Vier auf einen Streich

Das nenne ich effektiv: Ich habe drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, sprich drei gute Vorsätze gleichzeitig erfüllt.  Jetzt fühle ich mich fast wie eine Anfängerversion des tapferen Schneiderleins, das  ja bekanntlich sieben auf einen Streich geschafft hat (Fliegen, nicht Vorsätze).

Gut, ich gebe zu, es war nicht wirklich geplant: Erst als es schon dunkel war, habe ich daran gedacht, dass ich eigentlich, weil ich noch nicht laufen kann, jeden Tag zumindest eine halbe Stunde gehen oder Radfahren wollte. Da war es schon zu spät für einen Spaziergang zum See und auch eine Runde mit dem Fahrrad war bei Schneefall und bei Dunkelheit keine wirklich kluge Option. Deshalb bin ich zu Fuß in die Stadt gegangen, die eigentlich ein Dorf ist. Weil ich auf dem Weg ohnehin am Briefkasten vorbeikomme, habe ich schnell noch den Fragebogen meiner Berufshaftpflichtversicherung ausgefüllt. Der ist wie in jedem Jahr kurz vor Weihnachten gekommen  und meiner Meinung nach überflüssig wie ein Kropf (siehe https://timetoflyblog.com/2015/12/25/gut-versichert/). Denn ich habe auch im Jahr 2016 – wie in den vergangenen 30 Jahren – weder einen Gabelstapler noch einen Tankwagen angeschafft  und gedenke es auch in diesem und den kommenden Jahren nicht zu tun. Bislang musste meine Versicherung immer bis zur Jahresmitte auf meine Antwort warten und mich mahnen; wahrscheinlich hat ein Sachbearbeiter schlaflose Nächte ob der potenziellen Gefahren erlebt. In diesem Jahr habe ich deshalb meine Pflicht, Auskunft über die versicherten Risiken zu erteilen, schon am ersten Werktag des Jahres erfüllt – und damit einen weiteren guten Vorsatz: Dinge nicht aufzuschieben.

Und auch mein persönliches Projekt „Fliegende Wörter“ habe ich gestartet bei meinem Spaziergang zum Briefkasten auf den Weg gebracht (dritter guter Vorsatz): Ich möchte in diesem Jahr jede Woche ein Gedicht verschicken (nein, kein selbst geschriebenes). Das ist dank des gleichnamigen, im Daedalus Verlag erschienenen Postkartenkalenders nicht so schwierig:  Er enthält 53 „Qualitätsgedichte zum Verschreiben und Verbleiben“, eins also für jede Woche des Jahres. Ich habe den Kalender, der schon zum 23. Mal erscheint, erst kürzlich durch den Hinweis einer Mit-Bücherfrau entdeckt. Und ich finde, die Gedichte von Rilke, Ulla Hahn, Hilde Domin und Co sind viel zu schade, um in meiner Schreibtischschublade zu verbleiben. Ich verleihe ihnen zwar keine Flügel, sondern verpasse ihnen eine Briefmarke und helfe ihnen so zum Fliegen: Ich schicke sie im Lauf des Jahres an Freunde und Bekannte, auch an einige Abonnentinnen dieses Blogs. Die seien auf diesem Weg (vor)gewarnt: Nicht immer passt das Gedicht genau zum /zur Empfänger/in, auch wenn ich mir bei der Auswahl Mühe gebe.

Mit dem Schreiben dieses Beitrags gehe ich einen vierten guten Vorsatz an: regelmäßiger als im vergangenen Jahr Blogbeiträge zu schreiben und zu veröffentlichen. Wirklich effektiv.

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Copyright Daedalus Verlag, Münster, www.daedalus-verlag.de 

Von brotlosen Künsten …

… und warum es sich vielleicht doch lohnt, seinem bliss zu folgen.

Vor ein paar Tagen habe ich mir im Fernsehen einen Dokumentarfilm über das Aufnahmeverfahren der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover angesehen. Wer einen der zehn Studienplätze bekommen will, muss in drei Runden seine „besondere künstlerische Befähigung zur Schauspielerin, zum Schauspieler“ nachweisen. Ich habe keine Ahnung von Schauspielkunst und war ziemlich beeindruckt, wie begeistert und gut vorbereitet die jungen Frauen und Männer waren. Ihre Auftritte hatten eine ganz andere Qualität als die Darbietungen der Selbstdarsteller bei Castingshows wie DSDS. Wer durchkommt, bekommt einen Studienplatz und lernt einen Beruf, der keine besonders rosigen Berufsaussichten bietet.

Natürlich gibt es (einige wenige) Großverdiener und einige mehr, die recht gut verdienen . Aber viele (die meisten?) können von ihrem Verdienst als SchauspielerInnen nicht leben und halten sich finanziell mit anderen Jobs über Wasser.

Am gleichen Abend habe ich ein Interview mit einer jungen deutschen Schauspielerin gesehen, die bereits in vielen Filmen mitgespielt hat. Sie bekommt 1.300 Euro Tagesgage, doppelt so viel wie die Mindestgage, die  laut Tarifvertrag für Schauspieler – ja, auch den gibt es – bei 775 Euro liegt. Das klingt nach viel, aber es relativiert sich, wenn man bedenkt, dass zwischen den Engagements oft viele Tage ohne Engagement und ohne Bezahlung liegen.

Unbefristet waren nach einer Studie zur Arbeits- und Lebenssituation von Schauspielerinnen und Schauspielern (Bema-Studie) gerade mal 4,9 Prozent der Befragten beschäftigt, 36,2 Prozent waren unständig beschäftigt, 46,1 Prozent selbstständig – was wahrscheinlich gleichbedeutend ist mit nicht ständig. Und auch der Verdienst im Traumberuf SchauspielerIn war alles andere als traumhaft: 68,1 Prozent der Befragten hatten in den letzten 12 Monaten bis zu 30.420 Euro verdient – brutto. Die Wirklichkeit sieht noch trauriger aus: Bei fast der Hälfte (45,8 Prozent) waren es weniger als 15.000 Euro.

Und noch ein paar Zahlen: Laut Künstlersozialkasse betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen der Versicherten im Bereich Darstellung Anfang 2016 15.581 Euro – bei den Schauspielerinnen waren es sogar nur 12.594 Euro (aber das ist ein anderes Thema). Nur die freien Musikerinnen und Musikerinnen verdienten noch weniger: durchschnittlich 13.317 Euro im Jahr. Das reicht mancherorts nicht einmal, um die Miete zu bezahlen.

Unter den Blinden ist der einäugige König, heißt ein altes Sprichwort. Und so sind die Versicherten im Bereich Wort – Leute wie ich, also Autoren, Journalisten, Lektoren, Übersetzer, Korrektoren usw. – Großverdiener unter den KSK-Versicherten mit durchschnittlich 19.603 Euro Jahreseinkommen (!). Ich kenne viele, die dafür nicht aufstehen und nicht arbeiten würde. Von wegen Mindestlohn.

Fazit: Kunst ist (oft) brotlos, egal in welchem Bereich. Vom Schreiben können die meisten ebenso wenig leben wie vom Musikmachen, vom Malen oder eben vom Schauspielern. Dabei möchte doch kaum jemand auf Bücher, Bilder, Musik; Filme oder Theater verzichten.

Fast hab ich gewünscht, dass die jungen Leute, die mir in dem Film besonders engagiert und begabt schienen ausscheiden. „Lernt was Anständiges“, wollte ich ihnen zurufen. Studiert Medizin, BWL oder Maschinenbau. Oder Jura: Da könnt ihr bei Auftritten vor Gericht euer Schauspieltalent beweisen. Vielleicht könnt ihr auch Lehrer – da spielt ihr zwar immer vor dem gleichen Publikum, verdient aber mehr und braucht nicht immer neuen Engagements nachzujagen. Das zermürbt auf Dauer (glaubt mir, ich weiß, wovon ich spreche). Aber wahrscheinlich haben die SchauspielerInnen in spe den guten Rat schon von ihren Eltern gehört und ihn ebenso in den Wind geschlagen wie ich selbst vor gefühlt 100 Jahren.

Nein, ich bin nicht Schauspielerin geworden (dafür habe ich gar kein Talent, das ist der Welt erspart geblieben), sondern verdiene mein Geld als Journalistin, Lektorin und Korrektorin. Ich mag meinen Beruf nach all den Jahren noch und ich würde mich wieder dafür entscheiden, wenn ich auch manches anders machen würde. Und ich hoffe, dass es den Jungs und Mädchen, die ich in dem Dokumentarfilm gesehen habe, ähnlich geht. Trotz der Unsicherheit, der schlechten Bezahlung.

Übrigens: Nach der Bema-Studie würden 84,9 Prozent nochmal Schauspielerin oder Schauspieler werden, nur 15,1 Prozent nicht. Vielleicht ist es also doch richtig, das zu tun, woran das Herz hängt.

Hier noch ein Gedicht von Friedrich von Schiller. Er wusste, was er schrieb. Schiller hat zwar Medizin studiert, sich dann aber  doch gegen den festen Job und die sicheren Einnahmen als Militärarzt und für die Kunst entschieden. Zum Glück, nicht nur für ihn.

http://www.ub.uni-heidelberg.de/wir/geschichte/schiller.html

Von Buchmenschen und Büchern

Als ich vor Jahren Ray Bradburys Fahrenheit 451 gelesen habe, haben mich vor allem die Buchmenschen fasziniert. Für alle, die das Buch nicht kennen: Es spielt in einem totalitären Staat, in dem Bücher – und damit auch selbstständig denken – verboten sind. Die Feuerwehr löscht keine Brände, sondern verbrennt Bücher, wenn welche entdeckt und die Besitzer verhaftet werden. Fahrenheit 451 ist die Temperatur, bei der Papier brennt. Die Buchmenschen sind aus dieser Gesellschaft geflohen und leben irgendwo versteckt im  Wald. Um zu verhindern, dass mit den Büchern die Inhalte der Bücher unwiederbringlich vernichtet werden, lernt jede/r ein Buch auswendig.

(K)ein Ort für Bücher?

Bei unserer Reise nach Schweden habe ich jetzt den Ort entdeckt, wo die Buchmenschen leben. Nicht wirklich natürlich, aber so etwa habe ich mir ihren Zufluchtsort vorgestellt. Der Campingplatz, das Älvkarleby Fiske & Famil jecamping, liegt auf einer kleinen Insel, die Zelte, Wohnwagen und Wohnmobile stehen versteckt unter Bäumen, so, als gehörten sie irgendwie dahin. Die meisten wurden  vermutlich seit Jahren nicht mehr bewegt  und haben  schon Wurzeln geschlagen, wie die Bäume, unter denen sie stehen.

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In Wirklichkeit ist der Campingplatz natürlich keine Zuflucht für Buchmenschen, sondern – wie der Name schon sagt – ein Eldorado für Angler. Und wahrscheinlich waren wir die einzigen Gäste, die mehr Bücher als Angeln dabei hatten – Angeln: keine, ich für zwölf Tage zehn richtige Bücher und meinen Kindle, mein Mann nur seinen Kindle, er ist ein absoluter E-Book-Fan, aber das ist ein anderes Thema.

Lieblingsbuch gesucht

Seither überlege ich, welches Buch ich auswendig lernen würde, wenn ich mich denn für eins entscheiden müsste, dass ich vor dem Vergessenwerden retten wollte. Das Ergebnis: Ich weiß es nicht. Meine Lieblingsbücher wechseln. Eine Zeitlang wäre es wahrscheinlich „Nachtzug nach Lissabon“ gewesen, aber auch Siri Hustvedts „Was ich liebte“, „Hannas Töchter“, die Memoiren von Simone de Beauvoir, die Tagebücher von Victor Klemperer und natürlich das Tagebuch der Anne Frank stehen ganz oben auf der Shortlist. Es gibt so viele Bücher, das fällt die Auswahl schwer.

Apropos Shortlist. Die richtigen Büchermenschen treffen sich zurzeit in Frankfurt auf der Buchmesse. Ich fahre in diesem Jahr nicht hin, obwohl mich die Messe immer wieder fasziniert. Und zugegebenerweise ein bisschen erschlägt: So viele Bücher, wer kann, wer soll die alle lesen. Und es werden immer mehr. Denn immer mehr Menschen schreiben Bücher. Irgendwie hat Reither, der Ex-Verleger in Bodo Kirchhoffs Novelle Widerfahrnis, recht mit seiner Einschätzung, dass es allmählich mehr Schreibende als Lesende gibt.

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Alle schreiben, ich natürlich auch. Ein schöner Ort zum Lesen und Schreiben.

 

Wie geht es deiner Mutter?

… heißt heute die Standardfrage in meinem Bekanntenkreis. Denn viele Freunde und Bekannte haben – oder hatten bis vor Kurzen – Väter, Mütter, Eltern und/oder Schwiegereltern, um die sie sich kümmern oder die sie gar betreuen (lassen) müssen. Das Thema Kinder, lange Zeit Gesprächsthema Nummer 1, ist meist vergleichsweise schnell abgehakt: Unsere Kinder sind groß, haben ihr Studium oder die Ausbildung meist schon abgeschlossen. Sie stehen auf eigenen Füßen und leben ihr eigenes Leben. Und wenn ich früher darüber gestöhnt habe, wie schwierig es ist, Kind und Job unter einen Hut zu bringen, weiß ich heute: Im Vergleich zur Betreuung der alten Eltern war die Betreuung der Kinder ein Kinderspiel.

Kleine Kinder leben bei ihren Eltern, alte Eltern leben dagegen oft weit von ihren erwachsenen Kindern entfernt. Die Fahrt zu meiner Mutter an die Mosel dauert etwa ebenso lang wie ein Flug auf die Kanarischen Inseln oder nach Nordnorwegen. Die Kinder kommen irgendwann in den Kindergarten, dann in die Schule. Für alte Menschen gibt es zu wenige gute Betreuungsangebote – außerdem wollen die meisten von Altenheimen, Tagespflege oder anderen Möglichkeiten nichts wissen. Ein Umzug – ob ins Altenheim, eine betreute Wohnung oder nur in den Wohnort der Kinder kommt für die meisten nicht in Frage: Ein alter Baum lässt sich bekanntlich nicht leicht verpflanzen. Und anders als unsere Kinder, für die wir einfach entscheiden konnten und mussten, entscheiden unsere Eltern selbst über ihr Leben – und damit auch über unseres. Denn wenn die Eltern nicht mehr ganz alleine zurechtkommen und unsere Hilfe brauchen – oder wenn wir das Gefühl haben, dass dies der Fall ist -, werden ihre Probleme (auch) unsere.

Was tun, wenn der demente Vater partout nicht einsieht, dass er nicht mehr Auto fahren kann und er eigentlich Führerschein und Auto abgeben müsste? Wenn die Mutter weiter allein in ihrem Haus leben will, das eigentlich viel zu groß geworden ist. Diese Fragen einen uns alle: Singles und Paare, Eltern und Kinderlose.

Eine Bekannte pendelt derzeit zwischen zwei Altenheimen hin und her, weil für ihre Eltern auf die Schnelle kein Platz in einem Heim zu finden war. Ihr Vater hatte sich jahrelang um seine schon pflegebedürftige Frau gekümmert. Als er irgendwann nach einer Operation selbst pflegebedürftig wurde, war es zu spät. Eine Freundin fuhr jahrelang jedes zweite Wochenende von Berlin, wo sie wohnt und arbeitet, nach Süddeutschland, um ihren Vater bei der Pflege ihrer alzheimerkranken Mutter zu entlasten. Meine Mutter kommt noch gut alleine zurecht: Sie  kauft ein, kocht, wäscht und bügelt; nur fürs Putzen hat sie eine Hilfe. Trotzdem fahren meine Schwestern und ich seit Jahren abwechselnd einmal im Monat für mehrere Tage an die Mosel, um ihr Gesellschaft zu leisten, nach dem rechten zu sehen und die Dinge zu erledigen, die mit 92 eben nicht mehr so leicht fallen: Gartenarbeit beispielsweise oder Gardinen waschen.

Früher war das einfacher: Im Haus meiner Eltern lebten meine Oma und zwei Großtanten – in eigenen kleinen Wohnungen, zwei von ihnen weitgehend selbstständig, bis sie über 80-jährig starben. Meine Mutter kümmerte sich um ihre Mutter und ihre Tanten, kaufte ein war im Notfall einfach da. Das war sicher anstrengend, aber es war auch beruhigend, für alle Beteiligten. Und es war machbar, weil alle im gleichen Ort wohnten und in dem Haus genug Platz war. Heute sind die Häuser und Wohnungen kleiner, die Ansprüche und die Entfernungen dafür umso größer.

Meine Schwestern und ich leben eben nicht mehr am gleichen Ort wie meine Mutter, sondern an verschiedenen Orten am anderen Ende der Republik. Vielen meiner Bekannten geht es ähnlich. Und so pendeln wir zwischen unseren Eltern und unserem eigenen Leben und fragen uns gegenseitig: „Wie geht es deinen Eltern?“

Lieber Dritte/r?

Nein, ich habe mir den Wecker nicht gestellt. Da ich aber ohnehin wach war, habe ich mir heute Morgen ab 5 Uhr das Finale der Frauen im Beachvolleyball angesehen. Ich habe keine Ahnung von Volleyball und bin kein Volleyballfan, aber die Spiele von Laura Ludwig und Kira Walkenhorst bei den Olympischen Spielen von Rio haben mich wirklich begeistert. Sie haben sich so souverän und beeindruckend ins Finale gespielt – und verdient gewonnen. Wie sie es schaffen, in dem großen Sandkasten die Bälle anzunehmen und dann noch kontrolliert über das hohe Netz im gegnerischen Feld zu platzieren, ist mir ein Rätsel. Weder vom heftigen Wind noch von den Buhrufen des brasilianischen Publikums haben sie sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Chapeau.

Die Siegerehrung hat wieder einmal bewiesen, dass die Dritten meist zufriedener mit ihrem Platz und ihrer Medaille sind als die Silbermedaillengewinner/innen. Die Amerikanerin Misty May-Treanor und Kerri Walsh freuten sich richtig über ihren dritten Platz, obwohl sie schon dreimal – in Athen, Peking und London – Olympiasiegerinnen waren und es diesmal „nur“ Bronze war. Aber sie hatten das  kleinen Finale und damit die Medaille  gewonnen, für die Brasilianerinnen endete das Turnier mit einer Niederlage. Und natürlich hatten die Amerikanerinnen mehr Zeit, sich an ihre Platzierung zu gewöhnen, als Barbara und Agatha, die ja noch anderthalb Stunden vorher auf den Olympiasieg gehofft hatten. Eine der beiden Brasilianerinnen – Agatha glaube ich – weinte noch bei der Siegerehrung. Nicht vor Freude über die Silbermedaille, sondern weil sie das Filiale verloren und Gold verpasst hatte. Es ist eben doch alles relativ.

Kleine Renten, große Unterschiede

Am 4. August war – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – equal pension day. In diesem Jahr stand der Tag unter dem Motto unter dem Motto „fünf vor zwölf – Altersarmut von Frauen“.

Der traurige Hintergrund des Tages, der seit 2014 vom Verband berufstätiger Mütter e.V. (VBM) initiiert wird: Erst Anfang August, also nach 19 Monaten, erreichen Frauen die gleiche Rente wie Männer in den zwölf Monaten des vergangenen Jahr. Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern potenziert sich im Alter und wird zur wahren Kluft. Während die Löhne und Gehälter von Frauen in Deutschland rund 22 Prozent niedriger sind als die der Männer, bekommen Frauen nach einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung durchschnittlich 57 % (!) weniger eigene Rente. Immerhin hat sich die Rentenlücke, neudeutsch Gender Pension Gap, in den vergangenen Jahren verringert: 2007 waren es noch 59,6 %. Was wieder einmal beweist: Der Fortschritt ist eben doch nur eine Schnecke.

Kein Wunder also, dass Frauen im Alter öfter arm sind als Männer: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren 2013 in Deutschland 17 % der Frauen ab 65 Jahren armutsgefährdet, bei den gleichaltrigen Männern nur 13%.

Schnelle Besserung ist nicht in Sicht, Altersarmut ist kein Problem der älteren, manchmal noch schlechter ausgebildeten Frauen. Nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums befürchten mehr als die Hälfte der Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, dass sie trotz ihrer beruflichen Qualifikation und trotz ihrer Erwerbstätigkeit im Alter nicht von ihrer eigenen Rente leben können. Bei den geschiedene Frauen sind es sogar fast drei Viertel (74 %), bei den alleinerziehenden Frauen über zwei Drittel (68 %). Zum Vergleich: 77 % der befragten Männer glauben, dass ihre Rente im Alter ausreicht.

Damit, dass Frauen benachteiligt werden, haben Renten- und Lohnlücke nichts zu tun, sagen manche Wirtschaftsexperten. Frauen entscheiden sich eben oft für Berufe, die schlechter bezahlt werden, und arbeiten öfter für Unternehmen, die weniger bezahlen. Sie steigen viel häufiger als Männer – der Familie wegen – vorübergehend dem Beruf aus, arbeiten nach der Babypause der Kinder wegen oft Teilzeit und machen (auch deshalb) seltener Karriere. Wer wenig verdient, bekommt im Alter eben weniger Rente. Denn die Rente spiegelt ist abhängig von der Erwerbsleistung, nicht von der Lebensleistung. Das ist eigentlich schade – und irgendwie ungerecht. Genau wie die Tatsache, dass typische Frauenberufe schlechter bezahlt werden als typische Männerberufe. Wieso verdient der Techniker, der Maschinen wartet und repariert, eigentlich mehr als die Krankenschwester oder die Altenpflegerin, die Menschen gesund pflegt oder ihnen ein menschenwürdiges Leben im Alter ermöglicht? Und warum wird es besser bezahlt, Computerprogramme zu entwickeln als das Potenzial von Kindern? Klar, das bisschen erziehen und pflegen kann jede(r); das haben Frauen in der Familie schon immer gemacht. Unbezahlt, versteht sich. Die Geringschätzung weiblicher Arbeit.

Zeit, dass sich das ändert. Geschlechtergerechtigkeit ist erreicht, wenn typische Frauenberufe bei gleichwertiger Ausbildung und Qualifikation genauso gut bezahlt werden wie typische Männerberufe, meinen laut Studie „Mitten im Leben“ 96 % der befragten Frauen zwischen 30 und 50 Jahren. Für 92 % ist es ein Zeichen für Geschlechtergerechtigkeit, wenn Frauen etwa so viel eigene Rente bekommen wie Männer. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg.Und der Fortschritt ist leider doch nur eine Schnecke.

Für alle, die es interessiert, drei interessante Links mit interessanten Informationen zum Thema

http://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_29_2016.pdf

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/061/1806148.pdf

http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung4/Pdf-Anlagen/20160307-Studie-Mitten-im-Leben,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf

Keine Treuepunkte bei der Bahn

Treue lohnt sich nicht. Zumindest nicht in geschäftlichen Beziehungen. Das merkt man beispielsweise, wenn man einen (Bau-)Kredit verlängern will. Die Konditionen von fremden Banken, bei denen man anfragt, sind meist wesentlich günstiger als die der Hausbank – obwohl die weiß, dass man seit Jahren die Raten immer pünktlich bezahlt hat. Und die günstigen Strom- und Gastarife bekommt man bei Energieversorgern nur im ersten und zweiten Jahr nach Vertragsabschluss. Dann geht die Schnäppchen-Jagd von Neuem los, wenn’s billig bleiben soll.

Finanziert werden die Super-Rabatte für Neukunden von altmodischen Deppen wie mir, die – ich gebe es zu teilweise aus Bequemlichkeit – jahrelang bei den gleichen Unternehmen bleiben. So bin ich in meine Krankenkasse quasi hineingeboren – ich bin im Großen und Ganzen zufrieden und wechsle auch nicht, nur weil der Zusatzbeitrag jetzt vielleicht ein bisschen höher ist als bei anderen Kassen und die Sonderleistungen nicht ganz so hoch. Bäumchen-wechsel-dich- und Geiz-ist-geil-Mentalität sind nicht mein Ding – und feilschen kann ich nicht einmal auf dem Flohmarkt.

Als überzeugte Bahnfahrerin habe ich natürlich auch eine Bahncard, die sich alle Jahre wieder um ein weiteres Jahr verlängert. Bequem für die Bahn, teuer für mich, weil ich die neue Bahncard ja nicht immer gleich im Anschluss an die alte brauche. Und von Sonderaktionen zu diversen (Sport-)Großereignissen, bei denen es nicht nur Bahncards zu sehr günstigen Preisen, sondern auch Zusatzgewinne gibt, profitiere  ich natürlich auch nicht: Denn warum soll ich mir die EM-Bahncard für drei Monate kaufen, wenn ich schon eine habe. Bei anderen Sonderaktionen werden wohl auch ausschließlich oder überwiegend Gelegenheits-Bahncardkäufer berücksichtigt, um sie zu ködern. So flatterte einer Freundin unlängst ein aufwendig aufgemachtes Angebot ins Haus: Sie konnte zwischen einer Bahncard 25 für 10 Euro für ein Jahr und einer Bahncard 50 für 100 Euro und noch ein paar Gequetschte wählen.

Die vergünstigte Bahncard 50 hätte ich auch gerne und wenn ich demnächst 60 werde, werde ich sie auch kaufen. Leider läuft meine alte Bahncard 25 schon einen Monat vor meinem Geburtstag aus – mir die vergünstigte Bahncard quasi als Treuerabatt schon mit 59 Jahren und elf Monaten und ein paar Tagen zu verkaufen, ist – anders als Super-Sonderangebote für Gelegenheitsfahrer – leider nicht möglich.

Dem Mitarbeiter des Bahncard-Services tat es zwar sehr leid, dass ich „nicht in den Genuss unserer Sonderaktion gekommen“ bin (glaub ich ihm nicht). Er versteht zwar meine Sichtweise (wirklich nett), aber „die Möglichkeit Ihnen vor dem ersten Geltungstag eine ermäßigte BahnCard auszustellen haben wir leider nicht.“ Könnte man aber vielleicht ändern, um treue Kunden nicht zu verärgern.

Hierfür bittet er um Verständnis – bekommt er aber nicht. Denn das mögliche Upgrade von der Bahncard 25 auf die Bahncard 50 nach meinem Geburtstag ist mit erheblichem Aufwand verbunden: ich muss ins Reisezentrum (und dazu in die nächste Großstadt fahren), eine Erstattungsantrag ausfüllen … Und dass die Auswahl der Kunden für solche Aktionen ausschließlich nach dem Zufallsprinzip erfolgt und dass alle Kunden die gleichen Erfolgsaussichten haben, halte ich ebenso für ein Gerücht wie die Behauptung, dass Züge pünktlich, Zugtoiletten sauber und die Renten sicher sind. Oder dass Treue sich lohnt.

Von sieben Schläfern, Siebenschläfern und Meteorolügen

Heute ist Siebenschläfertag und auch viele, die eigentlich nicht an Bauernregeln und anderen „Hokuspokus“ glauben, sind froh, wenn  die Sonne scheint. „Das Wetter am Siebenschläfertag sieben Wochen bleiben mag“, heißt nämlich eine von vielen ähnlichen (Wetter)Regeln für diesen Tag.

Auch die Meteorolügen bestätigen, dass an der Regel was dran ist – zumindest gelegentlich. Wie die Eisheiligen, die Schafskälte oder der Altweibersommer zählt der Siebenschläfertag bzw. die Woche danach zu den sogenannten Witterungsregelfällen oder Singularitäten, das sind Wetterlagen, die zu bestimmten Zeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten. Um den 27. Juni stellen sich oft bestimmte Großwetterlagen ein, die sich dann ziemlich konstant halten und das Wetter in den nächsten (sieben) Wochen bestimmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Wetter so bleibt, wie es heute bzw. in den kommenden Tagen ist, schwankt je nach Region und Statistik zwischen 55 und 80 Prozent. Viel genauer sind die meisten Wetterprognosen auch nicht.

Für alle, die noch nicht selbst nachgeschaut haben: Laut wetter.de ist das Wetter in dieser Woche eher unbeständig, hier, bei Hannover, ist es eigentlich nicht so schlecht. Bis jetzt scheint die Sonne und einigermaßen warm ist es auch. Die Wetterexperten prognostizieren für die kommenden Tage in dieser Gegend bis zu 9 Stunden Sonne pro Tag und wenig Regen. Das klingt doch gar nicht so schlecht. Zumindest regnet und gewittert es nicht ohne Unterlass, wie vor ein paar Tagen.

Mit dem gleichnamigen Nagetier hat der Siebenschläfertag übrigens nichts zu tun. Die sieben Schläfer, die dem Tag seinen Namen gaben, waren nach einer Legende junge Christen aus der Gegend von Ephesos, die wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. Sie flüchteten in eine Höhle, wurden entdeckt und eingemauert. Sie starben jedoch nicht, sondern schliefen 195 Jahre lang. Sie sollen am 27. Juni 446 zufällig entdeckt worden und dann aufgewacht sein.  Der französische Bischof Gregor von Tours hat die Geschichte, die es in verschiedenen Sprachen und Versionen gibt, ins Lateinische übersetzt.

Das Wetter kann der richtige Siebenschläfer (Glis glis) nach Angaben der Deutschen Wildtier Stiftung zwar nicht vorhersagen. Braucht er auch nicht, denn er ist nachtaktiv und für ihn ist es deshalb nicht so wichtig, ob und wie lange die Sonne scheint. Aber er weiß immerhin, wie die Bucheckernernte wird. Das interessiert die meisten Menschen weniger, die mausähnlichen Nagetiere mit dem buschigen Schwanz aber schon. Gibt es nämlich viele Bucheckern, bekommen sie viel Nachwuchs; können sie sich nicht satt fressen, haben sie offenbar auch keine Lust auf anderes und ziehen sich wieder  in ihre Schlafhöhle zurück – für elf Monate und nicht „nur“ von September bis Mai, wie in normalen Jahren. Je nach (Groß)Wetterlage gar keine dumme Idee.

 

Zimmer frei

Zugegeben, ich bin überrascht. Ein bisschen vom Ergebnis der Brexit-Abstimmung, aber eigentlich nur, weil in der Nacht nach dem Referendum laut Internet-Meldungen die Brexit-Gegner vorne lagen. Am Morgen war es dann doch anders. Richtig überrascht bin ich aber darüber, dass die Politiker und die EU-Beamten von diesem Ergebnis so überrascht sind – und dass angeblich keiner darauf vorbereitet war. Wieso eigentlich nicht? Zwar lagen wohl zumindest seit dem Mord an der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox in den Umfragen wohl die Brexit-Gegner vorne. Aber es war bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Man musste zumindest damit rechnen, dass die Briten – genauer gesagt die Waliser und Engländer – für einen Ausstieg stimmen würden. Wieso war der Brexit also undenkbar?

Dass niemand ernsthaft darüber nachgedacht hat, was wäre wenn, kann ich kaum glauben. Weder all die Politiker und Beamten, die doch sonst fast alles regeln bis hin zur zulässigen Krümmung der Banane, noch all die Wirtschaftsweisen und Zukunftsforscher, die sonst um eine Prognose nie verlegen sind. Niemand hat (angeblich) einen Plan B oder zumindest konkrete Vorstellungen, wie es weitergehen soll. Das nenn‘ ich wahrhaft vorausschauendes Handeln! Dass die Aktienkurse abgestürzt sind, war zu erwarten, denn eigentlich brauchen die Börsianer ja nur gelegentlich einen Vorwand – den hat der Brexit geliefert.

Welche Auswirkungen der Brexit haben wird, kann ich wirklich nicht beurteilen – deshalb habe ich mir auch lange überlegt, ob ich über das Thema schreiben soll. Ich habe zu wenig Ahnung von Politik und noch weniger von wirtschaftlichen Zusammenhängen. Aber ich denke manchmal, es ist wie beim Jahrtausendwechsel: Alle haben mit Riesenproblemen gerechnet, weil viele Computer nicht darauf programmiert waren – und dann ist nix passiert. Kein Computerchaos, keine Abstürze, nix.

Der Brexit wird sich sicher einiges verändern, vor allem wahrscheinlich für die Briten selbst. Denn es ist wie bei jedem Auszug: Mit der neu (oder wieder) gewonnenen Freiheit, kommen auch neue Pflichten, die im Alltag recht lästig sein können. Vielleicht bedeutet der Brexit nicht nur das Ende der EU-Mitgliedschaft, sondern auch ein Ende des Vereinigten Königreichs. Denn viele Schotten wollen lieber zur EU gehören als zu Great Britain – es wird wohl schon bald ein  neues Unabhängigkeitsreferendum geben. Da passt es gut, dass im europäischen Haus gerade ein Zimmer bzw. eine Wohnung frei wird. Und vielleicht wächst in Irland jetzt wieder zusammen, was bis 1920 zusammengehört hat. Viele junge Briten sind auch nicht begeistert vom EU-Austritt – und die englischen Fußballvereine befürchten Schlimmes, wenn EU-Ausländer plötzlich richtige Ausländer werden und dann nicht mehr ohne Weiteres in England spielen dürfen. Was wird jetzt aus der Premier League – und wie schneiden englische Vereine dann in europäischen Wettbewerben ab? Vielleicht hätten die Brexit-Gegner damit für den Verbleib in Europa werben sollen.

Ich bin ein bekennender Europa-Fan: Ich glaube an und hoffe auf ein Vereintes Europa. Vor allem wenn ich von der Mosel durch Nordfrankreich fahre, wird mir bewusst, wie wichtig die Gemeinsamkeit ist, welches Privileg es ist, in einem vereinten Europa zu leben. Hier haben sich Deutsche und Frankreich so lange bekämpft und bekriegt, hier sind so viele Menschen sinnlos gestorben. Wenn ich jetzt nach Frankreich fahre, bin ich kein Feind mehr, sondern (zumindest fast) Freund.

Ja, ich bin Europa-Fan. Aber wirklich traurig bin ich über den Brexit nicht – und viele, mit denen ich über das Thema gesprochen habe, auch nicht. Nicht wenige sind genervt – nicht von Europa, sondern von der Rosinenpickerei. Eigentlich wollten die Engländer nicht wirklich dazugehören; sie sind immer ihren eigenen Weg gegangen: Dagegen ist nichts einzuwenden, Aber alle Vorteile mitnehmen wollen, aber möglichst nichts geben wollen, geht meiner Meinung nach gar nicht. So funktioniert keine Gemeinschaft t – und erst recht keine Zweckgemeinschaft. Es ist das alte Wohngemeinschaftsprinzip: Wer mit essen will, muss auch mal einkaufen, kochen oder spülen. Wer dazu nicht bereit ist, muss für sich bleiben und sein eigenes Süppchen kochen.

Dass es einen Domino-Effekt geben wird, befürchte ich nicht, auch wenn die Rechten und die Nationalisten jetzt überall Morgenluft schnuppern, vom EU-Austritt träumen und Referenden ankündigen. Aber ich bin optimistisch, dass die meisten Menschen die Vorteile, die Europa uns allen bietet, erkennen – und darauf nicht verzichten wollen. Trotz manchem Ärger über Missstände, Bürokratie und undemokratische Strukturen. Es wird sich einiges ändern – nicht nur für die Briten, sondern auch für die übrigen 27 EU-Staaten. Oder um beim Bild der Wohn- oder Hausgemeinschaft zu bleiben: Wir brauchen einen neuen Putzplan.

Meer und Feuerberge

Eine Woche Lanzarote, zum ersten Mal auf den Kanarischen Inseln, zum ersten Mal überhaupt außerhalb von Europa, zumindest geografisch. Wir landen nach vier Stunden Flug am Abend in einer anderen Welt. Schwarze Berge, riesige Steinfelder, in denen bizarre Felsen noch genauso aussehen wie vor fast 300 Jahren, als die Erde fünf Jahre Feuer spuckte und glühendes Magma über fast die ganze Insel floss, Menschenleben, Dörfer und fruchtbare Landstriche zerstörte. Ein Viertel der Insel war – und ist, so scheint es noch heute – mit Lava bedeckt.

Es gibt auf Lanzarote mehr als 300 Feuerberge (Montanas del Fuego), die je nach Gestein und Licht rot oder schwarz aussehen. Im Nationalpark Timanfaya soll der Film „Planet der Affen“ gedreht worden sein; die NASA testete hier vor der Landung auf dem Mond das Mondfahrzeug, verrät mein Reiseführer. An eine Mondlandschaft erinnern die schwarzen, kargen Geröllfelder wirklich – und daran, wie wenig Menschen im Ernstfall gegen die Natur  ausrichten können. Mein Mann, Amateur-Astronom, Weltraum- und Science-Fiction-Fan ist von der Landschaft begeistert; ich bin beeindruckt: Zum ersten Mal stehen wir in einem echten Vulkan.

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Im Vulkan

Aber mir fehlt schon bald das Grün. Pflanzen  und Tiere sind auf Lanzarote rar. Auf dem kargen Boden wachsen offenbar nicht einmal „Unkräuter“ freiwillig. Kanarienvögel, die ja von den Kanarischen Inseln stammen, haben  wir nur ein einziges Mal gesehen und gehört – in einem Käfig vor einem Café auf der Plaza Leon y Castillo in Haria.

Hier, im Tal der tausend Palmen im Norden der Insel, ist es grüner als an dem meisten anderen Orten: Es gibt nicht nur viele Palmen, die dem Tal seinen Namen gaben, in den Gärten blühen Bougainvilleen und Hibiskus. Gärtnern und Landwirtschaft sind hier eine mühsame Angelegenheit: Um einzelne Pflanzen werden runde Mäuerchen aus Lavagestein aufgeschichtet, um sie vor dem Wind und dem Austrocknen zu schützen. Steine gibt es auf der Insel zu Genüge. Wein wird auf Lanzarote auch angebaut, vor allem rund um La Geria im Süden der Insel. Die Rebstöcke werden oft nicht nur ummauert, sondern  in trichterförmigen Gruben gepflanzt. Welch ein Gegensatz zu den Weinfeldern und Weinbergen in Deutschland, Festlandspanien, Italien und Frankreich.

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Ummauert: Reben auf Lanzarote

Vom Mirador de Guinate in der Nähe von Haria hat man einen wunderschönen Blick auf die kleine Nachbarinsel la Graciosa. Und anders als beim berühmten, ein paar Kilometer nördlich gelegenen Mirador del Rio sind wir hier allein: Nur ein anderes deutsches Paar taucht kurz auf, schaut, fotografiert und verschwindet wieder. Der von César Manrique gestaltete Mirador del Rio gehört zu den größten Touristenattraktionen der Insel: Ein Besuch lohnt wirklich: des Ausblicks und der Architektur wegen.

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Kaffeepause mit grandiosem Ausblick auf La Graciosa.

Ein weiteres Highlight: die Jameos del Agua im Nordosten der Insel. In einem Lavastollen, angeblich dem längsten der Welt, ist an zwei Stellen die Decke eingestürzt. Dazwischen liegt ein mit Salzwasser gefüllter See, der smaragdgrün schimmert, wenn die Sonne durch das Loch in der Decke fällt. In das Schwimmbecken im  Jameo grande, dem größeren „Schornstein“, wäre ich am liebsten reingesprungen, doch das ist ebenso verboten wie Münzen in den unterirdischen See zu werfen. Das verträgt nämlich der weiße Mönch gar nicht, der im Lagunensee lebt. Für alle, die sich mit Fauna ebenso wenig auskennen wie ich: Der weiße Mönch ist ein blinder Höhlenkrebs, der nur noch auf Lanzarote lebt. Gesehen haben wir ihn nicht – und ich bedaure das nicht wirklich, denn er sieht angeblich eher aus wie eine Spinne und ist gerade mal zwei Zentimeter groß. Gestaltet wurde die Grotte übrigens ebenfalls von César Manrique – dem Maler, Bildhauer und Architekten, an dem auf Lanzarote kein Weg vorbeiführt.

Unterirdische Lagune DSC_6801
Die unterirdische Heimat des weißen Mönchs

Mit seiner Malerei kann ich zugegebenerweise nicht  viel anfangen, auch seine Skulpturen und das Haus in Haria, in dem Manrique  in den letzten Jahren vor seinem Tod gelebt hat, fand ich nicht so toll. Als Architekt hat  mich Manrique eher überzeugt. Das von ihm gestaltete  Haus in Tahiche ist wirklich sehenswert (wenn es auch nicht an Dalis Haus in Cadaques heranreicht, an das es mich erinnert hat). Es steht auf einem Grundstück, das beim Vulkanausbruch von 1730 mit Lavaströmen bedeckt wurde. Die untere Etage besteht aus fünf Höhlen, durch unterirdische, teilweise weiß gekalkte Stollen gelangt man von einer Vulkanblase in die andere. Die Einrichtung und die Kunstwerke passen einfach, es ist toll anzusehen: Kunst, Architektur  und Natur verschmelzen wirklich gekonnt – aber leben möchte ich unter der Erde sicher nicht.

Wohnen im Vulkan DSC_7077
Wohnen im Vulkan

Ein echter Gegensatz:  Der letzte Abend in der Bar des Gran Hotels in Arrecife. Die liegt im 17. Stock und man genießt einen tollen Blick über die Stadt. Das Gran Hotel ist übrigens das einzige richtige Hochhaus in der Inselhauptstadt. Das ist sicher auch Cesar Manrique zu verdanken, der sich beispielsweise dafür eingesetzt hat, dass in Puerto del Carmen, dem größten Touristenort der Insel, seit den 70er-Jahren nur noch ein- und zweigeschossig gebaut werden durfte.

Ach ja, gewohnt haben wir im Hotel Lancelot in Arrecife. Eine gute Entscheidung, auch wenn wir am am ersten Tag Probleme hatten, es zu finden. Weil die Straße vor dem Hotel gesperrt war, sind wir mehrmals im Kreis gefahren. Später hat uns dann das Navi sicher aus der Stadt raus und über die Insel gelenkt – und uns dabei viel Spaß bereitet. Unser Smartphone-Navi spricht nämlich noch schlechter Spanisch als ich, aus Calle Leon y Castillo wurde dann beispielsweise Calle Leon ypsilon Castillo.

Unser Hotel lag übrigens direkt am Strand. Vom Balkon im dritten Stock hatten wir einen tollen Blick aufs Meer. Einfach zwischendurch mal zu schwimmen war deshalb kein Problem. Der Service war prima, Abend- und Frühstücksbuffet auch (ein bisschen mehr Käse beim Frühstück wäre allerdings gut).

Insgesamt: ein schöner Urlaub, tolles Wetter, viele Impressionen. Wir haben viel gesehen, auch dank Jeanette, einer Freundin, die seit über 20 Jahren auf der Insel lebt und uns viele gute Tipps gegeben hat. Ob ich wiederkomme: Irgendwann vielleicht. Es war interessant, aber Lanzarote ist nicht meine Insel: zu karg, zu viele Steine, zu wenig grün. Aber im Winter, wenn es in Deutschland kalt und ungemütlich ist, sicher eine Alternative.