Auf Lessings Spuren

Eigentlich wollte ich ja am Samstag auf den Brocken wandern, aber weil mein Knie mal wieder nicht so wollte wie ich, schien mir eine Wanderung auf den höchsten Berg Norddeutschlands keine allzu gute Idee. Denn wer hinaufgeht, muss auch wieder zu Fuß hinab – von der Wohnung, in der ich am Wochenende die Katze gehütet habe, bis nach Torfhaus sind das gut 24 Kilometer und zahlreiche Höhenmeter. Außerdem ist der Brocken samstags – noch dazu an einem langen Herbstwochenende mit strahlend schönem Wetter – ein beliebtes Ausflugsziel und daher ziemlich überlaufen. Das Gleiche gilt auch für die Teufelsmauer bei Blankenburg. Also musste ein Alternativziel her.

Wolfenbüttel ist von Bad Harzburg aus mit der Bahn und meinem 49-Euro-Ticket bequem und schnell zu erreichen – im Stundentakt und in weniger als einer Dreiviertelstunde. Kennenlernen wollte ich die Stadt schon lange mal: Schließlich galt die 1570 gegründete „Bibliotheca Augusta“, die heutige Herzog August Bibliothek, einst als achtes Weltwunder (https://www.lessingstadt-wolfenbuettel.de/). Noch heute werden in ihr einzigartige Bücher bewahrt und gezeigt, unter anderem das Evangeliar Heinrichs des Löwen.

Zumindest zwei Bibliothekare, die dort arbeiteten, waren noch berühmter als die Bibliothek: 1621 übernahm der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz die Leitung der Bibliotheca Augusta – und entwickelte in dieser Zeit „nebenbei“ das binäre System, die Grundlage der heutigen IT-Technik. 150 Jahre später, im Jahr 1770, wurde Gotthold Ephraim Lessing dort Bibliotheksleiter – wohl mehr aus Not, denn aus Überzeugung. Denn obwohl Lessing damals schon ein bekannter Schriftsteller war, plagten ihn finanzielle Sorgen – offenbar war es schon damals schwer bis unmöglich, nur vom Schreiben zu leben. Der Job als Bibliothekar brachte ihm „sechs hundert Thaler Gehalt, nebst freyer Wohnung und Holz auf dem fürstl. Schloße“. Seine Pflichten hielten sich in Grenzen: „Eigentliche Amtsgeschäfte habe ich keine andere als die ich mir selbst machen will. … Ich darf mich rühmen, dass der Erbprinz mehr darauf gesehen, dass ich die Bibliothek als dass ich der Bibliothek nutzen soll“, schrieb Lessing am 27. Juli 1770 seinem Vater. So blieb ihm viel Zeit zu reisen und zu schreiben: In Wolfenbüttel entstanden unter anderem Emilia Galotti, sein wohl bekanntestes Werk Nathan der Weise und sein religionsphilosophisches Hauptwerk „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ (1780).

Im Lessinghaus wohnte und arbeitete Lessing nach seiner Heirat mit Eva König im Jahr 1777. Heute ist das Haus teilweise ein Museum, und natürlich habe ich es besucht: eine wahrlich hübsche Dienstwohnung. Von der direkt daneben liegenden Bibliothek konnte ich leider nur die neoklassizistische Fassade betrachten. Denn „die musealen Räume der Bibliothek sind für den Publikumsverkehr auf unbestimmte Zeit geschlossen“, heißt es auf der Bibliotheks-Website. Schade. Ich hätte mir die Büchersammlung allzu gerne angesehen. Aber so habe ich einen Grund wiederzukommen, wenn die Sanierungsarbeiten abgeschlossen sind.

Auf die Schlossbesichtigung habe ich dagegen bewusst verzichtet und bin lieber durch die Stadt gebummelt. Sie hat mit rund tausend meist schön restaurierten Fachwerkhäusern und vielen kleinen Läden wirklich ein besonderes Flair.

Ich mag Städte am Wasser. Wolfenbüttel liegt an der Oker, wird von einem Stadtgraben umschlossen und von zahlreichen Kanälen durchzogen. Sie wurden ab 1542 in der Regierungszeit Herzog Julius‘ angelegt, um die sumpfige Okeraue zu entwässern und die Stadt umbauen und erweitern zu können. Fluss und Grachten waren wichtige Lebensadern der Stadt, sie dienten früher als Transportwege, trieben Mühlen an und leider wurden in ihnen auch Abfälle und Abwasser entsorgt. Die Folge: Oker und Grachten waren damals Kloaken, die zum Himmel stanken: „Im Jahr 1899 werden 168 Tonnen Kot, 7.800 Tonnen Urin, 1.700 Tonnen Kehrricht und 480.000 Tonnen sonstiges Abwasser in die Oker geleitet“, erfahre ich auf dem Audio-Rundgang „Wasserwege Wolfenbüttel“ (www.wasserwege-wf.de), die mich zu fünf Stationen leitet. Die Wasserqualität hat sich glücklicherweise erheblich verbessert. Aber leider wurden große Teile der Wasserwege, die einst das Stadtbild prägten, inzwischen unter die Erde verbannt. Dass beispielsweise unter der Straße Krambuden ein Seitenarm der Oker hindurchfließt, merkt man nicht, wenn man durch die Stadt schlendert. In Klein Venedig ist dagegen noch ein kleines Stück des Großen Kanals zu sehen.

Klein Venedig oder Klein Amsterdam in Norddeutschland

Bedeutende Kirchen gibt es in Wolfenbüttel natürlich auch: Die Trinitatiskirche zählt laut Wikipedia zu den  bedeutendsten Kirchen im Barockstil in Deutschland https://de.wikipedia.org/wiki/St.-Trinitatis-Kirche_(Wolfenbüttel). Nur die Außenmauern wurden aus Stein gemauert, im Inneren wurde Holz verbaut. Dass die Säulen aus je vier verschalten Tannenstämmen bestehen, sieht man ihnen nicht an. Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis, angeblich der erste bedeutende protestantische Großkirchenbau der Welt https://de.wikipedia.org/wiki/Marienkirche_(Wolfenbüttel), war leider über Mittag geschlossen.

Und so bin ich stattdessen in eine Buchhandlung und ein Antiquariat gegangen, die beide schräg gegenüber der Hauptkirche am Kornmarkt liegen. Eigentlich ein passender Abschluss für den Besuch in einer Stadt, die vor allem wegen eines Schriftstellers, der einst dort lebte und arbeitete,  und ihrer besonderen Bibliothek bekannt ist.

Blick in mein Art-Journal. Das Copyright für die eingeklebte Zitatkarte liegt beim ars vivendi Verlag, die Fotos unten rechts wurden aus dem Museumsführer Kultur erleben der Lessingstadt Wolfenbüttel ausgeschnitten und eingeklebt.

Immer am Meer entlang

Die Alpen müssen warten. Oder genauer gesagt, mein Vorhaben, im nächsten Jahr die Alpen zu Fuß zu überqueren. Unser Urlaub in Cornwall hat den South West Coast Path auf der Liste der Wanderziele wieder ganz nach vorne katapultiert.

Zum ersten Mal habe ich vor ein paar Jahren in Judith Wolfbergers Buch „Schafft euch Schreibräume“ von dem Wanderweg gelesen, später dann in Raynor Winns Roman „Der Salzpfad“. Doch dann ist der South West Coast Path irgendwie aus meinem Blick verschwunden, zu Unrecht, wie ich bei meinem ersten Besuch in England festgestellt habe. Denn für Menschen wie mich, die süchtig nach Wasser sind, ist der Pfad ein Traum: Er verläuft von Minehead am Bristol Channel bis nach Poole Harbour an der englischen Südküste (fast) immer direkt am Meer entlang. Malerische Orte wie Saint Ives oder Fowey, wo die Schriftstellerin Daphne du Maurier lange lebte und viele ihrer Romane schrieb, liegen ebenso auf der Strecke wie zwei Unesco-Weltkulturerbestätten – die Jurassic Coast bei Lyme Regis und die Bergbaulandschaft von Cornwall und West Devon –, mehrere Naturparks und sogenannte Heritage Coasts, das sind Gebiete, die wegen ihrer Schönheit, ihrer Flora und Fauna oder ihrer kulturellen Bedeutung besonders geschützt sind. Zu sehen gibt es also genug, viel Landschaft, viel Natur, viel Kultur und vor allem viel Wasser.

Mit mehr als tausend Kilometern oder umgerechnet 630 Meilen ist der South West Coast Path laut Wikipedia der längste Fernwanderweg in Großbritannien (https://de.wikipedia.org/wiki/South_West_Coast_Path). Wer den gesamten Weg wandern will, braucht sieben bis acht Wochen. So viel Zeit hatte ich natürlich nicht. Ich bin an allen Orten, wo wir Station gemacht haben, nur kurze Strecken gewandert: Mal war ich nur eine, an anderen Tagen drei oder vier Stunden unterwegs. Mal war der Weg steinig, mal führte er über Wiesen und Weiden und manchmal auch ein Stück am Strand entlang.

Die Aussichten waren eigentlich überall, wo ich gewandert bin, spektakulär. In Lands End, dem westlichsten Punkt Englands beispielsweise …

… oder an der Jurassic Coast. Bis zu den fossilienreichen Klippen bei Lyme Regis habe ich es zwar nicht geschafft, aber ich habe auf dem Weg dorthin immerhin das Golden Cap erklommen. Die goldene Mütze ist mit 191 Metern höchste Erhebung an der Südküste.

Apropos erklimmen: Der Küstenweg ist keineswegs flach, wie der Name nordseeküstengewohnte Flachländer wie mich vermuten lässt. Es geht ständig auf und ab. 35.000 Höhenmeter müssen auf dem gesamten Weg überwunden werden – angeblich mehr als bei einer Besteigung des Mount Everest.

Die Auf- und Abstiege sind teilweise recht steil, aber nicht besonders anspruchsvoll – auch das ein Grund, der für den South West Coast Path spricht. Und auch verlaufen kann ich mich auf dem Küstenpfad – anders in den Alpen – kaum. Dafür sorgen schon die zahlreichen Wegweiser auf der Strecke. 2.473 sollen es nach einer Reportage auf der Website des Michael Müller Verlags über Cornwall und den South West coast Path sein (https://www.michael-mueller-verlag.de/de/reportage_cornwall_south_west_coast_path/), also durchschnittlich zweieinhalb pro Kilometer. Außerdem geht es ja fast immer am Meer entlang – und frau trifft unterwegs immer wieder andere WandererInnen, die sie nach dem Weg fragen kann.

Der Wanderweg an der Küste endet übrigens nicht in Poole Harbour; er geht als England Coast Path weiter. Auch auf dem englischen Küstenweg war ich einen halben Tag unterwegs: von unserem Campingplatz in Folkestone über die berühmten Kreidefelsen bis fast nach Dover. Gerne wäre ich noch ein Stückchen weiter gegangen, aber dann stoppte mich eine Viehherde.

Zwar dürfen Wanderer in England auf ausgeschilderten Pfaden auch Privatgrundstücke betreten. Aber ich war mir nicht sicher, ob es Stiere oder Kühe waren, die auf der Weide grasten – und ob sie das alte „Right of Way“ auch kennen. Doch das werde ich klären, bevor ich mich im nächsten Jahr auf den Weg nach Cornwall mache, um länger auf dem South West Coast Path zu wandern.

Monatsrückblick August 2023

Der Monat begann mit einer Reise in die Vergangenheit: Zum ersten Mal seit dem Jahrgedächtnis für meine Mutter vor drei Jahren war ich wieder an der Mosel. Es war, ich gebe es zu, ein merkwürdiges Gefühl, zum ersten Mal als Touristin in dem Ort zu sein, in dem ich geboren bin, mehr als 20 Jahre lang gelebt und in dem ich bis zum Umzug meiner Mutter ins Altenheim viel Zeit verbracht habe.

Mein Elternhaus haben die neuen Besitzer durch ein riesiges Vordach aus Holz auf der Moselseite „verschandelt“ – die dahinterliegenden Räume sind dadurch sicher wesentlich dunkler als früher. Und der Garten neben dem Haus musste Auto-Stellpätzen weichen. Es berührt mich eigentlich wenig, nur dass ich den Strauch mit den duftenden Pfingstrosen im Vorgarten nicht ausgegraben und in meinen eigenen Garten gepflanzt habe, als wir das Haus verkauften, bedaure ich noch immer. Jetzt ist er verschwunden.

Wir haben auf dem Stellplatz am Hafen übernachtet und ich habe es genossen, vom Wohnmobil aus die Mosel zu sehen. Wir haben Freundinnen und natürlich das Grab meiner Eltern besucht. Ich habe mir von meiner früheren Friseurin die Haare schneiden lassen – so kurz wie noch nie, meinte sie. Das Treffen mit meinem früheren Trainer und Lehrer hat leider nicht geklappt, und die alte Dame, der ich gelegentlich schreibe – und sie mir –, hat mich nicht mehr erkannt. Sie wird in diesem Jahr 100 und wir haben uns seit drei Jahren nicht mehr gesehen.

Obwohl ich an der Mosel geboren und dort aufgewachsen bin, bin ich erst jetzt, mit fast 67, zum ersten Mal dort gepaddelt. Ich habe den Calmont zum ersten Mal erwandert und zwei Wochen später war ich zum ersten Mal auf einer Landesgartenschau.

Eine ganz andere Premiere erlebte meine jüngste Enkelin am letzten Tag des Monats: Sie hatte in Hamburg ihren ersten Vorschultag. Am letzten Tag in ihrer Kita bekam sie zur Erinnerung von den ErzieherInnen einen Ordner mit Fotos aus den letzten drei Jahren. Als wir die Bilder anschauten, musste ich an meine Mutter denken. Wenn ich sie in den letzten Wochen vor ihrem Tod aufmuntern wollte, zeigte ich ihr Bilder oder kleine Videos ihrer Urenkelin. Dann strahlten ihre Augen, sie lächelte und manchmal brachte Ayda sie sogar zum Lachen. Meine Enkelin war noch kein Jahr alt, als meine Mutter starb, jetzt wird sie schon fünf. So schnell geht es.

Zwischen den Reisen in den Süden und den Norden stand im August viel Kunst auf dem Programm: Über die beiden Ausstellungen in Burgwedel – Parkomanie und Kunst in Bewegung – habe ich ja schon geschrieben. Mit einer Schreibfreundin war ich beim Tag der offenen Tür in der Villa Seligmann, einem Haus für jüdische Musik in Hannover. Mit einer anderen habe ich mir die Volker-Kriegel-Ausstellung „Ja was denn“ im Wilhelm Busch Museum angesehen. Ich kannte Volker Kriegel nur als (Jazz-)Musiker, dass er auch ein guter und bekannter Zeichner und Autor war, wusste ich gar nicht. Besonders gut haben mir seine tagebuchartigen Skizzenbücher gefallen – auch ich will schon lange ein Visual Diary, also eine Art bebildertes „Tagebuch“ oder Journal, führen und mehr Farbe in mein Leben bringen. Es ist Zeit, endlich zeichnen zu lernen und es zu üben.

Deshalb hatte ich mich auch für Ramona Weydes „August Art Journal“ angemeldet. Alle zwei Tage habe ich von ihr Aufgaben, Ideen und Impulse für mein Skizzenbuch bekommen. Die Anregungen haben mir gut gefallen, doch leider habe ich es nur sehr selten geschafft, sie umzusetzen, mein Art Journal in meinen Alltag zu integrieren. Aber ich gebe die Hoffnung und das Art Journaling nicht auf. Und angeblich ist ja der September ja so eine Art Januar des Herbstes – und eine gute Zeit für einen Neustart. Na denn.

Kluge Frauen – schöne Gärten

Geografie mangelhaft. Dass Bad Gandersheim so nah liegt und überdies mit öffentlichen Verkehrsmitteln so gut zu erreichen ist, wurde mir erst im vergangenen Jahr eher zufällig bewusst, als eine Streckensperrung mich auf einer Fahrt nach Bad Harzburg durch die am Harzrand gelegene Kurstadt führte. Merke: Umleitungen haben manchmal also durchaus auch etwas Gutes.

Seither steht Bad Gandersheim auf der Liste der Orte, die ich unbedingt besuchen wollte. Schließlich war die Stadt, genauer gesagt das Kloster Brunshausen, Wohn- und Wirkungsstätte von Hrotsvit von Gandersheim. Allen, die die Dame nicht kennen, sei’s gesagt: Hrotsvit oder auf Deutsch Roswitha lebte vor mehr als tausend Jahren, von etwa 935 bis 980. Sie war die erste deutsche Dichterin und eine der bedeutendsten des Mittelalters.

Kirche des Klosters Brunshausen

Das war wohl zumindest für einige Frauen doch nicht so finster, wie frau manchmal glaubt. Roswitha wurde in der Schule des Klosters in den sieben freien Künsten – Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik, Grammatik, Dialektik und Rhetorik – unterrichtet. Und sie lernte natürlich Latein, die Sprache, in der sie auch ihre Bücher verfasste. Zwei historische Werke über das Leben Kaiser Ottos I. und die Gründungsgeschichte des Stiftes Gandersheim hat sie geschrieben, außerdem sechs Dramen und acht christliche Legenden, darunter auch die Theophilus-Legende, in der sie als Erste den Urstoff des Faust bearbeitete, der dann durch Goethe berühmt wurde.

Weil ich nicht nur Literatur (vor allem von Frauen), sondern auch Pflanzen und schöne Gärten mag, war die Landesgartenschau ein willkommener Anlass, endlich nach Bad Gandersheim zu fahren. Eine gute Entscheidung. Denn das Gartenschau-Gelände mit vier ganz unterschiedlichen Parkbereichen und ganz viel Wasser war so recht nach meinem Geschmack: Zwei Bäche – Gande und Eterna – durchfließen das Areal, außerdem gibt es zahlreiche Seen und Teiche und im sogenannten Roswitha-Park ein Sole-Naturbad, in dem die BesucherInnen der Gartenschau schwimmen, sich sonnen und entspannen können.

Das habe ich natürlich getan, außerdem habe ich in diesem Bereich der Gartenschau meinen Füßen auf dem Barfußpfad etwas Abwechslung, im Kneipp-Becken Abkühlung gegönnt und schließlich an einem Weinstand einen leckeren Weinbergspfirsichsecco probiert, der definitiv nach mehr schmeckte.

Die verschiedenen Geräte im Spiel- und Sportpark habe ich dagegen nicht getestet. Ich habe mich weder auf die Slacklines getraut noch habe ich den Boulderfelsen erklettert, sondern bin, meinem Alter entsprechend, brav auf den Wegen bzw. auf dem Rasen geblieben. Zu sehen gab es genug, sechs kleine Themengärten beispielsweise …

… oder – nicht nur in diesem, sondern in allen Bereichen des Parks – verschiedene Kunstobjekte. Zum Nachdenken hat mich die Demutsbank angeregt, bei der eine Lautsprecherstimme daran erinnerte, dass es vieles gibt, wofür man oder frau dankbar sein sollten. Ganz gewiss für einen sonnigen, geschenkten Tag in einer schönen Umgebung.

Mein Lieblingsbereich war definitiv der Landschaftspark: An den Osterbergseen, wo vor nicht allzu langer Zeit Bergungspanzer der Bundeswehr übten, ist – der Gartenschau sei Dank – eine Augenweide für Gartenfans und ein Paradies für Insekten und Schmetterlinge entstanden. Unzählige Stauden verwandeln die Ufer der beiden künstlichen Seen in ein Blütenmeer. Und auf kleinen schwimmenden Gärten fühlen sich Wasservögel und Reiher wohl.

Auch mir hat es an den Seen sehr gut gefallen: Ich habe am Seeufer immer wieder kurze Pausen eingelegt, um zu lesen, zu schreiben, zu frühstücken oder einfach nur aufs Wasser zu schauen und das Leben und den Tag zu genießen.

Natürlich bin ich auch an der Gande entlang zum Kloster Brunshausen spaziert, das als „Keimzelle“ von Bad Gandersheim gilt. Der Weg führt durch das Landschaftsschutzgebiet Auepark, den weitgehend naturbelassenen Bereich der Gartenschau. Von einem 150 Meter langen Holzsteg kann man jetzt bislang versteckte Teiche und Tümpel sehen und die dort lebenden Wasservögel beobachten.

Am nördlichen Ende – oder Anfang – des Aueparks liegt das Kloster auf einem kleinen Hügel. In der Klosterkirche habe ich mir die Ausstellung angesehen, die an Roswitha und andere starken Frauen erinnern, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein im Kloster lebten. Im Kirchenschiff sind außerdem kostbare Textilien ausgestellt – und auf der Empore können sich die BesucherInnen – passend zur Landesgartenschau – auf eine Zeitreise durch die Gartengeschichte begeben.

Dort liegt auch eine Auswahl der Bücher der Autorinnen aus, die mit dem Roswitha-Literaturpreis ausgezeichnet wurden. Die Stadt Gandersheim hat den Preis im Jahr 1973 gestiftet – im Gedenken an die berühmteste Tochter der Stadt. Preisträgerinnen waren viele Schriftstellerinnen, deren Bücher ich schätze: Marie-Luise Kaschnitz und Hilde Domin beispielsweise, Ilse Aichinger, Ulla Hahn, Ruth Klüger, Cornelia Funcke und Julia Franck. Außerdem wird die beliebteste Schauspielerin bei den Gandersheimer Domfestspielen alljährlich mit dem Roswitha-Ring  der Stadt Bad Gandersheim geehrt.

Die romanische Stiftskirche, davor die Tribünen der Freilichtbühne

Vielleicht werde ich mir im nächsten Jahr einmal eine Vorstellung ansehen, die auf der Freilichtbühne vor der romanischen Stiftskirche stattfindet. Dann habe ich sicher auch Gelegenheit, die Stadt zu besichtigen. Zu entdecken gibt es dort einiges: die Stiftskirche mit ihrer Doppelturmfassade natürlich, zahlreiche Renaissance- und Barockgebäude oder das Sommerschloss Brunshausen mit eindrucksvollen Wandmalereien und kostbaren Büchern. Und natürlich werde ich dann noch einmal an Gande, Eterna und den Osterbergseen entlangspazieren und den Blick aufs Wasser genießen.

Kunst in Burgwedel – Kunst in Bewegung

Noch einmal Kunst in Burgwedel, diesmal Kunst in Bewegung (KIB). Vielleicht zum letzten Mal. Denn die OrganisatorInnen Maria Hausknecht, Karlheinz Schridde und Elke Seitz haben angekündigt, dass sie nicht mehr weitermachen möchten – zumindest nicht mehr so wie bisher. Es fehlt an finanzieller, organisatorischer und tatkräftiger Unterstützung – und auch ein bisschen an jungen KünstlerInnen, die ihre Arbeiten ausstellen. Es wäre schade um die Veranstaltung, die es seit 2006 gibt.

Martin Vietmeyer, Christine Jehne und Britt Buvrin-Wolff haben Kunst in Bewegung initiiert, in den ersten Jahren organisiert – und damit offenbar den Geschmack (nicht nur) der BurgwedelerInnen getroffen. In Scharen pilgerten Kunstinteressiert und Neugierige zu den Ausstellungsorten nicht nur in Großburgwedel selbst, sondern auch in den Burgwedel-Dörfern. An manchen Wochenenden war wirklich, so schien es, halb Burgwedel und Umgebung in Bewegung – viele zu Fuß oder mit dem Rad.

Der besondere Charme lag in den ersten Jahren darin, dass die Burgwedeler KünstlerInnen ihre Ateliers öffneten und ihre Arbeiten dort zeigten, wo sie entstanden. Als immer mehr KünstlerInnen aus der näheren und weiteren Umgebung Kunst in Bewegung entdeckten und mitmachten, verlagerte sich der Schwerpunkt von privaten auf „öffentliche“ Räume wie Volkshochschule, Rathaus, Kirchenkreisamt, Bücherei oder Schulen. Aber auch Restaurants, Anwaltskanzleien, kleine Läden oder Versicherungsagenturen verwandelten sich für ein Wochenende in Galerien. In den vergangenen drei Coronajahren stellten die KünstlerInnen dann zentral und unter freiem Himmel aus – unter anderem im Rathauspark und im Amtspark. In diesem Jahr fand Kunst in Bewegung wieder drinnen statt. Mehr als 30 KünstlerInnen und KunsthandwerkerInnen zeigten ihre Malerei, Fotografie Schmuckstücke und andere Kunstobjekte. Orange Plakate, Fahnen und Fahrräder weisen den Weg zu den zehn Ausstellungsorten.

Einige Orte und KünstlerInnen sind schon seit Jahren dabei: Elke Seitz beispielsweise, eine der Organisatorinnen von Kunst in Bewegung. Ein Besuch in dem versteckten Garten des Atelier Seitz ist für mich ein Muss, besonders beeindrucken mich immer wieder die Objekte aus zerbrochenen Spiegeln. Und ein bisschen fühle ich mich in Elke Seitz Garten wie Alice auf dem Weg ins Wunderland.

Auch die beiden anderen Künstlerinnen, die ihre Bilder an diesem Kunstort zeigen, sind „alte Bekannte“, die schon lange bei Kunst in Bewegung mitmachen: Heidrun Schlieker bannt mit schneller Pinselführung meist norddeutsche Landschaften ausdrucksstark auf die Leinwand. Ihre Skizzenbücher, die ich ganz besonders mag, hat sie diesmal leider nicht dabei.

Bei Christine Küppers gefallen mir vor allem die Frauenbilder, ebenso bei Maria Hausknecht, die ihre meist abstrakten Bilder im Foyer des Amtshof zeigt. Apropos Frauen – sie sind klar in der Mehrzahl, bei MalerInnen und Motiven, aber auch bei den Besucherinnen. Kunst ist, so scheint es, vorwiegend Frauensache, auch wenn sich das in den Medien leider nicht immer widerspiegelt.

Der große Veranstaltungsraum im Amtshof bietet Ausstelllungsfläche für fünf KünstlerInnen und genügend Platz für großformatige Bilder in ganz verschiedenen Techniken, Materialien und Stilrichtungen. Die Bandbreite reicht von eher realistischen Landschaften bis zu abstrakten Darstellungen.

Gleich nebenan entdecke ich in den Räumen der VHS zwei Künstlerinnen, die ich bislang nicht kannte: Bei Annette Böwe trifft Farbe auf Struktur. Ihre auf Leinwand mit Acrylfarbe und Spachteltechnik gestalteten abstrakten Bilder erinnern mich ein wenig an Christine Jehne, eine der Initiatorinnen von Kunst in Bewegung. Sehr farbenfroh sind auch Maike Remanes Bilder, die sich „zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit bewegen“.

In der ältesten Straße Großburgwedels, der immer noch kopfsteingepflasterten Heinrich-Wöhler-Straße, zeigt im ehemaligen Sternerestaurant Ole Deele eine der jüngsten TeilnehmerInnen ihre Arbeiten. Mich fasziniert, wie Kerstin Bäßmann die Motive auf das Wesentliche reduziert und mit wenigen (Tusche)Strichen aufs Papier bannt. Das möchte ich auch können! Im Hof Schirmer trifft Digitales auf Analoges. Silke Jüngst verarbeitet unbeachtete Dinge zu hochwertigem Schmuck – und ritzt Texte im Binärcode auf Kupferplatten oder druckt sie auf Karten. Im Großformat ist binary II im Alten Park in den Ästen eines Baums zu bewundern.  

Zum Schluss meiner Kunsttour durch Burgwedel kehre ich noch einmal zu den Anfängen zurück – Sabine Mazur-Lunze und Katja Blume haben wie früher ihre Häuser und Ateliers für Kunstinteressierte geöffnet. Sabine Mazur-Lunze präsentiert Fotokarten und Fotoleinwände mit Naturmotiven im eigenen Wohnzimmer.

Und Katja Blume erlaubte sogar Einblicke in ihr Atelier smune, in dem ihre Zeichnungen, Handletterings, Druckarbeiten und Bücher übers Handlettering und Zeichnen entstehen. Es wäre wirklich schade, wenn Blicke hinter die Kulissen und in die Werkstätten in Burgwedel künftig gar nicht mehr möglich wären.

Immerhin: Ersatzlos gestrichen wird Kunst in Bewegung vielleicht doch nicht. Organisator Karlheinz Schridde plant laut HAZ vom 22. August (Ausgabe Burgwedel/Isernhagen/Burgdorf) für 2024 eine Veranstaltung „Kunst in Begegnung“, bei der es „vor allem um den Austausch von Kunstschaffenden und Publikum gehen“ soll . Ich bin gespannt.

Kunst am Baum

Der Alte Park an der Thönser Straße in Großburgwedel ist gerade mal einen halben Hektar groß – klein für einen Park, aber recht ansehnlich für eine Galerie. In die verwandelt sich der kleine Park seit 2008 für ein paar Wochen am Ende des Sommers mit der Freiluftausstellung Parkomanie. Mit seinen Ausstellungen möchte der Veranstalter, der Kunstverein Burgwedel-Isernhagen, „dazu beitragen, Hemmschwellen abzubauen, indem sich die Kunst in den öffentlichen und frei zugänglichen Raum, also zum Menschen hin, begibt“, heißt es in der Ausschreibung (https://www.kunstverein-bwi.de/ausstellungen-veranstaltungen-kunstfahrten-2023/). Die Parkomanie sei „ein gezielter Beitrag, Kunst ohne Zwang zu erleben und ihr eine größere Wahrnehmung in der Öffentlichkeit – und durch sie – zu ermöglichen“.

Rund um die Uhr können alle, die – absichtlich oder zufällig – im Park sind, die Werke anschauen. Sie hängen an oder stehen, passend zum Ausstellungsthema zwischenraum / space between, zwischen den alten Bäumen. Ich gehe gerne durch den Park – und manchmal nehme ich, bekennende Kunstbanausin, mir auch die Zeit, darüber nachzudenken oder auf den Begleittafeln nachzulesen, was die KünstlerInnen mir sagen wollen. Manches verstehe ich auch ohne Erklärung auf Anhieb, anderes erschließt sich mir erst auf den zweiten Blick oder gar nicht.

Wie achtlos weggeworfene Mülltüten sieht die Upcycling-Skulptur „Aufgeblasen“, aus. Die Berlinerin Pia Höhfeld will damit zum Nachdenken und zur Diskussion über Plastik- und anderen Müll anregen. „Der Müll, den wir weggeworfen haben, nimmt in meiner Kunst wieder Raum ein und konfrontiert uns mit unserem eigenen Konsumverhalten“, schreibt sie in ihrem Statement.

Wie ein Spinnennetz spannt sich der rote Faden von W. van Ravenhorst zwischen den Ästen eines Baumes, schafft Verbindungen, die aber nicht immer von Dauer sind. Schon in der ersten Woche hat sich das Netz sichtbar verändert.

Die Nachricht auf den hoch im Baum hängenden Tüchern kann ich nicht entschlüsseln. Denn sie besteht aus lauter Nullen und Einsen. „Es ist ein Songtext“, verrät Silke Jüngst, aber welcher es ist, bleibt ihr Geheimnis. „Digitale Nachricht auf analogem Material. Ungreifbare Datensätze auf haptischem Untergrund. Schwarz auf Weiß, Null und Eins. Der Text in Binärcode, obwohl direkt vor unseren Augen, bleibt verborgen und ist nur für Eingeweihte lesbar. Die analoge Welt hält mit der digitalen nicht mehr mit. Dazwischen Leerraum, Freiraum, Mut zur Lücke? Raum für neues Denken?“, schreibt die Künstlerin in ihrem Statement zu binary II. Der Gedanke fasziniert mich ebenso wie die Frage, ob Hanno Küblers Skulptur „Ohne Titel (großes Nest) ein künstliches Objekt oder ein wirkliches Nest ist. Dass „das Vogelnest zur Zeit wissenschaftlich untersucht (wird), um zu klären, um welche Vogelart es sich handelt und ob sie aufgrund des Klimawandels hier ansässig wird“, glaube ich allerdings nicht. Aber wer weiß es schon?

Meine Lieblingsskulptur steht direkt am Eingang des Alten Parks. Was „Into the Spaceless“ des Wilhelmshavener Künstlers Weibach2 mir sagen will, bleibt mir trotz der Erläuterungen unverständlich – aber ich muss ja nicht alles verstehen. Die Skulptur, die von allen Seiten anders aussieht, gefällt mir einfach. Und das genügt mir als bekennende Kunstbanausin.

Mehr Informationen

kunstverein burgwedel-isernhagen artclub e.v.

https://www.kunstverein-bwi.de/

Wandern in den Weinbergen

Seit ich öfter wandere, weil ich wegen meines kaputten Knies nicht mehr laufen kann, steht der Klettersteig am Calmont zwischen Ediger-Eller und Bremm auf meiner Bucket List – zu deutsch: Löffelliste: also auf der Liste der Dinge, die ich tun möchte, bevor ich den Löffel abgebe.

Die Tourdaten klingen nicht besonders beeindruckend. Gerade mal 380 Meter ist der Calmont hoch, der Gipfel liegt nur 293 Meter über der Mosel. Insgesamt geht es auf dem 6,6 Kilometer langen Rundweg 469 Meter bergauf – und natürlich ebenso viele bergab. Trotzdem war es eine der anspruchvollsten Wanderungen, die ich bislang gemacht habe. Denn die Weinlagen Bremmer Calmont und Ellerer Calmont, durch die der Klettersteig führt, zählen laut Wikipedia mit Hangneigungen von stellenweise bis zu 68 Grad zu den steilsten der Welt (https://de.wikipedia.org/wiki/CalmontCalmont).

Weil Weinbau in Steillagen wirklich aufwendig und anstrengend ist und sich nur lohnt, wenn die dort wachsenden Weine angemessen bezahlt werden, lagen Ende des letzten Jahrtausends viele Weinberge am Calmont brach. Erst in den 2000er-Jahren haben die WinzerInnen den Calmont wiederentdeckt; inzwischen wachsen in den beiden Steillagen fast überall wieder Reben. Trotzdem sind mir unterwegs weit mehr TouristInnen (mindestens drei Dutzend) begegnet, die durch die Weinberge wanderten, als WinzerInnen, die dort arbeiteten (drei).

Die steilsten Weinberge der Welt

Der Calmont-Klettersteig zählt nämlich zu den schönsten Wanderwegen an der Mosel. Angelegt wurde er vor mehr als 20 Jahren vom Deutschem Alpenverein und Freiwilligen aus den umliegenden Dörfern, aus Bremm, Ediger-Eller und Neef. Sie haben die Wege erneuert und schwierige Passagen mit Stahlseilen, Leitern, Trittbügeln und Trittstiften entschärft, sodass jetzt auch Menschen mit wenig Klettererfahrung wie ich auf dem schmalen, aber gut gesicherten Weg die tollen Aussichten genießen können.

Imposante Ausblicke gibt es unterwegs zuhauf – auf die Mosel, auf die Weinberge, auf die Orte im Tal und auf die Ruine des Klosters Stuben, ein im 12. Jahrhundert gegründetes „Augustinerinnenkloster für Jungfrauen und Witwen adligen Standes“. Damals stand das Kloster auf einer Insel; die Schwestern hießen „sorores de insula beati Nicolai in Stuppa“, also Schwestern auf der Sankt-Nikolaus-Insel in Stuben, weil die Klosterkirche dem Heiligen Nikolaus geweiht war. Der Name des Klosters kommt von den Stupa bzw. Stuba, den ‚heizbaren Stuben‘ oder ‚kleinen Häusern‘, in denen die Schwestern wohnten (http://www.calmont-region.de/index.php/kultur-geschichte-klosterstuben).

Apropos Namen. Der Name Calmont kann laut Wikipedia entweder vom lateinischen calidus „warm“ und mons „Berg“ oder vom keltischen kal „hart“ abgeleitet werden. Ob warmer Berg oder Felsenberg – der Calmont macht beiden Namen alle Ehre. Der Weg war steinig und schweißtreibend, Letzteres weil er nicht nur kontinuierlich bergauf, sondern auch über einen Südhang führt, wo die Sonne mittags brennt, wenn sie denn scheint. Das tat sie an diesem Nachmittag glücklicherweise, weil der Boden nach dem Regen am Morgen schnell abtrocknete. Wenn es regnet und/oder der Weg nass ist, kann es rutschig werden. Dann hätte ich meine Wanderung sicher verschoben.  

Der Klettersteig endet in Bremm; kurz vorher bin ich in Richtung Gipfelkreuz abgebogen. Das zwölf Meter hohe Kreuz steht aber nicht auf dem Calmont-Gipfel, sondern acht Meter tiefer, auf nur 372,5 Meter Höhe, und 665 Meter davon entfernt. Doch das habe ich erst nachträglich gelesen.

Vom sogenannten Gipfelkreuz führt der Höhenweg zurück nach Ediger-Eller, vorbei an einem römischen Bergheiligtum aus dem 2. bis 4. Jahrhundert, das seit 2005 ausgegraben und rekonstruiert wurde, und am Vier-Seen-Blick. Der Rückweg durch den Wald war weitgehend flach – doch am Ende bewahrheitete sich, dass man bei einem Rundweg genauso viele Meter bergab wie bergauf gehen muss – und umgekehrt. Als an einer Weggabelung zwei Wege zur Wahl standen – ein etwa fünf Kilometer langer durch das Tal des Ellerbachs und der weitaus kürzere, aber steile Moselsteig – habe mich für den Moselsteig entschieden. So konnte ich auf dem letzten Kilometer bis zum Bahnhof von Eller noch einmal schöne Ausblicke auf die Mosel genießen, auch wenn mein rechtes Knie heftig protestierte.

Die Fahrt nach Ediger-Eller lohnt übrigens nicht nur wegen des Klettersteigs am Calmont. Ediger und Eller sind wirklich hübsche Dörfer mit kopfsteingepflasterten Gassen, künstlerisch bedeutenden, leider veschlossenen Kirchen, ehemaligen Kloster- und Adelshöfen und vielen denkmalgeschützten Fachwerkhäusern, die teilweise schon im 16. Jahrhundert gebaut wurden.

Und mitten im historischen Ortskern von Eller habe ich in einem Gasthaus, das gerade renoviert wird, einen Co-Working-Space entdeckt. Neues Arbeiten in altem Gemäuer. Stehen geblieben ist die Zeit dort nicht. Im Jahre 2010 wurde Ediger-Eller beim Dorferneuerungswettbewerb als einer der zukunftsfähigsten Orte Deutschlands ausgezeichnet.

Co-Working-Space: Neues Arbeiten im alten Gemäuer im historischen Ortskern von Ediger-Eller

Monatsrückblick Juli 2023

Schon lange denke ich darüber nach, regelmäßig am Ende eines Monats bzw. am Anfang des nächsten einen Monatsrückblick zu schreiben. Jetzt ist eine gute Gelegenheit, damit anzufangen. Los geht’s also.

Der Juli begann mit einer guten Nachricht. Ein „zystenartiges Gebilde“ in meiner Bauchspeicheldrüse hat sich bei näherer Betrachtung mittels Endosonografie als harmlose Zyste erwiesen. Darüber, dass es kein Tumor ist, bin ich natürlich sehr erleichtert. Denn mit ihrer Bauchspeicheldrüse legt frau sich besser nicht an, wie meine Freundin Sabine feststellt.

Eins ist mir in den Wochen, in denen ich auf die Untersuchungen wartete, bewusst geworden: Die Zeit, die mir bleibt, ist sehr endlich. Dass ich so gesund und noch so fit bin, ist ein Geschenk – andere haben weit weniger Glück. Und wer weiß, wie lange das Glück anhält. Meine Eltern sind zwar beide recht alt geworden – mein Vater 86, meine Mutter 95 Jahre -, aber das ist keine Garantie für ein langes Leben.

Auch diese Erfahrung hat mich in meiner Entscheidung bestärkt, keine neuen (Schreib)Aufträge mehr anzunehmen. Ich möchte ab jetzt mehr das tun, was ich möchte, nicht das, was andere von mir wollen. Nein zu sagen, fällt mir nicht leicht, aber ich mache Fortschritte und folge immer häufiger dem Rat meiner Tochter: „Do more of what makes you happy.“ So habe ich gestern (ok, das war schon im August) ganz heroisch einen neuen Auftrag abgelehnt.

Eine Woche nach meinem Kurzaufenthalt im Krankenhaus war ich zum ersten Mal in meinem Leben in den Alpen. Über das Schreibwanderwochenende mit Dorothee Köhler und Cilli Bauer in Bad Hindelang habe ich ja schon in diesem Blog geschrieben (https://timetoflyblog.com/das-schreiben-ist-der-wanderin-lust). Die Landschaft hat mich wirklich beeindruckt und die Wanderungen, die wir unternommen haben, lechzen nach mehr. Ich werde sicher wieder in die Alpen fahren, wenn nicht in diesem, dann im nächsten Jahr.

Eins ist klar: Wenn ich die Alpenüberquerung zu Fuß schaffen will, muss ich vorher üben, sprich, regelmäßig wandern. Mit meiner Kollegin Foe habe ich die erste Etappe des Harzer Klosterwanderwegs zurückgelegt, der vom ehemaligen Kloster Neuwerk in Goslar bis zur Klosterkirche St. Marien auf dem Münzenberg in Quedlinburg führt. Die drei ehemaligen Klöster auf der Strecke von Goslar nach Vienenburg – Neuwerk, Grauhof und Wöltingerode – waren sehenswert, auch wenn sie längst keine Klöster mehr sind. Vor allem die Klostergärten haben mir gefallen.

Ob wir den Klosterweg weiter wandern werden, weiß ich nicht. Denn er führte oft über Wirtschaftswege, die Strecke war flach – es gab im wahrsten Sinne des Wortes wenige Höhepunkte. Und auch die nächsten Etappen führen nicht durch den Harz, sondern meist an seinem Rand entlang. Wahrscheinlich werde ich doch eher zuerst auf dem Hexenstieg den Harz von West nach Ost – von Osterode nach Thale – durchqueren.

Bei einem weiteren Kurztripp habe ich noch ein Kloster, Kloster Wienhausen, besucht. Diesmal war ich nicht mit Öffis, sondern mit dem Wohnmobil unterwegs. Und zum ersten Mal bin ich selbst gefahren. Ich fahre nicht gerne Auto, mein Mann ist nicht gerne Beifahrer. Und so hat sich die Rollenverteilung wie von selbst ergeben. Aber das ist natürlich keine Dauerlösung, vor allem auf längeren Strecken macht ein Fahrerwechsel Sinn. Die Fahrt zum Campingplatz Allerstrand war zwar nur kurz, aber ziemlich kurvig und anspruchsvoll. Und wir, mein Mann, unser Auto und ich, haben die Fahrt heil überstanden.

Der Campingplatz Allerstrand ist klein, ruhig und liegt, wie der Name schon sagt, direkt an der Aller. Wir haben zwei wirklich erholsame Tage verbracht, haben viel gelesen und sind natürlich gepaddelt. Es macht riesigen Spaß, mit Paula blue über das Wasser zu gleiten und die Landschaft aus einer anderen Perspektive zu erleben. Paula blue verdankt ihren Namen übrigens Paula Modersohn-Becker und der Tatsache, dass wir vor gut einem Jahr – im Mai 2022 – auf der Hamme bei Worpswede unsere erste Fahrt gemacht haben (https://timetoflyblog.com/camping-kajak-und-kunst).

Mit den Rädern sind wir nach Wienhausen gefahren: Das Kloster habe ich diesmal nicht besichtigt, das werde ich beim nächsten Mal wieder tun. Denn unser erster Aufenthalt am Allerstrand wird nicht der letzte sein.

Kloster Wienhausen

Geschwommen bin ich übrigens auch – und weil es mir viel Spaß gemacht hat, habe ich mir, wieder zurück in Burgwedel, eine Zehnerkarte fürs Schwimmbad gekauft. Ich war inzwischen sogar schon zweimal dort, obwohl ich eigentlich lieber in Seen, Flüssen oder im Meer schwimme. Wenn wir demnächst an die Mosel fahren, habe ich dazu ja wieder Gelegenheit.

Apropos Mosel: Meine Eltern, die die meiste Zeit ihres Lebens dort gelebt haben, sind beide im Juli gestorben: mein Vater am 3. Juli 2010, meine Mutter vor vier Jahren, am 31. Juli. Seither steht ihre Orchidee auf meiner Fensterbank – neben dem  Bärenpärchen, das meine Tochter meinen Eltern zur Goldenen Hochzeit geschenkt hatte.

Blick zurück nach vorn

Letzte Woche habe ich die beiden letzten Artikel für eine Zeitschrift abgegeben, die ich einige Jahre als verantwortliche Redakteurin betreut habe, heute dann die gestalteten Seiten korrigiert. Jetzt ist dieses Kapitel abgeschlossen. Ich habe vier Jahrzehnte lang mit Schreiben meinen Lebensunterhalt verdient. Jetzt nehme ich keine Schreibaufträge mehr an, sondern schreibe „nur noch“, was mir gefällt. Blogbeiträge wie diesen zum Beispiel.

Ist es Zufall oder ein Zeichen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, aufzuhören? Vor genau 40 Jahren, im August 1983, habe ich ein Praktikum im Verlag Heinen, einem kleinen Verlag an der Mosel, begonnen. Das war zwar unbezahlt, aber ich war trotzdem überglücklich. Denn ich wollte auf keinen Fall Lehrerin werden – und Jobs in Verlagen damals waren rar und heiß begehrt. Ohne Praktika oder Kontakte hatte frau keine Chance, den Einstieg ins Verlagswesen oder bei einer Zeitung zu schaffen.

Auch mir hat damals ein Bekannter geholfen: Wir hatten ein paar Jahre zusammen in einer Leichtathletikgruppe trainiert und uns dann während meines Studiums aus den Augen verloren. Bei einem Weinfest trafen wir uns wieder und kamen ins Gespräch: Er erzählte mir, dass er Geschäftsführer eines Verlags sei, ich ihm, dass ich eine Stelle in einem Verlag suchte. So hat alles angefangen.

Ich bin dann wieder zurück in meinen Heimatort gezogen, denn aus dem Praktikum wurde nach drei Monaten ein bezahltes Volontariat. Gelernt habe ich in dem Verlag viel, vor allem „by doing“. Ich war von Anfang an für eine Buchreihe zuständig und habe nicht nur Texte lektoriert, sondern auch viele selbst geschrieben und für die Bücher fotografiert. Drei Jahre lang habe ich an der Mosel gearbeitet und gelebt – wahrscheinlich in dieser Reihenfolge wie so oft, vielleicht allzuoft, in meinem Leben. Dann bin ich der Liebe wegen in den Norden gezogen und habe beruflich neu angefangen.

Meine Erfahrung im Verlag hat mir nach dem Umzug Türen geöffnet. Die vier Bücher, an denen ich als Autorin und Fotografin mitgearbeitet hatte, haben bei Bewerbungen beeindruckt. Trotzdem war die Chance, eine feste Stelle zu finden, als Mutter eines kleinen Kinden gleich null: Krippenplätze gab es damals in meinem neuen Wohnort noch nicht, den ersten Kindergartenplatz bekam meine Tochter mit dreieinhalb Jahren in der Nachmittagsgruppe: Betreuungszeit von 14 bis 17 Uhr. Aber wenn ich wirklich einmal erst um 17 Uhr kam, um Nele abzuholen, erntete ich böse Blicke. Ich hatte als einzige Mutter in meinem Bekanntenkreis meinen Beruf nicht aufgegeben und galt als Rabenmutter, weil ich lieber arbeitete, statt mich um mein Kind zu kümmern. Und ich überließ seine Betreuung „Fremden“, wenn ich Termine hatte oder am Schreibtisch saß – gelegentlich meinen Eltern oder meiner Nachbarin, deren Tochter mit meiner befreundet war, meist aber meinem Mann, also Neles Vater.

Natürlich hatte ich ein schlechtes Gewissen. Dass es eigentlich ein Kompliment, eine Rabenmutter zu sein, wurde mir erst später bewusst. Raben sind nämlich nicht nur sehr intelligent, sondern auch ausgesprochen gute Eltern: Sie kümmern sich sehr lange und intensiv um ihren Nachwuchs; bis zu vier Jahre bleiben die kleinen Raben im Nest und lernen von ihren Eltern in dieser Zeit auch komplexe Dinge (https://www.ardalpha.de/wissen/natur/tiere/intelligenz-kraehen-raben-rabenvoegel-voegel-100.html). Außerdem betreuen Rabenväter und -mütter die Kleinen oft gemeinsam, sind also ein Vorbild in Sachen partnerschaftliche Arbeitsteilung und in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Solche Vorbilder braucht es in der Menschenwelt noch immer, auch wenn sich bei der Kinderbetreuung und in der Einstellung zur Erwerbstätigkeit von Müttern in Deutschland vieles geändert hat. Seit zehn Jahren haben Kinder ab dem ersten Geburtstag das Recht auf einen Betreuungsplatz, aber nicht alle bekommen einen. Nach einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (https://www.bib.bund.de/Publikation/2022/pdf/15-Jahre-Elterngeld-Erfolge-aber-noch-Handlungsbedarf.pdf?__blob=publicationFile&v=2) arbeiten inzwischen mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Mütter mit Kindern unter drei Jahren. Viele Väter nehmen Elternzeit, die meisten der Studie zufolge allerdings nur zwei Monate – und fast immer zusammen mit ihren Partnerinnen. Dass Väter ein ganzes Jahr aus dem Beruf aussteigen und sich hauptberuflich um Haushalt und Kinder kümmern, ist immer noch die Ausnahme. Der Fortschritt ist halt (manchmal) eine Schnecke. Und womöglich dauert es noch einmal vierzig Jahre, bis sich Väter und Mütter die Familien- und Erwerbsarbeit wirklich partnerschaftlich teilen.

Aber vielleicht gelingt der Wandel ja auch schneller. Denn die Arbeitsbedingungen haben sich in vielen Berufen – auch in meinem – rasant geändert. Zwar schrieben wir unsere Texte schon in den 1980-Jahren am Computer, doch sie wurden im Vor-Internet-Zeitalter noch auf Disketten gespeichert und in die Lithoanstalt gebracht oder geschickt. Die dort gefertigten Schwarz-Weiß-Filme montierte mein Kollege, gelernter Schriftsetzer, von Hand mit den Vierfarb-Lithos der Fotos zu (druck)fertigen Seiten. Bei nachträglichen Korrekturen mussten neue Filme gezogen und in die Seiten einmontiert werden – ein ziemlich arbeits- und kostenaufwendiger Prozess. Fotos nachträglich auszutauschen, war für uns völlig tabu. Ein Vierfarb-Litho von einem etwa 10 x 15 cm großen Foto kostete damals rund 400 DM – viel Geld für einen kleinen Verlag mit einem begrenzten Budget.

Längst gebe ich meine Texte selbst in das Layoutprogramm ein und korrigiere die gestalteten Seiten – von meinem Computer zu Hause oder wo immer ich gerade bin. Und auch Fotos können heute ohne großen Aufwand getauscht, vergrößert oder verschoben werden. In manchen Verlagen gestalten die RedakteurInnen die Seiten, Zeitschriften oder ganze Bücher selbst und übernehmen „nebenbei“ viele organisatorische und administrative Aufgaben. Zum Schreiben und zum Redigieren bleibt ihnen oft nur noch wenig Zeit, zu wenig, wie manche bedauern. Und vielleicht übernehmen das Texten in Zukunft künstliche Intelligenzen.

Ich bin gespannt, wo die Reise hingeht, aber ich bin froh, dass ich es ab jetzt von außen beobachten kann. Ich habe die Entscheidung gegen die Schule, für den Journalismus nie bereut. Ich wäre keine gute Lehrerin geworden, aber ich war eine recht gute Journalistin – und ich war es gerne. Recherchieren und schreiben haben mir immer Spaß gemacht – es war für mich mehr als ein Job und ich werde es weiter tun. Aber vier Jahrzehnte „Lohnschreiberei“ sind genug – ich freue mich, dass ich künftig schreiben kann, was und für wen es mir gefällt. Zum Beispiel für die LeserInnen meines Blogs.

Das Schreiben ist der Wanderin Lust

„Schreibst du mal wieder einen Blog“, fragte mein Mann am Sonntag. Und als kurz danach Dorothees Mail mit dem Link zu den gesammelten Fotos unserer Wandergruppe und zu ihrem Blogbeitrag (https://wandernundschreiben.de/rueckblick-zeit-fuers-ich-schreibwanderungen-im-allgaeu/) in meinem E-Mail-Postfach landete, war klar, dass ich – endlich – selbst über das Schreibwanderwochenende in Bad Hindelang schreiben musste.

Ich bin noch nie im Hochgebirge gewandert, möchte aber irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft die Alpen zu Fuß überqueren. Das von Schreibtrainerin Dorothee Köhler und Wanderführerin Cilli Bauer angebotene Schreibwanderwochenende war daher eine gute Gelegenheit, meine Alpentauglichkeit zu testen. Die Anforderungen – drei bis vier Stunden Gehzeit und bis zu 500 Höhenmeter im Aufstieg pro Tag mit (Schreib)Pausen zwischendurch – schienen machbar und waren es auch.

Die Kombination von Schreiben und Wandern (https://timetoflyblog.com/wandern-und-schreiben) hat mich natürlich ebenfalls gereizt. Während ich erst regelmäßig wandere und walke, seit ich wegen meiner Knie – genau genommen wegen des rechten – nicht mehr laufen kann, schreibe ich seit einem halben Jahrhundert. Und wenn ich wandere oder auch nur spazieren gehe, habe ich mein Notizheft, mein Tage- und mein Skizzenbuch immer dabei.

Immer dabei: ein Notiz- und Schreibheft

In den Alpen war ich bislang noch nie; ich bin nur auf dem Weg nach Italien mit dem Auto durch das Gebirge gefahren. Die Tage in Bad Hindelang waren für mich also eine Premiere – und zwar eine gelungene. Meine erste Wanderung in den Alpen wird, das habe ich mir fest vorgenommen, nicht die letzte sein.

Mit 300 Kilometern gut ausgeschilderten Wanderwegen ist Bad Hindelang, im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen gelegen, ein sehr guter Ausgangspunkt für Wanderungen. Und die Ausblicke sowohl von der Terrasse unserer Unterkunft, der Jugendbildungsstätte des Deutschen Alpenvereins im Hindelanger Ortsteil Bad Oberndorf, als auch bei unseren Wanderungen haben mich wirklich beeindruckt. Ich hätte stundenlang schauen können.

Auseinanderhalten konnte ich die vielen Gipfel jedoch nicht, obwohl sich Cilli Bauer redlich bemühte, uns die Umgebung zu erklären. Sie war für Technik- und Ausrüstungstipps zuständig, Dorothee Köhler für die Schreibimpulse während und nach den Wanderungen. Die Touren, die beide gemeinsam ausgesucht haben, waren landschaftlich toll – und trotzdem selbst für eine kniegeschädigte Flachländerin wie mich gut zu bewältigen. Wir sind am ersten Tag zum Schleierfall und zum Wildfräuleinstein gewandert, am zweiten dann durch den Hirschbachtobel auf den 1.479 Meter hohen Hirschberg gestiegen.

Wo die wilden Frauen wohnen: der Wildfräuleinstein

Noch höher hinaus – aufs 1.655 Meter hohe Imberger Horn – ging es am Sonntag, dem leider letzten Wandertag. Die meisten der insgesamt 800 Höhenmeter haben wir allerdings nicht zu Fuß zurückgelegt, sondern mit Hornbahn, einer Gondelbahn, die in Bad Oberndorf beginnt und auf 1.314 Meter endet.

Ich war in unserer Gruppe nicht nur die älteste Teilnehmerin, sondern auch die einzige ohne Wandererfahrung im Hochgebirge. Doch meine Kondition ist dank jahrelangem Ausdauertraining, durchschnittlich (fast) 10.000 Schritten täglich und gelegentlichen Wanderungen mit meiner Tochter noch recht gut. Beim Bergauf-Gehen hatte ich selbst in steilen Passagen gar keine Probleme; ich bin, wie mein früherer Schwager behauptete, (immer noch) klein, wetterfest und geländegängig. Temperaturen über 25 Grad machen mir, anders als vielen anderen, nichts aus. Und gegen schmerzende Knie beim Bergab-Gehen halfen meine Wanderstöcke und Cillis Techniktipps.

Und so bin ich, was die Alpenüberquerung angeht, recht optimistisch. Mit ein bisschen Training kann ich es sicher schaffen. Weil aber weder mein Mut noch mein Orientierungsvermögen und meine Erfahrung ausreichen, um eine so lange und wohl auch schwierige Strecke alleine zu bewältigen, kommt für mich eigentlich nur eine geführte Wanderung in Frage.

Aber ich bin, auch das ist ein Fazit des Schreibwanderwochenendes, nur bedingt wandergruppentauglich. Dass unsere Gruppe in Hindelang – acht Frauen und ein Mann – in der kurzen Zeit zusammengewachsen ist und so gut harmonierte, lag sicher auch daran, dass wir alle nicht nur wandern, sondern auch schreiben wollten. Die gemeinsamen Interessen verbinden. Doch so viel Rücksicht aufeinander gibt es vielleicht nicht in jeder Gruppe.

Aber die Begleitung muss stimmen. Denn es ist es für mich gerade bei längeren Wanderungen wichtig, mein eigenes Tempo zu finden: Bergauf gehe ich gerne schneller, bergab darf oder muss es dann auch wegen meiner Knie etwas langsamer sein. Irgendwo zu warten, macht mir nichts aus, im Gegenteil: Ich nutze solche Pausen gerne, um zu schreiben, zu zeichnen, zu lesen oder einfach nur nachzudenken. Schwieriger ist es für mich, wenn ich das Gefühl habe, dass alle anderen auf mich warten müssen. Deshalb suche ich jetzt nicht nur nach einer schönen, nicht allzu überlaufenen Route, sondern auch nach einer passenden (Klein)Gruppe resp. Mitwanderinnen.

Aber manchmal geschehen ja bekanntlich hilfreiche Dinge wie von selbst, wenn wir uns ein Ziel setzen, einen Traum oder ein Projekt verwirklichen wollen. Und vielleicht landet ja demnächst wieder – wie schon im Februar – eine Einladung zu einer Wanderung in meinem elektronischen Postfach. Diesmal für eine längere.