Mit Heinrich Heine im Ilsetal

Heinrich Heine war hier – wie viele seiner Dichterkollegen seit dem 18. Jahrhundert. Auch Friedrich Gottlieb Klopstock, Hermann Löns, Theodor Fontane, Wilhelm Raabe und natürlich Johann Wolfgang von Goethe haben den Harz besucht – Letzterer sogar mehrmals. Ob Goethe auch durchs Ilsetal gewandert ist, weiß ich nicht. Er war auf seiner ersten Harzreise auf jeden Fall ganz in der Nähe – auf dem Brocken. Er hat den höchsten Berg Norddeutschlands zwar von der anderen Seite, von Torfhaus aus, erklommen; die Geister lässt er jedoch in Faust, der Tragödie erster Teil, „Übern Ilsenstein!“ – also übers Ilsetal – zum Hexentanzplatz auf dem Blocksberg fliegen.

Den Brockengipfel im Blick

Heine hat 1824 auf seiner Wanderung von Göttingen durch den Harz den umgekehrten Weg vom Brocken durch das Ilsetal hinunter nach Ilsenburg genommen – allerdings zu Fuß. Und er hat der lieblichen, süßen Ilse in seinem Reisebericht ein literarisches Denkmal gesetzt.

Mit Heines Beschreibung könnte meine ohnehin nicht konkurrieren, deshalb lasse ich ihn hier zu Wort kommen. „Es ist unbeschreibbar, mit welcher Fröhlichkeit, Naivität und Anmut die Ilse sich hinunterstürzt über die abenteuerlich gebildeten Felsstücke, so daß das Wasser hier wild emporzischt und unten wieder über die kleinen Steine hintrippelt, wie ein munteres Mädchen. Ja, die Ilse ist eine Prinzessin, die lachend und blühend den Berg hinabläuft“, heißt es in der Harzreise.

Einen Höhenunterschied von etwa 120 Metern überwindet der Bach, der unterhalb des Brockengipfels entspringt, auf einem Streckenabschnitt von etwas mehr als einem Kilometer; ein kleiner Wasserfall reiht sich kaskadenartig an den anderen. Wo beispielsweise die unteren Ilsefälle beginnen und die oberen enden – und umgekehrt – war für uns nicht zu erkennen. An unserer Begeisterung hat das nichts geändert.

Der nach Heinrich Heine benannte Wanderweg ist, da bin ich sicher, zumindest im unteren Teil der schönste Weg zum Brocken, und einer der schönsten Wege, die ich im Harz bislang gewandert bin. Zwar gibt es in dem idyllischen Bachtal keine grandiosen Ausblicke, aber die Ilse entschädigt.

Der Weg schlängelt sich direkt an ihrem Ufer entlang, vorbei an mächtigen Granitfelsen, zum Beispiel am gut 470 m hohen Ilsestein. Wie die Ilse müssen wir über manche Steine klettern, und das sieht sicher weder bergauf noch bergab so leicht und anmutig aus wie bei der Ilse. Doch die übt, anders als wir, ja auch täglich, seit ewigen Zeiten.

Kein schöner, sondern ein eher deprimierender Anblick sind die Bäume am oberen Teil des Wegs, etwa ab der Bremer Hütte, wo der Buchenwald endet und der Fichtenwald beginnt. Oder begann. Denn wo Heine einst von einer „Waldung himmelhoher Tannen“ umfangen wurde, sind heute nur noch Baumgerippe zu sehen.

Klimawandel, Stürme und der Borkenkäfer haben ganze Arbeit geleistet. Sie hatten aber auch in den Fichtenmonokulturen leichtes Spiel. „Diesen Bäumen ist nämlich das Wachsen nicht so ganz leicht gemacht worden“, schrieb Heine schon vor fast 200 Jahren. „Die meisten Bäume mußten mit ihren Wurzeln die großen Granitblöcke umranken und mühsam den Boden suchen, woraus sie Nahrung schöpfen können.“ Tröstlich ist, dass die Natur den Wald zurückerobert – sie baut die menschengemachten Fichtenwälder um zu einem wilden Naturwald – wie anno dazumal, noch vor Heines Zeiten.

Laut Nationalpark Harz ist der Wald so lebendig und dynamisch wie selten zuvor – 20 bis 30 Prozent der im Wald lebenden Arten brauchen Totholz zum Leben. Und davon gibt es genug. Neue Bäume und andere Pflanzen wachsen auf und zwischen den alten. Die Natur nutzt die Chance, die das Fichtensterben ihr bietet. Vielleicht können und sollten wir von ihr lernen. Irgendwann werden wir dem Borkenkäfer vielleicht dankbar sein.

Bis auf den Brocken sind wir dieses Mal nicht gegangen – wir haben bei der Stempels Buche, von der leider auch nur noch ein Stumpf steht, kehrtgemacht. Vielleicht wandern wir bei unserem nächsten Besuch im Ilsetal weiter. Wahrscheinlich zieht es uns aber eher zur Plessenburg und zur Paternosterklippe und wir besuchen Prinzessin Ilse auf dem Ilsestein. Dort wohnt die Tochter König Ilsungs, nach der Bach, Ort, und Tal benannt sind, nämlich angeblich, seit ein Berggeist sie vor vielen, vielen Jahren vor dem Fluch einer bösen Hexe und vorm Ertrinken gerettet hat. Oder wir wandeln auf den Spuren des Borkenkäfers, dem in Ilsenburg sogar ein eigener Pfad – der Borkenkäferpfad – gewidmet ist.

Die Sage um die Prinzessin Ilse steht im Internet unter

Neumz – Frauen singen gregorianisch*

Wenn ich meine Morgenseiten schreibe, höre ich oft Musik – derzeit am liebsten gregorianische Gesänge. Die einstimmige, einförmige, aber nie eintönige Musik hilft mir, ruhig und entspannt in den Tag zu gleiten.

Jetzt, im Februar, ist es früh morgens noch dunkel, nur eine aus der Weihnachtszeit übriggebliebene Lichterkette, Kerzen und mein Bildschirm erhellen mein kleines Schreibzimmer und schaffen eine besondere Atmosphäre: Fast fühle ich mich in eine spärlich beleuchtete Klosterkirche versetzt. Dass es in meinem Zimmer wärmer ist als in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kirchen, weiß ich durchaus zu schätzen.

Auf meinen CDs singen ausschließlich Männer gregorianische Choräle und Gebete und irgendwie wundert mich das nicht: Denn die (katholische) Kirche tut sich ja bekanntlich seit jeher mit Frauen schwer: „mulier taceat in ecclesia“ – alsoDie Frau möge in der Gemeinde schweigen“ –heißt es bekanntlich im Korintherbrief (1. Kor. 14, 34). Damit ist zwar der Ausschluss der Frau vom kirchlichen Lehr- und Priesteramt gemeint, aber auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Kirchenmusik, bleiben Frauen außen vor.  

Dass die bekanntesten Kinderchöre auch heute noch reine „Knabenchöre“ sind, liegt an der Tradition der Chöre: Die reicht zurück bis ins Frühmittelalter und wurde durch die Kirche bestimmt: Damals durften Frauen in den Kirchen auch nicht singen, die Musik während des Gottesdienstes war Männersache. Und natürlich durften zum Beispiel auch bei beim Thomanerchor in Leipzig, bei den Wiener Sängerknaben, den Regensburger Domspatzen, dem Dresdner Kreuzchor oder der Staats- und Domchor Berlin nur Jungs mitmachen. Der Knabenchor der Universität der Künste Berlin muss übrigens auch heute noch – mehr als 550 Jahre nach der Gründung durch Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg – keine Mädchen aufnehmen: Die Richter der 3. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts bewerteten die Kunstfreiheit des Chores und seines Leiters höher als das Recht eines Mädchens, nicht wegen seines Geschlechts ausgeschlossen zu werden (Urteil vom 16. August 2019, VG 3 K 113.19). Und auch die anderen Knabenchöre sind mädchenfrei.

Natürlich wurden auch die gregorianische Gesänge meist von Männern gesungen. Benannt sind sie nach Papst Gregor I (590–604), der die kirchlichen Gesänge sammeln und aufzeichnen ließ. Das  geschah seit dem 9. Jahrhundert mit einer neuen Art der Musikschrift. Die Zeichen wurden über dem Text notiert und erleichterten vor allem dem Chorleiter und dem Kantor die Arbeit, denn die sogenannten Neumen – von griechisch νεύμα neuma, deutsch ‚Wink‘ – zeigten seine Winkbewegungen des Dirigenten an. Noten, Notenlinien und Schlüssel wurden erst später erfunden; die Sänger lernten bei doing, also durchs Zuhören und Mitsingen. Um alle gregorianischen Gesänge zu lernen, brauchten die Sänger laut Wikipedia etwa zehn Jahre https://de.wikipedia.org/wiki/Gregorianischer_Choral.

Die Neumen, notenähnliche Zeichen, gaben dem Projekt seinen Namen

Wie umfangreich das Repertoire ist, zeigt auch Neumz, ein spannendes Projekt, auf das ich bei meiner Suche nach von Frauen gesungenen gregorianischen Gesängen gestoßen bin. Ziel des Projekts ist es, alle gregorianischen Gesänge – insgesamt fast 8800 – aufzuzeichnen. Über 7.000 Stunden Audioaufnahmen werden in einer App abrufbar sein, wenn das Projekt 2022 abgeschlossen ist.

Gesungen werden die Gebete, Hymnen, Psalmen, Messgesänge und Chorälen des liturgischen Kalenders nicht von Profis, sondern von den Benediktinerinnen der Abtei Notre-Dame de Fidélité von Jouques in der Provence, aufgenommen werden sie nicht in einem Studio, sondern in der Klosterkirche, quasi do it yourself: Die Nonnen starten die Aufnahmen, wenn sie den Chorraum betreten, und beenden sie, wenn sie ihn wieder verlassen. Deshalb sind die Aufnahmen klanglich vielleicht nicht perfekt, aber authentisch. Gerade das macht das Projekt besonders und einzigartig, auch wenn gelegentlich Nebengeräusche wie Husten, Niesen oder Umblättern der Noten zu hören sind. Darauf, sie wegzuretuschieren, hat das Team um den britischen Musikwissenschaftler und -produzenten John Anderson bewusst verzichtet. Puristen stört’s vielleicht, mich nicht. Im Gegenteil.

John Anderson hat das aufwendige Projekt initiiert und die Nonnen, darunter auch seine Tante, überzeugt, den Aufnahmen und der Veröffentlichung zuzustimmen. Seit Ende vergangenen Jahres gibt es die Gesänge der Nonnen auf mobilen Apps für iOS und Android – inklusive Partituren und Texten auf Latein und übersetzt, unter anderem auch auf Deutsch. Eine Veröffentlichung auf CD ist nicht geplant.

Wer die App abonniert, kann alle Gesänge des dreijährigen Zyklus hören und sich beispielsweise von den gesungenen Stundengebeten der Nonnen durch den Tag begleiten lassen, vom Erstes Morgengebet (Ad Matutinum) am frühen Morgen bis zum Abendgebet Komplett (Ad Completorium). Das möchte ich auf jeden Fall mal versuchen. „Zwei Drittel der Einnahmen aus Abonnements gehen an die Schwestern, um sie und ihre Stiftung Notre Dame de l’Écoute in Benin zu unterstützen“, heißt es auf der Projekt-Website. Dort gibt es auch mehr Infos über gregorianische Musik im Allgemeinen und über das Projekt und das Kloster im Besonderen; auch einzelne Gesänge können dort kostenfrei abgerufen werden.

https://neumz.com

* Der Artikel enthält unbezahlte Werbung


Bullet Journal – zweiter Versuch

Ich habe aus der Not eine Tugend gemacht. Weil wegen des Lockdowns Buchhandlungen und Schreibwarenläden geschlossen sind, habe ich mir zu ersten Mal seit Jahrzehnten keinen Notizkalender gekauft. Natürlich hätte ich mir einen im Internet bestellen können, aber das Kalendarium, das ich seit Jahren nutze, gibt es bei dem Online Händler mit dem großen A nur als Zusatzartikel: Ich müsste also Waren im Wert von x Euro mitbestellen. Doch das wollte ich nicht – auch weil mir beim Durchblättern meiner alten Kalender wieder einmal aufgefallen ist, dass die meisten Kalenderseiten leer sind.

Typisches Kalenderblatt im letzten Jahr. Einziger Eintrag – die Leipziger Buchmesse. Und die ist leider ausgefallen.

Ich nutze eigentlich nur die Monatsübersicht am Anfang des Kalenders: Dort trage ich meine Termine ein, um den Überblick zu behalten; meine täglichen und wöchentlichen Aufgaben notiere ich in einem schlichten Notizheft mit Blankoseiten, das ich mit einem Leder- oder Gummiband in einem wunderschönen, handgefertigten Ledereinband* befestige. Mal brauche ich zwei Hefte im Jahr, gelegentlich auch drei, wenn ich viel zu notieren habe. Ich führe quasi ein Bullet Journal light, ohne es so zu nennen.

Ich habe die Mischung aus Kalender, Notizheft-, Ziel- und Gedankensammlung vor ein paar Jahren für mich entdeckt, doch der Hype, den es um Bullet Journals gibt, hat mich abgeschreckt. So gibt es in Buch- und Schreibwarenläden diverses Zubehör wie Schablonen, Stifte, Aufkleber und Handlettering-Anleitungen. Und natürlich unzählige mehr oder weniger hübsch gestaltete Notizbücher mit Aufdruck Bullet Journal, die versprechen, dass ich mit ihrer Hilfe kreativ und gut organisiert durch das Jahr komme und nicht nur meine Termine, sondern auch mein Leben besser im Griff habe.

Bei mir funktioniert diese Art des Bullet Journalings nicht. Denn die vorgedruckten Jahres-, Monatsübersichten, Vision Boards und To-do-Listen sind alles andere als übersichtlich – die Gestaltung ist, so scheint es, wichtiger als der Inhalt. Und gepunktete Seiten, in Bullet Journalen offenbar das Nonplusultra, gehen bei mir gar nicht. Außerdem widersprechen festgelegte Seiten für mich der Bullet-Journal-Idee: Wie viele Seiten beispielsweise die täglichen Aufgaben – oder in der Bullet-Journal-Diktion der Daily Log einnimmt – ist ganz unterschiedlich: „So viel oder so wenig Platz, wie Sie brauchen“, heißt es in Ryder Carrolls Buch „Die Bullet Journal Methode“. Und der muss es wissen, denn er hat das Bullet Journal angeblich erfunden.

Weil mir die Idee eigentlich gefällt, starte ich einen zweiten Versuch: Ich verzichte diesmal ganz auf ein Kalendarium, das meine Wochen in jeweils zwei Seiten presst, und begnüge mich mit einer einseitigen Jahresübersicht und einem Kalenderblatt für jeden Monat. So bleibt genügend Platz für meine Ziele und meine guten Vorsätze für dieses Jahr – und für meine geliebten Listen: mit Büchern, die ich schon gelesen habe beispielweise, mit Blogbeiträgen, die ich schreiben, und Dingen, die ich erreichen will.

Drei Bücher stehen schon auf meiner Gelesen-Liste, die Liste mit den geschriebenen Blogbeiträgen ist indes noch gähnend leer. Höchste Zeit also loszulegen, damit ich mein Jahresziel erreiche. Ob es funktioniert? Das erfahrt ihr Ende des Jahres.

*Dieser Blogbeitrag enthält unbezahlte Werbung:

Ledereinbände:

https://www.etsy.com/de/shop/FoeRodensCreations

Ryder Carroll: Die Bullet Journal Methode. Verstehe deine Vergangenheit, ordne deine Gegenwart, gestalte deine Zukunft.

Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek, 3. Auflage 2019

Weihnacht – Buchnacht

Ich habe gestern Nacht – wie schon an vielen Heiligen Abenden zuvor – eine isländische Tradition gepflegt, die ich zugegebenerweise bis vor drei Tagen noch nicht kannte. Jólabókaflóð heißt sie, und für all die, die wie ich nicht so gut Isländisch sprechen, übersetze ich das Wort: Es bedeutet Weihnachts-Bücherflut.

In Island ist es Brauch, an Weihnachten Bücher zu verschenken. Die 13 Weihnachtskerle, die in Island die Geschenke bringen, müssen also eine ganze Menge schleppen. Den Weihnachtsabend verbringen die Isländer angeblich dann meist lesend. Auch ich habe gestern Abend noch lange gelesen. Denn wie für die Isländer gilt auch für mich: Weihnachten ohne Bücher und ohne Lesen ist kein richtiges Weihnachten.

Schon als Kind habe ich mir zu Weihnachten immer Bücher gewünscht – und auch immer mindestens eins bekommen. Mehr Bücher gab es nur selten, weil meine Eltern nicht viel Geld hatten – und Bücher damals noch recht teuer waren. Preiswerte Taschenbücher für Kinder gab es in Deutschland damals noch nicht – oder meine Eltern kannten sie nicht.

Das geschenkte Buch hatte ich meist schon am Heiligen Abend ausgelesen, spätestens aber am ersten Weihnachtsfeiertag. Und dann begann eine endlos lange Zeit ohne neue Bücher, die mindestens bis Ostern, manchmal aber auch bis zum Geburtstag im November dauerte. Zeitweise half die Pfarrbücherei im Ort über die bücherlose Zeit. Die war erst endgültig zu Ende, als ich nach der zehnten Klasse aufs Gymnasium wechselte und in Trier nicht nur Stadtbücherei und Stadtbibliothek, sondern auch preiswertere Taschenbücher entdeckte. Mein Taschengeld und das Geld, das ich mir in den Ferien verdiente, habe ich zum großen Teil in Bücher investiert. Wie viele ich seither gekauft habe, weiß ich nicht – es sind gewiss Tausende.

Seit einigen Jahren versuche ich, weniger Bücher zu kaufen. Aber weil Weihnachten ohne Bücher gar nicht geht, verfalle ich im Dezember meist in einen Bücherkaufrausch. In diesem Jahr habe ich gut ein Dutzend Bücher verschenkt. Das eine oder andere Buch habe ich mir selbst geschenkt, weil ich mich gerade in Zeiten wie diesen weder auf das Christkind und den Weihnachtsmann noch auf die 13 Weihnachtskerle verlassen möchte.

Eines der von mir bestellten Bücher liegt leider noch in der Buchhandlung, nur ein paar Hundert Meter von hier entfernt, aber mindestens bis Mitte Januar nicht erreichbar. Denn die Buchhandlung vor Ort ist wegen des Lockdowns geschlossen ist und liefert leider keine Bücher aus – sorry Foe. Doch ich habe rechtzeitig für Ersatz gesorgt. Damit mir und dir der Lesestoff nicht ausgeht. Frohe Weihnachten!

Mehr über die Weihnachts-Bücherflut unter https://wasliestdu.de/magazin/2016/jolabokaflod-warum-die-alljaehrliche-buecherflut-islands-eine-der-schoensten und unter https://www.dw.com/de/verr%C3%BCckte-tradition-allweihnachtliche-b%C3%BCcherflut-in-island/a-51785341

Die Macht der Gewohnheit

Es klingt zu einfach, um wahr zu sein. Eine Minute genügt, um sich etwas anzugewöhnen, was man oder frau schon immer gern regelmäßig tun würde. Gut, ein bisschen Ausdauer ist schon nötig, denn es dauert angeblich 66 Tage, bis neue Gewohnheiten mithilfe der Ein-Minuten-Methode etabliert und fester Bestandteil des eigenen Lebens geworden sind.

Kaizen heißt das Prinzip und erfunden hat es angeblich ein Japaner, nämlich Masaaki Imai. Eigentlich ist es ein Management-Prinzip, das Unternehmen helfen soll, sich kontinuierlich zu verbessern. Doch auch im täglichen Leben kann es hilfreich sein.

Eine Minute ist nämlich schnell vorbei, deshalb zählt die Ausrede, dass man keine Zeit hat, etwas zu tun, nicht wirklich. Und wenn man oder frau schon mal mit etwas angefangen hat, macht er oder sie dann oft auch weiter.

So geht es mir zum Beispiel mit dem Vorsatz, jeden Tag an einem Schreibprojekt zu arbeiten. Wenn ich die Datei öffne und anfange zu schreiben, schreibe ich meist länger als eine Minute. Und ich beschränke mich auch nie darauf, nur bis zum Gartentor und wieder zurück zu gehen, weil ich mir vorgenommen habe, mich mehr zu bewegen. Wenn ich schon mal angezogen und draußen bin, gehe ich weiter. Weil es mir nämlich Spaß macht. Oder ich verlege meine Bewegungseinheit einfach auf den Crossstepper, wenn ich es mir draußen zu kalt, zu regnerisch oder was auch immer ist.

Die Hälfte der 66 Tage habe ich jetzt hinter mir, und wenn ich jetzt mal keine Lust habe, etwas zu tun, was auf meiner Das möchte-ich mir-jetzt-gern-angewöhnen-Liste steht, denke ich, dass ich ja schon sooo lange durchgehalten habe und dass ich jetzt nicht aufgeben will.

Besonders gut funktioniert das Angewöhnen bei mir übrigens, wenn ich den neuen Gewohnheiten einen festen Platz in meinem Tagesablauf reserviere. Meine Yogaübungen mache ich zum Beispiel immer morgens direkt nach dem Aufstehen, während meine erste Tasse Kaffee durch den Filter läuft – und ohne Kaffee geht bei mir bekanntlich gar nichts.

Ein Gedicht lese ich dagegen immer erst kurz vor dem Einschlafen, bevor ich in mein 5 Year Memory Book schreibe. Das tue ich seit Herbst 2017, und es ist wirklich interessant nachzulesen, was man vor ein, zwei, drei oder vier Jahren am gleichen Tag erlebt hat (oder ist es derselbe, das lerne ich wohl nie). Weil sich fünf Jahre den Platz auf einer Tagesseite teilen, sind es auch nur einige Zeilen am Tag. Das dauert kaum mehr als eine Minute. Womit ich wieder am Anfang wäre, beim Kaizen-Prinzip.

Mehr Infos über die Kaizen-Philosophie  und wie man/frau sie nutzen kann stehen in einem Artikel, der in der Zeitschrift Brigitte erschienen ist.

https://www.brigitte.de/liebe/persoenlichkeit/kaizen–ganz-leicht-neue-gewohnheiten-schaffen-11546854.html

Im Nebel

Fast zwei Monate sind seit der Wanderwoche in der Sächsischen Schweiz vergangen, gewandert bin ich seitdem nicht mehr. Im norddeutschen Flachland beschränke ich mich derzeit auf Spaziergänge. Doch weil wir ohnehin in den Harz mussten, habe ich das Angenehme mit dem Nützlichen – sprich einer Halbtageswanderung – verbunden.

Anders als an den Tagen zuvor versteckte sich die Sonne hinter dichtem Nebel, doch auch der hat seinen Reiz. Es war, als sei die Welt in Watte gehüllt und die Farben aus ihr verschwunden. Unsere Jacken und mein blau-grüner Rucksack waren die einzigen Farbtupfer im herbstlich-nebeligen Braun-Grau.

Wanderin im Nebelwald. Foto: Foe Rodens

Und es war still, sehr still. „Im Nebel ruhet noch die Welt,/Noch träumen Wald und Wiesen“, dichtete Eduard Mörike 1838. Der Wald wirkte geheimnisvoll, fast mystisch: Wären zwischen den Nebelschwaden Elfen, Hexen oder andere Fabelwesen aufgetaucht oder wären die Bäume wie die Ents, die Baumwächter, und die Huorns, die Baumgeister, in Tolkiens Herr der Ringe zum Leben erwacht, hätte ich mich nicht gewundert.

Und auch Hermann Hesses Gedicht „Im Nebel“, kam mir in den Sinn, von dem ich nur noch die erste Zeile kannte: „Seltsam, im Nebel zu wandern“. Doch dank world wide web war es kein Problem, mitten im Wald das Gedicht auf dem Smartphone abzurufen und meiner Begleiterin vorzulesen. Wir hatten unterwegs nur wenige Menschen getroffen, doch passend zur letzten Strophe tauchte, just als ich mit dem Vorlesen fertig war, aus dem Nebel ein einsamer Wanderer auf. Ob er das Gedicht gehört hatte, weiß ich nicht, ebenso wenig, ob er einsam war – er schaute auf jeden Fall ein bisschen irritiert.

Die Sonne haben wir übrigens auch noch gesehen: Zwar hat sich der Nebelschleier – anders am von Mörike beschriebenen Septembermorgen – nicht ganz gelichtet. Schließlich ist es ja auch schon Ende November. Aber die Sonne blinzelte mittags gelegentlich hervor und gab zum Beispiel den Blick auf die Rabenklippen frei. Die vielen abgestorbenen Fichten im Tal blieben indes unseren Blicken weitgehend verborgen, gnädig eingehüllt vom Nebel.

Es hat also auf jeden Fall seinen Reiz, im Nebel zu wandern.

Wer das Gedicht von Hermann Hesse nachlesen will, findet es unter

https://www.lyrikline.org/de/gedichte/im-nebel-5490

Eduard Mörikes Gedicht „Septembermorgen“ ist abrufbar unter

http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/moerike_gedichte_1838?p=52

27. September: Ein Tag im Jahr*

Maxim Gorki hat’s erfunden: Er rief im Jahr 1935 alle Schriftsteller auf, einen gewöhnlichen Tag im Jahr – zufällig der 27. September – möglichst genau zu beschreiben, um so weltweit einen „Jedertag“ zu porträtieren. Doch obwohl das Unternehmen „Ein Tag der Welt“ „nicht ohne Resonanz“ blieb, wie Christa Wolf im Vorwort zu ihrem Buch „Ein Tag im Jahr“ schreibt, wurde es nicht weitergeführt.

25 Jahre und einen Weltkrieg später wiederholte die Zeitschrift Istwestja den Aufruf, der Christa Wolf, damals noch eine junge, eher unbekannte Autorin, nach eigenen Aussagen „sofort gereizt“ hat: „Ich setzte mich also hin und beschrieb meinen 27. September 1960“– und alle folgenden bis zum Jahr 2011. Die Aufzeichnungen im Jahr 2011 brach sie ab – sie hatte, so ihr Mann, nicht mehr die Kraft zu schreiben. Anfang Dezember starb Christa Wolf. Gerhard Wolf veröffentlichte die Tagesberichte der Jahre 2001 bis 2011 nach ihrem Tod; der erste Band war bereits 2003 unter dem Titel „Ein Tag im Jahr, 1960–2000“ erschienen, beide im Suhrkamp (Taschenbuch) Verlag. Die Texte zu veröffentlichen, war für die engagierte Schriftstellerin „eine Art Berufspflicht“.

„Ein Tag im Jahr“ ist kein Tagebuch, sondern ein Tagesbuch. Zwischen 6 und 26 Seiten sind die Tageserzählungen lang, und nicht immer schrieb Christa Wolf sie sofort nieder. Die Einträge waren für sie auch „ein Test, was ich vom gestrigen Tag noch weiß, was ich aus der schnell verblassenden Erinnerung festhalten, ‚retten‘ kann.“ Sie wollte festhalten, wie das Leben zustande kommt, was das eigene Leben ausmacht. Und so schrieb sie von ihrer Arbeit, über Menschen in ihrem Umfeld, über ihren Alltag – über Alltägliches und Kleinigkeiten – und über das Wetter. Das findet immer statt, unabhängig von der politischen Wetterlage – in ihren Aufzeichnungen und im richtigen Leben. 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, war sie versucht, „dieses Projekt abzubrechen, aus einer tiefer sitzenden Hemmung heraus als aus der gewöhnlichen Unlust. Ich sitze also seit einer halben Stunde untätig vor dem Blatt, auf dem ich mir Notizen machen will“, schrieb sie – und machte dann doch weiter. Zum Glück.

Das Projekt fasziniert nicht nur mich. Die Autorin Angelika Jesse von Borstel aus Altusried führt die Künstlertraditon seit fast einem Jahrzehnt mit dem Schreibprojekt „Ein Tag im Jahr“ weiter. Im Dezember treffen sich die Teilnehmerinnen dann im Frauenzentrum für Kultur, Bildung und Kommunikation in Kempten, um Texte und Erfahrungen auszutauschen. Ich werde zwar sicher nicht nach Kempten reisen, aber auch ich will meinen 27. September beschreiben – in diesem und vielleicht auch in den nächsten Jahren. 

Übrigens: Thomas Brasch, der aus der DDR stammende Lyriker, Dramaturg und Schriftsteller, hat dem 27. September ein Gedicht gewidmet. „Der schöne 27. September“ wurde erstmals 1980, vier Jahre nach seiner Ausreise aus der DDR, in dem gleichnamigen Gedichtband veröffentlicht, nachzulesen unter https://marionbrasch.de/2018/09/27/der-schoene-27-september/.

Christa Wolf:
Ein Tag im Jahr: 1960-2000 (suhrkamp taschenbuch)
Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert (suhrkamp taschenbuch)

*Der Beitrag enthält unbezahlte Werbung.

Ein schöner Sonntag

Nein, dieser Tag macht seinem Namen keine Ehre, denn sonnig ist es heute nicht. Und sommerlich auch nicht, obwohl es Juli ist. Aber das ist hierzulande eben keine Garantie für sonniges Wetter, obwohl wir – oder zumindest Sonnenanbieter wie ich – das nach zwei außergewöhnlich heißen Sommern erhoffen oder erwarten.

Meine Stimmung ist irgendwie trüb wie das Wetter, ich weiß nicht so recht, was ich mit mir und dem Tag anfangen soll. Doch dann kommt mir ein Buch von Jorge Semprún in den Sinn. „Was für ein schöner Sonntag!“ Semprún beschreibt einen Sonntag des Häftlings No. 44904 (S) alias Gérald im Konzentrationslager Buchenwald – und blickt von diesem Tag auf sein Leben.

Ins KZ Buchenwald wurde Jorge Semprún, in Madrid geboren und nach der Flucht aus Spanien seit 1941 als Gerard in der französischen Resistance aktiv, 1943 deportiert. Er hat den Sonntag und das KZ überlebt – keine Selbstverständlichkeit. Schätzungsweise 56.000 der rund 266.000 Gefangenen starben. Jorge Semprún kehrte nach der Befreiung 1945 nach Paris zurück, arbeite zunächst dort, später im Untergrund in Spanien gegen das Franco-Regime. Von 1988 bis 1991 war er spanischer Kulturminister, später lebte er wieder in Paris.  

Ich habe „Was für ein schöner Sonntag“ gelesen, finde das Buch aber nicht, obwohl ich in allen Regalen, die infrage kommen, suche – bei den (Auto)Biographien, bei den Romanen, bei den Schreib- und bei den Lieblingsbüchern. Hatte ich es mit an die Mosel genommen und versehentlich entsorgt, als ich vor zwei Jahren meine Bücherregale in meinem Elternhaus aufgelöst habe? Oder habe ich es gar nicht gekauft, sondern nur ausgeliehen? Ich weiß es nicht mehr.

Jorge Semprun im Bücherregal. Der schöne Sonntag fehlt – noch.

Ich erinnere mich nicht mehr genau an den Inhalt, aber das Gefühl, dass ich das Buch wieder lesen muss, bleibt. Also bestelle ich es im modernen Antiquariat, wie ich es oft tue, erstens, weil gebrauchte Bücher weniger kosten, und zweitens, weil ich finde, dass Bücher ein zweites Leben verdient haben – vor allem so gute.

Und ich nehme mir wieder einmal vor, meine Bücherregale neu zu ordnen, um mir künftig langes Suchen zu ersparen. Ein trüber Sonntag wie dieser ist da gerade recht. Oder ich könnte endlich mit der Buch-Challenge beginnen, bei der ich schon lange mitmachen will: 30 Bücher soll ich vorstellen, die mir zu bestimmten Vorgaben einfallen: Mit einer Zahl im Titel beispielsweise oder mit einem Tier oder eine Autobiographie. Eine spannende Aufgabe.

Doch während ich diese Zeilen schreibe und darüber nachdenke, was für ein Luxus es doch ist, nur mit dem Wetter zu hadern, überlegt es sich die Sonne anders: Sie kommt hervor und vielleicht macht der Tag seinem Namen doch noch alle Ehre.

2020 ein halb

Ja, ich weiß. Ich bin (wieder) ein bisschen spät dran, aber besser spät als nie. Und was kann ich dafür, wenn die Zeit so dahinrast? Aber das tut sie eigentlich schon immer: Einzweidrei im Sauseschritt, läuft die Zeit, wir laufen mit, hat schon Wilhelm Busch (https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/Busch/Aphorismen/sausesch.htm) vor fast 150 Jahren gedichtet, in einer Zeit also, die uns rückblickend als viel gemächlicher scheint als unsere. 

Aber zurück zum Thema: 2020 einhalb. Halbzeit, das Jahr ist wieder halb vorbei, und wie im vergangenen Jahr geht mir Reinhard Meys Lied „71 einhalb“ nicht aus dem Sinn. Was ist also „aus all dem geworden, was ich mir am Neujahrsmorgen ganz fest vorgenommen hab?“

Hat prima geklappt, könnte ich sagen, denn anders als in den letzten Jahren habe ich in diesem Jahr wohlweislich keine festen Vorsätze notiert. Weder im Blog noch in den Morgenseiten noch im Tagebuch, womit ich bei den Dingen wäre, die ich wirklich fast immer tue und die ich auch durchgehalten habe: Morgenseiten- und Tagebuchschreiben. Das tue ich nämlich wirklich (fast) täglich: Die Morgenseiten fallen eigentlich nur aus, wenn ich ungewohnt früh aus dem Haus gehe. Doch wenn die Morgenseiten einmal ausfallen, schreibe ich eigentlich immer in mein Tagebuch. Das habe ich, anders als meinen Computer, fast immer dabei. Mit meinen anderen Schreibprojekten hinke ich dagegen wie im vergangenen Jahr leider hoffnungslos hinterher.

Immer dabei: mein Tagebuch

Bei den Blogbeiträgen habe ich mein Vorhaben dagegen erfüllt oder sogar übererfüllt, zumindest durchschnittlich und wenn man beide Blogs zählt: 34 Blogbeiträge habe ich in diesem Jahr schon gepostet, je 17 auf beiden – das ist mehr als ein Blogbeitrag je Woche im Schnitt. Und es werden hoffentlich viel mehr. Denn ich möchte – ein neuer Vorsatz – bei der 30-Tage-Buch-Challenge mitmachen. Dazu in den nächsten Tagen mehr. Gelesen habe ich ebenfalls so viel, wie ich mir vorgenommen habe: 27 Bücher habe ich in meinem Büchertagebuch notiert, und weil ich manchmal vergesse, Bücher einzutragen, dürften es sogar ein paar mehr sein.

Ich habe es auch fast geschafft, jede Woche eine Karte mit einem Gedicht aus dem Kalender Fliegende Wörter zu schreiben. Für jedes Gedicht eine passende Adressatin oder einen passenden Adressaten zu finden, war eine wirkliche Herausforderung. Und ich gebe zu: Ich habe nicht alle geschriebenen Karten verschickt. Denn wer, außer vielleicht ein Wurmforscher (ich kenne keinen persönlich), freut sich schon über einen „Altniederdeutschen Wurmsegen“. Für die zweite Jahreshälfte habe ich die Aktion Fliegende Wörter deshalb etwas geändert: Ich werde weiter Gedichte verschicken, teilweise aber selbst ausgesuchte (mit selbst geschriebenen verschone ich euch weiter).

Dass ich – endlich – weniger gearbeitet habe als in den vergangenen Jahren (ein Dauer-Vorsatz), liegt weniger an mir als an Corona. Ob es mir gelungen ist, mehr zu leben, weiß ich nicht. Aber ich glaube, ich bin auf einem ganz guten Weg.

Mancher Weg ist steiniger und steiler als geplant. Und manchmal scheint es, als hätte der Teufel seine Hand im Spiel, wie hier auf der Teufelsmauer.

Apropos Weg: Ich bin – Foe sei Dank – im letzten halben Jahr sicher mehr gewandert als je. Dabei habe ich wirklich schöne Wege und Orte im Harz, also quasi vor der Haustür, kennen gelernt, an denen ich jahrelang achtlos vorbeigefahren bin. Am Marienteich zum Beispiel. Den Hexenstieg habe ich immer noch nicht ganz erwandert, aber zumindest Teile davon, darunter den vielleicht schönsten Teil, den Weg durch das Bodetal. Und der Sommer ist ja noch lang …

An der Bode, dem vielleicht schönsten Teil des Hexenstiegs

Im Alltag klappt das mit dem Vorsatz, mich mehr – und täglich – zu bewegen, leider nicht immer. Meine Yoga-Übungen lasse ich leider allzu oft ausfallen oder reduziere sie auf ein Miniprogramm. Aber ich gelobe Besserung. 10.000 Schritte am Tag sind ein guter Vorsatz für das zweite Halbjahr. Damit das auch klappt, werde ich meinen Fitnesstracker reaktivieren. Ob es etwas genutzt hat, schreibe ich dann am Ende des Jahres. Wie auch über andere unausgesprochene und ungeschriebene Vorsätze. 😉

Von Bücherschränken und sprechenden Büchern

Eigentlich habe ich meine Bücher(kauf)sucht inzwischen ganz gut im Griff: Die Bücherei Burgwedel ist sehr gut sortiert, in der Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover kann frau unbeschränkt ausleihen. Aber Büchereien und Bibliotheken waren wegen Corona wochenlang geschlossen. Und so habe ich einen Rückfall erlitten. Letzte Woche habe ich an einem Tag drei Bücher gekauft – und damit mein selbst gesetztes Limit weit überschritten.

Das erste habe ich in meiner Lieblingsbuchhandlung gefunden, die leider – oder mit Blick auf meinen Kontostand Gott sei Dank – nicht in meinem Wohnort, sondern in Hannover liegt. Wenn ich in der Nähe bin, gehe ich fast immer zu Annabee – und fast immer raunen mir mehrere Bücher zu: „Kauf mich, kauf mich.“ Auch diesmal habe ich die Bitte eines Buchs erfüllt – schließlich soll man kleine Buchhandlungen ja unterstützen, vor allem in Zeiten wie diesen. Auf dem Nachhauseweg hat mir dann eine Bekannte Buch Nummer 2 empfohlen. Und weil ich mir vorgenommen habe, wichtige Dinge nicht mehr aufzuschieben, habe ich es sofort in der Buchhandlung in Burgwedel bestellt. Im Briefkasten lag schließlich Buch Nr. 3. Ich hatte es Anfang der Woche online gekauft – nein, nicht bei dem Händler mit dem großen A, sondern bei einem modernen Antiquariat.

Die Stimmen in meinem Kopf – aufgedruckt auf meinem neuen Sweatshirt

Ja, ich kaufe viele Bücher secondhand – zum einen, weil ich sie mir neu nicht leisten kann: Vor allem Bildbände sprengen mein Budget bei Weitem. Zum anderen finde ich es gut und richtig, aussortierten Büchern ein zweites Lesen zu schenken.

Das tue ich mit meinen Büchern auch – nicht ganz freiwillig. Denn der Platz in meinen Bücherregalen wird knapp. Und so sortiere ich für jedes gekaufte Buch ein gelesenes aus. Bücher in der Papiertonne zu entsorgen, bringe ich nur selten übers Herz. Viele bringe ich stattdessen in die Krankenhausbücherei. Doch die ist zurzeit ebenso wie die städtische Bücherei geschlossen. Wann dort der nächste Bücherflohmarkt stattfindet, steht in den Sternen. Doch zum Glück gibt es ja auch in Burgwedel einen Bücherschrank. Der ist rund um die Uhr geöffnet und abends sogar beleuchtet.

Burgwedeler Bücher-Box von außen …

Das Prinzip der öffentlichen Bücherschränke ist einfach: Man oder frau stellt ausgelesene und ausgeliebte Bücher hinein. Wer will, darf sie mitnehmen; ob er/sie die Bücher nur ausleiht, sie behält, wieder zurückbringt oder andere Bücher dafür hinstellt, entscheidet jedeR selbst.

Ich liebe Bücherschränke. Wie an Buchhandlungen kann ich an ihnen nicht vorbeigehen, ohne darin zu stöbern – meist werde ich fündig und nehme Bücher mit. Und natürlich stelle ich immer wieder Bücher hinein.

Wie gut ein Bücherschrank ist, hängt nicht nur von den Buchspenderinnen und -spendern ab, sondern auch von den Menschen, die sich um die Bücherschränke kümmern. Vielen Dank allen, die das – ehrenamtlich – tun!

In Burgwedel klappt das ausgezeichnet, dank des Teams von printeffect, dem Copyshop im Mitteldorf. Besitzerin Edda Wilkening hat eine alte Telefonzelle im Ruhrgebiet gefunden, nach Burgwedel geholt, vor ihrem Laden aufgestellt und zur wetterfesten Bücher-Box umfunktioniert. Ein Aufdruck erinnert potenzielle Spenderinnen und Spender daran, dass ein Bücherschrank eben keine Altpapiertonne ist. Vergammelte Bücher werden aussortiert und entsorgt – und wenn Zeit ist, ordnet das Team um Edda Wilkening die Bücher sogar nach Rubriken.

… und von innen

NutzerInnen wie mich freut’s. Ich war letzte Woche übrigens ganz tapfer und habe mich gleich von sechs Büchern getrennt, obwohl ich nur drei gekauft hatte. Allerdings standen mehrere Bücher in der Box, die mir zuflüsterten: „Nimm mich.“ Zwei habe ich erhört.

Eine Karte der Bücherschränke in Deutschland gibt es auf dem Blog von Tobias Zeisig unter https://www.lesestunden.de/karte-oeffentlicher-buecherschraenke/