Auch im April habe ich die Blickwinkelfotos wieder auf den letzten Drücker gemacht, doch diesmal habe ich einen guten Grund – oder soll ich sagen einen guten Vorwand. Ich habe gehofft, dass die Umbauarbeiten am Springhorstsee bis zum Ende des Monats beendet werden. Aber leider ist der Zugang zum Springhorstsee immer noch gesperrt, die neuen Besitzer lassen sich mit der Umgestaltung Zeit. Warum auch nicht. Das neue Café Frida am See darf coronabedingt noch nicht öffnen, und auch das Strandbad bleibt wohl noch ein paar Wochen geschlossen. Nachttemperaturen um den Gefrierpunkt laden derzeit noch nicht zum Baden ein.
Doch auch der Blick aus der zweiten Reihe zeigt, dass sich nicht nur die Natur verändert: Weißer Sand vor dem Café vermittelt jetzt Strandfeeling. Der Schwan ist umgezogen; mit ihm können die Gäste des Cafés vielleicht schon bald in See stechen. Mit der Ruhe ist es dann wohl zumindest an den Wochenenden vorbei.
Am Pöttcherteich ist dagegen auf den ersten Blick alles, wie es schon im März war: Die beschnittenen Weiden sind immer noch kahl – und wie in jedem Jahr fürchte ich, dass sie in diesem Jahr nicht austreiben. Doch eigentlich weiß ich, dass ich nur Geduld haben muss; Gras wächst bekanntlich nicht schneller, wenn man daran zieht – und Weiden nicht, wenn man ungeduldig darauf wartet. Immerhin lassen die unbeschnittenen Weiden am gegenüberliegenden auch aus der Distanz das erste zarte Grün erahnen: Es wird Frühling.
Die Weide am Pöttchertich am Mittag und am späten Nachmittag
Gute alte Bräuche soll man pflegen. In Katalonien ist es seit mehr als 100 Jahren Brauch, am 23. April, am Tag des katalonischen Schutzheiligen Sant Jordi Bücher und Rosen zu verschenken. Die Sache mit den Rosen verstehe ich. Denn ein Ritter namens Jordi – auf Deutsch Georg – soll eine Prinzessin vor einem Drachen gerettet haben, der die Bewohner eines Dorfes in Angst und Schrecken versetzte. Jordi tötete den Drachen, aus dem dann wunderschöne Rosen wuchsen. So weit die Legende.
Ob und welche Beziehung der katalonische Schutzheilige zu Büchern hatte, weiß ich nicht – und ich habe auch nichts darüber gefunden. Aber seit Mitte der 90er-Jahre ist sein Namenstag offiziell Unesco-Welttag des Buches und des Urheberrechts, kurz: Weltbuchtag. Neben dem katalonischen Brauch hat bei der Wahl des Tages sicher auch eine Rolle gespielt, dass am 23. April 1616 gleich zwei berühmte (National) Schriftsteller – William Shakespeare und Miguel Cervantes – gestorben sind. Ein Literaturnobelpreisträger, der Isländer Halldor Laxness, wurde am 23. April (1902) geboren.
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Leider ist der katalonische Brauch des Bücherschenkens hierzulande noch nicht sehr verbreitet. Aber das sollte sich ändern. Und so bin ich losgezogen, um mir am Welttag des Buches selbst ein Buch zu schenken. Das ist möglich, weil Bücher – glücklicherweise und zu Recht – zu den „Gütern des täglichen Bedarfs“ zählen; Buchhandlungen sind daher trotz des Lockdowns geöffnet.
Nach den drei ersten Büchern auf meiner To-read-Liste habe ich leider vergeblich gesucht, obwohl sie eigentlich ganz aktuell sind und in diversen Medien sehr gut Kritiken bekommen haben. Das liegt sicher an der Flut der Neuerscheinungen – aber auch daran, dass die einzige Buchhandlung im Ort nicht mehr das ist, was sie einmal war. Zwar ist die Verkaufsfläche eher größer als vor 35 Jahren. Doch es gibt dort längst nicht mehr so viele Bücher wie früher. Mit anderen Produkten lässt sich offenbar mehr Geld verdienen – mit Geschenkartikeln zum Beispiel. Oder mit Schulranzen und allem, was dazu gehört. Für ein komplettes Ranzen-Set im angesagten Design und von einer angesagten Marke zahlen Eltern, Großeltern oder Paten gut und gerne 300 Euro zahlen – dafür muss man viele Bücher verkaufen.
Trotzdem bin ich fündig geworden, wie eigentlich immer, wenn ich in einer Buchhandlung bin. Quasi im Vorbeigehen habe ich das neue Buch von Isabel Allende entdeckt– und gekauft. Isabel Allende ist seit den Achtzigern eine meiner Lieblingsautorinnen; ich habe viele Bücher von ihr gelesen. Die Abenteuertrilogie um Alex Cold und seine sonderbare Großmutter, die Reisereporterin Kate Cold, habe ich allerdings ausgelassen. Vielleicht ist es an der Zeit, das nachzuholen. Und so habe ich in den Bücherregalen meiner Tochter gestöbert und das Buch mit den drei Romanen entdeckt. „Im Reich des Goldenen Drachen“ heißt der zweite Teil der Triologie. Womit wir wieder am Anfang wären, bei Sant Jordi, dem Drachentöter …
Wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben. Als ich am zweitletzten Märztag endlich Zeit für die Blickwinkelfotos fand, war der Zugang zum Springhorstsee leider gesperrt. Am Ufer wird zurzeit eifrig gearbeitet. Fotos vom See und von der kleinen Insel gibt es daher nicht aus den gewohnten Blickwinkeln, sondern nur von der parallel zum Seeufer verlaufenden Straße durch den Zaun.
Stege, Stege …
Es hat sich einiges getan im vergangenen Monat: Nichts bleibt, wie es war. Und es war, als hätte der Schäfer es geahnt. Als ich ihn im Februar fotografierte, schaute er schon skeptisch. Jetzt haben sich, so scheint es, seine Befürchtungen bewahrheitet. Mit der Ruhe und Abgeschiedenheit ist es vorbei. Seine Insel ist keine Insel mehr, sondern sie ist jetzt durch einen Steg mit dem Festland, sprich, dem Seeufer, verbunden. Doch das ist nicht die einzige Veränderung. Der neue Besitzer des Cafés ist, so scheint es, ein großer Stegfan. Zwei große Schwimmplattformen aus Holz sind im See vertäut: Die Gäste des neuen Cafés Frida am See können also künftig nicht nur am, sondern auch auf dem Wasser sitzen – wenn der Lockdown irgendwann vorbei ist. Und weißer Sand vermittelt künftig am Rande von Burgwedel Sandstrandfeeling.
Hier entsteht ein neuer Sandstrand
Ob dem Schäfer all dies wirklich gefällt – ich fürchte nicht. Er war verschwunden. Vielleicht sucht er ein neues Domizil für sich und seine kleine Herde. Ob er zurückkommt? Die April-Bilder werden’s zeigen.
Am neuen Pöttcherteich ist indes noch alles beim Alten: Die Kopfweide ist, ebenso wie ihre Artgenossen direkt daneben, immer noch kahl und auch das Schilf hat sein winterlich braunes Kleid noch nicht abgelegt. Aber das ändert sich bald, da bin ich sicher. In einem Monat sieht alles ganz anders aus.
Die Kopfweide am Pöttcherteich – bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel und kurz bevor die Sonne zuerst hinter den Wolken und dann am Horizont verschwindet
Ich gebe es zu, Neumz* hat mich in seinen Bann gezogen, seit ich zum ersten Mal von dem Musikprojekt gelesen und dann auch darüber geschrieben habe (https://timetoflyblog.com/neumz-frauen-singen-gregorianisch). Vielleicht nicht nur, weil ich gregorianische Gesänge mag, sondern auch, weil mich die Bilder von der Abtei Notre-Dame de Fidélité von Jouques an eine Studienfahrt durch Burgund und Belgien erinnern – und an die Pläne, die eine Studienfreundin und ich dabei geschmiedet haben. Ganz vergessen haben wir sie in all den Jahr(zehnt)en nie: Als wir in Brügge den alten Beginenhof besuchten, haben wir uns vorgenommen, später einmal einen Beginenhof zu gründen.
Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren Beginengemeinschaften weit verbreitet, später gerieten sie völlig in Vergessenheit. Selbst wir hatten bis zu unserem Besuch in Brügge noch nie von der frühen Frauenbewegung gehört, obwohl wir Geschichte studiert hatten.
Beginen waren alleinstehende Frauen, die seit dem 12. Jahrhundert in vielen Städten – quasi als eine Art Laienorden – eigenständige Lebens- und Arbeitsgemeinschaften bildeten. Sie arbeiteten u. a. als Handwerkerinnen, Künstlerinnen, Kauffrauen sowie als Lehrerinnen und in der Pflege und waren finanziell unabhängig – damals für Frauen keine Selbstverständlichkeit . Im Gegensatz zu Nonnen legten Beginen keine Gelübde ab und konnten die Gemeinschaft in der Regel wieder verlassen, wenn sie es wollten. Die Gemeinschaften verwalteten und organisierten sich selbst – anders als für Ordensgemeinschaften gab es für Beginenkonvente und -höfe keine allgemeinverbindlichen Regeln;
Im Beginenhof in Brügge leben heute Benediktinerinnen, die wohl wie die Benediktinerinnen der Abtei Notre-Dame de Fidélité von Jouques nach den Regeln des heiligen Benedikt leben: also im Wesentlichen nach der Devise „ora et labora“, bete und arbeite. Der Tagesablauf wird durch die Stundenliturgie und durch die Messe geprägt; die Nonnen sollen, so verlangte es der heilige Bedendikt jede Woche das gesamte Buch der Psalmen singen. Drei Jahre soll es dauern, bis sie alle rund 8.000 gregorianischen Gesänge gesungen und aufgenommen haben; mehr als 7.000 Stunden Musik werden dann über eine App abrufbar sein.
Kloster Notre-Dame de Fidélité de Jouques, Screenshot https://neumz.com
Ich habe mir die kostenlose App auf mein Smartphone geladen und höre die Gesänge seither oft und gerne. Als mit einem Newsletter das Osterangebot von Neumz auf meinem Computer landete, habe ich getan, was ich ohnehin geplant hatte: Ich unterstütze das Musikprojekt mit knapp 60 Euro im Jahr und fördere damit auch Notre Dame de l’Écoute in Benin, die Stiftung der Benediktinerinnen in Afrika.
Als Patron, wie das auf Französisch heißt, oder genauer gesagt als Patronne, kann ich einige Zusatzfunktionen der App nutzen: Ich kann zum Beispiel nach bestimmten Gesängen suchen und mir meine Lieblingsgesänge anhören, wann immer ich möchte – demnächst auch offline. Künftig soll es außerdem ein Audio-Upgrade auf eine bessere Wiedergabequalität geben – und irgendwann auch eine Alarm-Funktion. Darauf freue ich mich. Denn dann kann ich mich an die Gebetszeiten erinnern und mich von den Gesängen der Nonnen durch den Tag begleiten lassen.
Partitur mit lateinischem Text und Übersetzung – hier in Englisch. Screenshot https://neumz.com
All denen, die mich kennen und sich wundern, sei versichert: Nein, ich bin nicht plötzlich fromm geworden. Ich habe nicht vor, den Namen des Herrn „vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“, zu loben, wie es in Psalm 113 steht. Und ich werde auch sicher nicht in den Schoß der Heiligen katholischen Kirche zurückkehren. Bei den Protestanten fühle ich mich besser aufgehoben. Aber die Idee, den Alltag durch die Gesänge kurz zu unterbrechen und den Tag auf diese Weise zu strukturieren, gefällt mir.
Der Tag beginnt früh im Kloster in der Provence – morgens um 5 mit dem Matunium – und er endet früh – mit dem Komplett um 20 Uhr, gefolgt von der Großen Stille, der Nacht. Zwischen dem Morgen- und dem Nachtgebet liegen die Lobgebete um 7.30 Uhr,Terz (10.30 Uhr), Sexte (12.45 Uhr), None (14.45 Uhr) und Vespern (17.30 Uhr).
Das frühe Aufstehen ist für mich kein Problem: Meist bin ich um diese Zeit ohnehin schon wach. Problematischer ist es das frühe Ende des Tages. Und die vorgegebenen Zeiten zwischendurch einzuhalten, ist mir bislang noch nicht gelungen. Terz, None und Co gehen im Alltag oft unter, und wenn ich mich an sie erinnere, ist die Zeit meist schon vorbei. Bis die Alarmfunktion der App funktioniert, praktiziere ich deshalb kanonische Stunden oder Offizien light: Ich höre mir die entsprechenden Gesänge an, wenn es mir zeitlich passt. Ohne Stress und Zeitvorgaben. Eigentlich eine gute Wahl. Auf diese Weise lassen sich die kleinen Auszeiten viel besser in den eigenen Tagesablauf integrieren.
Übrigens: Seit fast 20 Jahren gibt es in Deutschland wieder Beginenhöfe und -projekte; fast 20 sind im Dachverband der Beginen organisiert. Wer sich für die modernen Beginenhöfe interessiert, findet Infos in einem Artikel von mir unter https://issuu.com/schluetersche/docs/wohnwerken_02
Heinrich Heine war hier – wie viele seiner Dichterkollegen seit dem 18. Jahrhundert. Auch Friedrich Gottlieb Klopstock, Hermann Löns, Theodor Fontane, Wilhelm Raabe und natürlich Johann Wolfgang von Goethe haben den Harz besucht – Letzterer sogar mehrmals. Ob Goethe auch durchs Ilsetal gewandert ist, weiß ich nicht. Er war auf seiner ersten Harzreise auf jeden Fall ganz in der Nähe – auf dem Brocken. Er hat den höchsten Berg Norddeutschlands zwar von der anderen Seite, von Torfhaus aus, erklommen; die Geister lässt er jedoch in Faust, der Tragödie erster Teil, „Übern Ilsenstein!“ – also übers Ilsetal – zum Hexentanzplatz auf dem Blocksberg fliegen.
Den Brockengipfel im Blick
Heine hat 1824 auf seiner Wanderung von Göttingen durch den Harz den umgekehrten Weg vom Brocken durch das Ilsetal hinunter nach Ilsenburg genommen – allerdings zu Fuß. Und er hat der lieblichen, süßen Ilse in seinem Reisebericht ein literarisches Denkmal gesetzt.
Heinricht Heine – rechts das Original, links die modernisierte Variante
Mit Heines Beschreibung könnte meine ohnehin nicht konkurrieren, deshalb lasse ich ihn hier zu Wort kommen. „Es ist unbeschreibbar, mit welcher Fröhlichkeit, Naivität und Anmut die Ilse sich hinunterstürzt über die abenteuerlich gebildeten Felsstücke, so daß das Wasser hier wild emporzischt und unten wieder über die kleinen Steine hintrippelt, wie ein munteres Mädchen. Ja, die Ilse ist eine Prinzessin, die lachend und blühend den Berg hinabläuft“, heißt es in der Harzreise.
Einen Höhenunterschied von etwa 120 Metern überwindet der Bach, der unterhalb des Brockengipfels entspringt, auf einem Streckenabschnitt von etwas mehr als einem Kilometer; ein kleiner Wasserfall reiht sich kaskadenartig an den anderen. Wo beispielsweise die unteren Ilsefälle beginnen und die oberen enden – und umgekehrt – war für uns nicht zu erkennen. An unserer Begeisterung hat das nichts geändert.
Der nach Heinrich Heine benannte Wanderweg ist, da bin ich sicher, zumindest im unteren Teil der schönste Weg zum Brocken, und einer der schönsten Wege, die ich im Harz bislang gewandert bin. Zwar gibt es in dem idyllischen Bachtal keine grandiosen Ausblicke, aber die Ilse entschädigt.
Der Weg schlängelt sich direkt an ihrem Ufer entlang, vorbei an mächtigen Granitfelsen, zum Beispiel am gut 470 m hohen Ilsestein. Wie die Ilse müssen wir über manche Steine klettern, und das sieht sicher weder bergauf noch bergab so leicht und anmutig aus wie bei der Ilse. Doch die übt, anders als wir, ja auch täglich, seit ewigen Zeiten.
Der Ilsestein von unten – und Rast auf einem großen Stein in der Ilse
Kein schöner, sondern ein eher deprimierender Anblick sind die Bäume am oberen Teil des Wegs, etwa ab der Bremer Hütte, wo der Buchenwald endet und der Fichtenwald beginnt. Oder begann. Denn wo Heine einst von einer „Waldung himmelhoher Tannen“ umfangen wurde, sind heute nur noch Baumgerippe zu sehen.
Das Sterben und Leben der Bäume im Harz
Klimawandel, Stürme und der Borkenkäfer haben ganze Arbeit geleistet. Sie hatten aber auch in den Fichtenmonokulturen leichtes Spiel. „Diesen Bäumen ist nämlich das Wachsen nicht so ganz leicht gemacht worden“, schrieb Heine schon vor fast 200 Jahren. „Die meisten Bäume mußten mit ihren Wurzeln die großen Granitblöcke umranken und mühsam den Boden suchen, woraus sie Nahrung schöpfen können.“ Tröstlich ist, dass die Natur den Wald zurückerobert – sie baut die menschengemachten Fichtenwälder um zu einem wilden Naturwald – wie anno dazumal, noch vor Heines Zeiten.
Laut Nationalpark Harz ist der Wald so lebendig und dynamisch wie selten zuvor – 20 bis 30 Prozent der im Wald lebenden Arten brauchen Totholz zum Leben. Und davon gibt es genug. Neue Bäume und andere Pflanzen wachsen auf und zwischen den alten. Die Natur nutzt die Chance, die das Fichtensterben ihr bietet. Vielleicht können und sollten wir von ihr lernen. Irgendwann werden wir dem Borkenkäfer vielleicht dankbar sein.
Bis auf den Brocken sind wir dieses Mal nicht gegangen – wir haben bei der Stempels Buche, von der leider auch nur noch ein Stumpf steht, kehrtgemacht. Vielleicht wandern wir bei unserem nächsten Besuch im Ilsetal weiter. Wahrscheinlich zieht es uns aber eher zur Plessenburg und zur Paternosterklippe und wir besuchen Prinzessin Ilse auf dem Ilsestein. Dort wohnt die Tochter König Ilsungs, nach der Bach, Ort, und Tal benannt sind, nämlich angeblich, seit ein Berggeist sie vor vielen, vielen Jahren vor dem Fluch einer bösen Hexe und vorm Ertrinken gerettet hat. Oder wir wandeln auf den Spuren des Borkenkäfers, dem in Ilsenburg sogar ein eigener Pfad – der Borkenkäferpfad – gewidmet ist.
Die Sage um die Prinzessin Ilse steht im Internet unter
Darüber, dass ich der Anregung aus dem Buch „Minimalismusprojekt“ folgend in der Fastenzeit jeden Tag einen Gegenstand entsorgen möchte, habe ich ja schon geschrieben – und es funktioniert wirklich gut. Nein, ich veranstalte keine Wegwerforgien, aber ich habe bislang mein Ausmist-Soll – ein Gegenstand täglich in der ersten, zwei in der zweiten Woche usw. – nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt. Ein gutes Gefühl.
Reizvoll finde ich auch Christof Herrmanns Idee einer 15-Minuten-Inventur: Das Prinzip ist ganz einfach: Man oder in diesem Fall frau nimmt sich einen Bereich vor, den sie in einer Viertel Stunde ausmisten kann.*
Für ein paar Bereiche, die er vorschlägt, müsste ich sicher eher vier Stunden statt einer Viertel anberaumen; ich beschließe daher, mit einer mittleren Herausforderung zu beginnen und meine Schreibstifte aufzuräumen und auszumisten. „Alle Stifte in der Wohnung zusammentragen und dann die aussortieren, die nicht mehr schreiben oder mit denen man nicht gerne schreibt“, heißt die Aufgabe.
Das kann nicht so schwierig sein und ist sicher schnell erledigt, denkt frau. Denn ich bin zwar ein Papierfreak und kann oft nicht widerstehen, wenn ich ein schönes Notizheft sehe. Aber bei Schreibstiften bin ich inzwischen eher pragmatisch: Meist schreibe ich mit Stiften, die ich als Werbegeschenk bekommen habe. Die Zeit, in der ich mir gelegentlich Markenkulis gekauft oder gewünscht habe, liegt lange zurück. Vor etwa anderthalb Jahren habe ich in einem kleinen Laden in Goslar einen Kuli aus Holz erstanden, den ich eigentlich verschenken wollte, dann aber doch behalten habe. Seither habe ich mir nur noch Fineliner und Aquarellstifte gekauft, weil ich angefangen habe zu zeichnen oder besser gesagt zu kritzeln. Die Fineliner werden mit inventarisiert und aussortiert – die Aquarellmalstifte bleiben bei der Aktion außen vor, weil sie ja keine Schreib-, sondern Malstifte sind.
Angesammelt …
Die erste Erkenntnis: 15 Minuten haben fürs Stifte ausräumen bei weitem nicht gereicht. Das liegt sicher auch daran, dass ich, egal wohin ich gehe, immer mein Tagebuch, mein Bulletjournal und natürlich auch einen Stift zum Schreiben mitnehme. Meine Lieblingskulis waren also auf verschiedene Taschen und Rucksäcke verteilt. Den Holzkuli (siehe oben) und einen Kuli, den ich vor fast vier Jahren aus der Albertina in Wien mitgebracht habe, musste ich sogar aus dem Futter meines Einkaufsrucksacks befreien: Wie sie dort hingeraten sind, ist mir ein Rätsel, denn ich habe trotz intensiver Suche kein Loch gefunden, durch das sie geschlüpft sein könnten. Also zuerst eine Naht auftrennen und sie natürlich auch wieder zunähen …
Erkenntnis Nummer 2: Christof Herrmann hat recht: Es haben sich wirklich sehr viele Stifte angesammelt – obwohl ich die Aufgabe abgewandelt und nicht Stifte aus dem ganzen Haus, sondern nur aus meinen Zimmern zusammengetragen habe.
Erkenntnis Nummer 3: Ich bin eine Sammlerin, die sich schwer von Dingen trennen kann. Denn warum hebt frau Stifte auf, die nicht mehr funktionieren – und ich gestehe, es waren einige. Jetzt habe ich sie habe sie entsorgt – vorschriftsmäßig im Restabfall.
Ausgeschrieben …
Auch von dem Vierfarbstift, der meinem Vater gehört hat, und den dazu gehörenden Ersatzminen – gut ein Dutzend – habe ich mich getrennt. Geschrieben hat der Stift schon lange nicht mehr, und als ich versucht habe, eine Mine auszutauschen, ist die Feder für den Druckmechanismus gerissen. Die Minen waren ohnehin längst eingetrocknet – kein Wunder, sie waren mindestens 40 Jahre alt – und Ersatz gibt es sicher längst nicht mehr.
Aufbewahren werde ich allerdings den Stiftehalter meines Vaters, einen Miniglobus. Ich fand ihn schon als Kind toll – deshalb behält seinen Platz auf meinem Schreibtisch, obwohl ich ihn eigentlich nie benutze.
Für fast drei Dutzend Kulis und Stifte habe ich AbnehmerInnen gefunden. Einige Kulis sind in der Küche gelandet, wo wir sie immer wieder brauchen, um Einkaufslisten zu schreiben und andere Dinge zu notieren. Die Farbstifte bekommen die Enkelkinder; und eine Kollegin hat Verwendung für einige Kulis und ein paar Bleistifte, weil ihre immer wieder auf wundersame Weise verschwinden. Manche Dinge, auch oder sogar vorzugsweise Stifte, bewegen sich offenbar selbstständig in Raum und Zeit. Grund genug, einige Stifte als Reserve zu behalten (Erkenntnis Nr. 4).
Sie bekommen eine neue Besitzerin.
Die restlichen Stifte dürfen also bleiben: Die Kulis, mit denen ich am besten und am liebsten schreibe, und die funktionierenden Fineliner, die meine Tage- und Notizbücher bunter machen sollen. Es sind immer noch zu viel für einen wirklich minimalistischen Schreibtisch, aber immerhin: Ein Anfang ist gemacht. Und ich nehme mir fest vor, nur noch einen neuen Stift zu kaufen, wenn ein alter unbedingt ersetzt werden muss.
Sie dürfen bleiben …
Einige Markenkulis und ein -füller haben Schonfrist bis nach dem Lockdown: Ich habe sie vor Jahren gekauft oder geschenkt bekommen und gerne mit ihnen geschrieben, Weil man für sie besondere Minen und Patronen benötigt, habe ich sie lange nicht mehr benutzt. Aber ich will sie reaktivieren, sobald die Schreibwarenläden wieder geöffnet sind.
Derselbe Monat und fast die gleichen Blickwinkel (oder sind es doch dieselben. Aber das ist – wieder mal – ein anderes Thema). Auf jeden Fall dieselben Motive am Springhorstsee und am Pöttcherteich. Zwischen den verschiedenen Februarfotos liegen gerade einmal zwei Wochen – und ein Temperaturunterschied von 25 Grad, der quasi über Nacht kam und den Schnee dahinschmelzen ließ.
Die Kopfweide am Pöttcherteich ist immer noch kahl, aber das wird noch ändern, da bin ich sicher. Und irgendwann schaffe ich es sicher auch, ein Foto bei Sonnenuntergang aufzunehmen. Dann erscheint der kleine Weiher nämlich in einem ganz besonderen Licht. Es ist ja erst Februar, und das Jahr ist noch lang.
Am Springhorstsee ist zurzeit noch wenig Betrieb, zumindest an normalen Werktagen. Doch das wird sich wohl ändern, wenn das neue Café Frida im April öffnet – so Corona es zulässt.
Derzeit wird noch eifrig umgebaut, drinnen wie draußen. Auch das Ufer wird, so scheint es, umgestaltet, wie ein Seitenblick zeigt.
Café Frida – noch wird gebaut …
Der Schäfer schaut dem Treiben von seiner Insel zu. Vielleicht fragt er sich, ob er mit seinen Schafen bleiben darf – und ob er weiter so ungestört bleibt. Denn vom Café-Strand bis zur Insel sind es nur wenige Meter. Aber Schwimmen war bislang nur im Strandbad am gegenüberliegenden Ufer erlaubt. Ob sich das ändert?
Das Strandbad öffnet vermutlich erst Ende April oder Anfang Mai wieder. In diesem Jahr möchte ich häufiger schwimmen gehen als im vergangenen – das habe ich mir fest vorgenommen.
Manche Dinge kommen – oder geschehen – gerade zur richtigen Zeit. Zufall, sagen die einen, Bestimmung nennen es die anderen. So habe ich das Buch „Das Minimalismusprojekt“* – ganz minimalistisch – schon vor Wochen in der Bücherei vorbestellt, weil ich mich schon lange für das Thema interessiere und auch dem Blog von Christof Herrmann folge. Als es kam, landete es zunächst auf dem Stapel ungelesener Bücher, bis ich es wieder zurückgeben musste, weil die Leihfrist abgelaufen war. Vorher habe ich es natürlich noch gelesen, gerade, als ich meine Ziele für die bevorstehende Fastenzeit festlegen wollte.
Natürlich gehören auch die Klassiker wieder dazu: Keine Schokolade bis Ostern, kein Alkohol – was mir in diesem Jahr ganz leicht fällt, weil coronabedingt kein Besuch bei meiner Freundin in Bruchsal ansteht, und kein Eis: auch das ist in diesem Jahr nicht ganz so schwer, weil meine Lieblingseisdiele im Bahnhof von Hannover zwar geöffnet hat, ich aber a. zur Zeit recht selten nach Hannover fahre, wo meine Lieblingseisdiele ist und b. das Eisschlecken mit Maske wenig Spaß macht. Ich will weniger fernsehen und auch weniger Cola trinken. Und weil ich noch eine gute Ernährungsgewohnheit etablieren möchte, nehme ich mir vor, in den nächsten sechs Wochen jeden Tag mindestens eine Tasse grünen Tee zu trinken.
Zu grünem Tee habe ich leider ein gespanntes Verhältnis: Ich weiß, dass er vor Krebs, Entzündungen und anderen Krankheiten schützen, jung halten, beim Abnehmen helfen und Denkleistung und das Gedächtnis verbessern soll. Aber leider ist er nicht nur sehr gesund, sondern riecht und schmeckt er auch so. Also eher wie Medizin – nicht besonders gut. Irgendwie nach altem, abgestandenen Gras, finde ich. Immerhin habe ich jetzt zwei aromatisierte Grünteesorten gefunden, die mir einigermaßen schmecken, und an die ich mich vielleicht gewöhnen kann. Zumindest in der Fastenzeit, erst einmal.
Die Fastenaktion der evangelischen Kirche: „7 Wochen ohne Blockaden“ hilft mir spontan in diesem Jahr bei der Suche nach Fastenzielen nicht wirklich. Mit dem Thema kann ich zunächst wenig anfangen – vielleicht weil es so wenig greifbar ist. Auch die erste Fastenmail hilft mir wenig. „Mitten in der weltweiten Blockade wollen wir schauen, an welchen Stellen wir auf kleinere Blockaden verzichten können. Es geht darum, den Spielraum zu entdecken, die kleine Lücke, die Bewegung zulässt. Außerdem können wir uns sieben Wochen lang Strategien überlegen, wie wir ein paar kleine Blockaden auflösen oder wegräumen können“, heißt es da (https://7wochenohne.evangelisch.de/fastenmail). Ich werde auf jeden Fall weiter darüber nachdenken. Blockaden gibt es auch bei mir einige, die es aufzulösen gilt. Vielleicht kommt die Erkenntnis noch – mit weiteren Fastenmails, die ich abonniert habe, oder wenn ich mehr grünen Tee trinke und dadurch besser denken kann (s. o.). Die Fastenzeit hat ja gerade erst begonnen.
Im Buch „Minimalismusprojekt“ entdecke ich dagegen sofort etwas, was in den Wochen bis Ostern angehen möchte. Ich will zum Beispiel in den nächsten Wochen „ansteigend ausmisten“. Das heißt ich trenne mich in der ersten Woche täglich von einem, in der zweiten Woche von zwei Gegenständen usw. Bis Ostern wären das immerhin 168 Gegenstände, die ich entsorge, verschenke, weitergebe. Schon beim ersten Durchsehen meines Kleiderschranks finde ich genügend Teile für die ersten beiden Wochen, und für den Notfall habe ich noch ganze Regale alter Bücher im Keller. Trotzdem traue ich mich an die Version für fortgeschrittene, jeden Tag einen Gegenstand mehr zu entsorgen, noch nicht ran – vielleicht im nächsten Jahr.
So mancheR, der in den vergangenen Jahren gefastet hat, macht in diesem Jahr ja nicht mit, weil er oder sie der Meinung ist, dass wir alle in diesen Zeiten ohnehin schon auf so viel verzichten müssen. Vielleicht gefällt mir deshalb auch eine Idee, die dich auf dem Instagram-Account von kräuterwerkstatt gefunden habe: „Ich nutze die Fastenzeit wie jedes Jahr für eine zuckerfreien Wochen. Blumen statt Schokolade ist jetzt mein Motto. Statt mich mit Süßem zu belohnen, kaufe ich mir lieber Blumen und gönne mir Dinge, die der Seele gut tun“, schreibt Susanne Hackel.
Ganz zuckerfrei schaffe ich es sicher nicht durch die nächsten Wochen, aber mit weniger bestimmt. Und bei der Sache mit den Blumen mache ich mit. Eine erste Portion Blumen habe ich mir gestern schon gegönnt, und zwar auf eine nachhaltige Art: Ich bin mit dem Fahrrad in die Herrenhäuser Gärten und habe mich an Krokussen, Schneeglöckchen und Winterlingen gefreut, die dort schon massenhaft sprießen.
Christof Herrmann: Das Minimalismusprojekt. 52 praktische Ideen für weniger Haben und mehr Sein. Gräfe und Unzer, München 2020 17,99 Euro Blog https://www.einfachbewusst.de
Manchmal denke ich, ich bin für solche Touren zu alt. Oder nicht mehr fit genug. Zum einen natürlich, weil ich so alt bin. Zum anderen aber auch, weil ich – anders als früher – nicht genug, genauer gesagt gar nicht mehr trainiere. Das Ziel, jeden Tag 10.000 Schritte zu gehen, erreiche ich leider bei weitem nicht jeden Tag. Und so hat mich die Wanderung am vergangenen Sonnabend schon ans Limit gebracht – allerdings weniger wegen der Strecke, die wir zurückgelget haben, sondern mehr, weil wir die meiste Zeit durch den hohen Schnee gewandert sind.
Unberührte Wege
Der lag mindestens kniehoch, und zeitweise waren wir die ersten Menschen, die dort gegangen sind, seit es geschneit hatte. Nur auf den ersten und letzten Kilometern konnten wir in die Fußstapfen anderer Wanderer treten. Manchmal sind wir den Spuren von Rehen oder Hirschen gefolgt, die aber offenbar nicht geradeaus gehen, wie wir Menschen es tun, sondern sich in Schlangenlinien bewegen. Warum, ist uns ein Rätsel. Betrunken waren sie sicher nicht; vielleicht folgen sie uralten Pfaden, umkreisen Bäume, die einmal dort gestanden haben, ehe wir Menschen sie gefällt haben, um für uns einen Weg durch den Wald anzulegen.
Tief verschneit: der Wegweiser zu unserem Ziel
Eigentlich wollten wir bis zur Marienteich, einem kleine See bei Torfhaus, wandern. Doch diesen Plan haben wir schon nach den ersten Metern im tiefen Schnee aufgegeben. Ich wäre wahrscheinlich schon nach dem ersten Kilometer umgekehrt, doch meine Begleiterin zog es zum Radauwasserfall – und sie zog mich mit. Zum Glück. Denn die verschneite Landschaft war wirklich wunderschön – und schließlich waren es laut Wanderapp ja bis zum Wasserfall nur fünf oder sechs Kilometer. Doch für die brauchten wir mehr als doppelt so lange wie bei „normalen“ Witterungsverhältnissen.
Der Brocken im Blick
Zum Glück stapfte Foe meist tapfer voran und bahnte mir einen Weg – 30 Jahre weniger und etliche Wanderkilometer mehr machen sich halt doch bemerkbar. Außer uns war niemand unterwegs – wir waren ganz allein und mir ist beim Gehen durch den tiefen Schnee wieder einmal bewusst geworden, wie klein wir Menschen in der Natur sind – und wie hilflos wie ihr ausgeliefert sind.
Menschen haben wir erst wieder am Radauwasserfall getroffen, doch die waren, anders als wir, mit dem Auto gekommen, um das im Herabstürzen gefrorene Wasser zu bewundern – ein wirklich beeindruckender und in den letzten Jahren seltener Anblick.
Bizarr und beeindruckend
Dass wir vom Wasserfall wieder zurück nach Bad Harzburg mussten, hatte ich völlig verdrängt – und auch, wie lang dreieinhalb Kilometer sein können, wenn man müde wird und die Beine schwer. Und wenn der Schnee kniehoch liegt.
„Sei froh, dass du hier wandern kannst“, habe ich mir immer wieder gesagt. „Bin ich, nachher“, hat mein weniger leidensfähiges Ich geantwortet. Irgendwie musste ich an meinen ersten Marathonlauf denken, als ich kurz vor dem Ziel erschöpft aufgeben wollte – und es natürlich nicht getan habe. Hier war Aufgeben ohnehin keine Option – schließlich mussten wir ja nach Hause, und zwar zu Fuß.
Das dauerte länger als geplant, und am Ende war ich wirklich platt. Wie gesagt: Manchmal denke ich, ich bin für solche Touren zu alt. Oder nicht mehr fit genug. Aber es hat Spaß gemacht, und es war ein tolles Gefühl, durchgehalten zu haben. Und ich finde es schade, dass dies wohl die letzte Schneewanderung in diesem Winter war.
Ja, es gab für mich gute Gründe, am Freitagmittag trotz des durch den Schneefall am Anfang der Woche auf Straßen und Schienen verursachten Chaos in den Harz zu fahren: Meine Kollegin Foe brauchte Schneefotos für ihre Website, ich brauchte die Hilfe meiner Kollegin bei einigen Problemen mit meinem Blog und meinem Instagram-Account. Und wir wollten wieder einmal gemeinsam wandern.
Und nein, ich wäre nicht in den Zug gestiegen, wenn nicht auf der Bahn-Website und in meiner Bahn-App gestanden hätte, dass der Verkehr auf der Strecke zwischen Burgwedel und Bad Harzburg wieder normal läuft. Ich kaufte also voller Zuversicht ein Ticket und fuhr los.
Der Zug nach Hannover war pünktlich, und auch der Zug, der mich laut Fahrplan, App und Anzeige auf dem Bahnsteig von Hannover ohne Umstieg in knapp 90 Minuten nach Bad Harzburg bringen sollte, fuhr in Hannover pünktlich los. Dass er nur bis nach Hildesheim fahren würde, verkündete der Zugführer erst, als meine Mitreisenden und ich schon im Zug saßen. Immerhin versprach er einen Schienenersatzverkehr ab Hildesheim. Der Bus sollte vor dem Bahnhof abfahren, wo genau, wusste er leider nicht, ob der Busfahrer warten würde, wenn der Zug verspätet ankäme, ebensowenig.
Er wartete nicht, obwohl der Zug gerade mal fünf Minuten Verspätung hatten und meine Mitreisenden und ich aus dem Zug auf den Bahnhofsvorplatz sprinteten. Wir standen suchend um 13.20 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz, der Bus war wohl pünktlich eine Minute vorher abgefahren, ohne auf die Passagiere zu warten, die er ersatzweise nach Bad Harzburg bringen sollte. Wer nicht kommt zur rechten Zeit, muss warten …
Wann und wo der nächste Bus fahren würde, wussten weder die Bahn-App noch die realen Mitarbeitenden im Desinformationszentrum im Bahnhof Hildesheim. Und während die Bahn-App und die Anzeigentafel im Bahnhof immer noch ankündigten, dass der nächste Zug in ein paar Minuten pünktlich nach Bad Harzburg fahren würde, glaubten die Info-MitarbeiterInnen immerhin, dass er wohl ausfallen würde, weil bisher noch kein Zug in diese Richtung gefahren sei. Sie verwiesen mich und die mit mir Gestrandeten aber für alle weiteren Informationen an die Privatbahn: „Mit dem Erixx haben wir nichts zu tun“, erklärten sie allen, die wissen wollten, wie es weitergeht. „Außer Karten verkaufen und abkassieren“, antwortete die mittlerweile erboste Bloggerin, bevor sie das Informationszentrum zusammen mit anderen Mitwartenden wutschnaubend verließ. Warten in der Kälte verbindet.
Meine Kollegin Foe recherchierte derweil zu Hause auf diversen Kanälen: Die Erixx-Webseite (Stand: Vorabend 18 Uhr) versprach ein Update mit neuen Informationen, das aber auch am nächsten Mittag noch auf sich warten ließ. Ebenso wie die versprochene schnelle Antwort über den Facebook-Account der Privatbahn. Die Mitarbeiterin des Erixx, die nach endlosen Minuten in der Warteschleife endlich ans Telefon ging, konnte immerhin die Abfahrtszeit des nächsten Schienenersatzverkehrs nennen. Der nächste Bus sollte um 15.20 fahren und eine Stunde später in Bad Harzburg sein – voraussichtlich. Genaueres konnte oder wollte sie nicht sagen. Und für den Ärger über den ausgefallenen Zug hatte sie überhaupt kein Verständnis: „Lesen Sie keine Nachrichten?“, fragte sie, ohne eine Antwort zu erwarten. „Und wissen sie nicht, was für ein Wetter wir haben.“ „Doch“, antwortete ich. „Denn ich stehe in Hildesheim in der Kälte. Und ich wäre nicht gefahren, wenn Bahn-Website und Bahn-App nicht eine problemlose Verbindung angekündigt hätten.“ „Wenn sie sich bei der Bahn erkundigen, sind sie selbst schuld“, bekam ich zu hören und ich muss zugeben: Wenn sie neben mir gestanden hätte, hätte ich sie wahrscheinlich erwürgt. Oder ihr zumindest einen Schneeball ins Gesicht geworfen.
So blieb mir nichts anderes übrig als mit den anderen zu warten. Nun hat Hildesheim zwar viele hübsche Stellen, aber die Gegend um den Bahnhof ist recht trostlos. Vor allem in Lockdown-Zeiten, wenn weder Geschäfte noch Cafés geöffnet sind. Nicht einmal eine Toilette gibt es nach Auskunft der Bahnmitarbeiterin in ihrem gastlichen Bahnhof. Noch eine Fehlinformation, wie ich von eine Mitwartenden erfuhr, die keine Bahnmitarbeiterin, sondern eine Reisende gefragt hatte. Die wissen offenbar mehr als die MitarbeiterInnen der Bahn – und sind zudem hilfsbereiter und freundlicher.
Irgendwann bin ich – zweieinhalb Stunden später als geplant – dann doch in Bad Harzburg angekommen. Und natürlich fahre ich weiter mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit Bussen und Bahn. Aber bevor ich eine Fahrkarte für die Rückfahrt gebucht habe, habe ich mich nicht nur auf meine Bahn-App und auf die Website der Bahn verlassen – denn dann, das habe ich gelernt, ist man manchmal verlassen. Der Zug von Bad Harzburg nach Hannover war zwar nicht pünktlich, aber fast – „Grund sind Schnee und Eis“, erklärte die freundliche Lautsprecher-Stimme auf dem Bahnsteig und bat um Entschuldigung – „for any inconvenience“.
Allen Mitarbeitenden der Bahn – ob privat oder deutsch – sei’s deshalb noch einmal erklärt: Ich habe volles Verständnis dafür, dass bei extremen Witterungsverhältnissen Züge verspätet fahren oder gar ausfallen. Und das entschuldige ich natürlich. Kein Verständnis habe ich dagegen dafür, dass die Unternehmen gar nicht, zu spät oder (absichtlich) falsch informieren. Dass sie Fahrkarten verkaufen, aber sich für den Service nicht zuständig fühlen ihre Kompetenzrangeleien auf dem Rücken der Fahrgäste austragen.