-im-Leben,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf

Keine Treuepunkte bei der Bahn

Treue lohnt sich nicht. Zumindest nicht in geschäftlichen Beziehungen. Das merkt man beispielsweise, wenn man einen (Bau-)Kredit verlängern will. Die Konditionen von fremden Banken, bei denen man anfragt, sind meist wesentlich günstiger als die der Hausbank – obwohl die weiß, dass man seit Jahren die Raten immer pünktlich bezahlt hat. Und die günstigen Strom- und Gastarife bekommt man bei Energieversorgern nur im ersten und zweiten Jahr nach Vertragsabschluss. Dann geht die Schnäppchen-Jagd von Neuem los, wenn’s billig bleiben soll.

Finanziert werden die Super-Rabatte für Neukunden von altmodischen Deppen wie mir, die – ich gebe es zu teilweise aus Bequemlichkeit – jahrelang bei den gleichen Unternehmen bleiben. So bin ich in meine Krankenkasse quasi hineingeboren – ich bin im Großen und Ganzen zufrieden und wechsle auch nicht, nur weil der Zusatzbeitrag jetzt vielleicht ein bisschen höher ist als bei anderen Kassen und die Sonderleistungen nicht ganz so hoch. Bäumchen-wechsel-dich- und Geiz-ist-geil-Mentalität sind nicht mein Ding – und feilschen kann ich nicht einmal auf dem Flohmarkt.

Als überzeugte Bahnfahrerin habe ich natürlich auch eine Bahncard, die sich alle Jahre wieder um ein weiteres Jahr verlängert. Bequem für die Bahn, teuer für mich, weil ich die neue Bahncard ja nicht immer gleich im Anschluss an die alte brauche. Und von Sonderaktionen zu diversen (Sport-)Großereignissen, bei denen es nicht nur Bahncards zu sehr günstigen Preisen, sondern auch Zusatzgewinne gibt, profitiere  ich natürlich auch nicht: Denn warum soll ich mir die EM-Bahncard für drei Monate kaufen, wenn ich schon eine habe. Bei anderen Sonderaktionen werden wohl auch ausschließlich oder überwiegend Gelegenheits-Bahncardkäufer berücksichtigt, um sie zu ködern. So flatterte einer Freundin unlängst ein aufwendig aufgemachtes Angebot ins Haus: Sie konnte zwischen einer Bahncard 25 für 10 Euro für ein Jahr und einer Bahncard 50 für 100 Euro und noch ein paar Gequetschte wählen.

Die vergünstigte Bahncard 50 hätte ich auch gerne und wenn ich demnächst 60 werde, werde ich sie auch kaufen. Leider läuft meine alte Bahncard 25 schon einen Monat vor meinem Geburtstag aus – mir die vergünstigte Bahncard quasi als Treuerabatt schon mit 59 Jahren und elf Monaten und ein paar Tagen zu verkaufen, ist – anders als Super-Sonderangebote für Gelegenheitsfahrer – leider nicht möglich.

Dem Mitarbeiter des Bahncard-Services tat es zwar sehr leid, dass ich „nicht in den Genuss unserer Sonderaktion gekommen“ bin (glaub ich ihm nicht). Er versteht zwar meine Sichtweise (wirklich nett), aber „die Möglichkeit Ihnen vor dem ersten Geltungstag eine ermäßigte BahnCard auszustellen haben wir leider nicht.“ Könnte man aber vielleicht ändern, um treue Kunden nicht zu verärgern.

Hierfür bittet er um Verständnis – bekommt er aber nicht. Denn das mögliche Upgrade von der Bahncard 25 auf die Bahncard 50 nach meinem Geburtstag ist mit erheblichem Aufwand verbunden: ich muss ins Reisezentrum (und dazu in die nächste Großstadt fahren), eine Erstattungsantrag ausfüllen … Und dass die Auswahl der Kunden für solche Aktionen ausschließlich nach dem Zufallsprinzip erfolgt und dass alle Kunden die gleichen Erfolgsaussichten haben, halte ich ebenso für ein Gerücht wie die Behauptung, dass Züge pünktlich, Zugtoiletten sauber und die Renten sicher sind. Oder dass Treue sich lohnt.

Von sieben Schläfern, Siebenschläfern und Meteorolügen

Heute ist Siebenschläfertag und auch viele, die eigentlich nicht an Bauernregeln und anderen „Hokuspokus“ glauben, sind froh, wenn  die Sonne scheint. „Das Wetter am Siebenschläfertag sieben Wochen bleiben mag“, heißt nämlich eine von vielen ähnlichen (Wetter)Regeln für diesen Tag.

Auch die Meteorolügen bestätigen, dass an der Regel was dran ist – zumindest gelegentlich. Wie die Eisheiligen, die Schafskälte oder der Altweibersommer zählt der Siebenschläfertag bzw. die Woche danach zu den sogenannten Witterungsregelfällen oder Singularitäten, das sind Wetterlagen, die zu bestimmten Zeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten. Um den 27. Juni stellen sich oft bestimmte Großwetterlagen ein, die sich dann ziemlich konstant halten und das Wetter in den nächsten (sieben) Wochen bestimmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Wetter so bleibt, wie es heute bzw. in den kommenden Tagen ist, schwankt je nach Region und Statistik zwischen 55 und 80 Prozent. Viel genauer sind die meisten Wetterprognosen auch nicht.

Für alle, die noch nicht selbst nachgeschaut haben: Laut wetter.de ist das Wetter in dieser Woche eher unbeständig, hier, bei Hannover, ist es eigentlich nicht so schlecht. Bis jetzt scheint die Sonne und einigermaßen warm ist es auch. Die Wetterexperten prognostizieren für die kommenden Tage in dieser Gegend bis zu 9 Stunden Sonne pro Tag und wenig Regen. Das klingt doch gar nicht so schlecht. Zumindest regnet und gewittert es nicht ohne Unterlass, wie vor ein paar Tagen.

Mit dem gleichnamigen Nagetier hat der Siebenschläfertag übrigens nichts zu tun. Die sieben Schläfer, die dem Tag seinen Namen gaben, waren nach einer Legende junge Christen aus der Gegend von Ephesos, die wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. Sie flüchteten in eine Höhle, wurden entdeckt und eingemauert. Sie starben jedoch nicht, sondern schliefen 195 Jahre lang. Sie sollen am 27. Juni 446 zufällig entdeckt worden und dann aufgewacht sein.  Der französische Bischof Gregor von Tours hat die Geschichte, die es in verschiedenen Sprachen und Versionen gibt, ins Lateinische übersetzt.

Das Wetter kann der richtige Siebenschläfer (Glis glis) nach Angaben der Deutschen Wildtier Stiftung zwar nicht vorhersagen. Braucht er auch nicht, denn er ist nachtaktiv und für ihn ist es deshalb nicht so wichtig, ob und wie lange die Sonne scheint. Aber er weiß immerhin, wie die Bucheckernernte wird. Das interessiert die meisten Menschen weniger, die mausähnlichen Nagetiere mit dem buschigen Schwanz aber schon. Gibt es nämlich viele Bucheckern, bekommen sie viel Nachwuchs; können sie sich nicht satt fressen, haben sie offenbar auch keine Lust auf anderes und ziehen sich wieder  in ihre Schlafhöhle zurück – für elf Monate und nicht „nur“ von September bis Mai, wie in normalen Jahren. Je nach (Groß)Wetterlage gar keine dumme Idee.

 

Zimmer frei

Zugegeben, ich bin überrascht. Ein bisschen vom Ergebnis der Brexit-Abstimmung, aber eigentlich nur, weil in der Nacht nach dem Referendum laut Internet-Meldungen die Brexit-Gegner vorne lagen. Am Morgen war es dann doch anders. Richtig überrascht bin ich aber darüber, dass die Politiker und die EU-Beamten von diesem Ergebnis so überrascht sind – und dass angeblich keiner darauf vorbereitet war. Wieso eigentlich nicht? Zwar lagen wohl zumindest seit dem Mord an der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox in den Umfragen wohl die Brexit-Gegner vorne. Aber es war bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Man musste zumindest damit rechnen, dass die Briten – genauer gesagt die Waliser und Engländer – für einen Ausstieg stimmen würden. Wieso war der Brexit also undenkbar?

Dass niemand ernsthaft darüber nachgedacht hat, was wäre wenn, kann ich kaum glauben. Weder all die Politiker und Beamten, die doch sonst fast alles regeln bis hin zur zulässigen Krümmung der Banane, noch all die Wirtschaftsweisen und Zukunftsforscher, die sonst um eine Prognose nie verlegen sind. Niemand hat (angeblich) einen Plan B oder zumindest konkrete Vorstellungen, wie es weitergehen soll. Das nenn‘ ich wahrhaft vorausschauendes Handeln! Dass die Aktienkurse abgestürzt sind, war zu erwarten, denn eigentlich brauchen die Börsianer ja nur gelegentlich einen Vorwand – den hat der Brexit geliefert.

Welche Auswirkungen der Brexit haben wird, kann ich wirklich nicht beurteilen – deshalb habe ich mir auch lange überlegt, ob ich über das Thema schreiben soll. Ich habe zu wenig Ahnung von Politik und noch weniger von wirtschaftlichen Zusammenhängen. Aber ich denke manchmal, es ist wie beim Jahrtausendwechsel: Alle haben mit Riesenproblemen gerechnet, weil viele Computer nicht darauf programmiert waren – und dann ist nix passiert. Kein Computerchaos, keine Abstürze, nix.

Der Brexit wird sich sicher einiges verändern, vor allem wahrscheinlich für die Briten selbst. Denn es ist wie bei jedem Auszug: Mit der neu (oder wieder) gewonnenen Freiheit, kommen auch neue Pflichten, die im Alltag recht lästig sein können. Vielleicht bedeutet der Brexit nicht nur das Ende der EU-Mitgliedschaft, sondern auch ein Ende des Vereinigten Königreichs. Denn viele Schotten wollen lieber zur EU gehören als zu Great Britain – es wird wohl schon bald ein  neues Unabhängigkeitsreferendum geben. Da passt es gut, dass im europäischen Haus gerade ein Zimmer bzw. eine Wohnung frei wird. Und vielleicht wächst in Irland jetzt wieder zusammen, was bis 1920 zusammengehört hat. Viele junge Briten sind auch nicht begeistert vom EU-Austritt – und die englischen Fußballvereine befürchten Schlimmes, wenn EU-Ausländer plötzlich richtige Ausländer werden und dann nicht mehr ohne Weiteres in England spielen dürfen. Was wird jetzt aus der Premier League – und wie schneiden englische Vereine dann in europäischen Wettbewerben ab? Vielleicht hätten die Brexit-Gegner damit für den Verbleib in Europa werben sollen.

Ich bin ein bekennender Europa-Fan: Ich glaube an und hoffe auf ein Vereintes Europa. Vor allem wenn ich von der Mosel durch Nordfrankreich fahre, wird mir bewusst, wie wichtig die Gemeinsamkeit ist, welches Privileg es ist, in einem vereinten Europa zu leben. Hier haben sich Deutsche und Frankreich so lange bekämpft und bekriegt, hier sind so viele Menschen sinnlos gestorben. Wenn ich jetzt nach Frankreich fahre, bin ich kein Feind mehr, sondern (zumindest fast) Freund.

Ja, ich bin Europa-Fan. Aber wirklich traurig bin ich über den Brexit nicht – und viele, mit denen ich über das Thema gesprochen habe, auch nicht. Nicht wenige sind genervt – nicht von Europa, sondern von der Rosinenpickerei. Eigentlich wollten die Engländer nicht wirklich dazugehören; sie sind immer ihren eigenen Weg gegangen: Dagegen ist nichts einzuwenden, Aber alle Vorteile mitnehmen wollen, aber möglichst nichts geben wollen, geht meiner Meinung nach gar nicht. So funktioniert keine Gemeinschaft t – und erst recht keine Zweckgemeinschaft. Es ist das alte Wohngemeinschaftsprinzip: Wer mit essen will, muss auch mal einkaufen, kochen oder spülen. Wer dazu nicht bereit ist, muss für sich bleiben und sein eigenes Süppchen kochen.

Dass es einen Domino-Effekt geben wird, befürchte ich nicht, auch wenn die Rechten und die Nationalisten jetzt überall Morgenluft schnuppern, vom EU-Austritt träumen und Referenden ankündigen. Aber ich bin optimistisch, dass die meisten Menschen die Vorteile, die Europa uns allen bietet, erkennen – und darauf nicht verzichten wollen. Trotz manchem Ärger über Missstände, Bürokratie und undemokratische Strukturen. Es wird sich einiges ändern – nicht nur für die Briten, sondern auch für die übrigen 27 EU-Staaten. Oder um beim Bild der Wohn- oder Hausgemeinschaft zu bleiben: Wir brauchen einen neuen Putzplan.

Meer und Feuerberge

Eine Woche Lanzarote, zum ersten Mal auf den Kanarischen Inseln, zum ersten Mal überhaupt außerhalb von Europa, zumindest geografisch. Wir landen nach vier Stunden Flug am Abend in einer anderen Welt. Schwarze Berge, riesige Steinfelder, in denen bizarre Felsen noch genauso aussehen wie vor fast 300 Jahren, als die Erde fünf Jahre Feuer spuckte und glühendes Magma über fast die ganze Insel floss, Menschenleben, Dörfer und fruchtbare Landstriche zerstörte. Ein Viertel der Insel war – und ist, so scheint es noch heute – mit Lava bedeckt.

Es gibt auf Lanzarote mehr als 300 Feuerberge (Montanas del Fuego), die je nach Gestein und Licht rot oder schwarz aussehen. Im Nationalpark Timanfaya soll der Film „Planet der Affen“ gedreht worden sein; die NASA testete hier vor der Landung auf dem Mond das Mondfahrzeug, verrät mein Reiseführer. An eine Mondlandschaft erinnern die schwarzen, kargen Geröllfelder wirklich – und daran, wie wenig Menschen im Ernstfall gegen die Natur  ausrichten können. Mein Mann, Amateur-Astronom, Weltraum- und Science-Fiction-Fan ist von der Landschaft begeistert; ich bin beeindruckt: Zum ersten Mal stehen wir in einem echten Vulkan.

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Im Vulkan

Aber mir fehlt schon bald das Grün. Pflanzen  und Tiere sind auf Lanzarote rar. Auf dem kargen Boden wachsen offenbar nicht einmal „Unkräuter“ freiwillig. Kanarienvögel, die ja von den Kanarischen Inseln stammen, haben  wir nur ein einziges Mal gesehen und gehört – in einem Käfig vor einem Café auf der Plaza Leon y Castillo in Haria.

Hier, im Tal der tausend Palmen im Norden der Insel, ist es grüner als an dem meisten anderen Orten: Es gibt nicht nur viele Palmen, die dem Tal seinen Namen gaben, in den Gärten blühen Bougainvilleen und Hibiskus. Gärtnern und Landwirtschaft sind hier eine mühsame Angelegenheit: Um einzelne Pflanzen werden runde Mäuerchen aus Lavagestein aufgeschichtet, um sie vor dem Wind und dem Austrocknen zu schützen. Steine gibt es auf der Insel zu Genüge. Wein wird auf Lanzarote auch angebaut, vor allem rund um La Geria im Süden der Insel. Die Rebstöcke werden oft nicht nur ummauert, sondern  in trichterförmigen Gruben gepflanzt. Welch ein Gegensatz zu den Weinfeldern und Weinbergen in Deutschland, Festlandspanien, Italien und Frankreich.

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Ummauert: Reben auf Lanzarote

Vom Mirador de Guinate in der Nähe von Haria hat man einen wunderschönen Blick auf die kleine Nachbarinsel la Graciosa. Und anders als beim berühmten, ein paar Kilometer nördlich gelegenen Mirador del Rio sind wir hier allein: Nur ein anderes deutsches Paar taucht kurz auf, schaut, fotografiert und verschwindet wieder. Der von César Manrique gestaltete Mirador del Rio gehört zu den größten Touristenattraktionen der Insel: Ein Besuch lohnt wirklich: des Ausblicks und der Architektur wegen.

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Kaffeepause mit grandiosem Ausblick auf La Graciosa.

Ein weiteres Highlight: die Jameos del Agua im Nordosten der Insel. In einem Lavastollen, angeblich dem längsten der Welt, ist an zwei Stellen die Decke eingestürzt. Dazwischen liegt ein mit Salzwasser gefüllter See, der smaragdgrün schimmert, wenn die Sonne durch das Loch in der Decke fällt. In das Schwimmbecken im  Jameo grande, dem größeren „Schornstein“, wäre ich am liebsten reingesprungen, doch das ist ebenso verboten wie Münzen in den unterirdischen See zu werfen. Das verträgt nämlich der weiße Mönch gar nicht, der im Lagunensee lebt. Für alle, die sich mit Fauna ebenso wenig auskennen wie ich: Der weiße Mönch ist ein blinder Höhlenkrebs, der nur noch auf Lanzarote lebt. Gesehen haben wir ihn nicht – und ich bedaure das nicht wirklich, denn er sieht angeblich eher aus wie eine Spinne und ist gerade mal zwei Zentimeter groß. Gestaltet wurde die Grotte übrigens ebenfalls von César Manrique – dem Maler, Bildhauer und Architekten, an dem auf Lanzarote kein Weg vorbeiführt.

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Die unterirdische Heimat des weißen Mönchs

Mit seiner Malerei kann ich zugegebenerweise nicht  viel anfangen, auch seine Skulpturen und das Haus in Haria, in dem Manrique  in den letzten Jahren vor seinem Tod gelebt hat, fand ich nicht so toll. Als Architekt hat  mich Manrique eher überzeugt. Das von ihm gestaltete  Haus in Tahiche ist wirklich sehenswert (wenn es auch nicht an Dalis Haus in Cadaques heranreicht, an das es mich erinnert hat). Es steht auf einem Grundstück, das beim Vulkanausbruch von 1730 mit Lavaströmen bedeckt wurde. Die untere Etage besteht aus fünf Höhlen, durch unterirdische, teilweise weiß gekalkte Stollen gelangt man von einer Vulkanblase in die andere. Die Einrichtung und die Kunstwerke passen einfach, es ist toll anzusehen: Kunst, Architektur  und Natur verschmelzen wirklich gekonnt – aber leben möchte ich unter der Erde sicher nicht.

Wohnen im Vulkan DSC_7077
Wohnen im Vulkan

Ein echter Gegensatz:  Der letzte Abend in der Bar des Gran Hotels in Arrecife. Die liegt im 17. Stock und man genießt einen tollen Blick über die Stadt. Das Gran Hotel ist übrigens das einzige richtige Hochhaus in der Inselhauptstadt. Das ist sicher auch Cesar Manrique zu verdanken, der sich beispielsweise dafür eingesetzt hat, dass in Puerto del Carmen, dem größten Touristenort der Insel, seit den 70er-Jahren nur noch ein- und zweigeschossig gebaut werden durfte.

Ach ja, gewohnt haben wir im Hotel Lancelot in Arrecife. Eine gute Entscheidung, auch wenn wir am am ersten Tag Probleme hatten, es zu finden. Weil die Straße vor dem Hotel gesperrt war, sind wir mehrmals im Kreis gefahren. Später hat uns dann das Navi sicher aus der Stadt raus und über die Insel gelenkt – und uns dabei viel Spaß bereitet. Unser Smartphone-Navi spricht nämlich noch schlechter Spanisch als ich, aus Calle Leon y Castillo wurde dann beispielsweise Calle Leon ypsilon Castillo.

Unser Hotel lag übrigens direkt am Strand. Vom Balkon im dritten Stock hatten wir einen tollen Blick aufs Meer. Einfach zwischendurch mal zu schwimmen war deshalb kein Problem. Der Service war prima, Abend- und Frühstücksbuffet auch (ein bisschen mehr Käse beim Frühstück wäre allerdings gut).

Insgesamt: ein schöner Urlaub, tolles Wetter, viele Impressionen. Wir haben viel gesehen, auch dank Jeanette, einer Freundin, die seit über 20 Jahren auf der Insel lebt und uns viele gute Tipps gegeben hat. Ob ich wiederkomme: Irgendwann vielleicht. Es war interessant, aber Lanzarote ist nicht meine Insel: zu karg, zu viele Steine, zu wenig grün. Aber im Winter, wenn es in Deutschland kalt und ungemütlich ist, sicher eine Alternative.

Kunst in Burgwedel

Ich bin ein Kunstbanause. Was Malerei (und leider auch Musik) angeht, bin ich völlig talentfrei, ambitions- und ahnungslos. Wenn ich ein Bild sehe, kann ich sagen: gefällt mir oder gefällt mir nicht. Wenn es hoch kommt, weiß ich auch noch, warum (wegen der Farben, wegen des Motivs (Noldes Mohnblumen zum Beispiel) oder einfach nur so. Die Qualität eines Bildes oder einer Skulptur kann ich indes nicht beurteilen. Ist es Kunst, Kunsthandwerk oder nur Kitsch? Ich weiß es nicht – und es ist mir irgendwie auch egal.

Ich habe zwar keine Ahnung von Kunst, aber ich interessiere mich sehr dafür, wie Künstler leben und arbeiten. Vielleicht hoffe ich insgeheim, dass es mich inspiriert (wenn schon nicht zum Malen, dann doch zum schreiben); ein Schuss Voyeurismus ist zugegebenerweise auch dabei. Aus diesem Grund ist Kunst in Bewegung für mich ein Pflichttermin. Seit 2006 öffnen Künstler – Profis und Amateure – einmal im Jahr ihre Ateliers und ihre Gärten oder präsentieren in öffentlichen Gebäuden, zum Beispiel im Rathaus, in der Seniorenbegegnungsstätte oder im Amtsgericht, ihre Werke.

In den ersten Jahren sind die Burgwedeler in Scharen von einem Ausstellungsort zum anderen gezogen; die meisten mit dem Fahrrad oder zu Fuß, weil Burgwedel zwar offiziell Stadt, aber eigentlich ein überschaubares Dorf ist. Ich erinnere mich genau, dass sich im Atelier eines der Initiatoren zehn oder mehr Leute drängten. Kunst in Bewegung hat viele bewegt. An diesem Wochenende war, so scheint es mir, das Interesse geringer. Irgendwie hat die Veranstaltung ein wenig von ihrem Charme eingebüßt. Der lag für mich (nicht nur, aber) auch in der privaten Atmosphäre, die in den letzten Jahren verlorengegangen ist. Ich mochte den Blick hinter die Kulissen und  finde es schade, wenn auch verständlich, dass nicht mehr so viele Künstlerinnen und Künstler ihre Ateliers öffnen wie in dern ersten Jahren. Außerdem machen einige meiner Lieblingskünstlerinnen wie Christina Jehne nicht mehr mit. Andere sind nach Wettmar „abgewandert“.

Deshalb habe ich mich diesmal auf ein Kurzprogramm, d. h. auf die privaten Ausstellungsorte beschränkt, auf den verwunschenen Garten von Elke Seitz beispielsweise mit den zahllosen Spiegeln. Ich war bei Lieselotte Schuster und natürlich im Atelier von Inka Dybus. Ihre Glaskunstwerke faszinieren mich immer wieder – besonders toll wirken sie in ihrem Garten: ein Gesamtkunstwerk.

Im Spiegel - im Garten von Elke Seitz
Im Spiegel – im Garten von Elke Seitz

 

Inka Dybus - Glaskunst im Garten
Inka Dybus – Glaskunst im Garten

 

Atelier von Inka Dybus
Atelier von Inka Dybus

Nächste Woche geht’s weiter – bei Sommerspaziergang in Wettmar.

Leineaue per Rad

Manchmal liegt das Gute ganz nah, beispielsweise im Süden von Hannover, wo Leine, alte Leine und zahlreiche Teiche und Tümpel eine Wasserlandschaft ganz nach meinem Geschmack bilden.

Schon die Fahrt mit dem Rad von Limmer nach Süden führt immer am Wasser, an Ihme und Leine, lang. Mal auf der rechten, mal auf der linken Flussseite. Der Uferwechsel ist dank zahlreicher Brücken jederzeit möglich. Am Stadion, in dem ab der nächsten Saison nur noch Zweitliga-Fußball zu sehen sein wird, lassen wir Maschsee und Leine links liegen und fahren durch die Leineaue. Hier merkt man nicht, dass man eigentlich noch in der Großstadt ist. Ein naturbelassener (für uns namenloser) Bach schlängelt sich durch Wiesen und durchs Unterholz.

Idyll - mitten in der Großstadt
Natur – mitten in der Stadt. Foto: Nele Schmidtko

An den Ricklinger Teichen, der Costa Kiesa Hannovers, herrscht schon Hochbetrieb. Drei Seen, der Dreiecksteich, der Sieben-Meter-Teich und der Große Teich, werden als Badeseen genutzt. Ein paar ganz Mutige wagen sich sogar schon ins Wasser, die meisten beschränken sich aufs Sonnenbaden.

Nicht nur Menschen ziehen die Teiche im Süden von Hannover magisch an.  Die meist durch Kiesabbau entstandenen Seen sind inzwischen ein wichtiger Lebensraum für Wasservögel. Im Naturschutzgebiet Leineaue wurden mehr als 240 als Gast- bzw. Brutvögel nachgewiesen, darunter allein etwa  60 Wasser- und Watvogelarten, außerdem viele Fledermäuse, Schmetterlinge und Insekten- sowie seltene Pflanzen wie Schwanenblume, Wiesen-Alant, Breitblättriger Stendelwurz oder Flatter-Ulme, die ich leider nicht (er)kenne, wenn ich sie sehe.

Mit Vögeln kennt sich zumindest Nele dagegen sehr gut aus. Nachtigall, Eisvogel, Rotmilan und Fischadler soll es hier geben. Wir sehen neben diversen Enten, Gänsen, Schwänen und Blesshühnern  einen Reiher, mehrere Greifvögel und  bei Grasdorf dann ein Storchennest. Die Jungen müssen schon geschlüpft sein, weil der Storch nicht mehr brütet, sondern im Nest steht.

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Storch im Anflug. Foto: Nele Schmidtko

Während Nele beobachtet und fotografiert, kommt der zweite Storch zurück. Er wird mit Geschnäbel begrüßt und löst seinen Partner oder Partnerin ab, der/die bis dahin geduldig auf dem Nest ausgeharrt hat. Zwei oder sogar drei Junge glauben wir zu sehen. Vielleicht gelingt es den Storcheneltern ja in diesem Jahr wieder, ihren Nachwuchs aufzuziehen. In den vergangenen beiden Jahren hat es nicht geklappt, wie eine Informationstafel in der Nähe des Horsts verrät. Dabei finden sie auf den feuchten Wiesen entlang der alten Leine und an den Seen um Koldingen sicher reichlich Nahrung.

Ein Wiesel nähert sich uns bis auf wenige Meter, ehe es im Gebüsch verschwindet. Jetzt fehlen von den Tieren aus dem Thalerwald, die meine Tochter als Kind geliebt hat, nur noch Fuchs, Dachs und Kröte. Zumindest die Kröten verstecken sich aus gutem Grund, solange die Störche und ihr stets hungriger Nachwuchs so nah sind.

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Koldinger Teiche. Foto: Nele Schmidtko

Obwohl ich schon so lange in Hannover lebe, kenne ich die Koldinger Seen bislang nur vom Vorbeifahren mit dem Zug. Schade. Ich habe definitiv etwas verpasst. Und natürlich packt mich der Neid: Wie gerne hätte ich diese Seenlandschaft vor der eigenen Haustür. Aber ich komme gewiss wieder, spätestens im Herbst, wenn Tausende Zugvögel hier einen Zwischenstopp auf ihrer Reise in den Süden einlegen.

Wandern für Anfänger

Ich bin in den vergangenen zwölf Monaten zum Couchpotatoe mutiert. Zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen: Wider Willen, denn eigentlich bewege ich  mich sehr gerne. Bis zu meiner Knieverletzung  war ich eine ganz passable und begeisterte Läuferin. Ich bin schon gejoggt, als joggen noch langstreckenlaufen hieß.

Doch seit einem Jahr läuft’s leider nicht mehr.  Auch eine Meniskus-OP im vergangenen Dezember hat daran bislang nichts geändert, im Gegenteil. Das Training auf dem Crossstepper ist für mich nur eine Notlösung und auch gehen ist nicht wirklich mein Ding. Es geht mir nicht schnell genug. Dabei täte es mir wahrscheinlich gut, es einmal ruhiger angehen zu lassen –nicht nur sportlich. „Wandern ist die vollkommenste Art der Fortbewegung, wenn man das wahre Leben entdecken will. Es ist der Weg in die Freiheit“, behauptet Elizabeth von Arnim. Grund genug, es auch einmal gehend zu versuchen.

Als ich letztens  eine Woche an der Mosel war, habe  ich es immerhin geschafft,  fast jeden Tag spazieren zu gehen oder zu wandern. Mal mit Freunden, mal allein, meist mit Blick auf den Fluss. Denn das Wasser vermisse ich im Norden  immer mehr,  je älter ich werde. Einer meiner Lieblingswege in der alten heimat: der erste Teil des Römersteigs von Trittenheim  bis zur Konstantinhöhe hoch auf dem Berg. Auf der steilen Treppe am Anfang des Wegs merke ich, dass mein Knie noch lange nicht in Ordnung ist – und dass meine Kondition nach einem Jahr fast ohne Sport sehr zu wünschen übrig lässt. Nach der Treppenetappe geht’s auf einem Weinbergsweg nach oben: durch die noch kahlen Weinberge, die an der Mosel Wingerte heißen, auf einem Pfad ganz nach meinem Geschmack: schmal, naturbelassen, mit schönem Blick auf die Mosel.

Auf dem Weg zum Fährfels-Plateau DSCN0228
Auf dem Weg zum Fährfelsplateau.

Kurze Pause auf dem kleinen Fährfelsplateau – in der Sonne sitzen, lesen und schreiben mitten in den Weinbergen. Wer allerdings auf der Bank sitzend den Tisch erreichen will, braucht längere Arme als meine.

Leider endet der schmale Pfad schon bald, weiter geht‘ s auf einem breiten Wirtschaftsweg – allerdings entschädigt der Ausblick auf die Mosel für die „Wanderautobahn“. Bei der Abzweigung Schieferhöhlen/Konstantinhöhe wird’s wieder besser. Den anspruchsvolleren Klettersteig, der auf der linken Seite auf die Höhe führt,  schafft mein lädiertes rechtes Knie noch nicht, also nehme ich den schmalen Waldweg zur Linken, der etwas weniger steil  zur Konstantinhöhe führt. Die verdankt ihren Namen dem römischen Kaiser Konstantin. Ihm soll hier – oder vielleicht auch an einer anderen Stelle auf dem Neumagener Berg – im Traum ein leuchtendes Kreuz Himmel erschienen sein und Christus soll ihm geraten haben, es gegen seine Feinde einzusetzen: in hoc signo vinces – in diesem Zeichen wirst du siegen. Konstantin befahl  daraufhin das Kreuz als Feldzeichen zu verwenden, berichtet Eusebius von Caesarea in seiner Biographie Kaiser Konstantins – und besiegte seinen Gegner Maxentiuns 312 an der Milvischen Brücke.  Der Schrift­stel­ler Lak­tanz schreibt, Konstantin habe den Traum in der Nacht vor der Schlacht gehabt.  Wie er es dann rechtzeitig vom Neumagener Berg bis nach Italien geschafft hat, wissen die Götter. Ich habe jedenfalls keine Vision, dafür genieße ich den Ausblick, auch wenn sich die Sonne ein bisschen verzogen hat. Dann geht’s zurück, statt über den Berg nach Neumagen wieder nach Trittenheim.

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Konstantinhöhe über Trittenheim

Zwei Tage später wandere ich einen weiterer Teil des Römersteigs: Von Piesport gehe ich an der Mosel entlang zurück Richtung Neumagen. Kurz hinter Ferres, einem Mini-Dorf mit gut einem Dutzend Häusern, geht’s wieder über eine steile Wingertstreppe den Berg hoch. Wieder macht sich das fehlende Training bemerkbar und ich bewundere die Männer, die im Herbst den ganzen Tag über diese Treppe die Trauben mit in einer zentnerschweren Hotte hoch- oder runtertragen. Auch das Traubenlesen hat im Steilhang seine Tücken, das weiß ich aus Erfahrung: Wenn der Eimer mal losrollt, gibt es kein Halten mehr.

Den DIN-Normen entspricht diese Treppe gewiss nicht: keine der steinernen Stufen gleicht der anderen. Mir ist’s recht, mir gefällt sie wesentlich besser als die 0815-Betonversion in Trittenheim.

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Nix mit DIN – Moselsteig Teil 2

Doch leider ist der zweite Teil der Treppe gesperrt, die zum verbotenen Heck führt. Der „Wanderpfad mit alpinem Charakter“ soll an der Schutzhütte Weislei enden. Weil ich den Weg nicht kenne, nur wenig Zeit habe und sich dunkle Wolken am Himmel zusammenballen, folge ich den Römersteig-Schildern. Die Umleitung entpuppt sich bis auf eine kurze Zwischenetappe wieder als breiter Wirtschaftsweg; auch hier entschädigt wieder der Blick auf die Mosel. Doch ein richtiger Wanderweg ist der Römersteig leider nicht. Zu viel gut ausgebaute Rad und Wirtschaftswege, zu wenig schmale, naturbelassene Wanderwege. Schade.

Doch ich gebe dem Wandern eine Chance: Beim nächsten Moselbesuch werde ich auf der verbotenen Treppe zum verbotenen Heck wandern. Und demnächst geht’s im Harz auf dem Hexenstieg – 97 Kilometer von Osterode nach Thale. Schluss mit Couchpotatoe.

Ärger mit Untermietern

Wir haben die Wohnung unserer Untermieter geräumt. Sie sind schon vor einigen Monaten ausgezogen, ohne sich zu verabschieden und ohne ihre Einrichtung mitzunehmen. Wirklich traurig waren wir über den Auszug nicht. Wir hatten heimlich darauf gehofft, dass sie uns nach einigen Monaten wieder verlassen würden. Denn gut war unser Verhältnis nie, genau gesagt: Ich habe sie nie besonders gemocht. Obwohl es – ich muss es zugeben – eigentlich keine Konflikte gab. Sie waren ruhig, meist haben wir ihre Anwesenheit gar nicht bemerkt. Nur wenn sie sich gestört fühlten, reagierten sie ungehalten. Doch Störungen ließen sich leider nicht immer vermeiden. Die Kommunikation zwischen uns funktionierte einfach nicht. Wir fanden nie die gleiche Wellenlänge. Sie suchten keinen Kontakt – und wir auch nicht. Jeder ging seiner Wege. Unsere Lebensgewohnheiten waren einfach zu unterschiedlich – und manche Missstimmung zwischen uns beruhte  wahrscheinlich auf Missverständnissen.

Als ich beispielsweise einmal bei starkem Regen die Rollläden in meinem Zimmer herunterlassen musste, waren sie sehr aufgebracht. Wütend versuchten sie, in mein Zimmer einzudringen und es ist mir gerade noch gelungen, das Fenster rechtzeitig zu schließen. Ich hatte bis dahin gar nicht bemerkt, dass sie eingezogen waren und fühlte mich ehrlich gesagt sogar ein bisschen bedroht.

Seither traute ich ihnen nicht mehr wirklich– auch wenn ich nicht alle Horrorgeschichten glaubte, die über sie erzählt werden. Dass sie zu siebt ein Pferd getötet haben beispielsweise und dass sie das immer wieder tun würden. Und dass auch Menschen nicht vor ihnen sicher sind, wenn man sie reizt. Trotzdem bin ich ihnen nach unserem ersten Zusammentreffen aus dem Weg gegangen und habe den Raum neben ihrem einfach möglichst wenig benutzt. Das war zwar nicht schlimm, weil ich im Sommer ohnehin lieber im Wintergarten arbeite – dennoch fühlte ich mich ein wenig eingeschränkt. Schließlich ist es unser Haus, nicht ihrs.

Vielleicht haben sie gespürt, dass sie nicht wirklich willkommen waren. Sie haben zwar nie etwas gesagt, aber im Herbst waren sie dann so plötzlich verschwunden, wie sie gekommen waren. Dass sie ihre Einrichtung und ihre Abfälle nicht mitgenommen haben, hat vor allem meinen Mann geärgert, weil er ihre Wohnung ausräumen musste. Ich fand es interessant zu sehen, wie sie sich eingerichtet hatten: Sie hatten den ohnehin kleinen Raum in mehrere Bereiche unterteilt. Besonders stabil war die Einrichtung nicht und wir konnten sie ohne große Kosten entsorgen.  Jetzt landet alles auf dem Müll – wir wollen keine Nachmieter mehr.  Unsere alten Mieter hatten ohnehin nie Miete bezahlt.

Warum wir sie überhaupt so lange geduldet haben, wollt ihr wissen. Nun ja: Wir haben ein Herz für Tiere, sind gesetzestreue Bürger – und Hornissen stehen bekanntlich unter Artenschutz.

 

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Vor der Räumung: Verlassenenes Hornissennest. Foto: Utz Schmidtko

 

 

Anne Frank

Das Tagebuch der Anne Frank.  Großes Kino, wenig Publikum. Wieder ein typischer Frauenfilm: 16 Frauen, die meisten fast oder über 60 und ein Mann. Für mich ein Muss. Anne Frank führte das Tagebuch von seit ihrem 13. Geburtstag – von Juni 1942 bis zum 1. August 1944, drei Tage bevor sie verhaftet und deportiert wurde – zunächst ins niederländische Lager Westerbork, dann nach Auschwitz und schließlich nach Bergen-Belsen. Dort starben sie und ihre Schwester Margot Frühjahr 1945, kurz vor dem Kriegsende in Bergen-Belsen. Ihre Eltern hatten sich für das falsche Land entschieden, als sie 1934 mit den Kindern vor den Nazis aus Deutschland flüchteten. Als die Deutschen das Nachbarland besetzten, waren die Niederlande kein sicherer Ort mehr.

Von den acht Menschen, die im Hinterhaus untergetaucht waren, überlebte nur Annes Vater Otto Frank. Er veröffentlichte 1947 die Tagebücher seiner Tochter. Die erste Auflage, vom  Juni 1947 mit 3.000 Exemplaren  war schnell vergriffen,  schon im Dezember erschien die zweite, im Februar 1948 dann die dritte Auflage – inzwischen mit 10.000 Exemplaren. In Deutschland erschien Anne Franks Tagebuch erstmals 1950. Inzwischen wurde das Buch in  fast alle Sprachen übersetzt – es wurde mehrmals verfilmt und 2009 von der UNESCO in das Weltdokumentenerbe aufgenommen. Der Erfolg ihrer Tagebücher hätte Anne selbst sicher sehr überrascht.

„Ich nehme an, dass später weder ich noch jemand anders Interesse haben wird an den Herzensergüssen eines dreizehnjährigen Schulmädels“, schrieb sie am 20. Juni 1942, kurz nach ihrem Geburtstag. Wie sehr hat sie sich sehr geirrt.

Ich habe das Tagebuch 1973 gekauft und gelesen – damals war ich fast 17, und schon älter, als Anne geworden ist. Inzwischen habe ich drei  verschiedene Ausgaben, aber die älteste, aus dem Jahr 1972, ist mir die liebste, obwohl es inzwischen sicher bessere, textkritischere Ausgaben gibt.

Die Blätter sind vergilbt, einige schon brüchig und einige Seiten lösen sich. Ich habe es mehrmals gelesene – und immer wieder wundere ich mich, wie erwachsen Anne war, mit gerade einmal 13, 14 oder 15. Aber wahrscheinlich musste sie sehr schnell erwachsen werden. Ständig in Lebensgefahr, eingesperrt mit Erwachsenen, die versuchten, sie zu erziehen, wie sie beklagte.

Schon bevor sie im Hinterhaus untertauchen musste, hatte Anne kein normales Leben. Vieles war verboten, weil sie Jüdin war –  Schwimmen, Rad fahren, ins Kino gehen, leben. Sie hatte große Pläne für die Zeit danach:

Reisen wollte sie und studieren, Kunstgeschichte in Paris und London. Sie träumte davon, Journalistin und später eine berühmte Schriftstellerin zu werden. „Nach dem Krieg will ich auf jeden Fall ein Buch mit dem  Titel ‚Das Hinterhaus‘ veröffentlichen, ob das gelingt, bleibt noch die Frage, aber mein Tagebuch wird dafür dienen können“, schrieb sie am 11. Mai 1944 in ihr Tagebuch. Sie überarbeite im Hinterhaus ihr Tagebuch, schrieb kurze Geschichten, die jetzt in von Reclam veröffentlicht wurden (Anne Frank: Denn schreiben will ich. Aus den Tagebüchern und anderen Werken. Reclam 2016)

Eins wollte Anne nicht: Sie wollte nicht leben wie ihre Mutter und viele andere Frauen, die „ihre Arbeit machen und später vergessen sind“. Anne Frank durfte gar nicht leben. Zumindest ein Wunsch hat sich erfüllt. „O ja, ich will nicht umsonst gelebt haben wie die meisten Menschen.“