Efeufreie Zone

So früh wie in diesem Jahr hat die Gartensaison bei uns noch nie begonnen. Am vorletzten Wochenende bin ich noch durch den kniehohen Schnee gestapft, ein paar Tage später habe ich in unserem Garten die erste Primel und die ersten Schneeglöckchen entdeckt.

Die Schneeglöckchen hatten sich unter einer dicken Efeu-Schicht versteckt, die das schmale Beet zwischen Einfahrt und dem Nachbargrundstück bedeckt hatte. Jahrelang durfte sich der Efeu dort ungehindert ausbreiten. Jetzt erobere ich das Beet zurück.

Mein Mann hatte in der vorletzten Woche damit angefangen, ich mache weiter: Ich lege mit Harke und Grubber Zentimeter für Zentimeter den Boden frei, grabe die Efeuwurzeln aus und ziehe sie aus dem Boden. Dabei muss ich immer wieder an Kaspar Klaffke und Gesa Klaffke-Lobsien* denken, die, anders als ich, richtige Gartenexperten sind: In ihrem wunderschönen Garten in Hannover gibt es unzählige Pflanzen, nur der Efeu hat absolutes Gartenverbot, eben weil er ein so einnehmendes Wesen hat.

Ein Beetverbot lässt sich in unserem Garten gewiss nicht auf die Schnelle durchsetzen. Denn während ich mich langsam bis zum Ende des schmalen Beets vorarbeite, breiten sich am Anfang vom brachliegenden Nachbargrundstück wieder neue Ranken auf unser Grundstück aus. Aber ich weiß von meinem Kampf gegen Efeu und Giersch auf den anderen Beeten, dass es sich auszahlt, hartnäckig zu bleiben.

Was künftig in dem neugewonnenen Beet wachsen soll, weiß ich indes noch nicht genau –  ich mache meinem Ruf als Chaosgärtnerin alle Ehre und habe (noch) keinen genauen Plan. Aber am Zaun entlang möchte ich Sträucher pflanzen, Himbeeren zum Beispiel, Stachelbeeren und Holunder, und davor Kräuter. Ich liebe Kräuter und möchte in diesem Jahr endlich lernen, Wild-, Heil- und andere Kräuter zu erkennen, zu unterscheiden und zu nutzen. Rund zwei Dutzend Kräuter sind schon jetzt in unserem Garten zu Hause: von Ananassalbei über Bärlauch, den richtigen Salbei und Waldmeister bis zu Zitronenmelisse, -thymian und zur -verbene. Doch es sollen mehr werden. Und vielleicht wird irgendwann aus der Chaosgärtnerin eine annehmbare Kräuterfrau.

 

Ich weiß natürlich, dass auch Efeu (Hedera helix) eine Heil- und Arzneipflanze ist: In der Antike wurden Blätter, Früchte und Wurzeln – innerlich und äußerlich – vor allem als Schmerzmittel u. a. bei gegen Ohren-, Kopf- und Zahnschmerzen, Menstruationsbeschwerden, Fieber und Brandwunden eingesetzt. Heute kommen vor allem Efeublätter bei akuten Entzündungen und Erkrankungen der Atemwege und bei Keuchhusten zum Einsatz – die sogenannten Saponine wirken schleim- und krampflösend und töten Keime ab.

An den Zäunen darf er ranken, nur die Beete sollen efeufreie Zone werden.

All denen, die jetzt um meine Gesundheit fürchten, sei’s gesagt. Auch wenn ich Efeu zurzeit säckeweise aus unserem Beet entferne, muss ich bei der nächsten Erkältung nicht dauerhustend durch die Gegend laufen. In unserem Garten wächst immer noch genügend Efeu, um nicht nur mich, sondern den halben Ort mit den schleimlösenden Saponinen zu versorgen.  Denn an den Zäunen darf der Efeu weiter ranken, nur den Boden erkläre ich zur efeufreien Zone.

Dieser Beitrag enthält unbezahlte Werbung.

Der Garten von Gesa Klaffke-Lobsien und Kaspar Klaffke kann im Rahmen der Offenen Pforte in der Region Hannover besichtigt werden. Viele Bilder aus dem Garten enthält ihr Buch: Gartenleben in der Alten Gärtnerei. zu Klampen Verlag Hannover. In ihrem Buch beschreiben sie auch, wie aus einer alten Friedhofsgärtnerei ein kleines Gartenparadies in der Großstadt wurde.

Neue Blickwinkel: Springhorstsee und Pöttcherteich

Auf der Suche nach neuen Blickwinkeln für das Jahr, das ja gar nicht mehr so neu ist, bin ich – natürlich – wieder am Wasser gelandet, diesmal am Springhorstsee, dem kleinen Badesee bei Großburgwedel. Er ist, wie viele Seen in der Gegend, Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre beim Bau der A 7 entstanden, die ganz in der Nähe verläuft. Wenn viel los ist, beginnt hier der Stau nach Hamburg. Aber ein kleines Wäldchen schirmt den Springhorstsee ab, sodass man von der vielbefahrenen Autobahn kaum bis gar nichts hört.

Der See ist nicht nur etwas größer als der Würmsee, den ich im vergangenen Jahr aus immer den gleichen Blickwinkeln fotografiert habe, sondern viel tiefer: An der tiefsten Stelle sollen es 7,50 Meter sein. Man kann hier nicht nur schwimmen …

Blick vom Badestrand über den See

sondern auch angeln …

Ein Karpfen, natürlich nicht selbst geangelt. Es gibt noch viel größere, sagt der Angler, der ihn herausgezogen hat.

… mit einem Schwan über den See fahren …

… und am Ufer entlanggehen. Der Blick auf das Café, das gerade renoviert wird, ist in diesem Jahr mein Blickwinkel Nummer eins.

Frida am See. Das Café mit dem verheißungsvollen Namen eröffnet im April, so Corona es will.

Von der Terrasse und dem kleinen Strand vor dem Café hat man den See und die kleine Insel im Blick, mit einem unechten Schäfer und ebenso unechten Schafen – mein Blickwinkel Nummer zwei. Hier werde ich ab dem Frühjahr sicher öfter sitzen. Denn schon der Name des neuen Cafés ist verheißungsvoll: Frida am See. Und wenn das Café-Restaurant nicht nur auf seiner Facebookseite mit Frida Kahlo wirbt, hat es sicher Potenzial, mein Lieblingscafé zu werden.

Kleine Insel im kleinen See

Auch den neuen Pöttcherteich will ich in diesem Jahr aus immer dem gleichen Blickwinkel fotografieren, und zwar mit der Weide am Wegrand bzw. am Ufer. Weiden faszinieren mich immer wieder aufs Neue. Wenn sie zurückgeschnitten wurden, befürchte ich alle Jahre wieder, dass sie sich vom Radikalschnitt nicht erholen, sondern kahl bleiben. Doch im Sommer sind sie dann wieder grün wie eh und je.

Biotop mit Weide

Zu dem kleinen Teich am Ortsrand, der eigentlich ein Vorfluter ist, gehe ich übrigens am liebsten am späten Nachmittag oder abends, wenn die Sonne hinter dem See verschwindet. Dann sieht man hier oft Reiher, die im flachen Wasser ihr Abendessen aufschnabeln, im Sommer ist auch gelegentlich ein Storch hier zu Gast. Doch bis der wiederkommt, werden wohl noch einige Monate vergehen.

Übrigens:

Erfunden hat das Projekt 1 Blickwinkel – 12 Monate Tabea Heinicker, Eva Fuchs führt die Fotoaktion seit einigen Jahren auf ihrem Blog (https://evafuchs.blogspot.com/search/label/12telBlick) und auf ihrer Instagram-Seite (@verfuchst.insta) fort. Eva Weinig (http://meine-gartenzeit.de) hat die Idee aufgegriffen und mich inspiriert: Und wie im vergangenen Jahr werde ich auch in diesem Jahr auch unseren Garten jeden Monat aus den gleichen Blickwinkeln fotografieren. Die Gartenfotos veröffentliche ich im Blog Chaosgaertnerinnen (https://chaosgaertnerinnen.de).

Silvestergedanken

Das Jahr ist fast zu Ende und fast kann es einem leid tun. Keiner mag es, so scheint es, und alle können kaum erwarten, dass es endlich um 12 der letzte Schlag trifft. Als ob sicher wäre, dass im neuen Jahr alles besser wird.

2020 wird den meisten in keiner guten Erinnerung bleiben. Es ist und bleibt vermutlich das COVID-19-Jahr. Nicht wenige vergleichen Corona mit der Pest, die vor allem im 14. Jahrhundert in Europa wütete. Ich möchte die Gefahr durch das Virus gewiss nicht kleinreden, aber ich finde, der Vergleich hinkt ein wenig, Denn an der Pest starben viel mehr Menschen und die meisten hatten – anders als wir heute – keine Chance, sich vor der Krankheit zu schützen. Einen Impfstoff gibt es inzwischen auch – er wurde in unfassbar kurzer Zeit entwickelt. Doch manche Menschen halten ihn scheinbar für gefährlicher als die Corona selbst. Andere sehen ihre Freiheit bedroht, weil sie einen Mund-Nasenschutz tragen müssen – und demonstrieren dagegen, leider meist zusammen mit Rechtsradikalen, Antisemiten und Faschisten. Vor dieser Mischung fürchte ich mich fast mehr als vor COVID-19: Werden wir die rechten Geister, die manche Covidioten vielleicht ohne es zu wollen stark machen, wieder los? Ich hoffe es sehr.

Natürlich, das Virus hat unser Leben durch Lockdowns, Homeoffice, Ausgangs-, Reise- oder Kontaktbeschränkungen drastisch verändert. Und natürlich ist auch mein Leben in diesem Jahr anders verlaufen, als ich es mir vorgestellt habe. Was ist also aus all dem geworden, was ich mir am Neujahrsmorgen, ganz fest vorgenommen hab?“, wie Reinhard Mey in seinem Lied 71 einhalb fragt. Einiges ist sicher anders gelaufen, als ich es geplant habe, aber das ist eigentlich jedes Jahr so. „Die meisten guten Vorsätze vom Jahresanfang habe ich leider nicht in die Tat umgesetzt“, habe ich vor einem Jahr geschrieben.

Die gute Nachricht zuerst: Ich habe so viele Bücher gelesen (durchschnittlich eins pro Woche) und sogar mehr Blogbeiträge geschrieben, als ich mir vorgenommen hatte: 38 waren es in diesem, 25 in meinem zweiten Blog (chaosgaertnerinnen.de; könnt ihr gerne abonnieren, kostet auch nix. Ende des Werbeblocks). Das liegt sicher auch daran, dass ich weniger gearbeitet habe als in den vergangenen Jahren. Vorgenommen hatte ich mir das schon lange; jetzt sind bei mir, wie bei vielen meiner Kolleginnen und Kollegen Aufträge weggebrochen und mir blieb keine andere Wahl. Nein, ich habe keinen Grund, über coronabedingte Einschränkungen zu jammern, es wäre jammern auf sehr hohem Niveau.

Die Aktion 12 Monate ein Blickwinkel habe ich auf beiden Blogs fast durchgehalten – und ich will sie im nächsten Jahr mit anderen Blickwinkeln fortsetzen. Denn ich fand es interessant zu dokumentieren, wie sich der Würmsee in einem Jahr verändert hat. Leider nicht zum besten,denn er ist fast verlandet.

Der begehbare Pegel am Würmsee reicht nicht mehr aus

Verwunderlich ist das ist nicht: Einem Artikel in der Nature-Zeitschrift Communications Earth & Environment zufolge sinken infolge der menschengemachten Klimakrise sogar die Pegel großer Binnengewässer wie des Kaspischen Meers. Ein Minisee wie der Würmsee hat da wohl keine Chance.

Der Umwelt hat das Coronavirus mehr geholfen als geschadet – weil die Menschen weniger gereist sind und weil weniger produziert und konsumiert wurde, ist der CO2 Ausstoß gesunken. Und manches CO2-Einsparziel lässt sich dadurch auf wundersame Weise erreichen.

Irgendwie empfinde ich es fast als Ironie des Schicksals, dass das Coronavirus, oder SARS-CoV-2, wie es offiziell heißt, vermutlich von Fledermäusen und auf den Menschen übergesprungen ist. Die Fachleute sind sicher, dass die Zoonosen zunehmen werden – zum einen, weil viele Wildtiere in den Siedlungsräumen der Menschen näher kommen, da wir ihre Lebensräume zerstören, zum anderen, weil auch der Handel mit exotischen Tieren kein Ende, sondern eher zunimmt. Vielleicht schlägt die Natur auf diese Art zurück, schafft uns Menschen langsam, aber sicher ab.

Apropos Reisen: Auch ich bin natürlich weniger gereist, als ich es mir vorgenommen habe. Dass ich wieder nicht in Amsterdam war und immer noch nicht in Stockholm und Kopenhagen, ist zwar schade, kann ich aber verschmerzen. Dafür habe ich den Harz wandernd entdeckt (danke Foe für viele tolle Touren). Warum also immer in die Ferne schweifen. Dass teilweise zu viele Menschen auf diese Idee kommen, ist die Kehrseite der Medaille, und leider reisen die meisten nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln an.

Die Aktion „Fliegende Wörter“ habe ich abgebrochen: Zur Erinnerung: Ich wollte jede Woche ein Gedicht aus dem gleichnamigen Postkartenkalender verschicken. Aber mit dem Versuch, einen passenden Adressaten zu finden, bin ich kläglich gescheitert – und das lag vielleicht nicht nur an mir, sondern auch an den Gedichten. Eine Postkarte ist fast ungelesen im Papierkorb gelandet, weil der Empfänger sie für eine Werbung hielt. Und als dann noch eine ehemalige Deutschlehrerin sagte, sie könne mit dem Gedicht, das ich ihr geschickt hatte, leider gar nichts anfangen, habe ich die Aktion aufgegeben. Nicht aber die Gedichte: Seit über einem Monat lese ich jeden Abend eins vor dem Einschlafen und ich muss sagen – es gefällt mir. Möglicherweise werde ich in diesem Blog im nächsten Jahr also (noch) häufiger über Gedichte schreiben – nicht über eigene, versprochen.

So bin ich auch auf ein Gedicht von Erich Kästner, das wunderbar zu diesem Monat passt. Kein Wunder, es heißt ja auch Dezember. Und vor allem die erste Strophe gefällt mir gut.

„Das Jahr ward alt. Hat dünne Haar.
Ist gar nicht sehr gesund.
Kennt seinen letzten Tag, das Jahr.
Kennt gar die letzte Stund.“

Apropos letzte Stund. Die Stunden, in denen Donald Trump noch Präsident der Vereinigten Staaten ist, sind glücklicherweise gezählt. Dass er im November abgewählt wurde, war für mich die gute Nachricht des Jahres, das in ein paar Stunden endet.

Kommt gut ins neue Jahr. Und bleibt gesund.

Erich Kästners Gedicht ist abrufbar unter

https://www.deutschelyrik.de/der-dezenber.html

Was für ein schöner Morgen. Blick aus dem Fenster meines Homeoffice

Garten im Dezember

Gartenblicke zum zwölften – zum letzten Mal in diesem Jahr. Der Garten zeigt sich, dezemberüblich, ziemlich kahl und trist. Die Laubbäume haben alle Blätter abgeworfen, wie in jedem Jahr. Aber bei der Eberesche stelle ich mir die bange Frage, ob sie nächstes Jahr wieder grün wird. Ich hoffe es, schließlich ist sie mein Lieblingsbaum.

Zwar wächst hinterm Teich am Zaun zum Nachbarn eine neue Eberesche nach. Doch bis sie groß ist, werden noch einige Jahre vergehen.

Auch auf der Terrasse ist es leer geworden: Die Zimmerpflanzen stehen wieder im Haus beziehungsweise im Wintergarten. Im Kräuterbeet blüht immer noch der Ananassalbei …

… und im runden Rosenbeet noch einige Rosen und eine Etage tiefer die Christrosen – ganz in Weiß.

Dem Gartenzwerg habe ich zu Weihnachten einen roten Umhang spendiert, damit er nicht friert, wenn es morgen wirklich kälter wird, und eine kleine Laterne, damit er auch in den längsten Nächten des Jahres lesen kann.

Würmsee im Dezember

Seit Februar fahre ich regelmäßig zu dem kleinen See bei Kleinburgwedel, um ihn aus immer den gleichen Blickwinkeln zu fotografieren. Selten habe ich so viele Menschen hier gesehen. Wenn die Läden geschlossen sind, zieht’s die Menschen in die Natur: Seespaziergang statt Shopping. Leider kommen die meisten mit dem Auto statt mit dem Fahrrad; der kleine Parkplatz ist voll, die Fahrradständer sind dagegen fast leer.

Der See hat sich seit Anfang des Jahres verändert, aber das passt ja zu dem Jahr, in dem sich unser Leben so drastisch verändert hat. Nur dort, wo der Rundweg um den See beginnt und endet, scheint die Seewelt noch halbwegs in Ordnung.

Weil der Seeboden dort tiefer ausgebaggert wurde, gibt es dort noch eine – die einzige – zusammenhängende Wasserfläche. Aber sie bedeckt nicht einmal ein Viertel der Seefläche, sie reicht gerade mal bis zu dem Steg, auf dem die Badende sitzt. Vielleicht steigt sie doch noch mal herab und nimmt ein Bad. Es könnte die letzte Gelegenheit sein.

Normalerweise steigt der Wasserspiegel in den Herbst- und Wintermonaten wieder, der See erholt sich nach den trockenen Sommermonaten.  Doch jetzt ist er bis auf wenige Wasserlöcher ausgetrocknet – und das wird sich wohl auch nicht mehr ändern. Zu tief ist der Grundwasserspiegel rund um den See gesunken; geregnet hat es in den letzten Monaten nur selten: Wasser in den See zu pumpen wäre, als schütte man es in ein Fass ohne Boden oder in eine Badewanne, aus der der Stöpsel gezogen wurde.

Das Boot auf der gegenüberliegenden Seeseite erreicht man inzwischen auch ohne Steg trockenen Fußes. Und einige Spaziergänger gehen nicht wie gewohnt um den See, sondern durch den See.

Die tierischen Ureinwohner – Torffresser, Fuchs, Hase, Kröte, Eisvogel und Reiher – lassen sich dadurch scheinbar nicht aus der Ruhe bringen. Sie harren an ihren Plätzen aus, denken sich wahrscheinlich nur den Teil. Ihre lebenden Verwandten haben den See verlassen. Ob sie wohl wiederkommen im nächsten Jahr, an den See, der kein See mehr ist?

Ich werde es beobachten, wenn ich den See im neuen Jahr fotografiere – jeden Monat, aus neuen Blickwinkeln.

Im Nebel

Fast zwei Monate sind seit der Wanderwoche in der Sächsischen Schweiz vergangen, gewandert bin ich seitdem nicht mehr. Im norddeutschen Flachland beschränke ich mich derzeit auf Spaziergänge. Doch weil wir ohnehin in den Harz mussten, habe ich das Angenehme mit dem Nützlichen – sprich einer Halbtageswanderung – verbunden.

Anders als an den Tagen zuvor versteckte sich die Sonne hinter dichtem Nebel, doch auch der hat seinen Reiz. Es war, als sei die Welt in Watte gehüllt und die Farben aus ihr verschwunden. Unsere Jacken und mein blau-grüner Rucksack waren die einzigen Farbtupfer im herbstlich-nebeligen Braun-Grau.

Wanderin im Nebelwald. Foto: Foe Rodens

Und es war still, sehr still. „Im Nebel ruhet noch die Welt,/Noch träumen Wald und Wiesen“, dichtete Eduard Mörike 1838. Der Wald wirkte geheimnisvoll, fast mystisch: Wären zwischen den Nebelschwaden Elfen, Hexen oder andere Fabelwesen aufgetaucht oder wären die Bäume wie die Ents, die Baumwächter, und die Huorns, die Baumgeister, in Tolkiens Herr der Ringe zum Leben erwacht, hätte ich mich nicht gewundert.

Und auch Hermann Hesses Gedicht „Im Nebel“, kam mir in den Sinn, von dem ich nur noch die erste Zeile kannte: „Seltsam, im Nebel zu wandern“. Doch dank world wide web war es kein Problem, mitten im Wald das Gedicht auf dem Smartphone abzurufen und meiner Begleiterin vorzulesen. Wir hatten unterwegs nur wenige Menschen getroffen, doch passend zur letzten Strophe tauchte, just als ich mit dem Vorlesen fertig war, aus dem Nebel ein einsamer Wanderer auf. Ob er das Gedicht gehört hatte, weiß ich nicht, ebenso wenig, ob er einsam war – er schaute auf jeden Fall ein bisschen irritiert.

Die Sonne haben wir übrigens auch noch gesehen: Zwar hat sich der Nebelschleier – anders am von Mörike beschriebenen Septembermorgen – nicht ganz gelichtet. Schließlich ist es ja auch schon Ende November. Aber die Sonne blinzelte mittags gelegentlich hervor und gab zum Beispiel den Blick auf die Rabenklippen frei. Die vielen abgestorbenen Fichten im Tal blieben indes unseren Blicken weitgehend verborgen, gnädig eingehüllt vom Nebel.

Es hat also auf jeden Fall seinen Reiz, im Nebel zu wandern.

Wer das Gedicht von Hermann Hesse nachlesen will, findet es unter

https://www.lyrikline.org/de/gedichte/im-nebel-5490

Eduard Mörikes Gedicht „Septembermorgen“ ist abrufbar unter

http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/moerike_gedichte_1838?p=52

Würmsee im November

Die Meteorologen prophezeien schlechtes Wetter. Und bevor der Novemberfrühling – der gefühlte Frühling im Herbst – endet, fahre ich mit dem Rad zum Würmsee, um meine Chronistenpflicht zu erfüllen und den See, der eigentlich keiner mehr ist, aus immer den gleichen Blickwinkeln zu fotografieren.

Ein wenig Wasser mehr ist da als bei meinem letzten Besuch vor gut zwei Wochen, so scheint es. Oder wirkt alles nur viel freundlicher, weil heute die Sonne scheint? Denn auch dieser Sonntag macht seinem Namen alle Ehre; die herbstlich gelben Blätter leuchten im Sonnenlicht. So macht November Spaß.

Auch die Badende genießt das ungewöhnlich schöne Wetter. Ich leiste ihr ein bisschen Gesellschaft: Ich mache es mir auf einer der beiden Holzliegen bequem – allerdings nicht im Badeanzug, sondern im Anorak – und lege eine Schreibpause ein. Wie oft kann man das schon Mitte November? Auf einen Kaffee muss ich verzichten; die Gaststätte am Seeufer ist geschlossen – nicht nur, weil die Saison vorbei ist, sondern vielleicht für immer.

Den Torffressern geht das frische Grün allmählich aus – das Gras um sie herum ist herbstlich braun und die Bäume sind fast kahl. Aber sie haben keine Angst vor dem bevorstehenden Winter. Denn sie haben ihre Schaufeln, mit denen sie nach Nahrung graben können, immer dabei. Torf werden sie aber nicht mehr finden. Der Torf ist längst abgebaut und auch die Moore gibt es nicht mehr. Die Landwirte haben das Land ringsum entwässert – und damit ungewollt auch den Würmsee.

Das Boot – im Sommer mein Lieblingsplatz – lädt nicht mehr zum Verweilen ein: zu trostlos der Anblick auf den fast wasserlosen See. Grün- und Matschfläche statt Wasserfläche.

Die fünf von der Bank stört es nicht. Vielleicht nutzen sie die Gelegenheit, abends, wenn alle Besucher verschwunden sind, auf dem kürzesten Weg, quer durch den See, zum gegenüberliegenden Ufer zu gehen und dort ihre Freunde, die Torffresser, zu besuchen.

Die Blechmenagerie

Nachdem ich die vertrockneten Stengel und Blüten der Stauden abgeschnitten habe, kommt  auch meine Blechmenagerie wieder zum Vorschein. Die Figuren sind im Laufe der Jahre in unseren Garten eingewandert  und haben sich auf den verschiedenen Beeten verteilt.

Die Eidechse war die Erste, die bei uns Einzug hielt. Doch sie hat sich, scheu wie sie ist, so gut im Beet versteckt, dass ich lange nach ihr suchen musste und  erst ganz zum Schluss gefunden habe.  Ich habe sie vor Jahren im Catalunya, einem kleinen Laden in meinem Heimatort, gekauft und sie mit nach Norddeutschland genommen. Und obwohl sie schon so lange bei uns wohnt, habe ich manchmal das Gefühl, dass sie immer noch die warmen Schiefersteine vermisst, auf denen sich die echten Echsen so gerne sonnen. Ich werde ihr einen mitbringen, wenn ich das nächste mal mit dem Auto an die Mosel fahre.

Gut versteckt

Elch und Huhn stammen aus dem Nachbarort. Dort öffnet alljährlich am Tag der offenen Pforte eine Frau ihren Garten, die Tiere aus Metall produziert und ihren Garten damit dekoriert. Ich schaffe es eigentlich nie, ihren Garten zu verlassen, ohne etwas zu kaufen.  Das Huhn habe ich im vergangenen Jahr entdeckt. Es stand abseits von der Schar – oder heißt es Gruppe oder Herde – und schaute sehnsüchtig nach seinen Artgenossen. Doch die drehten ihm demonstrativ die Hinterteile zu, so, als wollten sie ihm zeigen: Du gehörst nicht zu uns.

Weil das Huhn mir leid tat, habe ich es mitgenommen, in der Hoffnung, dass es sich nicht mehr so ausgegrenzt fühlt, wenn es seine Artgenossen nicht mehr sieht. Es hat, so scheint es, funktioniert. Jetzt führt es in unserem Garten ein zufriedenes Leben. Dass es allein ist, macht ihm offenbar nichts aus. Trotzdem wollte ich ihm in diesem Jahr eine Freundin besorgen, doch das hat covid verhindert: die Aktion Offene Pforte fand in diesem Jahr nicht statt, doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Der Igel wäre neulich fast erschlagen worden, als der Nistkasten sich von der Eberesche löste und herunterfiel. Dem Igel ist glücklicherweise nichts passiert, aber wirklich wohl fühlte er sich dort nicht mehr. Deshalb habe ich ihn weiter ins Beet gesetzt  und ihm eine neue Aufgabe gegeben. Jetzt steht er vor dem Laubhaufen und zeigt seinen lebenden Artgenossen den Weg in ihr potenzielles Winterquartier.

Die drei Vögel sind von der Ostsee zu uns „geflogen“; ich habe sie in einem kleinen Laden in Wustrow, meinem Lieblingsort auf dem Darß, entdeckt. Dass seit geraumer Zeit eine Katze ganz in ihrer Nähe im Beet vor dem Wintergarten wohnt, stört sie nicht – sie fühlen sich zwischen den dornigen Zweigen der Heckenrose sicher. Außerdem verhindert der Teich unter ihnen allzu waghalsige Sprünge und unerwünschte Annäherungen. Denn Katzen sind ja bekanntlich wasserscheu. Selbst Fine, die Nachbarkatze, nähert sich dem Teich nur vorsichtig.

Aber ich glaube, dass sie nachts manchmal ihre Artgenossin aus Metall besucht oder sie sogar auf ihre Streifzüge mitnimmt. Denn manchmal, wenn ich morgens aus dem Wintergarten schaue, schaut unsere Blechkatze in eine andere Richtung als am Abend vorher.

Auch die Kräuterhexe bewegt sich manchmal wie von Geisterhand – oder ist es doch der Wind, der Wind, das himmlische Kind? So hat sie das Kräuterbeet besser im Blick . Zurzeit sieht sie ganz zufrieden aus. Denn der Ananassalbei, der sich lange geziert hat, blüht jetzt doch noch – und sorgt mitten im November für knallrote Farbtupfer in ihrem Kräuterreich. Vielleicht ist sie auch froh, dass der Skorpion aus ihrer Nachbarschaft verschwunden ist. Sie mochte ihn nicht wirklich, vielleicht hatte sie auch ein wenig Angst vor ihm, obwohl sie das nie zugegeben hat.

Der Skorpion durfte von der Terrasse ins Haus umziehen, weil es ihm draußen zu kalt war. Jetzt sitzt er auf meiner Fensterbank und vertreibt hoffentlich seine Verwandten, die Weberknechte, die sich manchmal in mein Arbeitszimmer verirren.

 

What is what

Ja, ich weiß es: Profigärtner empfehlen, vertrockneten Stauden über Winter stehen zu lassen. Zum einen, weil sie im Frühling die nachwachsenden Pflanzen schützen, zum anderen, weil sie Vögeln als Nahrungsquelle und Nützlingen als Winterquartier dienen. Ich habe die vertrockneten Topinamburstengel trotzdem entfernt. Nicht nur aus optischen Gründen, sondern mehr, um den Christrosen und den Herbst-Krokussen Platz und Luft zu verschaffen.

Früher kannte ich nur Krokusse, die im Frühjahr blühen. Deshalb habe ich sicherheitshalbe Flora Incognita, die Pflanzenerkennungsapp auf meinem Smartphone, nach dem Namen der lila Pflänzchen befragt. Die App forderte mich zuerst auf, die Blätter zu fotografieren,doch die konnte ich nicht finden. Nach einem Blick auf die Blüte meinte Flora Incognita, es handele sich um echten Safran.

Nun ist Safran ja bekanntlich eines der teuersten Gewürze – bis zu 30.000 Euro sollen pro Kilo bezahlt werden. Ich überlegte schon, wofür ich die unerwarteten Zusatzeinnahmen verwenden wollte. Ein neuer Nistkasten sollte es auf jeden Fall sein, denn der alte, sehr baufällige, hatte den letzten Sturm nicht überlebt und beim Herabstürzen auch einige der kostbaren Safran-Krokusse erschlagen.

Doch die weitere Recherche holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück: Um ein Kilogramm herzustellen, braucht man 150.000 bis 200.000 Blüten. In unserem Garten blühen maximal 100. Außerdem ist die Ernte sehr mühsam, denn nur die Griffel werden getrocknet und als Gewürz verwendet.

Bei genauerem Hinsehen kamen mir überdies Zweifel, ob bei uns wirklich Safran-Krokusse blühen. Jede Safran-Blüte hat nämlich laut Wikipedia nur einen Griffel, der sich in drei Narben verzweigt. Meine Pflänzchen hatten mehr und so fragte ich meine App ein zweites Mal um Rat: Herbstzeitlose, antwortete sie nach langem Überlegen, war sich ihrer Sache aber nicht sicher.

Erfreulicherweise irrte sie  erneut, denn Herbstzeitlosen sind  sehr giftig – nicht nur für Menschen, sondern auch für viele Tiere, zum Beispiel für Katzen und Vögel. Doch ich muss mich weder um unsere Nachbarkatze, die unseren Garten als ihr Revier betrachtet, noch um die vielen Vögel, die bei uns leben, sorgen. Denn die lila Blümchen entpuppten sich glücklicherweise als harmlose Herbstkrokusse. Die Staubblätter verraten es: Krokusse haben nämlich deren drei, Herbstzeitlose sechs. Wieder etwas gelernt!

Noch nebeneinander - der neue und der alte Nistkasten

PS: Einen neuen Nistkasten haben wir den Vögeln dann doch spendiert, und zwar einen weit gereisten. Mein Mann hat ihn aus Norwegen mitgebracht;  jetzt vermittelt er an unserer Gartenhütte ein bisschen Skandinavien-Feeling.

November

Ich sitze am Schreibtisch und schaue nach draußen: strahlend blauer Himmel, gar nicht novemberlich. Und mir kommt ein Gedicht von Friedrich Hebbel in den Sinn: „Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah …“. Das stimmt nicht ganz, aber zumindest im November sind solche Tage nicht selbstverständlich.

Herbstbild ist (leider) eines der wenigen Gedichte, die ich (fast) auswendig kenne. Und vielleicht ist es mir deshalb im Gedächtnis geblieben, weil wir es in der Schule zusammen mit dem Sommerbild von Hebbel gelernt und interpretiert haben. Diejenigen, die meinen Blog regelmäßig lesen, rollen jetzt wahrscheinlich genervt die Augen, und ich gebe es zu: Ja, ich habe den Anfang schon ein paar Mal zitiert, Sommerbild ist das Gedicht mit der letzten Rose des Sommers, ebenfalls von Hebbel geschrieben (Danke an dieser Stelle an meinen ehemaligen Deutschlehrer H. E., bei dem ich einige Gedichte kennengelernt habe, die immer noch zu meinen Lieblingsgedichten zählen).

Doch zurück: Wir erleben zur Zeit wirklich schöne Herbsttage, wenn auch nicht ganz so windstill, wie Hebbel es beschrieben hat. Früchte, die vom Baum fallen können, gibt es nicht mehr allzu viele. Selbst die Blätter sind schon arg dezimiert. November halt.

Schön ist es trotzdem, heute wie auch gestern. Den Tag gestern habe ich als Geschenk empfunden: Ich war in Hannover, in der Landesbibliothek, die trotz des partiellen Lockdowns geöffnet ist. Anschließend habe ich am Maschsee gesessen – für Anfang November wirklich außergewöhnlich. Und wenn die Meteorolügen recht haben, soll das Wetter auch noch ein paar Tage so bleiben. Es ist, als habe irgendwer Rainer Maria Rilkes Gedicht Herbsttag, gelesen und würde nicht den Früchten, die Heine gemeint hat, sondern uns Menschen ein paar schöne Tage spendieren.

„gib ihnen noch zwei südlichere Tage“.

Vielleicht ist das schöne Wetter ein kleiner Trost für das Trauerspiel auf der anderen Seite des Atlantiks. Ich verfolge es im Liveblog im Internet, und je länger es dauert, desto pessimistischer werde ich – mehr noch, es macht mir Angst.

Dazu passt ein Gedicht „Der November von Erich Kästner, das ich heute Morgen gefunden habe:

„Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor …
Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben.
Die Wälder weinten. Und die Farben starben.“ …

Ich fürchte, dass nicht nur die Farben sterben, wenn in den USA das passiert, was ZDF-Chefredakteur Peter Frey in seinem Kommentar mit einem einen Staatsstreich von oben vergleicht (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/us-wahlen-trump-biden-kommentar-frey-100.html).

Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie der, dessen Name ich nicht nennen möchte, agiert, wenn er noch vier weitere Jahre regiert. Der Albtraum wird – anders als der November – nicht in 30 Tagen zu Ende sein, sondern uns noch lange begleiten. Und der politische Nebel wird sich nicht so schnell lichten wie der auf dem Bild aus Sankt Andreasberg.

Nebel bei Sankt Andreasberg

Hier die Links zu den Gedichten Herbstbild von Friedrich Hebbel

http://www.gedichtsuche.de/gedicht/items/Herbstbild%20-%20Hebbel,%20Friedrich.html

Herbsttag von Rainer Maria Rilke

http://rainer-maria-rilke.de/06b012herbsttag.html

und Der November von Erich Kästner

https://erich-kaestner-kinderdorf.de/Gedichte/november.htm