Ecriture Automatique, E-Mails und Erinnerungen

Ich liebe diese Stunde am Morgen, bevor der Tag erwacht. Es ist meine Stunde, die Stunde, die mir allein gehört. Wenn ich meine Yogaübungen und gleichzeitig die erste Tasse Kaffee gemacht habe, zünde ich eine Kerze an, schreibe meine Morgenseiten und anschließend meine private Texte, zum Beispiel Blogbeiträge. Manchmal geht beides fließend ineinander über. Aber das ist ja der Sinn der Morgenseiten oder ihres Vorläufers, der Écriture automatique. Die Surrealisten um André Breton und Philippe Soupault haben diese Methode des Schreibens in den 1920er-Jahren bekannt gemacht. Beim Automatischen Schreiben werden „Bilder, Gefühle und Ausdrücke (möglichst) unzensiert und ohne Eingreifen des kritischen Ichs wiedergegeben“ (https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89criture_automatique).  Mein kritisches Ich beim Schreiben außen vor zu lassen, gelingt mir leider nicht immer, aber manchmal fließen die Gedanken und bin überrascht, wohin sie mich treiben.

Meine Brotarbeit muss und kann am frühen Morgen meist noch ein bisschen warten. Das ist im Vergleich zu früher ein Luxus, den ich wirklich genieße. Das frühe Aufstehen habe ich mir nämlich angewöhnt, als meine Tochter ganz klein war und ich für die Lokalredaktion der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gearbeitet habe. Meine Artikel habe ich damals zwar schon auf dem Computer geschrieben, aber noch ausgedruckt; die Zeitungsfotos waren schwarzweiß und noch analog. Die Filme hat mein Mann abends entwickelt, wenn ich von den Terminen nach Hause kam – vielen Dank nochmal dafür.

Damit sie am nächsten Tag in der Zeitung abgedruckt werden konnten, musste ich Artikel und Fotos bis sieben Uhr morgens beim stellvertretenden Leiter der Bezirksredaktion abgeben. Der wohnte im Ort und nahm sie freundlicherweise mit ins Verlagshaus nach Hannover. Wurde ich nicht rechtzeitig fertig, musste ich sie selbst nach Hannover fahren. Heute ist das alles viel einfacher. Fotos sind längst digital, ich verschicke sie ebenso wie meine Artikel per E-Mail oder gebe sie direkt ins Redaktionssystem der Verlage ein, für die ich arbeite. Von jedem Ort, zu jeder Zeit.

E-Mails gab es übrigens Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre schon: Sie wurden vor mehr als 50 Jahren – lange vor dem Internet – erfunden, und zwar vom amerikanischen Informatiker Ray Tomlinson. Der führte das @-Zeichen ein und verschickte im November 1971 die erste E-Mail, ohne das Potenzial seiner Erfindung zu erkennen. „Sag das niemandem! Das ist nicht das, woran wir arbeiten sollen“, soll er seinem Kollegen geschrieben haben (https://praxistipps.chip.de/seit-wann-gibt-es-e-mails-enstehungsgeschichte-im-ueberblick_100733).

Und so dauerte es noch einige Zeit, bis sich diese Form der Kommunikation durchsetzte. In Deutschland kam die erste E-Mail am 3. August 1984 an. Empfänger war Michael Rotert von der Universität Karlsruhe. Abgeschickt hatte sie Laura Breeden von der amerikanischen Universität Cambridge schon am 2. August. Doch weil sich Rotert nur alle zwei bis drei Stunden bei der Post einwählte und die Mails quasi „von Hand abholte“, dauerte die Zustellung so lange (https://www.faz.net/aktuell/technik-motor/digital/vor-25-jahren-als-die-e-mail-nach-deutschland-kam-1826773.html).

Heute nutzen laut Statista rund 85 Prozent der Deutschen das Internet, um E-Mails zu versenden und zu empfangen, in Dänemark sind es sogar 94 Prozent der Bevölkerung (https://de.statista.com/themen/2249/e-mail-nutzung/#topicHeader__wrapper). 2018 wurden in Deutschland 848 Milliarden E-Mails versendet – außerdem geschätzt 150 Millionen Spam-Mails täglich. Und noch ein paar Zahlen: Weltweit werden in diesem Jahr wahrscheinlich 333,2 Milliarden E-Mails täglich verschickt und empfangen; 2025 sollen es dann bereits 376,4 E-Mails an jedem Tag sein. Laut einer Bitkom-Studie erhalten Erwerbstätige in Deutschland durchschnittlich 26 berufliche E-Mails pro Tag – mir hätte es vor 30 Jahren schon gereicht, ein oder zwei verschicken zu können. So ändern sich die Zeiten (https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/E-Mail-wird-50-Jahre-alt).

Der Redakteur, der jahrelang meine Artikel mit nach Hannover genommen hat, ist vor zwei Monaten gestorben, vor einem Monat wurde er beerdigt. Ich habe seine Beisetzung leider verpasst und widme ihm diesen Blogbeitrag – zur Erinnerung.

Ulysses häppchenweise

Ja, Ulysses von James Joyce steht schon lange auf meiner Irgendwann-zu-lesen-Liste. Schließlich zählt der Roman laut Le Monde zu den 100 wichtigsten Werken des 20. Jahrhunderts https://de.wikipedia.org/wiki/Die_100_Bücher_des_Jahrhunderts_von_Le_Monde; in der ZEIT-Bibliothek der 100 Bücher fehlt der Roman ebenso wenig wie bei Dudens „Bücher, die man kennen muss. Klassiker der Weltliteratur“.

Die ersten ab 1918 in der amerikanischen Zeitschrift Little Review veröffentlichten Auszüge hatten eher für negative Schlagzeilen gesorgt: Laut Wikipedia wurden die Ausgaben mehrfach vom United States Post Office wegen Obszönität beschlagnahmt; in England und den USA war Ulysses seit 1921 verboten (https://de.wikipedia.org/wiki/Ulysses). Dort fand Joyce keinen Verlag für sein Buch – auch Virginia und Leonard Woolf hatten 1918 das noch unvollendete Manuskript abgelehnt. Sylvia Beach, Besitzerin der Buchhandlung Shakespeare and Company (Rue de l’Odéon 12) in Paris, veröffentlichte die Erstausgabe schließlich am 2. Februar 1922, Joyces 40. Geburtstag. In der Auflage von 1.000 nummerierten Exemplaren fehlten allerdings die als obszön geltenden Passagen (https://de.wikipedia.org/wiki/Sylvia_Beach).

Ich bin, ich gestehe es, nie über die ersten 50 Seiten hinausgekommen, obwohl das Buch schon lange in meinen Bücherregal steht. 1.000 Seiten verlangen eben doch viel Durchhaltevermögen. Doch die Idee, sie häppchenweise, quasi als Fortsetzungsroman, zu lesen, gefällt mir. Und so wage ich jetzt einen neuen – den wohl letzten – Versuch, Leopold Bloom, Anzeigenakquisiteur bei einer Dubliner Tageszeitung, auf seinen 24 Stunden dauernden (Irr-)Gängen durch Dublin zu begleiten.

Zum 100. Jubiläum der Erstausgabe und zum 140. Geburtstag von James Joyce verschickt der Suhrkamp Verlag* nämlich mit dem James-Joyce-Newsletter 30 Tage lang jeden Morgen kurze Abschnitte aus dem ersten Teil des Romanklassikers. Nur sieben bis zehn Minuten soll die Lektüre täglich dauern – so viel Zeit kann sein. Nach einem Monat hat man dann den ersten Teil komplett gelesen.

Dreimal Joyce – Stanislaw und der berühmte James – und zweimal Stephen Dedalus

Ich habe den Newsletter abonniert, morgen geht es bei mir los. Ich lese die Abschnitte aber wohl nicht online, sondern in meiner eigenen Ausgabe. Die ist aus dem Jahr 1981 und wurde wie die aktuelle Jubiläumsausgabe übersetzt von Hans Wollschläger. Ob ich Ulysses zu Ende lesen werde, entscheide ich nach dem ersten Teil. Vielleicht begnüge ich mich aber auch mit James Joyce erstem Roman, dem „Porträt des Künstlers als junger Mann“. Oder ich lese das Dubliner Tagebuch von James Joyces jüngerem Bruder Stanislaus. Beide Bücher habe ich auf der Suche nach Ulysses ebenfalls ein meinem Bücherregal gefunden.

Wer Ulysses mitlesen will, kann den James-Joyce-Newsletter kostenlos unter https://www.suhrkamp.de/james-joyce-und-sein-ulysses-s-1387 abonnieren. Der Newsletter enthält laut Suhrkamp wissenswerte Hintergrundinformationen, Links und Buchtipps rund um James Joyce und sein Werk; außerdem werden unter allen Newsletter-AbonnentInnen zehn Exemplare unserer Ulysses-Jubiläumsausgabe verlost.

*Der Beitrag enthält unbezahlte Werbung

Von inneren KritikerInnen, einem kleinen Käfer und einem kritischen Hund

Ich habe meinem inneren Kritiker, pardon, meiner inneren Kritikerin, einen Namen gegeben, wie Julia Cameron es in ihrem Buch „Es ist nie zu spät, neu anzufangen“ empfiehlt. Welchen, verrate ich nicht, denn ich will niemanden beleidigen.

Dass ich nur (noch) wenige mit diesem Namen kenne, liegt vielleicht daran, dass der Name inzwischen ein bisschen aus der Mode ist. Vielleicht meide ich Menschen, die so heißen, aber auch, weil ich mit ihren Namensvetterinnen bislang keine guten Erfahrungen gemacht habe – oder genauer gesagt: überwiegend negative. Wirklich liebenswürdig und sympathisch fand ich in all den Jahren nur eine Frau, und sie ist leider schon vor einigen Jahren gestorben.

Meine innere Kritikerin ist dagegen sehr lebendig – und sehr präsent. Sie sitzt mir immer im Nacken oder – schlimmer noch – sie sitzt in meinem Kopf. Sie kennt meine Schwächen sehr genau, oder glaubt sie zu kennen. Meine Stärken ignoriert sie geflissentlich, und recht machen kann ich es ihr ohnehin nie, so sehr ich mich auch bemühe: Sie weiß und kann immer alles besser – und allzu gerne macht sie das, was ich plane, möchte und tue, lächerlich.

Jetzt ist es an der Zeit, meine innere Kritikerin zu überlisten, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen – und der Name, den ich ihr gegeben habe, hilft mir dabei: Wenn ich mit ihr spreche, ziehe ich den ersten Vokal ihres Namens in die Länge und denke dann an den Käfer aus Daniela Wakoniggs Buch „Was heißt Iiih“. Der kleine Kerl heißt so, weil jemand „iiih“ zu ihm sagte, als er gerade geschlüpft war. Dann muss ich lachen oder zumindest lächeln – und schon verliert meine innere Kritikerin etwas von ihrem Schrecken und von ihrer Macht.

Vielleicht sollte ich auch Julia Camerons Rat folgen und meine innerer Kritikerin zeichnen: als winzigen Käfer beispielsweise, der eigentlich mehr Angst vor mir haben müsste als ich vor ihm, oder als Frosch, der sich wie in Äsops Fabel aufbläht, bis er platzt. Als besserwisserischen, eitlen Raben oder als meckernde, unnachgiebige Ziege. Doch erstens fehlt mir das Zeichentalent, und zweitens erscheint dann immer sofort Regina Kehns kritischer Hund vor meinen Augen. Ich folge seinen Abenteuern auf Instagram (reginakehn), und weil ich nicht sein einziger Fan bin, hat er jetzt sogar eine eigene Rubrik auf der Website der Illustratorin (https://www.reginakehn.de/arbeiten/der-kritische-hund/). Es lohnt sich wirklich, ihn zu besuchen.

Anders als Regina Kehns kritischer Hund ist meine innere Kritikerin überhaupt nicht liebenswert – sie ist, genau gesagt, ein richtiges Ekel, das mir das Leben und Arbeiten schwer macht, seit ich denken kann. Doch ich bin nicht nachtragend, und weil sie nach so vielen Jahren eine Pause nötig und verdient hat, spendiere ich ihr, bevor ich Rentnerin werde, einen Aufenthalt auf der Insel Criticos.

Von der Insel weit draußen im Meer habe ich bei einem Aufenthalt im writersstudio in Wien erfahren. Zutritt haben wie in elitären englischen Clubs nur Mitglieder, also nur innere Kritikerinnen und ihre Kollegen, die inneren Zensoren. Bilder von dort gibt es nicht, aber ich stelle mir vor, wie die Damen und Herren den ganzen Tag zusammensitzen und sich gegenseitig dabei überbieten, an allem herummäkeln: am zu dünnen oder zu starken Kaffee, am Essen, an angeblich nicht funktionierenden Heizungen, an zu viel oder zu wenig Sonne, am Wind, der mal zu lau oder zu heftig weht – und natürlich an denen, die sie auf die Insel geschickt haben.

Vielleicht fühlt sich meine innere Kritikerin ja unter Ihresgleichen wohl. Vielleicht gefällt es ihr auf Criticos so gut, dass bleiben und sich dort zur Ruhe setzen möchte. Schließlich ist sie ja nur ein paar Jahre jünger als ich. Zur Sicherheit habe ich nur ein One-way-Ticket und einen unbefristeten Aufenthalt gebucht. Ich brauche sie hier wirklich nicht mehr. Die paar Monate bis zur Rente überstehe ich auch ohne ihre Hilfe. Und wenn ich Sehnsucht nach mehr oder wenige konstruktiven Vorschlägen habe, besuche ich Regina Kehns kritischen Hund. Oder ich zeichne mir eine eigene Kritikerin. Eine weise Eule vielleicht.

Noch ein Versuch – fliegende Gedichte

Aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei, und so starte ich nach 2017 und 2020 den dritten Versuch: Ich möchte jede Woche eine Postkarte mit einem Gedicht verschicken – und ich bin gespannt, ob ich es diesmal durchhalte. Beim Adventskalender im Dezember habe ich es geschafft. Das lässt hoffen.

Basis des Gedicht-Versands* ist diesmal anders als bei den vergangenen Versuchen nicht der Postkartenkalender „Fliegende Wörter“ aus dem Daedalus Verlag in Münster, sondern ich habe – antiquarisch – Dumonts Lyrik Kartei „Gedichte à la carte“ erstanden.

„200 poetische Karten zum Lesen, Verschicken und Verschenken“ bieten einfach mehr Auswahl. Klassische Gedichte sind ebenso dabei wie moderne. Und meine Ziele sind diesmal weniger ehrgeizig: Ich versuche gar nicht erst, für jedeN ein Gedicht zu finden, das zu ihr oder ihm passt. Wer also in den nächsten Wochen und Monaten eine Postkarte mit einem Gedicht erhält, sollte nicht nach einem tieferen Sinn suchen: Manchmal ist es nur ein Wort, das mich ein Gedicht auswählen lässt. Und noch öfter bedeutet die Karte nur, dass ich an ihn oder an sie gedacht habe.

Die Box kam Anfang der Woche an, die ersten Karten sind verschickt. Morgen geht es weiter. Vielleicht finden die EmpfängerInnen ja sogar Gefallen an dem ein oder anderen Gedicht. Oder sie freuen sich zumindest  ein bisschen darüber, mal etwas anderes als die üblichen Rechnungen im Briefkasten zu finden.

*Dieser Blogbeitrag enthält unbezahlte Werbung.

Übrigens: Den Tischkalender „Fliegende Wörter“ aus dem Daedalus Verlag mit 53 Qualitätsgedichten zum Verschreiben und Verbleiben gibt es auch für das Jahr 2022. Herausgeberinnen sind Ulla Hahn, Andrea Grewe und Alida Bremer.

Rezept fürs neue Jahr*

Nun ist sie vorbei, die erste Arbeitswoche im neuen Jahr, das für mich das letzte Arbeitsjahr sein wird. Denn im Oktober gehe ich in Rente: Ich höre dann zwar nicht ganz auf zu arbeiten, denn mein Beruf macht mir immer noch Spaß. Aber ich werde sicher weniger arbeiten als in der Vergangenheit.

Der Übergang zum neuen Dasein als Rentnerin gestaltet sich fließend. Denn wie viele Selbstständige im Medienbereich habe ich seit Beginn der Corona-Pandemie Aufträge verloren. So wurden beispielsweise viele Korrekturaufträge, die an Freie wie mich vergeben waren, vor nun fast zwei Jahren storniert; die meisten wohl auf Dauer. Zeitschriften leben ja bekanntlich von Anzeigen – und wenn es weniger Anzeigenaufträge gibt, wird eben da gespart, wo es am einfachsten scheint. Wem fällt es schon auf, wenn „dass“ nur mit einem s geschrieben wird, wo eigentlich zwei hingehören – und umgekehrt? Oder dass der ehemalige Oberbürgermeister von Hannover nicht Stephan, sondern Stefan heißt?

Dass ich Aufträge verloren habe, belastet mich nicht (mehr): Den meisten weine ich keine Träne nach. Und einen Auftrag hätte ich eigentlich schon lange kündigen wollen oder sollen, weil er mir mehr Frust als Lust bereitete. Ich habe natürlich gut reden. Finanziell bin ich durch die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige und natürlich auch durch die Pension meines Mannes abgesichert. Und um meine berufliche Zukunft muss ich mir – anders als viele jüngere Kolleginnen und Kollegen – keine Sorgen mehr machen: Ich gleite auf die Rente hin, kann mich allmählich an den arbeitsfreien Zustand gewöhnen. Das tue ich – und ich tue es gerne. Es gefällt mir, dass ich Aufträge loslassen kann, die keinen Spaß machen, sondern nur belasten. Und dass ich nicht mehr jeden Auftrag annehmen muss, auch wenn er noch so ungelegen kommt, aus Angst, ich könnte mir durch eine Absage einen Folgeauftrag vermasseln. Das Los vieler Freier.

Natürlich schaue ich nicht sorgenfrei in die Zukunft oder auch nur in das vor uns liegende Jahr. Im Gegenteil: Ich bin ausgesprochen gut im Sorgen machen, wie ein winziger Auszug aus meiner ungeschriebenen Sorgenliste zeigt. Reicht meine Rente? Wie geht es mit Corona weiter? Werden die Impfgegner noch radikaler, noch gefährlicher – hierzulande und anderswo? Ja, die Leerdenker-Bewegung macht mir zunehmend Angst: Hier verbünden sich scheinbar ganz normale Bürgerinnen und Bürger mit Geistern, die sie vielleicht nicht mehr los werden. Haben sie aus der Geschichte wirklich nichts gelernt. Fackelaufzüge, Todesdrohungen und Todeslisten erinnern an Deutschlands dunkelste Zeiten, die wir doch für immer hinter uns geglaubt hatten.

Mascha Kaléko, meine Lieblingslyrikerin, hat diese Zeit erlebt und erlitten: Die Nazis haben ihre Karriere zerstört; weil sie Jüdin war, wurden ihre Bücher als „schädliche und unerwünschte Schriften“ verboten. 1938 floh sie mit Mann und Kind in die USA, aber der berufliche Neustart war dort für eine Dichterin und einen Musikwissenschaftler nicht leicht. Mascha Kaléko hielt die Familie mit Werbetexten über Wasser und veröffentlichte Texte in der deutschsprachigen jüdischen Exilzeitung Aufbau. Im amerikanischen Exil schrieb sie, sicher in prekären Verhältnissen lebend, unter anderem auch „Rezept“, eines mein Lieblingsgedicht. Es beginnt mit den Zeilen

„ Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
wird wohl alles noch reichen“

Ich finde, das ist ein guter Rat. Ich möchte ihn mir zu Herzen nehmen, für das noch neue Jahr und für meine Zukunft.

Wer das Gedicht nachlesen will, findet es in dem von Gisela Zoch-Westphal und Eva-Maria Prokop herausgegeben Buch: „Sei klug und halte dich an Wunder“. Es ist und enthält neben dem Gedicht noch viele andere lesenswerte Gedanken Mascha Kalékos über das Leben. Eine Leseprobe aus dem bei dtv erschienenen Buch mit dem Gedicht gibt es im Internet unter https://www.dtv.de/_files_media/title_pdf/leseprobe-14256.pdf

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Mascha Kaléko: Sei klug und halte dich an Wunder, Gedanken über das Leben. Hrsg. von Gisela Zoch-Westphal und Eva-Maria Prokop, ‎ dtv Verlagsgesellschaft, 2013, 10 Euro

Fünf Jahre im Blick

Manchmal bin ich meiner Zeit voraus. Als „neue Tradition für 2022 bis 2027“ wird in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Freundin das Fünf-Jahres-Tagebuch angepriesen. „Toll zum Zurückschauen und zum Alltag-Entknoten“, heißt es.

Ich habe das Fünf-Jahres Tagebuch bereits vor mehr als fünf Jahren entdeckt, und zwar in einem Schreibwarenladen in Tromsö. Die Möglichkeit, fünf Jahre in Folge ein paar Zeilen auf jeweils eine Seite zu bannen, hat mich sofort fasziniert. Trotzdem habe ich keines der Bücher mit nach Deutschland genommen: Bei den einen missfiel mir, dass die Seiten liniert waren – Schreiben auf liniertem oder kariertem Papier geht bei mir bekanntlich ja gar nicht. Bei den anderen störten mich die Fragen oder Stichworte, die Tagebuch-Neulingen vielleicht das Notieren erleichtern. Mich stören sie aber. Ich möchte schreiben, was mir in den Sinn kommt. Wieder zurück zu Hause, musste ich lange suchen, bis ich endlich das für mich ideale Fünf-Jahres-Buch gefunden hatte.

Der erste Eintrag stammt vom 1. September 2017; seither habe ich fast jeden Abend ein paar Sätze notiert, eben wie der Titel des Buches sagt: some lines a day. Es gibt in den fünf Jahren nur wenige Lücken. Wenn ich verreise, habe ich meist Kopien einer leeren Doppelseite dabei, die ich später in das Buch einklebe. Notfalls tun es auch einfache Blätter.

In der Silvesternacht habe ich die letzten Zeilen in das alte Buch geschrieben und am Neujahrtag die ersten in das neue. Ein Tagebuch zu beginnen, ist für mich immer noch ein besonderer Moment, obwohl ich in den letzten 50 Jahren wohl weit mehr als 100 Tagebücher vollgeschrieben und ebenso viele angefangen habe. Der Zauber, der nach Hermann Hesse ja jedem Anfang innewohnt, gilt um so mehr, wenn ein Tagebuch mich nicht nur einige Monate, sondern fünf Jahre lang begleiten soll.

In meinen alten Tagebüchern lese ich fast nie; aber wenn ich abends etwas in mein Fünf-Jahres-Buch schreibe, schaue ich oft, was ich vor einem oder vor fünf Jahren am gleichen Tag gemacht habe. Und manchmal bin ich erstaunt, wie sehr sich die Tage, die Gedanken und auch die Einträge gleichen.

Dass aufs erste Fünf-Jahres-Buch das nächste folgen würde, war für mich klar. Nach dem neuen Buch habe ich lange gesucht: Ich war in drei Städten in vier Schreibwarenläden und in drei Buchhandlungen, die Leuchtturm-Kladden verkaufen. Nur eine große Buchhandlung hatte Fünf-Jahres-Bücher des Herstellers, allerdings nur in Schwarz. Dabei gibt es inzwischen mehr und schönere Farben. Fündig wurde ich schließlich im im Papier Kontor, einem kleinen, aber feinen Schreibwarenladen in Hannover. Manchmal sind die Kleinsten eben doch die Besten.

Wer Hermann Hesses Gedicht Stufen nachlesen will, findet es im Internet zum Beispiel unter https://www.lyrikline.org/de/gedichte/stufen-5494

Eine gute Verbindung

Für manche haben die Raunächte bereits am 21. Dezember begonnen, für andere erst in der Nacht vom Heiligen Abend zum ersten Weihnachtsfeiertag. Dass Anfang und Ende der Raunächte mit den christlichen Feiertagen der Geburt und Erscheinung des Herrn – Epiphanias oder Fest der Heiligen drei Könige am 6. Januar – zusammenfallen, ist natürlich kein Zufall. Denn Weihnachten ist keine christliche Erfindung: Feste um die Zeit der Wintersonnenwende gab es schon lange bevor Jesus‘ Geburt gefeiert wurde. Die römischen Saturnalien zum Beispiel oder das germanische Julfest. Das Christentum hat einfach „heidnische“ Bräuche „adoptiert“ und für seine Zwecke genutzt. Das wäre – nebenbei bemerkt – ja nicht schlimm, im Gegenteil. Doch leider haben die christlichen Eroberer und Kirchenoberen – und hier ist die männliche Form angebracht, weil es ausschließlich Männer waren – die vorchristlichen Bräuche dann meist als Aberglauben verdammt und die Menschen, deren Ideen sie übernommen haben, verfolgt und oft ermordet. Aber das ist ein anderes Thema.

Magische Raunacht, fotografiert von Foe Rodens in Norwegen. Dieses und andere tolle Fotos von Foe Rodens können unter  https://www.pictrs.com/foerodens/img/eqjxuj gekauft werden*

Die zwölf Raunächte erhielten auf dem Konzil von Tours im Jahr 567 den kirchlichen Segen: Sie wurden laut Wikipedia als sogenannte Dodekahemeron ins offizielle Kirchenjahr eingeführt (https://de.wikipedia.org/wiki/Hochneujahr). Eine Deutung des Namens weist jedoch auf den vorchristlichen Ursprung hin. So leitet Duden online die Herkunft von rau – haarig (mittelhochdeutsch ruch) ab: „in Anspielung auf mit Fell bekleidete Dämonen, die besonders in diesen Nächten ihr Unwesen treiben“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Raunaechte). Nach Kluges „Etymologischem Wörterbuch der deutschen Sprache“ war dagegen „das traditionelle Beräuchern der Ställe mit Weihrauch durch den Priester oder den Hofbauern“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Rauhnacht#cite_ref-4) namensgebend.

Wie dem auch sei: Die Raunächte sind für mich schon lange eine besondere, eine magische Zeit, die ich nutze, um über Gott und die Welt und natürlich auch über mich selbst nachzudenken, um auf das vergangene Jahr zurück- und auf das kommende vorauszublicken. In der Vergangenheit habe ich das immer mithilfe von Büchern und Informationen aus dem Internet getan. In diesem Jahr nehme ich an einem Schreibcamp und an dem Kurs Magische Raunächte* teil, der Raunachtsrituale mit Yoga und Meditation verbindet. Natürlich coronagerecht online.

Schreiben spielt in meinem Leben ohnehin eine wichtige Rolle – beruflich und privat; Yoga möchte ich künftig häufiger und intensiver praktizieren. Die wenigen Yogaübungen, die zu meinem Morgenritual gehören, tun mir gut: Sie halten mich beweglich und helfen mir, zu entspannen. Trotzdem schaffe ich es nicht, regelmäßig und mehr zu üben. Mit Meditationen und Affirmationen tue ich mich sehr schwer, und Verbindungen zu meinem höheren Selbst und anderen höheren Mächten aufzunehmen, ist mir noch nicht wirklich gelungen. Aber manchmal ist es einfach gut, über den eigenen Tellerrand zu schauen und etwas Neues auszuprobieren.

Der Auftakt lässt hoffen: Ich habe durch die Yoga- und Meditationsanleitungen per Video schon einige Yogapositionen kennengelernt, die mir gefallen und die ich in mein eher bescheidenes Übungsrepertoire aufnehmen möchte: das liegende Reh beispielsweise, den schlafenden Schwan oder den Drachen, hoch und tief. Und ich werde künftig sicher häufiger zwischen Mond- und Sonnengruß wechseln. Ich mag den Mond, und es ist sicher nicht gerecht, immer nur die Sonne zu grüßen.

Sei gegrüßt Mond. Foto: Foe Rodens

Auch die Schreibanregungen und Fragen aus beiden Kursen helfen mir, mir über meine Wünsche und Ziele klar zu werden – darüber, was ich im neuen Jahr erreichen, aber auch, was ich mit dem alten hinter mir lassen möchte. Vielleicht entdecke und erwecke ich durch die Kombination von Schreiben, Yoga, Meditation und Affirmation sogar den Teil in mir, der meinen richtigen Weg kennt, und mein höheres Selbst, das alle Antworten hat, die ich brauche. Und wenn sich dann auch höhere Mächte oder das Universum meiner Wünsche und Pläne annehmen, kann ja nichts mehr schiefgehen.

*Dieser Blogbeitrag enthält unbezahlte Werbung

Link zum Kurs von Martina Honecker und zur Foto-Website von Foe Rodens

https://www.yogamitmartina.de/rauhnaechte-anleitung-rituale/

https://www.pictrs.com/foerodens/img/eqjxuj

Die unstrukturierte Leserin

Ich lese gern – und recht viel. Wenn die Statistiken nicht lügen, deutlich mehr als der Durchschnitts-Deutsche, wie immer er oder sie aussehen mag. Nach einer Umfrage des Stern aus dem Jahr 2015 lesen nämlich nur 27 Prozent mehr als zehn Bücher jährlich, 14 Prozent lesen gar keine Bücher. 39 Prozent der Befragten lesen bis zu fünf Bücher, (https://www.presseportal.de/pm/6329/2969695) – so viele liegen meist neben meinem Bett, weil ich parallel mehrere Bücher lese (und weil ich die gelesenen Bücher nicht immer sofort wegräume. Aber das ist ein anderes Thema).

Welche Bücher ich – vollständig – gelesen habe, notiere ich unter anderem in meinem Büchertagebuch. Das habe ich vor Jahren in der Livraria Bertrand in Lissabon gekauft, die angeblich die älteste Buchhandlung der Welt sein soll. 58 Bücher stehen bis jetzt in diesem Jahr auf meiner Gelesen-Liste. Und weil ich zwar Listen liebe, sie aber leider nicht sehr akribisch führe, sind es wahrscheinlich sogar ein paar mehr. Mein selbst gestecktes Jahresziel – ein Buch pro Woche – habe ich in diesem Jahr schon erreicht.

Belesen, wie manche jetzt vielleicht mutmaßen, bin ich aber nicht. Denn Duden online und Googles Deutsche Wörterbuch definieren „belesen“ als „durch vieles Lesen reich an [literarischen] Kenntnissen“. Ich habe, wenn überhaupt, nur ein gesundes Halbwissen. Und obwohl ich in meinem früheren Leben Germanistik studiert habe, kenne ich nicht einmal die Klassiker der Weltliteratur.

So bin ich bei „Ulysses“ von James Joyce ebenso wie bei Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ nie über die ersten 50 Seiten hinausgekommen. Die Bibel und Homers Ilias – ebenfalls Must-Reads für wirklich belesene Menschen – habe ich nur auszugsweise gelesen. Und die Lektüre von Buddenbrooks und Goethes Wahlverwandtschaften liegt so lange zurück, dass es schon fast verjährt ist.

Im Studium habe ich mich noch brav durch diverse Literaturlisten gelesen, seit ich der Uni den Rücken gekehrt habe und auch dem Schuldienst erfolgreich aus dem Weg gegangen bin, bin ich eine unstrukturierte Leserin. Ich lese just for fun.

Ich lese, was mir mehr oder weniger zufällig in die Finger fällt oder vor besser vor die Augen kommt. Bestsellerlisten interessieren mich bei der Auswahl meiner Lektüre eigentlich gar nicht, die Empfehlungen verschiedener Kulturseiten und -sendungen nur bedingt. Viele Bücher finde ich auf der Neuerscheinungsliste der örtlichen Bücherei und warte dann geduldig, bis ich an der Reihe bin: Helga Schuberts „Vom Aufstehen“ zum Beispiel oder „Die Unsterblichen“ von Axel Schumann. Manchmal frage ich das Bücherei-Team, ob ein Buch, das ich gerne lesen würde, nicht auch für andere LeserInnen interessant wäre. Und manchmal überzeugen meine Buchwünsche die Mitarbeiterinnen und sie kaufen das Buch für die Bücherei (vielen Dank für beides). Beispielsweise Gabriele von Arnims „Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“. Das Buch, in dem Sie über das Zusammenleben mit ihrem pflegebedürftigen Mann schreibt, hat mich sehr berührt, vielleicht auch, weil ich es zu einer Zeit gelesen habe, als eine Freundin und ein Freund schwer krank waren.

Wenn ich in eine Buchhandlung gehe, komme ich meist mit einem neuen Buch heraus. Aber ich entdecke auch oft Bücher wieder, die seit Jahren in meinem Bücherschrank stehen. Manchmal springen mich die Titel an. Oder besser gesagt sie schreien: „Lies mich“ – weil sie gerade (wieder) zu meinem Leben passen. Zum Beispiel Rainer Maria Rilkes „Du musst dein Leben ändern“, „Auszeit“ von Anja Meulenbelt oder „Ein sanfter Tod“ von Simone de Beauvoir.

Manchmal führt mich ein Buch auf einen Pfad, dem ich dann lesend folge: Nachdem ich Antonio Iturbos „Bibliothekarin von Auschwitz“ gelesen habe, habe ich mir Dita Kraus Memoiren „Ein aufgeschobenes Leben: Kindheit im Konzentrationslager – Neuanfang in Israel“ ausgeliehen. Dita Kraus war noch ein Teenager, als sie im sogenannten „Familienlager“ des Venichtungslagers Birkenau die Bücher vor den Nazis versteckte. Sie wurde von Birkenau zunächst nach Auschwitz und dann ins KZ Bergen-Belsen deportiert. Dort hielten die Nazis auch Anne Frank und Renata Laqueur gefangen; Anne Frank wurde dort ermordet. Renta Laqueur überlebte. Ihre Tagebücher stehen in meinem Bücherregal, und natürlich habe ich noch einmal in sie hineingelesen. 

Oft verlasse ich mich bei der Auswahl der Bücher auf Empfehlungen von Freundinnen und Bekannten – und werde nur selten enttäuscht: Tante Martl von Ursula März hat mir eine Bekannte empfohlen und ausgeliehen; Nevermore von Cécile Wajsbrot habe ich mir selbst gekauft, nachdem eine Bücherfrau aus unserer Regionalgruppe es erwähnt hat. Jetzt liegt es auf dem Stapel der zu lesenden Bücher, der seinen Platz in einem meiner Bücherregale hat.

Ein Buch, das schon lange – ungelesen – in meinem Bücherregal steht, hat es jetzt auch auf diesen Stapel geschafft: „Der Zauberberg“ von Thomas Mann. Ein Bekannter hat mir den Zauberberg ans Herz gelegt, weil es eines seiner Lieblingsbücher ist. Dass er es schon mehrmals gelesen hat, hat mich beeindruckt, immerhin hat das Buch fast tausend Seiten. Ich gebe dem Klassiker also noch eine Chance – und vielleicht ist die Vorweihnachtszeit der richtige Zeitpunkt für einen Roman, der in den Schweizer Bergen spielt und in dem ein Schneetraum zu den Höhepunkten zählen soll.

PS: Auch dieser Blogbeitrag hat mich zu einem Buch geführt: Als ich über den Text und über den Titel nachdachte, kam mir Alan Bennett „Die souveräne Leserin“ in den Sinn. Ich kannte das Buch nicht, habe es mir gekauft und kann es nur empfehlen. Natürlich ohne Gewähr, denn anders als die Queen, die Heldin des Buches, bin ich keine souveräne, sondern nur eine unstrukturierte Leserin. .

 

P

Evas Schreibzimmer

Ich habe meine Arbeitszimmer umgeräumt. Nicht zum ersten Mal; mein Mann behauptet, mein Schreibtisch hätte schon in fast jedem Raum unseres Hauses gestanden. Geschrieben und gearbeitet habe ich eigentlich in jedem Zimmer – sogar in der Küche und im Bad. Außerdem benutze ich vom Frühjahr bis weit in den Herbst hinein gerne den Wintergarten als Außenbüro, im Sommer außerdem den Garten und die Terrasse.

Schreiben am Teich

Ich bin also bei der Wahl meiner Schreibplätze recht flexibel – ich kann überall schreiben, wo Platz für meinen Laptop, meine Notizbücher und meine Unterlagen ist. Aber ich brauche eine feste Schreibbasis – einen kreativen Zufluchtsort sozusagen.

Ich habe, welch ein Luxus, zwei Arbeitszimmer: Einen halben Tag habe ich gebraucht, um das kleinere Arbeits- zum Schreibzimmer umzufunktionieren. Um mehr Platz für die Bücher zu haben, die ich beim Schreiben brauche oder gerne um mich habe, mussten zwei kleine Kommoden zwei zusätzlichen Bücherregalen weichen. Weit länger als das Möbelrücken hat allerdings das Umräumen der Bücher gedauert. Außerdem habe ich – längst überfällig – bei der Gelegenheit ganze Papierberge entsorgt, die sich in diversen Ordnern und Schränken angesammelt haben. Würde man Vorher-nachher-Bilder des Arbeitszimmers vergleichen, wäre kaum ein Unterschied zu sehen.

Das liegt sicher auch daran, dass mein neues Schreibzimmer klein ist – es ist das kleinste Zimmer im ganzen Haus: Gerade einmal neun Quadratmeter ist die Grundfläche groß, Dachschrägen ein fest eingebautes Sideboard und mehrere hohe Bücherregale, die nur an den beiden geraden Wänden Platz haben, schränken die Gestaltungsmöglichkeiten zusätzlich ein.

Das Zimmer ist zwar klein, aber es hat zwei Fenster – eines an der Ost-, das andere an der Südseite des Hauses. So kann ich die Sonne von morgens bis abends sehen, wenn sie denn scheint. Das ist wichtig, denn ich brauche Licht, um mich beim Arbeiten wohlzufühlen, Tageslicht, wenn möglich, im Winter, wenn es morgens spät hell und früh wieder dunkel wird, helfen (Duft)Kerzen und Lichterketten. Selbst Wasser kann ich aus meinem Schreibzimmerfenster sehen – auch wenn die riesige Pfütze auf dem Garagendach der Nachbarn nur ein unvollkommener Ersatz für den Blick aufs Wasser ist, der für mich zu einem idealen Schreibort gehört. Doch sie ist wesentlich größer als unsere Gartenteiche – vielleicht frage ich die Nachbarn im nächsten Sommer, ob ich dort ein paar Pflanzen aufstellen oder eine Quietscheente schwimmen lassen darf, damit echtes Seefeeling aufkommt.

Auch mein Schreibtisch muss hell sein – und im Gegensatz zum Zimmer möglichst groß: Der Versuch, einem kleinen dunklen Tisch und einen ebenso dunklen Sekretär zur Schreibecke umzufunktionieren, ist kläglich gescheitert. Dort kann ich meine Morgenseiten, Tagebuch oder Mails schreiben, für meine Artikel, Blogbeiträge und andere Schreibprojekte brauche ich mehr Platz, um meine (Notiz-)Bücher und diverse Unterlagen auszubreiten (So aufgeräumt wie auf dem ersten Foto bleibt mein Schreibtisch leider in der Regel nicht lange, meist setzt sich das Chaos durch).

Korrektur- und Layoutarbeiten erledige ich künftig in meinem zweiten Arbeitszimmer. Deshalb habe ich den Monitor, den ich nur für diese Arbeiten nutze, dorthin umgesiedelt. Ohne ihn ist der Tisch von zwei Seiten „beschreibbar“ – ein Stehhocker, der unter dem Tisch verschwindet, wenn er nicht gebraucht wird, macht es möglich. Manchmal hilft ja ein Perspektivwechsel, um Dinge klarer zu sehen, Denk- oder Schreibblockaden zu überwinden oder die Kreativität zu verbessern.

Ohne Monitor ist auf dem Schreibtisch mehr Platz

Davon war Walt Disney überzeugt. Er soll für verschiedene Arbeiten (mindestens) drei verschiedene Arbeitsräume bzw. Arbeitsplätze genutzt haben: Im ersten (Raum des Träumers) ließ er seiner Fantasie freien Lauf, im zweiten (Raum des Realisten) setzte er seine Ideen um, entwickelte Konzepte und entwarf Projektskizzen, um seine Ideen umzusetzen. Im dritten (Raum des Kritikers) überprüfte Walt Disney seine Vorhaben und verbesserte sie. Die Walt-Disney-Methode lässt sich auch in einem Raum umsetzen; mehr darüber zum Beispiel unter https://karrierebibel.de/disney-methode/ und unter https://de.wikipedia.org/wiki/Walt-Disney-Methode

Weil auch in der kleinsten Hütte Platz ist, habe ich also gleich noch einen dritten Arbeitsplatz geschaffen. Im Stehen zu Arbeiten tut sicher meinem Rücken und vielleicht auch meiner Kreativität gut. Das hoffe ich auch von der kleinen Stereoanlage, die den Platz des Monitors eingenommen hat. Denn mit Musik geht ja angeblich alles besser, manchmal auch das Schreiben.

Schreibplatz Nr. 3

Drei Autorinnen – drei Bücher: Making-of

Eigentlich klang es ganz einfach. Drei Autorinnen – drei Bücher heißt die Rubrik des Bücherfrauen-Blogs, für den ich den Oktober-Beitrag verfassen wollte und sollte. Kein Problem, dachte ich. Schließlich sind viele – oder sogar die meisten – meiner Lieblingsbücher von Frauen geschrieben. „Das Tagebuch der Anne Frank“, „Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“ von Gabriele von Arnim und „Working Class“ von Julia Friedrichs standen zunächst aus unterschiedlichen Gründen ganz oben auf meiner internen Shortlist. Bei den Autorinnen waren zunächst Simone de Beauvoir, Isabel Allende und Siri Hustvedt erste Wahl. Doch dann kam alles ganz anders.

Über alle drei Autorinnen hatten schon andere Bücherfrauen geschrieben. Das ist zwar kein Ausschlusskriterium, denn es geht im Blog um Bücher, die den Schreiberinnen wichtig sind, egal, wann sie erschienen sind und ob sie – Bücher oder Autorinnen – schon mal vorgestellt wurden. Trotzdem habe ich mich dann umentschieden – nicht nur ein-, sondern mehrmals.

Ich habe also Bücher von allen drei Autorinnen mit nach Norwegen genommen, um sie noch einmal zu lesen. Doch weder „Alles in allem“ von Simone de Beauvoir noch Isabel Allendes „Siegel der Tage“ noch Siri Hustvedts „ Gleißende Welt“ konnten mich wirklich fesseln – vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt oder der richtige Ort für diese Bücher. Dafür entdeckte ich im hohen Norden eine Autorin wieder, die ich vor einigen Jahren begeistert gelesen habe und deren Bücher zwar nicht in Norwegen, aber im Nachbarland Schweden spielen: Marianne Frederiksson. Dank E-Book-Reader konnte ich „Hannas Töchter“ noch einmal gelesen – und es hat mich auch beim dritten oder vierten Lesen genauso gepackt wie beim ersten Mal vor einem Vierteljahrhundert.

Zwei Autorinnen habe ich bei meiner Lesereise neu entdeckt: Rebecca Solnit und Helga Schubert. In den aktuellen Bücherfrauen-Blogbeitrag hat es allerdings nur Rebecca Solnit geschafft. Ihr Essay „Wenn Männer mir die Welt erklären“ hat das Zeug zu meinem Lieblingsessay – und ich frage mich, wieso ich die Autorin so lange übersehen konnte. Sie gehört zu den bekanntesten Essayistinnen und schreibt über Themen, die auch mich bewegen: übers Wandern zum Beispiel, über Feminismus und auch über die Alzheimer-Erkrankung ihrer Mutter. Vielleicht liegt es daran, dass ich auch Essays erst jetzt für mich entdecke, obwohl mich das Genre schon lange fasziniert. Über Helga Schuberts Buch „Vom Aufstehen“ möchte ich im nächsten Bücherfrauen-Blog schreiben. Dieses Mal habe ich bei den Büchern thematisch den Schwerpunkt auf Tagebücher gelegt.

Wer wissen möchte, welche Bücher und Autorinnen ich vorgestellt habe, kann den Blog-Beitrag nachlesen unter