Alles schmeckt nach Abschied …

Der Titel der Tagebücher von Brigitte Reimann spukt ständig in meinem Kopf, seit wir Anfang Dezember für meine Mutter einen Platz im Altenheim bekommen haben. Weihnachten und Silvester, da waren meine Schwestern und ich uns einig, sollte sie noch zu Hause, an der Mosel verbringen, Mitte Januar ist sie in ein Altenheim in Norddeutschland umgezogen.

„Hast du es dir das wirklich gut überlegt“, fragt Herr B. ein Nachbar und ehemaliger Arbeitskollege meiner Mutter. Er ist gekommen ist, um sich von ihr  zu verabschieden. Ich unterdrücke den Impuls, ihn zu erwürgen. Denn eigentlich mag ich den alten Herrn und er mag mich. Er hat mir wahrscheinlich mal das Leben gerettet, das verbindet. Er hat mich mit dem Auto seines Chefs ins Krankenhaus gebracht, als mein Blinddarm geplatzt war. Hätten wir auf den Krankenwagen gewartet, wäre es vielleicht zu spät gewesen.

Das ist mehr als ein halbes Jahrhundert her, ich war damals 10 Jahre alt, jetzt bin ich über 60 und er ist 95. Dass er immer noch in seiner Wohnung leben kann, verdankt Herr B. seiner Schwiegertochter. Sie hat ihn mit dem Auto die paar Meter zu unserem Haus gefahren, weil er nicht mehr alleine aus dem Haus gehen kann. Sie kümmert sich um ihn, wäscht, kauft ein und ist im Notfall zur Stelle, wenn er – wie vor ein paar Wochen – ins Krankenhaus muss. Sie lebt im gleichen Haus wie ihr Schwiegervater, da geht das. Meine Schwestern und ich wohnen Hunderte Kilometer von unserem Heimatort, dem Wohnort meiner Mutter, entfernt.

Seit zehn Jahren, seit die Demenz meines Vaters schlimmer wurde und meine Mutter, damals auch schon über 80, Hilfe bei der Pflege brauchte, fahren meine Schwestern und ich abwechselnd an die Mosel und bleiben dort ein paar Tage bis zwei Wochen, um sie zu unterstützen. Doch jetzt stoßen wir an unsere Grenzen. Denn das Gedächtnis meiner Mutter hat in den letzten Monaten so stark nachgelassen, dass sie – anders als bisher – zwischen unseren Besuchen nicht mehr alleine leben kann. Und weil sie meint, dass sie noch alles selbst machen kann, gefährdet sie sich selbst und andere. So hat sie mehr als einmal den Herd vergessen und auch auf den losheulenden Rauchmelder nicht reagiert. In den letzten Wochen war ständig eine von uns bei ihr, aber auf Dauer geht das nicht. Wir sind berufstätig, habe unsere eigenen Leben.

Nein, die Entscheidung, unsere Mutter in ein Heim zu geben, ist uns nicht leicht gefallen und wir haben sie uns nicht leicht gemacht. Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Meine Mutter ist zwar nicht die älteste im Dorf, aber niemand hat dort länger gelebt als sie. Alle, die älter sind, sind später in den Ort gezogen. Sie ist hier geboren und eigentlich wollte sie auch hier sterben. Mit ihrem Umzug geht eine Ära zu Ende, auch für die Nachbarn, die am letzten Morgen noch einmal kommen, um sich von ihr zu verabschieden. Sie sind traurig, und manchen kommen die Tränen, aber sie wissen alle, dass es keine andere Möglichkeit gibt.

Das Heim, das wir für meine Mutter ausgesucht haben, liegt nur ein paar Kilometer von meinem Wohnort entfernt. Es ist klein, familiär; ihr Zimmer ist groß und freundlich. Die Atmosphäre im Haus hat mir von Anfang an gefallen. Mein erster Eindruck war: Hier würde ich auch einziehen. Nicht nur ich, auch meine Schwestern und ihre Enkelkinder können sie hier regelmäßig besuchen. Das ist wichtigm denn an  der Mosel hat sie sich oft einsam gefühlt, obwohl sie dort viele Leute kennt und die Nachbarschaft funktioniert. Aber all ihre Freundinnen sind inzwischen gestorben  oder schon vor Jahren in Heime umgezogen  – in die Nähe ihrer Kinder, unerreichbar für meine Mutter. Der Umzug ist die beste Lösung für sie, da bin ich sicher. Und trotzdem plagt mich das schlechte Gewissen.

Ich habe die letzte Woche vor ihrem Umzug mit meiner Mutter an der Mosel verbracht und manchmal hatte ich das Gefühl, dass mir der Abschied mehr zu schaffen machte als ihr. Sie, die immer alles geplant und die Entscheidungen getroffen hat, hat sich  nie ernsthaft mit der Frage auseinandergesetzt, was ist, wenn sie nicht mehr allein leben kann. Und sie hat es meinen Schwestern und mir überlassen, ihre Sachen zu packen, die Möbel und Dinge auszuwählen, die sie in ihr neues Heim mitnimmt.

Ihr war, und das ist der Vorzug der Demenz, meist wohl gar nicht klar, was es bedeutet. Dass es nicht nur ein Ortswechsel auf Zeit ist, sondern für immer. Dass sie nie wieder in das Haus zurückkehren wird, das sie und mein Vater gebaut haben, in den Ort, in dem sie über 90 Jahre gelebt hat. Alles schmeckt nach Abschied, doch anders als bei Brigitte Reimann ist es ein Abschied auf Raten.*

 

*Die Schriftstellerin Brigitte Reimann starb 1973, mit 40 Jahren, an Krebs. Die Tagebücher aus den Jahren 1964 bis 1970 wurden unter dem Titel „Alles schmeckt nach Abschied“ veröffentlicht.

Früher war mehr Duft

Nein, ich glaube nicht, dass früher alles besser war – die Jugend höflicher und lernwilliger, die Beziehungen glücklicher, weiße Weihnachten häufiger. „Wenn ich die junge Generation anschaue, verzweifle ich an der Zukunft der Zivilisation“, meinte schon Aristoteles im vierten Jahrhundert vor Christus. Irgendwie ist es dann aber doch immer weitergegangen. Ehen hielten nur länger, weil es keine Scheidungen gab oder weil die Frauen finanziell von ihren Männern abhängig waren und bleiben mussten. Und geschneit hat es schon in meiner Jugend zumindest an der Mosel nur sehr selten – und an Weihnachten eigentlich nie. Mein Mann, aufgewachsen im Harz, sieht die Sache mit dem Schnee an Weihnachten allerding anders.

Tannen, Kekse und Co

In einem sind wir uns einig: Früher war Weihnachten mehr Duft. Das lag sicher daran, dass viel mehr selbst gebacken wurde – meine Schwiegermutter backte zum Beispiel Pfefferkuchen, bekanntlich mit siebenerlei Gewürzen: Da war Weihnachtsduft in der Adventszeit garantiert. Und auch in meinem  Elternhaus gab es natürlich zu Weihnachten selbstgebackene Plätzchen und Stollen.

Ich habe in diesem Jahr gar keine Kekse gebacken. Bratäpfel habe ich noch nie gemocht – weich und warm geht bei Äpfeln gar nicht. Rot- und Glühwein vertrage ich nicht. Deshalb kommt, ich gestehe es, der adventliche Duft nach Bratapfel, Vanille oder Zimt bei mir eher aus der Konserve – genau gesagt von diversen Duftkerzen, obwohl meine Freundin mich ausdrücklich vor den schädlichen Stoffen im Rauch warnt.

Duft contra Design

Eins habe ich in den vergangenen Jahren wirklich vermisst: den intensiven Geruch nach Tanne und Wald. Denn heutzutage duften die meisten Weihnachtsbäume und Adventskränze wenig bis gar nicht. Das trübt meine Freude an ihnen erheblich. Als ich im vergangenen Jahr vor dem ersten Advent auf dem Markt meine Nase in mehrere Adventskränze steckte, sah mich der Verkäufer irritiert an. Nein, duftende Adventskränze habe er nicht, meinte er dann indigniert. Stark duften zum Beispiel Blaufichten, aber weil ihre Nadeln sehr stark stechen, werden sie selten zu Adventskränzen verarbeitet. Und auch als Weihnachtsbaum werden die duftenden, aber stachligen Blaufichten, einst der Weihnachtsbaumklassiker, heute weit seltener gewählt. Das ist verständlich, vor allem, wenn Kinder im Haus sind oder wenn der Baum lange stehen bleiben soll. Denn die Fichten halten nicht so lange wie Nordmann- und andere Tannen. Und wegen der spitzen Nadeln braucht man für Blaufichten eigentlich einen Waffenschein. In jedem Fall ist es ratsam, den Platz rund um den Weihnachtsbaum weiträumig abzusperren und gebührenden Abstand zu halten. Deshalb wachsen in der Schonung, in der mein Mann in den vergangenen Jahren den Tannenbaum selbst geschlagen hat, keine Blaufichten.

Der Letzte seiner Art

Dass es in diesem Jahr in unserem Wohnzimmer wieder wie in alten Zeiten nach Wald duftet, ist eher Zufall. Denn eigentlich wollten wir Weihnachten auf La Palma verbringen. Ohne echten Baum, nur mit einer kleinen Bienenwachskerze als Baumersatz. Aber unverhofft kommt ja bekanntlich oft: Die Bandscheibe zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbel meines Mannes verlangte eine Planänderung – und eine Last-minute-Absage der Reise.

Auf einen Weihnachtsbaum wollten wir dann doch nicht verzichten. Die Schonung war geschlossen und auch vor dem schwedischen Möbelhaus an unserem Wohnort, bei dem wir unser Glück versuchten, war das Angebot zwei Tage vor Weihnachten eher bescheiden. Aber eine große Auswahl wird meist ohnehin überschätzt.

Als ich sagte: „Duften soll er“, zeigte der Verkäufer auf einen einsam auf dem Boden liegenden Baum. „Das ist die letzte Blaufichte“, meinte er fast abschätzig, „sonst gibt es nur noch Nordmanntannen.“ Die sind hierzulande die mit Abstand beliebtesten Weihnachtsbäume: Sie sehen aus, wie Weihnachtsbäume aussehen sollen: pyramidenförmig, mit fast waagrechten Ästen; sie nadeln nicht und weil die Nadeln überdies nicht pieksen, lassen sie sich leicht schmücken. Nur leider duften sie überhaupt nicht.

Irgendwie tat mir der Baum leid, den offenbar niemand haben wollte. Zu Unrecht, denn er duftete nicht nur, sondern sah auch gut aus: gerade gewachsen, vielleicht etwas licht und auch einige Nadeln waren schon ein wenig angegraut. Doch das sind wir ja auch – und nobody is ja bekanntlich perfect.

So schnell hatten wir noch nie einen Weihnachtsbaum gekauft. Das Handling – transportieren, aufstellen, schmücken – war zwar etwas schwieriger bzw. schmerzhafter als in den vergangenen Jahren. Denn mit dicken Arbeitshandschuhen lassen sich filigrane Aufhänger nur schwer an stachligen Ästen befestigen. Doch man muss auch Opfer bringen.

Jetzt steht der Baum in unserem Wohnzimmer und duftet und nadelt still vor sich hin. Letzteres hat auch seine Vorteile: So wird das Abschmücken nach Neujahr dann eine nicht mehr ganz so stachlige Angelegenheit.

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Schlaf- Wohn-Arbeitscouch

Wenn ich alleine zu Hause bin, schlafe ich oft auf der Empore. Dabei ist Empore vielleicht ein etwas hochtrabende Bezeichnung für einen nicht einmal vier Quadratmeter kleinen Platz im Dachgeschoss, direkt neben der Treppe. Dort, im Flur zwischen meinen Arbeitszimmern und dem Zimmer meiner Tochter, die längst ausgezogen ist, steht eine Bettcouch.

Eigentlich haben wir sie für gelegentliche Schlafgäste gekauft, aber meist nutze ich sie als Ersatzbett – wenn mein Mann wieder einmal schnarcht (was er vehement bestreitet), wenn ich wieder einmal nicht schlafen kann und stattdessen mitten in der Nacht lese oder schreibe (was häufig vorkommt) oder eben wenn ich alleine im Haus bin.

Wenn ich nämlich dort liege, kann ich nachts die Sterne sehen, was ich sehr beruhigend finde.. Mein Mann nutzt die Schlafcouch gelegentlich als hausinterne Sternwarte. Er hat von dort schon nachtleuchtende Wolken fotografiert und Sternschnuppen. Ich selbst habe in diesem Jahr noch keine einzige gesehen, auch nicht in den Perseidennächten im August, wenn angeblich Hunderte am Himmel kreuzen. Ich habe die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben. (was ich mir wünsche, falls ich eine sehe, verrate ich natürlich nicht, denn dass dann der Wunsch seine Kraft verliert, weiß jedes in Kind).

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Nachtleuchtende Wolken. Foto: Utz Schmidtko

Mindestens ebenso schön ist es am Morgen, wenn die Sonne aufgeht. Das sehe ich zwar nicht direkt, das tut sie hier diskret, hinter Bäumen und Häusern versteckt. Aber lange bevor sie mit voller Kraft losstrahlt, zaubert sie, quasi noch im Schlafanzug, einen rötlich-violetten Schimmer am Himmel, Vorbote eines hoffentlich schönen Tages. Und sie taucht die Wolken, die in diesem Sommer allzu oft am Himmel waren, in ein besonderes Licht – magische Gestalten, mal zart, mal bedrohlich, aber immer flüchtig.

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Morgenlicht.

Früh morgens ist es meist noch still hier, nur die Vögel sind schon wach. Sie wohnen in dem hohen Baum, der nur paar Meter von unserem Dachfenster entfernt, auf dem Nachbargrundstück steht. Sie haben mich oft mit ihrem Gezwitscher geweckt. In den letzten Tagen sind sie ruhig geworden, wahrscheinlich sind die Kinder ausgezogen und die Alten sind alleine zurück geblieben, bereiten sich auf den Winter vor, wie wir. Der ist nicht mehr weit, das verraten die Gänse, die aus dem Norden kommend gen Süden ziehen.

Und es gibt noch einen Grund, warum ich die Couch mag: Sie ist breit genug für alle Dinge, die ich gerne um mich habe bzw. brauche: mein Notiz- und mein Tagebuch, diverse Bücher, die ich gerade lese bzw. anlese, Unterlagen für Artikel, an denen ich gerade arbeite, Stifte, mein Handy (das ich eigentlich  nicht unbedingt brauche, das mir aber als Uhr dient). Meine Kamera, mit der ich immer wieder versuche, das Licht am Morgen festzuhalten, was mir nicht gelingt. Ein Tablett – nein, kein Tablet, ich habe keins – gibt es auch, damit ich sicher meinen Kaffee abstellen kann, den ich (nicht nur) morgens unbedingt brauche, und die Unterlage für mein Notebook, auf dem ich diesen Beitrag – auf meiner Wohn-Schlaf-Arbeitscouch sitzend – gerade geschrieben habe.

Schlaf-Wohn-Arbeitscouch
Wohn-Schlaf-Arbeitscouch

 

(K)ein Kaffee

Über mein schwieriges Verhältnis zu Kaffeemaschinen habe ich schon geschrieben (www.timetoflyblog.com/2016/01/31/kaffee-bitte/). Dass ich mit der Hightechgerät meiner Freundin gewisse Schwierigkeiten habe, kann ich ja noch hinnehmen. Dass ich aber auch an einer eher simplen Maschine kläglich scheitere, gibt mir  zu denken.

Sonja, meine Gastgeberin bei meinem Wienaufenthalt, hat eine solche Maschine. Und als sie mir kurz nach meiner Ankunft einen Kaffee aufbrühte, sah alles ganz einfach aus. Bis es am nächsten Morgen selbst versuchte. Ich machte alles wie gesehen: Anschalten, warten, bis es aufhört zu blinken, Kaffeegröße auswählen (Espresso oder Lungo) auswählen, all diese Aufgaben löste ich noch ganz souverän. Doch nach der Öffnung, um die Kapseln, einzufüllen, suchte ich vergeblich. Der Bügel, an dem ich zog, bewegte sich nicht. Und auch sonst zeigte sich die Maschine wenig kompromissbereit: Ohne Kapsel spendierte sie mir nur heißes Wasser. Und ich stand da wie der Ochse vor dem berühmten Berg.

Sonja zeigte mir dann noch einmal, wie‘s geht: anschalten, Bügel hochstellen – auch wenn er Widerstand leistet –,  Kapsel einlegen, Bügel runterdrücken, wählen, Kaffee marsch.

Neuer Tag, neues Glück. Am nächsten Morgen näherte ich mich der Kaffeemaschine ganz souverän: Wasser nachfüllen, anschalten, warten, bis das Blinken aufhört, Bügel hochziehen – Sesam öffne dich –, Kapsel einlegen, Bügel schließen, Kaffeetasse unterstellen, Lungo bitte. Es brodelte und zischte, die Kapsel plumpste wie vorgesehen in den Auffangbehälter – und raus kam: heißes Wasser. In meiner Verzweiflung und meiner Gier nach frischem Kaffee suchte ich im Internet nach einer Bedienungsanleitung: Ich hatte alles richtig gemacht – und startete einen zweiten Versuch, auch, weil es keine andere Möglichkeit gibt, die Kapseln einzulegen: Sie passen nur in eine Richtung. Auch Maschinen machen Fehler, vielleicht war auch ihr einer unterlaufen.

Wieder schluckte die Maschine dankbar meine Kapsel – und spuckte nur heißes Wasser aus. Diesmal, wie um mich zu entschädigen, nicht nur in die Tasse, sondern auch aus einer nicht sichtbaren Öffnung auf die Arbeitsplatte. Ich wischte das Wasser auf, bevor es die Küche überschwemmte. Meine Gastgeberin fand heraus, dass ein versteckt liegender Auffangbehälter randvoll war – und die beiden Kapseln immer noch verschlossen. Während Sonja neben mir stand, funktionierte die Maschine reibungslos. der Vorführeffekt eben.

Kaffeemaschine DSC_0903
Corpus delicti

Aller guten Dinge sind drei. Und so wagte ich an meinem letzten Tag in Wien einen letzten Versuch – mit dem festen Vorsatz, die Flugtauglichkeit der Kaffeemaschine zu testen, falls sie nicht macht, was ich will. Same procedure as yesterday, nur dass ich mich diesmal auch beim Herunterdrücken des Hebels nicht davon beeindrucken lasse, dass er Widerstand leistet. Meine Geduld ist erschöpft. Wird schon sehen, was er davon hat. Und siehe da: Es funktioniert. Ich bekomme meinen Kaffee und die Maschine darf an ihrem Platz in der Küche im vierten Stock bleiben.

Ich habe wieder neue Erkenntnisse gewonnen:

Wer zu zaghaft ist, den bestraft das Leben, sprich die Kaffeemaschine.

Wahrscheinlich sind Kaffeemaschinen wie Hunde: Sie spüren, wenn jemand Angst vor ihnen hat und reagieren aggressiv oder machen – wie bei mir – was sie wollen.

Zu Hause habe ich die Konsequenz gezogen: Ich brühe meinen Kaffee von Hand auf. Das Milchaufschäumgerät möchte ich indes nicht missen, aber es weiß, wer Chefin ist: Es gehorcht mir (mehr oder weniger) auf Knopfdruck.

Anders leben als gewohnt

Wie möchte ich leben, wenn ich alt bin (richtig alt, meine ich, nicht „erst 60“)? Diese Frage stelle ich mir seit Jahren, nicht nur, aber vor allem dann, wenn ich bei meiner Mutter bin oder war. Denn eins weiß ich sicher: so nicht (obwohl ich mir wünsche, noch so fit zu sein, wenn ich mal so alt bin).

Meine Mutter lebt seit dem Tod meines Vaters allein. Und sie möchte  nicht weg aus dem Haus, das sie und mein Vater gebaut haben und das für sie allein eigentlich zu groß ist. Aus dem Dorf, in dem sie geboren wurde, wo sie immer gelebt hat. Dort will sie – wie mein Vater – auch sterben.

Natürlich verstehe ich das: Dort ist sie verwurzelt, die Nachbarn sind nett, kümmern sich und helfen, wenn  es nötig ist: Sie rollen die Mülltonne auf die Straße, kaufen für sie ein, wenn sie sich im Winter bei Schnee und Eis mal nicht aus dem Haus wagt. Sie wird zu Feiern eingeladen und wenn meine Mutter morgens einmal nicht wie gewohnt die Rollläden hochziehen würde, käme sicher sofort jemand vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.

Und trotz der funktionierenden Nachbarschaft fühlt sich meine Mutter oft einsam. Denn ein bisschen ist es wie bei Miss Sophie im Dinner for one – nur dass sie keinen helfenden Butler hat. Meine Mutter ist 92 – und die meisten ihrer Freundinnen und Bekannten  sind tot oder leben in diversen Altersheimen. Nicht in dem Ort, wo meine Mutter wohnt,  weil es dort kein Altenheim gibt, sondern irgendwo in der Nähe ihrer Kinder. Unerreichbar für meine Mutter, weil sie keinen Führerschein hat, die öffentlichen Verkehrsmittel an der Mosel ein Katastrophe sind und weil sie überdies Schwierigkeiten hätte,  mit ihrem Rollator in den Bus einzusteigen, wenn es denn vernünftige Verbindungen gäbe.

Meinen Vorschlag, sie solle mit ihrer Freundin zusammenziehen, die ebenfalls alleine in ihrem Haus lebte, haben beide Frauen abgelehnt. Dabei wäre im Haus meiner Mutter genügend Platz gewesen: Beide hätten eine eigene Wohnung gehabt und unterm Dach genügend Platz für Besuche ihrer Kinder, die alle nicht im Ort wohnen. Und für eine Polin oder Rumänin, die sich dann um beide Frauen hätte kümmern können. Hätte, denn inzwischen lebt Johanna in einem Altenheim, weil sie nicht mehr alleine leben konnte.  Dort fühlt sie sich sehr wohl, obwohl sie freiwillig nie dorthin gezogen wäre.

Ein Altenheim kommt für meine Mutter gar nicht in Frage, schließlich kommt sie noch gut alleine klar. Aber auch in eine betreute Wohnanlage möchte sie nicht umziehen. Dabei könnte sie dort noch lange selbstständig leben. In einer eigenen Wohnung, in der Nähe ihrer Kinder und Enkel und unter einem Dach mit anderen alten Leuten, die wie sie selbst noch recht fit sind, mit denen sie sich treffen, austauschen und gelegentlich etwas unternehmen könnte.

Gemeinsam mit anderen unter einem Dach, aber doch selbstständig – das halte ich für  ideal, nicht nur für meine Mutter, sondern in ein paar Jahren auch für mich. Und wie mir geht es vielen in meinem Bekanntenkreis, vor allem den Frauen. Denn die meisten möchten „später“ nicht allein in ihrem Haus wohnen und auf die Unterstützung ihrer Kinder angewiesen sein. Sie wollen es anders machen, als sie es bei ihren Eltern erlebt haben. Die  haben nämlich meist irgendwie weitergemacht wie gewohnt, bis andere, meist ihre Kinder, für sie entschieden haben, dass es so nicht mehr geht, sie zu sich genommen oder für sie einen Platz in einem Heim gesucht haben. Manche sind auch zu Hause gestorben, wie sie es sich gewünscht haben. Aber das  funktionierte oft nur, weil ihre Kinder sich um sie gekümmert, sie dort gepflegt oder doch unterstützt haben.

Das wird in meiner und in den kommenden Generationen nicht mehr möglich sein. Viele meiner Bekannten haben keine Kinder oder nur ein Kind, das mit dieser Aufgabe allein sicher überfordert wäre. Und auch die, die zwei, drei oder mehr Kinder haben, möchten  ihre Kinder nicht belasten.

Auch deshalb gibt es immer mehr Wohnprojekte von und für alte Menschen; auch Beginenhöfe erleben eine Renaissance. In Deutschland gibt es  inzwischen wieder mehr als 20 dieser Wohnprojekte für Frauen. Wer mehr darüber erfahren will, findet einen Artikel von mir in der Online-Zeitschrift  www.wohnwerken.de (Frauenpower: In der Ruhe liegt die Kraft)

https://issuu.com/schluetersche/docs/wohnwerken_02?e=25375043/41917338

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Beginenhof in Bremen
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Beginenhof Bielefeld, Innenhof

Wanted: Wohnung, bezahlbar

In meinem Umfeld läuft zurzeit ein munteres Bäumchen-wechsel-dich-Spiel: Viele Leute sind gerade umgezogen oder suchen noch eine neue Wohnung. Das ist nicht leicht. Denn die Lage auf dem Wohnungsmarkt hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Als meine Tochter vor vier Jahren in ihre alte Zwei-Zimmer-Wohnung gezogen ist, besichtigten rund zehn Interessentinnen die kleine Wohnung unterm Dach; als sie jetzt einen Nachmieter suchte, waren es mehr als doppelt so viele.

Nach Angaben des Pestel-Instituts fehlen in den zehn Großstädten mit dem stärksten Wohnungsmangel derzeit schon mehr als 100.000 Mietwohnungen. Wenn nicht mehr Wohnungen gebaut werden, werden es in fünf Jahren schon 400.000 sein. Vor allem kleinere bezahlbare Wohnungen sind rar.

Nach ihrer neuen Wohnung  hat meine Tochter mehrere Monate gesucht: Gefühlt lange, objektiv aber kurz, weil ihre Wunschwohnung – drei Zimmer und ein Balkon sollten es sein – im Wohnungsranking  weit oben steht. Und obwohl sie eigentlich gute Voraussetzungen hat, habensie  längst nicht alle Vermieter, bei denen sie sich beworben hat, zur Besichtigung eingeladen. Eine Bekannte, die demnächst umzieht, hat dagegen auf Anhieb ihre Traumwohnung gefunden, obwohl die Wohnungslage in der Universitätsstadt ziemlich angespannt ist. Aber sie hat auch ein deutlich höheres Mietbudget als die meisten anderen Wohnungssuchenden – und wer holt sich für den Notfall nicht gerne eine Ärztin ins Haus.

Wer – aus welchen Gründen auch immer – nicht dem Ideal der der Vermieter entspricht, hat ganz schlechte Karten. Beispielsweise Menschen wie die Heidi, Verkäuferin des Hannoverschen Straßenmagazins Asphalt. Bei allen, die staatliche Unterstützung brauchen, entscheidet nicht allein der Vermieter; das Sozialamt bestimmt, wie groß und teuer eine Wohnung sein darf.

Mehr über Heidis schwierige Suche nach einer neuen Bleibe in wohnwerken.de, dem neuen Online Magazins der Schlüterschen Verlagsgesellschaft (https://issuu.com/schluetersche/docs/wohnwerken_01_ef691cff1bcac6/18?e=25375043/30000297).

Übrigens – auch Heidis Geschichte hat ein Happyend. Sie hat nach langer Suche inzwischen eine Wohnung gefunden und fühlt sich dort sehr wohl.

Wie geht es deiner Mutter?

… heißt heute die Standardfrage in meinem Bekanntenkreis. Denn viele Freunde und Bekannte haben – oder hatten bis vor Kurzen – Väter, Mütter, Eltern und/oder Schwiegereltern, um die sie sich kümmern oder die sie gar betreuen (lassen) müssen. Das Thema Kinder, lange Zeit Gesprächsthema Nummer 1, ist meist vergleichsweise schnell abgehakt: Unsere Kinder sind groß, haben ihr Studium oder die Ausbildung meist schon abgeschlossen. Sie stehen auf eigenen Füßen und leben ihr eigenes Leben. Und wenn ich früher darüber gestöhnt habe, wie schwierig es ist, Kind und Job unter einen Hut zu bringen, weiß ich heute: Im Vergleich zur Betreuung der alten Eltern war die Betreuung der Kinder ein Kinderspiel.

Kleine Kinder leben bei ihren Eltern, alte Eltern leben dagegen oft weit von ihren erwachsenen Kindern entfernt. Die Fahrt zu meiner Mutter an die Mosel dauert etwa ebenso lang wie ein Flug auf die Kanarischen Inseln oder nach Nordnorwegen. Die Kinder kommen irgendwann in den Kindergarten, dann in die Schule. Für alte Menschen gibt es zu wenige gute Betreuungsangebote – außerdem wollen die meisten von Altenheimen, Tagespflege oder anderen Möglichkeiten nichts wissen. Ein Umzug – ob ins Altenheim, eine betreute Wohnung oder nur in den Wohnort der Kinder kommt für die meisten nicht in Frage: Ein alter Baum lässt sich bekanntlich nicht leicht verpflanzen. Und anders als unsere Kinder, für die wir einfach entscheiden konnten und mussten, entscheiden unsere Eltern selbst über ihr Leben – und damit auch über unseres. Denn wenn die Eltern nicht mehr ganz alleine zurechtkommen und unsere Hilfe brauchen – oder wenn wir das Gefühl haben, dass dies der Fall ist -, werden ihre Probleme (auch) unsere.

Was tun, wenn der demente Vater partout nicht einsieht, dass er nicht mehr Auto fahren kann und er eigentlich Führerschein und Auto abgeben müsste? Wenn die Mutter weiter allein in ihrem Haus leben will, das eigentlich viel zu groß geworden ist. Diese Fragen einen uns alle: Singles und Paare, Eltern und Kinderlose.

Eine Bekannte pendelt derzeit zwischen zwei Altenheimen hin und her, weil für ihre Eltern auf die Schnelle kein Platz in einem Heim zu finden war. Ihr Vater hatte sich jahrelang um seine schon pflegebedürftige Frau gekümmert. Als er irgendwann nach einer Operation selbst pflegebedürftig wurde, war es zu spät. Eine Freundin fuhr jahrelang jedes zweite Wochenende von Berlin, wo sie wohnt und arbeitet, nach Süddeutschland, um ihren Vater bei der Pflege ihrer alzheimerkranken Mutter zu entlasten. Meine Mutter kommt noch gut alleine zurecht: Sie  kauft ein, kocht, wäscht und bügelt; nur fürs Putzen hat sie eine Hilfe. Trotzdem fahren meine Schwestern und ich seit Jahren abwechselnd einmal im Monat für mehrere Tage an die Mosel, um ihr Gesellschaft zu leisten, nach dem rechten zu sehen und die Dinge zu erledigen, die mit 92 eben nicht mehr so leicht fallen: Gartenarbeit beispielsweise oder Gardinen waschen.

Früher war das einfacher: Im Haus meiner Eltern lebten meine Oma und zwei Großtanten – in eigenen kleinen Wohnungen, zwei von ihnen weitgehend selbstständig, bis sie über 80-jährig starben. Meine Mutter kümmerte sich um ihre Mutter und ihre Tanten, kaufte ein war im Notfall einfach da. Das war sicher anstrengend, aber es war auch beruhigend, für alle Beteiligten. Und es war machbar, weil alle im gleichen Ort wohnten und in dem Haus genug Platz war. Heute sind die Häuser und Wohnungen kleiner, die Ansprüche und die Entfernungen dafür umso größer.

Meine Schwestern und ich leben eben nicht mehr am gleichen Ort wie meine Mutter, sondern an verschiedenen Orten am anderen Ende der Republik. Vielen meiner Bekannten geht es ähnlich. Und so pendeln wir zwischen unseren Eltern und unserem eigenen Leben und fragen uns gegenseitig: „Wie geht es deinen Eltern?“

Ärger mit Untermietern

Wir haben die Wohnung unserer Untermieter geräumt. Sie sind schon vor einigen Monaten ausgezogen, ohne sich zu verabschieden und ohne ihre Einrichtung mitzunehmen. Wirklich traurig waren wir über den Auszug nicht. Wir hatten heimlich darauf gehofft, dass sie uns nach einigen Monaten wieder verlassen würden. Denn gut war unser Verhältnis nie, genau gesagt: Ich habe sie nie besonders gemocht. Obwohl es – ich muss es zugeben – eigentlich keine Konflikte gab. Sie waren ruhig, meist haben wir ihre Anwesenheit gar nicht bemerkt. Nur wenn sie sich gestört fühlten, reagierten sie ungehalten. Doch Störungen ließen sich leider nicht immer vermeiden. Die Kommunikation zwischen uns funktionierte einfach nicht. Wir fanden nie die gleiche Wellenlänge. Sie suchten keinen Kontakt – und wir auch nicht. Jeder ging seiner Wege. Unsere Lebensgewohnheiten waren einfach zu unterschiedlich – und manche Missstimmung zwischen uns beruhte  wahrscheinlich auf Missverständnissen.

Als ich beispielsweise einmal bei starkem Regen die Rollläden in meinem Zimmer herunterlassen musste, waren sie sehr aufgebracht. Wütend versuchten sie, in mein Zimmer einzudringen und es ist mir gerade noch gelungen, das Fenster rechtzeitig zu schließen. Ich hatte bis dahin gar nicht bemerkt, dass sie eingezogen waren und fühlte mich ehrlich gesagt sogar ein bisschen bedroht.

Seither traute ich ihnen nicht mehr wirklich– auch wenn ich nicht alle Horrorgeschichten glaubte, die über sie erzählt werden. Dass sie zu siebt ein Pferd getötet haben beispielsweise und dass sie das immer wieder tun würden. Und dass auch Menschen nicht vor ihnen sicher sind, wenn man sie reizt. Trotzdem bin ich ihnen nach unserem ersten Zusammentreffen aus dem Weg gegangen und habe den Raum neben ihrem einfach möglichst wenig benutzt. Das war zwar nicht schlimm, weil ich im Sommer ohnehin lieber im Wintergarten arbeite – dennoch fühlte ich mich ein wenig eingeschränkt. Schließlich ist es unser Haus, nicht ihrs.

Vielleicht haben sie gespürt, dass sie nicht wirklich willkommen waren. Sie haben zwar nie etwas gesagt, aber im Herbst waren sie dann so plötzlich verschwunden, wie sie gekommen waren. Dass sie ihre Einrichtung und ihre Abfälle nicht mitgenommen haben, hat vor allem meinen Mann geärgert, weil er ihre Wohnung ausräumen musste. Ich fand es interessant zu sehen, wie sie sich eingerichtet hatten: Sie hatten den ohnehin kleinen Raum in mehrere Bereiche unterteilt. Besonders stabil war die Einrichtung nicht und wir konnten sie ohne große Kosten entsorgen.  Jetzt landet alles auf dem Müll – wir wollen keine Nachmieter mehr.  Unsere alten Mieter hatten ohnehin nie Miete bezahlt.

Warum wir sie überhaupt so lange geduldet haben, wollt ihr wissen. Nun ja: Wir haben ein Herz für Tiere, sind gesetzestreue Bürger – und Hornissen stehen bekanntlich unter Artenschutz.

 

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Vor der Räumung: Verlassenenes Hornissennest. Foto: Utz Schmidtko