Fast zwei Monate sind seit der Wanderwoche in der Sächsischen Schweiz vergangen, gewandert bin ich seitdem nicht mehr. Im norddeutschen Flachland beschränke ich mich derzeit auf Spaziergänge. Doch weil wir ohnehin in den Harz mussten, habe ich das Angenehme mit dem Nützlichen – sprich einer Halbtageswanderung – verbunden.
Anders als an den Tagen zuvor versteckte sich die Sonne hinter dichtem Nebel, doch auch der hat seinen Reiz. Es war, als sei die Welt in Watte gehüllt und die Farben aus ihr verschwunden. Unsere Jacken und mein blau-grüner Rucksack waren die einzigen Farbtupfer im herbstlich-nebeligen Braun-Grau.
Wanderin im Nebelwald. Foto: Foe Rodens
Und es war still, sehr still. „Im Nebel ruhet noch die Welt,/Noch träumen Wald und Wiesen“, dichtete Eduard Mörike 1838. Der Wald wirkte geheimnisvoll, fast mystisch: Wären zwischen den Nebelschwaden Elfen, Hexen oder andere Fabelwesen aufgetaucht oder wären die Bäume wie die Ents, die Baumwächter, und die Huorns, die Baumgeister, in Tolkiens Herr der Ringe zum Leben erwacht, hätte ich mich nicht gewundert.
Und auch Hermann Hesses Gedicht „Im Nebel“, kam mir in den Sinn, von dem ich nur noch die erste Zeile kannte: „Seltsam, im Nebel zu wandern“. Doch dank world wide web war es kein Problem, mitten im Wald das Gedicht auf dem Smartphone abzurufen und meiner Begleiterin vorzulesen. Wir hatten unterwegs nur wenige Menschen getroffen, doch passend zur letzten Strophe tauchte, just als ich mit dem Vorlesen fertig war, aus dem Nebel ein einsamer Wanderer auf. Ob er das Gedicht gehört hatte, weiß ich nicht, ebenso wenig, ob er einsam war – er schaute auf jeden Fall ein bisschen irritiert.
Rabenklippen bei Bad Harzburg und Teich am Molkenhaus
Die Sonne haben wir übrigens auch noch gesehen: Zwar hat sich der Nebelschleier – anders am von Mörike beschriebenen Septembermorgen – nicht ganz gelichtet. Schließlich ist es ja auch schon Ende November. Aber die Sonne blinzelte mittags gelegentlich hervor und gab zum Beispiel den Blick auf die Rabenklippen frei. Die vielen abgestorbenen Fichten im Tal blieben indes unseren Blicken weitgehend verborgen, gnädig eingehüllt vom Nebel.
Es hat also auf jeden Fall seinen Reiz, im Nebel zu wandern.
Wer das Gedicht von Hermann Hesse nachlesen will, findet es unter
Die Meteorologen prophezeien schlechtes Wetter. Und bevor der Novemberfrühling – der gefühlte Frühling im Herbst – endet, fahre ich mit dem Rad zum Würmsee, um meine Chronistenpflicht zu erfüllen und den See, der eigentlich keiner mehr ist, aus immer den gleichen Blickwinkeln zu fotografieren.
Ein wenig Wasser mehr ist da als bei meinem letzten Besuch vor gut zwei Wochen, so scheint es. Oder wirkt alles nur viel freundlicher, weil heute die Sonne scheint? Denn auch dieser Sonntag macht seinem Namen alle Ehre; die herbstlich gelben Blätter leuchten im Sonnenlicht. So macht November Spaß.
Auch die Badende genießt das ungewöhnlich schöne Wetter. Ich leiste ihr ein bisschen Gesellschaft: Ich mache es mir auf einer der beiden Holzliegen bequem – allerdings nicht im Badeanzug, sondern im Anorak – und lege eine Schreibpause ein. Wie oft kann man das schon Mitte November? Auf einen Kaffee muss ich verzichten; die Gaststätte am Seeufer ist geschlossen – nicht nur, weil die Saison vorbei ist, sondern vielleicht für immer.
Den Torffressern geht das frische Grün allmählich aus – das Gras um sie herum ist herbstlich braun und die Bäume sind fast kahl. Aber sie haben keine Angst vor dem bevorstehenden Winter. Denn sie haben ihre Schaufeln, mit denen sie nach Nahrung graben können, immer dabei. Torf werden sie aber nicht mehr finden. Der Torf ist längst abgebaut und auch die Moore gibt es nicht mehr. Die Landwirte haben das Land ringsum entwässert – und damit ungewollt auch den Würmsee.
Das Boot – im Sommer mein Lieblingsplatz – lädt nicht mehr zum Verweilen ein: zu trostlos der Anblick auf den fast wasserlosen See. Grün- und Matschfläche statt Wasserfläche.
Die fünf von der Bank stört es nicht. Vielleicht nutzen sie die Gelegenheit, abends, wenn alle Besucher verschwunden sind, auf dem kürzesten Weg, quer durch den See, zum gegenüberliegenden Ufer zu gehen und dort ihre Freunde, die Torffresser, zu besuchen.
Nachdem ich die vertrockneten Stengel und Blüten der Stauden abgeschnitten habe, kommt auch meine Blechmenagerie wieder zum Vorschein. Die Figuren sind im Laufe der Jahre in unseren Garten eingewandert und haben sich auf den verschiedenen Beeten verteilt.
Die Eidechse war die Erste, die bei uns Einzug hielt. Doch sie hat sich, scheu wie sie ist, so gut im Beet versteckt, dass ich lange nach ihr suchen musste und erst ganz zum Schluss gefunden habe. Ich habe sie vor Jahren im Catalunya, einem kleinen Laden in meinem Heimatort, gekauft und sie mit nach Norddeutschland genommen. Und obwohl sie schon so lange bei uns wohnt, habe ich manchmal das Gefühl, dass sie immer noch die warmen Schiefersteine vermisst, auf denen sich die echten Echsen so gerne sonnen. Ich werde ihr einen mitbringen, wenn ich das nächste mal mit dem Auto an die Mosel fahre.
Gut versteckt
Elch und Huhn stammen aus dem Nachbarort. Dort öffnet alljährlich am Tag der offenen Pforte eine Frau ihren Garten, die Tiere aus Metall produziert und ihren Garten damit dekoriert. Ich schaffe es eigentlich nie, ihren Garten zu verlassen, ohne etwas zu kaufen. Das Huhn habe ich im vergangenen Jahr entdeckt. Es stand abseits von der Schar – oder heißt es Gruppe oder Herde – und schaute sehnsüchtig nach seinen Artgenossen. Doch die drehten ihm demonstrativ die Hinterteile zu, so, als wollten sie ihm zeigen: Du gehörst nicht zu uns.
Weil das Huhn mir leid tat, habe ich es mitgenommen, in der Hoffnung, dass es sich nicht mehr so ausgegrenzt fühlt, wenn es seine Artgenossen nicht mehr sieht. Es hat, so scheint es, funktioniert. Jetzt führt es in unserem Garten ein zufriedenes Leben. Dass es allein ist, macht ihm offenbar nichts aus. Trotzdem wollte ich ihm in diesem Jahr eine Freundin besorgen, doch das hat covid verhindert: die Aktion Offene Pforte fand in diesem Jahr nicht statt, doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Der Igel wäre neulich fast erschlagen worden, als der Nistkasten sich von der Eberesche löste und herunterfiel. Dem Igel ist glücklicherweise nichts passiert, aber wirklich wohl fühlte er sich dort nicht mehr. Deshalb habe ich ihn weiter ins Beet gesetzt und ihm eine neue Aufgabe gegeben. Jetzt steht er vor dem Laubhaufen und zeigt seinen lebenden Artgenossen den Weg in ihr potenzielles Winterquartier.
Die drei Vögel sind von der Ostsee zu uns „geflogen“; ich habe sie in einem kleinen Laden in Wustrow, meinem Lieblingsort auf dem Darß, entdeckt. Dass seit geraumer Zeit eine Katze ganz in ihrer Nähe im Beet vor dem Wintergarten wohnt, stört sie nicht – sie fühlen sich zwischen den dornigen Zweigen der Heckenrose sicher. Außerdem verhindert der Teich unter ihnen allzu waghalsige Sprünge und unerwünschte Annäherungen. Denn Katzen sind ja bekanntlich wasserscheu. Selbst Fine, die Nachbarkatze, nähert sich dem Teich nur vorsichtig.
Aber ich glaube, dass sie nachts manchmal ihre Artgenossin aus Metall besucht oder sie sogar auf ihre Streifzüge mitnimmt. Denn manchmal, wenn ich morgens aus dem Wintergarten schaue, schaut unsere Blechkatze in eine andere Richtung als am Abend vorher.
Auch die Kräuterhexe bewegt sich manchmal wie von Geisterhand – oder ist es doch der Wind, der Wind, das himmlische Kind? So hat sie das Kräuterbeet besser im Blick . Zurzeit sieht sie ganz zufrieden aus. Denn der Ananassalbei, der sich lange geziert hat, blüht jetzt doch noch – und sorgt mitten im November für knallrote Farbtupfer in ihrem Kräuterreich. Vielleicht ist sie auch froh, dass der Skorpion aus ihrer Nachbarschaft verschwunden ist. Sie mochte ihn nicht wirklich, vielleicht hatte sie auch ein wenig Angst vor ihm, obwohl sie das nie zugegeben hat.
Der Skorpion durfte von der Terrasse ins Haus umziehen, weil es ihm draußen zu kalt war. Jetzt sitzt er auf meiner Fensterbank und vertreibt hoffentlich seine Verwandten, die Weberknechte, die sich manchmal in mein Arbeitszimmer verirren.
Ja, ich weiß es: Profigärtner empfehlen, vertrockneten Stauden über Winter stehen zu lassen. Zum einen, weil sie im Frühling die nachwachsenden Pflanzen schützen, zum anderen, weil sie Vögeln als Nahrungsquelle und Nützlingen als Winterquartier dienen. Ich habe die vertrockneten Topinamburstengel trotzdem entfernt. Nicht nur aus optischen Gründen, sondern mehr, um den Christrosen und den Herbst-Krokussen Platz und Luft zu verschaffen.
Früher kannte ich nur Krokusse, die im Frühjahr blühen. Deshalb habe ich sicherheitshalbe Flora Incognita, die Pflanzenerkennungsapp auf meinem Smartphone, nach dem Namen der lila Pflänzchen befragt. Die App forderte mich zuerst auf, die Blätter zu fotografieren,doch die konnte ich nicht finden. Nach einem Blick auf die Blüte meinte Flora Incognita, es handele sich um echten Safran.
Nun ist Safran ja bekanntlich eines der teuersten Gewürze – bis zu 30.000 Euro sollen pro Kilo bezahlt werden. Ich überlegte schon, wofür ich die unerwarteten Zusatzeinnahmen verwenden wollte. Ein neuer Nistkasten sollte es auf jeden Fall sein, denn der alte, sehr baufällige, hatte den letzten Sturm nicht überlebt und beim Herabstürzen auch einige der kostbaren Safran-Krokusse erschlagen.
Doch die weitere Recherche holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück: Um ein Kilogramm herzustellen, braucht man 150.000 bis 200.000 Blüten. In unserem Garten blühen maximal 100. Außerdem ist die Ernte sehr mühsam, denn nur die Griffel werden getrocknet und als Gewürz verwendet.
Bei genauerem Hinsehen kamen mir überdies Zweifel, ob bei uns wirklich Safran-Krokusse blühen. Jede Safran-Blüte hat nämlich laut Wikipedia nur einen Griffel, der sich in drei Narben verzweigt. Meine Pflänzchen hatten mehr und so fragte ich meine App ein zweites Mal um Rat: Herbstzeitlose, antwortete sie nach langem Überlegen, war sich ihrer Sache aber nicht sicher.
Erfreulicherweise irrte sie erneut, denn Herbstzeitlosen sind sehr giftig – nicht nur für Menschen, sondern auch für viele Tiere, zum Beispiel für Katzen und Vögel. Doch ich muss mich weder um unsere Nachbarkatze, die unseren Garten als ihr Revier betrachtet, noch um die vielen Vögel, die bei uns leben, sorgen. Denn die lila Blümchen entpuppten sich glücklicherweise als harmlose Herbstkrokusse. Die Staubblätter verraten es: Krokusse haben nämlich deren drei, Herbstzeitlose sechs. Wieder etwas gelernt!
PS: Einen neuen Nistkasten haben wir den Vögeln dann doch spendiert, und zwar einen weit gereisten. Mein Mann hat ihn aus Norwegen mitgebracht; jetzt vermittelt er an unserer Gartenhütte ein bisschen Skandinavien-Feeling.
Ich sitze am Schreibtisch und schaue nach draußen: strahlend blauer Himmel, gar nicht novemberlich. Und mir kommt ein Gedicht von Friedrich Hebbel in den Sinn: „Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah …“. Das stimmt nicht ganz, aber zumindest im November sind solche Tage nicht selbstverständlich.
Herbstbild ist (leider) eines der wenigen Gedichte, die ich (fast) auswendig kenne. Und vielleicht ist es mir deshalb im Gedächtnis geblieben, weil wir es in der Schule zusammen mit dem Sommerbild von Hebbel gelernt und interpretiert haben. Diejenigen, die meinen Blog regelmäßig lesen, rollen jetzt wahrscheinlich genervt die Augen, und ich gebe es zu: Ja, ich habe den Anfang schon ein paar Mal zitiert, Sommerbild ist das Gedicht mit der letzten Rose des Sommers, ebenfalls von Hebbel geschrieben (Danke an dieser Stelle an meinen ehemaligen Deutschlehrer H. E., bei dem ich einige Gedichte kennengelernt habe, die immer noch zu meinen Lieblingsgedichten zählen).
Doch zurück: Wir erleben zur Zeit wirklich schöne Herbsttage, wenn auch nicht ganz so windstill, wie Hebbel es beschrieben hat. Früchte, die vom Baum fallen können, gibt es nicht mehr allzu viele. Selbst die Blätter sind schon arg dezimiert. November halt.
Schön ist es trotzdem, heute wie auch gestern. Den Tag gestern habe ich als Geschenk empfunden: Ich war in Hannover, in der Landesbibliothek, die trotz des partiellen Lockdowns geöffnet ist. Anschließend habe ich am Maschsee gesessen – für Anfang November wirklich außergewöhnlich. Und wenn die Meteorolügen recht haben, soll das Wetter auch noch ein paar Tage so bleiben. Es ist, als habe irgendwer Rainer Maria Rilkes Gedicht Herbsttag, gelesen und würde nicht den Früchten, die Heine gemeint hat, sondern uns Menschen ein paar schöne Tage spendieren.
„gib ihnen noch zwei südlichere Tage“.
Herbsttag in Hannover – am Maschsee, an der Leine und in Linden
Vielleicht ist das schöne Wetter ein kleiner Trost für das Trauerspiel auf der anderen Seite des Atlantiks. Ich verfolge es im Liveblog im Internet, und je länger es dauert, desto pessimistischer werde ich – mehr noch, es macht mir Angst.
Dazu passt ein Gedicht „Der November von Erich Kästner, das ich heute Morgen gefunden habe:
„Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor … Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben. Die Wälder weinten. Und die Farben starben.“ …
Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie der, dessen Name ich nicht nennen möchte, agiert, wenn er noch vier weitere Jahre regiert. Der Albtraum wird – anders als der November – nicht in 30 Tagen zu Ende sein, sondern uns noch lange begleiten. Und der politische Nebel wird sich nicht so schnell lichten wie der auf dem Bild aus Sankt Andreasberg.
Nebel bei Sankt Andreasberg
Hier die Links zu den Gedichten Herbstbild von Friedrich Hebbel
Der erste Eindruck trügt. Vom Parkplatz sieht der Würmsee schon fast wieder wie ein See aus. Der Bagger ist verschwunden. Doch mehr als eine große Pfütze ist der See nicht – trotz der Vertiefung und obwohl es in den letzten Tagen teilweise heftig geregnet hat. Die Aussicht passt zu diesem Herbsttag: eher grau und trübe.
Die Badende könnte immerhin ihre Füße benetzen, doch sehr einladend sieht das Wasser nicht aus. Sie wird nicht vom Steg heruntersteigen, da bin ich mir sicher.
Die Pfähle des Stegs und das Boot auf der anderen Seeseite ragen weit aus dem trockenen Boden. Es ist, als habe man den Stöpsel gezogen, wie in einer Badewanne. Und das hat man ja auch. Die Moore ringsum sind trocken, zu wenig Grundwasser, kein Wasser im See.
Auf dem Trockenen
Auch der begehbaren Pegel endet längst nicht mehr im Wasser, sondern auf dem ausgetrockneten Seegrund.
Ausgetrocknet …
Ich fühle mich an Naturfilme aus Afrika erinnert, wo sich Tier um austrocknende Wasserlöcher scharen: Fast rechne ich damit, dass ein paar Gnus herantraben. Hier sind es nur die roten Torffresser, die Letzten ihrer Art, und ein einsamer Reiher, die ihren Hunger stillen. Zumindest der Reiher findet in den Wasserresten offenbar noch genügend Nahrung.
Fauna am Würmsee: Roter Torffresser, Graureiher …
Vielleicht wartet er, bis sich der Reiher auf der Bank entschließt, mit ihm zu gehen pardon, zu fliegen. Doch der hat das Fliegen, so scheint es, schon lange verlernt. Oder er will seine Freunde nicht im Stich lassen, den Fuchs, den Hasen, den Eisvogel und die Kröte. Sie sitzen wie immer auf ihrer Bank und schauen dorthin, wo mal Wasser war. Doch trotz des eher traurigen Ausblicks wirken sie zufrieden. Vielleicht vertrauen sie darauf, dass es irgendwann wieder besser wird. Und vielleicht kennen sie schon die Antwort auf die Frage, die auf ihrer Bank geschrieben steht. Was brauche ich für mein Leben?
Oktober (na ja, noch fast), jetzt bringt vor allem das Laub noch ein bisschen Farbe in unseren Garten. Die Blätter des Blutweiderichs am Teich sind fast so rot wie die Hagebutten und die Streifen des Leuchtturms Roter Sand. Auch die lila Herbstastern halten sich noch prächtig, trotz des Regens der letzten Tagen, nicht nur am Teich …
… sondern auch im Rosenbeet.
Verblüht sind dagegen die Topinambur unter der Eberesche – sie sind so hoch gewachsen, dass sie den Specht fast am Bauch kitzeln. Er lässt es sich gefallen.
Im Kräuterbeet neben der Terrasse halten noch zwei Ringelblumen – eine gelbe und eine orange – zwischen Minze und Zitronenmelisse die Stellung. Die Hochbeete sind abgeerntet, Feldsalat und Spinat haben sehr gut geschmeckt. Der Feldsalat hat immerhin als Beilage für zwei Mahlzeiten gereicht. Die gut gefüllte Schüssel mit Spinat ist dagegen im Topf zu einem winzigen Klecks zusammengeschmolzen, und wir hätten gehungert , hätten wir die Mahlzeit nicht mit Spinat aus der Tiefkühltruhe verlängert. Ich werde mein Glück versuchen und noch einmal Spinat und Feldsalat aussäen. Ich weiß, dass es eigentlich zu spät ist, aber es soll ja in den nächsten Tagen warm bleiben.
Trotzdem müssen die Zimmerpflanzen aus der Sommerfrische zurück in ihr Winterquartier, den Wintergarten. Warum soll es ihnen besser gehen als uns? Wir dürfen ja auch nicht verreisen. Und geteiltes Leid ist ja bekanntlich halbes Leid.
Mein Lesezwerg wird draußen überwintern, wie in jedem Jahr. Er will seinen Platz nicht verlassen, obwohl er inzwischen bis auf die rote Mütze nackt ist. Er sei ein Gartenzwerg, kein Wintergartenzwerg, sagt er in den stummen Dialogen, die ich mit ihm führe. Aber vielleicht spendiere ich ihm ein purpurrotes Mäntlein oder einen Umhang, damit er nicht so friert.
Sächsische Schweiz oder Alpen, das war die Frage. Wir haben uns entschieden, in der Sächsischen Schweiz zu wandern, nicht nur, aber auch, weil die Anfahrt kürzer und wir in Bad Schandau noch eine Unterkunft für den gesamten Zeitraum gefunden haben. Ein Zimmer zwar nur statt der gesuchten Ferienwohnung. Aber es hatte immerhin einen Kühlschrank und eine kleine Kaffeemaschine – Letztere kombiniert mit einer ebenso kleinen Mikrowelle. Und auch die Lage stimmte – weit weg vom Trubel, fast im Grünen, aber nah genug am Ort, um zu Fuß überall hin zu kommen.
Pension im Grünen
Die Sächsische Schweiz hat ihren Namen wirklich verdient. Zerklüftete Felsen, die wie aus dem Nichts wachsen, grandiose Ausblicke, schmale, naturbelassene Waldwege, steile Auf- und Abstiege – und unendlich viele Stufen. Wenn ich je darüber nachdenken sollte, an einer Senioren-Treppenlauf-Meisterschaft teilzunehmen, habe ich sicher das ideale Trainingsgebiet gefunden.
Denn Stufen gibt es hier in den verschiedensten Größen und Materialien: in Stein gehauen oder im Laufe der Jahrhunderte ausgetreten, aus Holz oder aus Metall. Oft dienen Steine – aufgeschichtet oder zufällig daliegend – und Baumwurzeln als natürliche Steighilfen.
Stufen …
Gleich unsere erste Tour von der Neumannsmühle im Kirnitzschtal hinunter an die Elbe bot einen Vorgeschmack auf das, was uns in den nächsten Tagen erwartete: Sie endete mit einem langen Abstieg, bei dem ich erst nach gefühlt etwa der Hälfte der Strecke begonnen habe, zu zählen: Ich kam auf 712 Stufen. Den DIN-Normen für Treppenstufen entsprechen sicher nur wenige – und wenn, dann eher zufällig. Nur bei Treppen und Leitern aus Metall sind zwei aufeinanderfolgende Stufen (etwa) gleich groß.
Die Touren waren für mich – Flachländerin mit recht guter Kondition und einer vor allem im Harz und in den Moselbergen erworbenen Wandererfahrung – anspruchsvoll, die Kletterpartien zwischendurch teilweise eine echte Herausforderung.
In der Wilden Hölle Foto Foe Rodens
Zum Glück ging meine Wanderpartnerin meist voran und half an schwierigen Stellen: mal zog sie mich, wenn der Stein, der erklommen werden musste, zu hoch oder meine Beine zu kurz waren, mal stützte sie mich beim Abstieg, wenn mein ramponiertes Knie mich quälte. Auf diese Weise bin ich unter anderem durch die Wilde Hölle gekommen, habe die Heilige Stiege und den Wildschützensteig bewältigt. Bei dem ein oder anderen Weg habe ich allerdings gestreikt, da ich zwar trittfest, aber weder klettererfahren noch absolut schwindelfrei bin. Die frei in einer Höhle hängende Leiter zum Winterstein habe ich ebenso wenig erklommen wie die Rübezahlstiege, weil dort laut Beschreibung die für Kletterstiege übliche Absicherung fehlt. Vor ein paar Jahren hätte ich es vielleicht gewagt, doch jetzt sind solche Ziele nichts (mehr) für mich, auch wenn eine wunderschöne Aussicht lockt. Aber es gibt genügend andere beeindruckende Aussichtspunkte.
Allen voran die Bastei, die fast 200 m über die Elbe ragt. Die Felsformation gehört laut Wikipedia zu den markantesten Aussichtspunkten der Sächsischen Schweiz – und ist auch der meistbesuchte: Etwa 1,5 Millionen Besucher kommen jährlich. Deshalb haben wir den Rat unserer Vermieterin befolgt: Möglichst nicht am Wochenende hingehen, am besten früh morgens oder abends nach Sonnenuntergang. Und auch ein anderer Rat erwies sich als goldrichtig: Wir haben uns gleich nach der Ankunft in Bad Schandau ein Wochenticket für den ÖPNV besorgt, mit dem wir alle Wanderstart- und Zielpunkte bequem und stressfrei erreicht haben – auch die Bastei.
Als wir morgens kurz nach sieben Uhr mit der Fähre von Rathen nach Neurathen übersetzten, waren wir die einzigen Touristen. Beim Aufstieg begegneten uns einige junge Leute, die noch früher aufgestanden und schon wieder auf dem Weg ins Tal waren. Oben angelangt waren wir zwar nicht die ersten Besucher, aber es war noch erfreulich leer – als wir am späten Vormittag durch das Schwedenloch wieder zurück zur Fähre wanderten, kamen uns ab dem Amselsee Hunderte Menschen entgegen – an einem normalen Donnerstag im Oktober. Am Wochenende ist hier gewiss die Hölle los.
Keine Frage: Der Besuch lohnt. Die Bastei hat mich wirklich beeindruckt: die schroff abfallenden Felsen, die tollen Ausblicke, zum Beispiel auf Lilien- und Königstein und auf die Elbe tief unten im Tal. Und natürlich die Reste der Burg, die vielleicht schon vor fast 1.000 Jahren auf dem nur 100 m breiten, damals nur sehr schwer zugänglichen Plateau gebaut wurde – ohne die technischen Hilfsmittel, die den Handwerkern in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts beim Bau des Hotels und des Restaurants auf der Bastei zur Verfügung standen.
Die Felsenburg als Modell
Die Felsenburg Neurathen wurde erstmals im Jahr 1289 urkundlich erwähnt. Sie soll etwa 220 × 100 Meter groß gewesen sein, die Gebäude bestanden weitgehend aus Holz. Schon 1530 war die Burg wohl nur noch eine Ruine, trotzdem haben die Menschen aus der Umgebung während des 30-jährigen und anderen Kriegen dort und im nahegelegenen Schwedenloch Schutz gesucht. Heute können die ausgehauenen Räume, Durch- und Wehrgänge, Zisterne und die Balkenauflager der einstigen hölzernen Aufbauten im Freilichtmuseum besichtigt werden (https://de.wikipedia.org/wiki/Felsenburg_Neurathen).
Die berühmte Basteibrücke aus Sandstein wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet. Sie ist fast 80 m lang und überbrückt eine etwa 40 Meter tiefe Schlucht, die Mardertelle. Auf Caspar David Friedrichs bekanntem Bild „Felsenpartie im Elbsandsteingebirge“, das in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts gemalt wurde, ist auch ihr Vorgänger, die hölzerne Basteibrücke, nicht zu sehen.
Neurather Felstor im Original – und auf dem bekannten Gemälde von Caspar David Friedrich
Caspar David Friedrich war übrigens nicht der einzige Maler, der die Bastei verewigte. Viele Künstler der Romantik wanderten zu dem Felsmassiv, obwohl der Weg damals noch sehr beschwerlich war. Ihren Spuren folgt heute der Malerweg, einer der beliebtesten Wanderwege Deutschlands.
Im Schwedenloch, einer engen Schlucht auf dem Weg zur Bastei, haben die Menschen früher in Kriegszeiten sich und ihr Hab und Gut versteckt.
Der Weg führt auch an den Schrammsteinen vorbei, die der schönen Aussicht wegen an Wochenenden ebenfalls zum Wander-Hotspot werden. Auch deshalb haben wir sie an unserem ersten Wander(sonn)tag nicht erklommen. Außerdem fühlten wir uns nach rund 20 Kilometern nicht mehr fit genug für eine Wanderung auf dem Grat. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Ich werde die Schrammsteine sicher noch ersteigen – beim nächsten Besuch in der Sächsischen Schweiz
Sorry, I’m late, wieder einmal. Und diesmal habe ich es nicht einmal geschafft, die Gartenblicke des Monats auf den letzten Drücker – also am letzten Septembertag – zu posten. Immerhin habe ich die Fotos im September aufgenommen, irgendwann letzte Woche.
Am Teich wird es übersichtlich, der Leuchtturm ist zwischen Blutweiderich, Bergastern und den Ranken der Heckenrosen wieder gut zu sehen. Und auch den größeren der beiden Teiche kann man wieder zwischen den Pflanzen ausmachen. Der Teich ist immer noch mit einer Schicht Entengrütze bedeckt, die die Sicherheit des Froschnachwuchses gewährleistet.
Der Nistkasten an der Eberesche geht immer mehr aus dem Leim, ich muss ihn ersetzen – oder abnehmen. Denn er war auch in seinen besten Tagen nie bewohnt, wie auch die beiden Insektenhotels. Vögeln und Insekten gefallen die anderen Nistmöglichkeiten in unserem Garten wohl besser. Auch die gelben Topinambur fühlen sich in unserem Garten wohl; sie werden, so scheint es, jedes Jahr ein Stückchen größer.
Mit ihren großen Schwestern, den Sonnenblumen, habe ich dagegen weniger Glück. Sie werden abgefressen, sobald ich sie eingepflanzt habe. Und auch der Rittersporn tut sich schwer. Er ist spurlos aus dem Rosenbeet verschwunden, wo er mich in den vergangenen beiden Jahren erfreute. Dort blühen noch ein paar Rosen, eine einzelne Stockrose und unzählige Bergastern.
Die Terrasse wird immer mehr zum Terrassen-Garten. In Blumentöpfen und -kästen an der Hauswand reifen die letzten Tomaten; im Hochbeet sprießen Spinat und Feldsalat, zwischen den Terrassensteinen der Rucola. Die Trauben sind geerntet, mein Mann hat aus ihnen leckeres Gelee gekocht, rotes und weißes. Und in den nächsten Tagen will ich noch den Lavendel im Kräuterbeet schneiden und trocknen.
Und in dem schmalen Beet zwischen Rasen und Wintergarten sitzt wie seit Jahren schon der Zwerg mit seinem Buch. Ob er merkt, wie gut seine rote Zipfelmütze zu den Männlein mit dem roen Mäntelein passt, die Hoffmann von Fallersleben in seinem Kinderlied beschrieben hat und die ihm Gesellschaft leisten?
Mit der Ruhe und der Idylle am Würmsee ist es vorbei. Mit dem Seesein auch. Denn der See ist verlandet – so wenig Wasser wie jetzt hatte der Würmsee noch nie, behaupten ältere Burgwedeler, die es wissen müssen. Und auch ich habe ihn in den vergangenen 30 Jahren noch nie in einem so jämmerlichem Zustand gesehen.
Nur noch ein paar Pfützen sind übrig geblieben – in ein paar Wochen werden auch sie nur noch Schlammlöcher sein. Folge der anhaltenden Trockenperiode und mehrerer trockener Jahre hintereinander. Der Klimawandel lässt grüßen – und man ahnt, dass ein ausgetrockneter See schon bald eines unserer geringsten Probleme sein wird.
130.000 Kubikmeter Wasser hat die Stadt seit Anfang des Jahres in den See gepumpt und damit das von der Region Hannover erlaubte Kontingent fast ausgeschöpft – vergeblich. Jetzt versucht man, das Beste aus der Situation zu machen: Es wird kein Wasser mehr in den See gepumpt, weil es ohnehin nur verdunsten würde. Stattdessen wird die Gelegenheit genutzt, um den See zu entschlammen. Und so frisst sich jetzt ein Bagger in den Untergrund, wo vor ein paar Monaten noch Gänse und Blesshühner nach Futter suchten. Rund 30 cm Boden werden abgetragen, damit das Wasser nicht durch zu viel organisches Material belastet wird, wenn sich der See im Herbst und Winter wieder füllt – und die Wasservögel wiederkommen.
Die Badende schaut dem Treiben interessiert zu, vielleicht hofft sie, dass sie bald wieder – wie früher – von ihrem Steg ins Wasser springen und schwimmen kann. Doch sie irrt, die Zeiten sind wohl endgültig vorbei. Das Wasser umspült ihren Steg nur, weil die Bagger ganz in der Nähe mit der Arbeit begonnen haben.
Auch mein Badeboot auf der anderen Seeseite liegt längst auf dem Trockenen. Der Steg, der zu ihm führt, ragt mehr als einen halben Meter aus dem Seegrund. Ich bräuchte ihn nicht mehr, um zu meinem Lieblingsplatz zu kommen, ja, ich könnte sogar trockenen Fußes durch den See wandern zur Badende wandern, um sie zu besuchen. Doch ich weiß, dass sie keine Gesellschaft mag und lieber für sich ist.
Auch die Torffresser sind Einzelgänger; sie finden zwar noch genügend Grünfutter, doch auf ihre Lieblingsspeise – frischen Torf – müssen sie ebenso verzichten wie auf Frösche und Amphibien. Die sind längst ausgewandert.
Nur die Kröte am gegenüberliegenden Seeufer harrt noch an ihrem angestammten Platz unter der Bank aus. Aber auch sie und ihre vier Freunde werden wohl nicht mehr lange bleiben – ohne Wasser kein Leben am See.
Auch nicht in der Hütte, die immer noch leer steht und wie mir heute scheint still vor sich hin rostet.