In Florenz

Als der französische Schriftsteller Marie-Henry Beyle, besser bekannt unter dem Namen Stendhal, 1817 Florenz besuchte, war er überwältigt: „Ich befand mich bei dem Gedanken, in Florenz zu sein, und durch die Nähe der großen Männer, deren Gräber ich eben gesehen hatte, in einer Art Ekstase“, schrieb er in seinem Buch „Reise in Italien“. „Als ich Santa Croce verließ, hatte ich starkes Herzklopfen; in Berlin nennt man das einen Nervenanfall; ich war bis zum Äußersten erschöpft und fürchtete umzufallen.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Stendhal-Syndrom).

So wie Stendahl geht es immer wieder TouristInnen, die die Stadt besuchen, die zu Zeiten der Medici das Macht- und Kunstzentrum war und als „Wiege der Renaissance“ gilt. Sie bekommen Herzrasen, Bauchschmerzen oder Panikattacken, manche fallen sogar in Ohnmacht (https://www.gesund-vital.de/stendhal-syndrom/) – alles Symptome des  sogenannten Stendhal-Syndroms, das wohl erstmals Ende der 70er-Jahre von der italienischen Psychologin Graziella Magherini beschrieben und nach dem französischen Schriftsteller benannt wurde. Betroffen sind vor allem junge, unverheiratete, alleinreisende Frauen aus Nordeuropa und den USA.

Bei mir, nicht zur besonders gefährdeten Gruppe gehörend und zudem bekennender Kunstbanause, löste Florenz keine psychosomatischen Symptome aus. Unbehagen bereitete mir auf der Fahrt nach Florenz lediglich die Frage, welche der unzähligen Museen ich besuchen, welche Kunstwerke ich mir anschauen sollte. Weil sich unsere Reise verschoben hatte, erledigten sich die Überlegungen dann von selbst. Kombi-Tickets zu buchen, war so kurzfristig nicht mehr möglich. Und als ich die Schlangen vorangemeldeter! BesucherInnen vor den Uffizien, der Galleria dell’Academia oder dem Dom sah, war mir klar, dass ich die kurze Zeit in Florenz nicht damit verbringen wollte, mit hunderten anderer Menschen auf Einlass zu warten und dann im Pulk an Kunstwerken vorbeizudefilieren.

Ich beschränkte mich also darauf, durch die historische Innenstadt zu spazieren, die eigentlich ein großes Freiluftmuseum ist und 1982 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Ich ließ mich treiben, schlenderte durch die Gassen und über die Plätze, die wohl schon zu Zeiten Dantes, Michelangelos und Galileo Galileis ähnlich ausgesehen haben. Palazzo Vecchio, Galleria Degli Uffizi, Palazzo Pitti, Dom und die meisten anderen Sehenswürdigkeiten, deren Besichtigung für kunst- und kulturinteressierte Menschen eigentlich ein Muss ist, konnte ich nur von außen bewundern. Und auch Michelangelos David habe ich nicht im Original, sondern nur als Kopie gesehen – auf der Piazza della Signoria und, etwas weniger umlagert, weil früher am Morgen und etwas außerhalb des Stadtzentrums gelegen, auf dem Piazzale Michelangelo.

Ich war, ich gestehe es, nur in einem einzigen Museum, im Museum Dante, für das sich außer mir kaum jemand interessierte, obwohl es in der Innenstadt liegt. Auch die Basilica Santa Croce mit den Grabmälern von Machiavelli, Michelangelo, Galileo Galilei und Gioachino Rossini und Gedenkstätten für andere berühmte Italiener habe ich besichtigt.

Ja, ich war beeindruckt, aber spätestens in der unter anderem mit Fresken von Giotto prächtig ausgestatteten Kirche wurde mir klar, dass meine Entscheidung gegen die Besichtigungstour durch Kirchen und Museen richtig war: Ich bin kein Fan der Renaissance-Kunst, ich mag sie, so genial sie auch sein mag, nur wohldosiert, in Maßen. 50 Säle mit mehr als tausend Renaissancekunstwerken in den Uffizien wären einfach zu viel (des Guten) gewesen. Und wenn auch (manche) ExpertInnen die Werke von Michelangelo, da Vinci, Tiziano, Boticelli, Tintoretto, Cranach und Co für die einzig (wahre) Kunst halten, bevorzuge ich modernere Bilder und Skulpturen. Deshalb bedaure ich es im Nachhinein ein bisschen, dass ich nicht im Museo Novecento, dem Museum italienische Kunst des 20. Jahrhunderts, war. Aber aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben.

Gefallen haben mir die Blicke in die vielen kleinen Ateliers, Galerien und Ausstellungen abseits der vielbesuchten Gassen und Plätze …

… und natürlich die beiden Gärten, die ich auf dem Weg ins und aus dem Zentrum entdeckt habe: den Giardino delle Roses unterhalb der Piazzale Michelangelo und den bekannteren Giardino Bardini, der damit wirbt, der Garten mit dem schönsten Blick auf Florenz zu sein.

Der Blick vom Giardino Bardini auf Florenz ist wirklich traumhaft. Und im Giardino delle Roses fand ich neben dem Blick auf Florenz die Mischung aus Pflanzen und Skulpturen des belgischen Bildhauers Folon toll. Leider blühten von den 400 Rosensorten, die es im Giardino delle Roses geben soll, erst wenige. Ein paar Wochen später ist es hier sicher noch schöner, aber gewiss auch nicht mehr so ruhig. Ich war an jenem Morgen die einzige Besucherin im Garten.

Die schönsten Orte waren für mich die, wo ich die Stadt von außen betrachten konnte. „Zu viel Prunk, zu viel Kultur – und vor allem: zu viele Menschen“, habe ich in meinem Art Journal notiert. Und obwohl man diversen Reiseführern zufolge mindestens drei Tage nur für die wichtigsten Sehenswürdigkeiten braucht, sind wir schon nach zwei Tagen weitergefahren, an ebenso schöne, aber etwas ruhigere Orte. Florenz mag vielleicht die Wiege der Renaissance und eine der schönsten Städte der Welt sein; meine Stadt ist es nicht – und leben könnte ich dort gewiss nicht.

Italienische Reise, Teil I

Wir sind wieder da. Zurück aus Italien, genau drei Wochen, nachdem wir – später als eigentlich geplant – losgefahren sind. Und auch die Tourplanung hat sich unterwegs geändert. Ich habe Venedig von der Liste der Etappenziele gestrichen. Nicht nur, weil wir nach drei Wochen wieder zu Hause sein mussten. Sondern auch, weil mir in Florenz klar wurde, dass ich die Stadt nur richtig genießen kann, wenn ich dort übernachte und sie besichtigen kann, bevor morgens Tausende Touristen von außen hineinströmen und nachdem sie abends wieder verschwinden. Aber das ist ja der Vorteil vom Reisen mit dem Wohnmobil: Man muss, zumindest wenn man wie wir nicht in der Hauptsaison verreist, nichts lange im voraus buchen. Man kann an einem Ort länger bleiben oder eben auch früher wieder abreisen. Oder eben (vorerst) gar nicht hinfahren.

Fast 3.200 Kilometer sind wir in drei Wochen gefahren, die meisten – jeweils rund 500 Kilometer – an den insgesamt vier An- und Abreisetagen nach Italien und wieder zurück nach Deutschland. Die meisten Etappen unserer Rundreise durch die Toskana waren vergleichsweise kurz: Neben Florenz standen Lucca, Pisa, Siena, Arezzo und Pieve Santo Stefano auf meinem Programm. Am Anfang und zwischendurch gab‘s auch ein paar „Erholungstage“ am Wasser: Auf der Hinfahrt waren wir drei Tage am Gardasee, zwischendrin drei Tage am Meer, in Vada, einem kleinen Ort bei Livorno an der Maremma-Küste. 

Beim Reisen mit dem Wohnmobil entdeckt frau manche Orte, die sie sonst nie kennenlernen würde. Greding zum Beispiel, das mein Mann eigentlich nur wegen des Stellplatzes direkt an der Autobahn ausgesucht hatte. Wie hübsch der Ort ist, habe ich erst auf der Rückfahrt entdeckt. Laut Wikipedia gibt es in der mittelfränkischen Stadt 154 Baudenkmäler (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Baudenkmäler_in_Greding#Stadtbefestigung), zum Beispiel die noch fast vollständig erhaltene ehemalige Stadtmauer mit zahlreichen kleinen Wehrtürmen. Oder den Marktplatz mit dem Rathaus und vielen anderen gut restaurierten Gebäuden aus dem 17. bis 19. Jahrhundert.

Auch in Vada sind wir wegen des Campingplatzes gelandet. Der liegt nämlich – anders als viele andere Campingplätze in der Gegend – direkt am Meer. Und für unser Wohnmobil gab es einen Platz in der ersten Reihe, nur durch eine Düne vom Strand getrennt. Der Strand mit dem sehr hellen Sand gilt als einer der schönsten in der Toskana und soll aussehen wie die Strände in der Karibik – was ich nicht bestätigen kann, weil ich noch nie in der Karibik war.

Dass die Abwässer einer Sodafabrik, die früher wohl auch Schwermetalle wie Quecksilber und Arsen enthalten haben, den Sand ausgebleicht haben sollen, wusste ich nicht. (https://www.reisereporter.de/reiseziele/europa/italien/toskana/italien-weisser-traumstrand-in-vada-industrieabfall-ist-schuld-Z5CEJ2PA7WJLZ33264IV4FEOT4.html). Angeblich soll der abgelassene Schlamm jetzt unbedenklich sein. Doch im Nachhinein bin ich froh, dass ich nicht im Meer gebadet habe, sondern nur durch das Wasser gewatet bin. Meine Füße werden es wohl verkraften. Die vielen Kiter und Windsurfer, die stundenlang übers Wasser jagten und auch manches Mal hineinfielen, scheinen sich über die Wasserqualität keine Gedanken zu machen – oder sie sind genauso ahnungslos, wie ich es war, bevor ich diesen Blogbeitrag geschrieben habe.

Gefährlich bleich – der weiße Strand bei Vada?

Im Gardasee sollen die „nach strengen Richtlinien der EU untersuchten Wasserproben … auch in diesem Jahr eine hervorragende Qualität“ aufweisen (https://www.gardasee.de/news/wasserqualitaet). Aber obwohl es südlich der Alpen schon frühlingshaft warm war, habe ich mich – zugegebenerweise – auch hier mit dem Blick aufs Wasser begnügt: bei Spaziergängen am Seeufer zwischen Bardolino und Garda, bei meiner ersten Fahrt mit einem Riesenrad oder auch beim Yoga auf dem Steg.

In den nächsten Tagen folgen weitere Beiträge und Fotos von unserer italienischen Reise.

Winter ade?

„Es war wohl die letzte Schneewanderung in diesem schneearmen Winter,“ habe ich vor fast genau einem Monat geschrieben nach einer Wanderung mit meiner Kollegin Foe geschrieben (https://timetoflyblog.com/wandern-und-schreiben). Aber unverhofft kommt ja bekanntlich oft: Der Winter will in diesem Jahr scheinbar nicht weichen und hat in den letzten Tagen bewiesen, wie viel Kraft und Ausdauer er noch hat. Kein Wunder: Er hat ja im Januar eine Pause gemacht und uns eine Ahnung von Frühling beschert

Der Schnee, mit dem der Winter am Donnerstag seinen Anspruch zu bleiben untermauerte, war zwar am Freitagmorgen wieder geschmolzen, als ich in Richtung Harz aufbrach. Weil aber Wetterbericht und die Wolken am Himmel nichts Gutes verhießen, wanderten wir nicht, sondern arbeiteten ein wenig in Foes neuem Schrebergarten.

Abends fing es wieder an zu schneien und es schneite die halbe Nacht ohne Unterlass. Und so war dann am nächsten Morgen statt Gartenarbeit ein Spaziergang im Schnee angesagt – eine wirklich schöne, wenn auch unerwartete Alternative.

Mehr Schnee als am Harzrand war in der Nacht erstaunlicherweise im hannoverschen Flachland gefallen. Mein Winterling und die Traubenhyazinthe waren (fast) komplett unter der Schneedecke verschwunden und mussten von mir von der kalten und schweren Last befreit werden, als ich wieder zu Hause ankam.

Mehr Glück hatten die Hyazinthe und die Krokusse, die unter schützenden Bäumen und Sträuchern wachsen. Was wieder einmal zeigt: Der Platz an der Sonne ist eben nicht immer die beste Wahl.

Dem Blaukissen und meinem Lesezwerg bietet das gläserne Dach unseres Wintergartens Schutz. Im Wintergarten ist es an Tagen wie diesen schon sommerlich warm. Fast 27 Grad zeigte das Thermometer heute Mittag. Und so konnte ich mein Schreibzimmer im Wintergarten eröffnen – vielleicht zum letzten Mal in diesem Winter mit dem Blick auf den n verschneiten Garten.

Wandern und schreiben

Manche Menschen sind sicher, dass höhere Mächte uns unterstützen, wenn wir ein Ziel erreichen, einen Traum oder ein Projekt verwirklichen wollen. Dann geschehen hilfreiche Dinge scheinbar wie von selbst: Türen öffnen sich, wir erhalten Hinweise und Informationen und es werden Wege sichtbar, die wir bislang nicht bemerkt haben. Zufall, meinen die einen, von Gott, dem Universum oder der Vorsehung sprechen andere.

„In dem Augenblick, in dem man sich endgültig einer Aufgabe verschreibt,
bewegt sich die Vorsehung auch. Alle möglichen Dinge, die sonst nie geschehen wären, geschehen, um einem zu helfen. Ein ganzer Strom von Ereignissen wird in Gang gesetzt durch die Entscheidung, und er sorgt, zu den eigenen Gunsten, für zahlreiche unvorhergesehene Zufälle, Begegnungen und Hilfen, die sich kein Mensch vorher je so erträumt haben könnte. Was immer Du kannst, beginne es. Kühnheit trägt Genius, Macht und Magie. Beginne jetzt.“ (https://quozio.com/quote/2f81d90d/1025/in-dem-augenblick-in-dem-man-sich-endgültig-einer-aufgabe). Von wem dieses Zitat stammt, ist ungewiss. Von Johann Wolfgang von Goethe wohl nicht, obwohl es ihm oft zugeschrieben wird. Möglicherweise hat der schottische Bergsteiger und Schriftsteller William Hutchison Murray etwas Ähnliches gesagt oder geschrieben (https://www.gutefrage.net/frage/goethe-zitat–in-dem-augenblick-in-dem-man-sich-endgueltig-einer-aufgabe-verschreibt). Der letzte Satz des „Kuckuckszitats“ ist laut Gerald Krieghofer eine entstellte Rückübersetzung der ohnehin schon sehr freien Übersetzung des irischen Dichters John Anster aus dem „Vorspiel auf dem Theater“ aus Goethes Faust (https://falschzitate.blogspot.com/2018/09/was-immer-du-tun-kannst-oder-ertraumst.html).

War es Zufall, Vorsehung oder Synchronizität, wie der Psychiater und Psychoanalytiker Carl Gustav Jung „zeitlich korrelierende Ereignisse (nennt), die nicht über eine Kausalbeziehung verknüpft sind (die also akausal sind), jedoch als miteinander verbunden, aufeinander bezogen wahrgenommen und gedeutet werden“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Synchronizität)? Ich weiß es nicht. Aber kurz nachdem ich für einen Workshop einen Essay über „Wandern und schreiben“ geschrieben und (endlich) angefangen habe, mich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen, landete die Ankündigung für ein Wander- und Schreibwochenende in meinem elektronischen Postfach.

Der Zusammenhang von Bewegung, Schreiben und Denken beschäftigt mich schon lange – theoretisch und praktisch. Die Liste der wandernden SchriftstellerInnen und PhilosophInnen ist lang. Auch viele meiner Texte sind beim Laufen oder Gehen entstanden. Wenn ich wandere oder auch nur spazieren gehe, habe ich mein Notizbuch immer dabei.

Die geführten Wanderungen durch die Berge des Allgäus mit Stopps für kurze Schreibeinheiten zwischendurch, die Schreibtrainerin Dorothee Köhler und die Wanderführerin Cilli Bauer vom Deutschen Alpenverein Anfang Juli anbieten, sind für mich eine ideale Verbindung – und die Möglichkeit, meine Alpentauglichkeit zu testen. Denn in nicht allzu ferner Zukunft möchte ich zu Fuß die Alpen überqueren. Ob meine Kondition und meine Trittfestigkeit fürs Hochgebirge reichen, weiß ich nicht. Denn bislang bin ich nur im Mittelgebirgen gewandert; der 1.142 Meter hohe Brocken im Harz ist bislang der höchste Berg, den ich erwandert habe. Doch das wird sich hoffentlich bald ändern.

Drei bis vier Stunden Gehzeit und bis zu 500 Höhenmetern im Aufstieg sind beim Schreib-Wander-Wochenende täglich geplant. Einen ersten Test, ob ich das schaffe, habe ich gleich am vergangenen Wochenende absolviert. Zum Glück – oder der Vorsehung sei Dank – hatte meine Kollegin Foe Zeit, und so sind wir gemeinsam im Harz gewandert.

Knapp 15 Kilometer haben wir in drei Stunden zurückgelegt – und sind dabei 450 Meter bergauf und ebenso viele wieder bergab gegangen. Den steilsten Anstieg – rund 300 Höhenmeter – haben wir gleich am Anfang bewältigt und sind in einer Winterlandschaft gelandet. Damit hatte ich nicht gerechnet – obwohl es noch ziemlich kalt war, bin ich irgendwie schon auf Frühling eingestellt. Spaß gemacht hat es trotzdem. Es war wohl die letzte Schneewanderung in diesem schneearmen Winter. Und vielleicht ist es beim nächsten Mal dann auch warm genug für eine kleine Schreibpause zwischendurch.

Mehr Fotos von der Wanderung gibt es im Blogbeitrag von Foe Rodens (https://foerodens.wordpress.com/2023/02/11/endlich-wieder-sonne-funf-stempelstellen-um-wernigerode/), mehr Infos zum Schreibwanderwochenende auf der Website https://wandernundschreiben.de/wanderungen/. Und wer einen von mir geschriebenen Artikel über die Auswirkungen des Wanderns aufs Lernen und für die Klassengemeinschaft lesen will, findet ihn unter https://www.friedrich-verlag.de/klassenleitung/klassenfahrten-ausfluege/draussen-lernt-sichs-besser/)

Nach Italien

Eigentlich stand Portugal in diesem Jahr ganz oben auf der Liste meiner Reiseziele. Doch dann war da diese Ausstellung im Landesmuseum Hannover, das sich seit einigen Jahren WeltenMuseum nennt.

„Nach Italien“*, so der verheißungsvolle Titel der Ausstellung, in der Bilder und Grafiken aus fünf Jahrhunderten gezeigt werden. „Seit der Renaissance machten sich junge Menschen auf in den Süden, zunächst vor allem Künstler und Adlige, seit dem 19. Jahrhundert auch Bürgerliche aus gehobenem Hause“, heißt es in der Pressemitteilung zur Ausstellung und: „Lange bevor der Massentourismus das Reisen zur Normalität machte“, war das Land, in dem die Zitronen blühen, für viele ein Traumziel, ein Sehnsuchtsort.

Auch für mich. Es muss Anfang der 60er Jahre gewesen sein, als meine damals noch unverheiratete Tante einen Urlaub in an der Adria verbrachte. Auf der Karte, die sie meinen Eltern schickte, war das Meer zu sehen. Ich hatte nicht gewusst, dass Wasser so blau und klar sein kann. Da wollte ich auch hin. Bis ich zum ersten Mal ans Meer – an die Nordsee – kam, sollten noch zehn Jahre vergehen. In Italien war ich zum ersten Mal, als ich längst erwachsen war. Und Rimini, das ich als Kind auf der Karte so bewundert hatte, hat mir im Gegensatz zu anderen italienischen Städten nicht gefallen. Mein letzter Italienurlaub liegt inzwischen schon Jahre zurück: 2015 bin ich mit meiner Tochter in den Cinque Terre gewandert – und habe darüber einen meiner ersten Blogbeiträge geschrieben (https://timetoflyblog.com/immer-am-meer-lang).

Im Foyer des Museums habe ich eine Schreibfreundin getroffen; ich kam, sie wollte gerade gehen. Beim Latte Macchiato im Museumscafe erzählte sie mir, dass sie im Sommer nach Venedig reisen möchte. Sie kennt die Lagunenstadt und ist begeistert von ihr. Auch ich möchte unbedingt einmal nach Venedig – trotz der Touristenströme, die die Stadt überschwemmen und die auch Donna Leon, Autorin der Brunetti-Krimis, längst in die Flucht geschlagen haben.

Nach Italien: 70 Gemälde, 15 Grafiken, eine Skulptur, ein Büste und 40 Münzen sind laut Pressemitteilung in der Ausstellung zu sehen; einige der Werke haben die Künstler auf ihren Bildungsreisen, die „Grand Tour“ hieß, gemalt, andere brachten von ihrer Reise Kunstwerke oder ganze Sammlungen mit; „ein Versuch, das ‚dolce vita‘ in der Heimat zu konservieren“.

Bei mir weckt die Ausstellung Sehnsüchte und Erinnerungen. Als ich vor den Bildern stehe, höre ich immer wieder die Stimme des Bootsführers, der uns über den Gardasee schipperte: „Malcesine, Malcesine“.

Natürlich bin ich damals in dem kleinen Ort ausgestiegen, in dem Goethe auf seiner italienischen Reise Station gemacht hat. Er wäre im September 1786 sogar fast verhaftet worden, als er die Ruine der alten Skaligerburg zeichnete: Malcesine lag nämlich damals an der Grenze zwischen der Republik Venedig und Österreich, die Einwohner befürchteten, dass der Fremde für den österreichischen Kaisers Josef II spionierte und mit seinen Zeichnungen einen Angriff auf die Republik Venedig vorbereiten sollte. Zu Goethes Glück ließen sich die Verantwortlichen von seiner Unschuld überzeugen. Ach ja, schön war’s am Gardasee.

Und dann war da noch – aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei – Elke Heidenreichs Buch „Ihr glücklichen Augen: Kurze Geschichten zu weiten Reisen“, dessen Titel sie übrigens aus dem zweiten Teil von Goethes Faust entliehen hat. Elke Heidenreich ist viel und weit gereist. Sie ist, so schreibt sie im Vorwort, auf allen fünf Kontinenten, in fast allen Metropolen der Welt gewesen. Über mehr als 30 Orte und Länder schreibt sie in ihrem Buch – besonders viele der beschriebenen Orte liegen in Italien. Das liegt sicher daran, dass Elke Heidenreich ein Opernfan ist – und Oper und Italien gehören ja irgendwie zusammen. Ich mag Opern nicht besonders und habe bislang nur ganz wenige gesehen, zwei davon im Amphitheater in Verona – ein wirklich unvergessliches Erlebnis.  

Verona kommt in Elke Heidenreichs Buch nicht vor, aber viele andere italienische Städte, die ich noch nicht kenne, Florenz zum Beispiel, Sienna, Pesaro und natürlich Venedig. „Man vergisst die erste Ankunft in Venedig nie“, lese ich auf Seite 163. Und auf der folgenden. „Gibt es irgendeinen künstlerisch fühlenden, denkenden, arbeitenden Menschen, der nicht wenigstens einmal in seinem Leben nach Venedig gereist ist?“ (Seite 164).

Also dann. Auf nach Italien. Auch wenn ich keine Künstlerin bin, ist es höchste Zeit, Venedig, Florenz und Co kennenzulernen. Portugal muss vorerst noch warten.

*Dieser Beitrag enthält unbezahlte Werbung

Die Ausstellung „Nach Italien. Eine Reise in den Süden“ ist noch bis zum 19. Februar im Landesmuseum Hannover zu sehen.

Elke Heidenreich: Ihr glücklichen Augen: Kurze Geschichten zu weiten Reisen. Hanser Literaturverlage, 2022, 26 Euro

Winterwunderland, Winterwanderland

Manchmal erweisen sich Entscheidungen als goldrichtig. Zum Beispiel die, am Freitag nach Bad Harzburg zu fahren. Und das Nützliche, eine berufliche Besprechung, mit dem Angenehmen, einer kurzen Wanderung, zu verbinden. Weil meine Kollegin Schnee liebt, sind wir ein paar Kilometer Richtung Brocken gefahren – und in einem Winterwunderland gelandet.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr ein paar Zentimeter Schnee und natürlich ein paar Sonnenstrahlen die Landschaft verändern, ja verzaubern. Den Weg um den Oderteich fand ich ziemlich deprimierend, als ich die letzten Male dort gewandert bin. Ringsum viele tote Bäume, kaputte Wege, habe ich in meinem Blogbeitrag vom 18. Mai 2018 geschrieben. Und weiter: „Der Bohlenweg ist in einem beklagenswerten Zustand: Umgestürzte Bäume haben die Planken teilweise unter sich begraben und versperren den Weg. Noch trauriger ist der Zustand des Waldes. Viele Bäume sind vom Borkenkäfer befallen und abgestorben, die Winterstürme hatten leichtes Spiel und haben viele Baumriesen entwurzelt. Zwischen den Baumgerippen  zu wandern, hatte etwas Gespenstisches.“ (https://timetofly.4lima.de/wandern-im-harz-hexenstieg-teil-i)

Tief verschneit sah alles viel freundlicher aus, wie die Fotos zeigen, die mir meine Kollegin Foe zur Verfügung gestellt hat. Weil ich nämlich nach dem Grau in Grau der letzten Tage im norddeutschen Tiefland nicht mit so schönem Wetter und so tollen Impressionen gerechnet habe, hatte ich morgens, als ich in den Harz fuhr, keine Kamera eingepackt und konnte nur mit meinem Smartphone fotografieren.

Auf dem Rückweg haben wir dann noch auf der anderen Seite des Brockens Station gemacht und bevor die Sonne endgültig verschwand, noch einen kurzen Spaziergang zum Marienteich gemacht.

Übrigens: In meinem letzten Blogbeitrag habe ich ja noch darüber nachgedacht, ob sich der Kauf der Bahncard für mich rechnet. Jetzt weiß ich die Antwort: Ja. Denn Eindrücke und Erlebnisse wie die bei unserem kurzen Ausflug lassen sich eben nicht mit Geld bezahlen. Und ohne die Bahncard wäre ich vielleicht nicht für ein paar Stunden nach Bad Harzburg gefahren.

Mehr Fotos von unserem gemeinsamen Ausflug und viele andere tolle Fotos gibt es auf dem Blog von Foe Rodens (https://foerodens.wordpress.com/2022/12/11/gewohnheitstier/) und in ihrem Redbubble-Shop (https://www.redbubble.com/de/people/FoeRodens/explore?asc=u&page=1&sortOrder=recent).

Zügig unterwegs

Vor ein paar Wochen habe ich meine Bahncard 50 gekündigt: Die habe ich nämlich in den letzten beiden Jahren nur selten genutzt. Erst weil ein Jahr lang wegen Corona Reisen nur eingeschränkt möglich oder erwünscht waren. Im Sommer bin ich dann mit dem 9-Euro-Ticket durchs Land gefahren. Und ich habe natürlich wie viele auf den Nachfolger, das 49-Euro-Ticket, gehofft. Doch das lässt ja bekanntlich auf sich warten – und so habe ich mir jetzt wieder eine Bahncard gekauft

Denn statt wie angekündigt Anfang des Jahres soll das 49-Euro-Ticket irgendwann kommen. Wann genau, steht noch nicht fest. „Zügig“, sagten laut NDR Bundeskanzler Olaf Scholz und der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Günther dem Anlass entsprechend, nachdem sich Bund und Länder am Donnerstag angeblich  „endgültig auf die Einführung des bundesweiten 49-Euro-Tickets im Nahverkehr geeinigt“ und „die Unklarheiten bei der Finanzierung … beseitigt“ haben (https://www.ndr.de/nachrichten/info/Bund-und-Laender-einigen-sich-endgueltig-beim-49-Euro-Ticket,mpk348.html) .

Doch „zügig“ ist ein dehnbarer Begriff, das wissen alle, die schon mal auf die Ankunft von Zügen gewartet haben, aus Erfahrung. Und zwischen dem, was ich und viele andere BürgerInnen einerseits und die verantwortlichen PolitikerInnen; Verkehrsbetriebe und Ministerialbeamtinnen andererseits darunter verstehen, liegen Welten – oder genauer gesagt Monate.

Das liegt sicher auch daran, dass die Interessen sehr verschieden sind. Wer oft und viel mit Bussen und Bahnen unterwegs ist, möchte das möglichst bald zum möglichst günstigen Preis tun, sprich, am liebsten Anfang des Jahres oder spätestens im Februar. Bei denen, die über die Tickets entscheiden oder sie verkaufen, sieht das ganz anders aus.

Die Verkehrsunternehmen müssten ihre Preispolitik überdenken – und ändern. Wenn ich beispielsweise von Burgwedel zu meiner Kollegin Foe nach Bad Harzburg fahre, zahle ich regulär ohne Bahncard 50,10 Euro für eine Rückfahrkarte. Zweiter Klasse natürlich. Eine Hin- und Rückfahr ist also teurer als das 49-Euro-Ticket für einen ganzen Monat. Und auch der Monatskarten-Markt bricht den Verkehrsunternehmen weg. So kostet ein Monatsticket für alle Zonen im Großraumverband Hannover satte 115 Euro, wenn man nicht über 63 Jahre alt und Rentnerin oder Pensionär ist.

EntscheiderInnen wie VerkehrsministerInnen, Abgeordnete und andere EntscheiderInnen brauchen selbst  ohnehin keine preiswerten Tickets: Sie können schon jetzt kostenlos Busse und Bahnen nutzen. So sichert laut Wikipedia „Art. 48 Abs. 3 Satz 2 GG … den Abgeordneten (des Deutschen Bundestags) die freie Nutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. §16 des Abgeordnetengesetzes präzisiert, dass Abgeordnete alle Verkehrsmittel der Deutschen Bahn frei benutzen dürfen. Hierzu erhalten sie eine Netzkarte 1. Klasse. Im Gegensatz zur Bahncard ist diese jedoch bei Nichtbundeseigenen Eisenbahnen ungültig. Fahrten mit diesen werden einzeln erstattet. Diese Netzkarte darf seit 2012 auch uneingeschränkt privat genutzt werden.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Abgeordnetenentschädigung#Reisekostenerstattung). Die niedersächsischen Landtagsabgeordnetetn können immerhin dienstlich kostenlos erster Klasse in Niedersachsen und nach Berlin reisen. In anderen Bundesländern gibt es wahrscheinlich ähnliche Regeln. Da ist es doch lästig, wenn die Bahnhöfe voll sind, weil mehr Menschen dank günstiger Tickets Busse und Bahnen häufiger nutzen.

Doch ich sollte nicht über Privilegien anderer lästern – schließlich genieße ich selbst welche, und zwar nicht einmal qua Amt, sondern allein wegen meines Alters. So kostet meine Seniorennetzkarte für die Öffis in der Region Hannover nur ein Drittel der normalen Monatskarte. Und auch die Bahncard bekomme ich für die Hälfte des regulären Preises, weil ich älter als 65 bin. Ich nutze das gerne – wirklich richtig finde ich es allerdings nicht.

Obwohl die Bahncard für mich preiswerter ist als für die meisten, habe ich lange gerechnet, ob sie sich für mich wirklich lohnt. Das hängt nämlich zum einen davon ab, wie „zügig“ das 49-Euro-Ticket wirklich kommt. Und natürlich davon, wie oft und wohin ich mit der Bahn fahren werde.

Schließlich habe ich mir die Bahncard doch gekauft. Denn als Rentnerin habe ich mehr Zeit – und die möchte ich auch nutzen, um zu reisen. Wenn die Fahrkarte nur die Hälfte kostet, muss ich nicht jedes Mal aufs Neue darüber nachdenken, ob ich mir eine teures Ticket kaufen möchte – oder doch lieber zu Hause bleibe. Die Freiheit, einfach loszufahren, ist sicher 117 Euro wert.

Eine Allee der besonderen Art

Die Süntelbuche im Berggarten ist mein Lieblingsbaum in den Herrenhäuser Gärten. Mit einer Krone von rund 750 Quadratmetern ist sie wohl eine der größten ihrer Art – und eine der wenigen. Denn der letzte Süntelbuchenwald im Süntel, einem Höhenzug südlich des Deisters, der den Bäumen ihren Namen gab, wurde schon Mitte des 19. Jahrhunderts abgeholzt. Wo früher der größte Süntelbuchenwald Europas wuchs, stehen heute nur noch einige alte Einzelexemplare oder kleine Baumgruppen.

Zu sehen ist die Süntelbuche im Berggarten mit zahlreichen Ästen und Stämmen
Die Süntelbuche im Berggarten – mit ihren durch Absenkungen entstandenen Nachkommen

Ganz in der Nähe, im Kurpark von Bad Nenndorf, hat der Gartenbaumeister Carl Thon schon Anfang des 20. Jahrhunderts eine ganze Süntelbuchenallee angelegt. Sie stand schon lange auf meiner To-visit-Liste. Denn seit ich die Süntelbuche im Berrggarten zum ersten Mal bewusst gesehen habe, fasziniert mich diese seltene Art der Rotbuchen, die sich deutlich von ihren bekannten und weit verbreiteten Verwandten unterscheidet.  

Anders als „normale“ Rotbuchen wachsen Süntelbuchen nicht in die Höhe, sondern in die Breite und werden selten höher als 15 Meter. Die oft sehr kurzen, miteinander verwachsenen Äste und Stämme eignen sich nicht als Bauholz. Und auch als Brennholzist das Holz kaum zu nutzen. Denn die verdrehten Äste lassen sich sich nur schwer spalten und schlecht stapeln. Außerdem galten Süntelbuchen, auch Hexen- oder Teufelsholz genannt, als verwunschen oder vom Teufel verdorben. Wer holt sich so etwas gern ins Haus.

Dass die Bäume mit dem skurillen Aussehen vielen Menschen unheimlich waren, kann ich noch besser nachvollziehen, seit ich durch die Süntelbuchenallee in Bad Nenndorf gegangen bin. Bei Tageslicht und mit dem (botanischen) Wissen von heute sind die Bäume wirklich beeindruckend. Müsste ich allein im Dunkeln oder bei Nebel durch einen ganzen Süntelbuchenwald gehen, würde ich sicher auch in vielen Stämmen furchteinflössende Fabelwesen, grimmige Gesichter oder böse Geister sehen. Kein Wunder also, dass unsere Vorfahren die wirtschaltlich unnützen Bäume abholzten und die Wälder in nützliches Weideland umwandelten.

Die Süntelbuchenallee in Bad Nenndorf ist laut Schaumburger Land Tourismusmarketing e.V. „weltweit die einzige Formation dieser Art von alten Süntelbuchen (fagus sylvatica suentelensis)“ (https://www.schaumburgerland-tourismus.de/de/p/team-schaumburger-land/36767297/). Rund hundert Bäume sind inzwischen mehr als 100 Jahre alt – und haben damit ihre durchschnittliche Lebenserwartung schon fast erreicht. Die liegt laut Wikipedia bei nur 120 bis 160 Jahren. Dass sie meist waagerecht und damit statisch ungünstig wachsen, „scheint das Auseinanderbrechen alter morscher Bäume zu beschleunigen“, heißt es in dem Wiki-Beitrag zu Süntelbuchen (https://de.wikipedia.org/wiki/Süntel-Buche). Älter als 200 Jahre werden nur wenige.

Um die einzigartige Allee zu erhalten, wurden in den vergangenen Jahren 30 Süntelbuchen nachgepflanzt. 40 weitere sind durch Absenkerbildung und Wurzelbrut entstanden. Äste, die auf dem Boden aufliegen, bilden Wurzeln, so dass eine neue, aber genetisch identische Pflanze entsteht. Trotzdem gleicht keine der anderen. Und die Süntelbuchenallee in Bad Nenndorf hat mit einer klassischen Allee, bei der auf beiden Seiten eines (geraden) Wegs ziemlich gleich aussehende Bäume gleichen Alters in den gleichen Abständen stehen, gar nichts gemein. Ein Besuch lohnt, sicher auch an einem nebligen Herbsttag.

Netzkarte

Ich habe lange darauf gewartet. Als die in Hannover und Umgebung für den öffentlichen Personennahverkehr zuständige „Überlandwerke und Straßenbahnen Hannover AG“, kurz ÜSTRA, vor zwei Jahren ankündigte, dass die Monatskarte 63plus – rund 40 Euro preiswerter als die normale Monatskarte – durch die Seniorennetzkarte ersetzt wird, habe ich mich sehr gefreut. Denn die Seniorennetzkarte für den Großraum Hannover gilt schon ab 60 und kostet nur 30 Euro im Monat. Im Abo ist die Karte sogar noch günstiger. Im Vergleich zur normalen Monatskarte, die für alle drei Zonen 115 Euro kostet, ist sie also ein echtes Schnäppchen.

Um so enttäuschter war ich, als ich erfuhr, dass ich vorläufig leer ausging. Denn nutzen können die Seniorennetzkarte nur Rentnerinnen und Rentner – und das sind bei den Menschen zwischen 60 und 66 Jahren vor allem die, die eine gute Rente bekommen und sich die Abschläge, mit denen ein früheren Renteneintritt erkauft wird, leisten können. Alle, die mit über 60 noch arbeiten wollten oder mussten, die arbeitslos waren, wenig verdienten oder als Selbstständige durch Corona Aufträge verloren hatten, mussten weiter teure Karten kaufen. Darüber, dass sie durch die hohen Ticketpreise die Freiheit und Mobilität ihrer besser verdienenden AltersgenossInnen mitfinanzierten, habe ich mich wirklich geärgert.  

Ich halte diese Regelung immer noch für – vorsichtig formuliert – sehr unsozial. Aber als Rentnerin habe ich jetzt auch Anspruch auf die preiswerte Monatskarte – und ich nutze sie gerne und viel. In der ersten Woche war ich viermal allein unterwegs – zweimal habe ich andere mitgenommen. Das ist nämlich am Wochenende von morgens bis abends und an Wochentagen ab 19 Uhr möglich.

Wahrscheinlich werde ich das lang ersehnte RentnerInnen-Privileg aber nur bis zum Ende des Jahres nutzen. Wenn im Januar das 49 Euro-Ticket eingeführt wird, steige ich sicherlich um. Die Möglichkeit, über die Grenzen des Großraumverbands Hannover (GVH) hinaus Busse und Bahnen zu nutzen, ist mir sicher 19 Euro wert.

Einige Ziele, die ich häufiger ansteure, erreiche ich ohnehin nur oder besser mit Nahverkehrszügen. Die Fahrt in den Harz ist mit IC oder ICE nicht nur teurer, sondern auch länger und umständlicher, weil man mindestens einmal mehr umsteigen muss. Nach Hamburg, wo die Enkelkinder wohnen, kommt man mit dem ICE sicher schneller. Aber der Zeitvorteil ist eher gering – und wird dadurch oft aufgefressen, dass die ICEs nach Hamburg sehr oft verspätet sind. Der Metronom, der Nahverkehrszug, der Göttingen und Hamburg verbindet, hält nicht nur jede Stunde bei uns im Ort, während seine schnelleren Brüder ohne Halt vorbeidonnern. Und er ist – meist – pünktlicher als sie.


Richtungsstreit

Ich wandere gerne, aber mit der Orientierung ist es so eine Sache: Kartenlesen zählt nicht zu meinen besonderen Stärken. Das liegt sicher auch daran, dass ich Probleme habe, rechts und links zu unterscheiden. Manchmal sage ich rechts, wenn ich links meine – und umgekehrt. Sicher bin ich, nebenbei bemerkt, nur, wenn ich den Daumen meiner rechten Hand sehe. Der ist aber manchmal verdeckt, wenn ich eine große Karte in der Hand halte.

Auch das optimale Kartenformat muss meiner Meinung nach noch erfunden werden. Einmal entfaltet, gelingt es mir nur selten, eine Karte wieder richtig zusammenzufalten. Viel genutzte Karten wie meine Harzwanderkarte lösen sich an den Faltstellen auf – natürlich mit Vorliebe dort, wo ich gerade etwas nachschauen möchte. Regen und der zugegebenerweise nicht immer pflegliche Transport in der Hosen- oder Seitentasche des Rucksacks beeinflussen die Les- und Nutzbarkeit von Wanderkarten zusätzlich.

Da liegt es natürlich nahe, auf Wanderapps zu vertrauen. Die sprechen mit mir und selbst wenn ich das Smartphone nicht in der Hand, sondern in der Tasche trage, sagt sie mir, wo ich hingehen muss, um mein Ziel zu erreichen: rechts, links, geradeaus. Oft sogar mit genauen Entfernungsangaben. In 300 Metern links abbiegen oder in fünf Metern geradeaus gehen. Entscheide ich mich aus Versehen für das andere rechts oder links, sagt mir die App, dass ich den rechten Weg verlassen habe und gefälligst umkehren soll. Dass ich für ein paar Euro in vielen Ländern Karten und fertige Routenvorschläge auf meinem Smartphone abrufen kann, ist ein weiterer Vorzug.

Eigentlich wäre die App also die ideale Begleiterin, doch wirklich beste Freundinnen werden wir wohl doch nie. Zum einen missfällt mir der leicht genervte Ton, in dem sie mich daran erinnert, dass ich mal wieder falsch abgebogen bin. Vor allem aber habe ich das Gefühl, dass ich mich nicht hundertprozentigauf sie verlassen kann. Manchmal lässt sie mich nämlich eine Zeit lang in die falsche Richtung gehen, ehe sie mich warnt: „Du hast die ursprüngliche Route verlassen. Wirf einen Blick in die Karte und kehre um.“ Und manchmal führt sie mich auf Wege, die gar keine (mehr) sind. Bei meiner letzten Harzwanderung zum Beispiel.

Eigentlich wollte ich, vom Elfenstein kommend, dem Wegweiser folgen und links in Richtung Bad Harzburg wandern. Doch weil die App quengelte, kehrte ich um und ging auf dem von ihr vorgeschlagenen oberen Herrenweg weiter. Ein Fehler, wie ich leider zu spät merkte. Nach etwa zwei Kilometern wurde der Weg schlechter, nach einem weiteren Kilometer war er durch frauhohe Gräser, Büsche und umgestürzte Bäume fast unpassierbar. Bei schlechterem Wetter wäre ich sicher umgekehrt, da es aber windstill war und die App versprach, dass ich nach 600 Metern auf einen anderen Weg einbiegen könnte, schlug ich mich durch das Gestrüpp – und erreichte etwas später als geplant und ein bisschen zerkratzt mein Ziel, das Café Winuwuk.

An anderen Tagen zeigt die App ausgewiesene, ausgeschilderte, auf der Karte verzeichnete und sehr gut begehbare Wege nicht an – und weigert sich auch beharrlich, meine Vorschläge anzunehmen. Auf Diskussionen lässt sie sich dann nicht ein – und ich auch nicht: Ich schalte sie dann ab und verlasse mich wie in Vor-App-Zeiten auf Wegweiser und Karte. Letztere nehme ich nämlich nach Möglichkeit mit – auch wenn Kartenlesen nicht zu meinen Stärken gehört.