Ist er wieder da?

Ist er’s – oder ist er’s nicht? Diese Frage stelle ich mir, seit vor etwa zwei Wochen Knospen an einer Narzisse sichtbar wurden. Sie sind spät dran, ihre Verwandten im Garten sind schon längst aufgeblüht. Und sie stehen auch nicht an genau der Stelle, an der ich die Zwiebeln im letzten Jahr eingepflanzt habe, aber immerhin in der Nähe.

Dass sie es nicht an dem ihnen zugewiesenen Platz ausgehalten haben, sondern ein Stück gewandert sind, nährt meinen Verdacht, dass es Rip van Winkle sein könnte. Denn Namen – lateinisch Nomen – sind ja angeblich nicht Schall und Rauch, sondern Omen. Und Rip van Winkle, der Namenspatron der von mir vermissten Narzisse, war ja der Kyffhäusersage nach ein Herumtreiber und Tunichtgut. Er hielt nicht viel von Arbeit, streifte stattdessen lieber durch die Gegend, vergaß dabei gerne die Zeit und ließ seine Mitmenschen warten. Von seinem letzten Waldspaziergang kehrte er angeblich erst nach 20 Jahren wieder zurück.

So lange muss ich nicht warten. In den nächsten Tagen werden auch die Nachzügler-Narzissen ihre Blüten öffnen und ihr Geheimnis lüften. Und während in der Sage niemand den alten Mann kannte, der behauptete, dass er schon immer im Dorf gelebt hatte, werde ich Rip van Winkle erkennen. Schließlich ist sie die einzige gefüllte Narzisse in meinem Garten. Denn ihre Vorgänger, die ich vor ein paar Jahren in den Herrenhäuser Gärten gekauft und eingepflanzt habe, sind und bleiben verschwunden (https://timetoflyblog.com/gartenerkenntnisse; https://timetoflyblog.com/rip-van-winkle-bleibt-verschwunden).

Sie blühten nur einen Frühling und sind danach verschwunden

Rip van Winkles weiter Weg aus der Kyffhäusersage in den modernen Roman wird unter https://de.wikipedia.org/wiki/Rip_Van_Winkle beschrieben.

Wiederentdeckt: Ein Zimmer für sich allein

Eigentlich war es Zufall, dass ich Virginia Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“ jetzt wieder gelesen und wiederentdeckt habe. In ihrem Buch „FrauenZimmerSchreiben“* schreibt die Herausgeberin Christiane Palm-Hoffmeister als Einleitung einen Brief an die Autorin des viel zitierten Essays.

Ich habe Virginia Woolfs Buch zum ersten Mal während des Studiums gelesen, auf Englisch, wie die 1977 gekaufte Penguin-Ausgabe von „A Room of One‘s Own“ verrät. 1989 habe ich mir dann eine Ausgabe auf Deutsch gekauft, weil mein Englisch inzwischen etwas eingerostet war. Für ein eigenes Zimmer war damals in unserem Haus kein Platz, weil wir drei Kinderzimmer brauchten. Als gemeinsames Arbeitszimmer diente meinem Mann und mir zeitweise ein Teil des Wohnzimmers, den wir mit Regalen und einer Sperrholzwand provisorisch abgetrennt hatten. Aber lieber arbeitete und schrieb ich auf dem freien Platz neben der Treppe, wo auch jetzt wieder ein Schreibtisch steht. Eigentlich brauche ich diesen Schreibplatz nicht mehr, denn ich habe inzwischen sogar zwei Arbeitszimmer für mich allein. Und ich muss – anders als damals – nicht mehr Kinder, Haushalt und Beruf unter den bekannten Hut bringen.

Vielleicht liegt es am freieren Teilzeit-Rentnerinnen-Leben, dass ich Virginia Woolfs Essay diesmal an einem Tag und in einer halben Nacht gelesen habe. Vielleicht kam die Anregung aber auch gerade zur richtigen Zeit. In den vergangenen Jahren hatte ich mehrere Wieder-Lese-Versuche gestartet und das Buch dann – unausgelesen – zur Seite gelegt.

Mir war vor allem der Satz im Gedächtnis geblieben, der dem Essay seinen Namen gab: „Eine Frau braucht Geld und ein eigenes Zimmer, um schreiben zu können“ (Seite 3)**. Dabei ist wirklich bemerkens- und lesenswert, wie treffend und umfassend Virginia Woolf schon in den Zwanzigerjahren die Situation von Frauen in der Literatur und im Leben beschrieben und analysiert hat. „In der Poesie füllt sie (die Frau) Bände, in der Geschichte kommt sie nicht vor“, schreibt sie. Und im richtigen Leben wurden und werden Mädchen und Frauen häufig „eingesperrt, geschlagen und durchs Zimmer geschleudert“ (Seite 49).

Zwar hat sich vieles geändert, seit Virginia Woolf ihren Essay schrieb. Doch manches ist leider noch so aktuell wie vor fast hundert Jahren. In Deutschland wird laut BMFSFJ „etwa jede vierte Frau … mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner“ (https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/formen-der-gewalt-erkennen-80642). Und obwohl es zumindest hierzulande inzwischen selbstverständlich ist, dass Mädchen und Frauen zur Schule gehen, studieren, einen Beruf lernen und berufstätig sind, sind Frauen auch heute noch das arme Geschlecht. So verdienten Frauen nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) im vergangenen Jahr in Deutschland pro Stunde 18 Prozent weniger als Männer (https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-GenderPayGap/_inhalt.html). Ein Teil der Lohnunterschiede kann durch Lohn- und Gehaltsunterschiede in verschiedenen Berufen und Branchen erklärt werden. Anders als von Virginia Woolf vorausgedacht, gibt es nämlich immer noch typisch weibliche und typisch männliche Berufe. Und ErzieherInnen, Kranken- oder AltenpflegerInnen werden auch heute noch schlechter bezahlt als AutomechanikerInnen oder InstallateurInnen. Aber selbst wenn sie die gleiche Arbeit leisten, verdienen Frauen oft weniger als ihre männlichen Kollegen. Das liegt sicher auch daran, dass Männer oft selbstsicherer sind und sich und ihre Leistung besser verkaufen können.

Verwunderlich ist das nicht: Jahrhundertelang wurde behauptet, dass Frauen Männern mental, moralisch, physisch und intellektuell unterlegen sind. Dieses Vorurteil hat sich, so scheint es, bei beiden Geschlechtern ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Wenn Männer „ein Zimmer betreten, sagen sie sich, ich bin der Hälfte der Menschen hier überlegen, und deshalb sprechen sie voller Selbstvertrauen, voller Selbstgewissheit“, schreibt Virginia Woolf (S. 41). Dieses Gefühl sei wahrscheinlich „eine der Hauptquellen“ männlicher Macht (S. 39).

„Frauen haben in all diesen Jahrhunderten als Spiegel gedient, ausgestattet mit der magischen und köstlichen Kraft, die Gestalt des Mannes doppelt so groß wiederzugeben“, schreibt sie. „Welchen Nutzen Spiegel in zivilisierten Gesellschaften auch haben mögen, für jede gewalttätige und heroische Tat sind sie unabdingbar. Deshalb bestehen Napoleon und Mussolini so emphatisch auf der Unterlegenheit der Frauen, denn wären sie nicht unterlegen, würden sie nicht länger vergrößern“ (S. 40f). Dem ist mit Blick auf die großen und kleinen Mussolinis und Napoleons unserer Zeit nichts hinzuzufügen. Oder nur, dass es sich wirklich lohnt, Virginia Woolfs Essay wieder zu lesen.

*Dieser Beitrag enthält unbezahlte Werbung

**Zitiert nach Woolf, V. (2019). Ein Zimmer für sich allein (Kampa Pocket) (German Edition) [Kindle Android version]. Retrieved from Amazon.com, übersetzt von Antje Ravik Strubel


Fasse dich kurz

Die Fastenzeit hat gefühlt gerade erst begonnen, der Februar – und damit der „NaHaiWriMo“ – ist am Dienstag zu Ende gegangen. Dass der kürzeste Monat des Jahres der „National Haiku Writing Month“ ist, wusste ich bis vor Kurzem nicht, ja, ich wusste nicht einmal, dass es ein Haiku-schreib-Monat gibt. Das habe ich erst gelesen, als ich heute vor einem Monat mein elektronisches Postfach aufgeräumt und bei der Gelegenheit einen Blogbeitrag von Christine Kämmer genauer gelesen habe (https://christinekaemmer.com/haiku-schreiben/).

Der war pünktlich Anfang Februar in meinem Posteingang gelandet, aber beim flüchtigen Hinschauen habe ich geglaubt, dass es in der Mail um den „NaNoWriMo“ geht. Weil der ja erst wieder im November stattfindet, habe ich den Beitrag erst einmal weggeklickt – und meinen Irrtum dann erst ein paar Tage später bemerkt.

„NaHaiWriMo“ und „NaNoWriMo“ – beide Kürzel ähneln sich wirklich. Dabei können Schreibziele kaum unterschiedlicher sein. Beim „NaNoWriMo“ im November sollen oder wollen die TeilnehmerInnen in 30 Tagen einen ganzen kurzen Roman von 50.000 Wörtern verfassen – das sind pro Tag durchschnittlich 1.666,666 Wörten. Im „NaHaiWriMo“ ist es Ziel, jeden Tag ein Haiku zu schreiben.

Mit dem „NaNoWriMo“ habe ich so meine Probleme: Mir gefällt die Idee, sich ein besonderes Schreibziel zu setzen. Aber 1.667 Wörter pro Tag zu schreiben, ist für mich als Langsamschreiberin völlig illusorisch. Denn ich tue immer das, was man während des „NaNoWriMo“ nicht tun soll: Ich überdenke und korrigiere Texte, während ich schreibe. Beim Vielschreiben soll der innere Kritiker außen vor bleiben. Doch das funktioniert bei mir nie – meine Zensorin sitzt immer neben meiner Tastatur oder – schlimmer noch – in meinem Kopf. Außerdem bezweifle ich, dass es Sinn macht, möglichst viel schreiben zu wollen. Denn wo es nur oder vor allem um Quantität geht, bleibt bekanntlich oft die Qualität auf der Strecke. Nicht nur, aber auch beim Schreiben. Deshalb mache ich bei der Schreibaktion im November zwar mit, setze mir aber eigene Ziele: Ich schreibe, so viel ich kann (https://timetoflyblog.com/schreibsovieldukano).

Die Aufgabe, im „NaHaiWriMo“ ein Haiku täglich zu schreiben, kam mir dagegen gerade recht. Denn ich interessiere mir schon lange für die traditionellen japanischen Gedichte. Haikus reimen sich nicht und bestehen – zumindest in westlichen Ländern – (fast) immer aus drei Zeilen: Die erste soll fünf, die zweite sieben und die dritte wieder fünf Zeilen lang sein.

Aber das ist, wie ich gelernt habe, eine Kann- und keine Muss-Empfehlung. „Der Haiku als ,Dreizeiler‘ ist eine reine Erfindung des Westens“, wird in dem Beitrag auf haiku-heute.de Arata Takeda, ein aus Japan stammender Literatur- und Kulturwissenschaftler zitiert. Ursprünglich soll der Haiku ein Einzeiler gewesen sein – oder ein Einspalter, da im Japanischen in Spalten geschrieben wird (https://www.haiku-heute.de/das-haiku/merkmale-des-haiku/).

Und auch bei der Silbenzahl sind Ausnahmen erlaubt, schon weil die Moren, das sind die Lauteinheiten, in die japanische Wörter unterteilt sind, nicht den deutschen Silben entsprechen. Japanische Moren haben laut Volker Friebel „im Durchschnitt weniger Inhalt als eine deutsche Silbe: 17 japanische Lauteinheiten entsprechen dem Inhalt von etwa 10 deutschen Silben.“

Bei den Themen sind moderne Haikus freier als ihre traditionellen Vorbilder, bei denen es immer um Jahreszeiten und Natur geht. Ein wesentliches Merkmal der Gedichte war und ist jedoch die Kürze; die Kunst im Haiku besteht laut Volker Friebel darin, einen Text zu schreiben, der „sich ohne Qualitätsverlust nicht weiter kürzen lässt“. Wenn es gelingt, sagen 17 Silben eben manchmal mehr als 50.000 Wörter.

Sich kurz zu fassen, ist eine Kunst, ebenso wie das Verfassen von Haikus. Aber der NaHaiWriMo war für mich ein Anlass, beides zu üben – und mit dem Schreiben von Kurzgedichten anzufangen. Täglich ist mindestens eins entstanden, meist Haikus, gelegentlich auch Elfchen. Das sind – all denen, die sich mit Schreiben im Allgemeinen und Lyrik im Besonderen nicht so gut auskennen, sei’s gesagt – kurze Gedichte, die aus elf Worten bestehen, aufgeteilt auf fünf Zeilen.

Haiku – japanische Vorbilder und eigene Übungsseiten

Weil mein persönlicher NaHaiWriMo erst am 5. Februar begonnen hat, endet er auch erst heute, am 5. März. Ich werde aber weiter Kurzgedichte schreiben. Denn es hat mir viel Spaß gemacht. Und mir gefällt die Idee, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, alles Unnötige wegzulassen – beim Schreiben und im Leben.

Noch ein Neues …

Gestern ist mein neues Notizbuch gekommen. „Noch eins“, sagen wahrscheinlich manche, die meine Vorliebe – oder soll ich sagen Schwäche – für gutes Papier und schöne Schreibhefte kennen. Und sie haben natürlich irgendwie recht. Denn in meinen Regalen stehen zahlreiche Kladden und Spiralhefte, leere, vollgeschriebene, vor allem aber viele angefangene. Aber obwohl ich schon manches ausprobiert habe, bin immer noch auf der Suche nach dem idealen Notizbuch. Das neue (Ring)Buch soll mir helfen, Ordnung in mein Notiz-Chaos zu bringen – und die leeren Seiten in den angefangenen Büchern zu nutzen.

Stapelweise angefangene Notizbücher

Die lose Zettelwirtschaft habe ich ebenso wie Notizen auf Karteikarten schon lange aufgegeben. Wenn ich aber meine Einfälle zu verschiedenen Projekten in einem Heft notiere, verliere ich schnell den Überblick. Denn ich schaffe es nur selten – oder besser gesagt nie – meine handschriftlichen Notizen regelmäßig zu bearbeiten oder zumindest im entsprechenden Ordner auf meinem Computer abzuspeichern. So manche gute Idee gerät dadurch in Vergessenheit – bis ich sie irgendwann, manchmal erst nach Abschluss des Projekts, per Zufall wiederentdecke. Nach anderen Formulierungen oder Notizen suche ich stunden- oder tagelang – manchmal vergebens.

Mit einem größeren Projekt beginne ich meist ein neues Notizbuch. Ist das Projekt dann im besten Fall beendet oder ich breche es unvollendet ab, bleiben in der Kladde oder im Spiralheft meist einige oder sogar viele Seiten leer. Sie werde ich künftig heraustrennen, lochen und in meinem neuen Notizbuch nach Projekten geordnet abheften. So bekommen zum Beispiel die noch unbeschriebenen Seiten aus dem wunderschönen Spiralheft, das ich mir vor Jahren im Dali-Museum in Figueres gekauft haben, ein neues Leben. Und das Cover werde ich mir, sobald das Spiralheft leer ist, an die Wand hängen. Denn „The Galatea of the Spheres“ ist eines meiner Lieblingsbilder von Salvador Dalí. Es zeigt Dalís Frau und Muse Gala, aus zahlreichen Kugeln zusammengesetzt.

Auch den Inhalt meines neuen Notizbuchs kann ich nach Belieben zusammenstellen, Blätter können in dem Ringbuch nach Bedarf ergänzt, verschoben und entfernt werden. Das Buch besteht laut Hersteller aus „veganem Leder“, nämlich aus SnapPap (http://www.vabelli.de/traveler-journals/). Das ist ein waschbares Papier in Lederoptik, das aus Zellulose und Latex hergestellt wird. Es enthält kein PVC, BPA oder Pentachlorphenol, soll nicht gesundheits- oder umweltschädlich, dafür aber reiß-, abriebfest und unempfindlich sein. Gepflegt werden muss mein neues, handgemachtes Notizbuch nach Herstellerangaben „eigentlich nicht“. Flecken können „vorsichtig mit einem feuchten Tuch“ entfernt werden“. Auch waschen und bügeln könnte ich es „theoretisch“ – allerdings nicht in der Waschmaschine, doch das habe ich ohnehin nicht vor.

Das Ringbuch muss allerdings einiges aushalten. Denn weil mir, wie vielen schreibenden Menschen, die besten Ideen oder Formulierungen eben nicht einfallen, wenn ich am Schreibtisch sitze, sondern irgendwann beim Einkaufen, beim Wandern oder im Cafe, in der Badewanne oder im Bett, habe ich mein Notizheft eigentlich immer dabei. Und unterwegs ist es in meinen Taschen manchem Stoß ausgesetzt und wird nicht immer pfleglich behandelt.

Veganes Leder rechts neu – und echtes Leder – mit Patina

Tagebuch, Kalender und Bulletjournal verkraften – geschützt durch einen  Lederumschlag – die Dauerbeanspruchung, der sie ausgesetzt sind, gut. Das Leder wird mit Zeit und Patina eigentlich immer schöner. Auch der Ordner aus SnaPap soll „durch die Benutzung eine lederähnliche Struktur“ bekommen, schreibt die Herstellerin. Ich bin gespannt.

Ilon Wikland: Eine lange Reise

Zurück in die Kindheit – oder in die Welt der Kinderbücher. Im Museum Wilhelm Busch habe ich noch einmal die Ausstellung „Von Haapsalu bis Bullerbü“ besucht, in der Bilder von Ilon Wikland gezeigt wurden. Bei meinem ersten Besuch vor einem Monat war es voll, zu voll, um sich die Zeichnungen in Ruhe anzusehen. Jetzt, kurz vor dem Ende der Ausstellung, war sie immer noch – oder wieder – ziemlich gut besucht.

Das Museum für Karikatur und Zeichenkunst in Hannover, kurz Museum Wilhelm Busch

Kein Wunder – Ilon Wiklands Bilder kennen die meisten Kinder und viele Erwachsene. Denn sie hat außer „Michel aus Lönneberga“ und „Pippi Langstrumpf“ alle Kinderbücher von Astrid Lindgren, aber auch Bücher anderer AutorInnen illustriert.

Ich habe die Bücher von Astrid Lindgren erst spät entdeckt, die Illustrationen von Ilon Wikland sogar erst, als ich meiner Tochter die Bücher von Astrid Lindgren gekauft und vorgelesen habe. Als Kind habe ich nur „Rasmus, Pontus und der Schwertschlucker“ gelesen, eine Detektivgeschichte, die ich nicht sonderlich spannend fand.

Pippi Langstrumpf, Astrid Lindgrens wohl bekanntestes Buch, habe ich, wenn ich mich recht erinnere, erst Anfang der 70er-Jahre kennengelernt, als die Geschichten mit Inger Nilsson verfilmt wurden. Denn bei uns im Dorf gab es keinen Buchladen – und die kirchliche Leihbücherei war meist geschlossen. Pippi Langstrumpf habe ich dort ohnehin nicht gesehen, obwohl ich in der Bücherei geholfen habe. Die Geschichte eines selbstbewussten Mädchens, das alleine lebt, sich von Erwachsenen nichts vorschreiben lässt und sich die Welt macht, wie es ihm gefällt, in den Augen der für die Bibliothek und unser Seelenheil Verantwortlichen – und auch für meine Eltern – wohl keine geeignete Lektüre. Für „Die Kinder von Bullerbü“ konnte ich mich nie begeistern. Irgendwie war mir das im Buch geschilderte Dorf- und Familienleben viel zu idyllisch und mit meinen eigenen Erfahrungen nicht kompatibel.

Auch viele Zeichnungen von Ilon Wikland sind bunt und fröhlich, zeigen eine idyllische, heile Welt, wie man es (damals) in Kinderbüchern erwartete. Spielende, tobende Kinder oder Tischszenen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Bücher und das Werk der Illustratorin. Aber immer wieder tauchen auch Kinder auf, die einsam und allein am Fenster, an der Tür oder wie auf dem Titel des autobiografischen Buchs einsam auf dem Bahnsteig stehen.

Traurig und tröstlich zugleich ist die Geschichte der „Brüder Löwenherz“. Ich habe sie vor zwei Jahren wiederentdeckt und wieder gelesen, als kurz nacheinander ein Freund und eine Freundin starben.

Meiner Tochter habe ich am liebsten die Geschichten von Lotta aus der Krachmacherstraße vorgelesen. Und als meine Enkelin neulich bei uns zu Besuch war, haben wir uns gemeinsam die alten Lotta-Filme angesehen und dann verschiedene Astrid-Lindgren-Bücher gelesen, die ich immer noch aufbewahre und in die ich immer wieder gerne hineinschaue.

Foto aus der Ausstellung. Die Rechte an den Zeichnungen liegen bei Ilon Wikland.

Dass Ilon Wikland ein Buch über ihre Kindheit in Estland und ihre Flucht nach Schweden gezeichnet hat, habe ich erst in der Ausstellung erfahren. Die Illustratorin, 1930 in Estland geboren, lebte nach der Trennung der Eltern bei ihren Großeltern in Haapsalu. Aus Furcht vor den Deportationen der Roten Armee schickte die Großmutter ihre erst 14 Jahre alte Enkelin 1944 allein nach Schweden. Dort wurde sie von einer Tante aufgenommen, besuchte die Schule und studierte anschließend an der Kunstakademie in Stockholm und in London. Seit den 1950er-Jahren arbeitete Ilon Wikland als Grafikerin für verschiedene Verlage und wurde von Astrid Lindgren entdeckt, die sie mit Probe-Illustrationen zu ihrem Kinderbuch „Mio, mein Mio“ beauftragte.

Inzwischen ist Ilon Wikland über 90 Jahre alt. Ihre Erlebnisse in der Kindheit in Estland, auf der Flucht nach und im Exil in Schweden hat sie in dem Buch „Die lange, lange Reise“ thematisiert und verarbeitet. Es ist laut Pressemitteilung des Wilhelm Busch Museums, „das einzige von ihr illustrierte Buch, bei dem es erst die Bilder und dann den Text gab“. Den Text dazu hat Rose Lagercrantz geschrieben.

Ich würde die Geschichte gerne lesen, denn die Zeichnungen in der Ausstellung haben mich wirklich beeindruckt. Doch leider ist das Buch derzeit vergriffen. Aber vielleicht findet sich ja ein Verlag, der es neu auflegt. Denn die Themen Panzer, Krieg, Flucht und Exil sind ja zurzeit leider aktueller denn je.

Nach Italien

Eigentlich stand Portugal in diesem Jahr ganz oben auf der Liste meiner Reiseziele. Doch dann war da diese Ausstellung im Landesmuseum Hannover, das sich seit einigen Jahren WeltenMuseum nennt.

„Nach Italien“*, so der verheißungsvolle Titel der Ausstellung, in der Bilder und Grafiken aus fünf Jahrhunderten gezeigt werden. „Seit der Renaissance machten sich junge Menschen auf in den Süden, zunächst vor allem Künstler und Adlige, seit dem 19. Jahrhundert auch Bürgerliche aus gehobenem Hause“, heißt es in der Pressemitteilung zur Ausstellung und: „Lange bevor der Massentourismus das Reisen zur Normalität machte“, war das Land, in dem die Zitronen blühen, für viele ein Traumziel, ein Sehnsuchtsort.

Auch für mich. Es muss Anfang der 60er Jahre gewesen sein, als meine damals noch unverheiratete Tante einen Urlaub in an der Adria verbrachte. Auf der Karte, die sie meinen Eltern schickte, war das Meer zu sehen. Ich hatte nicht gewusst, dass Wasser so blau und klar sein kann. Da wollte ich auch hin. Bis ich zum ersten Mal ans Meer – an die Nordsee – kam, sollten noch zehn Jahre vergehen. In Italien war ich zum ersten Mal, als ich längst erwachsen war. Und Rimini, das ich als Kind auf der Karte so bewundert hatte, hat mir im Gegensatz zu anderen italienischen Städten nicht gefallen. Mein letzter Italienurlaub liegt inzwischen schon Jahre zurück: 2015 bin ich mit meiner Tochter in den Cinque Terre gewandert – und habe darüber einen meiner ersten Blogbeiträge geschrieben (https://timetoflyblog.com/immer-am-meer-lang).

Im Foyer des Museums habe ich eine Schreibfreundin getroffen; ich kam, sie wollte gerade gehen. Beim Latte Macchiato im Museumscafe erzählte sie mir, dass sie im Sommer nach Venedig reisen möchte. Sie kennt die Lagunenstadt und ist begeistert von ihr. Auch ich möchte unbedingt einmal nach Venedig – trotz der Touristenströme, die die Stadt überschwemmen und die auch Donna Leon, Autorin der Brunetti-Krimis, längst in die Flucht geschlagen haben.

Nach Italien: 70 Gemälde, 15 Grafiken, eine Skulptur, ein Büste und 40 Münzen sind laut Pressemitteilung in der Ausstellung zu sehen; einige der Werke haben die Künstler auf ihren Bildungsreisen, die „Grand Tour“ hieß, gemalt, andere brachten von ihrer Reise Kunstwerke oder ganze Sammlungen mit; „ein Versuch, das ‚dolce vita‘ in der Heimat zu konservieren“.

Bei mir weckt die Ausstellung Sehnsüchte und Erinnerungen. Als ich vor den Bildern stehe, höre ich immer wieder die Stimme des Bootsführers, der uns über den Gardasee schipperte: „Malcesine, Malcesine“.

Natürlich bin ich damals in dem kleinen Ort ausgestiegen, in dem Goethe auf seiner italienischen Reise Station gemacht hat. Er wäre im September 1786 sogar fast verhaftet worden, als er die Ruine der alten Skaligerburg zeichnete: Malcesine lag nämlich damals an der Grenze zwischen der Republik Venedig und Österreich, die Einwohner befürchteten, dass der Fremde für den österreichischen Kaisers Josef II spionierte und mit seinen Zeichnungen einen Angriff auf die Republik Venedig vorbereiten sollte. Zu Goethes Glück ließen sich die Verantwortlichen von seiner Unschuld überzeugen. Ach ja, schön war’s am Gardasee.

Und dann war da noch – aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei – Elke Heidenreichs Buch „Ihr glücklichen Augen: Kurze Geschichten zu weiten Reisen“, dessen Titel sie übrigens aus dem zweiten Teil von Goethes Faust entliehen hat. Elke Heidenreich ist viel und weit gereist. Sie ist, so schreibt sie im Vorwort, auf allen fünf Kontinenten, in fast allen Metropolen der Welt gewesen. Über mehr als 30 Orte und Länder schreibt sie in ihrem Buch – besonders viele der beschriebenen Orte liegen in Italien. Das liegt sicher daran, dass Elke Heidenreich ein Opernfan ist – und Oper und Italien gehören ja irgendwie zusammen. Ich mag Opern nicht besonders und habe bislang nur ganz wenige gesehen, zwei davon im Amphitheater in Verona – ein wirklich unvergessliches Erlebnis.  

Verona kommt in Elke Heidenreichs Buch nicht vor, aber viele andere italienische Städte, die ich noch nicht kenne, Florenz zum Beispiel, Sienna, Pesaro und natürlich Venedig. „Man vergisst die erste Ankunft in Venedig nie“, lese ich auf Seite 163. Und auf der folgenden. „Gibt es irgendeinen künstlerisch fühlenden, denkenden, arbeitenden Menschen, der nicht wenigstens einmal in seinem Leben nach Venedig gereist ist?“ (Seite 164).

Also dann. Auf nach Italien. Auch wenn ich keine Künstlerin bin, ist es höchste Zeit, Venedig, Florenz und Co kennenzulernen. Portugal muss vorerst noch warten.

*Dieser Beitrag enthält unbezahlte Werbung

Die Ausstellung „Nach Italien. Eine Reise in den Süden“ ist noch bis zum 19. Februar im Landesmuseum Hannover zu sehen.

Elke Heidenreich: Ihr glücklichen Augen: Kurze Geschichten zu weiten Reisen. Hanser Literaturverlage, 2022, 26 Euro

Gelesene Bücher 2022

Der Blogbeitrag von Christof Herrmann (https://www.einfachbewusst.de/2022/12/gelesen-buecher-2022/) hat mich animiert, in diesem Jahr auch mal die Liste der von mir gelesenen Bücher zu veröffentlichen. Es waren 49, zehn weniger als im Jahr 2021.

Vor allem im Sommer, als ich an der Zeitschrift bildungSpezial gearbeitet habe, habe ich bei der Recherche zwar viele Fachartikel und Sachtexte, aber wenige Bücher gelesen. Und auch Bücher, in denen ich nur einzelne Texte oder Kapitel gelesen habe, zum Beispiel verschiedene Essaybände von Siri Hustvedt und Rebecca Solnit oder diverse Reiseführer, erscheinen nicht in dieser Liste.

Immerhin: Mein Ziel, ein Buch je Woche zu lesen, habe ich fast erreicht, obwohl ich das  eine oder andere Buch möglicherweise vergessen habe. Als ich diese Liste zusammengestellt habe, ist mir wieder einmal bewusst geworden, wie unzuverlässig ich gelesene Bücher notiere – und wie sehr sich meine Lese-Vorlieben verändert haben.

Jahrelang habe ich sehr viele Krimis gelesen – in diesem Jahr waren es nur drei. Die Bücher von Donna Leon lese ich, weil ich Familie Brunetti und Venedig mag; der dritte Krimi hat es auf die Liste geschafft, weil er in dem Ort spielt, in dem wir im Oktober zwei Wochen Urlaub gemacht haben: in Jokkmokk in Lappland. Zurzeit lese ich am liebsten autobiografische Bücher und/oder Essays – und ich bewundere jedes Mal aufs Neue, was die Essayistinnen alles wissen, wie viele und welche Bücher sie gelesen und verstanden haben. Um so belesen zu werden, müsste ich nicht nur viel mehr, sondern auch gezielter lesen. Aber ich bin, ich gebe es zu, eine unstrukturierte Leserin: Ich lese vor allem, was mir gefällt (https://timetoflyblog.com/die-unstrukturierte-leserin).

Anders als Christof Hermann vergebe ich keine Punkte für die gelesenen Bücher – denn eigentlich haben mir fast alle Bücher auf dieser Liste gefallen. Das liegt auch daran, dass ich Bücher, die mich nicht fesseln, nicht zu Ende lese, sondern angelesen zur Seite lege. Einige bekommen dann irgendwann eine zweite oder dritte Chance. So hatte ich mir Marion Braschs Buch „Aber jetzt ist Ruhe“ schon vor zwei Jahren einmal ausgeliehen. Jetzt beim zweiten Versuch hat es mir richtig gut gefallen.

Auch für Daniel Schreibers Essay Allein brauchte ich zwei Anläufe. Doch dann hat mich das Buch wirklich beeindruckt. Ulysses werde ich dagegen wohl nie zu Ende lesen. Ich habe pflichtschuldigst mehrere Leseversuche gestartet, den wohl allerletzten im Februar, als der Suhrkamp Verlag zum 100. Jubiläum der Erstausgabe und zum 140. Geburtstag von James Joyce 30 Tage lang jeden Morgen kurze Abschnitte aus dem ersten Teil des Romanklassikers verschickte. Nach einem Monat hätte man dann den ersten Teil komplett gelesen. (https://timetoflyblog.com/ulysses-haeppchenweise). Aber ich habe schon nach zwei Wochen aufgegeben.

Anita Brookner und Tove Ditlevsen habe ich erst in vergangenen Jahr entdeckt. Ihre Bücher „Ein Start ins Leben“ und die Kopenhagen-Trilogie stehen weit oben auf meiner Empfehlungsliste – und „Gesichter“ von Tove Ditlevsen und „Hotel du Lac“ von Anita Brookner auf meiner Leseliste für 2023.

Gelesene Bücher  2022

  1. Hans-Jürgen Ortheil: Ombra
  2. Dora Heldt: Drei Frauen, vier Leben
  3. Walter Tevis: Damengambit
  4. Katherine May. Überwintern
  5. Selene Marian: Ellis
  6. Simone de Beauvoir: Die Unzertrennlichen
  7. Sabine Bode: die vergessene Generation
  8. Erling Kagge: Gehen
  9. Sigrid Damm: Tage- und Nächtebücher aus Lappland
  10. Elke Heidenreich: Hier geht’s lang
  11. Maja Lunde: Als die Welt stehenblieb
  12. Roswitha Quadflieg: Über das Sterben meiner Mutter
  13. Nina Rigg: Die helle Stunde
  14. Sabine Bode: Nachkriegskinder
  15. Romalyn Tilghman: die Bücherfrauen
  16. Pascale Hugues: Mädchenschule
  17. Alena Schröder: Junge Frau, am Fenster stehend, blaues Kleid
  18. Ken Krimstedt: Die drei Leben der Hannah Arend (Graphic Novel)
  19. Tove Ditlevsen: Kindheit
  20. Tove Ditlevsen: Jugend
  21. Tove Ditlevsen: Abhängigkeit
  22. Eva Schmidt: Die untalentierte Lügnerin
  23. Alice Walker: Die Farbe Lila
  24. Alice Walker: Beim Schreiben der Farbe Lila
  25. Deborah Levy: Was das Leben kostet
  26. Bettina Flitner: Meine Schwester
  27. Donna Leon: Himmlische Juwelen
  28. Uta Scheub: Das falsche Leben: Eine Vatersuche
  29. Meike Scharff: Laufet, so werdet ihr finden: Meine Reise auf dem Jakobsweg
  30. Mason Currey: Mein kreatives Geheimnis sind bequeme Schuhe
  31. Anita Brookner: Ein Start ins Leben
  32. Ein glückliches Leben
  33. Bas Kast: Das Buch eines Sommers
  34. Veronika Peters: Das Herz von Paris
  35. Brigitte Helbling: Meine Schwiegermutter, der Mondmann und ich
  36. Simone de Beauvoir: Ein sanfter Tod
  37. Annie Erneaux: Eine Frau
  38. Marion Brasch: Aber jetzt ist Ruhe
  39. John Strelecky: Überraschung im Café am Rande der Welt
  40. Klara Nordin: Septemberschuld
  41. Djaili Amadou Amal: Die ungeduldigen Frauen
  42. Donna Leon: Milde Gaben
  43. Jürgen Becker:  Die folgenden Seiten. Journalgeschichten
  44. Katharina Hacker: Darf ich dir das Sie anbieten
  45. Daniel Schreiber: Allein
  46. Deborah Levy: Was ich nicht wissen will
  47. Thea Dorn: Trost
  48. Zoe Beck: Depression
  49. Mariana Leky: Kummer aller Art

Darf ich dir das Sie anbieten?

Auf der Suche nach einem anderen Buch entdeckte ich im Freihandbestand der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek zufällig ein schmales Büchlein von Katharina Hacker. Ich musste es mit nach Hause nehmen, nicht nur, weil ich die Autorin mag und gerne Essays lese, sondern weil der Titel mir aus dem Herzen sprach: „Darf ich Dir das Sie anbieten?“.*

Nun habe ich eigentlich überhaupt nichts gegen das Duzen. Im Gegenteil. Ich – Nach-68erIn – bin in einer Zeit groß geworden, in der sich selbst Erwachsene, die sich lange und recht gut kannten, oft mit Sie ansprachen. Die Eltern meiner SchulfreundInnen oder gar LehrerInnen zu duzen, wäre mir und anderen Kindern nie in den Sinn gekommen. Als ich erwachsen wurde, änderte sich das allmählich. Und weil es schien, als würden mit dem Sie irgendwie auch ein bisschen die verstaubten Traditionen und verkrusteten Hierarchien der 50er- und 60er-Jahre über Bord geworfen, machte ich, wie viele meiner Generation, gerne beim Duzen mit.

Allerdings habe ich nicht alle und jeden geduzt: Zu den Bekannten meiner Eltern habe ich bis zuletzt „Sie“ und Herr oder Frau xy gesagt, einen früheren Lehrer und Trainer habe ich so lange gesiezt, bis er mir irgendwann das du angeboten hat. Und auch manchen Gleichaltrigen blieb ich beim Sie – und auf Distanz. Meist zu Recht, wie sich im Nachhinein herausstellte.

Dass ich, inzwischen auf die 70 zugehend, von Jüngeren geduzt werde, ist für mich im Allgemeinen kein Problem: Von KollegInnen zum Beispiel, mit denen ich zusammenarbeite, von Menschen, mit denen ich zusammen Sport treibe oder mit denen ich gemeinsam schreibe. Aber wenn mich wildfremde Menschen mit du ansprechen oder anschreiben, fremdle ich zugegebenerweise immer häufiger. Dem Marketing-Menschen, der mich fragt: „Hast du unsere Weihnachtspost gelesen“ und der mich auffordert „lass deine Lieben gewinnen“, möchte ich antworten: „Kenne ich Sie? Sind wir miteinander in die Schule gegangen“. Und ein Los kaufe ich von jemand, der so tut, als seien wir befreundet, obwohl wir uns gar nicht kennen, gewiss nicht.

Ich bin offenbar nicht die einzige, die die „Inflation des Duzens“ nervt. Mit demBeitrag auf dem Blog Alltägliches + Ausgedachtes – nebenbei bemerkt einer der wenigen Blogs, die ich fast immer lese – landete heute Morgen ein Link zu einer wie der Autor schreibt „lesenswerten Kolumne im General-Anzeiger zum allüberall grassierenden Duz-Zwang“ in meinem E-Mail-Postfach.

Ich konnte die Kolumne von Ulrich Bumann lesen, weil sie mir „von einem Abonnenten empfohlen“ wurde. Ob der Link auch bei einer Empfehlung der Empfehlung funktioniert, wird sich zeigen, wenn dieser Beitrag online ist.

Die Kolumne ist wirklich lesenswert, ebenso wie die Minutenessays von Katharina Hacker. Das Buch „Darf ich dir das Sie anbieten“ ist im Berenberg Verlag GmbH erschienen und kostet 18 Euro.

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Besser spät als nie

Wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben. Auch wenn der kürzlich verstorbene Michail Gorbatschow diesen Satz angeblich so nie gesagt hat, stimmt er.

Eigentlich wollte ich schon im Juni in den Stadtpark von Hannover fahren, um mir den Rosengarten anzusehen. Anfang der Woche habe ich es endlich geschafft – doch die meisten Rosen sind inzwischen verblüht. Und die wenigen noch blühenden Rosen lassen mich ahnen, was ich versäumt habe.

150 verschiedene Rosensorten soll es im Stadtpark geben – alte Sorten ebenso wie neue Züchtungen. Und anders als im Großen Garten der Herrenhäuser Gärten führen die Wege direkt an den Rosenbeeten vorbei. Frau kann also die verschiedenen Sorten nicht nur ganz aus der Nähe betrachten, sondern auch ihre Nase überall hineinstecken – und so ihre Lieblingsrose finden. Schilder und ein Rosenstammbaum verraten, wie die Rosen heißen und wo welche Rose zu finden ist.

Gottfried Benn hätte sicher an dem Rosengarten seine Freude gehabt. Denn der Dichter war ein großer Rosenfan; Rosen kommen in seinen Gedichten so oft vor, dass seine Frau Ilse ihm angeblich verbot,noch in einem Gedicht das Wort Rosen zu verwenden – schade, es ist ein so schönes Wort“, berichtete er seinem Freund, den Bremer Kaufmann F. W. Oelze (Briefe an F. W. Oelze 3,46, zitiert nach Eberhard Schmidt: „Der maßlose Rosenbedichter Gottfried Benn. Eine kleine florale Beckmesserei“ https://www.eberhard-schmidt.de). Gehalten hat sich Benn an das Verbot allerdings nicht.

Den Stadtpark von Hannover hat Gottfried Benn häufig besucht, als er in Hannover lebte. „Fast jeden Abend“, schrieb er am 17. Juli 1935 an F.W, Oelze, sei er in der an den Stadtpark grenzenden Stadthalle, seiner „neuesten Schwärmerei. Links Wein, r. Bier Terrasse, in der Mitte eine Kapelle, wenig Menschen, vor einem ein bisher völlig unveränderliches Gemälde: ein Bassin mit 2 Schwänen, eingefasst von Alleen u. Blumenbeeten, in die Ferne sich verlierend, weiträumige Perspective, jeden Abend atme ich auf, wenn ich mich niederlasse“ ( zitiert nach „Stadtpark Hannover“, S. 9, Downloads/Stadtpark-Hannover.pdf).

Den Rosengarten gab es allerdings in den 1930er-Jahren noch nicht, und vielleicht ist deshalb das wohl bekannteste Gedicht der sogenannten Stadthallen-Elegien, die Benn auf der Rückseite von Speisekarten der Stadthalle Hannover schrieb, den Astern gewidmet (https://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Benn). Rosen kommen immerhin in einem anderen Gedicht dieses Zyklus, im „Tag, der den Sommer endet“, vor.

Der Rosengarten im Stadtpark wurde erst angelegt, als im Jahr 1951 dort die erste Bundesgartenschau stattfand. 130 neue Rosensorten wurden gepflanzt. Damals entstand auch der Wassergarten mit mehreren miteinander verbundenen Becken. Sie blieben, wie auch Sandsteinwege und -mauern, Rosen-Café, Rosengarten mit Pergola und Strohdachpavillon, seit Anfang der 50er-Jahre weitgehend unverändert und sind heute Gartendenkmal – eines, das zum Bleiben einlädt.

Der japanische Teegarten wurde dagegen erst 1996 angelegt – von den Grünflächenämtern der Partnerstädte Hiroshima und Hannover. Auch das Teehaus ist ein Geschenk der Stadt Hiroshima. Es darf, anders als der Teegarten, nur von den Gästen der Teezeremonien betreten werden, die hier abgehalten werden.

Der Teeweg: Trittsteine geben die Schrittlänge vor

Vielleicht melde ich, bekennende Kaffeetrinkerin, mich irgendwann einmal für eine Teezeremonie an, um innere und äußere Reinheit und Erleuchtung zu erfahren. Oder ich beschreite beim nächsten Stadtpark-Besuch zumindest den „Teeweg“, auf dem die Besucher Ruhe finden sollen. Auf jeden Fall werde ich wiederkommen – die Rosenblüte im nächsten Jahr werde ich sicher nicht verpassen.

Übrigens: Wer die beiden Gedichte von Gottfried Benn lesen möchte, findet sie unter

https://www.deutschelyrik.de/astern.html

https://www.deutschelyrik.de/tag-der-den-sommer-endet-1935.html

Die Farbe Lila

Lila ist meine Lieblingsfarbe, und so ist es sicher nicht kein Zufall, wenn in unserem Garten derzeit Lila in den verschiedensten Nuancen dominiert.

Denn wenn immer ich bei neuen Pflanzen die Wahl habe, entscheide ich mich für eine aus dem Pink-lila-Farbspektrum. Beim Storchenschnabel zum Beispiel, bei der Hecken- oder bei der Künstlerrose, die mir nicht nur wegen ihres Dufts, sondern auch wegen der interessanten Farbkombination gefallen hat. Mein absoluter Rosenliebling ist und bleibt aber Rhapsody in Blue, anders als der Name es sagt, nicht blau, sondern lila blüht und ebenfalls wunderschön duftet.

Auch Lavendel steht auf der Liste unserer Lieblingspflanzen weit oben – und wächst deshalb überall in unserem Garten. Irgendwann im Sommer werde ich die Blüten pflücken, zu kleinen Sträußchen zusammenbinden und in den Zimmern verteilen oder in kleine Säckchen abfüllen, damit der Duft die Motten abschreckt.

Strauchbasilikum, Schnittlauch und Salbei blühen nicht nur lila, sondern landen auch auf unseren Tellern oder in unseren Tassen.

Das empfiehlt sich beim Fingerhut nicht, denn der ist leider giftig. Schon zwei bis drei getrocknete Blätter können für Erwachsene tödlich sein, bei Kindern genügen schon kleinere Mengen. Als unsere Tochter klein war und oft Kinder in unserem Garten spielten, haben wir die Fingerhüte aus unserem Garten verbannt. Das haben sie uns sehr übel genommen und es hat zweieinhalb Jahrzehnte gedauert, bis sie wieder zurückgekehrt sind. Doch jetzt fühlen sie sich hier sehr wohl, sind gern gesehen und dürfen bleiben, ebenso wie die Dreimasterblume. Deren einnehmendes Wesen zwingt mich zwar manchmal , ihrer Expansion Einhalt zu gebieten. Doch missen möchte ich sie in meiner Sinfonie in Lila nicht.

PS: Beim Nachdenken über diesen Blogbeitrag kam mir der Roman von Alice Walker in den Sinn, den ich schon lange wieder einmal lesen wollte. Das habe ich getan, und wie vor Jahren hat mich auch diesmal die Geschichte von Celie in ihren Bann gezogen. Auch den Essayband „Auf der Suche nach den Gärten unserer Mütter/Beim Schreiben der Farbe Lila“, der schon lange in meinem Regal steht, habe ich endlich gelesen. Seither denke ich, überzeugte Feministin, über einen Satz im Vorwort nach: „Womanist (ein Begriff, der für Alice Walker offenbar programmatische Bedeutung hat) ist im Vergleich zu feministisch wie lila zu lavendel.“ Mir gefällt beides.