Gute Vorsätze

Das neue Jahr ist schon ein bisschen angebraucht, die ersten guten Vorsätze sind schon wieder gebrochen. Besonders originell waren sie ohnehin nicht, genau genommen unterscheiden sie sich nicht von den guten Vorsätzen der meisten Menschen hierzulande: Weniger Stress, weniger Druck, weniger arbeiten, dafür mehr Zeit für Freunde und Familie, mehr Zeit für mich selbst und für meine Hobbys, mehr reisen, mehr bewegen, abnehmen, weniger fernsehen und weniger Zeit an Computer und Handy.

Natürlich gibt es auch noch ein paar individuelle Vorsätze: Ich will mich mehr um meinen Garten kümmern, endlich anfangen zu malen, um mehr Farbe in mein Leben zu bringen, öfter wandern – und mindestens einen Blogbeitrag pro Woche schreiben. Neu sind diese Vorsätze nicht: Wenn ich in den Tagebüchern nachlese, die ich seit Jahrzehnten führe, sind es (fast) genau die gleichen wie in den vergangenen Jahr(zehnt)en. Dass ich sie jedes Jahr aufs Neue fasse, zeigt, dass ich sie nicht wirklich durchhalte, dass sie noch nicht zu Gewohnheiten geworden sind.

Manches hat gute Gründe: Mehr bewegen und Sport treiben ist normalerweise kein Problem, zurzeit aber nach einer Knieverletzung und kurz nach einer Meniskusoperation (noch) nicht möglich; abnehmen ist dadurch auch schwierig und für Gartenarbeit ist einfach jetzt im Januar nicht die richtige Zeit.

Andere Vorsätze sind schon deshalb schwer durchzuhalten, weil sie sich widersprechen: Wie soll es mir gelingen, in meiner (eher begrenzten) Freizeit mehr Zeit für mich selbst, für neue und alte Hobbys, für Freunde und Familie und für soziales Engagement zu haben. Weniger arbeiten wäre eine Lösung, aber dann habe ich kein Geld, um mehr zu reisen (ein weiterer Vorsatz aus der langen Liste).

Weniger ist mehr, das gilt wohl auch für gute Vorsätze. „Versuchen Sie nie, sich mehr als eine dieser Routinen auf einmal abzugewöhnen. Das gelingt nur selten. Konzentrieren Sie lieber alle Energien zunächst auf die eine lästige“, heißt es in dem sehr informativen Beitrag von Jochen Mai Gewohnheiten ändern: Raus aus der Routine! auf der Website http://karrierebibel.de. Die lese ich, obwohl ich nicht zur Zielgruppe gehöre und eigentlich zu alt (nicht zwischen 18 und 58), zu berufserfahren (kein Young Professional) und sicher nicht erfolgreich genug (kein wichtiger Influencer) bin.

Der Beitrag enthält noch eine schlechte Nachricht für alle, die wie ich Geduld nicht gerade zu ihren Kernkompetenzen zählen. Bis man eine Routine entwickelt, sich eine schlechte Eigenschaft ab- oder eine gute angewöhnt hat, dauert es nicht nur drei Wochen (die berühmten 21 Tage), sondern mehr als dreimal so lang. Nach einer Studie dauert es im Durchschnitt 66 Tage, bis Handlungen zu  Gewohnheit wird. Immerhin schadet es nichts, wenn man gelegentlich einen oder zwei Tage pausiert.

Helfen soll’s, wenn man über seine Pläne spricht – etwa im Blog oder auf Facebook – und damit hilfreichen Druck schafft. Das tue ich mit diesem Blogbeitrag, auch wenn ich damit gegen einen weiteren guten Vorsatz verstoße, mir in diesem Jahr weniger Druck zu machen.

Gut versichert?!

Alle Jahre wieder in der Vorweihnachtszeit bekomme ich einen Fragebogen von der Versicherung, bei der ich Schäden abgesichert habe, die ich eventuell durch meine berufliche Tätigkeit anrichte. Die Versicherung will wissen, ob in meinem Unternehmen im letzten Jahr neue Geräte und damit neue Risiken hinzugekommen sind. Das ist ihr gutes Recht, dafür habe ich Verständnis. Was mich irritiert ist, wonach gefragt wird.

Ich bin Journalistin und Lektorin – und das habe ich beim Abschluss der Versicherung vor etwa einem Vierteljahrhundert auch wahrheitsgemäß angegeben. Zu meinen Arbeitsgeräten gehören Computer, Fotoapparat, das Internet, ein Festnetz- und ein Mobiltelefon, mehrere Taschen (meine Leidenschaft, deshalb mehr, als ich eigentlich brauche), Bücher (eine noch größere Leidenschaft) und Berge von Papier.

Papierberge sind nicht ungefährlich, sie können umstürzen und den Betriebsinhaber (mich) oder Besucher (eher selten, weil kein Publikumsverkehr) unter sich begraben oder im schlimmsten Fall als Lawine ins Tal, sprich, in die untere Etage fließen und die Menschen, die sich dort aufhalten, gefährden. Mir sind die Gefahr und meine Verantwortung durchaus bewusst. Deshalb, aber eigentlich mehr, um wenigstens ein bisschen Ordnung in mein Arbeitszimmer und damit in mein Leben zu bringen, entsorge ich (unregelmäßig, aber häufig) Papier. Die Papiertonne, die uns der regionale Abfallentsorger zur Verfügung stellt, ist (fast) jede Woche prall gefüllt.

Aber die Versicherung interessiert überhaupt nicht, um wie viele Meter der Papierberg in diesem Jahr angewachsen ist. Sie will auch nicht wissen, wie ich zu meinen Terminen und meinen Auftraggebern komme (meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln, seltener mit dem Pkw und mit dem Fahrrad) und auch nicht, wie viele Computer ich habe. Dafür soll ich Auskunft geben, wie viele Service-Kräfte in meinem Auslieferungslager tätig sind (keine, ich versende meine Artikel, meist per E-Mail) und wie viele Hub- und Gabelstapler, Kräne, Motorschlitten, Winden, Tank- oder Kesselwagen ich habe und ob und wie sich die Zahl seit der letzten Erhebung vor einem Jahr verändert hat (nein, ich habe keine und die Zahl hat sich im vergangenen Jahr wie in den 25 Jahren zuvor nicht verändert).

Das ist für meine Branche nicht unüblich. Ich habe mich bei Kollegen umgehört – keine/r besitzt solche Geräte, nur ein Redakteur bei einer Zeitschrift für Baumaschinen hat einige Modelle im Maßstab 1 zu irgendwas, hat sie allerdings der Versicherung nicht gemeldet. Als ich den Vordruck zum ersten Mal bekam, habe ich ihn zugegebenerweise ignoriert, weil ich dachte, man hätte mir den falschen Vordruck zugesandt. Nach zwei Mahnungen und der Drohung, den Bestand zu schätzen oder meine Versicherung zu kündigen habe ich ihn wahrheitsgemäß ausgefüllt. Ich habe außerdem hoch und heilig versprochen, dass die Versicherung die allererste sei, die es erfahren würde, wenn ich mir je ein solches Gerät anschaffen würde. Doch offenbar vertraut die Versicherung mir nicht: Ich bekomme den Vordruck alle Jahre wieder – und fülle ihn brav aus, um lästige Nachfragen zu vermeiden. Und vielleicht bietet sich ja irgendwann die Gelegenheit, einen gebrauchten Hub- oder Gabelstapler günstig zu erstehen. Vielleicht wünsche ich mir auch im nächsten Jahr einen Motorschlitten zu Weihnachten. Mit dem kann ich dann durch die tiefverschneiten niedersächsischen Landschaften fahren.

Gespannt bin ich, ob sich dann die Versicherungsprämie ändert. Wahrscheinlich fällt es aber gar nicht auf, weil niemand die Vordrucke, die ich und Tausende andere Journalisten seit Jahren ausfüllen, wirklich liest. Sie werden wahrscheinlich nur gestapelt, und manchmal stelle ich mir vor, dass der Sachbearbeiter irgendwann einen Kran braucht, um die aktuellen Formulare an den richtigen Platz zu hieven.

Von Smartphones, Akkus und anderen Versprechen

Ich habe auch ein Smartphone. Das ist nichts Besonderes, alle haben eins, sogar meine Physiotherapeutin, obwohl sie mit moderner IT wenig am Hut hat. Dass sie ihre Mails nur sehr sporadisch abruft, weiß ich aus Erfahrung, ebenso, dass sie ihre Termine ganz klassisch in einen Kalender einträgt. Vielleicht hört sie mit ihrem Smartphone Musik, wenn sie mit dem Fahrrad zu ihrer Praxis fährt. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie damit nur telefoniert.

Telefonieren konnte ich mit meinem alten Handy auch – und, um nicht ungerecht zu sein, hätte ich auch manches andere damit tun können, was ich nie oder selten getan habe. Fotografieren beispielsweise, wenn auch mit schlechter Qualität, oder auch im Internet surfen. Doch das war bislang einfach zu teuer, was an meinem Tarif lag, nicht am Handy.

Das war ein Dinosaurier unter den Mobiltelefonen, der  mehrere Vertragsverlängerungen überstanden hatte: Es hatte noch richtige Tasten, ein winziges Display, war klein, handlich robust – und sehr genügsam. Es hat mich getreulich an wichtige Daten erinnert und geweckt, wenn ich das wollte. Einmal aufgeladen, war es mir eine Woche oder noch länger zu Diensten. Eigentlich war es gerade richtig. Doch es entlockt dem freundlichen Verkäufer in dem Handyladen nur einen mitleidigen Blick: Dass es so etwas überhaupt noch gibt.

Weil ich mich mit Handys nicht auskenne und auch keine Lust habe, mich intensiv damit zu beschäftigen, schließe ich den vertrag nicht im Internet ab, sondern in einem Telefonladen im Dorf. Das ist zwar teurer – aber Service und gute Beratung sind mir einige Euro mehr im Monat wert. Außerdem fördere ich so die heimische Wirtschaft. Das freut den jungen Mann, der mir das Gerät inklusive Zwei-Jahres-Vertrag mit seinem Anbieter wärmstens empfiehlt. Es ist nicht das neueste Modell, aber genau richtig für mich, weil ich keinen Schnickschnack, sondern ein Mobiltelefon brauche, mit dem ich auch mal ins Internet gehen und Mails abrufen kann.

Mein neues Mobiltelefon – nein keines, das mit einen großen I beginnt, aber auch kein Billiggerät – ist ein richtiger kleiner Computer. Es hat eine interne Speicherkartenkapazität von 8 Gigabyte – mehr als der Computerdinosaurier, der noch irgendwo auf dem Speicher ein unbeachtetes Dasein fristet. Es verfügt nicht nur über eine, sondern über zwei Kamera, die sogar Gesichter erkennt – ob nur meins, weil es mir gehört und ich es regelmäßig auflade, oder auch andere, habe ich noch nicht herausgefunden. Ich kann nicht nur Fotos mit beeindruckenden 8 Millionen Pixeln, machen, sondern auch Videos drehen. Der Bildschirm – natürlich ein Touchscreen – hat immerhin 16 Millionen Farben, die ich leider nicht alle unterscheiden kann. Ich kann nicht nur SMS, sondern auch MMS, Instant Messages und E-Mails versenden, ich kann im Internet surfen, chatten, an Telefonkonferenzen teilnehmen. Ich kann mit dem Smartphone meine Termine planen, Videos anschauen, Radio oder meine Lieblingsmusik hören. Und wenn ich mal verloren ginge, fände ich dank GPS finde gewiss wieder nach Hause zurück.

Doch diese Funktion benötige ich wohl kaum. Denn leider kann ich mit meinem neuen Wunderwerk nicht mehr allzu weit von der nächsten Steckdose entfernen. Die Batterie hält nämlich nicht, was Hersteller S und Telefonanbieter B versprechen: 12 Stunden soll ich damit telefonieren, 11 stunden Video sehen und 49 Stunden Musik hören können. Die Standby-Zeit beträgt angeblich 300 Stunden, das sind bei einer durchschnittlichen Tageslänge von 24 Stunden rund 13 Tage. Mein Akku macht leider schon nach anderthalb Tagen schlapp – und das Handy bleibt stumm. Selbst wenn ich das Handy gar nicht nutze, weder damit surfe (weil ich an meinem Computer sitze) noch telefoniere (weil ich eigentlich meinen Festnetzapparat bevorzuge) hält er maximal 48 Stunden.

Um Strom zu sparen, habe ich (natürlich) die Energiesparfunktionen aktiviert und (fast) alle Funktionen ausgeschaltet: Bluetooth, GPS, mobile Daten, selbst die Lageerkennung. Nur wenn jemand anruft, klingelt es noch. Mehr Stand-by geht meiner Meinung nach nicht. Dennoch verlangt das Telefon mal schon nach 24, spätestens aber nach 36 Stunden, dass ich es wieder ans Ladegerät anschließe.

Als ich dem freundlichen jungen Verkäufer sage, dass mein tolles Handy vermutlich einen defekten Akku hat, der viel zu schnell leer ist, belehrt er mich eines Besseren. Die „bis zu“ Angabe von S. in der Akkulaufzeit „Standby“ sei sehr hoch gegriffen. Ein Smartphone halte bei wenig bis mittlerer Benutzung ca. 1 – 1,5 Tage. Als ich ihn frage, warum er mich nicht auf die kurze Akkulaufzeit hingewiesen habe, ist er fast empört: Das wisse doch jeder, meint er. Ich wusste es nicht! Dass ich mich von ihm schlecht beraten fühle und mich nicht zufrieden geben will, dass der Handy-Akku nicht einmal ein Sechstel der angegebenen Laufzeit hält, kann er gar nicht verstehen, auch nicht, warum ich damit zu ihm komme. Da müsse ich mich an den Hersteller wenden. Zu wem er gehe, wenn der Tank seines neu gekauften Autos schon nach 100 Kilometern leer sei, nicht erst nach 500 oder 600 Kilometern: zu seinem Autohändler oder zum Firmensitz irgendwo in Japan, frage ich ihn. Zum Autohändler, räumt er ein – und ruft selbst beim Hersteller an: Freudestrahlend verkündet mir dann die Lösung des Problems: Ich darf mein Telefon nicht nur nicht benutzen, ich muss auch die SIM-Karte entfernen. Wenn mein Handy also nur noch daliegt und nichts tut, außer da sein und Strom verbrauchen, hält der Akku wie versprochen 300 Stunden. Ein wahres Wunderwerk also.

Um seinen guten Willen zu zeigen, besorgt der freundliche junge Mann mir einen neuen Akku. Ich habe ihn getestet, doch er hält auch nicht länger als der alte. Als ich erneut reklamiere, schickt mir der freundliche Verkäufer die Nachricht, dass er meine Reklamation weitergeleitetet hat. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört.

Jetzt habe ich jetzt nicht nur meine eigenen Termine, sondern auch die meines Akkus im Blick. Dabei könnte mir mein Smartphone helfen, wenn ich es ließe. Doch das kann problematisch werden: Wenn der Akku leer ist, kann ich leider auch meine Termine nicht mehr abrufen. Dabei verlasse ich mich lieber auf meinen Taschenkalender. Der funktioniert auch ohne Strom.

Mein Smartphone leider nicht. Wenn wir am nächsten Tag unterwegs sein wollen und keine Steckdose in Reichweite ist, muss ich es vorher füttern – aber möglichst erst, wenn der Akku ganz leer ist. Und möglichst in der Nacht. Denn während des Aufladens möchte es in Ruhe gelassen werden, damit das Aufladeergebnis nicht beeinträchtigt wird und der Akku länger hält. Auch ein Handy braucht eben seine Auszeiten. Das verstehe ich. Aber vielleicht will ich lieber mein altes Handy zurück.

Krisenmanagement by Bahn oder Wandern im Bahnhof

Wenn eine eine Reise tut, dann kann sie was erzählen – und manchmal ist die Abreise fast so aufregend wie der Urlaub selbst. Weil meine Reisebegleiterin ungern fliegt, ging‘s mit dem Zug zum Wandern nach Ligurien. Die Hinfahrt mit Zwischenhalt in Bologna war lang, aber problemlos. Zurück gab’s im Zug von Mailand nach Zürich einen Saunagang gratis, weil die Klimaanlage nicht funktionierte. Dass nur unser Abteil betroffen war, tröstete uns wenig.

Richtig heiß wurde es dann auf dem Hauptbahnhof in Zürich. Als wir in den gebuchten Zug einsteigen wollte, erklärte uns der Schaffner, dass wir – und mit uns alle Reisenden mit Reservierungen in vier Wagons – leider nicht mitfahren könnten: Die Wagons seien defekt, ohne festen Platz ist im City-Nightliner keine Mitfahrt möglich. Ausnahmen gibt’s auch im Notfall keine.

Wie wir von Zürich nach Hannover kommen sollten, konnte uns der Schaffner nicht sagen: Mit seinem Zug jedenfalls nicht. Er schickte uns zu seiner Kollegin von der Schweizer Bahn, die immerhin auf dem gleichen Bahnsteig anderen Fahrgästen Auskunft gab. Die Schweizer Schaffnerin schickte uns zurück zum City-Nightliner. Wir sollten alle hier ein- und in Basel wieder aussteigen. Dort würden Busse auf uns warten und uns nach Hannover, Hamburg oder Amsterdam fahren. Alle zurück in den Zug; statt auf Abteilsitze zwängten wir uns in Schlafwagenabteile, was dem für die Wagen zuständigen Schaffner sehr missfiel: Die Plätze seien reserviert, für andere, es sei nicht gestattet, sich auf die Betten zu setzen oder das Gepäck darauf abzustellen, schimpfte er. Wo sich rund 200 Gäste mit gültiger Fahrkarte und Reservierung, aber ohne Platz aufhalten sollten, wusste er nicht, sicher aber nicht in seinem Wagon.

Kaum war der Zug angefahren, gab‘s eine neue Ansage: die Reisenden mit Reservierungen, aber ohne Wagon, sollten nicht erst in Basel, sondern bereits beim nächsten Halt in schweizerischen Baden aussteigen. Auf dem Bahnhofsvorplatz sollten Busse warten, die uns nach Hamburg, Hannover und Amsterdam bringen. Große Lust, die Nacht im Bus zu verbringen, hatte niemand. Doch in Ermangelung wirklicher Alternativen stiegen rund 200 Reisende brav aus, schoben und trugen rund 400 Gepäckstücke vom Gleis die Treppe runter in Richtung Bahnhofsvorplatz. Dort war allerdings kein Bus in Sicht. Busse, erklärten uns die Einheimischen, würden in der Regel hinter dem Bahnhof losfahren. Alles zurück, durch den Bahnhof, hoch zur Bushaltestelle hinter dem Bahnhof. Dort warteten lediglich ein paar Schweizer Jugendliche und ein Bus nach Freimertsdorf, wo immer das liegt. Nach ein paar Minuten zogen ein paar Reisende los, um nach den Bussen zu suchen – und kamen mit der Nachricht zurück, dass die Busse wohl doch auf dem Bahnhofsvorplatz warten würden. Wieder hinunter, in der Unterführung dann eine neue Anordnung: Alle auf Bahnsteig 5, mit einem ICE weiter nach Basel. Wir schöpften Hoffnung – bis zur nächsten Durchsage: In Basel wartete auf Gleis 8 eben jener City-Nightliner auf uns, aus dem wir ein paar Minuten zuvor aussteigen mussten. Er würde uns in fünf Minuten zum Deutschen Bahnhof in Basel bringen, wo wir dann in Busse umsteigen sollten. Von Hannover oder Hamburg war allerdings keine Rede mehr. Die Bahn hatte sich für uns ein neues Ziel ausgedacht: Frankfurt.

Wieder Treppe runter, Treppe rauf. Wir waren dank unseres einwöchigen Wanderurlaubs bestens gerüstet; nur meine Knieverletzung machte sich ohne Bandagen und Schmerzmittel schmerzhaft bemerkbar. Dem älteren Schweizer Ehepaar, das seinen Urlaub auf Norderney verbringen wollte, fiel die Bahnhofs-Wanderung mit mehreren Koffern sichtbar schwer. Die Engländerin, die bei ihren Mitwandernden mehrmals nachfragte, wohin sie denn nun müsse, konnte ihr Erstaunen über das deutsch-schweizerische Organisationschaos kaum verhehlen.

Déjà-vu: Wieder im Euro-Nightliner, wieder drängen sich 200 heimatlose Reisende in den Gängen vor den Liegewagen, hinein in die leeren Kabinen wagt sich keiner mehr, der unfreundliche Schaffner bewacht seine Schlafwagenabteile wie weiland Xerberus den Eingang zur Hölle. Wer nicht ausweicht – wohin nur in dem schmalen Gang – wird angerempelt. So manches Gepäckstück bekommt einen Tritt. Dann die Durchsage, die die Stimmung hebt: Nur für die Reisenden nach Amsterdam geht die Fahrt mit dem Bus weiter. Für alle, die in Richtung Hannover oder Hamburg wollen, werden an der Spitze des Zugs drei Abteile angehängt. Wir müssen auf dem Schweizer Bahnhof zwar noch einmal aussteigen, dürfen aber an der Spitze des Zuges wieder einsteigen, hoffentlich bis nach Hannover, irgendwann am Morgen. Zwei erste Klasse-Abteile versprechen eine recht angenehme Reise.

Es ist eine Art Murphysches Gesetz: Wenn man einen Schaffner sucht, weil man eine Auskunft oder Hilfe braucht, findet man keinen. Kurz vor fünf am Morgen taucht ein junger Mann in unserem Abteil auf: Ob wir einen Schaffner gesehen haben, fragt er, und ob wir eine Ahnung haben, wo wir sind. Er will nach Koblenz. Der Schaffner hatte ihn abends in Basel in die Abteile an der Spitze des Zuges geschickt – und damit in den falschen Zugteil. Die Wagen in Richtung Amsterdam kommen wahrscheinlich gerade in Koblenz an. Wir sind irgendwo in Hessen – zwischen Kassel und Göttingen – und damit kilometerweit von Koblenz entfernt. Er zieht resigniert ab: Seinen Termin in Koblenz kann er vergessen, hoffentlich war’s kein wichtiger. Wir wünschen ihm viel Glück bei der Suche nach dem Schaffner und bei der Weiterfahrt.

Übrigens: Unser Zug(teil) war pünktlich.

Los geht’s – Gärtnern ohne grünen Daumen

Lesen im Garten – früh im Frühjahr …

Ich liebe Gärten. Ich sehe mir gerne Gartenzeitschriften an, habe einen kleinen, aber feinen Bestand an Gartenbüchern. Ich gehe regelmäßig in die Herrenhäuser Gärten – in den Berggarten, den Teil der Hannoverschen Vorzeigegärten, in dem die Pflanzen scheinbar natürlich wachsen dürfen und nicht von eifrigen Gärtnern in Reih und Glied gezwängt und zurückgestutzt werden, sobald nur ein einziges Blättchen oder Hälmchen über den imaginären Rand hinausragt. Sobald in der Region Gartenbesitzer ihre Gartenpforten für Besucher öffnen, schaue ich mich neidvoll und bewundernd in fremden Gärten um. „Will haben“, denke ich – und weiß, dass das zu den Wünschen gehört, die sich nie erfüllen werden. Denn was so aussieht, als wachse und gedeihe es einfach so, macht sehr viel Arbeit, allen Büchern über lazy gardening oder Gärtnern leicht gemacht zum Trotz.
Meine Begeisterung für Gartenarbeit ist leider bei weitem nicht so groß wie meine Begeisterung für schöne Gärten. Ich lese lieber im Garten oder über Gärten, als im Garten zu arbeiten. Und außerdem fehlt mir zum Gärtnern das Talent. Ich habe ein gutes Gedächtnis für Personen und Ereignisse: Ich kann noch immer Gedichte aufsagen, die ich vor fast einem halben Jahrhundert gelernt habe und – wenn ich tief genug in meinem Gedächtnis krame, kann ich sogar noch eine Maxima und Wendepunkte einer Kurve berechnen, was ich seit meinem Abitur vor fast 40 Jahren nicht mehr tun musste. Ich erinnere mich an alle möglichen Bücher, die ich gelesen, an Filme, die ich gesehen habe, und an Menschen, mit denen ich vor Jahren gesprochen habe – und ich schwöre, es waren viele. Aber wenn es um Pflanzen geht, versagt mein Gedächtnis völlig. Ich habe, befürchte ich, unzählige Pflanzen gesät und gesetzt, die ich dann spätestens im nächsten Jahr wieder herausgerissen habe, weil ich sie im pflanzlichen Kleinkindstadium nicht wiedererkannt und sie irrtümlich für Unkraut gehalten habe. nein, ich habe leider nicht den berühmten grünen Daumen.
Und doch starte ich einen neuen Versuch. Vor drei Wochen haben meine Tochter und ich an einem schönen Vorvorfrühlingswochenende angefangen, alte, aber munter expandierende Büsche, die den halben Garten unterwurzeln und sich überall ausbreiten herauszureißen. Die ersten neuen Sträucher haben wir auch schon gepflanzt. Alles Büsche, die, wenn sie einmal groß genug sind. Vögeln Nistmöglichkeiten und Nahrung bieten sollen. Apfelbeeren beispielsweise (kahl und Nero), rote Heckenberberitzen, Kornelkirschen, eingriffligen Weißdorn, eine Schlehe und zwei Heckenrosen. Jetzt hoffe ich, dass sie angehen und schnell groß und dicht werden. Ob’s klappt. Ich werde darüber in diesem Blog regelmäßig berichten.

… und wenig später im blauen Kissen.