Manchmal hilft wünschen doch

Wünschen hilft, behaupten manche Coachs und Mental-Trainer. Wenn wir uns etwas nur genug wünschen, geht es in Erfüllung. Wir müssen nur fest daran glauben, behaupten sie. Ich bin da zugegebenerweise eher skeptisch, aber es schadet ja nicht, es gelegentlich mal auszuprobieren.

Als ich irgendwann im Februar eine Fahrkarte buchen wollte, hatten mein Computer und/oder die Website der Bahn offenbar keinen guten Tag: Sie behaupteten, dass es am frühen Sonntagmorgen – anders als an Werktagen – keine direkte Verbindung zwischen Hannover und Leipzig gibt. Stattdessen schlugen sie mir vor, zunächst nach Berlin zu fahren und dort in einen Zug nach Leipzig umzusteigen. Um rechtzeitig zu meinem Termin um 11 Uhr in Leipzig zu sein, willigte ich ein – allerdings mit einem mulmigen Gefühl, denn knapp zehn Minuten Zeit zum Umsteigen sind nicht gerade großzügig bemessen.

Drei Tage vor der Fahrt entdeckte ich dann beim Warten auf einen anderen Zug – ganz klassisch auf dem gelben Aushangfahrplan auf dem Bahnhof – eine weitaus bessere Alternative: zwar mit einem langsameren IC, dafür aber ohne Umsteigen, ohne Umweg und deshalb sogar ein paar Minuten schneller.

Doch leider war es zu spät: Der Umtausch hätte mich nicht nur die übliche Gebühr von 15 Euro gekostet, sondern wäre wesentlich teurer geworden: Weil ich Hin- und Rückfahrt gleichzeitig gebucht hatte, hätte ich auch die Rückfahrkarte zurückgeben und neu kaufen müssen. Also beschloss ich, den Umweg in Kauf zu nehmen. Aber ich hoffte natürlich, dass der Zug nach Berlin sich schon in Hannover verspäten würde – und ich einen Anlass hätte, einen anderen Zug zu nehmen.

Ganz funktionierte es nicht: Der Zug stand pünktlich abfahrbereit auf dem Gleis, als ich ankam. Allerdings war der Halt im Hauptbahnhof in Berlin gestrichen – und damit auch die Möglichkeit, dort den Anschlusszug nach Leipzig  zu erreichen. An der Auskunft – pardon, am Service Point – erfreulicherweise diesmal keine Schlange, die Mitarbeiterin war nicht nur ausnahmsweise freundlich, sondern hatte auch ein Einsehen: Warum der Halt in Berlin  gestrichen worden war, wusste sie auch nicht, aber sie hob ohne Zögern die Zugbindung auf – ich konnte wie gewünscht in den IC nach Leipzig steigen. Der stand schon mit vielen leeren Plätzen am Bahnsteig gegenüber und brachte mich pünktlich zu meinem Termin. Manchmal hilft wünschen offenbar doch, und vielleicht versuche ich es gelegentlich auch mit größeren Zielen.

Einfach losfahren

Ich habe es getan, ich habe einfach ein Niedersachsenticket gebucht und bin losgefahren. Einfach natürlich nicht, denn es fällt mir eher schwer, Dinge einfach nur so für mich tun, ohne dass es einen Grund gibt, oder an einem Werktag freizumachen, an dem ich eigentlich brav am Schreibtisch sitzen, mich in Indesign einarbeiten, Artikel schreiben oder doch zumindest recherchieren sollte. Doch dann fällt mein Blick auf eines meiner Lieblingsgedichte, das neben meinem Schreibtisch hängt: Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte …

Es stammt offenbar nicht von Jorge Louis Borges, was aber nichts daran ändert, dass es mir sehr gut gefällt:
„… im nächsten Leben würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen.
Ich würde nicht so perfekt sein wollen,
ich würde mich mehr entspannen …“

Mehr reisen würde „er“ (oder sie oder es, das lyrische ich) auch. Und weil mir für einen Auftrag noch wichtige Angaben und Unterlagen fehlen und die Korrekturen eines Buchs noch nicht bei mir angekommen sind, fahre ich los.

Obwohl ich seit fast 30 Jahren in der Nähe von Hannover lebe und es einen Zug gibt, der mich ohne Umsteigen von Bahnhof zu Bahnhof bringt, war ich noch nie in Göttingen. Vielleicht hat mich Heinrich Heines Urteil beeinflusst, der in seiner Harzreise schreibt: „Die Stadt selbst ist schön und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht“. Mein Mann fand immer, dass Göttingen nicht der Reise wert sei, doch auch er war wohl das letzte Mal als Student in Göttingen – also vor mehr als 40 Jahren. Und auch von meinen Bekannten, deren Kinder in Göttingen studiert haben, hat niemand wirklich von der Stadt geschwärmt. Es gab also immer lohnendere Ziele. Bis jetzt.

Auf dem Bahnhofsvorplatz erinnert ein leerer Denkmalsockel mit dem Schriftzug „Dem Landesvater seine Göttinger Sieben“ an die Professoren, die im November 1837 gegen die Aufhebung der (damals recht liberalen) Verfassung im Königreich Hannover protestierten und prompt von König Ernst August I entlassen wurden. Drei von ihnen, Friedrich Dahlmann, Jacob Grimm und Georg Gottfried Gervinus, wurden sogar verbannt.

Denkmal Göttinger Sieben

Georg Christoph Lichtenberg hat den Protestbrief nicht unterzeichnet – er war zwar auch Professor in Göttingen, aber damals schon lange tot: Er starb 1799. Ich muss gestehen, dass ich nur seinen Namen kannte, bis ich ihn – in Bronze gegossen – vor einem  Unigebäude sitzen sah. Lichtenberg war nicht nur der erste deutsche Professor für Experimentalphysik (nicht gerade mein Spezialgebiet), sondern er gilt auch als Begründer des deutschsprachigen Aphorismus (was ich eigentlich hätte wissen müssen, schließlich habe ich mal Germanistik studiert). Lichtenbergs „Sudelbücher“ mit naturwissenschaftlichen und anderen klugen Erkenntnissen wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht.

Den Satz „Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?“, kannte ich; ich wusste aber nicht, dass er von  Lichtenberg stammt – ebenso wie die Erkenntnis „Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll.“ Und: „Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt.“ In dem Buch, das aufgeschlagen vor Lichtenberg liegt, ist zu lesen: „Das viele Lesen hat uns eine gelehrte Barbarei zugezogen.“ Ich ziehe mir in Göttingen höchstens eine Erkältung zu, denn es ist, obwohl die Sonne gelegentlich scheint, doch noch ziemlich kalt. Zu kalt auf jeden Fall, um irgendwo in einem der kleinen Cafés und Restaurants zu sitzen, die sich in Höfen und Gassen verstecken.

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Lichtenberg – Ein kluger Kopf und ein kluges Buch

Die Stadt – eine positive Überraschung: Viel Fachwerk, angenehm leer, obwohl es Freitag ist und es hier so viele Studenten gibt. Die Georg-August-Universität ist nicht nur die die älteste noch existierende Uni in Niedersachsen, sondern mit 30.600 Studierenden auch die größte. Aber erstens sind Semesterferien und zweitens sind die meisten Institute und Gebäude eben nicht mehr wie noch in Heines Zeiten in der Innenstadt. Viele kleine Läden, auch Buchläden. Ich finde in einem Schreibwarenladen meine geliebten Claire-Fontaine-Kladden in meiner Lieblingsfarbe, die ich künftig vielleicht nicht nur als Tage-, sondern auch als Sudelbuch benutze, entdecke ein wunderschönes Gartenbuch und in einem Antiquariat ein Buch, dessen Titel mich fasziniert (Und außerdem war es mein Leben) von einer Schriftstellerin, die ich bisher noch nicht kannte. Die Stadt gefällt und mittags ist klar: Mein erster Besuch in Göttingen wird nicht der letzte sein.

„Wohin mich mein Schicksal und mein Wagen führt“, schrieb Lichtenberg in einem seiner Sudelbücher. Mein Zug führt mich am späten Nachmittag noch gen Norden, zum Bahnhof nach Uelzen: Der wurde zur Weltausstellung EXPO 2000 zum Umwelt- und Kulturbahnhof nach den Vorgaben von Friedensreich Hundertwasser umgestaltet und zählt jetzt angeblich zu den (zehn) schönsten Bahnhöfen der Welt. Das kann ich nicht beurteilen, weil ich zu wenige Bahnhöfe in aller Welt kenne. Anders als „normale“ Bahnhöfe ist er mit den bunten Säulen, den Mosaiken, Kugeln und Rundungen auf jeden Fall, drinnen und draußen, Und auch hier steht fest: es hat sich gelohnt, einmal nicht nur von Zug zu Zug zu hetzen.

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Hundertwasserbahnhof in Uelzen

„Man sollte sich nicht schlafen legen, ohne sagen zu können, daß man an diesem Tag etwas gelernt hat,“ sagt Lichtenberg. Ich habe etwas gesehen und gelernt. Und ich bin sicher, dass ich es wieder tun werde – eine Fahrkarte buchen und einfach losfahren.

Wahl- und andere Frauenrechte

Vorgestern im Kino: „Suffragette – Taten statt Worte“. Erzählt wird die Geschichte der Wäscherin Maud Watts – und der Sufragetten, der Frauenrechtlerinnen, die Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem in England und den USA ums Wahlrecht für Frauen, gegen Gesetze, die Frauen benachteiligen, und für Gleichberechtigung kämpften.(Für alle, die es wie ich nicht wussten: Suffragette kommt von souffrage – Wahlrecht.)

Weil ihre friedlichen Versuche erfolglos sind und von den Zeitungen  (das Radio wurde damals gerade erst erfunden, andere Medien gab’s noch nicht) totgeschwiegen werden, werden die Aktionen der Frauen radikaler: Sie werfen z. B. Schaufenster und Straßenlampen ein oder sprengen Briefkästen in die Luft. Maude gerät im Jahr 1913 eher zufällig durch eine Kollegin in die Aktionen hinein und wird dann selbst aktiv. Wie viele Frauenrechtlerinnen wird sie dabei  geschlagen, verhaftet, eingesperrt und zwangsernährt. Bisher brave Ehefrau und Mutter, zahlt sie für ihr Engagement einen hohen Preis: Sie verliert ihren Job – und damit ihre Existenzgrundlage -, ihren Mann und ihren Sohn, der von ihrem Mann zur Adoption freigegeben wird.

Darf er das denn, fragt frau sich – ja, er durfte. Denn bis weit ins 20. Jahrhundert bestimmten die Männer nicht nur allein in Politik und Wirtschaft, sondern auch in der Familie und über die Kinder – auch wenn die Frauen die Erziehungsarbeit leisteten.

Zur Erinnerung für alle aus meiner Generation, die es schon vergessen haben – manche Jüngere lesen es vielleicht zum ersten Mal:

Die Vorrechte des Vaters bei der Kindererziehung wurden in der Bundesrepublik erst am 1. Juli 1958 mit dem Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau eingeschränkt; vollständig beseitigt wurden sie erst 1979. Erst durch das Gleichberechtigungsgesetz Ende der 1950er Jahre wurde das Recht des Ehemanns, in allen Eheangelegenheiten die endgültige Entscheidung zu treffen, ersatzlos gestrichen; Frauen dürfen erst seit 1958 über das Vermögen verfügen, das sie selbst in die Ehe eingebracht haben – vorher bestimmten die Männer, was mit dem Geld ihrer Frauen geschah. Bis 1958 durfte der Mann auch das Arbeitsverhältnis seiner Frau ohne ihre Zustimmung fristlos kündigen; ohne Einverständnis ihrer Männer erwerbstätig sein dürfen Frauen erst seit 1977. Bis dahin durften sie nach § 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur arbeiten, „soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie“ vereinbar war. Es ist heute also vieles besser – sicher auch, weil Elisabeth Selbert darum gekämpft hat, dass der heute so selbstverständliche Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ins Grundgesetz aufgenommen wurde und weil sich nach ihr viele Frauen dafür engagiert haben, dass der Satz auch umgesetzt wird.

Manches, was in dem Film angesprochen wurde, ist noch heute aktuell: So dürfen Frauen in Deutschland zwar seit 1919 wählen – aber nur gut ein Drittel (rund 36 Prozent) der Abgeordneten im Deutschen Bundestag sind derzeit Frauen. In den Landes- und Kommunalparlamenten ist der Frauenanteil – und damit der Einfluss der Frauen – teilweise noch geringer.

Und was die Lohnunterschiede angeht: Im Film erhalten die Frauen pro Woche 17 Schilling Lohn, die Männer 19 Schilling. Das sind 10,5 Prozent weniger (allerdings glaube ich im Film gehört zu haben, dass die Frauen auch länger arbeiten). In Deutschland verdienten Frauen im vergangenen Jahr im Durchschnitt 22 Prozent weniger als Männer. Um ebenso viel zu verdienen wie die Männer in einem Jahr, müssen Frauen 79 Tage länger arbeiten – in diesem Jahr bis zum 19. März, dem Equal pay day. Selbst schuld, heißt es, denn Frauen wählen eben oft die falschen Berufe. Warum es wertvoller oder zumindest besser bezahlt wird, Autos und technische Geräte zu pflegen als Kinder, kranke oder alte Menschen, verstehe ich bis heute nicht. An der (finanziellen) Geringschätzung „weiblicher“ Berufe (und Arbeit) hat sich offenbar noch nichts geändert.

Es gibt also noch viele Gründe zu kämpfen, sich zu engagieren, daran hat mich der Film erinnert. Es lohnt sich, ihn zu anzusehen. Eine gute Filmkritik findet ihr unter http://blog.buecherfrauen.de/suffragetten-100-jahre-und-es-geht-weiter/

Kaffee bitte

Ich gebe zu: Ich bin kaffeesüchtig. Aufs Frühstück kann ich gerne verzichten, auf die Tasse Kaffee nach dem Aufwachen nicht. Ohne Kaffee bin ich unleidlich. Zu Hause brühe ich mir morgens auf, sobald ich wach bin die erste Tasse – von Hand. Bei meiner Freundin, die ich besuche, erledigt das eine Kaffeemaschine. Keine von klassischen mit Filter und Kanne und auch kein Billigmodell, das selbst ein Technik-Analphabet wie ich bedienen kann:  Pad rein, Tasse unterstellen Kaffe raus.  Nein, Sabine besitzt eine Hightechmaschine, die die Bohnen selbst mahlt und je nach gewählter Stärke, Art des Kaffees und Größe der Tasse zuteilt. Das Wunder der Technik steht in ihrem Arbeitszimmer, also direkt neben dem Gästezimmer, in dem ich schlafe. Eigentlich optimal: So bekomme ich frühmorgens meinen Kaffee, ohne alle anderen Hausbewohner zu wecken. Doch mir schwant Böses, denn mit unbekannten Geräten tue ich mich zugegebenerweise schwer.

„Keine Angst, es ist ganz einfach, sie spricht mit dir“, sagt Sabine, als sie meine schreckgeweiteten Augen sieht. Genauer gesagt, sie schreibt mir kurze Botschaften, sobald ich den An-/Aus-Knopf gedrückt habe – und solange meine Freundin neben mit steht, sind die Botschaften eindeutig. Start, Kaffeespezialität auswählen, die Maschine reinigt sich kurz selbst, Tasse unterstellen, alles prima und der Kaffee ist nach kurzem Geknatter fertig. So stark, dass ich sicher bin, dass man meinen Herzschlag noch im Nachbarhaus hört. Kein doubleshot beim nächsten Mal, mir reicht die einfache Bohnen-Dosis.

Als ich am nächsten Morgen mit der Kaffeemaschine alleine bin, wird sie anspruchsvoller. „Wasser auffüllen“, verlangt sie, als ich sie anschalte. Kein Problem, der Wassertank lässt sich mit einem Griff lösen und genauso einfach wieder befestigen. Da ich diese Aufgabe gelöst habe, traut sie mir mehr zu und wünscht eine Rundum-Wartung: „Auffangschale leeren“, schreibt sie. Verständlicherweise, denn die Schale ist wirklich randvoll. Leider habe ich nur im Büro Licht gemacht. Und so balanciere ich mit der offenen Schale vorsichtig durch den dunklen Flur ins ebenso dunkle Badezimmer. Weil auch der Behälter in dem der Kaffeesatz gesammelt ist ziemlich voll ist, leere ich ihn gleich mit. Vorausschauendes Handeln nennt man das oder – weniger freundlich – vorauseilender Gehorsam.

Erwartungsfroh schiebe ich die saubere Auffangschale wieder an ihren Platz, stelle meine Kaffeetasse hin und freue mich auf meinen inzwischen wohlverdienten Kaffee. „Milchschäumer ziehen“, fordert mich die Maschine auf. Ein Blick auf den Kaffeespezialitätenschalter verrät, dass zuletzt jemand einen Café Creme getrunken hat. Zum umwählen ist es offenbar zu spät – sie reagiert nicht, weigert sich, weiterzumachen. Und ich habe keine Milch, die aufgeschäumt werden kann. Wir stehen uns ein paar Sekunden wortlos gegenüber. „Milchschäumer ziehen“, blinkt mir weiter entgegen. Schließlich vertraue ich darauf, dass die Maschine weiß, was sie will.

Ich habe mich getäuscht. Weil ich ihren unausgesprochenen Hunger nach Milch nicht erfüllt habe, faucht sie verärgert und sprüht mir Wasserdampf entgegen wie ein kleiner Drache. Schnell hänge ich die Düse wieder an ihren Platz und drücke auf Start. „Milchsystem reinigen“, schreibt sie. „Nur wenn du bitte sagst“, denke ich laut.

Doch weil ich vergeblich auf das Zauberwort warte, beschließe ich, die Anordnung zu ignorieren. Ich drücke noch einmal auf Start. Sie zögert wieder und fast erwarte ich, dass auf ihrem Display ein energisches „Nein“ oder ein wenig freundliches „Du kannst mal erscheint“ aufleuchtet.

Wieder stehen wir uns stumm gegenüber. „Die Klügere gibt nach“, denke ich. Ich bin inzwischen bereit, heroisch auf den morgendlichen Kaffee verzichten und statt dessen Mineralwasser zu trinken. Ist ohnehin gesünder. Ich will die Maschine gerade ausschalten, als sie losknattert und den Kaffee in die Tasse gießt – mit einem leichten Schaum, schwarz und so stark, dass man meinen Herzschlag noch im Nachbarhaus hört.

Von Handys und Ersatzhandys

Mein Handy hat im November seinen Geist aufgegeben. Das hat mich nicht überrascht, obwohl es damals gerade mal ein halbes Jahr alt war. Das ist selbst für ein Smartphone kein besonders hohes Alter. Aber es hat geschwächelt, seit ich es bekommen habe. Der Akku, der angeblich 300 Stunden Stand-by durchhalten sollte, war spätestens nach 48 Stunden leer. Wenn jemand mich anrief oder eine SMS schickte, oder wenn ich gar wagte, meine Mails abzurufen, machte er meist schon nach einem Tag schlapp.

Das sei normal, behauptete der junge Mann, der es mir verkauft hatte: Dass die Angaben zu den Akkulaufzeiten und damit zum Stromverbrauch nicht stimmen, wisse doch jede/r. Ich wusste es nicht und hatte auf die Angaben des Herstellers vertraut. Aber damals wusste ich  auch noch nicht, dass VW die Abgaswerte der Autos nach unten korrigiert hat. Papier und die moderne IT-Variante Websites sind halt geduldig.

Auch ich brauchte viel Geduld, nicht nur, weil mein Smartphone ständig aufgeladen werden musste. Irgendwann Ende November blieb es dann auch mit aufgeladenem Akku stumm.  Es sagte keinen Ton mehr, ließ sich weder ein- noch ausschalten. Drei Wochen würde die Reparatur dauern, sagte der junge Mann im Handy-Laden. Meinen Hinweis, dass das sehr lange sei für ein Gerät, das man ständig braucht, beantwortete er mit einem Schulterzucken. Immerhin besorgte er mir ein Ersatzhandy: Mein Argument, dass ich auch keine Gebühren zahlen muss, wenn ich mangels internetfähigem Handy weder mobil surfen noch telefonieren kann, überzeugte ihn letztlich doch.

Mit dem Ersatzsmartphone ist es wie mit Ersatzspielern. Sie haben manchmal zwar spielerische und technische Mängel, aber wenn sie mal zum Einsatz kommen, weil die Stammspieler verletzt oder außer Form sind, hängen sich so ins Zeug, dass man die Stammspieler nicht wirklich vermisst. Mich haben vor allem die Kondition und die Einsatzbereitschaft meines Ersatzsmartphones überzeugt: Statt schlappe 36 bis 48 Stunden hielt es mehr als acht Tage, ohne dass der Akku aufgeladen werden musste.

Darüber, dass bei meinem Smartphone aus drei Wochen Verletzungspause sprich Reparaturzeit mehr als sechs wurden, war ich deshalb nicht wirklich traurig. Die „Verletzung“ war schwerer als erwartet. „Die Platine musste ausgetauscht werden“, sagte der junge Mann mit ernster Miene, als ich mein Smartphone Mitte Januar bei ihm abholte. Die Platine ist das „Herz“ des Handys, mein Handy musste also quasi eine Herztransplantation über sich ergehen lassen. Darunter hat auch sein Gehirn gelitten, denn an die gespeicherten Nummern und Daten konnte es sich nicht mehr erinnern. Doch das war nicht zu ändern. Der Akku wurde auch noch mal überprüft“, sagt der junge Mann. „Er ist in Ordnung.“

Vielleicht, dachte ich optimistisch, war der Platinenfehler angeboren und ein Grund für die schwachen Leistungen meines Handys. Vielleicht wird jetzt nach der langen Erholungspause alles besser. Doch meine Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Mein Smartphone ist nach wie vor außer Form. Der Akku hält gerade mal 24 Stunden – und ich denke ernsthaft über eine dauerhafte Auswechslung nach.

Carpe diem

Ich verdiene mein Geld teilweise als Korrektorin und Lektorin. Toll, meinen die meisten, wenn sie das hören. Aber wenn sie dann erfahren, was ich lektoriere und korrigiere, lässt die Begeisterung schnell nach. Keine spannenden Romane nämlich, sondern meist Fachbücher und Fachzeitschriften.

Dabei ist vieles gar nicht so trocken, wie es sich anhört. Für einen Informationsjunkie wie mich ist es genau genommen ein Traumjob. Denn ich erfahre bei der Arbeit Dinge, die ich sonst nie erfahren hätte, weil sie mich auf den ersten Blick gar nicht interessieren.

Zugegeben. Vieles brauche ich sicher nie im Leben und manches wird mir trotz mehrseitiger Erklärung immer ein Rätsel bleiben – beispielsweise wie man einen Zahnriemen wechselt. Aber jetzt weiß ich auch, dass man die Betreuung einer Katze als haushaltsnahe Dienstleistung von der Steuer absetzen kann (leider haben wir keine Katze, weil ich gegen Katzenhaare allergisch bin), was ein Suppenkoma ist (das Tief, das Menschen mittags durchleben) oder ein Beinbrecher. Letzteres habe ich – trotz Geschichtsstudium – erst jetzt erfahren, aus einem Buch, das ich zwischen den Jahren (ja, selbstständig sein bedeutet selbst und ständig arbeiten) korrigiert habe.

Beinbrecher sind Gruben, die nur mit Gittern oder Stäben abgedeckt sind. Damit haben die Menschen früher die Lücken in den Fried- bzw. Kirchhofsmauern geschützt, als es noch keine Friedhofstore gab. Das Vieh des Pfarrers und es Totengräbers, das auf dem Friedhof weiden durfte, konnte dank Beinbrechern nicht hinaus und das Vieh der übrigen Dorfbewohner konnte nicht hinein. Und auch für die Untoten und die Geister waren Beinbrecher ein unüberwindliches Hindernis: Sie mussten auf dem Friedhof bleiben.

Interessant war auch, welche Botschaften man den Lebenden oder auch den Toten mitgab. „Der Tod ist die Pforte zum Leben“ oder das klassische „Carpe diem“ sind die optimistischeren Varianten. Andere Mahnungen sind drastischer, wie die am Friedhof von Segnitz in Unterfranken. Sie stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert, was die ungewöhnliche Rechtschreibung erklärt.
„All die ihr hier für über geht
Und Mein Schräcklich gestalt anseht
Lebt Gotts fürchtig und nembts zu sinn
Den ihr Müsst werden wie ich bin.
(Aus Reiner Sörries: Der Tod ist die Pforte zum Leben. Die Geschichte des Friedhofseingangs vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wiesbaden 2016, S. 51)

Vielleicht hat mich das Buch auch deshalb so berührt, weil mir wieder mal bewusst geworden ist, wie schnell das Leben zu Ende sein kann. Ein ehemaliger Kollege meines Mannes ist an Weihnachten gestorben, er wäre im Mai 40 geworden. Eine Freundin hatte eine ischämische Attacke, kein Schlaganfall, aber eine mögliche Vorstufe, und einer anderen Freundin wurde vor genau einem Jahr ein Aneurysma im Gehirn entfernt. Sie hat die OP, die ihr vermutlich das Leben gerettet hat, unbeschadet überlebt.

Henning Mankell, einer meiner Lieblingsschriftsteller, ist im vergangenen Herbst gestorben, David Bowie und Maja Maranow – als Kommissarin Verena Berthold eine meiner Lieblingskommissarinnen im Fernsehen – erst vor ein paar Tagen. Sie war 54, fünf Jahre jünger als ich.

Das erinnert mich an meine guten Vorsätze fürs neue Jahr: mir Zeit zum Leben nehmen und es bunter machen. Ich habe mich also für den Malkurs angemeldet, den ich schon vor vier Jahren zum Geburtstag geschenkt bekommen habe. Und nächste Woche besuche ich zwei Freundinnen aus Studienzeiten, die ich schon lange, zu lange,  nicht mehr gesehen habe. Carpe diem.

(Für alle, die es interessiert: Das Buch von Reiner Sörries ist im Februar 2016 im Reichert-Verlag in Wiesbaden erschienen).

Gute Vorsätze

Das neue Jahr ist schon ein bisschen angebraucht, die ersten guten Vorsätze sind schon wieder gebrochen. Besonders originell waren sie ohnehin nicht, genau genommen unterscheiden sie sich nicht von den guten Vorsätzen der meisten Menschen hierzulande: Weniger Stress, weniger Druck, weniger arbeiten, dafür mehr Zeit für Freunde und Familie, mehr Zeit für mich selbst und für meine Hobbys, mehr reisen, mehr bewegen, abnehmen, weniger fernsehen und weniger Zeit an Computer und Handy.

Natürlich gibt es auch noch ein paar individuelle Vorsätze: Ich will mich mehr um meinen Garten kümmern, endlich anfangen zu malen, um mehr Farbe in mein Leben zu bringen, öfter wandern – und mindestens einen Blogbeitrag pro Woche schreiben. Neu sind diese Vorsätze nicht: Wenn ich in den Tagebüchern nachlese, die ich seit Jahrzehnten führe, sind es (fast) genau die gleichen wie in den vergangenen Jahr(zehnt)en. Dass ich sie jedes Jahr aufs Neue fasse, zeigt, dass ich sie nicht wirklich durchhalte, dass sie noch nicht zu Gewohnheiten geworden sind.

Manches hat gute Gründe: Mehr bewegen und Sport treiben ist normalerweise kein Problem, zurzeit aber nach einer Knieverletzung und kurz nach einer Meniskusoperation (noch) nicht möglich; abnehmen ist dadurch auch schwierig und für Gartenarbeit ist einfach jetzt im Januar nicht die richtige Zeit.

Andere Vorsätze sind schon deshalb schwer durchzuhalten, weil sie sich widersprechen: Wie soll es mir gelingen, in meiner (eher begrenzten) Freizeit mehr Zeit für mich selbst, für neue und alte Hobbys, für Freunde und Familie und für soziales Engagement zu haben. Weniger arbeiten wäre eine Lösung, aber dann habe ich kein Geld, um mehr zu reisen (ein weiterer Vorsatz aus der langen Liste).

Weniger ist mehr, das gilt wohl auch für gute Vorsätze. „Versuchen Sie nie, sich mehr als eine dieser Routinen auf einmal abzugewöhnen. Das gelingt nur selten. Konzentrieren Sie lieber alle Energien zunächst auf die eine lästige“, heißt es in dem sehr informativen Beitrag von Jochen Mai Gewohnheiten ändern: Raus aus der Routine! auf der Website http://karrierebibel.de. Die lese ich, obwohl ich nicht zur Zielgruppe gehöre und eigentlich zu alt (nicht zwischen 18 und 58), zu berufserfahren (kein Young Professional) und sicher nicht erfolgreich genug (kein wichtiger Influencer) bin.

Der Beitrag enthält noch eine schlechte Nachricht für alle, die wie ich Geduld nicht gerade zu ihren Kernkompetenzen zählen. Bis man eine Routine entwickelt, sich eine schlechte Eigenschaft ab- oder eine gute angewöhnt hat, dauert es nicht nur drei Wochen (die berühmten 21 Tage), sondern mehr als dreimal so lang. Nach einer Studie dauert es im Durchschnitt 66 Tage, bis Handlungen zu  Gewohnheit wird. Immerhin schadet es nichts, wenn man gelegentlich einen oder zwei Tage pausiert.

Helfen soll’s, wenn man über seine Pläne spricht – etwa im Blog oder auf Facebook – und damit hilfreichen Druck schafft. Das tue ich mit diesem Blogbeitrag, auch wenn ich damit gegen einen weiteren guten Vorsatz verstoße, mir in diesem Jahr weniger Druck zu machen.

Gut versichert?!

Alle Jahre wieder in der Vorweihnachtszeit bekomme ich einen Fragebogen von der Versicherung, bei der ich Schäden abgesichert habe, die ich eventuell durch meine berufliche Tätigkeit anrichte. Die Versicherung will wissen, ob in meinem Unternehmen im letzten Jahr neue Geräte und damit neue Risiken hinzugekommen sind. Das ist ihr gutes Recht, dafür habe ich Verständnis. Was mich irritiert ist, wonach gefragt wird.

Ich bin Journalistin und Lektorin – und das habe ich beim Abschluss der Versicherung vor etwa einem Vierteljahrhundert auch wahrheitsgemäß angegeben. Zu meinen Arbeitsgeräten gehören Computer, Fotoapparat, das Internet, ein Festnetz- und ein Mobiltelefon, mehrere Taschen (meine Leidenschaft, deshalb mehr, als ich eigentlich brauche), Bücher (eine noch größere Leidenschaft) und Berge von Papier.

Papierberge sind nicht ungefährlich, sie können umstürzen und den Betriebsinhaber (mich) oder Besucher (eher selten, weil kein Publikumsverkehr) unter sich begraben oder im schlimmsten Fall als Lawine ins Tal, sprich, in die untere Etage fließen und die Menschen, die sich dort aufhalten, gefährden. Mir sind die Gefahr und meine Verantwortung durchaus bewusst. Deshalb, aber eigentlich mehr, um wenigstens ein bisschen Ordnung in mein Arbeitszimmer und damit in mein Leben zu bringen, entsorge ich (unregelmäßig, aber häufig) Papier. Die Papiertonne, die uns der regionale Abfallentsorger zur Verfügung stellt, ist (fast) jede Woche prall gefüllt.

Aber die Versicherung interessiert überhaupt nicht, um wie viele Meter der Papierberg in diesem Jahr angewachsen ist. Sie will auch nicht wissen, wie ich zu meinen Terminen und meinen Auftraggebern komme (meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln, seltener mit dem Pkw und mit dem Fahrrad) und auch nicht, wie viele Computer ich habe. Dafür soll ich Auskunft geben, wie viele Service-Kräfte in meinem Auslieferungslager tätig sind (keine, ich versende meine Artikel, meist per E-Mail) und wie viele Hub- und Gabelstapler, Kräne, Motorschlitten, Winden, Tank- oder Kesselwagen ich habe und ob und wie sich die Zahl seit der letzten Erhebung vor einem Jahr verändert hat (nein, ich habe keine und die Zahl hat sich im vergangenen Jahr wie in den 25 Jahren zuvor nicht verändert).

Das ist für meine Branche nicht unüblich. Ich habe mich bei Kollegen umgehört – keine/r besitzt solche Geräte, nur ein Redakteur bei einer Zeitschrift für Baumaschinen hat einige Modelle im Maßstab 1 zu irgendwas, hat sie allerdings der Versicherung nicht gemeldet. Als ich den Vordruck zum ersten Mal bekam, habe ich ihn zugegebenerweise ignoriert, weil ich dachte, man hätte mir den falschen Vordruck zugesandt. Nach zwei Mahnungen und der Drohung, den Bestand zu schätzen oder meine Versicherung zu kündigen habe ich ihn wahrheitsgemäß ausgefüllt. Ich habe außerdem hoch und heilig versprochen, dass die Versicherung die allererste sei, die es erfahren würde, wenn ich mir je ein solches Gerät anschaffen würde. Doch offenbar vertraut die Versicherung mir nicht: Ich bekomme den Vordruck alle Jahre wieder – und fülle ihn brav aus, um lästige Nachfragen zu vermeiden. Und vielleicht bietet sich ja irgendwann die Gelegenheit, einen gebrauchten Hub- oder Gabelstapler günstig zu erstehen. Vielleicht wünsche ich mir auch im nächsten Jahr einen Motorschlitten zu Weihnachten. Mit dem kann ich dann durch die tiefverschneiten niedersächsischen Landschaften fahren.

Gespannt bin ich, ob sich dann die Versicherungsprämie ändert. Wahrscheinlich fällt es aber gar nicht auf, weil niemand die Vordrucke, die ich und Tausende andere Journalisten seit Jahren ausfüllen, wirklich liest. Sie werden wahrscheinlich nur gestapelt, und manchmal stelle ich mir vor, dass der Sachbearbeiter irgendwann einen Kran braucht, um die aktuellen Formulare an den richtigen Platz zu hieven.

Von Smartphones, Akkus und anderen Versprechen

Ich habe auch ein Smartphone. Das ist nichts Besonderes, alle haben eins, sogar meine Physiotherapeutin, obwohl sie mit moderner IT wenig am Hut hat. Dass sie ihre Mails nur sehr sporadisch abruft, weiß ich aus Erfahrung, ebenso, dass sie ihre Termine ganz klassisch in einen Kalender einträgt. Vielleicht hört sie mit ihrem Smartphone Musik, wenn sie mit dem Fahrrad zu ihrer Praxis fährt. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie damit nur telefoniert.

Telefonieren konnte ich mit meinem alten Handy auch – und, um nicht ungerecht zu sein, hätte ich auch manches andere damit tun können, was ich nie oder selten getan habe. Fotografieren beispielsweise, wenn auch mit schlechter Qualität, oder auch im Internet surfen. Doch das war bislang einfach zu teuer, was an meinem Tarif lag, nicht am Handy.

Das war ein Dinosaurier unter den Mobiltelefonen, der  mehrere Vertragsverlängerungen überstanden hatte: Es hatte noch richtige Tasten, ein winziges Display, war klein, handlich robust – und sehr genügsam. Es hat mich getreulich an wichtige Daten erinnert und geweckt, wenn ich das wollte. Einmal aufgeladen, war es mir eine Woche oder noch länger zu Diensten. Eigentlich war es gerade richtig. Doch es entlockt dem freundlichen Verkäufer in dem Handyladen nur einen mitleidigen Blick: Dass es so etwas überhaupt noch gibt.

Weil ich mich mit Handys nicht auskenne und auch keine Lust habe, mich intensiv damit zu beschäftigen, schließe ich den vertrag nicht im Internet ab, sondern in einem Telefonladen im Dorf. Das ist zwar teurer – aber Service und gute Beratung sind mir einige Euro mehr im Monat wert. Außerdem fördere ich so die heimische Wirtschaft. Das freut den jungen Mann, der mir das Gerät inklusive Zwei-Jahres-Vertrag mit seinem Anbieter wärmstens empfiehlt. Es ist nicht das neueste Modell, aber genau richtig für mich, weil ich keinen Schnickschnack, sondern ein Mobiltelefon brauche, mit dem ich auch mal ins Internet gehen und Mails abrufen kann.

Mein neues Mobiltelefon – nein keines, das mit einen großen I beginnt, aber auch kein Billiggerät – ist ein richtiger kleiner Computer. Es hat eine interne Speicherkartenkapazität von 8 Gigabyte – mehr als der Computerdinosaurier, der noch irgendwo auf dem Speicher ein unbeachtetes Dasein fristet. Es verfügt nicht nur über eine, sondern über zwei Kamera, die sogar Gesichter erkennt – ob nur meins, weil es mir gehört und ich es regelmäßig auflade, oder auch andere, habe ich noch nicht herausgefunden. Ich kann nicht nur Fotos mit beeindruckenden 8 Millionen Pixeln, machen, sondern auch Videos drehen. Der Bildschirm – natürlich ein Touchscreen – hat immerhin 16 Millionen Farben, die ich leider nicht alle unterscheiden kann. Ich kann nicht nur SMS, sondern auch MMS, Instant Messages und E-Mails versenden, ich kann im Internet surfen, chatten, an Telefonkonferenzen teilnehmen. Ich kann mit dem Smartphone meine Termine planen, Videos anschauen, Radio oder meine Lieblingsmusik hören. Und wenn ich mal verloren ginge, fände ich dank GPS finde gewiss wieder nach Hause zurück.

Doch diese Funktion benötige ich wohl kaum. Denn leider kann ich mit meinem neuen Wunderwerk nicht mehr allzu weit von der nächsten Steckdose entfernen. Die Batterie hält nämlich nicht, was Hersteller S und Telefonanbieter B versprechen: 12 Stunden soll ich damit telefonieren, 11 stunden Video sehen und 49 Stunden Musik hören können. Die Standby-Zeit beträgt angeblich 300 Stunden, das sind bei einer durchschnittlichen Tageslänge von 24 Stunden rund 13 Tage. Mein Akku macht leider schon nach anderthalb Tagen schlapp – und das Handy bleibt stumm. Selbst wenn ich das Handy gar nicht nutze, weder damit surfe (weil ich an meinem Computer sitze) noch telefoniere (weil ich eigentlich meinen Festnetzapparat bevorzuge) hält er maximal 48 Stunden.

Um Strom zu sparen, habe ich (natürlich) die Energiesparfunktionen aktiviert und (fast) alle Funktionen ausgeschaltet: Bluetooth, GPS, mobile Daten, selbst die Lageerkennung. Nur wenn jemand anruft, klingelt es noch. Mehr Stand-by geht meiner Meinung nach nicht. Dennoch verlangt das Telefon mal schon nach 24, spätestens aber nach 36 Stunden, dass ich es wieder ans Ladegerät anschließe.

Als ich dem freundlichen jungen Verkäufer sage, dass mein tolles Handy vermutlich einen defekten Akku hat, der viel zu schnell leer ist, belehrt er mich eines Besseren. Die „bis zu“ Angabe von S. in der Akkulaufzeit „Standby“ sei sehr hoch gegriffen. Ein Smartphone halte bei wenig bis mittlerer Benutzung ca. 1 – 1,5 Tage. Als ich ihn frage, warum er mich nicht auf die kurze Akkulaufzeit hingewiesen habe, ist er fast empört: Das wisse doch jeder, meint er. Ich wusste es nicht! Dass ich mich von ihm schlecht beraten fühle und mich nicht zufrieden geben will, dass der Handy-Akku nicht einmal ein Sechstel der angegebenen Laufzeit hält, kann er gar nicht verstehen, auch nicht, warum ich damit zu ihm komme. Da müsse ich mich an den Hersteller wenden. Zu wem er gehe, wenn der Tank seines neu gekauften Autos schon nach 100 Kilometern leer sei, nicht erst nach 500 oder 600 Kilometern: zu seinem Autohändler oder zum Firmensitz irgendwo in Japan, frage ich ihn. Zum Autohändler, räumt er ein – und ruft selbst beim Hersteller an: Freudestrahlend verkündet mir dann die Lösung des Problems: Ich darf mein Telefon nicht nur nicht benutzen, ich muss auch die SIM-Karte entfernen. Wenn mein Handy also nur noch daliegt und nichts tut, außer da sein und Strom verbrauchen, hält der Akku wie versprochen 300 Stunden. Ein wahres Wunderwerk also.

Um seinen guten Willen zu zeigen, besorgt der freundliche junge Mann mir einen neuen Akku. Ich habe ihn getestet, doch er hält auch nicht länger als der alte. Als ich erneut reklamiere, schickt mir der freundliche Verkäufer die Nachricht, dass er meine Reklamation weitergeleitetet hat. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört.

Jetzt habe ich jetzt nicht nur meine eigenen Termine, sondern auch die meines Akkus im Blick. Dabei könnte mir mein Smartphone helfen, wenn ich es ließe. Doch das kann problematisch werden: Wenn der Akku leer ist, kann ich leider auch meine Termine nicht mehr abrufen. Dabei verlasse ich mich lieber auf meinen Taschenkalender. Der funktioniert auch ohne Strom.

Mein Smartphone leider nicht. Wenn wir am nächsten Tag unterwegs sein wollen und keine Steckdose in Reichweite ist, muss ich es vorher füttern – aber möglichst erst, wenn der Akku ganz leer ist. Und möglichst in der Nacht. Denn während des Aufladens möchte es in Ruhe gelassen werden, damit das Aufladeergebnis nicht beeinträchtigt wird und der Akku länger hält. Auch ein Handy braucht eben seine Auszeiten. Das verstehe ich. Aber vielleicht will ich lieber mein altes Handy zurück.

Krisenmanagement by Bahn oder Wandern im Bahnhof

Wenn eine eine Reise tut, dann kann sie was erzählen – und manchmal ist die Abreise fast so aufregend wie der Urlaub selbst. Weil meine Reisebegleiterin ungern fliegt, ging‘s mit dem Zug zum Wandern nach Ligurien. Die Hinfahrt mit Zwischenhalt in Bologna war lang, aber problemlos. Zurück gab’s im Zug von Mailand nach Zürich einen Saunagang gratis, weil die Klimaanlage nicht funktionierte. Dass nur unser Abteil betroffen war, tröstete uns wenig.

Richtig heiß wurde es dann auf dem Hauptbahnhof in Zürich. Als wir in den gebuchten Zug einsteigen wollte, erklärte uns der Schaffner, dass wir – und mit uns alle Reisenden mit Reservierungen in vier Wagons – leider nicht mitfahren könnten: Die Wagons seien defekt, ohne festen Platz ist im City-Nightliner keine Mitfahrt möglich. Ausnahmen gibt’s auch im Notfall keine.

Wie wir von Zürich nach Hannover kommen sollten, konnte uns der Schaffner nicht sagen: Mit seinem Zug jedenfalls nicht. Er schickte uns zu seiner Kollegin von der Schweizer Bahn, die immerhin auf dem gleichen Bahnsteig anderen Fahrgästen Auskunft gab. Die Schweizer Schaffnerin schickte uns zurück zum City-Nightliner. Wir sollten alle hier ein- und in Basel wieder aussteigen. Dort würden Busse auf uns warten und uns nach Hannover, Hamburg oder Amsterdam fahren. Alle zurück in den Zug; statt auf Abteilsitze zwängten wir uns in Schlafwagenabteile, was dem für die Wagen zuständigen Schaffner sehr missfiel: Die Plätze seien reserviert, für andere, es sei nicht gestattet, sich auf die Betten zu setzen oder das Gepäck darauf abzustellen, schimpfte er. Wo sich rund 200 Gäste mit gültiger Fahrkarte und Reservierung, aber ohne Platz aufhalten sollten, wusste er nicht, sicher aber nicht in seinem Wagon.

Kaum war der Zug angefahren, gab‘s eine neue Ansage: die Reisenden mit Reservierungen, aber ohne Wagon, sollten nicht erst in Basel, sondern bereits beim nächsten Halt in schweizerischen Baden aussteigen. Auf dem Bahnhofsvorplatz sollten Busse warten, die uns nach Hamburg, Hannover und Amsterdam bringen. Große Lust, die Nacht im Bus zu verbringen, hatte niemand. Doch in Ermangelung wirklicher Alternativen stiegen rund 200 Reisende brav aus, schoben und trugen rund 400 Gepäckstücke vom Gleis die Treppe runter in Richtung Bahnhofsvorplatz. Dort war allerdings kein Bus in Sicht. Busse, erklärten uns die Einheimischen, würden in der Regel hinter dem Bahnhof losfahren. Alles zurück, durch den Bahnhof, hoch zur Bushaltestelle hinter dem Bahnhof. Dort warteten lediglich ein paar Schweizer Jugendliche und ein Bus nach Freimertsdorf, wo immer das liegt. Nach ein paar Minuten zogen ein paar Reisende los, um nach den Bussen zu suchen – und kamen mit der Nachricht zurück, dass die Busse wohl doch auf dem Bahnhofsvorplatz warten würden. Wieder hinunter, in der Unterführung dann eine neue Anordnung: Alle auf Bahnsteig 5, mit einem ICE weiter nach Basel. Wir schöpften Hoffnung – bis zur nächsten Durchsage: In Basel wartete auf Gleis 8 eben jener City-Nightliner auf uns, aus dem wir ein paar Minuten zuvor aussteigen mussten. Er würde uns in fünf Minuten zum Deutschen Bahnhof in Basel bringen, wo wir dann in Busse umsteigen sollten. Von Hannover oder Hamburg war allerdings keine Rede mehr. Die Bahn hatte sich für uns ein neues Ziel ausgedacht: Frankfurt.

Wieder Treppe runter, Treppe rauf. Wir waren dank unseres einwöchigen Wanderurlaubs bestens gerüstet; nur meine Knieverletzung machte sich ohne Bandagen und Schmerzmittel schmerzhaft bemerkbar. Dem älteren Schweizer Ehepaar, das seinen Urlaub auf Norderney verbringen wollte, fiel die Bahnhofs-Wanderung mit mehreren Koffern sichtbar schwer. Die Engländerin, die bei ihren Mitwandernden mehrmals nachfragte, wohin sie denn nun müsse, konnte ihr Erstaunen über das deutsch-schweizerische Organisationschaos kaum verhehlen.

Déjà-vu: Wieder im Euro-Nightliner, wieder drängen sich 200 heimatlose Reisende in den Gängen vor den Liegewagen, hinein in die leeren Kabinen wagt sich keiner mehr, der unfreundliche Schaffner bewacht seine Schlafwagenabteile wie weiland Xerberus den Eingang zur Hölle. Wer nicht ausweicht – wohin nur in dem schmalen Gang – wird angerempelt. So manches Gepäckstück bekommt einen Tritt. Dann die Durchsage, die die Stimmung hebt: Nur für die Reisenden nach Amsterdam geht die Fahrt mit dem Bus weiter. Für alle, die in Richtung Hannover oder Hamburg wollen, werden an der Spitze des Zugs drei Abteile angehängt. Wir müssen auf dem Schweizer Bahnhof zwar noch einmal aussteigen, dürfen aber an der Spitze des Zuges wieder einsteigen, hoffentlich bis nach Hannover, irgendwann am Morgen. Zwei erste Klasse-Abteile versprechen eine recht angenehme Reise.

Es ist eine Art Murphysches Gesetz: Wenn man einen Schaffner sucht, weil man eine Auskunft oder Hilfe braucht, findet man keinen. Kurz vor fünf am Morgen taucht ein junger Mann in unserem Abteil auf: Ob wir einen Schaffner gesehen haben, fragt er, und ob wir eine Ahnung haben, wo wir sind. Er will nach Koblenz. Der Schaffner hatte ihn abends in Basel in die Abteile an der Spitze des Zuges geschickt – und damit in den falschen Zugteil. Die Wagen in Richtung Amsterdam kommen wahrscheinlich gerade in Koblenz an. Wir sind irgendwo in Hessen – zwischen Kassel und Göttingen – und damit kilometerweit von Koblenz entfernt. Er zieht resigniert ab: Seinen Termin in Koblenz kann er vergessen, hoffentlich war’s kein wichtiger. Wir wünschen ihm viel Glück bei der Suche nach dem Schaffner und bei der Weiterfahrt.

Übrigens: Unser Zug(teil) war pünktlich.