Früher war mehr Duft

Nein, ich glaube nicht, dass früher alles besser war – die Jugend höflicher und lernwilliger, die Beziehungen glücklicher, weiße Weihnachten häufiger. „Wenn ich die junge Generation anschaue, verzweifle ich an der Zukunft der Zivilisation“, meinte schon Aristoteles im vierten Jahrhundert vor Christus. Irgendwie ist es dann aber doch immer weitergegangen. Ehen hielten nur länger, weil es keine Scheidungen gab oder weil die Frauen finanziell von ihren Männern abhängig waren und bleiben mussten. Und geschneit hat es schon in meiner Jugend zumindest an der Mosel nur sehr selten – und an Weihnachten eigentlich nie. Mein Mann, aufgewachsen im Harz, sieht die Sache mit dem Schnee an Weihnachten allerding anders.

Tannen, Kekse und Co

In einem sind wir uns einig: Früher war Weihnachten mehr Duft. Das lag sicher daran, dass viel mehr selbst gebacken wurde – meine Schwiegermutter backte zum Beispiel Pfefferkuchen, bekanntlich mit siebenerlei Gewürzen: Da war Weihnachtsduft in der Adventszeit garantiert. Und auch in meinem  Elternhaus gab es natürlich zu Weihnachten selbstgebackene Plätzchen und Stollen.

Ich habe in diesem Jahr gar keine Kekse gebacken. Bratäpfel habe ich noch nie gemocht – weich und warm geht bei Äpfeln gar nicht. Rot- und Glühwein vertrage ich nicht. Deshalb kommt, ich gestehe es, der adventliche Duft nach Bratapfel, Vanille oder Zimt bei mir eher aus der Konserve – genau gesagt von diversen Duftkerzen, obwohl meine Freundin mich ausdrücklich vor den schädlichen Stoffen im Rauch warnt.

Duft contra Design

Eins habe ich in den vergangenen Jahren wirklich vermisst: den intensiven Geruch nach Tanne und Wald. Denn heutzutage duften die meisten Weihnachtsbäume und Adventskränze wenig bis gar nicht. Das trübt meine Freude an ihnen erheblich. Als ich im vergangenen Jahr vor dem ersten Advent auf dem Markt meine Nase in mehrere Adventskränze steckte, sah mich der Verkäufer irritiert an. Nein, duftende Adventskränze habe er nicht, meinte er dann indigniert. Stark duften zum Beispiel Blaufichten, aber weil ihre Nadeln sehr stark stechen, werden sie selten zu Adventskränzen verarbeitet. Und auch als Weihnachtsbaum werden die duftenden, aber stachligen Blaufichten, einst der Weihnachtsbaumklassiker, heute weit seltener gewählt. Das ist verständlich, vor allem, wenn Kinder im Haus sind oder wenn der Baum lange stehen bleiben soll. Denn die Fichten halten nicht so lange wie Nordmann- und andere Tannen. Und wegen der spitzen Nadeln braucht man für Blaufichten eigentlich einen Waffenschein. In jedem Fall ist es ratsam, den Platz rund um den Weihnachtsbaum weiträumig abzusperren und gebührenden Abstand zu halten. Deshalb wachsen in der Schonung, in der mein Mann in den vergangenen Jahren den Tannenbaum selbst geschlagen hat, keine Blaufichten.

Der Letzte seiner Art

Dass es in diesem Jahr in unserem Wohnzimmer wieder wie in alten Zeiten nach Wald duftet, ist eher Zufall. Denn eigentlich wollten wir Weihnachten auf La Palma verbringen. Ohne echten Baum, nur mit einer kleinen Bienenwachskerze als Baumersatz. Aber unverhofft kommt ja bekanntlich oft: Die Bandscheibe zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbel meines Mannes verlangte eine Planänderung – und eine Last-minute-Absage der Reise.

Auf einen Weihnachtsbaum wollten wir dann doch nicht verzichten. Die Schonung war geschlossen und auch vor dem schwedischen Möbelhaus an unserem Wohnort, bei dem wir unser Glück versuchten, war das Angebot zwei Tage vor Weihnachten eher bescheiden. Aber eine große Auswahl wird meist ohnehin überschätzt.

Als ich sagte: „Duften soll er“, zeigte der Verkäufer auf einen einsam auf dem Boden liegenden Baum. „Das ist die letzte Blaufichte“, meinte er fast abschätzig, „sonst gibt es nur noch Nordmanntannen.“ Die sind hierzulande die mit Abstand beliebtesten Weihnachtsbäume: Sie sehen aus, wie Weihnachtsbäume aussehen sollen: pyramidenförmig, mit fast waagrechten Ästen; sie nadeln nicht und weil die Nadeln überdies nicht pieksen, lassen sie sich leicht schmücken. Nur leider duften sie überhaupt nicht.

Irgendwie tat mir der Baum leid, den offenbar niemand haben wollte. Zu Unrecht, denn er duftete nicht nur, sondern sah auch gut aus: gerade gewachsen, vielleicht etwas licht und auch einige Nadeln waren schon ein wenig angegraut. Doch das sind wir ja auch – und nobody is ja bekanntlich perfect.

So schnell hatten wir noch nie einen Weihnachtsbaum gekauft. Das Handling – transportieren, aufstellen, schmücken – war zwar etwas schwieriger bzw. schmerzhafter als in den vergangenen Jahren. Denn mit dicken Arbeitshandschuhen lassen sich filigrane Aufhänger nur schwer an stachligen Ästen befestigen. Doch man muss auch Opfer bringen.

Jetzt steht der Baum in unserem Wohnzimmer und duftet und nadelt still vor sich hin. Letzteres hat auch seine Vorteile: So wird das Abschmücken nach Neujahr dann eine nicht mehr ganz so stachlige Angelegenheit.

Weihnachtsbaum DSC_2558

 

3 Antworten auf „Früher war mehr Duft“

  1. … wie mag es diese Tanne erlebt haben? Erschnüffelt und auserkoren, in ein freundliches Haus gebracht, geschmückt und gepriesen worden? Genießt sie die Zeit … ahnt sie nichts vom heißen Ende im Ofen??

  2. Liebe Eva
    Fröhliche, duftende Weihnachten!
    Was für ein schöner Beitrag!
    Nur bei einem Thema komm ich mit dir nicht zusammen: Äpfel MÜSSEN für mich warm und weich sein ;-)… Ich mag keine rohen!
    Herzliche Grüße aus dem (leider fast frühlingshaft) warmen Wien!
    Sonja

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