In Florenz

Als der französische Schriftsteller Marie-Henry Beyle, besser bekannt unter dem Namen Stendhal, 1817 Florenz besuchte, war er überwältigt: „Ich befand mich bei dem Gedanken, in Florenz zu sein, und durch die Nähe der großen Männer, deren Gräber ich eben gesehen hatte, in einer Art Ekstase“, schrieb er in seinem Buch „Reise in Italien“. „Als ich Santa Croce verließ, hatte ich starkes Herzklopfen; in Berlin nennt man das einen Nervenanfall; ich war bis zum Äußersten erschöpft und fürchtete umzufallen.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Stendhal-Syndrom).

So wie Stendahl geht es immer wieder TouristInnen, die die Stadt besuchen, die zu Zeiten der Medici das Macht- und Kunstzentrum war und als „Wiege der Renaissance“ gilt. Sie bekommen Herzrasen, Bauchschmerzen oder Panikattacken, manche fallen sogar in Ohnmacht (https://www.gesund-vital.de/stendhal-syndrom/) – alles Symptome des  sogenannten Stendhal-Syndroms, das wohl erstmals Ende der 70er-Jahre von der italienischen Psychologin Graziella Magherini beschrieben und nach dem französischen Schriftsteller benannt wurde. Betroffen sind vor allem junge, unverheiratete, alleinreisende Frauen aus Nordeuropa und den USA.

Bei mir, nicht zur besonders gefährdeten Gruppe gehörend und zudem bekennender Kunstbanause, löste Florenz keine psychosomatischen Symptome aus. Unbehagen bereitete mir auf der Fahrt nach Florenz lediglich die Frage, welche der unzähligen Museen ich besuchen, welche Kunstwerke ich mir anschauen sollte. Weil sich unsere Reise verschoben hatte, erledigten sich die Überlegungen dann von selbst. Kombi-Tickets zu buchen, war so kurzfristig nicht mehr möglich. Und als ich die Schlangen vorangemeldeter! BesucherInnen vor den Uffizien, der Galleria dell’Academia oder dem Dom sah, war mir klar, dass ich die kurze Zeit in Florenz nicht damit verbringen wollte, mit hunderten anderer Menschen auf Einlass zu warten und dann im Pulk an Kunstwerken vorbeizudefilieren.

Ich beschränkte mich also darauf, durch die historische Innenstadt zu spazieren, die eigentlich ein großes Freiluftmuseum ist und 1982 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Ich ließ mich treiben, schlenderte durch die Gassen und über die Plätze, die wohl schon zu Zeiten Dantes, Michelangelos und Galileo Galileis ähnlich ausgesehen haben. Palazzo Vecchio, Galleria Degli Uffizi, Palazzo Pitti, Dom und die meisten anderen Sehenswürdigkeiten, deren Besichtigung für kunst- und kulturinteressierte Menschen eigentlich ein Muss ist, konnte ich nur von außen bewundern. Und auch Michelangelos David habe ich nicht im Original, sondern nur als Kopie gesehen – auf der Piazza della Signoria und, etwas weniger umlagert, weil früher am Morgen und etwas außerhalb des Stadtzentrums gelegen, auf dem Piazzale Michelangelo.

Ich war, ich gestehe es, nur in einem einzigen Museum, im Museum Dante, für das sich außer mir kaum jemand interessierte, obwohl es in der Innenstadt liegt. Auch die Basilica Santa Croce mit den Grabmälern von Machiavelli, Michelangelo, Galileo Galilei und Gioachino Rossini und Gedenkstätten für andere berühmte Italiener habe ich besichtigt.

Ja, ich war beeindruckt, aber spätestens in der unter anderem mit Fresken von Giotto prächtig ausgestatteten Kirche wurde mir klar, dass meine Entscheidung gegen die Besichtigungstour durch Kirchen und Museen richtig war: Ich bin kein Fan der Renaissance-Kunst, ich mag sie, so genial sie auch sein mag, nur wohldosiert, in Maßen. 50 Säle mit mehr als tausend Renaissancekunstwerken in den Uffizien wären einfach zu viel (des Guten) gewesen. Und wenn auch (manche) ExpertInnen die Werke von Michelangelo, da Vinci, Tiziano, Boticelli, Tintoretto, Cranach und Co für die einzig (wahre) Kunst halten, bevorzuge ich modernere Bilder und Skulpturen. Deshalb bedaure ich es im Nachhinein ein bisschen, dass ich nicht im Museo Novecento, dem Museum italienische Kunst des 20. Jahrhunderts, war. Aber aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben.

Gefallen haben mir die Blicke in die vielen kleinen Ateliers, Galerien und Ausstellungen abseits der vielbesuchten Gassen und Plätze …

… und natürlich die beiden Gärten, die ich auf dem Weg ins und aus dem Zentrum entdeckt habe: den Giardino delle Roses unterhalb der Piazzale Michelangelo und den bekannteren Giardino Bardini, der damit wirbt, der Garten mit dem schönsten Blick auf Florenz zu sein.

Der Blick vom Giardino Bardini auf Florenz ist wirklich traumhaft. Und im Giardino delle Roses fand ich neben dem Blick auf Florenz die Mischung aus Pflanzen und Skulpturen des belgischen Bildhauers Folon toll. Leider blühten von den 400 Rosensorten, die es im Giardino delle Roses geben soll, erst wenige. Ein paar Wochen später ist es hier sicher noch schöner, aber gewiss auch nicht mehr so ruhig. Ich war an jenem Morgen die einzige Besucherin im Garten.

Die schönsten Orte waren für mich die, wo ich die Stadt von außen betrachten konnte. „Zu viel Prunk, zu viel Kultur – und vor allem: zu viele Menschen“, habe ich in meinem Art Journal notiert. Und obwohl man diversen Reiseführern zufolge mindestens drei Tage nur für die wichtigsten Sehenswürdigkeiten braucht, sind wir schon nach zwei Tagen weitergefahren, an ebenso schöne, aber etwas ruhigere Orte. Florenz mag vielleicht die Wiege der Renaissance und eine der schönsten Städte der Welt sein; meine Stadt ist es nicht – und leben könnte ich dort gewiss nicht.

Italienische Reise, Teil I

Wir sind wieder da. Zurück aus Italien, genau drei Wochen, nachdem wir – später als eigentlich geplant – losgefahren sind. Und auch die Tourplanung hat sich unterwegs geändert. Ich habe Venedig von der Liste der Etappenziele gestrichen. Nicht nur, weil wir nach drei Wochen wieder zu Hause sein mussten. Sondern auch, weil mir in Florenz klar wurde, dass ich die Stadt nur richtig genießen kann, wenn ich dort übernachte und sie besichtigen kann, bevor morgens Tausende Touristen von außen hineinströmen und nachdem sie abends wieder verschwinden. Aber das ist ja der Vorteil vom Reisen mit dem Wohnmobil: Man muss, zumindest wenn man wie wir nicht in der Hauptsaison verreist, nichts lange im voraus buchen. Man kann an einem Ort länger bleiben oder eben auch früher wieder abreisen. Oder eben (vorerst) gar nicht hinfahren.

Fast 3.200 Kilometer sind wir in drei Wochen gefahren, die meisten – jeweils rund 500 Kilometer – an den insgesamt vier An- und Abreisetagen nach Italien und wieder zurück nach Deutschland. Die meisten Etappen unserer Rundreise durch die Toskana waren vergleichsweise kurz: Neben Florenz standen Lucca, Pisa, Siena, Arezzo und Pieve Santo Stefano auf meinem Programm. Am Anfang und zwischendurch gab‘s auch ein paar „Erholungstage“ am Wasser: Auf der Hinfahrt waren wir drei Tage am Gardasee, zwischendrin drei Tage am Meer, in Vada, einem kleinen Ort bei Livorno an der Maremma-Küste. 

Beim Reisen mit dem Wohnmobil entdeckt frau manche Orte, die sie sonst nie kennenlernen würde. Greding zum Beispiel, das mein Mann eigentlich nur wegen des Stellplatzes direkt an der Autobahn ausgesucht hatte. Wie hübsch der Ort ist, habe ich erst auf der Rückfahrt entdeckt. Laut Wikipedia gibt es in der mittelfränkischen Stadt 154 Baudenkmäler (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Baudenkmäler_in_Greding#Stadtbefestigung), zum Beispiel die noch fast vollständig erhaltene ehemalige Stadtmauer mit zahlreichen kleinen Wehrtürmen. Oder den Marktplatz mit dem Rathaus und vielen anderen gut restaurierten Gebäuden aus dem 17. bis 19. Jahrhundert.

Auch in Vada sind wir wegen des Campingplatzes gelandet. Der liegt nämlich – anders als viele andere Campingplätze in der Gegend – direkt am Meer. Und für unser Wohnmobil gab es einen Platz in der ersten Reihe, nur durch eine Düne vom Strand getrennt. Der Strand mit dem sehr hellen Sand gilt als einer der schönsten in der Toskana und soll aussehen wie die Strände in der Karibik – was ich nicht bestätigen kann, weil ich noch nie in der Karibik war.

Dass die Abwässer einer Sodafabrik, die früher wohl auch Schwermetalle wie Quecksilber und Arsen enthalten haben, den Sand ausgebleicht haben sollen, wusste ich nicht. (https://www.reisereporter.de/reiseziele/europa/italien/toskana/italien-weisser-traumstrand-in-vada-industrieabfall-ist-schuld-Z5CEJ2PA7WJLZ33264IV4FEOT4.html). Angeblich soll der abgelassene Schlamm jetzt unbedenklich sein. Doch im Nachhinein bin ich froh, dass ich nicht im Meer gebadet habe, sondern nur durch das Wasser gewatet bin. Meine Füße werden es wohl verkraften. Die vielen Kiter und Windsurfer, die stundenlang übers Wasser jagten und auch manches Mal hineinfielen, scheinen sich über die Wasserqualität keine Gedanken zu machen – oder sie sind genauso ahnungslos, wie ich es war, bevor ich diesen Blogbeitrag geschrieben habe.

Gefährlich bleich – der weiße Strand bei Vada?

Im Gardasee sollen die „nach strengen Richtlinien der EU untersuchten Wasserproben … auch in diesem Jahr eine hervorragende Qualität“ aufweisen (https://www.gardasee.de/news/wasserqualitaet). Aber obwohl es südlich der Alpen schon frühlingshaft warm war, habe ich mich – zugegebenerweise – auch hier mit dem Blick aufs Wasser begnügt: bei Spaziergängen am Seeufer zwischen Bardolino und Garda, bei meiner ersten Fahrt mit einem Riesenrad oder auch beim Yoga auf dem Steg.

In den nächsten Tagen folgen weitere Beiträge und Fotos von unserer italienischen Reise.

Hauptsache Lesen

E-Book oder richtiges Buch, das war für mich lange keine Frage. Ich bin ein großer Fan gedruckter Bücher – und ich werde es sicher auch bleiben. Digitale Bücher waren für mich eigentlich immer nur Notlösungen. Ich habe sie gekauft oder geliehen, wenn ich verreist bin und sicher gehen wollte, dass mir der Lesestoff nicht ausgeht. Oder wenn mir die Printversion eines Buchs zu teuer war.

Doch meine Einstellung ändert sich allmählich. Immer häufiger entscheide ich mich aus Überzeugung bzw. aus ganz praktischen Gründen für die digitale Variante. Ich gehöre nämlich zu den Menschen, die in den Büchern, die sie lesen, Spuren hinterlassen. Ich unterstreiche Dinge, die mir wichtig sind, notiere Anmerkungen am Rand oder Zitate auf Karteikarten, die dann leider manchmal verloren gehen.

Markieren und Notieren geht bei E-Books natürlich auch – aber im E-Book kann ich alles wieder spurlos löschen, wenn ich möchte. Was aber viel entscheidender ist: Seit ich einen neuen E-Book-Reader habe, kann ich Markierungen und Notizen mit wenigen Befehlen an meinen Computer senden und die Datei weiterbearbeiten. Weil ich mir einen Arbeitsgang spare, sind E-Books für mich immer öfter erste Wahl, wenn ich ein Buch nicht nur lesen, sondern auch darüber schreiben möchte, wie zum Beispiel letztens über „Ein Zimmer für sich allein“ von Virginia Woolf.

Weit über 100 Bücher im handlichen Taschenbuchformat

Einmal gekauft und abgespeichert, habe ich die Bücher immer dabei – im handlichen Tachenbuchformat, ohne zentnerweise Papier mit mir rumschleppen zu müssen. Und während ich manchmal gefühlt stundenlang in meinen Bücherregalen nach einem bestimmten Buch suche, finde ich meine E-Books problemlos wieder. Das liegt nicht nur daran, dass meine digitale Bibliothek noch recht überschaubar ist. Mein E-Book-Reader ist zugegebenerweise einfach viel ordentlicher und systematischer als ich. Er ordnet Bücher nie falsch ein und auf Knopfdruck sortiert er sie in Sekundenschnelle neu – wahlweise nach Titel, Autor, Aktualität oder vielleicht auch nach anderen Kriterien, die ich bislang nicht entdeckt habe.

Dass ich E-Books im Dunkeln lesen kann, ohne Licht zu machen, ist – gerade wenn wir mit dem Wohnmobil unterwegs sind und auf engem Raum zusammenleben – ein weiterer Vorteil. Wenn ich wach werde, kann ich lesen, ohne Licht zu machen und meinen Mann zu stören. Außerdem sind die elektronischen Buchläden rund um die Uhr geöffnet – auch an Sonn- und Feiertagen. Und so kann ich mir heute, am Welttag des Buches, selbst ein Buch schenken. Schließlich geht der 1995 von der UNESCO eingerichtete Aktionstag für das Lesen, für Bücher und für die Rechte von Autoren auf die katalanische Tradition zurück, am Namenstag des Heiligen St. Georg Rosen und Bücher zu verschenken. Der 23. April ist übrigens nicht nur der Georgstag, sondern laut Wikipedia auch das (vermutete) Geburts- sowie das Todesdatum von William Shakespeare, von Miguel de Cervantes sowie der Geburtstag des isländischen Literaturnobelpreisträgers Halldór Laxness (https://de.wikipedia.org/wiki/Welttag_des_Buches).

Welches Buch ich mir herunterladen werde, weiß ich noch nicht. Vielleicht eines meiner Lieblingsbücher, Fahrenheit 451 von Ray Bradbury. Der Roman spielt in einer totalitären Gesellschaft, in der Lesen verboten ist und Bücher, wenn sie entdeckt werden, verbrannt werden. Eine fürchterliche Vorstellung. Denn die Geschichte hat gezeigt, dass Heinrich Heine recht hatte, als er sagte: „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man irgendwann auch Menschen.“

Was für ein Glück, dass ich in einem Land lebe, in dem ich jedes Buch kaufen und lesen darf, das ich möchte. Ob digital oder ganz klassisch auf Papier ist eigentlich egal – Hauptsache Lesen.

Sind Nomen Omen?

Ist er wieder da? habe ich Ende März in einem Blogbeitrag gefragt. Inzwischen kenne ich die Antwort. Ja, er ist! Rip van Winkle, die Narzisse mit dem literarischen Namen, ist wieder aufgetaucht. Und zwar nicht nur eine, sondern sogar zwei Blüten. Allerdings nicht dort, wo ich sie vermutet habe, sondern etwa zwei Meter von der Stelle entfernt, an der ich die Zwiebeln eingepflanzt habe.

Natürlich wundert es mich nicht wirklich, denn schließlich ist die Narzisse nach einem bekannten Herumtreiber benannt: Nach Rip van Winkle, einem Bauern mit einer „unüberwindlichen Abneigung gegen alle Arten von erklecklicher Arbeit“, über den der amerikanische Schriftsteller Washington Irving eine Kurzgeschichte geschrieben hat (https://de.wikipedia.org/wiki/Rip_Van_Winkle).

Sind Nomen, also Namen, wirklich Omen, also Zeichen oder Programm, wie schon der römische Komödiendichter Plautus (um 250–184 v. Chr.) behauptet hat?

Davon, dass Namen etwas über die Persönlichkeit der TrägerInnen aussagen oder ihr Leben, zum Beispiel die Berufswahl, beeinflussen, sind manche NamensforscherInnen und PsycholgInnen überzeugt. So fand der Sozialpsychologe Brett Pelham laut Süddeutsche Zeitung bei der Auswertung von Namenslisten, Berufsverzeichnissen und Melderegistern heraus. dass Amerikaner, die George oder Geoffrey heißen, auffallend oft Geowissenschaflter werden. Dennis, Denise und Denny arbeiten angeblich überproportional häufig als Dentisten, also Zahnärzte; Lawrence und Laurie g in Rechtsberufen, wie es schon in ihren Namen (Law = Recht) anklingt (https://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-wie-der-name-unser-schicksal-praegt-1.691365-0).

Es soll sogar einen sogenannten Name-Letter-Effekt geben. Der wurde laut Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik 1985 vom belgischen Sozialpsychologen Joseph Nuttin definiert. Er behauptete, „dass der Anfangsbuchstabe des Vornamens eines Menschen allerlei Entscheidungen seines Lebens unbewusst beeinflussen würde. In seiner extremen Interpretation besagt der Name-letter-effect, dass selbst die Wahl des Wohnorts und von Lieblingsgetränkemarken, aber auch die Wahl von Freunden durch eine solche Sympathie für den Anfangsbuchstaben des Vornamens mitbestimmt wird“ (https://lexikon.stangl.eu/21573/name-letter-effekt). Allerdings ist umstritten, dass es den Effekt wirklich gibt; es könnte sich auch um eine statistische Fehlinterpretation handeln.

Mindestens ebenso fraglich ist, ob Eltern ihrem Kind mit dem ausgewählten Namen auch bestimmte Eigenschaften übertragen können, ob Felix oder Beate also besonders glücklich, Yilmaz besonders furchtlos ist. Nachgewiesen ist allerdings, dass bestimmte Namen bestimmte Assoziationen hervorrufen und Vorurteile erzeugen – positive wie negative. Vor allem Kevins haben es schwer. So stand in einem Fragebogen für eine Studie der Uni Oldenburg der Kommentar: „Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose!“ (https://www.presse.uni-oldenburg.de/mit/2009/390.html). Aber auch SchülerInnen, die Justin, Chantal oder Mandy heißen, gelten der Studie zufolge als verhaltensauffälliger und leistungsschwächer als beispielsweise Simon, Hannah oder Marie.

Apropos Marie: Auch ich heiße mit zweitem Namen Maria – wie (fast) alle Evas, die ich kenne. Es scheint, als hätten unsere Eltern mit diesem Zweitnamen ein positives Gegengewicht zum ersten schaffen wollen, der zumindest mit Blick auf die Geschichte von Adam und Eva nichts Gutes verhieß. Schließlich war Evas Ungehorsam der Grund (oder der Vorwand), warum die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden. Sie ließ sich von der Schlange verführen, pflückte und aß den Apfel vom Baum der Erkenntnis (wer würde das nicht), obwohl Gott es ausdrücklich verboten hatte. Und sie überredete auch Adam, gegen Gottes Gebot zu verstoßen.

Maria, die Mutter Jesus, tat dagegen, so erzählt es die Bibel, was Gott von ihr verlangte. Sie bekam ihren Sohn, obwohl sie nicht verheiratet war. Mit ihrem Gehorsam riskierte sie als ledige Mutter sicher Schimpf und Schande, und auch Josef, ihr Verlobter, hätte sie ja bekanntlich fast verlassen.

Einer Bekannten, die wie ich Eva Maria heißt, erzählten ihre Eltern, dass man sie Maria gerufen hätte, wenn sie eine ganz Brave gewesen sei. Das war sie wohl nicht, und so blieb sie Eva – ebenso wie ich. Und das ist gut so.

Betrachtet man die hebräische Bedeutungen der Namen, taugt Maria als braves Gegengewicht zur Eva im Übrigen nur bedingt. Denn Maria bedeutet nicht nur „Meeresstern“, „die Geliebte“ und „die Fruchtbare“, sondern auch „die Widerspenstige“ (https://www.vorname.com/name,Maria.html). Und neben der eher braven Gottesmutter Maria gibt es in der Bibel noch Maria Magdalena: Sie zählte laut Lukasevangelium zu den Frauen, die Jesus „von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte“. Sieben Dämonen sollen aus ihr ausgefahren sein, bevor sie dann treue Anhängerin Jesus wurde, für seinen Lebensunterhalt und den seiner Jünger sorgte und erste Zeugin seiner Auferstehung wurde (https://www.katholisch.de/artikel/14103-apostelin-mit-verruchtem-image). Und Eva heißt übersetzt „die das Leben gebende“ – eine durchaus positive Bedeutung also. So kann man sich irren.

Auch ich habe mich im März übrigens geirrt. Die unaufgeblühte Pflanze, die ich in meinem Blogbeitrag zeigt, war zwar eine Narzisse, aber sie war eben nicht Rip van Winkle. Vor ein paar Tagen sind endlich die Blüten zum Vorschein gekommen. Ihr Geheimnis hat sie allerdings nicht enthüllt. Denn ich habe sie gewiss nicht gepflanzt. Ich weiß also weder, woher sie kommt noch wie sie heißt.  Aber irgendwann werde ich es vielleicht erfahren. Und darüber berichten. 

Thema verfehlt?

Ich fürchte, ich bin ein ziemlich langweiliger, fantasieloser Mensch. Das ist mir wieder einmal bewusst geworden, als ich vergangene Woche die Fastenmail von Frank Muchlinsky gelesen habe. „Tun Sie etwas Unvernünftiges!“, lautete die Wochenaufgabe. Ich habe lange nachgedacht, was ich tun könnte und wollte, und ich muss gestehen, dass mir dazu nicht viel – um nicht zu sagen nichts Vernünftiges – eingefallen ist.

Einfach spontan irgendwohin fahren, war mein erster und nicht sonderlich origineller Gedanke. Doch das kam nicht infrage. Denn während mein Mann in Schweden Nordlichtern nachjagte, habe ich das Haus und danach die Katze von Bekannten gehütet. Und außerdem waren da noch zwei Aufträge, die ich – pflichtbewusst wie ich bin – pünktlich abarbeiten wollte. Um einen Bungeesprung zu buchen, bin ich zu feige, um nackt im nächsten See zu baden, ist es mir einfach zu kalt. Bei besserem Wetter gerne – aber nicht, wenn es so regnerisch, grau und trist ist wie zurzeit.

Vielleicht kam mir wegen des schlechten Wetters das Holifest in den Sinn. Das aus der hinduistischen Überlieferung stammende Frühlingsfest wird in Indien traditionell am ersten Vollmondtag des Monats Phalgun, dem 12. hinduistischen Kalendermonat, gefeiert. Bei diesem Fest besprengen und bestreuen sich die Menschen gegenseitig mit gefärbtem Wasser und gefärbtem Puder, dem Gulal.

Das indische Frühlingsfest war in diesem Jahr schon am 8. März, die westlichen Epigonen, die „Holi Festivals of Colours“ mit viel Musik, dafür aber ohne religiösen Hintergrund, finden erst im Sommer in verschiedenen deutschen Städten statt. Ich werde mir sicher kein Ticket kaufen. Denn ich mag weder Menschenmassen noch Elektro, Minimal und House, also die Musik, die im August beim Festival in Hildesheim gespielt wird.

Aber die Idee, die Welt und das Leben etwas bunter zu machen, gefällt mir. Und so habe ich statt mich selbst mit Farbe zu bemalen, eine Buddha-Statue gefärbt. Mit den neuen Farben erinnert mich die Statue ein wenig an die Grüne Tara oder Shyama-Tara (wörtlich: „grüne Befreierin“). Sie ist laut Wikipedia „ein weiblicher, friedvoller Buddha und Bodhisattva des tibetischen Buddhismus“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Grüne_Tara) und wird „verehrt wie kaum ein anderer Bodhisattva“.

Die Grüne Tara soll vor acht Arten der Angst und vor Gefahren schützen, die Weisheit vermehren, zur Erleuchtung führen und Wünsche – auch weltliche – besonders schnell erfüllen. Diese Bereitschaft wird „durch ihre zum Aufstehen bereite Sitzhaltung symbolisiert“. Letzteres passt gut, zu mir: immer auf dem Sprung, allzeit bereit, das zu tun, was man von mir erwartet. Aber es ist ja angeblich nie zu spät, Dinge zu ändern

Meinen Buddha stören meine Farbspiele nicht: Er sitzt und lächelt, ruht in sich – und passt wirklich gut zum Motto der Fastenwoche: Sieben Wochen unverzagt.

PS 1: Allen, die sich wie ich nicht wirklich gut mit Buddhismus auskennen, sei’s gesagt. Als Bodhisattva (sanskrit, der das Wesen der Erleuchtung hat) wird laut Metzler Lexikon Philosophie „ein auf dem Heilsweg Fortgeschrittener bezeichnet, der aus Mitleid (karuṇā) mit den Lebewesen auf die endgültige Buddhaschaft – das Eingehen in das Nirvāṇa – verzichtet, bis er auch ihnen Erlösung verschafft hat“ (https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/bodhisattva/340).

PS 2: Die Wochenaufgabe habe ich zugegebenerweise nicht wirklich erfüllt, das Thema ist wohl verfehlt. Aber ich habe einen Blogbeitrag geschrieben, mehr Farbe in mein Leben gebracht und eine neue Figur. Manchmal muss frau ihre Prioritäten einfach anders setzen und das tun, was ihr in den Sinn kommt – und was ihr gefällt.

Kultur pur

So viel geballte Kultur in einer Woche gönne ich mir selten bis nie: am Mittwoch Kino im Amtshof in Burgwedel, am Samstagabend Mittwochstheater in Hannover-Linden und dazwischen drei Ausstellungen in drei verschiedenen Museen.

Zufall oder nicht: Sowohl der Film, den ich am Mittwoch gesehen habe, als auch das Theaterstück am Samstagabend spielen in Frankreich: „Das Beste kommt noch“ erzählt die Geschichte von zwei sehr ungleichen Freunden. Als einer unheilbar an Krebs erkrankt, möchten die beiden möglichst viel der noch verbleibenden Zeit miteinander verbringen. Sie reisen zusammen in die Vergangenheit und tun, mehr um dem anderen einen Gefallen zu tun als aus Überzeugung, auch Dinge, vor denen sie sich bislang gedrückt haben. Und weil der Kranke meint, nicht er, sondern sein Freund sei todkrank, kommt es zu einigen Missverständnissen.

„Alles was sie wollen“ von Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière habe ich mir mit einer Schreibfreundin angesehen. Im Mittelpunkt des Stücks steht die berühmte Schriftstellerin Lucie Arnaud, die kurz vor der Premiere ihres neuen Theaterstücks noch kein einziges Wort geschrieben hat.

Schreibblockaden kenne ich, im Mittwochstheater war ich bislang noch nie. Aber mein erster Besuch war sicher nicht mein letzter. Denn die Atmosphäre in dem alten Haus auf dem Lindener Berg gefällt mir: Es erinnert mich ein bisschen an das Unterhaus in Mainz, in dem ich als Studentin – also vor fast 100 Jahren – öfter gewesen bin. Und vielleicht sind die beiden Abstecher nach Frankreich ein Zeichen, dass ich meine Französischkenntnisse aus Realschulzeiten wieder aufbessern sollte. Eine Vokabelbox „Französisch Grundwortschatz“ habe ich letztens vor der Altpapiersammlung gerettet.

Vor der Vorstellung habe ich mir die Doppelausstellung des britischen Malers und Bildhauers Glenn Brown im Landes- und im Sprengel Museum angesehen. Es ist im Übrigen die erste gemeinsame Ausstellung der beiden Museen, die fast direkte Nachbarn sind.

Für die Dauer der Ausstellung – also bis zum 18. Juni – hat Glenn Brown die Kunstsammlungen beider Häuser um 50 eigene Werke erweitert. Die meisten seiner Bilder und Skulpturen wurden bewusst zwischen denen anderer Maler und Bildhauer platziert. Denn Glenn Brown ist, so heißt es in der Pressemitteilung, „bekannt für die Verwendung von kunsthistorischen Referenzen in seinen Gemälden“. Und in einem Interview sagte der Künstler: „Mein Gehirn wurde von anderen Künstlern geformt, sie leben alle in mir. Und ich bin untrennbar mit der Kunstgeschichte verbunden. Alles gehört zusammen.“ Nachzulesen im Ausstellungskatalog.

Ich kannte Glenn Brown und seine Werke bislang nicht – und er wird wohl auch nicht mein Lieblingsmaler. Aber seine Technik und seine Farben haben mich beeindruckt, er erzeugt „in altmeisterlicher Manier mit dünnen, wirbelnden Pinselstrichen … eine fast fotografisch anmutende Oberfläche“. Mein Lieblingswerk ist allerdings kein Bild, sondern eine Skulptur, deren Titel ich mir leider nicht gemerkt habe. Aber da ich ja eine Museumscard habe, werde ich „the real thing“ sicher noch ein zweites Mal besuchen, so wie ich auch ein zweites Mal „Nach Italien“ (https://timetoflyblog.com/nach-italien) gegangen bin. Die Ausstellung, die zur Reise in den Süden einlädt, wurde nämlich bis August verlängert.

Die erste Ausstellung, die ich in der vergangenen Woche besucht habe, war ebenfalls eine Doppelausstellung. Im Museum für Karikatur und Zeichenkunst Wilhelm Busch sind zwei Ausstellungen von insgesamt drei Zeichnern zu sehen. Alles erlaubt“ heißt der Titel des Ausstellungsparts von Achim Greser und Heribert Lenz, die gemeinsam Karikaturen für große deutsche Zeitungen zeichnen.Seit ihrer Zeit bei der Titanic haben Greser & Lenz nach und nach einen gemeinsamen Zeichenstil entwickelt, der inzwischen kaum mehr Rückschlüsse erlaubt, welche Zeichnung von welchem der beiden Zeichner stammt“, ist in der Pressemitteilung des Museums zu lesen. Mir gefallen die Karikaturen sehr gut, spannend finde ich aber auch die ausgestellten Leserbriefe, die zeigen, „welchen Anfeindungen Karikaturist*innen auch in unserer vermeintlich offenen Gesellschaft mitunter ausgesetzt sind“.

Mit den Bildern von Günter Mattei tue ich mich schwerer. Vor allem mit den Tierbildern, ein Schwerpunkt seines Ausstellungsteils „Kommst du“, kann ich wenig anfangen. Aber die Geschmäcker sind eben verschieden, bekanntlich ist ja – um bei Tierbildern zu bleiben – „Wat den Eenen sin Uhl, is den Annern sin Nachtigall“.

Gelohnt hat sich der Besuch im Wilhelm Busch Museum trotzdem. Und auch die Ausstellung werde ich mir sicher noch ein zweites Mal ansehen.

Ist er wieder da?

Ist er’s – oder ist er’s nicht? Diese Frage stelle ich mir, seit vor etwa zwei Wochen Knospen an einer Narzisse sichtbar wurden. Sie sind spät dran, ihre Verwandten im Garten sind schon längst aufgeblüht. Und sie stehen auch nicht an genau der Stelle, an der ich die Zwiebeln im letzten Jahr eingepflanzt habe, aber immerhin in der Nähe.

Dass sie es nicht an dem ihnen zugewiesenen Platz ausgehalten haben, sondern ein Stück gewandert sind, nährt meinen Verdacht, dass es Rip van Winkle sein könnte. Denn Namen – lateinisch Nomen – sind ja angeblich nicht Schall und Rauch, sondern Omen. Und Rip van Winkle, der Namenspatron der von mir vermissten Narzisse, war ja der Kyffhäusersage nach ein Herumtreiber und Tunichtgut. Er hielt nicht viel von Arbeit, streifte stattdessen lieber durch die Gegend, vergaß dabei gerne die Zeit und ließ seine Mitmenschen warten. Von seinem letzten Waldspaziergang kehrte er angeblich erst nach 20 Jahren wieder zurück.

So lange muss ich nicht warten. In den nächsten Tagen werden auch die Nachzügler-Narzissen ihre Blüten öffnen und ihr Geheimnis lüften. Und während in der Sage niemand den alten Mann kannte, der behauptete, dass er schon immer im Dorf gelebt hatte, werde ich Rip van Winkle erkennen. Schließlich ist sie die einzige gefüllte Narzisse in meinem Garten. Denn ihre Vorgänger, die ich vor ein paar Jahren in den Herrenhäuser Gärten gekauft und eingepflanzt habe, sind und bleiben verschwunden (https://timetoflyblog.com/gartenerkenntnisse; https://timetoflyblog.com/rip-van-winkle-bleibt-verschwunden).

Sie blühten nur einen Frühling und sind danach verschwunden

Rip van Winkles weiter Weg aus der Kyffhäusersage in den modernen Roman wird unter https://de.wikipedia.org/wiki/Rip_Van_Winkle beschrieben.

Ab ins Beet

Gestern Abend hat – drei Wochen nach dem meteorologischen – auch der kalendarische und astronomische Frühling begonnen. Tag und Nacht waren gestern gleich lang – und zwar sowohl auf der Nordhälfte als auch auf der Südhälfte der Erde. Bis Ende September sind die Tage hier jetzt länger als die Nächte. Auch das Wetter zeigte sich in den vergangenen Tagen mit zweistellige Temperaturen und zumindest gelegentlichem Sonnenschein durchaus (vor)frühlingshaft. Zeit, sich wieder mal um den Garten zu kümmern, vor allem um das Beet vor dem Wintergarten.

Das sieht ziemlich kahl aus, seit im Januar der Buchsbaumstier weichen musste. Mein Mann hatte vor Jahren fünf kleine Buchsbäume nebeneinander gepflanzt, sie gehegt, gepflegt und in Form geschnitten. Im Laufe der Jahre sind die Buchsbäumchen zu einer mehrere Meter langen, dichten, fast mannshohen Hecke zusammengewachsen. Doch gegen die gefräßigen Larven des Buchsbaumzünslers hatte der Stier keine Chance. Er siechte dahin, wurde immer schwächer und kahler. Alle Rettungsversuche waren vergeblich. Und so haben wir ihn schließlich abgeschnitten und die Wurzeln ausgegraben. Beim Rein-Beet-Machen haben wir auch einige andere Pflanzen entfernt. Die Dreimasterblumen beispielsweise, die mit ihren lila Blüten zwar hübsch aussehen, aber leider ein sehr einnehmendes Wesen haben und andere Pflanzen rücksichtslos überwuchern. Ganz verschwunden sind sie sicher nicht, obwohl ich mehrere Kilo Wurzelgeflecht entfernt habe – Dreimasterblumen sind zäh. Aber ich hoffe, dass sie ihre neuen Beet-Nachbarn vorläufig in Ruhe lassen.

Aus dem Beet vor dem Wohnzimmerfenster habe ich zwei Rosen ausgegraben und umgesetzt. Nachdem mein Mann dort einen Schmetterlingsbusch gepflanzt hat, fristeten die Künstlerrose und die Päonienrose ein Schattendasein. Ich hoffe, dass sie den Umzugsstress gut verkraften und den Platz an der Sonne genießen. Mir jedenfalls gefällt ihr neuer Standort viel besser. So kann ich sie und ihre Blüten sehen, wenn ich im Wintergarten sitze – und anders als der Stier lassen die Rosen den Blick auf unsere Teiche frei.

Auch Wildtulpen und eine Dahlie namens Milena Fleur sind in das Beet eingezogen. Tulpen gibt es in unserem Garten bislang nur wenige und auch mit Dahlien hatte ich früher wenig Glück. Kaum waren sie eingepflanzt, waren sie wieder abgefressen. Aber im letzten Jahr war der Bann gebrochen: Zumindest an zwei Stellen haben sie überlebt und blühten bis in den Herbst hinein. Ich hoffe, dass sie wiederkommen und dass auch Milena Fleur anwächst und gedeiht. Die Zwiebel der Winterlinge und die Narzissen, die ich ebenfalls gesetzt habe, blühen wahrscheinlich erst im nächsten Frühjahr.

Sehr mitgenommen sehen die Christrose und die Primel aus, die aus dem Haus in den Garten umgezogen sind und jetzt den frei gewordenen Platz unterm Schmetterlingsbusch einnehmen. Für sie ist der neue Standort eigentlich ideal. Denn anders als ihre Vorgängerinnen, die Rosen, mögen beide es durchaus (halb)schattig. Trotzdem bin ich nicht sicher, dass sie dort Wurzeln schlagen. Weil ich ihnen den Umzug in den gefrorenen Boden nicht zumuten wollte, sind sie länger als geplant drinnen drinnen geblieben. Doch das ist ihnen nicht gut bekommen. Aber vielleicht erholen sie sich ja an der frischen Frühlingsluft.

Ein(e) Art Journal

Mit guten Vorsätzen ist das so eine Sache. Manchmal muss man sie brechen. Oder besser gesagt: abändern. So habe ich mir trotz meines Vorsatzes, bis Ostern konsumzufasten, drei Bücher gekauft.

Nun ist fraglich, ob Bücher überhaupt unter meinen freiwilligen Konsumverzicht fallen. Denn ein Leben ohne Bücher geht für mich gar nicht. Sie sind für mich eine Art Lebensmittel, auf jeden Fall aber Dinge des täglichen Bedarfs – die ich kaufen darf. Außerdem hatte ich gute Gründe, Ausnahmen zu machen: Ein Buch brauchte ich für einen Blogbeitrag, das zweite ist beim Verlag vergriffen, in den Bibliotheken in Hannover nicht vorhanden – und im modernen Antiquariat wurde nur noch ein einziges Exemplar angeboten. Das Risiko, dass ich das Buch nach Ostern gar nicht mehr bekomme oder nur zu einem wesentlich höheren Preis, wollte ich nicht eingehen.

Zum Kauf von Buch Nummer drei, einem Skizzenbuch, hat mich ein Instagram-Beitrag einer Schreibfreundin inspiriert. Sie schrieb, dass sie jetzt ein Art Journal führt (https://www.instagram.com/p/Cpo4pSgN_c0/). Das wollte ich auch schon lange, hatte es bislang aber immer wieder aufgeschoben, weil ich kein Talent zum Zeichnen und Malen habe. Stifte und Farben habe ich mir im Laufe der Jahre viele gekauft. Doch irgendwie fehlte mir der Mut, anzufangen.

Da ich so lange gezögert hatte, hätte ich natürlich auch noch ein paar Wochen warten können. Aber mir kam ein Zitat von Elke Heidenreich in den Sinn, das ich vor Jahren einmal gelesen und nie mehr vergessen habe. „Zu lange aufgeschobene Wünsche brennen nicht mehr, zu tief weggepackte Träume sind von den Motten zerfressen.“ Und vom römische Kaiser Marc Aurel stammt der Satz „Man bereut nie, was man getan, sondern immer, was man nicht getan hat.“

Außerdem erfuhr ich kurz nachdem ich frau_landaus alias Tina Kolbecks (https://tinakolbeck.de/) Instagram-Beitrag gelesen hatte, dass ein Bekannter plötzlich gestorben ist. Er war jünger als ich und kerngesund. Das gibt frau schon zu denken, wie viel Zeit noch bleibt. Als dann noch ein Kollege ein Treffen erst absagte, als ich schon auf dem Bahnhof und auf dem Weg in die Stadt war, war es für mich ein Zeichen: Ich habe die gewonnene Zeit für einen Besuch in einem Kunstladen genutzt.

Mein neues Skizzenbuch soll mehr Farbe in mein Leben und meine Aufzeichnungen bringen. Ich will in meinem kreativen Tagebuch Zeichnungen und Skizzen, Fotos und Bilder, Texte – eigene und fremde – kombinieren. Ich will mit Farben und mit Worten spielen. Wie es mir gefällt. Den Anspruch, Kunst zu machen, habe ich nicht, es wird also kein Art Journal, sondern eher ein(e) Art Journal.

Sehnsucht nach Meer

Wiederentdeckt: Ein Zimmer für sich allein

Eigentlich war es Zufall, dass ich Virginia Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“ jetzt wieder gelesen und wiederentdeckt habe. In ihrem Buch „FrauenZimmerSchreiben“* schreibt die Herausgeberin Christiane Palm-Hoffmeister als Einleitung einen Brief an die Autorin des viel zitierten Essays.

Ich habe Virginia Woolfs Buch zum ersten Mal während des Studiums gelesen, auf Englisch, wie die 1977 gekaufte Penguin-Ausgabe von „A Room of One‘s Own“ verrät. 1989 habe ich mir dann eine Ausgabe auf Deutsch gekauft, weil mein Englisch inzwischen etwas eingerostet war. Für ein eigenes Zimmer war damals in unserem Haus kein Platz, weil wir drei Kinderzimmer brauchten. Als gemeinsames Arbeitszimmer diente meinem Mann und mir zeitweise ein Teil des Wohnzimmers, den wir mit Regalen und einer Sperrholzwand provisorisch abgetrennt hatten. Aber lieber arbeitete und schrieb ich auf dem freien Platz neben der Treppe, wo auch jetzt wieder ein Schreibtisch steht. Eigentlich brauche ich diesen Schreibplatz nicht mehr, denn ich habe inzwischen sogar zwei Arbeitszimmer für mich allein. Und ich muss – anders als damals – nicht mehr Kinder, Haushalt und Beruf unter den bekannten Hut bringen.

Vielleicht liegt es am freieren Teilzeit-Rentnerinnen-Leben, dass ich Virginia Woolfs Essay diesmal an einem Tag und in einer halben Nacht gelesen habe. Vielleicht kam die Anregung aber auch gerade zur richtigen Zeit. In den vergangenen Jahren hatte ich mehrere Wieder-Lese-Versuche gestartet und das Buch dann – unausgelesen – zur Seite gelegt.

Mir war vor allem der Satz im Gedächtnis geblieben, der dem Essay seinen Namen gab: „Eine Frau braucht Geld und ein eigenes Zimmer, um schreiben zu können“ (Seite 3)**. Dabei ist wirklich bemerkens- und lesenswert, wie treffend und umfassend Virginia Woolf schon in den Zwanzigerjahren die Situation von Frauen in der Literatur und im Leben beschrieben und analysiert hat. „In der Poesie füllt sie (die Frau) Bände, in der Geschichte kommt sie nicht vor“, schreibt sie. Und im richtigen Leben wurden und werden Mädchen und Frauen häufig „eingesperrt, geschlagen und durchs Zimmer geschleudert“ (Seite 49).

Zwar hat sich vieles geändert, seit Virginia Woolf ihren Essay schrieb. Doch manches ist leider noch so aktuell wie vor fast hundert Jahren. In Deutschland wird laut BMFSFJ „etwa jede vierte Frau … mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner“ (https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/formen-der-gewalt-erkennen-80642). Und obwohl es zumindest hierzulande inzwischen selbstverständlich ist, dass Mädchen und Frauen zur Schule gehen, studieren, einen Beruf lernen und berufstätig sind, sind Frauen auch heute noch das arme Geschlecht. So verdienten Frauen nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) im vergangenen Jahr in Deutschland pro Stunde 18 Prozent weniger als Männer (https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-GenderPayGap/_inhalt.html). Ein Teil der Lohnunterschiede kann durch Lohn- und Gehaltsunterschiede in verschiedenen Berufen und Branchen erklärt werden. Anders als von Virginia Woolf vorausgedacht, gibt es nämlich immer noch typisch weibliche und typisch männliche Berufe. Und ErzieherInnen, Kranken- oder AltenpflegerInnen werden auch heute noch schlechter bezahlt als AutomechanikerInnen oder InstallateurInnen. Aber selbst wenn sie die gleiche Arbeit leisten, verdienen Frauen oft weniger als ihre männlichen Kollegen. Das liegt sicher auch daran, dass Männer oft selbstsicherer sind und sich und ihre Leistung besser verkaufen können.

Verwunderlich ist das nicht: Jahrhundertelang wurde behauptet, dass Frauen Männern mental, moralisch, physisch und intellektuell unterlegen sind. Dieses Vorurteil hat sich, so scheint es, bei beiden Geschlechtern ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Wenn Männer „ein Zimmer betreten, sagen sie sich, ich bin der Hälfte der Menschen hier überlegen, und deshalb sprechen sie voller Selbstvertrauen, voller Selbstgewissheit“, schreibt Virginia Woolf (S. 41). Dieses Gefühl sei wahrscheinlich „eine der Hauptquellen“ männlicher Macht (S. 39).

„Frauen haben in all diesen Jahrhunderten als Spiegel gedient, ausgestattet mit der magischen und köstlichen Kraft, die Gestalt des Mannes doppelt so groß wiederzugeben“, schreibt sie. „Welchen Nutzen Spiegel in zivilisierten Gesellschaften auch haben mögen, für jede gewalttätige und heroische Tat sind sie unabdingbar. Deshalb bestehen Napoleon und Mussolini so emphatisch auf der Unterlegenheit der Frauen, denn wären sie nicht unterlegen, würden sie nicht länger vergrößern“ (S. 40f). Dem ist mit Blick auf die großen und kleinen Mussolinis und Napoleons unserer Zeit nichts hinzuzufügen. Oder nur, dass es sich wirklich lohnt, Virginia Woolfs Essay wieder zu lesen.

*Dieser Beitrag enthält unbezahlte Werbung

**Zitiert nach Woolf, V. (2019). Ein Zimmer für sich allein (Kampa Pocket) (German Edition) [Kindle Android version]. Retrieved from Amazon.com, übersetzt von Antje Ravik Strubel